In: L' homme: European review of feminist history : revue europénne d'histoire féministe : europäische Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft, Band 22, Heft 2
Die Wirtschaftspolitik der Sowjetunion war seit Mitte der 20er Jahre auf eine grossangelegte Industrialisierung mit Schwerpunkt auf der Eisen- und Stahlindustrie ausgerichtet. Die im Fuenfjahresplan von 1927 anvisierten Planungsziele wurden in den darauffolgenden Jahren immer weiter in die Hoehe geschraubt, so dass bereits im Jahr 1929 von der Erfuellung der Plaene in nur vier Jahren die Rede war. Das gleichzeitige Anlaufen aller Vorhaben und deren Tempo fuehrten zu Ressourcenengpaessen und schliesslich zur Stagnation der Produktion. Neben der Expropriation der privaten Produktionsmittel und der Beseitigung des privaten Handels wurde seit der Agrarkrise 1928 die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft eingeleitet und in den folgenden Jahren unter zunehmender Gewaltanwendung, die sich vor allem gegen vermeintlich reiche Bauern richtete, durchgefuehrt. Der von der Kollektivierung erwartete Akkumulationsbeitrag konnte jedoch von der Landwirtschaft nicht erbracht werden. Trotz der beachtlichen Industrialisierungserfolge konnten bei dem vorzeitig abgeschlossenen Fuenfjahresplan bei fast keinem Produkt die Planziffern erfuellt werden.
Der Autor möchte zeigen, daß die negativen Begleiterscheinungen des Industrialisierungsprozesses in der UdSSR nicht auf objektive Sachzwänge zurückzuführen sind, sondern mit der NEP und dem Ersten Fünfjahresplan ein Konzept für eine alternative Entwicklung vorlag, das wahrscheinlich bis zum Ausbruch des 2. Weltkriegs bei erheblich geringeren sozialen Kosten ähnliche Industrialisierungserfolge ermöglicht hätte. Die Alternative hätte im Festhalten an der planmäßigen Lenkung im Rahmen des an der NEP orientierten Fünfjahresplans bestanden. Durch die nach dem Sieg der Gruppe um Stalin erfolgte Unterbindung der offenen Auseinandersetzung über wirtschaftspolitische Fragen ging die Voraussetzung für einen echten politischen Handlungsspielraum jedoch verloren. Der Autor hat gedruckte Quellen und Sekundärliteratur für seine Untersuchung ausgewertet. (STR)