Auch die bereits 22. Ausgabe des Jahrbuchs ist als breit angelegtes Kompendium konzipiert, das den Leserinnen und Lesern einen aktuellen Überblick über verschiedene Aspekte föderaler und regionale Struktur und Politik bietet. Die insgesamt 32 Beiträge verteilen sich auf folgende Rubriken: Zwölf Beiträge zum Schwerpunktthema, föderale Bearbeitung der Corona-Pandemie (u.a. von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn). Drei Beiträge zu aktuellen Themen der Föderalismusforschung (u.a. zu den Effekten der Pandemie auf Föderalismustheorie und Fiskalföderalismus). Fünf Beiträge zum deutschen Föderalismus (u.a. zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft). Fünf europäische Länderberichte (u.a. Russland, Spanien und VK). Drei Beiträge zur regionalen und kommunalen Kooperation in Europa (u.a. zu den Grenzschließungen in der EU 2020/2021). Zwei Beiträge zur Europäischen Union/Europäischen Integration (u.a. zum Corona-Haushaltspaket).
Auch die bereits 22. Ausgabe des Jahrbuchs ist als breit angelegtes Kompendium konzipiert, das den Leserinnen und Lesern einen aktuellen Überblick über verschiedene Aspekte föderaler und regionale Struktur und Politik bietet. Die insgesamt 32 Beiträge verteilen sich auf folgende Rubriken: Zwölf Beiträge zum Schwerpunktthema, föderale Bearbeitung der Corona-Pandemie (u.a. von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn). Drei Beiträge zu aktuellen Themen der Föderalismusforschung (u.a. zu den Effekten der Pandemie auf Föderalismustheorie und Fiskalföderalismus). Fünf Beiträge zum deutschen Föderalismus (u.a. zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft). Fünf europäische Länderberichte (u.a. Russland, Spanien und VK). Drei Beiträge zur regionalen und kommunalen Kooperation in Europa (u.a. zu den Grenzschließungen in der EU 2020/2021). Zwei Beiträge zur Europäischen Union/Europäischen Integration (u.a. zum Corona-Haushaltspaket).
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Frontmatter -- Geleitwort -- Inhaltsverzeichnis -- Die Autoren -- Erster Teil. Entstehung und Entwicklung des Parlamentarismus in Deutschland -- Übersicht -- § 1 Hoftag und Reichstag von den Anfängen im Mittelalter bis 1806 / MORAW, PETER -- § 2 Volksvertretungen im monarchischen Konstitutionalismus (1814-1918) / KÜHNE, JÖRG-DETLEF -- § 3 Wandlungen des Parlamentarismus: Von Weimar nach Bonn / BEYME, KLAUS VON -- Zweiter Teil. Grundlagen der parlamentarischen Demokratie -- Übersicht -- § 4 Die Stellung der Parlamente in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes / MEYER, HANS -- § 5 Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz / HOFMANN, HASSO / DREIER, HORST -- § 6 Parlament und Parteien / GRIMM, DIETER -- § 7 Parlament und organisierte Interessen / STEINBERG, RUDOLF -- § 8 Parlament, Öffentlichkeit und Medien / MARTENSON, STEN -- Dritter Teil. Das Parlamentsrecht in Geschichte und Gegenwart -- Übersicht -- § 9 Geschäftsordnungen deutscher Volksvertretungen / KRETSCHMER, GERALD -- § 10 Schichten des Parlamentsrechts: Verfassung, Gesetze und Geschäftsordnung / PIETZCKER, JOST -- § 11 Parlamentsbrauch, Gewohnheitsrecht, Observanz / SCHULZE-FIELITZ, HELMUTH -- Vierter Teil. Der Deutsche Bundestag und seine Mitglieder -- Übersicht -- I. Die Bundestagswahl und ihre Auswirkungen -- § 12 Wahlkampf, Wahlrecht und Wahlverfahren / SCHREIBER, WOLFGANG -- § 13 Wahlprüfung / KRETSCHMER, GERALD -- § 14 Beginn und Ende der Wahlperiode, Erwerb und Verlust des Mandats / VERSTEYL, LUDGER-ANSELM -- II. Rechte und Pflichten des Abgeordneten -- §15 Die Stellung des Abgeordneten nach dem Grundgesetz und den Abgeordnetengesetzen in Bund und Ländern / BADURA, PETER -- § 16 Entschädigung und Amtsausstattung / ARNIM, HANS HERBERT VON -- § 17 Indemnität und Immunität / KLEIN, HANS HUGO -- § 18 Geschäftsordnungsrechtliche Befugnisse des Abgeordneten / SCHREINER, HERMANN-JOSEF -- § 19 Verhaltensregeln / ROLL, HANS-ACHIM -- § 20 Geheimschutzordnung des Bundestages / JAHN, GERHARD / ENGELS, DIETER -- § 21 Fraktion und Abgeordneter / ARNDT, CLAUS -- § 22 Abgeordneter und Fraktion / HAMM-BRÜCHER, HILDEGARD -- § 23 Unvereinbarkeiten zwischen Bundestagsmandat und anderen Funktionen / TSATSOS, DIMITRIS TH. -- III. Parlamentssoziologie -- § 24 Zusammensetzung und Sozialstruktur des Bundestages / HESS, ADALBERT -- Fünfter Teil Gliederungen, Organe und Verfahren des Bundestages -- Übersicht -- I. Wahlen im Bundestag -- § 25 Selbstorganisation und Ämterbesetzung -- § 26 Kreationsaufgaben und Wahlverfahren / STEIGER, HEINHARD -- II. Organe der Leitung, Planung und Selbstverwaltung -- § 27 Präsident und Präsidium / BÜCKER, JOSEPH -- § 28 Der Ältestenrat / ROLL, HANS-ACHIM -- § 29 Die Verwaltung des Bundestages / SCHINDLER, PETER -- III. Das Gesetzgebungsverfahren -- § 30 Stationen, Entscheidungen und Beteiligte im Gesetzgebungsverfahren / BRYDE, BRUN-OTTO -- IV. Parlamentarische Anträge -- § 31 Die Behandlung der Anträge im Bundestag: Rechte, Formen und Verfahren / KABEL, RUDOLF -- V. Die parlamentarische Rede -- § 32 Theorie und Praxis der Parlamentsdebatte / ZEH, WOLFGANG -- § 33 Rederecht und Redeordnung / BESCH, JOHANN CHRISTOPH -- § 34 Das parlamentarische Ordnungsrecht / BÜCKER, JOSEPH -- § 35 Das Stenographische Protokoll / KLEIN, FRIEDRICH-LUDWIG -- Sechster Teil. Der Bundestag als Forum und zentraler Ort der politischen Willensbildung -- Übersicht -- I. Das Plenum -- § 36 Parlamentsöffentlichkeit: Transparenz und Artikulation / KISSLER, LEO -- II. Die Fraktionen -- § 37 Politische Bedeutung, Rechtsstellung und Verfahren der Bundestagsfraktionen / JEKEWITZ, JÜRGEN -- III. Die Opposition -- § 38 Verfassungsrechtliche Bedeutung und politische Praxis der parlamentarischen Opposition / SCHNEIDER, HANS-PETER -- IV. Die Ausschüsse -- § 39 Das Ausschußsystem im Bundestag / ZEH, WOLFGANG -- § 40 Das Ausschußverfahren nach der Geschäftsordnung und in der Praxis / DACH, R. PETER -- § 41 Vorbereitung und Gestaltung der Ausschußarbeit durch die Fraktionen / MELZER, MICHAEL -- § 42 Öffentliche Anhörungen / SCHÜTTEMEYER, SUZANNE S. -- V. Ausschüsse und Gremien mit besonderen Funktionen -- § 43 Der Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung / SCHULTE, MANFRED / ZEH, WOLFGANG -- § 44 Haushaltsausschuß und Haushaltsverfahren / EICKENBOOM, PETER -- § 45 Der Petitionsausschuß / VITZTHUM, WOLFGANG GRAF / MÄRZ, WOLFGANG -- § 46 Untersuchungsausschüsse / SCHRÖDER, MEINHARD -- § 47 Enquete-Kommissionen / HOFFMANN-RIEM, WOLFGANG / RAMCKE, UDO -- Siebter Teil. Das parlamentarische Regierungssystem -- Übersicht -- I. Regierungsbildung -- § 48 Koalitionen, Kanzlerwahl und Kabinettsbildung / SCHNEIDER, HANS-PETER / ZEH, WOLFGANG -- II. Parlamentarische Kontrolle -- § 49 Formen, Verfahren und Wirkungen der parlamentarischen Kontrolle / STEFFANI, WINFRIED -- § 50 Parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste / ARNDT, CLAUS -- § 51 Der Wehrbeauftragte des Bundestages / BUSCH, ECKART -- III. Bundestag und Bundesregierung -- § 52 Rechte des Bundestages und seiner Mitglieder gegenüber der Regierung / MAGIERA, SIEGFRIED -- § 53 Rechte der Regierung im Bundestag / SCHRÖDER, MEINHARD -- § 54 Parlament und Ministerialverwaltung / BISCHOFF, FRIEDRICH / BISCHOFF, MICHAEL -- Achter Teil. Das Parlament in seinen organschaftlichen Außenbeziehungen -- Übersicht -- I. Bundestag und Bundesrat -- § 55 Gesetzgebung zwischen Parlamentarismus und Föderalismus / SCHENKE, WOLF-RÜDIGER -- § 56 Der Bundesrat als Parlament der Länderregierungen / REUTER, KONRAD -- § 57 Vermittlung zwischen Bundestag und Bundesrat / DIETLEIN, MAX -- § 58 Der Gemeinsame Ausschuß / SCHICK, RUPERT -- II. Wahl des Bundespräsidenten -- § 59 Die Bundesversammlung / KESSEL, WOLFGANG -- III. Parlament und Verfassungsgerichtsbarkeit -- § 60 Das Parlament als Wahlorgan, Gesetzgeber und Prozeßpartei im Verhältnis zum Bundesverfassungsgericht / GUSY, CHRISTOPH -- IV. Bundestag und zwischenstaatliche Versammlungen -- § 61 Europarat, WEU, NATO, Europäisches Parlament / SCHWEITZER, MICHAEL -- V. Vertretung des Bundestages in außerparlamentarischen Gremien -- § 62 Verwaltungs-, Aufsichts- und Mitwirkungsgremien mit parlamentarischer Beteiligung / DACH, R . PETER -- Neunter Teil. Das Parlamentsrecht in den Bundesländern -- Übersicht -- § 63 Entwicklung und gegenwärtige Lage des parlamentarischen Systems in den Ländern / FRIEDRICH, MANFRED -- § 64 Flächenländer / GROSSE-SENDER, HEINRICH Α. -- § 65 Stadtstaaten / SCHULZ, PETER -- § 66 Die besondere Stellung des Abgeordnetenhauses von Berlin / KEWENIG, WILHELM A. / SASSENROTH, STEPHAN GEORG -- § 67 Bundestag und Landesparlamente / KLATT, HARTMUT -- Zehnter Teil. Exkurs -- Übersicht -- § 68 Die Volkskammer der DDR: Befugnisse und Verfahren nach Verfassung und politischer Praxis / JESSE, ECKHARD -- § 69 Parlamentsbauten zwischen Zweckmäßigkeit, Repräsentationsanspruch und Denkmalpflege / CULLEN, MICHAEL S. -- Stichwortverzeichnis
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concerned with a problem of restructuring its city centre, Cerizay, a small municipality of 5000 inhabitants located in the Deux-Sèvres, has developed a dynamic urban project since 1985. Our analysis highlights two periods: the first, from 1985 to 1990, supported by local political and economic actors, is an example of an approach to openness and participation by local residents. The second, from 1990 to 1992, prompted by a Ville-State contract, led to major changes, both in the geographical scale of the territory concerned, in the system of actors or in the nature of the actions taken in the project process. The study of these two phases confirms that there is a certain degree of permanence in the organisation of the actors whose structure consists of all contractual, written or oral forms between the actors. However, permanence does not exclude scalability, and there are significant differences between these two periods. Lastly, this work makes it possible to reveal the complex and essential role of the architect, considered to be one of the leaders of the Project Process, a real 'developer architect' of the Cerizay Urbain Project. ; International audience ; concerned with a problem of restructuring its city centre, Cerizay, a small municipality of 5000 inhabitants located in the Deux-Sèvres, has developed a dynamic urban project since 1985. Our analysis highlights two periods: the first, from 1985 to 1990, supported by local political and economic actors, is an example of an approach to openness and participation by local residents. The second, from 1990 to 1992, prompted by a Ville-State contract, led to major changes, both in the geographical scale of the territory concerned, in the system of actors or in the nature of the actions taken in the project process. The study of these two phases confirms that there is a certain degree of permanence in the organisation of the actors whose structure consists of all contractual, written or oral forms between the actors. However, permanence does not exclude ...
Immer mehr Menschen nehmen die Sozialhilfeleistung "Hilfe zur Pflege" in Anspruch. Allerdings bedeutet das nicht automatisch, dass Pflegebedürftigkeit heute häufiger in die Bedürftigkeit führt als noch vor zehn Jahren. Denn auch die Pflegefallzahlen insgesamt sind in den letzten Jahren immer weiter gestiegen. Setzt man die Anzahl der Empfänger von Hilfe zur Pflege und die der Pflegebedürftigen insgesamt ins Verhältnis, zeigt sich, dass der Anteil der Hilfeempfänger an den Pflegebedürftigen fast konstant geblieben ist - ein Aufwärtstrend hat nicht stattgefunden. Das gilt nicht nur im bundesweiten Durchschnitt, sondern auch für die einzelnen Bundesländer - allerdings mit deutlichen regionalen Unterschieden: Waren in Hamburg in 2015 knapp ein Viertel der Pflegebedürftigen auf diese staatliche Unterstützung angewiesen, haben in Brandenburg im selben Jahr nur rund 7 Prozent diese Sozialleistung erhalten. Erkennbar ist bisher nur, dass im bundesweiten Durchschnitt insbesondere Pflegebedürftige, die in Pflegeheimen versorgt werden, Hilfe zur Pflege beziehen: So erhalten zwar ungefähr ein Drittel aller Pflegebedürftigen in Pflegeheimen "Hilfe zur Pflege", von einer generellen, drastischen Zunahme in den letzten Jahren kann aber auch hier nicht die Rede sein. Auch hier zeigen sich allerdings regionale Unterschiede: Insbesondere in den Stadtstaaten Berlin (45 Prozent), Hamburg (55 Prozent) und Bremen (66 Prozent), aber auch in den Flächenländern Sachsen (66 Prozent) und Schleswig-Holstein (68 Prozent) leben anteilig weniger Empfänger von Hilfe zur Pflege in Einrichtungen als im bundesweiten Durchschnitt - in Berlin werden sogar mehr Empfänger außerhalb von Einrichtungen gepflegt. Auch diese bundeslandspezifischen Anteile sind seit 2009 weitestgehend konstant geblieben und schwanken um die hier ausgewiesenen Werte. So gibt es durchaus regionale Unterschiede, aber keine deutlichen Hinweise, dass sich in bestimmten Bundesländern Probleme in der Vergangenheit massiv verschärft haben. Das heißt jedoch nicht, dass dies auch für die Zukunft gilt. Entscheidend sind hier nicht nur Faktoren wie die künftige Einkommens- und Vermögenssituation der Haushalte und ihre familiäre Situation, sondern auch die Höhe der Pflegekosten, die durch den Fachkräftemangel weiter steigen können. Aus diesem Grund ist die Politik gefordert, mindestens für Planungssicherheit zu sorgen und die Leistungen der Pflegepflichtversicherung zu stabilisieren. Denn nur so ist private Vorsorge möglich. Ob eine Pflicht zur ergänzenden Vorsorge für den Pflegefall nötig ist, kann nach dem gegenwärtigen Forschungsstand nicht eindeutig beantwortet werden. Dazu ist bisher zu wenig darüber bekannt, wie genau Menschen für den Pflegefall vorsorgen. Möglicherweise reicht eine deutliche und offene Kommunikation aus, um private Vorsorge zusätzlich zu erleichtern. Möglicherweise sind auch neue, freiwillige Formen im Bereich einer ergänzenden Vorsorge hilfreich. ; More and more people use the social assistance benefit "help for care". However, this does not automatically mean that long-term care is more needed today than it was ten years ago. After all, the total number of long-term care cases has continued to rise in recent years. If one compares the number of recipients of help for care and the total number of people in need of long-term care, it can be seen that the proportion of help for care-recipients in those in need of long-term care has remained almost constant - an upward trend has not taken place. This applies not only to the nationwide average, but also to the individual federal states - but with clear regional differences: in Hamburg in 2015 more than one fifth of those in need of care depend on this government support, in Brandenburg only about seven percent in the same year get this social assistance benefit. So far, it has only been recognizable that, on a nationwide average, people in need of nursing care in nursing homes receive help in their care: for example, about one third of all people in care homes receive help for care. A general, drastic increase in the last few years, however, is not observable. Here too, however, there are regional differences: in particular in the city states of Berlin (45 percent), Hamburg (55 percent) and Bremen (66 percent), but also in Saxony (66 percent) and Schleswig-Holstein (68 percent) fewer recipients of help for care live in nursing homes than in the nationwide average - in Berlin, even more recipients receive do-mestic care. These country-specific shares have also remained largely constant since 2009. In summary, there are certainly regional differences, but no clear indications that in some states problems have massively exacerbated in the past. However, that does not mean that this also applies to the future. Not only factors such as the future income and wealth situation of households and their family situation are decisive here, but also the amount of care costs, which can be further increased by the shortage of qualified nurses. For this reason, policy makers are required to provide at least planning security and to stabilize the benefits of long-term care insurance. Only then is private provision possible. Whether mandatory supplementary insurance is necessary cannot be answered unequivocally according to the current state of research. To date, too little is known about how exactly people provide for the case of long-term care. Possibly, clear and open communication is sufficient to foster private provision. It may also be helpful to have new, voluntary forms in the area of sup-plementary provision for long-term care.
Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) und das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) erstellt in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung (GWS) seit 2010 im zweijährigen Turnus eine Basisprojektion zur langfristigen Entwicklung des Arbeitskräftebedarfs und -angebotes nach Qualifikationen und Berufen (www.QuBe-Projekt.de). Ausgehend von den Ergebnissen der fünften Welle der BIBB-IAB-Qualifikations- und Berufsprojektionen aus dem Jahr 2018 werden zwei regionale Differenzierungen vorgenommen. Zum einen werden das Arbeitskräfteangebot und der Arbeitskräftebedarf nach 16 Bundesländern differenziert. Diese stellen eigene politische Einheiten dar, sodass eine spezifische Ergebnisausweisung von Interesse ist. Zugleich stehen auf dieser Gliederungsebene detaillierte Daten zur Verfügung. Zum anderen werden Kreise nach ihren Pendelverflechtungen zu 34 Arbeitsmarktregionen gebündelt. Diese Arbeitsmarktregionen stellen homogene Arbeitsmärkte dar und sind daher besonders geeignet, um regionale Segmentierungen aufzuzeigen. Während die Daten und Methoden sowohl für die Projektion von Arbeitskräfteangebot und -bedarf nach Bundesländern und Arbeitsmarktregionen beschrieben werden, werden die Ergebnisse der QuBe-Basisprojektion auf der Ebene der Bundesländer dargestellt. Die Ergebnisdarstellung auf der Ebene der Arbeitsmarktregionen wird im Rahmen eines Forschungsauftrages des BMAS erstellt und deshalb in einer separaten Veröffentlichung erfolgen. Die Projektion des Arbeitskräfteangebots nach Bundesländern zeigt, dass die Zahl der Erwerbs-personen in Süddeutschland und in den Stadtstaaten in Zukunft zunehmen wird, während vor allem in den östlichen Flächenländern und im Saarland der Erwerbspersonenbestand zurückgeht. Bei der Entwicklung der Erwerbstätigen wird eine enge Verknüpfung mit dem Arbeitskräfteangebot deutlich. So wirkt insbesondere im Osten der Rückgang des Arbeitskräfteangebotes beschränkend auf die Entwicklung der Zahl der Erwerbstätigen. In Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Berlin und Hamburg nimmt die Nachfrage nach Erwerbstätigen bis zum Jahr 2035 hingegen zu. Der Wandel der Branchenstruktur zeigt sich vor allem durch den Rückgang des Produzierenden Gewerbes in allen Bundesländern und den Beschäftigtenaufwuchs im Gesundheits- und Sozialwesen. Außer in Berlin sind die besonders starken Anteilsverluste des Produzierenden Gewerbes im Osten durch starke Schrumpfungen des Baugewerbes gekennzeichnet, die durch die im Osten zu-rückgehende Bevölkerungszahl geprägt sind. Die Verknappung des Arbeitskräfteangebotes führt in den östlichen Bundesländern (außer Berlin) sowie in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Saarland zu einem Rückgang der Erwerbslosenquote. Zurückgehende Erwerbslosenquoten bedeuten jedoch nicht zwangsläufig, dass sich die Arbeitsmarktsituation für alle potenziell Arbeitssuchenden verbessert. Lediglich in den "Gesundheitsberufen" offenbaren sich, mit Ausnahme Berlins, in allen Bundesländern Fachkräfteengpässe. Besonders deutlich wird dies, wenn die Fachkräftesituation in den östlichen Bundesländern betrachtet wird. Dossiers mit detaillierten Analysen zu den einzelnen Bundesländern sind verfügbar unter https://www.iab.de/185/section.aspx/Publikation/k200206303. ; Since 2010, the Federal Institute for Vocational Education and Training (BIBB) and the Institute for Employment Research (IAB), in cooperation with the Institute of Economic Structures Research (GWS), have been producing a basic projection every two years on the long-term development of the demand for and supply of labour according to qualifications and occupations (www.QuBe-Projekt.de). Based on the results of the fifth wave of BIBB-IAB qualification and occupation projections (2018) two regional differentiations are made. Firstly, the supply and demand of labour are differentiated according to 16 federal states. On the other hand, the districts are grouped into 34 labour market regions according to their commuter integration. These labour market regions represent homogeneous labour markets and are therefore particularly suitable for identifying regional segmentations. In this paper we describe the data and methods for the projection of labour supply and demand by federal states, labour market regions and the results of the QuBe basic projection at the federal state level. The results at the level of the labour market regions were published separately as part of a research project of the Ministry of Labour and Social Affairs. The projection of the labour supply by federal states shows that the number of labour force in Southern Germany and in the city-states will increase in the future, while the number of gainfully employed persons is declining especially in the Eastern federal states and in Saarland. The development of the labour force is strongly related to the supply of labour. Particular in Eastern Germany, the decline in the supply of labour has a restrictive effect on the development of the workforce. On the other hand in Bavaria, Baden-Württemberg, Hessen, Berlin and Hamburg the demand for employed persons will increase until 2035. The change in the sector structure can be seen above all in the decline in the manufacturing industry in all federal states and the growth in the number of employees in the health and social sectors. The particularly sharp decline in the share of manufacturing industry in the East (except Berlin) is characterised by a strong decline in the construction industry, which is characterised by the declining population there. The shortage of labour in the eastern federal states (except Berlin) as well as in Lower Saxony, North Rhine-Westphalia, Rhineland-Palatinate and Saarland is leading to a decline in the unemployment rate. However, declining unemployment rates do not necessarily mean that the labour market situation improves for all potential job seekers. Only in the "health professions", with the exception of Berlin, do skilled labour bottlenecks become apparent in all federal states. This becomes particularly clear when the skilled labour situation in the Eastern federal states is considered. Dossiers with detailed analyzes of the individual federal states are available at https://www.iab.de/185/section.aspx/Publikation/k200206303.
Anlass der Arbeit sind die zunehmenden Interessenkonflikte zwischen Stadt und Flughafen infolge der Liberalisierung des europäischen Luftverkehrsmarktes und des Wachstums des internationalen Luftverkehrs in Deutschland. Seit den 1990er Jahren bauen Politik und Wirtschaft das deutsche Flughafennetz weiter aus. Für sie sind Flughäfen nicht mehr nur reine Verkehrsbauwerke, sondern auch globale Geschäftszentren, bedeutende Unternehmen, wichtige Arbeitsstätten und ökonomische Treiber der Städte und Regionen. Planung und Städtebau fördern die expansive Entwicklung von Flughäfen und sehen sie als Aufgabe und Chance. Sie formulieren moderne Konzepte neuartiger stadtähnlicher Gebilde, die räumlich getrennt und unabhängig von den Städten existieren und gut für den Luftverkehr funktionieren. Doch die planerische, räumliche, bauliche und gestalterische Umsetzung der wirtschaftspolitischen Ziele verzögert sich oder scheitert gar aufgrund der zunehmenden Komplexität der urbanen Wirklichkeiten. Aus-, Neu- und Umbau von Flughäfen stoßen bei Anrainern, Kommunen und Umweltorganisationen auf Widerstand. Sie beklagen den zunehmenden Luftverkehr, nächtlichen Flughafenbetrieb, anwachsenden Fluglärm, enormen Flächenverbrauch, explodierende Kosten, CO2-Emissionen und Havarierisiken. Die Planung und Entwicklung von Flughäfen braucht Jahrzehnte – gleichzeitig verlieren Flughäfen immer mehr an Akzeptanz in der Zivilgesellschaft. Angesichts dieser Problematik beleuchtet und reflektiert die vorliegende Arbeit für die Disziplinen Städtebau und Planung die Schnittstelle zwischen Stadt und Flughafen. Sie formuliert die These, dass Flughäfen in Deutschland wieder stärker mit Städten räumlich integriert und relational zu denken, zu planen und zu gestalten sind. Um diese These zu überprüfen, die Beziehung von Stadt und Flughafen zu reflektieren und den Wirkungszusammenhang zu beleuchten, untersucht sie einen in der Stadt räumlich integrierten Flughafen, den Stadtflughafen Hamburg. Mithilfe eines sozialtheoretischen Forschungsansatzes beschreibt sie coevolutionär, interdisziplinär und prozessual anhand der Schlüsselakteure, ihrer Interessen und Handlungen den integrierenden Transformationsprozess. Sie stellt dar, wie der Flughafen Hamburg sich zusammen mit der Stadt räumlich, ökonomisch, ökologisch, technologisch und sozial an die Dynamik des internationalen Luftverkehrs anpasst. Sie untersucht die spezifische Funktionsweise des Stadt-flughafens, seine Potenziale und die Herausforderungen, denen er sich stellen muss. Die zentrale Erkenntnis der Arbeit lautet, dass der räumlich integrierte Flughafen der Stadt in vielerlei Hinsicht besser dient als räumlich getrennt entwickelte und geplante Flughäfen. Gerade die räumlich integrierte Anordnung des Flughafens im Stadtstaat Hamburg motiviert die Stadt und den Flughafenbetreiber, wenn es darum geht, kooperativ eine wirksame verkehrliche Vernetzung mit global operierenden Fluggesellschaften zu garantieren und Konflikte und Spannungen mit Flughafenanrainern und Fluggesellschaften unter Mitwirkung der Disziplinen Planung und Städtebau zu reduzieren. Zudem gewinnt die Arbeit für die Disziplinen Planung und Städtebau Wissen über die Umstände für die ungleiche und arbeitsteilige Entwicklung von Flughäfen in Deutschland. Sie konstatiert, dass weiterer Forschungs- und Handlungsbedarf in diesem Forschungsfeld besteht. Für die Fallstudie Hamburg schlägt sie die funktionale und bauliche Ausgestaltung und Qualifizierung der Schnittstelle Stadt und Flughafen vor. Für die angespannten deutschen Stadt-Flughafen-Schnittstellen plädiert sie für eine stärkere Dezentralisierung und Lokalisierung der Luftverkehrswirtschaft. Den Schlüsselakteuren der Luftverkehrswirtschaft schlägt sie diesbezüglich weiterführende Forschungsfragen vor. ; This study deals with conflicts of interest between cities and airports that are increasing due to the liberalization of the European aviation market and the growth of international air travel in Germany. Since the 1990s, economic and policy actors have been planning and implementing the expansion of the German airport network. For these actors, airports are more than infrastructure; they comprise global business centers, renowned corporations, important places of work and economic drivers of cities and regions. Urban planning and design support the expansive development of airports, and view them both as a commission and an opportunity. These disciplines formulate modern concepts for new kinds of airport-friendly cities that exist spatially separated from and independently of cities, and serve the purposes of air travel accordingly. However, achieving such economical-political goals in terms of planning, space, construction and design is delayed or fails due to the increasing complexity of urban realities. The expansion, construction and transformation of airports leads to resistance among neighbors, communities, and environmental organizations. They criticize the increase of air travel, nighttime airport operation and aviation noise, as well as the enormous space consumption, exploding costs, CO2 emissions and the risk of aviation disasters. The planning and development of airports takes decades until completion, and airports are losing more and more acceptance within civil society. Against this background, the author's research offers insight on the interface between cities and airports from the perspective of urban planning and design disciplines. It posits that airports in Germany need to (re-)integrate with cities in a stronger way, and therefore require a relational conceptualization, planning and design process. To pursue this thesis, to research its field of interrelations and to discuss the respective roles of actors, the study focuses on an airport that is spatially integrated into its city, the City Airport of Hamburg. Based on a social theory oriented research approach, the study describes the related integrative transformation process from a co-evolutionary and interdisciplinary viewpoint with regards to the key actors involved, their interests and actions in time and space. It analyzes the way the city of Hamburg and its airport co-adapt to the dynamics of international air travel in spatial, economical, ecological, technological and social terms. It therefore deals with the specific modes of function, potentials and challenges the City Airport comprises and is confronted with. The conclusion is made that the spatially integrated airport is used by and serves the city more intensely and diversely than airports that are spatially separated from cities. Further, it is particularly the spatially integrated situation of the airport within the city-state of Hamburg that specifically motivates the city and the airport operator to achieve and guarantee a cooperative and effective infrastructural networking with global airlines. This enables a reduction of conflict and tension between airport neighbors and airlines – by including urban planning and design disciplines. The study presents lessons learned to the urban planning and design disciplines on the circumstances of the uneven and division of labor-oriented development of airports in Germany, and points out future research needs. For the Hamburg case study, it proposes a means of qualification of the interface of city and airport in terms of function, construction, and design. For the current city-airport interfaces in Germany that are subject to similar patterns of stress, it calls for a stronger decentralization and localization of the aviation business, and formulates related future research questions for key actors.
Aus der Einleitung: Der Bereich der deutschen Kolonialgeschichte allgemein kann wohl als gut erforscht gelten, und die Einführung technischer Neuerungen wie Dampfschiffe, Eisenbahn und Telegraph wurde zumindest ansatzweise beschrieben, doch fehlt insbesondere eine Beschreibung der Anwendungen und Auswirkungen, die die neue Technik auf das Leben in der Kolonie hatte. Ohne die Kenntnis solcher Folgewirkungen bleiben jedoch Rückschlüsse auf die Effektivität der Technik und damit auch ihr Einfluss auf die Kolonialpolitik reine Mutmaßung es ist unmöglich, solche Auswirkungen von reinem Wunschdenken bzw. Kolonialpropaganda und –apologetik zu trennen (z.B. die Kolonie als Absatzmarkt der Industrie des "Mutterlandes"). Die Gruppe der Kolonialisten, die die meisten Kontakte mit neuer Technik hatten bzw. diese im großen Maßstab erst einführten, waren die Kaufleute. Diese Gruppe auf die Folgen der Techniken zu untersuchen, bietet darüber hinaus den Vorteil, gleichzeitig die Reaktionen auf dem afrikanischen Kontinent, z.B. auf den Bahnbau und auch in Europa, hier etwa auf neue Stoffdruckverfahren oder auf die Expansion der Nahrungsmittelindustrie, zu erfahren, also alle für die koloniale Wirtschaft relevanten Verfahren untersuchen zu können. Obwohl es einige Untersuchungen zu Kolonialkaufleuten gibt, so beschränken sich diese doch auf mehr oder minder kurzgefasste Firmengeschichten oder sie werden in Zusammenhang mit bestimmten Handelsgütern erwähnt, dagegen wird eine Verbindung von Handelsfirmen und Technik selten untersucht. Einer der Gründe dafür ist sicherlich auch die schmale Informationsbasis. Da Handelsfirmen in der Regel nichtstaatlich organisiert waren, entfiel der Zwang zum Archivieren über die Fristen hinaus, die eventuell gesetzlich vorgesehen waren. Die Firmen, die bis heute weiterbestehen, gehen mit Genehmigungen zur Einsicht ihrer Firmenarchive zu Forschungszwecken sehr sparsam um. Unter diesen Aspekten betrachtet, ist die Firma O`Swald ein echter Glücksfall für die Forschung; obwohl bis heute zumindest als Firmenname präsent, wurden ihre Geschäftsakten von der Firmengründung bis weit nach dem Ersten Weltkrieg dem Hamburger Staatsarchiv übergeben, wo sie der Forschung zur Verfügung stehen. Der Grund dafür ist wohl in der engen Verbindung zu suchen, die die Firmengründer mit dem Stadtstaat hatten, so stellten sie unter anderem einen Bürgermeister und die Stadt ihrerseits ehrte die Familie durch die Benennung eines Kais im Hafen (O`Swaldkai). Der Zeitraum dieser Arbeit, 1890–1914, ist nicht willkürlich gewählt, sondern baut auf Vorgängerarbeiten auf und führt diese weiter bis zu der für den deutschen kolonialen Handel einschneidenden Zäsur des Ausbruchs des ersten Weltkrieges. Damit soll auch erreicht werden, zumindest an einer deutschen Handelsfirma, quasi exemplarisch, die Entwicklung kolonialer Handelsfirmen von Beginn des Handels mit Ostafrika in der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum ersten Weltkrieg aufzuzeigen und so eine Vergleichsmöglichkeit zu schaffen, die eine Überprüfung beispielsweise von Firmenjubiläumsschriften erlaubt, einer Hauptquelle für unser Wissen um solche Handelsfirmen. Die Zeit vor 1890 kann als vergleichsweise gut dokumentiert gelten; neben den Veröffentlichungen zu Jubiläen beschäftigte sich der Wirtschaftshistoriker Ernst Hieke ausführlich mit den Anfängen der Firma Wm. O`Swald Co. Hieke, wie auch Kremling und die Jubiläumsschrift, pflegten einen eher narrativen Stil, der allerdings die Organisation des Geschäftes der Firma O`Swald sowohl in Zanzibar wie auch in Hamburg recht klar beschrieb und durch die neuere Arbeit, eine Dissertation von Karl Evers, im großen und ganzen bestätigt wurde. Da diese Arbeit einen anderen Aspekt des kolonialen Handels untersucht als bei Hieke und Evers, die sich mehr auf den Anfang und die erste Ausbreitung der Firma O`Swald konzentrierten, hilft die von Evers benutzte und kommentierte Literatur nur bedingt weiter. Nötig sind darüber hinaus Informationen über die Einführung von Technik in Ostafrika und hierfür ist man zum Teil wieder auf ältere Literatur angewiesen, die erstens eher national ausgerichtet und zweitens schlecht überprüfbar ist, da viele Archive oder zumindest Teile davon dem zweiten Weltkrieg zum Opfer fielen. Ein gutes Beispiel dafür ist der Bereich Schifffahrt, in dem es Arbeiten zur Errichtung deutscher Schiffslinien nach Ostafrika gibt, welche jedoch aus den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts stammen und mehr oder minder unter dem Eindruck des Verlustes der Kolonien gemäss den Versailler Verträgen standen. Trotzdem erwiesen sich diese Literaturquellen noch immer informativer als die neuere Arbeit über die sogenannten "Reichs-Post-Dampfer" möglicherweise, weil hierbei ein zu großes Spektrum an Schiffsverbindungen behandelt wurde. Somit blieb für einzelne Schiffswege ein zu kleiner Raum, um ihre Entstehung und eventuelle Kartelle genauer zu erforschen. Hilfreicher sind da schon kleinere Artikel in speziellen Periodika, die sich mit der Geschichte einzelner Schiffstypen beschäftigen und so zumindest Eckdaten liefern bzw. bestätigen können und damit die Archivquellen überprüfen. Bei einer Einordnung der Schifffahrtsorganisation in die Geschichte Ostafrikas zeigt sich erneut, wie dünn das vorhandene Material wirklich ist, immerhin reicht es aber aus, sie ansatzweise zu erfassen. Besser, wenngleich auch hier narrativ und populärwissenschaftlich, ist es um die Literatur im Bereich der Eisenbahnen Ostafrikas bestellt. Hier gibt es immerhin Beschreibungen der Entstehung beider Bahnsysteme, des deutschen und des englischen und somit Möglichkeiten, die Aktionen der Kaufleute in Bezug auf Transporte, Faktoreigründungen und ähnlichem zu erklären bzw. nachzuvollziehen. Ob dieser Effekt allerdings beabsichtigt oder auch nur angestrebt wurde, bleibt zu bezweifeln, die Literatur scheint eher als Denkmal britischen und deutschen Pioniergeistes gedacht zu sein, oder als Information für bahngeschichtlich interessierte Kreise. Über den Handel selbst gibt es vergleichsweise viele Äußerungen, allerdings mit zahlreichen Einschränkungen. Mehrere Autoren beschränken sich auf einzelnes Handelsgut, wie z.B. Feuerwaffen, Elfenbein oder Kaurimuscheln, für Zanzibar ist auch der Nelkenhandel interessant, doch so wichtig diese Arbeiten sind, was hier keinesfalls bestritten werden soll, so geben sie nur beschränkt Auskunft über den kolonialen Handel insgesamt, ganz zu schweigen von Einflüssen moderner Technik. Auch zeitlich scheinen viele Autoren sich nicht weiter als bis zum Jahre 1890 zu "trauen". Ob das an den auch von Karl Evers für seine Arbeit angegebenen Gründen liegt, ob man kein Material für diese Zeit finden kann oder ob gar zu große Aktenberge abschrecken, ist nicht leicht zu bestimmen. Die Arbeiten, die über diese "Grenze" hinaus führen, sind mehrheitlich auf einzelne Teile Ostafrikas bezogen (deutsch oder britisch Ostafrika, Zanzibar) und können demzufolge nur Teilaspekte erhellen bzw. bestätigen. Eine Bestätigung durch eine zweite Veröffentlichung ist überwiegend nicht zu erhalten, manche Überraschung auf diesem Gebiet stellt sich bei näherer Betrachtung als neues Zitat einer älteren Publikation heraus. Da diese Arbeit sich mit Technik im weitesten Sinne, eingesetzt im Handel mit Ostafrika, befasst, muss auch nach den Folgen gefragt werden, die technische Neuerungen auf die Importe hatten, also auf diejenigen Güter, die in Europa oder in den USA für den Export, unter anderem nach Ostafrika hergestellt wurden. Da das Archivwesen in Europa besser ausgestattet ist als in Ostafrika, sollten derartige Untersuchungen eigentlich kein Problem sein. Eines der ersten und zugleich überraschendsten Ergebnisse der Vorarbeiten zu dieser Dissertation war aber, dass die Erforschung der Technik- und Unternehmensgeschichte der letzten 100 Jahre in Europa und USA sehr zu wünschen übrig lässt, das Material über solche Themen eher noch dürftiger ist als das über Afrika- bzw. Kolonialgeschichte. Ein möglicher Grund dafür liegt wohl in der Größe der Lieferfirmen. Sie schienen eine mittlere Größe, gemessen an den nationalen, europäischen Industrien, nicht zu überschreiten, beziehungsweise wenn sie der Großindustrie angehörten (z.B. Metallgießereien), so war das Afrikageschäft für sie kein Hauptgeschäft und so verschwand der Handel dorthin in Nebensätzen oder Fußnoten und in dem Rohmaterial in den Firmenarchiven und ist deshalb nur ansatzweise "greifbar". Da die Geschäftsbeziehungen der Firma O`Swald (und erst recht die ihrer Kunden) sich nicht auf das Gebiet Deutsch-Ostafrikas beschränken, ist es nötig, auch auf Veränderungen außerhalb des deutschen Kolonialgebietes einzugehen. Der Helgoland–Zanzibar–Vertrag brachte auch dem britischen Kolonialgebiet Sicherheit bezüglich ihrer Grenzen und man konnte nun an den Ausbau der Länder (Z, BEA, Uganda) gehen. Eines der wichtigsten Projekte war die Ugandabahn. Sie ging, grob gesagt, von Mombasa zu den ostafrikanischen Seen (Kisumu, am Victoria–See) und brachte sowohl strategische (schnelle Truppenverlegungen ins unruhige Uganda), als auch handelspolitische Vorteile (Erschließung des Landes). Obwohl schon 1890 beschlossen, dauerte es mit den Vorarbeiten und der Bereitstellung finanzieller Mittel allerdings bis 1895, bevor die eigentlichen Arbeiten anfingen. Kisumu, der vorläufige Endpunkt am Victoria–See, wurde 1901 erreicht, aber schon die Fertigstellung von Teilstrecken und das dadurch bedingte Wandern der Baustellencamps, die vorwiegend von indischen Arbeitern bewohnt waren, zeigte eine entsprechende Ausbreitung indischer Händler und mit diesen auch indischer Großhändler, der Käuferschicht der Firma O`Swald. "The trade followed the Railway" wie man in Abänderung eines bekannten Kolonialslogans sagen könnte. (The trade follows the flag"). Dieses Abwandern indischer Großhändler nach BEA und die Boomphase Mombasas zeigten sehr genau, was in Ostafrika allgemein bald geschah. Die Verlagerung des Handelsgeschehens an die Küste und dann ins Landesinnere und die dadurch bedingte Konkurrenz der Küstenstädte, denen Filialgründungen der europäischen Unternehmungen folgen mussten, wollten diese den Anschluss an den Handel nicht verlieren. Endgültig besiegelt wurde dies durch die Aufnahme Mombasas in den Linienplan der DOAL 1899, die vom Suez Kanal kommend, Mombasa vor Zanzibar anlief und dadurch die Warensendungen Zanzibar–Mombasa, die bisherige Regel in der Warenversorgung (was Firma O`Swald betraf), unrentabel und entbehrlich machte. Inhaltsverzeichnis: 1.Einleitung1 2.Der alte Handel und sein relatives Ende11 Ende des Waffenhandels11 Elfenbeinhandel13 Ende des Kauri-Muschel-Geschäfts17 Das Ende des Orseille-Handels19 3.Familiengeschichte O`Swald20 4.Schiffsverkehr Firma O`Swald eigene Reederei24 Die Entwicklung der Schiffslinien29 Firma O`Swald und die DOAL - Das tägliche Geschäft41 5.Die Eisenbahnen in Ostafrika45 6.Die O`Swald´sche Faktoreien in Ostafrika52 Mombasa52 Bagamoyo63 Daressalam72 Muanza78 Tanga85 7.Die Inder und ihre Stellung zu Firma O`Swald95 8.Die europäische Konkurrenz120 Firma Hansing122 DOAG134 Firma W. Hintzmann Co143 Firma Smith Mackenzie152 Firma Leon Besson160 10.Produktenhandel176 Nelken177 Coprah197 Kautschuk223 Häute/Felle236 Chillies264 Sesam265 Wachs266 Muscheln268 Reis270 Kaffee273 Baumwolle276 Bodenschätze282 Mangroven282 11.Importenhandel291 Manufakturen295 Wellblech299 Zement302 Bauholz306 Streichhölzer309 Seife313 Steinzeug320 Emaille326 Feze328 Farben334 Maschinen336 Lebensmittel361 Bier368 Tabak375 Petroleumhandel392 12.Stoffe, Tuche und Fertigwaren402 Grey Goods404 Whites413 Unterhemden422 Handkerchiefs428 Kitambi (Witambi)433 Malabars441 Cangas446 Kanikys450 Kikoys466 Shawls478 Decken535 13.Schlußbemerkungen402 Firma O`Swald in Ostafrika545 Welthandel549 Zusammenfassung555 Anmerkungen557 Literaturverzeichnis828
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Das Wintersemester hat für Deutschlands Studierende eine dramatische Verschlechterung ihrer sozialen Lage mit sich gebracht, zeigen unsere Befragungsergebnisse. Deshalb sind die Bafög-Sparpläne der Bundesregierung grundfalsch. Ein Gastbeitrag von Clemens Weitz und Philipp Seegers.
DER SEIT WENIGEN TAGEN vorliegende Haushaltsentwurf der Bundesregierung sieht für das kommende Jahr substanzielle Einsparungen beim Bafög vor. Im Raum steht auf der studentischen Seite der Förderung ein Minus von über 400 Millionen Euro gegenüber diesem Jahr. Auch beim Schüler-Bafög dürften laut Vorlage viele Millionen wegfallen.
Freilich war absehbar, dass nach einer Reihe budgetärer Ausnahmejahre – geprägt von Not-, Sonder- und Extraausgaben – der Sparanspruch wieder tief ins Zentrum aller fiskalischen Planspiele rücken würde. Dennoch sei die Frage erlaubt, warum ausgerechnet bzw. auch bei Studierenden und Schüler*innen der Rotstift angesetzt wird. Noch dazu tiefrot, da die auf dem Tisch liegenden Zahlen den Topf de facto um über 20 Prozent kleiner machen würden. Zur Erinnerung: Vorgesehen waren laut Koalitionsvertrag eigentlich deutliche Verbesserungen, verbunden mit einer Bafög-Reform.
Die Studie und wer mitgemacht hat
Seit 2012 befragen" jobvalley" (die Studitemps GmbH) und das Department of Labour and Economics der Universität Maastricht halbjährlich Studierende aus ganz Deutschland. An der 23. Erhebung zur Studienreihe "Fachkraft 2030" nahmen 15.469 Personen teil, es handelt sich um eine bundesweite, repräsentative Stichprobe.
Für den in diesem Artikel auszugsweise dargestellten Fragenkomplex wurden die Teilnehmenden mit insgesamt 15 Ich-Aussagen zu Reaktionen auf die gestiegenen Verbraucherpreise konfrontiert. Eine Ergebnisdarstellung im pdf-Format mit weiteren Hinweisen zur Methodik findet sich unter diesem Link.
Zwar heißt es, dass bereits bestehende Förderungen von den Kürzungen keineswegs betroffen sein sollen. Immerhin. Und dennoch wohnt den Plänen der Regierung etwas Strukturgefährdendes inne, was vor allem beim Blick zurück ins Wintersemester 2022/23 deutlich wird. Ein Semester, um es klar auszusprechen, das für einen Gutteil aller Hochschülerinnen und Hochschüler wohl beispiellose Einschnitte mit sich gebracht hat.
Zu diesem Ergebnis kommt die jüngste Erhebung der repräsentativen Studie "Fachkraft 2030", die jobvalley zusammen mit der Universität Maastricht im April dieses Jahres durchgeführt hat. Bundesweit haben daran rund 16.000 Studierende teilgenommen. Um die problematische Richtung des vorliegenden Haushaltsentwurfs zu verdeutlichen, folgen einige ausgesuchte Ergebnisse.
200.000 Studienabbrüche und -unterbrechungen aus finanzieller Not
Im Rahmen der Befragung gaben für das Wintersemester 2022/23 bundesweit 7 Prozent der Teilnehmenden an, ihr Studium aus Kostengründen entweder komplett aufgegeben oder pausiert zu haben (Aussage: "Ich musste mein Studium aufgeben/pausieren"). Hochgerechnet auf die Gesamtzahl der Studierenden dürften damit über 200.000 Immatrikulierte von einer der beiden "Optionen" Gebrauch gemacht haben, über deren Nachteile für den deutschen Bildungs- und Wirtschaftsstandort man wohl kein Wort verlieren muss.
Neben regionalen Unterschieden konnten in dieser Frage vor allem auf individueller Ebene teils erhebliche Disparitäten herausgearbeitet werden. So lag der Anteil der Studienabbrüche und -unterbrechungen bei Befragten mit Migrationshintergrund bei neun Prozent – also messbar über dem Durchschnitt. Ähnlich ist das Bild mit Blick auf die Dimension "Alter". Hier zeigte sich, dass in der Gruppe der mindestens 23-Jährigen rund acht Prozent der Befragten im Untersuchungszeitraum ihr Studium abgebrochen oder unterbrochen haben. Zum Vergleich: Bei den Jüngeren waren es aus Kostengründen "lediglich" vier Prozent.
Fast 20 Prozent der Studierenden mussten ihre Wohnung aufgeben
Die vorliegenden Ergebnisse zur Aussage "Ich musste meine Wohnsituation verändern (Auszug, Verkleinerung etc.)" legen nahe, dass bewusstes Energiesparen im Wintersemester für fast jeden fünften Befragten nicht ausreichte, um die eigenen vier Wände halten zu können. Konkret gaben 18 Prozent der Teilnehmenden an, ihre Wohnsituation ungewollt verändert zu haben. Dazu auch hier die absolute Zahl: Gemessen an der Gesamtheit der Studierenden in Deutschland entspricht diese Quote über 500.000 Hochschülerinnen und Hochschülern, wobei allerdings nicht explizit erfragt wurde, welchen Anteil an den kostenbedingten Umzügen – als vermeintlich "einfachste" Alternative – die Rückkehr ins Elternhaus hatte.
Erhebliche Abweichungen liegen mit Bezug zur Wohnsituation auch in regionaler Hinsicht vor. So mussten laut eigener Aussage im vorangegangenen Semester in Sachsen-Anhalt und Brandenburg jeweils 25 Prozent (!) der Befragten ihren Wohnraum kostensparend anpassen (Auszug, Verkleinerung etc.) – deutliche Höchstwerte vor Stadtstaat Hamburg, wo die Quote bei 21 Prozent lag. Hinzu kommt: Fast jeder zweite Teilnehmende sah sich im Wintersemester 2022/23 aus finanziellen Gründen gezwungen, im Wohnbereich weniger Energie zu verbrauchen. So gaben bei der Aussage "Ich musste mich beim Heizen meines Zimmers/meiner Wohnung einschränken bzw. Strom sparen" exakt 49 Prozent der Hochschülerinnen und Hochschüler an, ihren Verbrauch entsprechend nach unten angepasst zu haben. Interessanterweise weichen hierzu die Angaben von weiblichen und männlichen Befragten deutlich voneinander ab. Denn während Hochschülerinnen in bundesweit 57 Prozent der Fälle angaben, den Energieverbrauch gesenkt zu haben, geschah dies auf Seite der Hochschüler deutlich seltener (41 Prozent).
Erhebliche Einschränkungen auch beim Lebensmitteleinkauf
Welch gravierenden Einfluss die gestiegenen Verbraucherpreise im Wintersemester 2022/23 auch auf das alltägliche Konsumleben der Studierenden hatten, zeigt die Auswertung für die Aussage „Ich musste mich beim Lebensmittelkauf einschränken“. Sie wurde von 58 Prozent (!) aller Befragten bejaht. Ferner fällt dazu auf, dass die Quote in keinem der 16 Bundesländer unterhalb der 50-Prozent-Marke liegt, hoch bedenkliche Spitzenwerte konnten in Mecklenburg-Vorpommern (67 Prozent) und Thüringen (69 Prozent) gemessen werden.
Auch in zwei weiteren Bereichen des studentischen Konsumlebens musste laut Umfrage deutlich Verzicht geübt werden. Und zwar beim Einkauf von Kleidung sowie beim Essengehen und -bestellen. Was letztgenanntes Thema betrifft, lag die studentische Verzichts-Quote ebenfalls (und erwartungsgemäß) auf hohem Niveau. So stimmten insgesamt 64 Prozent der Befragten der Aussage "Ich musste mich beim Essengehen/-bestellen einschränken" zu. Auf weiblicher Seite waren es sogar 69 Prozent, während die Quote auf männlicher Seite bei 58 Prozent lag.
Was den Aspekt Kleidung betrifft, gab weit mehr als jeder zweite Befragte an, im Untersuchungszeitraum weniger als geplant / gewünscht erworben zu haben. Konkret: Die Aussage "Ich musste mich beim Einkaufen von Kleidung einschränken" wurde von fast 60 Prozent der Studierenden bejaht, wobei auch hier die Quote auf weiblicher Seite recht deutlich über der Quote der männlichen Befragten lag.
Freizeitaktivitäten aus Kostengründen deutlich runtergefahren
Dass die allgemein gestiegenen Verbraucherkosten im studentischen Leben auch abseits von Studium und alltäglichem Bedarf tiefe Spuren hinterlassen haben, zeigen die vorliegenden Zahlen für die Aussage "Ich musste mich bei meiner Freizeitgestaltung (Sport, Theater, Kino etc.) einschränken". Sie wurde von nahezu 60 Prozent aller Befragten bejaht, was folglich gerade an den Hochschulstandorten zu messbaren Umsatzeinbußen in primär studentisch genutzten Freizeiteinrichtungen und -unternehmen geführt haben dürfte. Überdies gaben rund 30 Prozent der Befragten an, im zurückliegenden Wintersemester eine bereits fest eingeplante Reise aus Kostengründen verschoben oder abgesagt zu haben.
Die Umfrageergebnisse schreien nicht nach weniger Bafög, sondern eindeutig nach mehr
"Die Bundesregierung lässt das Bafög ausbluten", hat sich dieser Tage – allen voran – Matthias Anbuhl, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Studierendenwerks, mit markigen Worten des Unverständnisses zu den Plänen der Regierung geäußert. In seiner Kritik verweist er auf unzureichende Erhöhungen "über viele Jahre", die nun, vor dem Hintergrund der gestiegenen Verbraucherpreise, ihre ganze Negativwirkung entfalten würden. "Studienabbrüche aus Geldmangel kann sich unsere Gesellschaft nicht leisten. Diese jungen Menschen sind die künftigen Lehrkräfte, Ärzt*innen und Ingenieur*innen, die wir so händeringend brauchen", lautet sein dringlicher Appell nach Berlin.
Aus der Perspektive unserer eigenen Forschung kann man Matthias Anbuhl da nur zustimmen. Denn hinter den Studierenden in Deutschland liegt (mindestens) ein Halbjahr, das in vielerlei Hinsicht nicht nach gleich viel und schon gar nicht nach weniger schreit, sondern eindeutig nach mehr – und zwar nicht nur für den Bereich Bafög. Daher: Mit ihren Planungen setzt die Bundesregierung ein erschreckend kaltes Signal gegen die Verbesserung der Chancengleichheit, das dem deutschen Bildungs- und Wirtschaftsstandort langfristig schaden wird. Noch dazu ein Signal zur Unzeit, weit an der ohnehin verzichtsreichen Lebensrealität vieler Studierender vorbei.
Clemens Weitz ist Geschäftsführer von jobvalley. Philipp Seegers ist Research Fellow an der Universität Maastricht.
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Bund und Länder streiten sich öffentlich über das Startchancen-Programm. Hinter den Kulissen aber gehen die Gespräche offenbar voran. Dafür gibt es anderswo neuen Ärger.
Illustration: Gerd Altmann / Pixabay.
TIES RABE WILL, dass das Medienspektakel endlich aufhört. "Konzeptpapiere bespricht man am besten zuerst am Verhandlungstisch", sagt Hamburgs SPD-Bildungssenator, "und anstatt sich über die Medien gegenseitig Vorhaltungen zu machen und Forderungen zu stellen, tun wir alle gut daran, direkt miteinander zu kommunizieren".
Seit die BMBF-Eckpunkte zum Startchancen-Programm zur Förderung von Brennpunktschulen zuerst in einer überregionalen Tageszeitung auftauchten, bevor sie den Kultusministern der Länder vorlagen, war die Aufregung groß. "Wie ein Elefant im Porzellanladen" habe sich das BMBF verhalten, zitierte Bildung.Table den Sprecher von Sachsens Ressortchef Christian Piwarz (CDU), mit der Vorlage habe der Bund ohne Vorankündigung den gemeinsamen Verhandlungsweg verlassen. Und Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (ebenfalls CDU) sagte den Kieler Nachrichten: "Es wird wieder einmal klar: Der Bund hat keine Fachkompetenz in Sachen Bildung, sonst käme nicht so ein vermurkster Vorschlag heraus."
Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) wiederum bestritt im Interview mit T-Online, dass es überhaupt Streit mit den Ländern in Sachen "Startchancen" gebe, fügte dann aber mahnend hinzu, die Milliarden dürften nicht mit der Gießkanne verteilt werden. "Hier erwarte ich von den Ländern Bewegung. So wie Deutschland in der Bildung dasteht, kann es nicht bleiben."
FDP fordert von den Ländern "konstruktiven Arbeitsmodus"
Was für viele ihrer Länderkollegen wieder wie der Versuch klang, sie öffentlich vorzuführen. Zumal Stark-Watzingers Parteikollegin Ria Schröder nach Veröffentlichung der mauen IGLU-Ergebnisse am Dienstag nachlegte. Wenn die Länder bei den Startchancen nicht "in einen konstruktiven Arbeitsmodus schalten, gefährden sie die Zukunft unserer Kinder", holzte die bildungspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion.
Dabei, sagen zumindest die Kultusminister, sei Stark-Watzingers Ministerium bei der Präsentation der Eckpunkte selbst die Berechnung schuldig geblieben, wie sich die neuen Verteilungskriterien auf den Gesamtanteil der einzelnen Bundesländer am "Startchancen"-Geld auswirken würden.
Das Programm soll drei Säulen haben. Erstens ein "Investitionsprogramm für eine zeitgemäße und ansprechende Lernumgebung“, für das der Bund 50 Prozent der Startchancen-Mittel ansetzt; zweitens sollen die bundesweit 4.000 geförderten Schulen ein "Chancenbudget für bedarfsgerechte Lösungen" erhalten (Umfang laut Bund: 30 Prozent). Drittens sollen zusätzliche Schulsozialarbeiter finanziert werden (20 Prozent). Die Länder fordern dagegen eine gleichmäßige Aufteilung der Gelder auf die drei Säulen – also vor allem einen deutlich geringeren Anteil für die Bauinvestitionen und mehr Geld für die Sozialarbeiter.
Vor allem aber will der Bund das Geld teilweise anders als die Länder verteilen, das ausgegebene Ziel: noch weniger Gießkanne, mehr Geld dahin, wo es am meisten gebraucht wird. Für Säule I schlägt er einen völlig neuen Schlüssel vor, der zu 40 Prozent den Anteil der unter 18- Jährigen mit nicht-deutscher Familiensprache, zu 40 Prozent die Armutsgefährdungsquote und zu 20 Prozent das "negative BIP" zu Grunde legt.
Das Kriterium der nichtdeutschen Familiensprache gilt aber unter Experten als problematisch, weil hierzu gar keine ländergenauen Zahlen vorliegen. Das negative BIP wiederum würde die ostdeutschen Länder besserstellen, da sie im Gegensatz zu den Stadtstaaten eine niedrigere Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung haben, aber vergleichsweise wenig Einwanderer und Familien in Armut. Was genau also würde aus diesem Schlüssel für die Mittelverteilung folgen? Keiner weiß es bislang.
Bewegung vor und hinter den Kulissen
Immerhin gibt es hinter den Kulissen jetzt Bewegung. Für Mitte Juni haben die Länder dem Bund angeboten, in einer dreitägigen Klausur der bestehenden Staatssekretärs-AG die Grundlagen für die nötige Einigung zu legen, zusammen mit den in den Ministerien fürs "Startchancen-Programm" zuständigen Fachleuten. Stark-Watzinger hat zugesagt, bereits Ende Mai die fehlende Berechnung zur vorgeschlagenen Mittelverteilung nachzureichen. Und bis August, sagt Bildungssenator Rabe, der die Politik der SPD-Kultusminister koordiniert, wolle man dann die Eckpunkte zwischen Bund und Ländern ausverhandelt haben. "Das ist auch wichtig, weil die Zeit sonst zu knapp wird, um selbst 2024 noch mit allen drei Säulen zu starten."
In den BMBF-Eckpunkten ist nämlich nur der Start der Sozialarbeiter-Säule schon 2024 vorgesehen und statt einer vollen Jahrestranche soll es dafür auch nur die Hälfte, 100 Millionen Euro, geben.
"Dem widersprechen die Länder klar", sagt Rabe. "Unsere Erwartung ist, dass das Programm zum zweiten Halbjahr komplett startet und der Bund entsprechen 500 Millionen Euro für 2024 bereitstellt."
Nach einer Sonder-Videoschaltkonferenz des Präsidiums der Kultusministerkonferenz am Mittwoch sagte die neue KMK-Präsidentin und Berliner Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) der Nachrichtenagentur dpa, sie werde nächste Woche mit Stark-Watzinger das weitere Vorgehen besprechen. Angesichts der Veröffentlichung der IGLU-Studie am Dienstag hatte Günther-Wünsch die erneute Verschlechterung der Lesekompetenz unter deutschen Grundschülern als "ernüchternd" bezeichnet. BMBF-Chefin Stark-Watzinger sagte, es sei "alarmierend, wenn ein Viertel unserer Viertklässlerinnen und Viertklässler beim Lesen als leistungsschwach gilt". Und sie verwies auf das Startchancen-Programm, bei dem man einen"Fokus auf Grundschulen und die Stärkung der Basiskompetenzen wie Lesen, Schreiben und Rechnen legen" wolle. Bund und Länder könnten so gemeinsam für mehr Chancengerechtigkeit sorgen.
Derweil zeichnet sich schon der nächste Streit zwischen Bund und Ländern ab. Die damalige KMK-Präsidentin Astrid-Sabine Busse hatte Anfang März in einem Schreiben an Stark-Watzinger für die Fortsetzung "Qualitätsoffensive Lehrerbildung" plädiert, die dieses Jahr ausläuft. 500 Millionen Euro hat der Bund hierfür seit 2015 ausgegeben und damit allein seit 2020 91 Hochschul-Projekte finanziert für neue Wege in der Lehrerbildung.
CDU-Ministerin Prien: "Stark-Watzinger lehnt sich zurück"
Doch Stark-Watzinger lehnte ab. Das Programm komme "vereinbarungsgemäß zum Abschluss", schrieb sie Busse zurück. Es sei die "besondere Verantwortung der Länder", die mit der Qualitätsoffensive erreichte strukturelle Stärkung der Lehrerbildung zu sichern.
"Das ist für mich nicht nachvollziehbar", sagt Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Prien. Ständig erkläre Stark-Watzinger, dass sich das Schulsystem in Deutschland ändern müsse und betone die Notwendigkeit zur Weiterentwicklung der Lehrerbildung. "Doch da, wo sie einen konkreten Hebel hätte, und die notwendige Innovation fördern könnte, erteilt sie den Ländern eine Absage und lehnt sich zurück. Und das in einer Zeit", fügt Prien hinzu, "in der Wissenschaftsrat und die Ständige Wissenschaftliche Kommission der KMK voraussichtlich eine Reform der Lehrerbildung empfehlen werden, wie wir sie seit Jahrzehnten nicht hatten".
Stark-Watzinger betont in ihrem Schreiben indes, es sei dem BMBF "gerade auch angesichts des eklatanten Lehrkräftemangels überaus wichtig, die Länder bei ihren Bemühungen zur Verbesserung der Lehrkräftebildung zu unterstützen". Sichtbarster Ausdruck hierfür seien die jetzt anlaufenden "Kompetenzzentren für digitales und digital gestütztes Unterrichten in Schule und Weiterbildung" und die dazu gehörende Vernetzungs- und Transferstelle, die bereits ihre Arbeit aufgenommen habe. "Sie werden vollständig vom BMBF getragen, obwohl dies eine Aufgabe der Länder ist."
Wobei es sich in Wirklichkeit gar nicht um Bundes-, sondern um EU-Mittel aus der "Aufbau- und Resilienzfazilität" handelt, mit denen der Bund die Kompetenzzentren finanziert – woraus sich auch die extrem kurze Laufzeit für die Zentren von zweieinhalb Jahren ergibt. "Das Programm ist viel zu spät gestartet. Da muss man schon sehr kreativ sein, um ein Zentrum mit einem Thema auszustatten, das sich in einem solchen Zeitrahmen sinnvoll bearbeiten lässt", sagt der Bildungsforscher Olaf Köller, der zugleich Vorsitzender der SWK ist.
Ihr Haus prüfe derzeit, "welche Möglichkeiten für ein zusätzliches Engagement des Bundes bestehen", schloss Stark-Watzinger ihr Schreiben an Busse. "Ich bitte Sie deshalb noch um etwas Geduld, bevor ich mit einem Vorschlag für ein Gespräch auf Sie zukomme." Das Angebot der Länder, am 30. Juni bei einer außerordentlichen Ministerrunde in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GKW) von Bund und Ländern zu diskutieren, hat Stark-Watzinger jedenfalls aus Termingründen abgelehnt.
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Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe tritt zurück. Für die Bildungspolitik der Hansestadt und Deutschlands ist das ein Einschnitt – und für die Kultusministerkonferenz ein Verlust zu einem kritischen Zeitpunkt.
Foto: Daniel Reinhardt / Senatskanzlei Hamburg.
ES IST EINE ZÄSUR, und sie kommt völlig überraschend. Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe wird am Montagabend seinen Rücktritt erklären. Offiziell scheidet er am Mittwochfrüh aus dem Amt aus. Das Hamburger Journal berichtete von ausschließlich gesundheitlichen Gründen: Der 63-Jährige müsse sich mehrere Monate schonen.
Damit verlässt nicht nur der dienstälteste Kultusminister die politische Bühne, sondern der erfolgreichste. Er hat die Bildungspolitik weit über Hamburg hinaus geprägt, sein strategisch-langfristiger Ansatz einer datenbasierten Schulentwicklung wurde von Bildungsforschern bundesweit zum Vorbild erklärt und von vielen seiner Ministerkollegen aus anderen Ländern kopiert.
Abgesehen von Edelgard Bulmahn, die bis 2005 als letzte Sozialdemokratin das BMBF führte, war der studierte Gymnasiallehrer der einflussreichste SPD-Bildungspolitiker seit zwei Jahrzehnten. Als langjähriger sogenannter A-Koordinator führte er die Bildungspolitik aller SPD-geführten Bildungsministerien zusammen, war ihr Gesicht. Und auch wenn Rabe den Regularien der Kultusministerkonferenz (KMK) entsprechend nur ein einziges Jahr, ganz zu Anfang seiner Amtszeit 2012, ihr Präsident war, so galt er doch parteiübergreifend als der mächtigste Strippenzieher des Ministerclubs, nicht wegen eines Hangs zu Winkelzügen, sondern im Gegenteil, wegen seiner beeindruckenden Geradlinigkeit.
Zugleich war sein sich über die Jahre zunehmend einstellender bildungspolitischer Erfolg Inspiration vieler später hinzugekommener Ministerkollegen – zeigte er doch, was mit Reformmut und Ausdauer möglich ist in einem so oft verkrustet wirkenden deutschen Bildungssystem.
Hamburger Erfolgsgeheimnisse
2018 setzte Ties Rabe einen Tweet ab, da war gerade der langjährige bayerische Kultusminister zurückgetreten. "Sieben Jahre Schulsenator und seit heute bin ich dienstältester Schulminister Deutschlands", schrieb Rabe. Ein Bildungspolitiker in Angeberlaune? Nicht ganz, denn dann folgte Rabes eigentliche Botschaft: "Kein Grund zu triumphieren - denn es tut Schulen nicht gut, wenn alle zwei Jahre der Minister wechselt und das Ministerium alles neu erfindet." Rabes Philosophie, in 280 Zeichen.
Seine Strategie war langfristig angelegt. Rabe ließ die Schüler häufiger als anderswo zu Untersuchungen des Leistungsstandes antreten, zusätzlich zu den (inzwischen bundesweit üblichen) Tests in Klasse 3 und 8 kommen in Hamburg landesweite Vergleichsarbeiten in den Klassen zwei, fünf, sieben und neun hinzu. Die Behörde sammelt weitere Leistungsdaten der Schulen, den Unterrichtsausfall etwa oder die Zahl der Schulabbrecher.
Entscheidend, sagte der Senator einmal, seien nicht nur die Daten, sondern das, was man damit mache: kein medientaugliches Schulranking, sondern eine Rückmeldung für jede Schule und jeden Lehrer. "Wir schauen genau hin, stellen die Schulen nicht an den Pranger, aber lassen sie auch nicht allein", sagte Rabe, der sein System "freundliche Belagerung" nannte.
Spätestens alle zwei Jahre schauen in Hamburgs Schulen externe Experten für eine Schulinspektion vorbei. Und der Senator selbst besuchte lange jeden Freitag eine Schule, setzte sich in den Unterricht, traf sich mit der Schulleitung zum Vieraugengespräch und mit dem ganzen Kollegium zur Konferenz. Und während andere Länder umstrittene Reformen noch diskutierten, handelte der ehemalige Gymnasiallehrer (Fächer: Deutsch, Religion Geschichte): Er führte einen verpflichtenden Deutschtest für Vierjährige ein und, falls Förderbedarf festgestellt wird, den verpflichtenden Besuch der Vorschule. Er pushte die Ganztagsschule, bis sie an den Grundschulen einen fast hundertprozentigen
Deckungsgrad erreichte, und installierte mit "Starke Schulen" schon vor Jahren ein Programm für Brennpunktschulen, wie der Bund es so ähnlich jetzt mit den "Startchancen" deutschlandweit umsetzen will. Hamburg brachte auch ein bundesweit einmaliges Schulbauprogramm auf den Weg, vier Milliarden wurden seit 2011 investiert.
Bevor Rabe Senator wurde, schien es ausgemacht, dass Stadtstaaten in nationalen Bildungsvergleichen schlecht abschneiden, doch trotz einer mit Berlin oder Bremen vergleichbaren Sozialstruktur gelang es Hamburg in den vergangenen zehn Jahren, zur Spitzengruppe aufzuschließen, sich teilweise sogar ganz vorn zu platzieren.
Hamburg habe "sich in den vergangenen 13 Jahren sukzessive hochgearbeitet", obwohl es 2009 noch zu den Schlusslichtern zählte, lobte erst im Oktober 2023 Petra Stanat, Direktorin des Instituts für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB), das regelmäßig den bundesweiten IQB-Bildungstrend erstellt. "Und das bei einem sehr hohen Anteil an Einwandererkindern wohlgemerkt."
Rabes Nachfolgerin als Senatorin wird Ksenija Bekeris, 45, stellvertretende SPD-Fraktionschefin und -Landesvorsitzende, und Berufsschullehrerin mit mehreren Jahren Schulerfahrung. Lorz folgt als hessischer Kultusminister der CDU-Bundestagsabgeordnete Armin Schwarz, 55, nach, Oberstudienrat und früherer bildungspolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion. Neuer hessischer Minister für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur wird der 48 Jahre alte Politikwissenschaftler Timon Gremmels (SPD), zurzeit ebenfalls Bundestagsabgeordneter
Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) kommentierte auf "X", sie bedaure Rabes Rücktritt sehr. Es sei sein Verdienst, das Schulsystem in Hamburg vorangebracht "und für viele zum Vorbild gemacht zu haben".
Und er wurde gebraucht, gerade erst wieder im vergangenen Jahr, als Eklats zwischen Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) und der Kultusministerkonferenz die Verhandlungen um Startchancen-Programm und Digitalpakt 2.0 mehrfach um ein Haar gesprengt hätten. Er war an den richtigen Stellen unerbittlich und kompromissbereit, im Rücken sein nicht weniger versierter Staatsrat Rainer Schulz, der Vorsitzender der KMK-Amtschefskommission "Qualitätssicherung in Schulen" ist.
Inzwischen sind die Startchancen fast im Ziel, verhandelt von einer Vierer-Ländergruppe mit Hamburg, Rheinland-Pfalz, NRW und Schleswig-Holstein mit dem BMBF. Aktuell schauen die übrigen zwölf Länder auf die Details, Anfang Februar soll die Vereinbarung dann stehen. Allerdings ist immer noch unklar, ob die Bundesregierung nicht doch die für die Länder nicht weniger wichtige (und im Ampel-Koaltionsvertrag versprochene!) Digitalpakt-Fortsetzung wegspart.
Für die KMK ist Rabes Rücktritt noch in anderer Hinsicht geradezu dramatisch. Als am Freitag die diesjährige KMK-Präsidentin, Saarlands Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot (SPD), offiziell das Amt übernahm, fiel auf, dass bei dem Festakt in der saarländischen Landesvertretung in Berlin-Mitte neben Rabe auch sein CDU-Konterpart fehlte: Alexander Lorz, seit 2014 Hessens Kultusminister und Koordinator der unionsgeführten Bildungsministerien. Wie jetzt bekannt wurde, wird er in der neuen CDU-/SPD-Koalition das Finanzministerium übernehmen. Womit der KMK auf einen Schlag zwei ihrer wichtigsten und erfahrensten Protagonisten abhanden kommen.
Kontinuität in der zweiten Reihe, an der Spitze neue Hoffnungsträgerinnen?
Und das zu Beginn des Jahres, in dem Streichert-Clivot die lang vorbereitete Grundsatzreform der KMK, ihrer Gremien, Abläufe und ihres Sekretariats, zum Abschluss bringen will. Bei der KMK-Feier in der saarländischen Landesvertretung sagte KMK-Generalsekretär Udo Michallik, bei der nächsten Amtsübergabe in einem Jahr werde die KMK eine andere sein.
Der Bildungsföderalismus will seine Leistungsfähigkeit beweisen. Er muss es nicht nur angesichts seines schlechten Rufs oder eines (von den Kultusministern mutig selbst beauftragten) "Prognos"-Gutachtens mit teilweise katastrophalen Ergebnissen. Sondern auch weil, woraufhin zuletzt der ehemalige Berliner Bildungsstaatssekretär Mark Rackles in Table.Bildung hinwies, die Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen eine AfD-Regierungsbeteiligung bringen könnten. Mit unabsehbaren Folgen für eine bislang auf dem Einstimmigkeitsprinzip beruhende Entscheidungsfindung bei allen wichtigen Fragen in der KMK.
Wie tief die Zäsur gerade durch Rabes Weggang ist, konnte man am Nachmittag auch daran erkennen, dass Streichert-Clivot umgehend eine Pressemitteilung veröffentlichen ließ, um den beiden scheidenden KMK-Präsidiumsmitgliedern zu danken. Es sei für die KMK "ein herber Verlust, an einem Tag beide Koordinatoren von A- und B-Seite zu verlieren", sagte Streichert-Clivot. Rabe und Lorz hätten über ein Jahrzehnt im Amt die Geschicke der KMK entscheidend mitgeprägt. "Hart in der Sache debattieren, aber immer wieder auch Kompromisse schließen können, immer orientiert an gemeinsamen, länderübergreifenden Handeln – das hat ihre Arbeit ausgezeichnet." Es folgte in der Pressemitteilung die Versicherung der eigenen Handlungsfähigkeit: "Die Mitglieder der KMK blicken zuversichtlich in die Zukunft und sind fest davon überzeugt, dass die positive Entwicklung des deutschen Bildungssystems unter der Führung neuer engagierter Persönlichkeiten fortgesetzt wird."
Was jedenfalls Hoffnung macht: Sowohl in Hessen als auch in Hamburg bleiben die Amtschefs hinter den Ministern im Amt. Rainer Schulz bestätigte mir auf Anfrage, dass er auf jeden Fall bis zum Ende der Legislaturperiode im Amt bleibe. Gewählt wird in Hamburg im Frühjahr 2025. Schulz gilt als Treiber und Ideengeber für die KMK-Reform. Ob er allerdings Vorsitzender der Amtschefkommission bleiben kann, wird sich zeigen. Denn solche Posten sind traditionell eng an die Koordinatoren geknüpft.
Apropos: Als mögliche Nachfolgerin in der Koordination der SPD-Bildungsministerien gilt Stefanie Hubig aus Rheinland-Pfalz, seit 2016 im Amt. 2020, im ersten Corona-Jahr, war sie KMK-Präsidentin und führte die Kultusministerkonferenz durch die Krise. Bis heute berichten Kultusminister, in den Pandemiejahren sei ihr Club sich nahe wie nie gewesen, seitdem sei die Arbeit miteinander eine andere geworden. Wird sie am Ende des Jahres mit dem Mut einer echten Reform gekrönt?
Eine, die als neue CDU-Koordinatorin sicherlich ihren Teil dafür tun würde, ist Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien, stellvertretende Vorsitzende der Bundespartei, die über die Jahre zur einflussreichsten CDU-Bildungspolitikerin avanciert ist. Neben einem enormen politischen Instinkt hat Prien, die 2022 KMK-Präsidentin war, vor allem ein Erfolgsgeheimnis: Sie schaut sich um, was anderswo besonders gut funktioniert – und macht es nach. Besonders oft das Vorbild: Hamburg.
Nachtrag am 17. Januar, 19 Uhr
Neue Koordinatorinnen stehen fest
Nach den SPD-Kultusministern haben am Mittwoch auch die CDU-Ressortchefs entschieden, wer ihre Arbeit künftig in der Kultusministerkonferenz koordinieren wird. Wie erwartet votierten die Sozialdemokraten bereits am Dienstag für die rheinland-pfälzische Bildungsministerin Stefanie Hubig als sogenannte "A"-Koordinatorin, ihre Unionskollegen wählten am Mittwoch Karin Prien aus Schleswig-Holstein zur Koordinatorin der "B"-Seite.
Die ebenfalls neue KMK-Präsidentin, die saarländische Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot (SPD), lobte Hubig und Prien am Nachmittag als "zwei engagierte und erfahrene Kolleginnen, die in ihren Ländern erfolgreich und mit Herzblut Bildungspolitik gestalten". Sie freue sich auf die Zusammenarbeit und sei sicher, dass die neuen Koordinatorinnen "in enger Abstimmung mit der saarländischen Präsidentschaft für Kontinuität und zugleich Erneuerung sorgen können, die die KMK jetzt benötigt".
Die neue A-Koordinatorin Hubig sagte, ihr Vorgänger und langjähriger Hamburger Bildungssenator Ties Rabe werde als "sehr kluger und hoch geschätzter Kollege" fehlen. Dem ebenfalls ausgeschiedenen B-Koordinator Alexander Lorz wünschte sie für sein neues Amt als hessischer Finanzminister gutes Gelingen und dankte ihm für die stets enge Zusammenarbeit, "ganz besonders in der gemeinsamen Zeit im KMK-Präsidium".
Das Bildungssystem stehe vor vielfältigen Herausforderungen, sagte Hubig weiter und nannte unter anderem die Stärkung der Basiskompetenzen bei allen Schülern, Bildungsgerechtigkeit, den Umgang mit KI und die Demokratiebildung junger Menschen. "Wir leben im Zeitalter der Transformation – auf neue Fragen können wir dabei nicht mehr alte Antworten geben, stattdessen müssen wir das Lernen und Lehren neu denken." Auch ihr Ziel sei es, die KMK gemeinsam neu aufzustellen, "ebenso wie die neue Präsidentin Christine Streichert-Clivot dies vorhat." Schon seit dem Jahr 2020, dem Beginn der Pandemie in Hubigs Zeit als KMK-Präsidentin, sei es den Kultusministern gelungen, deutlich agiler zusammenzuarbeiten. "Hieran möchte ich anknüpfen."
Die neue B-Koordinatorin Prien sprach nach ihrer Wahl von einer verantwortungsvollen Aufgabe, "der ich mich angesichts der großen Herausforderungen vor denen unser Bildungssystem steht, gerne stelle". Dabei wolle sie an die Schwerpunkte der schleswig-holsteinischen KMK-Präsidentschaft von 2022 anknüpfen und den Weg der Reform der Kultusministerkonferenz fortsetzen.
Prien danke ihrem Vorgänger Lorz "für seinen unermüdlichen Einsatz als B-Koordinator für einen starken und kooperativen Bildungsföderalismus". Die über Parteigrenzen hinweg vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit in der Kultusministerkonferenz würden die B-Länder weitergehen und gemeinsam mit den A-Ländern die Bundesregierung "an ihre Versprechen, Zusagen und die gemeinsame Verantwortung" erinnern. "Jetzt geht es darum, das Startchancenprogramm und den Digitalpakt zu Ende zu verhandeln."
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Wer steuert was in Schule? Welche Aufgaben haben Schulleitung, Kommune, Land? Im Interview diskutieren Vertreter der drei Ebenen über Fehler im System, bürokratische Hürden und Möglichkeiten einer effektiveren Zusammenarbeit.
Herr Köster, wie frei ist man eigentlich als Schulleiter?
Holger Köster: Die meiste Zeit des Tages fühle ich mich frei. Und zwar in allen Dingen, die mit der Gestaltung von Schulalltag und Unterricht zu tun haben, da erfahre ich viel Unterstützung auch aus Stadt und Landkreis. Absolut unfrei fühle ich mich, wenn es um die Modernisierung unseres Schulgebäudes geht oder um die Suche nach neuem Personal. Dann kommt es mir vor, als würden die Behörden über die Köpfe von uns Schulen hinwegentscheiden. Es kostet im Alltag viel Kraft, immer wieder um vermeintliche Selbstverständlichkeiten kämpfen zu müssen.
Frau Wolfer, das deutsche Schulsystem gilt als komplex. Sie arbeiten für einen kommunalen Schulträger, die Stadt Jena. Können Sie in drei Sätzen erklären, wofür Sie zuständig sind und wofür nicht?
Christine Wolfer: Als Stadt bestreiten wir die äußere Schulträgerschaft, sind, vereinfacht gesagt, verantwortlich für Bänke, Stifte und Tafeln. Die innere Schulträgerschaft liegt dagegen beim Land, also die Unterrichtsgestaltung, die Personalbewirtschaftung, die Schulentwicklung. Dass diese Aufteilung nicht wirklich sinnvoll ist, hat der Städtetag schon 2007 in der sogenannten Aachener Erklärung festgestellt und umfassende Änderungen gefordert. Leider bis heute ohne Erfolg. In Jena haben wir immerhin einen Schulversuch in die Richtung unternommen.
Herr Schulz, als Staatsrat für Schule und Berufsbildung in der Hamburger Senatsverwaltung vertreten Sie hier die Länderseite? Müssen die Zuständigkeiten im deutschen Schulsystem stärker vom Ziel her gedacht werden?
Rainer Schulz: Ganz bestimmt. Oft geht es weniger um das Ziel als um das Festhalten an bestehenden Prozessen. Doch sollte einen das nicht davon abhalten zu tun, was man für richtig hält. Ich war selbst über viele Jahre Leiter einer Berufsschule und habe ähnlich empfunden wie Herr Köster: Das Drumherum nervte, aber im schulischen Alltag litt ich selten unter Gängeleien. Der Gestaltungsspielraum ist also
Christine Wolfer ist Diplom-Sozialpädagogin und leitet den Fachdienst Jugend und Bildung der Stadt Jena. Damit ist sie unter anderem für die Kitas, die Schulverwaltung und die Jugendsozialarbeit zuständig. Im Rahmen eines Schulversuchs übertrug das Land Thüringen zwischen 2011 und 2022 weitreichende Entscheidungsbefugnisse an drei Jenaer Schulen und an die Stadt als Schulträger.
trotzdem da – was wir daran sehen, dass in Deutschland unter denselben Rahmenbedingungen Leuchtturmschulen und Failed Schools existieren. Das sollte uns aber nicht davon abhalten, über eine sinnvollere Verteilung der Aufgaben zu sprechen.
Und die wäre?
Schulz: In Hamburg haben wir 2007 entschieden, die innere und äußere Trägerschaft in einer Einheit zu konzentrieren, und zwar in der Behörde für Schule und Berufsbildung: Wenn Sie alles in einer Hand haben, können Sie wirklich vom Ende her fragen: Was braucht es, um gute Schule zu verwirklichen? Unsere Antwort ist die selbstverantwortete Schule. Herr Köster würde gern selbst Personal einstellen: In Hamburg könnte er das. Selbstverantwortete Schule benötigt auch selbstverantwortete Budgets. Wenn ein Kollegium sagt, dieses Jahr brauchen wir einen neuen Computerraum, dann können Sie genau dafür einen großen Teil der Sachmittel in dem Jahr einsetzen. Umgekehrt gehört zur selbstverantworteten Schule die Rechenschaftslegung. Die Schulen müssen uns zeigen, ob sie mit ihren Schülern die Bildungsziele erreichen.
Rainer Schulz ist seit 2017 Staatsrat beim Hamburger Senator für Schule und Berufsbildung und Vorsitzender der Amtschefkommission "Qualitätssicherung in Schulen" der KMK. Vorher war der Berufsschullehrer unter anderem Leiter der Staatlichen Handelsschule für Blinde und Sehbehinderte, Oberschulrat am Landesinstitut für Lehrerbildung und Geschäftsführer des Hamburger Instituts für berufliche Bildung.
Köster: Haben Sie gerade eine Schulleiterstelle in Hamburg frei, Herr Schulz? Im Ernst: Was Sie zum Thema selbstverantwortete Schule sagen, gefällt mir sehr gut. Gerade weil Deutschland nicht nur aus Hamburg, Berlin oder Köln besteht, sondern aus viel ländlichem Raum. Wie bei uns in Olpe, wo qualifiziertes Personal noch mal knapper ist. Und da erlebe ich es als großen Wettbewerbsnachteil, wenn mir als Leiter einer staatlichen Schule die Hände gebunden sind, während die Ersatzschulen, deren Kosten auch zu 90 Prozent vom Staat finanziert werden, viel freier agieren können.
Und wie sieht es mit dem Geld aus, Herr Köster?
Köster: Auch da vermisse ich die Möglichkeit, strategisch handeln zu können. Im Moment läuft es eher so: Ab und zu regnet es Geld von oben, der Bund oder das Land schnüren große finanzielle Pakete, um die Qualität von Schule zu verbessern. Doch anstatt das Geld nach pädagogischen Gesichtspunkten auszugeben, finanzieren die Kommunen ihre ureigendsten Trägeraufgaben damit. So wurden mit Mitteln aus dem Paket „Gute Schule 2020“, das die damalige Landesregierung aufgelegt hatte, keine Tablets oder andere Lernmittel angeschafft, sondern Toiletten saniert und Dachböden gedämmt. Das wäre anders gelaufen, wenn wir Schulen bei der Verwendung der Mittel mitreden dürften.
Frau Wolfer, Hamburg hat die innere und äußere Schulträgerschaft in der Behörde konzentriert, Herr Köster wünscht sich Entscheidungsrechte für die Schulen beim Personal und bei den Investitionen. Wer braucht dazwischen eigentlich noch die Kommunen?
Wolfer: Ich bin auch für ein stärkere Verknüpfung der Trägerschaft und für möglichst viel Autonomie für die Schulen. Ich hielte es aber für falsch, alles in den Landesbehörden zusammenzufassen. In einem Stadtstaat wie Hamburg mag das gehen, in einem Flächenland wie Thüringen müssten wir es eigentlich genau andersherum handhaben. Aus dem Grund hatten wir bei uns in Jena ja über zehn Jahre unseren Schulversuch.
Holger Köster ist Lehrer für Mathematik und Physik und leitet seit 2017 das Gymnasium Olpe. Vorher war er bereits fünf Jahre lang stellvertretender Schulleiter. Die Schule mit ihren knapp 900 Schülern liegt im ländlichen, aber wirtschaftsstarken Südwestfalen und ist seit zwei Jahren als Internationale Schule für das International Baccalaureat Diploma Programm zertifiziert.
Was genau haben Sie ausprobiert?
Wolfer: In Jena befinden sich unsere Brennpunkte in den klassischen DDR-Plattenbauvierteln. Während die Schülerzahlen Anfang der Zehnerjahre überall in der Stadt stiegen, befanden sich die Schulen in den Plattenbauvierteln in der Krise – obwohl wir doch gerade dort gute Schulen brauchten. Wenn die Schulen gut sind, ziehen sie auch Schüler aus anderen Gegenden an, und die sozialen Milieus mischen sich wieder. Der Schulversuch hat uns erlaubt, drei Schulleitern, die sich auf den Weg machen wollten, besonders viel Bewegungsspielraum zu geben. Sie durften sich wie kleine Unternehmen
selbst ihre Lehrkräfte aussuchen, die zu ihrem pädagogischen Profil passten, ohne dabei ferngesteuert zu sein über das staatliche Schulamt oder das Landesministerium. Weil es damals noch mehr Lehrer in Thüringen gab als Stellen, klappte das wunderbar. Die Schulen konnten sich entwickeln, sich personell vernetzen mit der städtischen Jugendhilfe, den Freizeitzentren, dem Stadtteilbüro. Was es ihnen möglich machte, ganze Familien in den Lernprozess einzubinden. Leider erlauben die Regeln der Kultusministerkonferenz für Schulversuche nur die Maximaldauer von zehn Jahren, und das Bildungsministerium schien an einer Fortführung in anderer Form nicht interessiert zu sein.
Weil alle festhängen an den bekannten Zuständigkeiten, und keiner der vielen Köche etwas abgeben will?
Wolfer: Da ist sicher was dran. Unser System ist sehr starr. Vielleicht liegt das auch an unserem Beamtenwesen. Wenn wir Schule und Bildung wirklich neu denken wollten, müssten wir aber alle zu Änderungen bereit sein. Doch dafür müssten wir die Schulen zunächst stärken, indem wir sie mit zwei Leitungen ausstatten: einer pädagogischen und einer kaufmännischen. Die kaufmännische wäre dann für das Management von Personal und Budgets zuständig und würde auch die Beantragung zusätzlicher Mittel und Programme übernehmen. Natürlich nur bis zu einer sinnvollen und zumutbaren Grenze.
Wo wäre für Sie diese Grenze erreicht, Herr Köster? Wenn plötzlich jemand von Ihnen verlangen würde, selbst einen Neubau für Ihre Schule zu organisieren?
Köster: Dafür bräuchten wir natürlich Experten und Unterstützung, aber über deren Beauftragung könnten wir sehr wohl als Schule entscheiden. Wichtiger als die Zahl der Köche ist, dass wir uns auf ein gemeinsames Rezept einigen. Die entscheidende Frage lautet: Was muss Schule leisten, und wie versetzen wir sie in die Lage, das erreichen zu können? Statt einer klaren Richtung sehen wir aber ein Hin und Her. Nur ein Beispiel: Vor 15 Jahren war G8 die Innovation schlechthin. Doch wenig später geriet die Reform politisch in Verruf und wurde auch bei uns in NRW wieder gekippt. Dabei wissen wir aus der Schulforschung, dass es zehn, 20 Jahre braucht, bis eine grundlegende Veränderung greift. Ich habe aber noch eine Frage an Herrn Schulz. Wenn bei Ihnen in Hamburg die Schulleiter so viele zusätzliche Aufgaben haben, was tun Sie dann für deren Ausbildung?
Schulz: Wenn gute Schulleitungen die Motoren für die Schulentwicklung sind, dann brauchen sie erst mal die richtigen Typen, die Verantwortung übernehmen wollen und, ganz wichtig, auch einen Plan für ihre Schule haben. In einem ersten Schritt bieten wir allen, die Spaß und Interesse an Leitungsaufgaben haben, freiwillige Seminare an, wo sie sich klar werden können über das, was Führung in Schule bedeutet. Wer dann sagt: "Das kann und das will ich" und sich auf eine Schulleiterstelle bewirbt, der muss verpflichtend eine Anfangsqualifizierung durchlaufen, gefolgt von regelmäßigen Fortbildungen. Jetzt kommt ein dickes Aber.
Welches Aber?
Schulz: Keine noch so sinnvolle doppelte Schulleitung und keine noch so umfangreiche Schulleiterqualifikation werden dazu führen, dass wir in Deutschland die Zahl der Köche verringern können. Wenn eine Schule selbst entscheiden möchte, welche Lehrer sie einstellt oder wo der Anbau hinkommt, dann sollte sie das tun. Das ändert aber nichts daran, dass es auf Landesebene einen bestimmten Betrag für Schulbauten gibt, dessen Verwendung zentral geplant werden muss – abhängig vom Zustand der Gebäude, von der sozialen Lage der Stadtteile und der Entwicklung der Schülerzahlen. Apropos Schülerzahlen: Wenn die steigen, brauchen Sie auch eine übergreifende Strategie. Gibt es genügend Studien- und Referendariatsplätze? All das soll und muss weiter beim Land liegen. Und damit eine Schule zu günstigen Konditionen Strom erhält und Handwerker kommen, wenn etwas kaputtgeht, braucht es auch künftig die Kommunen, alles Andere wäre ineffektiv. Übrigens, weil immer wieder die Rufe kommen, nur der Bund könnte für das angeblich fehlende gemeinsame Rezept sorgen: Ich glaube nicht, dass irgendwas besser wäre, wenn in Berlin jemand säße, der dafür zuständig wäre, in der Schule von Herrn Köster das Licht anzumachen.
Köster: Es wäre aber schon sinnvoll, wenn es für ganz Deutschland Rahmenvorgaben gäbe, etwa zur Ausstattung von Schülern mit digitalen Geräten. Oder zu der Frage, was Bildung die Eltern eigentlich kosten darf. Beim Thema Lehrmittelfreiheit gilt von Bundesland zu Bundesland Unterschiedliches, teilweise sogar von Regierungsbezirk zu Regierungsbezirk. Und wie ist das mit der zweiten Fremdsprache? Wie ist die Inklusion geregelt? Wenn ich von NRW nach Hamburg ziehe, habe ich auch wieder das G8-G9-Problem. Vereinheitlichung würde uns da schon weiterbringen.
Schulz: Wir sollten jetzt aber auch nicht so tun, als würde das totale föderale Durcheinander herrschen. Wir haben bundesweit geltende Bildungsstandards; wir haben vergleichbare Stundentafeln, wir haben die Regeln und Inhalte der Abiturprüfungen angeglichen. Mich nervt die Kultusministerkonferenz auch oft, weil sie sich zu langsam bewegt. Die entscheidende Frage aber muss doch lauten: An welcher Stellen sind bundesweite Regelungen überhaupt sinnvoll, und an welchen Stellen würden wir damit den Spielraum in den Schulen einschränken – von dem wir ja alle finden, dass er wichtig und sinnvoll ist.
Frau Wolfer, Sie haben vorhin die Aachener Erklärung von 2007 erwähnt. Was macht Sie optimistisch, dass nach all den Jahren der darin geforderte Aufbruch noch gelingen kann?
Wolfer: Weil Not erfinderisch macht und die Not in unserem Schulsystem erst jetzt groß genug zu sein scheint. Durch den Lehrermangel sind viele Quereinsteiger in die Schulen gekommen, überall einstehen kleine Inselchen, Schulen, die sich auf den Weg machen: Richtung Eigenverantortung, Richtung Multiprofessionalität in einem neuen Miteinander von Lehrkräften, Schulsozialarbeitern und anderen Berufsgruppen. Ich habe die Wende mitgemacht und weiß, dass es immer wieder Zeitfenster für Veränderungen gibt. Meist gerade dann, wenn alles besonders schwierig scheint. Und solche Veränderungen gehen immer von unten aus.
Das Gespräch erschien zuerst im Magazin sonar der Deutschen Telekom Stiftung.
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Bund und Länder haben sich auf einen Kompromiss zur Wissenschaftsfinanzierung in den 20er Jahren verständigt. Die Details sind deutlich besser als erwartet – mit einer Ausnahme. Erschienen im WIARDA-BLOG am 03. Mai 2019.
BUND UND LÄNDER haben sich geeinigt: Die drei Pakte, die Wissenschaft und Hochschulen in den 20er Jahren prägen werden, stehen. Der Durchbruch gelang gestern in der nächtlichen Kaminrunde in der Landesvertretung von Rheinland-Pfalz. Die offizielle Sitzung der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz heute Vormittag dauerte dann nicht einmal mehr eine Stunde, bis alles unter Dach und Fach war.
Die wichtigste Botschaft: Sowohl Bund als auch Länder waren bereit, mehr Geld in die Hand zu nehmen als zunächst geplant. Dadurch erhalten Hochschulen und Forschungseinrichtungen Planungssicherheit über einen Zeitraum, der seines gleichen sucht: Wir reden von den Leitplanken der Wissenschaftsfinanzierung bis 2030, und das im Vorfeld eines beginnenden Konjunkturabschwungs. Natürlich gibt es auch echte Wermutstropfen, aber insgesamt ist das Paket bemerkenswert.
Seit 25 Jahren beschäftigte ich mich mit Hochschulen, Bildung und Wissenschaft. Viel ist passiert in dieser Zeit, vieles davon durfte ich als Journalist begleiten. Der Blick zurück zeigt, wie aktuell einige meiner Themen von einst geblieben sind – obwohl sich fast alles verändert hat. Machmal allerdings auch, weil sich fast gar nichts verändert hat. Der 23. Teil einer Serie. Einen Überblick über die gesamte Serie "Blick zurück" finden Sie hier.
Der Kompromiss im Detail
o Beim "Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken" (dem Hochschulpakt-Nachfolgeprogramm) zahlen Bund und Länder von 2021 an jeweils 1,88 Milliarden Euro. Es gibt zwar keine jährliche Dynamisierung, aber dafür 2024 ein einmaliges kräftiges Plus: Dann steigt die Bundesfinanzierung um 170 Millionen auf 2,05 Milliarden Euro, in gleicher Höhe kofinanziert von den Ländern. 2027, auch das war den Ländern wichtig, wird in jedem Fall über die nächste Stufe einer finanziellen und inhaltlichen Anpassung verhandelt. Apropos inhaltlich: Bei der Verteilung der Paktgelder gelten die von den Ländern eingebrachten Parameter Studienanfänger (20 Prozent), Studierende in der Regelstudienzeit plus zwei Semester (60 Prozent) und Absolventen (20 Prozent). Auch kommt die von den Ländern gewollte Übergangsregelung zwischen altem und neuem Pakt, und zwischen 2021 und 2027 erhalten die Stadtstaaten eine Pauschale von 40 Millionen Euro, von der sie allerdings 2021 und 2022 den ostdeutschen Ländern und dem Saarland etwas abgeben müssen. Der Großteil der Pauschale geht nach Berlin, ab 2023 kommt die Hauptstadt auf 30 der 40 Millionen.
Das Hochschulpakt-Geld wird insgesamt ohne Vorabzug ausgezahlt, das vom Bund zwischenzeitlich favorisierte "Bonusprogramm", über den ein Teil der Mittel zunächst zurückbehalten werden sollte, entfällt. Genau wie der vom Bund vorgeschlagene Parameter "unbefristetes wissenschaftliches Personal", doch soll das Ziel, mehr Dauerpersonal zu schaffen, unter anderem in den Selbstverpflichtungen verankert werden, die jedes Land einzeln und in Absprache mit dem Bund und den anderen Ländern formuliert. Diese Verpflichtungserklärungen werden von der GWK dann öffentlich gemacht – womit die Länder sich an ihren eigenen Zielen messen lassen müssen. Was man auch ruhig nochmal sagen sollte (auch wenn es schon so im Koalitionsvertrag stand): Mit dem Zukunftsvertrag hat der Bund sich dauerhaft für die Hochschulfinanzierung committed, der Pakt ist nicht befristet, man kann das als Einstieg des Bundes in die Grundfinanzierung sehen.
o Der Pakt für Forschung und Innovation wird nicht gekürzt. Es bleibt beim 3-prozentigen Aufwuchs für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), und im Vergleich zu bislang wird der sogar noch langfristiger festgeschrieben: bis 2030. Die Länder steigen wie vom Bund gefordert wieder in die Finanzierung des Zuwachses ein, und zwar den bis 2015 geltenden Schlüsseln folgend. Von 2024 an müssen die Länder dann auch beim sogenannten Sockel, also der bisherigen Finanzierung, wieder auf die alten Finanzierungsschlüssel erhöhen, in sieben Jahresschritten bis 2030. Insgesamt ist die im GroKo-Koalitionsvertrag verlangte Anpassung damit auf zehn Jahre gestreckt worden. Die DFG-Programmpauschale wurde von 2021 an in ihrer bisherigen Höhe von 22 Prozent der Kosten für fünf Jahre verlängert.
Inhaltlich gibt es beim PFI erstaunlich wenig Veränderungen. Hier fehlte der Politik bislang der Mut zu mehr. Immerhin gibt es zum ersten Mal spezielle Zielvereinbarungen mit jeder einzelnen Forschungsorganisation, in der passend zur Institution und ihrer Rolle im Wissenschaftssystem eigene Umsetzungen definiert werden. Bund und Länder verlangen zudem von den Organisationen ein "wissenschaftsadäquates Controlling", Helmholtz, DFG & Co sollen der GWK künftig "regelmäßig die Erreichung der Ziele nachvollziehbar und anhand aussagekräftiger Indikatoren darlegen". Das klingt zumindest entschiedener als die bisherigen Paktberichte. Ob und wie der sogenannte Strategieraum kommt, ist noch offen: Der Bund wollte einen bestimmten Betrag aus dem PFI für gemeinsame Projekte und organisationsübergreifende Initiativen reservieren, an dem Ziel hält er offenbar fest, hat die Finanzierung nun aber schon unabhängig davon zugesichert.
o Während Zukunftsvertrag und PFI größer ausfallen als zwischenzeitlich gedacht, musste der Qualitätspakt Lehre (künftiger Name: "Innovation in der Hochschullehre") wie befürchtet Federn lassen. Sein Gesamtvolumen wird auf 150 Millionen Euro pro Jahr abgesenkt. Von 2021 bis 2023 zahlt der Bund den Gesamtbetrag, von 2024 an übernehmen die Länder 40 von den 150 Millionen. Das gesparte Geld dient der Ausfinanzierung der beiden anderen Pakte. Die neue "Organisationseinheit", die die eigene, unabhängige Stimme für die Lehre sein soll, wie der Wissenschaftsrat sie empfohlen hat, kommt mit einer starken Stellung des Bundes in der Governance: Keine Förderbekanntmachung, keine Haushalts- oder Strukturentscheidung soll ohne seine Zustimmung fallen können, während ein Ja von mindestens neun Ländern reicht.
Was bedeutet das alles?
Finanziell ist der Kompromiss geradezu erstaunlich. Bund und Länder haben jeweils mit einer entscheidenden Selbsttäuschung Schluss gemacht. Bis zuletzt schien es so, als habe Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) einen unverrückbaren Budgetdeckel erhalten. Alles sah nach einem empfindlichen Sparprogramm aus. Doch offenbar haben Karliczeks Appelle vom Wochenende gefruchtet, zudem liefen hinter den Kulissen in den vergangenen Tagen unermüdliche Gespräche zwischen Bund und Ländern, zwischen Finanz- und Wissenschaftsseite. Auch zwischen SPD-Bundestagsfraktion und Finanzminister Scholz liefen offenbar die Drähte nochmal heiß. Und Karliczek und Scholz haben den Schulterschluss hinbekommen.
Auch sonst berichten die Wissenschaftsminister übereinstimmend, dass ausgerechnet die Anwesenheit der Finanzminister schon bei den gestrigen Länder-Vorbesprechungen und beim Kaminabend sich wider Erwarten extrem positiv ausgewirkt habe. "Wir wussten, woran wir waren, und wir hatten eine sichere Verhandlungsgrundlage", sagt ein Beteiligter. Gelobt wurde speziell der Staatssekretär von Bundesfinanzminister Scholz, Werner Gatzer, der sich sehr offen und konstruktiv gezeigt habe.
Auch wenn Karliczek sich inhaltlich weit auf die Länder zubewegen musste, politisch ist der Paktabschluss ein wichtiger Erfolg für sie, weil sie bewiesen hat, dass sie in der Lage ist, mehr Geld für die Wissenschaft zu erstreiten. Ihre lange kompromisslose Verhandlungsstrategie bei der Hochschulpakt-Dynamisierung und den PFI-Finanzierungsschlüsseln wurde ihr bislang als Schwäche ausgelegt, nun hat unter anderem eben diese Haltung die Länderfinanzminister dazu bewegt, auch noch einmal merklich zuzuschießen. Wobei die Überzeugungsarbeit, die die Landeswissenschaftsminister in letzter Minute bei ihren Finanz-Kollegen geleistet haben, sicher nicht weniger wichtig war.
Und obgleich die Länder keine echte Dynamisierung beim Hochschulpakt erhalten: 170 Millionen mehr in 2024 bedeuten einen Zuwachs von gut neun Prozent, womit das Niveau 2024 vergleichbar dem sein wird, was ein jährliches Drei-Prozent-Plus bis zu diesem Zeitpunkt gebracht hatte. Das Minimalziel, um den Hochschulpakt nicht durch die Inflation entwerten zu lassen, wurde damit erreicht. Die Verabredung, 2027 auf jeden Fall über einen weiteren Anpassungsschritt zu verhandeln, ist ebenfalls ein wichtiges Signal, aber natürlich liegt dieser Zeitpunkt spät und bleibt von seinen konkreten Folgen her unbestimmt.
Enttäuschung beim Qualitätspakt
Beim Pakt für Forschung und Innovation ist vor allem die Länge der Planungssicherheit begrüßenswert. Auch dass die Anpassung an die alten Finanzierungsschlüssel nicht wie zwischenzeitlich erwogen mit einer Absenkung des jährlichen Zuwachses erkauft wurde, ist gut. Wichtig wird nun allerdings sein, dass die Forschungsorganisationen im Gegenzug wirklich noch genauer Rechenschaft ablegen über das Geleistete, dass das neue Instrument der Zielvereinbarungen hier hilft und darüber hinaus das Ziel des sogenannten "Strategieraums" nicht aus dem Blick gerät.
Die Wissenschaftspolitik hat in einem schwierigen Umfeld geliefert, das ist die Schlussfolgerung aus der heutigen Entscheidung. Bund und Länder können zusammenarbeiten, wenn es darauf ankommt. Auch die Wissenschafts- und Finanzminister sind nicht immer die Antipoden, als die sie in der Öffentlichkeit gelegentlich rüberkommen. Natürlich ist das nicht der größte Wurf aller Zeiten, aber im Vergleich zu dem, was zu erwarten war, ist es ein starkes Paket geworden.
Wirklich ärgerlich allerdings ist, dass wie befürchtet die Neuauflage des Qualitätspakts Lehre zugunsten der anderen Pakte gekürzt wurde. Einzig positiv, dass es "nur" 50 Millionen Euro weniger geworden sind, eine Zeitlang wurde ein noch größeres Minus diskutiert. Zwar verweist das BMBF darauf, dass ja ein Teil der bisherigen Aufgaben des Paktes im Zukunftsvertrag weitergeführt würden. Trotzdem bleibt es ein ernüchterndes Signal, dass die Themen Innovation, Vernetzung und Exzellenz in der Lehre offenbar die schwächste Lobby hatten. Aus der Kürzung erwächst für Bund und Länder nun die Verantwortung, die QPL-Neuauflage wenigstens inhaltlich konsequent umzusetzen.
Was vor allem bedeutet: Die neue eigene Institution für die Lehre muss, obgleich sie formal nicht unabhängig ist, so viel Freiraum bekommen wie nur möglich. Sie muss wirklich in die Lage versetzt werden, ein Impulsgeber für die gute Lehre zu werden. Die Wettbewerbsverfahren müssen wissenschaftsgeleitet und frei von Proporz ablaufen. Auf keinen Fall darf aus der neuen "Organisationseinheit" ein Selbstbedienungsladen der Länder werden. Nach der heutigen Finanzierungsentscheidung erscheint es wichtig, genau dies noch einmal zu betonen.
Erste Statements und Reaktionen
Nach der Entscheidung beeilen sich alle Beteiligten, ihre Statements und Wertungen unter die Leute zu bekommen. Als besonders flott erwies sich die SPD-Bundestagsfraktion. Deren bildungspolitischer Sprecher Oliver Kaczmarek verkündete schon um kurz nach 13 Uhr per Pressemitteilung, die GWK haben "einen Durchbruch für die Wissenschaftsfinanzierung im kommenden Jahrzehnt erreicht". Kaczmarek fügte hinzu: "Trotz des Widerstands von Bundesministerin Anja Karliczek und der Unionsfraktion hat es sich ausgezahlt, dass die SPD hart geblieben ist bei der entscheidenden Frage des Mittelaufwuchses für die Finanzierung der Hochschulen." Wieder einmal sei es Bundesfinanzminister Olaf Scholz gewesen, der mit zusätzlichen Finanzmitteln den Weg frei gemacht habe.
Ministerin Karliczek beurteilte ihre Rolle in dem Geschehen naturgemäß anders. Nur ein paar Minuten nach Kaczmarek lobte sie den "Qualitätsschub für Wissenschaft und Forschung" und betonte die "intensiven Verhandlungen mit den Ländern", nach denen "wir uns als Bund... mit den Ländern auf ein gemeinsames Paket zu allen drei Pakten geeinigt haben". Karliczek bezifferte auch erstmals den finanziellen Rahmen der drei Pakte und sprach von "über 160 Milliarden Euro" in den kommenden zehn Jahren. Die außeruniversitären Forschungseinrichtungen, betonte Karliczek, müssten "die Kommunikation und der Transfer von Forschungsergebnissen in Wirtschaft und Gesellschaft" weiter verbessern. "Dies ist Inhalt der Zielvereinbarungen."
Die Bremer Wissenschaftssenatorin und derzeitige GWK-Vorsitzende, Eva Quante-Brandt (SPD), sagte, durch die dauerhafte Finanzierung des Zukunftsvertrags erhielten die Hochschulen langfristige finanzielle Planungssicherheit. "Sie wird es ihnen ermöglichen, die unbefristete Beschäftigung von wissenschaftlichem und künstlerischem Personal auszuweiten und gezielt in Qualitätsverbesserungen zu investieren."
Karliczek ergänzte: "Mit dem Vertrag verbinden der Bund und die Länder die Erwartung, dass die Hochschulen nun mehr unbefristete Beschäftigungsverhältnisse schaffen, um dem akademischen Nachwuchs größere Sicherheit zu geben. Dies wird auch die Lehre und die Studienbedingungen für alle Studierenden weiter verbessern."
Schleswig-Holsteins Wissenschaftsministerin Karin Prien (CDU) sagte: "Unser föderales Bildungssystem schafft den großen Wurf im kooperativen Miteinander." Bayerns Wissenschaftsminister Bernd Sibler (CSU), der zugleich die unionsregierten Länder koordiniert, sprach sogar vom "Anfang einer neuen Ära für Wissenschaft und Forschung in Deutschland". Das "zähe Ringen um eine zukunftsfähige Lösung und um eine intensive Beteiligung des Bundes" habe sich gelohnt, sagte Sibler und lobte gleich noch sich selbst: Das Verhandlungsergebnis könne man auch "auf seine Koordinierungsleistung in den vergangenen Monaten zurückführen".
Ebenfalls selbst auf die Schulter klopften sich die beteiligten Finanzminister. Der Hamburger Finanzsenator Andreas Dressel (SPD), der zusammen mit seinen Kollegen aus Schleswig-Holstein und Hessen gestern und heute die Länderfinanzseite in den Verhandlungen vertreten hatte, nannte das Ergebnis "eine finanzpolitisch richtige und wichtige Zukunftsinvestition in diesen zentralen Prioritätsbereich von Bund und Ländern. Gleichwohl sind wir finanziell an die absoluten Grenzen dessen gegangen, was in einer Zeit, in der die finanziellen Spielräume kleiner und nicht größer werden, noch vertretbar ist."
Stefan Kaufmann, CDU-Bildungsexperte im Bundestag, sagte, die drei Prozent Zuwachs für die Forschungsorganisationen seien im internationalen Vergleich "keine Selbstverständlichkeit". Kaufmann kündigte an, seine Fraktion werde "die weitere Ausgestaltung und Umsetzung der Pakte sehr genau und konstruktiv begleiten und darauf achten, dass die Qualitätskriterien eingehalten werden". Die heutigen Beschlüsse, betonte Kaufmann, werde die Wissenschaft voranbringen.
Baden-Württembergs grüne Wissenschaftsministerin Theresia Bauer betonte, mit den drei neuen Pakten werde auch mehr Transparenz, Verbindlichkeit und insbesondere Nachvollziehbarkeit hergestellt. "Die Öffentlichkeit soll wissen, welche Ziele erreicht werden sollen und wie dies geschehen soll, auch wie die Mittel verteilt werden und was damit passiert."
Die Opposition im Bundestag sprach von einer gemischten Bilanz. Kai Gehring, Sprecher für Forschung Wissenschaft und Hochschule der Grünen Bundestagsfraktion, sagte: "Angesichts der sturen Haltung der Bundesregierung in den letzten Wochen ist die Last-Minute-Einigung zwischen Bund und Ländern ein Sieg der Vernunft". Während Ministerin Karliczek zulasse, dass Minister Scholz ihr nach zwei Jahrzehnten Aufwuchs den Etat erstmals kürze, hätten die Länder "durch ihr Entgegenkommen dazu beigetragen, dass die gesamtstaatliche Wissenschaftsfinanzierung keinen Schaden nimmt".
Noch kritischer äußerte sich der FDP-Bildungsexperte Jens Brandenburg: "Bund und Länder haben sich in föderalen Verteilungsfragen verhakt und dabei das entscheidende Ziel der Lehrqualität aus den Augen verloren. Der faule Kompromiss erleichtert die Landesfinanzminister, nützt den einzelnen Studierenden aber wenig." Brandenburg sagte, er vermisse "gezielte Investitionen in Betreuungsverhältnisse und innovative Lehrangebote", stattdessen setzten die Minister weiter auf die Studierendenzahl. "Der große Wurf für eine bessere Hochschullehre bleibt leider aus."
Der Studierendenverband fzs bemängelte, dass der Bund auf einen eigenen Parameter für "unbefristete wissenschaftliche Beschäftigung" verzichtet habe. Das sei "hochproblematisch", sagte Vorstandsmitglied Isabel Schön. Der fzs kritisierte zudem die Kürzung beim Qualitätspakt Lehre und verlangte eine "entscheidende Mitsprache" für die Hochschuldidaktik, die Lehrenden und Studierenden in der neuen Institution für Hochschullehre.
DFG-Präsident Peter Strohschneider dankte unterdessen der Politik für die "unerlässliche Planungssicherheit" über einen nun sogar noch längeren Zeitraum – und zwar Planungssicherheit "für die Finanzierung vieler tausend hochkarätiger Forschungsprojekte und der in ihnen Beschäftigten". Alle Beteiligten hätten Einzelinteressen zurückgestellt und damit dieses Ergebnis ermöglicht.
Peter-André Alt, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) dankte speziell Anja Karliczek in seine Pressemitteilung. "Der Bundesministerin gilt der Dank dafür, dass der Bund dauerhaft in die Finanzierung der Hochschullehre einsteigt. Das ist ein bedeutsamer Schritt, auf den wir seit der Neufassung des Artikels 91b Grundgesetz vor über vier Jahren gedrängt haben."
Die Vorsitzende des Wissenschaftsrates, Martina Brockmeier, sagte: "Ich freue mich besonders darüber, dass beide Seiten bereit sind, ihre Mittel für die Hochschulbildung künftig zu steigern. Sie berücksichtigen damit auch eine Empfehlung des Wissenschaftsrats." Während die Fortsetzung des PFI auf gleichem Niveau Planungssicherheit für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen bedeute, seien die Kürzungen beim Qualitätspakt-Nachfolger "bedauerlich. Aus Sicht des Wissenschaftsrats ist es aber auch eine gute Nachricht, dass die Hochschullehre durch eine Organisation nun mehr Gewicht erhalten wird."
Am 6. Juni sollen nun die Ministerpräsidenten und die Bundeskanzlerin das Paktpaket beschließen.
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Wissenschaftsministerin Petra Olschowski über den Gang der ETH Zürich nach Deutschland, den Umbau der Lehrerbildung, die Zukunft der Kultusministerkonferenz – und die Frage, ob Baden-Württemberg das neue Ruhrgebiet ist.
Petra Olschowski (Grüne) war 2010 bis 2016 Rektorin der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart und 2016 bis 2022 Staatssekretärin. Seit September 2022 ist sie baden-württembergische Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst. Foto: Lena Lux Fotografie & Bildjournalismus.
Frau Olschowski, die ETH Zürich hat neulich verkündet, dass sie eine Filiale in Baden-Württemberg eröffnen wird – in Heilbronn, als Nachbarin der TU München. Auch für Sie eine Überraschung?
Die Dieter-Schwarz-Stiftung, die den Bildungscampus Heilbronn stark mit vorantreibt, kann ohne Rücksprache mit dem Land Entscheidungen treffen, hat uns aber einige Tage vor der Bekanntgabe der Pläne informiert. Nach unserem Landeshochschulrecht muss das Wissenschaftsministerium der Ansiedlung zustimmen. Das prüfen wir jetzt. Grundsätzlich ist es erst mal ein starkes Zeichen für den Wissenschaftsstandort Baden-Württemberg, wenn es eine international herausragende Universität wie die ETH Zürich hierherzieht und sie ein Lehr- und Forschungszentrum für digitale Transformation errichten will. Das starke Netzwerk in der KI-Forschung, das wir im Land auch mit dem Cyber Valley aufbauen, wird dadurch noch stärker.
Sind Sie nicht enttäuscht, dass die ETH lieber dem Ruf von Milliardär Dieter Schwarz folgt, anstatt für ihren Deutschland-Trip einen der Innovationscampi auszusuchen, von denen Ihr Ministerium inzwischen fünf mit staatlichen Mitteln fördert, darunter das Cyber Valley in Tübingen?
Die ETH Zürich ist schon lange ein wichtiger Partner für das Cyber Valley, in das wir seit 2016 als Land investieren. Das Konzept vom Bildungscampus Heilbronn und unserer Innovationscampus-Modelle folgen der sehr ähnlichen Idee einer Verdichtung von Expertise, der Idee des möglichst frühen Transfers von Forschungserkenntnissen in die Wirtschaft. Im Cyber Valley sind das neben den Universitäten Stuttgart und Tübingen die Max-Planck-Gesellschaft und Unternehmen wie Amazon, Daimler oder Bosch. Dass die Dieter-Schwarz-Stiftung den Kooperationspartner ETH jetzt über die Grenze holt, eröffnet natürlich nochmal zusätzliche Perspektiven für die Zusammenarbeit.
"Ich kenne mich gut aus mit der Geschichte des Strukturwandels im Ruhrgebiet."
Fest steht: Baden-Württemberg braucht solche Nachrichten dringend. Das einst erfolgsverwöhnte Vorzeigeland steckt mit seiner Automobilindustrie in einer ähnlich tiefen Strukturkrise wie das Ruhrgebiet mit seiner Kohle- und Stahlindustrie in den 60er Jahren.
Ich kenne mich gut aus mit der Geschichte des Strukturwandels im Ruhrgebiet. Meine Mutter kommt aus Dortmund, mein Opa hat untertage gearbeitet. Ich erinnere mich an die Debatten am Abendbrottisch, wie mein Opa und seine Kollegen weiter auf die Kohle gesetzt haben, obwohl längst absehbar war, dass es so nicht weitergeht. Schau ich mir die Situation heute in Baden-Württemberg an, gibt es Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Erstens: Wir werden uns eben nicht von der Automobilindustrie lösen müssen, wie Nordrhein-Westfalen sich von der Kohle lösen musste. Zweitens: Viele Dinge werden sich trotzdem grundsätzlich ändern. Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat schon 2017 einen Strategiedialog zur Transformation der Automobilindustrie eingerichtet, bei dem die Chefs der großen Auto- und Zulieferkonzerne regelmäßig zusammensitzen mit Gewerkschaften, Lobbygruppen, aber auch mit der Wissenschaft, mit den Landesministerien. Alle Beteiligten eint: Wir bleiben ein starker Automobilstandort, aber unsere Geschäftsmodelle wandeln sich, die Antriebsformen werden andere, der Schwerpunkt der Wertschöpfung verschiebt sich vermutlich Richtung Hochtechnologie.
Namentlich: die Künstliche Intelligenz in all ihren Ausprägungen. Tatsächlich hat Baden-Württemberg mit Aleph Alpha aus Heidelberg jetzt sogar einen von nur zwei europäischen Hoffnungsträgern, um ChatGPT Parolie zu bieten. Wiederum seit kurzem größter Geldgeber: die Schwarz-Gruppe und die Dieter-Schwarz-Stiftung. Deutschland war es dann auch, das neben Frankreich am meisten Druck gemacht hat, um eine Regulierung sogenannter Foundation Models im europäischen KI-Gesetz zu verhindern. Auf Initiative Baden-Württembergs?
Es trifft zu, dass wir uns als baden-württembergische Landesregierung dafür eingesetzt haben, bei dem Gesetzgebungsverfahren die Interessen von Innovation und Forschung zu berücksichtigen. Wir müssen ein europäisches KI-Modell hinbekommen, das nicht alle Freiheiten lässt, das die Möglichkeiten von Überwachung etwa am Arbeitsplatz in den Blick nimmt, zugleich aber nicht den Weg der Überregulierung geht. Wir reden die ganze Zeit darüber, dass wir als Gesellschaft risikofreudiger werden müssen. Dann sollten wir auch danach handeln. Wir wissen heute nicht, wie der wissenschaftliche Fortschritt in fünf oder in zehn Jahren aussieht. Darum dürfen wir jetzt nicht alle technologischen Entwicklungspfade blockieren. Wir müssen in Zukunft vermutlich lernen, unsere Gesetzgebung den Erkenntnissen entsprechend laufend anzupassen und nicht zu meinen, ein Gesetz gilt für Jahrzehnte. Und wir sollten im Zweifel die Innovationskraft von Wissenschaft und Wirtschaft zulassen. Das gilt bei der KI, aber auch bei der grünen Gentechnik und anderswo.
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Ob Industrie, Mobilität, Ernährung, Gesundheit: Überall, wo der Strukturwandel in Gang kommt, wo Deutschland sich neu erfinden muss, soll immer die Forschung es richten. Die Hoffnungen sind gewaltig. Sehen Sie nicht die Gefahr, dass Politik Wissenschaft nur noch instrumentell begreift? Als Mittel zum Zweck?
Wir müssen uns ehrlich machen. Es gab eine Zeit, da hat sich die Wissenschaft zu wenig den Erwartungen und den Bedürfnissen der Gesellschaft gestellt. Das ist vorbei. Unsere Wissenschaftslandschaft verändert sich und damit die Forschungsförderung, die wir betreiben. Alle wissen: Wir werden den Wandel in der Gesellschaft ohne neue Technologie nicht hinbekommen. Aber natürlich nicht nur über Technologie. Wir müssen genauso über soziale Innovationen reden, womit auch und gerade die Geistes- und Sozialwissenschaften gefragt sind. Es wird jedenfalls deutlich schwieriger einfach zu sagen: Das geht mich alles nichts an, mir ist egal, wie es der Gesellschaft geht und was sie braucht. Das ist aber nur die eine Seite. Die andere ist: Wir wissen genau, dass es die freie Grundlagenforschung gerade um der Anwendung von morgen und übermorgen willen braucht. Sie ist die Basis aller wissenschaftlichen Erkenntnis, sie gehört grundlegend geschützt und unterstützt. Und sie wird es auch.
Dieser Paradigmenwechsel, den Sie beschreiben, ist besonders für die Grünen heftig. Wenn Sie etwa Spielraum und Experimentierlust auch in der grünen Gentechnik fordern, tun Sie das im Einklang mit Ihrer Parteifreundin, Hamburgs grüner Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank, aber konträr zu langjährigen Überzeugungen des grünen Mainstreams.
Die grünen Wissenschaftsministerinnen und Wissenschaftspolitiker waren sich in der Hinsicht immer weitestgehend einig, das umfasst auch unsere scheidende hessische Kollegin Angela Dorn. Aber natürlich gibt es die andere Seite, Parteifreundinnen und -freunde, die ihren Fokus stärker auf der Biolandwirtschaft haben. Es ist gut, dass wir beide Strömungen in der Partei haben. Wir Grünen waren und sind eine Partei, die viele Themen der Gesellschaft in Tiefe und Breite offen ausdiskutiert. Das ist in erster Linie eine Stärke, aber manchmal auch eine Schwäche.
"Darüber zu sprechen, ist mit diesem BMBF im Moment leider nicht so einfach möglich."
In Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) hatten Sie immer eine Verbündete, was den Schutz von KI oder grüner Gentechnik vor einer aus ihrer Sicht zu starken Regulierung anging. Doch bei vielen Themen in der Bildungs-, Wissenschafts- und Innovationspolitik knirscht es zurzeit zwischen Bund und Ländern. Woran liegt das?
Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Bei der geplanten Deutschen Agentur für Transfer und Innovation (DATI) erfahren wir kaum etwas zum Stand, zur Konzeption und zur Ausstattung. Vielleicht wird die DATI am Ende hilfreich sein, vielleicht wird sie ein Erfolg. Aber als Länder bleiben wir außen vor. Wir haben Vertrauen in die gebildete Gründungskommission, außerdem bin ich erfreut, dass das BMBF offenbar innovative Themen setzen und neue Formate ausprobieren will. Die Länder hätten allerdings auch Expertise bei der Frage zu bieten, wie die Agentur noch besser bzw. wie die Anschlussfähigkeit an bestehende Länderprogramme sichergestellt werden könnte. Nur: Darüber zu sprechen, ist mit diesem BMBF im Moment leider nicht so einfach möglich.
Aber warum ist das so?
Ich würde lieber darüber sprechen, wie wir das ändern. Bei den Verhandlungen um die Fortsetzung des Programms zur HAW-Forschungsförderung hatten wir zwischendurch auch sehr schwierige Phasen. Es hätte schneller und vertrauensvoller gehen können, wir haben miteinander gerungen, aber am Ende sind wir zu einem Ergebnis gekommen. Das könnte, das sollte doch jetzt unser gegenseitiges Vertrauen in unsere Kooperationsfähigkeit stärken – bis zu dem Punkt, dass der Bund unseren Wunsch, als Länder früher und besser mit ihm ins Gespräch zu kommen, ernst nimmt. Dass man im BMBF ein Gefühl dafür entwickelt, dass wir nicht nur die Schreckgestalten des Föderalismus sind, sondern Partner, die am Ende das gleiche Interesse haben: die Wissenschaft in Deutschland stark zu machen.
Wobei die Länder sich mitunter selbst schon genug Probleme bereiten. Die Wissenschaftsminister waren so frustriert über ihre Rolle in der Kultusministerkonferenz (KMK), dass sie jetzt ihre eigene Wissenschaftsministerkonferenz bekommen sollen. Droht die Scheidung von den Bildungsministern?
Ich hoffe nicht. Bis Sommer werden wir prüfen, was das richtige Format für die Wissenschaft sein wird: innerhalb oder außerhalb der KMK. Ich plädiere sehr dafür, dass wir die Verknüpfung erhalten, aber anders gestalten als bislang, denn so, wie es war, hat es wirklich nicht funktioniert. Dafür sind die Dynamiken und Schwerpunktsetzungen zwischen Bildungs- und Wissenschaftspolitik doch zu unterschiedlich. Umgekehrt gibt es viele Themen, bei denen wir eng verbunden sind. Bei der anstehenden Reform der Lehrerbildung, aber auch bei der Frage, wie das Abitur künftig die Verbindung zwischen Schule und Hochschule darstellen kann.
"Manchmal hatte ich eher den Eindruck, dass unter den Kultusministerinnen und Kultusministern einige sind, die die Wissenschaft ganz aus der KMK verabschieden wollten."
Bayerns Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU) rief schon mal eine "Revolution statt Evolution" aus.
Es mag zutreffen, dass Karin Prien…
…Schleswig-Holsteins CDU-Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur…
…und ich eher zu denen gehören, die die Einrichtung einer eigenen Wissenschaftsministerkonferenz schmerzt. Bei Karin Prien schon deshalb, weil sie Bildung und Wissenschaft in ihrem Ressort vereint. Bei mir, weil ich zwar als Kulturministerin durchaus die Vorteile sehe, seit die Kulturminister ihre eigene Kulturministerkonferenz haben. Weil ich zugleich aber ungute Loslösungserscheinungen bemerke, obwohl sich die Kulturministerkonferenz sogar unter dem Dach der KMK befindet. Wir sind Wissenschaftsministerium, wir sind aber auch Hochschulministerium und haben damit auch die Bildung im Haus. Deshalb bin ich dafür, dass die neue Konferenz zumindest ebenfalls Teil der KMK wird. Übrigens sieht auch Markus Blume den Wert starker Verbindungen zu den Kultusministern. Manchmal hatte ich eher den Eindruck, dass unter den Kultusministerinnen und Kultusministern einige sind, die die Wissenschaft am liebsten ganz aus der KMK verabschieden wollten.
Wie stellen Sie sich den Neuanfang praktisch vor?
Es ist zu früh, das zu sagen. Aber sicherlich würde es Sinn ergeben, die Sitzungen einer Wissenschaftsministerkonferenz an die Termine der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) von Bund und Ländern anzubinden, denn dann treffen wir uns ohnehin schon. Und die Termine mit dem Wissenschaftsrat müssen wir außerdem koordinieren. Was allein schon zeigt: Mehr Gremien haben nicht automatisch einen Mehrwert an sich.
Zumal Sie die Reform der Lehrerbildung eben schon ansprachen. Da werden Sie ohnehin wieder alle zusammensitzen müssen, wenn es keinen Wildwuchs geben soll. Die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) hat die Länder gerade dringend zu einer föderalen Stimmigkeit und Systematik bei der Neugestaltung aufgerufen.
Mein erster Eindruck ist, das Gutachten der SWK bestätigt in vielen Teilen die Richtung, die wir in Baden-Württemberg bereits eingeschlagen haben. Es gibt allerdings einige Punkte, bei denen wir anderer Meinung sind.
"Den Ein-Fach-Lehrer in einigen Hauptfächern ermöglichen."
Sie meinen: das duale Lehramtsstudium, das Baden-Württemberg und andere Länder pushen, das die SWK-Experten aber ablehnen.
Zum Beispiel. Wobei man sich genau anschauen sollte, was mit dualem Studium gemeint ist. Wenn das Gutachten etwa empfiehlt, das Referendariat zu kürzen und die Praxisanteile in den Master zu packen, entspricht das genau dem, was wir unter der Überschrift "duales Studium" planen. Die Sorge der SWK besteht vor allem darin, dass die Wissenschaftlichkeit des Studiums leidet, das muss aber nicht der Fall sein, wenn man die Praxiselemente vernünftig einarbeitet. Noch wichtiger sind die Themen, bei denen sich das Gutachten deckt mit dem, was wir Länder, übrigens schon jetzt recht einheitlich, vorhaben. Beispiel Ein-Fach-Lehrer: Dass es diesen in bestimmten Mangelfächern geben muss, dafür gibt es nach meiner Einschätzung in der KMK eine Mehrheit. Und trotzdem wird ein Flächenland wie Baden-Württemberg, in dem es auch kleine Grundschulen auf dem Land gibt mit nur 15 Schülern in der Klasse, teilweise andere Lösungen entwickeln müssen als ein Stadtstaat wie Hamburg.
Beim Ein-Fach-Lehrer, sagen Sie, herrsche weitgehend Konsens zwischen den Ländern. Tatsächlich? Es macht einen großen Unterschied, ob man das Modell nur für Mangelfächer etablieren will, als Notmaßnahme gegen den akuten Lehrkräftemangel – oder es durch die Bank einführt als dauerhafte strukturelle Neuordnung der Lehrerbildung.
Im Moment liegt der Fokus sehr stark auf der Mathematik, weil dort der Mangel am stärksten und der Reformbedarf zugleich besonders groß ist in einem Studium, das als extrem anspruchsvoll und angstbehaftet gilt. Wir sehen zudem, dass internationale Bewerberinnen und Bewerber nicht an Schulen arbeiten können, weil ihnen das zweite Fach fehlt. Ein entscheidender Punkt könnte sein, ob wir von Haupt- oder Nebenfächern sprechen. Das hielte ich für eine sinnvolle Unterscheidung: den Ein-Fach-Lehrer in einigen Hauptfächern ermöglichen und, wenn er sich über den akuten Lehrkräftemangel hinaus bewährt, auf weitere Fächer ausweiten.
Die SWK empfiehlt, den Absolventen der Ein-Fach-Studiengänge die berufsbegleitende, aber nicht weniger wissenschaftsbasierte Fortbildung zum zweiten Fach zu ermöglichen. Reicht das? Muss es nicht eine Verpflichtung geben? Die würde schließlich auch die Länder binden, genügend Kapazitäten dafür zur Verfügung zu stellen.
Ich wäre dafür. Möglicherweise ist es keine erstrebenswerte Perspektive, als Lehrerin oder Lehrer über Jahrzehnte hinweg immer nur Mathematik zu unterrichten. Hinzu kommt, dass die Weiterbildung im Lehrerberuf trotz aller Bemühungen nie die Bedeutung bekommen hat, die ihr zusteht. Viele Lehrkräfte beklagen seit langem, dass sie sich nicht richtig in ihrem Schulalltag weiterentwickeln können. Es wäre eine wunderbare Folge der Ein-Fach-Lehrer-Debatte, wenn wir neue, hochwertige Weiterbildungsoptionen für alle eröffnen könnten.
"Darum plädiere ich dafür, dass wir jetzt erstmal aus den Studiengebühren aussteigen und offen bleiben für weitere Entwicklungen."
Einen Alleingang ist Baden-Württemberg vor Jahren bei Studiengebühren für Nicht-EU-Studierende gegangen. Im vergangenen Frühsommer sprachen sich die Regierungsfraktionen von Grünen und CDU dann für die Abschaffung aus, auch der unabhängige Monitoring-Beirat empfahl diese. Wie geht es weiter?
Die Entscheidung wird Teil der Haushaltsberatungen 2024. Die Zahlen, die wir zuletzt wieder vorgelegt bekamen, sprechen allerdings für sich. Die Diskrepanz zwischen dem Angebot an akademischen Fachkräften und dem Bedarf, den wir in Baden-Württemberg bis 2040 haben, ist so groß, dass sie die Transformation, von der wir eingangs sprachen, erschwert. Darum ist es mein oberstes Interesse, eine möglichst große Zahl hochqualifizierter Studierender an unseren Hochschulen zu haben. Erfreulicherweise kommen auch zu uns wieder mehr internationale Studienanfänger, aber im Vergleich der Bundesländer sind wir zurückgefallen. Wir haben unsere Exzellenzuniversitäten, wir haben wunderschöne Orte zum Studieren von Heidelberg über Konstanz am Bodensee bis nach Freiburg und Tübingen, da bleibt nur ein Grund übrig, der die Entwicklung erklärt: die Studiengebühren. Das ergeben diverse Umfragen: Für Studieninteressierte aus dem Ausland sind die Studiengebühren neben der Visavergabe und anderen Barrieren die eine Hürde zu viel, um zu uns zu kommen.
Sagen Sie – während die TU München zum Wintersemester 2024/25 selbstbewusst Studiengebühren für internationale Studierende aus sogenannten Drittstaaten einführt, die sogar deutlich höher liegen.
Natürlich schauen wir uns das bayerische Modell an, das die Entscheidung über die Einführung den einzelnen Hochschulen überlässt. Was das mit der Dynamik der bayerischen Hochschullandschaft macht, wenn ein Hochschulstandort immer mehr zusätzliche Mittel generiert, während andere abfallen, wird man sehen. Umgekehrt stimmt ja, dass die deutschen Universitäten im internationalen Wettbewerb mit den USA, Kanada oder Großbritannien auch von ihrer Ausstattung her attraktiv sein müssen, und die kostet. In Bayern können die Hochschulen das Geld, das sie durch die Gebühren einnehmen, behalten. Bei uns fließen sie zum großen Teil in den Topf der Hochschulfinanzierung – verteilen sich also gleichmäßig auf alle Standorte. Die TUM kann sich bei der Betreuung ihrer internationalen Studierenden in Zukunft Dinge leisten, für die an anderen Hochschulen die Mittel einfach nicht reichen.
Sie glauben also, für die TU München könnte es sich lohnen, und die internationalen Studierenden kommen weiterhin?
Das werden wir sehen und sicher auch für uns prüfen. Auch in Baden-Württemberg gibt es mit Standorten wie Heidelberg international attraktive Orte, auch aufgrund ihrer Geschichte. Gleichzeitig brauchen wir internationale Studierende aber vielleicht gerade an den Standorten, die in den MINT-Fächern stark sind, wo die Städte aber vielleicht nicht so bekannt sind. Das könnte ein Spannungsfeld sein. Darum plädiere ich dafür, dass wir jetzt erstmal in Baden-Württemberg aus den Studiengebühren aussteigen und offen bleiben für weitere Entwicklungen.
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