ZusammenfassungDas Ziel des vorliegenden Aufsatzes besteht darin zu prüfen, inwieweit die soziologische Differenzierungstheorie das Potential besitzt, den Beitrag der Religion zur Herausbildung der europäischen Moderne verständlich zu machen. Um die Frage nach dem religiösen Einfluss auf die Entstehung der modernen Welt differenzierungstheoretisch behandeln zu können, ist es zunächst erforderlich, das gebrauchte theoretische Instrumentarium zu erläutern. Es muss dargelegt werden, worin die wesentlichen Aussagen der Differenzierungstheorie bestehen, und es ist notwendig anzugeben, welcher Begriff von Moderne vorausgesetzt wird. Daraufhin erfolgt die historische Analyse.Methodologisch stellt der Text insofern eine Verbindung zwischen problemorientierten theoretischen Grundsatzüberlegungen und historisch-hermeneutischen Interpretationen dar.Als Resultat der Untersuchung können wir feststellen, dass sich am Ende des 18. Jahrhunderts die Umrisse einer sich neu herausbildenden Gesellschaftsformation erkennen lassen: einer funktional differenzierten Gesellschaft. Sowohl auf der sozialstrukturellen Ebene als auch auf der Ebene des Diskurses sind zu diesem Zeitpunkt die Prozesse einer Differenzierung unterschiedlicher Wert- und Gesellschaftssphären weit vorangeschritten. Ging die römische Kirche im Hochmittelalter in der Behauptung einer sozial unableitbaren theologischen Eigenrationalität der Entstehung von Differenzierungsformen voran, so bildeten sich in jahrhundertelangen gegenläufigen Prozessen zum Ausgang des 18. Jahrhunderts die Weichen für die Emergenz der europäischen Moderne heraus.
Der Verfasser setzt am Theorem der funktionalen Differenzierung an, das als Prozesskategorie im Hinblick auf vier Punkte in die Kritik geraten ist: wegen seines teleologischen, deterministischen und unilinearen Charakters sowie wegen der mangelnden Erklärungskraft des behaupteten Prozesses. Zudem wird grundlegend in Frage gestellt, ob moderne Gesellschaften tatsächlich durch funktionale Differenzierung gekennzeichnet sind. Gleichzeitig wird der Zusammenhang von funktionaler Differenzierung und Säkularisierung kritisch hinterfragt. Der Verfasser weist nach, dass sich alle Einwände gegen das Theorem der funktionalen Differenzierung - bis auf die Mängel hinsichtlich seiner Erklärungskraft - erfolgreich ausräumen lassen. (ICE2)