Im Jahre 1887 wurde der Klassiker der Gemeinschaftsforschung erstmals veröffentlicht: Ferdinand Tönnies' Frühwerk "Gemeinschaft und Gesellschaft". In diesem Buch legte Tönnies eine Bestimmung der beiden Begriffe "Gemeinschaft" und "Gesellschaft" vor, die sich seiner These zufolge in strikter Opposition befinden. Es handelt sich um eine binäre Unterscheidung, deren beide Seiten sich anhand bestimmter, sich wechselseitig ausschließender Merkmale identifizieren und dadurch differenzieren sollten. Der Text von Tönnies ist inzwischen 120 Jahre alt und aus diesem Grund lassen sich Terminologie und Konzeption von "Gemeinschaft und Gesellschaft" nach Meinung des Autors nicht mehr ohne Weiteres anwenden. Es gibt jedoch Möglichkeiten, den Text durch behutsame Eingriffe in das Unterscheidungswerk von Tönnies zu reaktualisieren. So wäre zu überlegen, die ursprüngliche Unterscheidung von Gemeinschaft und Gesellschaft dadurch zu modifizieren, dass die vermeintliche Positivität "Gesellschaft", deren schlichte Entgegensetzung zu "Gemeinschaft" für einen Großteil der Probleme verantwortlich ist, durch die Negativität "Nicht-Gemeinschaft" ausgetauscht wird. Dieser methodische Eingriff bietet zwei Vorteile: Erstens ergibt sich erst dadurch eine echte Binarität, die außerdem zu einem Kontinuum umfunktioniert werden kann, und zweitens wird der Begriff der Gesellschaft bewahrt, der dadurch nicht mehr in Opposition zu "Gemeinschaft", sondern als Einheit der Unterscheidung von Gemeinschaft und Nicht-Gemeinschaft verstanden werden kann. (ICI2)
Der Beitrag beschäftigt sich mit (post-)moderner Kapitalismustheorie unter Rückgriff auf Marx. Anhand des Problems der Zeit und Zeitlichkeit des Kapitalismus wird in einem ersten Schritt die Marxsche Kapitalismustheorie einer Re- und Gegenlektüre unterzogen. Deren tragende These ist, dass Marx' Theorie eine ambivalente, in Teilen widersprüchliche Argumentationsstruktur aufweist, die nicht nur zwischen Substanz- und Relationsdenken, System- und Subjektfundierung, totalitäts- und evolutionstheoretischem Ansatz, logisch-geschlossener und kontingenter Praxis, mithin Geschichtsphilosophie und Entwicklungstheorie sozialer Praxis changiert, sondern die Rekonstruktion, eines Erklärungszusammenhangs gestattet, der die Zeitlosigkeit des Kapitalismus zu begründen vermag. Die widersprüchlichen Deutungsmöglichkeiten werden in einem zweiten Schritt der Analyse anhand zweier einflussreicher kapitalismustheoretischer Vorschläge in der Postmoderne- /Poststrukturalismusdebatte, den Ansätzen von Jean Baudrillard und Ernesto Laclau, exemplarisch unterzogen. Der dritte Schritt bezieht aktuelle zeitsoziologische und kapitalismustheoretische Positionen in die Analyse ein und diskutiert die Zeit(lichkeit)en des gegenwärtigen Kapitalismus in fünf Thesen. (ICB2)
Der Essay besteht aus zwei Teilen: Zunächst werden drei folgenreiche Konjunkturen der Moderne unterschieden, die in verschiedenen historischen Situationen entstanden sind und sich jeweils auf einen spezifischen Gegenstandsbereich erstrecken, und zwar auf das Politische im 18. Jahrhundert, das Soziale im 19. Jahrhundert und das Ästhetische um 1900. Ein Grund dafür, dass sich gerade die Sozialwissenschaften so schwer damit tun, von der Moderne loszulassen, liegt in deren Verstrickung mit klassischen Traditionen des 19. Jahrhunderts, die das Soziale als eine mehr oder minder geschlossene und in sich hoch differenzierte ("moderne") Gesellschaft von mehr oder minder strategischen, intentionalen ("modernen") Akteuren konzipieren. Im Lichte postmarxistischer und poststrukturalistischer Tendenzen der Sozial- und Kulturtheorie werden im zweiten Teil daher Umrisse einer makrosoziologischen Theorie des Sozialen gezeichnet, die die binäre Repräsentationslogik der großen Erzählung der Moderne mit ihren impliziten Universalismen auf den Prüfstand stellt. (ICB2)
Der Autor geht in seinem Beitrag der Frage nach, welche Rolle die Religion in Rousseaus politischer Philosophie spielt. Seine genealogische Untersuchung des Begriffs des volonté générale bringt dessen ursprünglich theologischen Charakter zum Vorschein. Der Beitrag fragt nach den Konsequenzen, die sich aus dieser religiösen Grundierung für das Verständnis von Rousseaus Staatstheorie ergeben. Zunächst erfolgen Überlegungen zum Stellenwert des Theologischen bei Rousseau. Anschließend skizziert der Beitrag die ideengeschichtliche Transformation des volonté générale und geht auf die Schlussfolgerungen ein: Was die Geschichte des politischen Willensbegriff deutlich macht, ist, dass nicht von einer restlosen Säkularisierung gesprochen werden kann. Prädikate, wie sie Rousseau dem Gemeinwillen zugedacht hat - Unfehlbarkeit, Unzerstörbarkeit, Absolutheit - sind Anteile des theologischen Erbes. Göttliche Allmachtsvorstellungen gelangen auf diese Weise, mit einem "Endlichkeitsüberschuss" belastet, in die innerweltliche Politik, die sich daraufhin mit dem Anspruch, absolut und unfehlbar zu sein, auseinandersetzen muss. (ICB2)
Der Beitrag zum Themenfeld Arbeit und Konsum setzt sich zunächst mit einigen klassischen (Verfalls-) Diagnosen zur Frage nach der Entwicklung von Arbeits- und/ oder Konsumgesellschaft auseinander. Anschließend schlägt der Autor eine neue Interpretation vor, wonach Arbeitsgesellschaft, Konsumgesellschaft und Demokratie in einen übergreifenden Gestaltwandel einbezogen sind, der auf strukturelle Verunsicherungen und experimentelle Prozesse gesellschaftlicher Neuordnung hindeutet, die nicht zuletzt Chancen für den Übergang zu einer Verbraucher- und Wirtschaftsdemokratie offenbaren. Das theoretische Modell des Demokratischen Experimentalismus, das der Autor für die Analyse dieses Gestaltwandels empfiehlt, darf aber die Schwierigkeiten nicht verstellen, die insbesondere daraus erwachsen, dass es die Wirtschaftsdemokratie weiterhin mit einer Gesellschaft zu tun hat, deren ökonomische Grundordnung kapitalistisch organisiert ist. (ICB2)
Im Mittelpunkt des Beitrags steht Immanuel Kants Rezeption von Jean-Jacques Rousseau mit dem Fokus auf dem Verhältnis von Ideal und Utopie in den Überlegungen zur Republik. Die Autorin zeigt in ihrem Beitrag, dass sich Kant durchaus zu Recht auf die Gedanken Rousseaus bezieht, um die Fundamente seiner eigenen Staatstheorie zu legen. Dennoch nimmt Kant entscheidende Weichenstellungen vor, die der Republik ihren utopischen Charakter nehmen und sie in ein regulatives Ideal umwandeln. Zunächst betrachtet die Autorin in ihrem Beitrag die Konstruktion von Staatlichkeit in den Philosophien von Kant und Rousseau (Naturzustand und Vertragsschließung, Volkssouveränität und Repräsentation, Bürgerlichkeit und Republik). Anschließend zeigt die Autorin dann Kants Auseinandersetzung mit Rousseau anhand seiner Überlegungen zu Ideal und Utopie. (ICB2)
Der Autor skizziert in seinem Beitrag Überlegungen zum Zustand von Demokratie, Wirtschaft und Gesellschaft und stellt dabei sein Konzept der Postdemokratie vor. Zunächst erfolgen Anmerkungen zum Begriff der Postdemokratie und zum Neoliberalismus. Der Autor beschreibt, anhand welcher Evidenzen er die Entwicklung zur Postdemokratie ausmacht. Skizziert werden in dem Beitrag die Entwicklung immer größerer wirtschaftlicher Ungleichheiten und die verschiedenen parallel laufenden Entwicklungen, die nicht auf ein "Ende der Geschichte" verweisen. Als perfektes Beispiel für Postdemokratie wendet sich der Autor abschließend der Europäischen Union zu. Hier stehen die Finanz- und Wirtschaftskrise Italiens und Griechenlands im Mittelpunkt der Betrachtung. (ICA2)
Der Beitrag widmet sich aus diskursanalytischer Perspektive dem Begriff der Religion innerhalb der Soziologie. Ausgangspunkt der Überlegungen bildet die Frage, ob ein genuin soziologischer Religionsbegriff überhaupt gefunden werden kann, oder ob alle, also auch soziologische Definitionsversuche, letztlich auf philosophische, anthropologische, theologische und vor allem religiöse (christliche) Begriffsfassungen zurückgreifen müssen, um das Religiöse bestimmen zu können. Zunächst wird in dem Beitrag mit Hilfe einer Genealogie des religionssoziologischen Diskurses wichtige Thematisierungsformen der Religion durch die Soziologie identifiziert. Dabei wird vor allem der nachhaltige diskursive Bruch, der sich in der Fassung des Religionsbegriffs in den 1960er Jahren in der Soziologie ereignet hat, in seinen Konsequenzen für das gegenwärtige Religionsverständnis der Soziologie diskutiert. In diesem Zusammenhang wird auch kurz auf klassische Positionen des Religionsverständnisses (Durkheim, Weber) eingegangen. Nachdem der Wandel im Religionsverständnis der 1960er Jahre nachgezeichnet wurde, skizziert der Beitrag die Konsequenzen dieser diskursanalytischen Studie für die Fassung eines soziologischen Religionsbegriffs. (ICB2)
Der Beitrag beschäftigt sich mit einigen methodischen Problemen einer transkulturellen Politischen Theorie. Der Beitrag rekapituliert zunächst, welches die heuristischen Orientierungen der transkulturellen Politischen Theorie sind. Im Zuge dessen wird deutlich, das erst die Unterbestimmtheit des Kulturbegriffs die Entwicklung der verschiedenen heuristischen Perspektiven ermöglicht. Es handelt sich dabei um drei heterogene und zugleich komplementäre Ansätze, die als dialogisch-kosmopolitisch, analytisch-komparativ und transkulturell-rekonstruktiv bezeichnet werden können. Weiterhin geht es um die Frage, wo diese Perspektiven im Teilbereich der Politischen Theorie und der Politikwissenschaft insgesamt anschlussfähig sind. Anschließend wird der Begriff der Kultur als fundamentaler Reflexionsbegriff analysiert sowie einige Probleme und alternative Begriffe diskutiert. (ICB2)
Der Beitrag wirft einen Blick auf den demokratischen Staat bei Raymond Aron. Arons Demokratietheorie ist ein Versuch, mittels der Ratio die Irrationalität in der Politik soweit wie nur möglich einzuschränken. Er richtet seine schärfsten Attacken gegen die dunklen totalitären Kräfte, die die liberale Demokratie in ihren Fundamenten bedrohen. Seine Typologie der demokratischen Staatsformen dient dem Zweck, zwischen einem vertretbaren und einem gefährlichen Verständnis von Demokratie zu unterscheiden. Zugleich sind Arons Betrachtungen zu den Kennzeichen der liberalen Demokratie sowie zu den Prinzipien der Freiheit und der Gleichheit durch eine höchst differenzierte, bisweilen aber auch betrübte Sichtweise gekennzeichnet. Der Beitrag geht zunächst auf die Typologie der demokratischen Staatsformen bei Aron ein und widmet sich anschließend den Kennzeichen pluralistisch-konstitutionellen Demokratien. Des Weiteren setzt sich der Beitrag mit dem Verständnis von Freiheit und Gleichheit bei Aron auseinander und wendet sich schließlich der Kritik und Instabilität der pluralistisch-konstitutionellen Demokratien zu, mit der sich Raymond Aron beschäftigt hat. (ICB2)
Der Autor beschreibt zunächst die klassischen Ausführungen über Bürgerleitbilder von Kant und den französischen Jakobinern. Er untersucht dann, on die Theorie politischer Bildung den historischen Ambivalenzen gerecht wird. In den heutigen politikdidaktischen Kontexten lassen sich zwei konträre normative Auffassungen vom Bürger unterscheiden: Die erste spannt im Kontext von europäischer Integration und Globalisierung neue Horizonte auf, in denen Heranwachsende das Interesse an der Gestaltung der Welt entwickeln können, und formuliert in Anlehnung an Kant und Boloch ein offenes Weltbild, in dem die Frage nach Erneuerbarkeit der politisch-ökonomischen Verhältnisse erwünscht ist. Die zweite Perspektive auf Bürgerschaft blendet diese Frage weitgehend aus und sieht den Hauptzweck politischer Bildung darin, im Rahmen bestehender Ordnung Politikverdrossenheit entgegenzuarbeiten. Jeder Versuch eines verbindlichen, geschlossenen Bürgerleitbildes muss scheitern. Eine Didaktik der Mündigkeit kann nur dann formuliert werden, wenn die Kategorie des Bürgers als problematisch und umkämpfte kenntlich wird. (ICB)
Der Verfasser beschäftigt sich mit Impulsen der Diskurs- und Hegemonietheorie für raumtheoretische Fragen. Es setzt sich kritisch mit der Debatte um den Raumbegriff bei Ernesto Laclau, Doreen Massey und David Howarth auseinander und entwickelt alternativ und aufbauend sowohl auf der Diskurs- und Hegemonietheorie als auch der raumtheoretischen Debatte in der Humangeographie eine dezidiert politische Konzeption von Räumen. Laclau versteht Raum als Gegensatz von Politik und damit als Stasis auf der ontologischen Ebene. Diesem Begriff setzt der Verfasser Masseys Raumkonzeption entgegen, die als ontisches sozialwissenschaftliches Konzept die Umkämpftheit von sozialer Ordnung und ihren Manifestationen in konkreten Räumen in den Blick nimmt. Der Verfasser plädiert dafür, nicht jedwede Strukturbildung als "Raum" zu beschreiben, sondern nur jene Artikulationen als Konstitution von Räumen zu fassen, die symbolisch oder materiell "hier/dort-Unterscheidungen" herstellen. Anhand der umkämpften diskursiven Konstitution der Pariser Banlieus sowie von "edit wars" im GeoWeb 2.0 zeigt er, welchen Beitrag eine diskurs- und hegemonietheoretisch inspirierte Konzeption politischer Räume für aktuelle Debatten in der Humangeografie leisten kann. (ICE2)
Der Beitrag setzt sich mit Begriff und Konzept der Postdemokratie und ihrer Tauglichkeit für die soziologische Analyse auseinander. Die zentrale These, die der Beitrag dabei entwickelt, lautet: Die sich bisher abzeichnende postdemokratische Konstellation wird von den bisher gängigen Analysen mit ihrem "schwachen" Begriffen der Postdemokratie nur sehr unzureichend erfasst. Ein soziologisch starker Begriff der Postdemokratie ist erforderlich, der über die etablierten Konzeptualisierungsansätze deutlich hinausreicht. Der Autor konkretisiert zunächst in seinem Beitrag das Unbehagen an den bisher gängigen Verwendungsweisen des Begriffs und an der gegenwärtigen Postdemokratiedebatte (2). Im nächsten Schritt wird dann die Hypothese einer Emanzipation zweiter Ordnung entfaltet (3) sowie der Gedanke, dass das demokratische Projekt sich aus der Perspektive moderner Individuen in entscheidenden Hinsichten gewissermaßen erschöpft haben könnte (4). Dem steht allerdings eine gleichzeitige Radikalisierung demokratischer Selbstbestimmungsansprüche entgegen, die zu spezifisch post-demokratischen Paradoxa und Dilemmata führt (5). Die Kommunikations- und Handlungsstrategien, mit deren Hilfe diese charakteristischen Dilemmata der postdemokratischen Konstellation politisch handhabbar und gesellschaftlich erträglich gemacht werden, sind Thema des Abschlussteils. (ICA2)
"Das Theorem des Demokratischen Friedens berücksichtigt Gewaltkriminalität nicht. Dies geschieht insofern zu Recht, als Gewaltkriminalität zwar die Zivilisiertheit, aber nicht den Frieden in Frage stellt. Unterstellt man eine negative Friedensdefinition als Abwesenheit von Krieg, kann es Gewalt im Frieden selbst mit hohen Raten geben und zwar politischer, aber auch krimineller Natur. Gleichwohl ist Gewaltkriminalität für das Theorem des Demokratischen Friedens, insbesondere für das innerstaatlich bezogene Theorem des Civil Democratic Peace, interessant, weil es durch sie eine noch breitere Anwendungsdimension erhält und gestärkt wird: Denn werden - noch zu spezifizierende - Abweichungen von der bisherigen Konzeptualisierung des Theorems auf Seiten der unabhängigen Variablen (Typ des politischen Regimes) konzediert, dann kann jegliche physische Gewalt, Gewaltkriminalität genauso wie politische Gewalt, darunter Bürgerkrieg, jene inverse U-Kurve der Gewaltverteilung bestätigen, die die Theoretiker des Demokratischen Friedens für die Zeit nach dem Beginn und vor dem erfolgreichen Ende einer Transition zur Demokratie festgestellt haben (vgl. Spanger/Schesterinina in diesem Band). Die Forschung zum inneren Demokratischen Frieden hat insofern Fortschritte, nicht zuletzt was ihre Grundannahmen betrifft, gemacht, als sie erstens ihren Gewaltbegriff zwar nicht auf Gewaltkriminalität, aber immerhin über Krieg hinaus auf die gesamte politische Gewalt erweitert hat. Zweitens bezieht sie inzwischen systematisch die in der Grauzone zwischen Autokratie und Demokratie verorteten 'in-between-regimes', also Regime-Hybride (vgl. Zinecker 2009b: 302331), ein, und zwar als ein in der Regel konsolidiertes Ergebnis von 'stalled transitions' im Sinne von 'incomplete democratization', allerdings ohne die Ergebnisse der Grauzonen-Forschung tatsächlich zur Kenntnis zu nehmen (vgl. Zinecker 2005: 313-336). Drittens ergänzt sie mittlerweile das Set der unabhängigen Variablen für innergesellschaftliche Gewalt - politisches Regime und (In-)Stabilität politischer Institutionen - um die Variable einer wie auch immer definierten defizitären (etwa rentenabhängigen) wirtschaftlichen Entwicklung. Daran kann, wenn auch modifizierend, angeknüpft werden. In diesem Kapitel soll am Beispiel der Gewaltkriminalität in Zentralamerika gezeigt werden, dass das Theorem des Civil Democratic Peace auf Gewaltkriminalität erweiterbar ist, insofern eingeräumt wird, dass Gewaltkriminalität genauso konsolidiert sein kann wie die hybriden Regime-Ergebnisse einer 'stalled transition'. Das heißt, dass weder Regime-Hybridität noch mit ihr einhergehende Gewalt transitorisch ist und dass nicht Regime-Hybridität 'an sich' und auch nicht defizitäre wirtschaftliche Entwicklung 'an sich' und nicht einmal rentenabhängige defizitäre wirtschaftliche Entwicklung 'an sich', sondern nur ganz spezifische Varianten dieser beiden Variablen, und zwar in ihrer Kombination, hohe Gewaltkriminalität verursachen. Ob das im Folgenden vorzustellende Kausalmodell nicht nur auf Gewaltkriminalität, sondern auch auf über den Bürgerkrieg hinausgehende Gewalt schlechthin, und dies nicht nur auf Zentralamerika, sondern sogar universell anwendbar ist, bleibt zu überprüfen. Zentralamerika wurde hier als Fall (mit induktiver Funktion) gewählt, weil in keiner anderen Region der Welt die weltweit höchsten Homizidraten - der verlässlichste Indikator für physische Gewalt - so geballt, nämlich in drei von fünf Ländern der Region, auftreten und weil es als historisch-politisch relativ homogen gewachsene Region einen Vergleich gut kontrollieren lässt. Vergleichsmethodologisch wird entsprechend dem variablenorientierten qualitativen Vergleich nach Charles Ragin vorgegangen, der es ermöglicht, komplexe Kausalität, und zwar mehrerer unabhängiger Variablen bezogen auf mehrere Fälle, zu erfassen. Zugleich wird die Mill'sche vereinigte Methode der Übereinstimmung und des Unterschieds angewandt, insofern sie mit der kontrafaktischen Konditionalanalyse (vgl. Haussmann 1991: 30) korrespondiert. Letztlich wird von beiden Ansätzen postuliert, dass eine unabhängige Variable nicht nur in all den Fällen anwesend sein muss, in denen sie eine bestimmte abhängige Variable hervorrufen will, sondern zugleich in den Fällen abwesend sein muss, in denen dieselbe abhängige Variable nicht auftritt, damit sie kausale Geltung beanspruchen kann (vgl. auch Geddes 1990: 132). Ausgerüstet mit dieser Methode, wird im vorliegenden Kapitel keine Phänomenologie gegenwärtiger Gewalt angestrebt, sondern ausschließlich eine Kausalanalyse, und auch diese nur in ihren Grundzügen." (Textauszug)