Raumbezogene Identität äußert sich in Form kognitiv-emotiver Konstrukte, welche die Identitäten räumlicher Gegenstände im Bewusstsein von Menschen als Images und Mental Maps repräsentieren. Diese räumlichen Entitäten stellen Bezugsgrößen einer emotiven Aneignung dar (Heimatgefühl und Ortsloyalität), die als Elemente von Ich- und Wir-Identität wirksam werden.
Multilokalität ist eine weitverbreitete soziale und ökonomische Praxis, mit deren Hilfe Einzelakteure oder Gruppen die Ressourcenangebote an zwei oder mehr Orten gleichzeitig oder abwechselnd nutzen und dadurch einen Mehrwert bei der Erreichung ihrer Intentionen erzielen können. Eine spezifische Ausprägungsform dieser Praxis, die residenzielle Multilokalität, hat in den letzten Jahren enorm an Bedeutung gewonnen und sich zu einer eigenständigen Ausprägung der Mobilität entwickelt. Residenzielle Multilokalität - auch multilokales Wohnen genannt - bedeutet, dass Einzelpersonen oder Gruppen über zwei oder mehr Wohnungen an unterschiedlichen Standorten verfügen, diese in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen nutzen und an jedem Standort in mehr oder weniger ausgeprägter Form die wichtigsten Lebensvollzüge der Alltagspraxis ausüben. In den Beiträgen des vorliegenden Sammelbandes, dessen Autorinnen und Autoren überwiegend aus dem Kreis des internationalen "Netzwerks Multilokalität" stammen und unterschiedliche sozialwissenschaftliche Disziplinen vertreten, werden verschiedene Konzepte, theoretische und methodische Überlegungen sowie empirische Befunde der Forschung zu diesem Thema vorgelegt. Dabei wird keine systematische Behandlung der residenziellen Multilokalität angestrebt. Vielmehr soll die Vielfalt der Ausprägungsformen des Phänomens gleichsam in Form einer Collage angesprochen und damit die Breite der disziplinspezifischen Zugänge demonstriert werden.
Ausgangspunkt dieses Beitrags ist die Abgrenzung des Phänomens der residentiellen Multilokalität von anderen Formen der Mehrörtigkeit. Diese soziale Praxis, welche die Verfügbarkeit von zwei oder mehr Behausungen voraussetzt, bedingt eine spezifische Lebensweise. Als Bezeichnung des Integrals der Lebensumstände einer Person wird der Begriff "Lifescapes" vorgeschlagen. Personen, die residentielle Multilokalität praktizieren, unterscheiden sich in ihren Lifescapes erheblich von monolokal wohnenden Personen. In den beiden letzten Abschnitten werden Folgen dieser Lebensweise für gesellschaftliche und räumliche Gegebenheiten erörtert.
Räumliche Mobilität steht zunehmend im Fokus der sozialen Ungleichheitsforschung. Der Beitrag liefert einen grundlegenden Systematisierungsvorschlag für die spezifische Mobilitätsform der Multilokalität. Hierfür werden allgemeine theoretische Überlegungen zu Prozessen sozialer und ökonomischer Ungleichheit für den spezifischen Gegenstand der Multilokalität ausgearbeitet und zugrundeliegende Mechanismen der Ungleichheits(re)produktion auf der individuellen und strukturellen Ebene anhand empirischer Beispiele aus den Bereichen der Arbeits- und Ruhestandswanderung illustriert. Dabei wird zum einen dem Doppelcharakter von Multilokalität als Ursache und Folge sozialer Ungleichheit Rechnung getragen. Zum anderen wird systematisch zwischen der Ebene der individuellen Akteure und der strukturellen Ebene der bewohnten Orte differenziert. Es wird argumentiert, dass über Multilokalität soziale Ungleichheit in verschiedenen Dimensionen und auf allen gesellschaftlichen Ebenen perpetuiert wird, indem sie als individuelle Strategie auf strukturelle Bedingungen neu gelagerte Ungleichheitsstrukturen schafft, die ihrerseits Multilokalität begünstigen oder hemmen. Darauf aufbauend werden Implikationen für die zukünftige Forschung abgeleitet.
Der Artikel resümiert auf der Grundlage einer kurzen Systematisierung und Begriffseinordnung den Stand der Forschung zur Quantifizierung multilokalen Wohnens in Deutschland. Er widmet sich dabei insbesondere der Frage der Erfassbarkeit mit standardisierten Instrumenten in geschlossenen Erhebungsdesigns. Die Einschätzungen gründen auf empirischen Arbeiten und Erfahrungen der Autorinnen. Dazu zählen die jährlich durchgeführte Bevölkerungsumfrage des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), die Auswertung kleinräumiger Statistiken aus kommunalen Melderegistern und schriftliche Befragungen im Rahmen eines aktuellen DFG-Projekts. Anregungen für die vorgestellte Eigenforschung stammen aus dem Diskussionszusammenhang des trinationalen "Netzwerks Multilokalität", in dem auch erste Erfahrungen fortwährend reflektiert werden konnten.