Zeittafel der deutsch-chinesischen Beziehungen
In: China aktuell: journal of current Chinese affairs, Volume 28, Issue 7, p. 705-727
ISSN: 0341-6631
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In: China aktuell: journal of current Chinese affairs, Volume 28, Issue 7, p. 705-727
ISSN: 0341-6631
World Affairs Online
Blog: Rechtspopulismus
Die Fidesz-Partei hat seit ihrem Regierungsantritt im Jahr 2010 einen entscheidenden Einfluss auf die Richtung des Landes ausgeübt. Unter der Führung von Viktor Orbán hat sich die Partei zu einem Zentrum konservativer und nationalistischer Werte entwickelt. Ein besonders prägnantes Merkmal ihrer Regierungszeit ist der Umgang mit der LGBTQIA+-Bewegung in Ungarn. Obwohl Ungarn einst eines der liberalsten Länder in der Region war, Homosexualität bereits Anfang der Sechzigerjahre entkriminalisiert wurde und gleichgeschlechtliche Partnerschaften 1996 anerkannt wurden, drängt der rechtspopulistische Ministerpräsensident Orbán diese Freiheiten mit scharfen Gesetzen wieder zurück. Die Politik der Fidesz-Partei im LGBTQIA+- Bereich wirft grundlegende Fragen über die Natur der ungarischen Demokratie, den Schutz von Minderheitenrechten und die zukünftige Ausrichtung des Landes auf.Die Geschichte der LGBTQIA+ Bewegung in Ungarn ist geprägt von einem Kampf um Anerkennung und Gleichberechtigung. Trotz einiger Fortschritte in den frühen 2000er Jahren bleibt die gesellschaftliche Akzeptanz in vielen Teilen des Landes begrenzt. Dies ist besonders in ländlichen und konservativen Bereichen der Fall, wo traditionelle Werte tief verwurzelt sind. Die LGBTQIA+-Bewegung in Ungarn hat es mit einer gesellschaftlichen und politischen Umgebung zu tun, die oft feindlich gesinnt ist. Ihre Bemühungen um Gleichstellung sind in einem Land, das zunehmend von konservativen und nationalistischen Ideologien geprägt ist, auf erhebliche Hindernisse gestoßen. In diesem Kontext ist die Rolle der Fidesz-Partei von besonderer Bedeutung.Im Jahr 2021 wurde Minderjährigen beispielsweise verboten, über Queerness und Transgeschlechtlichkeit aufgeklärt zu werden. Seit März 2020 hat das ungarische Parlament nämlich mehrere Gesetze verabschiedet, die die Rechte von queeren und trans Personen einschränken. Zunächst wurde Transpersonen untersagt, ihr Geschlecht legal anzuerkennen (vgl. Darida 2021). Anschließend wurde ein weiteres Gesetz erlassen, das festlegt, dass der Vater ein Mann und die Mutter eine Frau ist, wodurch queeren und alleinstehenden Personen die Adoption von Kindern untersagt wird. Das 2021 verabschiedete Gesetz ist Teil eines Pakets, das Strafverschärfungen für sexualisierte Gewalt an Kindern vorsieht und zugleich die "Propagierung" von Homosexualität verbietet.Das geplante Gesetz beinhalte ein Verbot von Büchern, Filmen und anderen Inhalten, die Kindern und Jugendlichen zugänglich sind und nicht-heterosexuelle Sexualität darstellen. Zudem soll jede Werbung untersagt werden, in der Homosexuelle oder Transsexuelle als Teil der Normalität erscheinen (vgl. Felschen 2021). Die ungarische Regierungspartei Fidesz verbindet nämlich seit Jahren die Themen Homosexualität und Kinderschutz (vgl. Darida 2021). In Bezug auf ein Kinderbuch mit queeren Figuren äußerte Premierminister Viktor Orbán: "Lasst unsere Kinder in Ruhe." (vgl. Darida 2021).Aktivist*innen warnen davor, dass die neue Gesetzgebung in Ungarn queere und trans Personen gefährdet, insbesondere Jugendliche, die nicht cis und/oder hetero sind. Trotz tausender Proteste vor dem Parlament wurde der Gesetzesentwurf einen Tag später mit der Zustimmung von 157 von 199 Abgeordneten verabschiedet. Das Europäische Parlament hat dieses neue ungarische Gesetz zur Behandlung von Homosexualität und Transgender 2021 scharf kritisiert. Die Abgeordneten bezeichneten es als "klaren Verstoß" gegen die Werte, Grundsätze und Rechtsvorschriften der EU (vgl. Tschirner 2021).Wie ernst Orbán es mit diesem "Homophobiegesetz" meint, erkennt man an dem Vorfall Anfang November 2023, als der Direktor des Nationalmuseum entlassen wurde, weil er wegen LQBTI- Darstellungen in einer Ausstellung gegen das Kinderschutzgesetz verstoßen haben soll. Das Kultusministerium gab bekannt, dass Simon Gesetzwidrigkeiten in seinem Haus geduldet habe, weshalb er nicht länger im Amt bleiben könne. Der Auslöser für die Entlassung war eine Ausstellung der internationalen Stiftung World Press Photo im Nationalmuseum. Diese zeigte weltweit preisgekrönte Pressefotos, darunter Bilder von Bewohnern eines Altenheimes auf den Philippinen, in dem LGBTI-Menschen leben, einige davon in Frauenkleidern.Im April 2023 wollte die ungarische Regierung ein weiteres kontroverses neues Gesetz verabschieden, das es Bürgern ermöglicht hätte, anonym gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern bei den Behörden zu melden. Kabinettschef Gergely Gulyás argumentierte, dass die Regelung die EU-Hinweisgeberrichtlinie umsetzt, die Whistleblower schützen soll. Das Gesetz erlaube Meldungen "im öffentlichen Interesse" und "zum Schutz der ungarischen Lebensweise", insbesondere wenn die "verfassungsmäßige Rolle von Ehe und Familie" infrage gestellt wird (vgl. Peer 2023). Kritiker sehen darin eine Schikane, die sich vor allem gegen LGBTQ+-Personen richtet.Die Verfassung von 2019 beschränkt die Ehe auf Mann und Frau. Besorgte Bürger befürchteten, dass Kinder aus gleichgeschlechtlichen Familien durch die neue Meldemöglichkeit in Gefahr sein könnten. Áron Demeter von Amnesty International bezeichnet das Gesetz als "legalen Nonsens", der zu Selbstzensur und Angst in der LGBTQ-Gemeinschaft führt (vgl. Peer 2023). Die französische Europaministerin Laurence Boone kritisiert das Gesetz als nicht im Einklang mit europäischen Werten und als schlechtes politisches Signal. Die ungarische Staatspräsidentin Katalin Novak hat jedoch überraschend dieses umstrittene Gesetz abgelehnt, das die Rechte von LGBTIQ- Personen enorm einschränken wurde (vgl.. o.A. 2023).In der seit 2010 währenden Amtszeit des rechtspopulistischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán hat erstmals ein Staatsoberhaupt Einspruch gegen ein Gesetz erhoben, das für Orbáns konservative Ideologie von großer Bedeutung ist. "Das Veto der Präsidentin bedeutet, dass das Parlament das Gesetz neu verhandeln muss. Grundsätzlich kann es dieses aber auch in unveränderter Fassung neu beschließen, wogegen die Präsidentin keine Handhabe mehr hätte" (o.A. 2023).Diese Politik sorgt nicht nur innerhalb des Landes für Spannungen, sondern belastet auch Ungarns Beziehungen zu internationalen Partnern. Die Zukunft der LGBTQIA+-Rechte in Ungarn bleibt ungewiss und hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, einschließlich der Innenpolitik Ungarns, dem internationalen Druck und den sich verändernden gesellschaftlichen Einstellungen.Literatur:Darida, M. (2021): "Kinder sollten lernen, dass wir Menschen sind". In: Zeit-Online. Unter: https://www.zeit.de/zett/queeres-leben/2021-06/queere-menschen-ungarn-lgbtq-gesetz-viktor-orban-minderjaehrige (letzter Zugriff 18.01.2024)Felschen, C. (2021): Tausende Ungarn demonstrieren gegen Anti- LGBT- Gesetz. In: Zeit Online. Unter: https://www.zeit.de/politik/ausland/2021-06/ungarn-lgbtq-gesetz-minderjaehrige-verbot-proteste (letzter Zugriff 18.01.2024)o.A. (2023): Erstes Veto seit Orbans Machtantritt: Ungarns Präsientin Novak stoppt weiteres Anti- LQBTIQ- Gesetz". In: Tagesspiegel. Unter: https://www.tagesspiegel.de/internationales/erstes-veto-seit-orbans-machtantritt-ungarns-prasidentin-novak-stoppt-weiteres-anti-lgbtiq-gesetz-9705128.html (letzter Zugriff 18.01.2024)Peer, M. (2023): Regierung verteidigt neues LGBTQ- feindliches Gesetz. In: Zeit- Online. Unter: https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-04/ungarn-lgbtq-feindliches-gesetz-kritik-menschenrechtler(letzter Zugriff 18.01.2024)Tschirner, U. (2021): EU- Parlament verurteilt Ungarns LGBTG- Gesetz "auf das schärfste"". In: Zeit- Online. Unter: https://www.zeit.de/politik/ausland/2021-07/ungarn-homosexuellen-gesetz-verabschiedung-umstritten-kritik-eu (letzter Zugriff 18.01.2024)
Blog: DPI-Blog
Zu Besuch in Oberschlesien vor dem Haus meiner Tante 1995Vorab: Zum Teil 1Bildungsaufstieg durch Schule- und HochschuleDie Bedingungen, unter denen mein Vater aufwuchs, waren prekär. Der Weg zum beruflichen und späteren sozialen Aufstieg lag in der Bildung, der ihm seiner Aussage nach nur gelang, da er – durch dessen psychische Krankheit – keinen Vater hatte, der auf einer Berufsausbildung bestanden hätte, wie sonst in Oberschlesien üblich.Die Schule hatte für Kinder wie damals meinen Vater allein schon aufgrund ihres erzieherischen Beitrags eine äußerst wichtige Rolle gespielt:"Wir haben so gut wie kostenlos Mittagessen bekommen, uns überhaupt mal sattessen können. Sie hat zudem sehr viele Erziehungsaufgaben übernommen und Freizeitbeschäftigung angeboten."Durch sie gelang die sprachliche Sozialisation im Polnischen, denn zu Hause wurde Oberschlesisch und unter den Eltern mit Vorliebe klammheimlich Deutsch gesprochen. Deutsch als öffentliche Alltagssprache zu verwenden war nach 1945 und den deutschen Verbrechen an Polen nicht möglich – das hätte Nachteile und Repressionen bis hin zur Aussiedlung nach sich ziehen können."Wir hatten keine Ahnung und dachten ja, wir können schon Polnisch. Polnisch habe ich aber erst durch die polnische Schule gelernt. [...] Unser Oberschlesisch wurde fast schon verfolgt. […]Erst auf Polnisch habe ich gelernt, mich literarisch auszudrücken."Im Gymnasium bekam er dann sogar ein kleines Stipendium für Schüler:innen aus sozial schwachen Familien und half in der Bibliothek aus. Dort wurden die Trennlinien zwischen den Autochthonen und den Zugezogenen v. a. im Geschichtsunterricht sichtbar, als ein großer Teil der Ansässigen für ihre Väter und Onkel in der Wehrmacht[1] gehänselt wurde:"Alle Kinder, die zugezogen waren, konnten in der Schule mit Eltern in der [bürgerlichen] Heimatarmee oder [kommunistischen] Volksarmee glänzen – und wir Oberschlesier nicht. Uns war es unangenehm, da die meisten unserer Eltern [auf der deutschen Seite] quasi gegen ihre Familien kämpften. Man hat in der Schule natürlich versucht, diese Grenzen zu verwischen – das ist sogar nicht schlecht gelungen. Ich hatte später viele polnische Freunde und wir waren richtig eng miteinander."Der Traum zu fliegen, mündet in der MigrationMein Vater merkte bald, dass ihm Oberschlesien wenig Attraktives bot:"Ich wollte da weg, von dem Dreck – jede Woche Fensterputzen – und von dieser schrecklichen Armut... Diese ganzen industriellen Berufe – vor denen habe ich mich gefürchtet."Nach dem Abitur machte er zunächst zwar eine bodenständige Fachausbildung in der Gastronomie, interessierte sich jedoch vor allem für Flugzeuge und Fliegerei. Er versuchte, an der polnischen Militärpiloten-Akademie in der Nähe von Warschau aufgenommen zu werden. Die Aufnahmeanforderungen waren aber sehr anspruchsvoll, so dass er wie die meisten abgelehnt wurde. Beim Militärdienst verfolgte mein Vater einen realistischeren Plan, er wollte das neuartige Touristikmanagement-Studium in Poznań aufnehmen, was ihm auch gelang. Heimlich plante er dann die Ausreise nach England zu seinem dort nach dem Krieg gebliebenen Onkel, bekam aber letztlich kein Besuchsvisum – sein Wunsch, aus Polen zu flüchten, war zu offensichtlich.Mein Vater an einem Flugplatz in Südwestdeutschland, 2019.Das Leben hatte anderes mit ihm vor, wie das Kennenlernen seiner künftigen Frau und meiner Mutter. Als einer der Jahrgangsbesten seines Studiengangs wurde er von der Präsenzpflicht der Hochschule freigestellt, profitierte von einer verkürzten Wartezeit auf eine staatliche Wohnung und konnte nebenbei arbeiten, um den dafür benötigten finanziellen Eigenbeitrag zu verdienen. Zum Ende des Studiums ergab sich für ihn die Gelegenheit, in einer Ost-Berliner Glashütte zu jobben, um seiner jungen Familie – in der Zeit war ich nämlich geboren worden – einen besseren Start zu ermöglichen. Für die Reise in den "DDR-Bruderstaat" brauchte man keinen Pass, sondern es genügte ein polnisches Ausweisdokument.Die Unzufriedenheit mit der schwierigen wirtschaftlichen Situation in Volkspolen, die als ungerecht empfundenen Verhältnisse sowie sicher daneben der Vergleich mit bereits in den Westen ausgereisten Aussiedler:innen im Familien- und Freundeskreis brachten ihn schließlich dazu, die in der Bundesrepublik vielen eingeräumte Möglichkeit der Aussiedlung nach Deutschland wahrzunehmen. Ganze Zwei Drittel der aus Polen eingewanderten ca. 1,5 Mio. Aussiedlerinnen und Aussiedler in die Bundesrepublik von 1950 bis heute kamen wohl aus Oberschlesien.[2]"Man kann sich später fragen: Wozu bist Du in den Westen gefahren, wenn der Westen zu Dir kam? Doch der Systemwechsel und diese ganzen positiven Veränderungen in Oberschlesien, sie waren damals nicht vorhersehbar. […]Selbst ich als Leiter einer großen Ferienerholungsanlage musste bei den Bauern in der Gegend um Kartoffeln betteln. Das schlug aufs Gemüt. So was wollte ich meinen Kindern ersparen."In der Bundesrepublik Deutschland haben meine Eltern dann leider einige desillusionierende Erfahrungen gemacht. Allen voran wurden ihre Studienabschlüsse nicht anerkannt, was eine adäquate Integration erheblich erschwerte. Sie haben außerdem nicht immer nur Offenheit und Freundlichkeit erfahren. Das kam meinem Vater aber schon aus Polen bekannt vor:"Das immerwährende Dilemma des Oberschlesiers: Ist man deutsch oder polnisch? Für die Deutschen ist man polnisch, für die Polen deutsch."Viele Sprachkurse, berufliche Stationen und ein Umzug in den Süden folgten, bis sie Fuß gefasst haben in Deutschland. Mein Vater wurde Großhandelskaufmann mit Mittel- und Osteuropafokus und meine Mutter baute sich letztlich ein kleines Gewerbe auf.Aufgrund der Erfahrung meines Vaters, den muttersprachlichen Zugang zum Deutschen verwehrt bekommen zu haben, und ähnlicher Erfahrungen meiner Mutter stand für meine Eltern fest, dass sie mit uns Kindern möglichst in ihrer Muttersprache Polnisch sprechen. Das gebe ich nun an meinen Nachwuchs weiter – in der Berliner Metropole wird dies allerdings nicht so kritisch beäugt wie vor Jahren in der deutschen Provinz.Unser Oberschlesien wirkt nachDie berichtete Geschichte meines Vaters mit Aufstiegs- und Migrationserfahrungen – so individuell sie ist – beschreibt exemplarisch ein oberschlesisches Schicksal nach dem Krieg. Mein Vater nennt sich heute selbst "oberschlesischer Europäer".Wie sehr bin ich aber nicht nur deutsch, polnisch oder europäisch, sondern auch oberschlesisch – und wozu ist das gut? Was ich während der Arbeit an diesem Artikel herausfand, ist am Ende nicht überraschend: Selbst heute trage ich einige Aspekte oberschlesischer Mentalität und oberschlesische Prägungen im Gepäck – vor allem wohl das Multiethnische und die interkulturelle Offenheit. Ich merkte aber sonst: Mein mentales Oberschlesien ist nicht exakt das gleiche wie das meines Vaters. Ähnlich wie einige andere aus meiner Generation[3], bin wohl flexibler, wo Oberschlesien anfängt und wo es aufhört und wer sich zu Oberschlesier:innen zählen darf. Ich in der Nikiszowiec-Arbeitersiedlung (UNESCO-Weltkulturerbe), 2014.Zufällig lebe ich derzeit unweit der ehemaligen Glashütte am Ostkreuz, in der mein Vater als Student jobbte. In meinem Berliner Altbauhaus erlebe ich gute Nachbarschaft, gerade weil die vielen zugezogenen Berliner:innen vor Ort keine Familie haben. Hier spielen die Kinder ebenfalls im Hinterhof zusammen. Ab und an besuche ich Oberschlesien, manchmal besuchen meine oberschlesische Familie und Freunde mich. Es verbindet uns viel, nicht zuletzt das Interesse an Familienforschung.Seit einigen Jahren arbeite ich beim Deutschen Polen-Institut am Projekt des entstehenden "Ort des Erinnerns und der Begegnung mit Polen"[4] in Berlin, das Deutsche und Polen durch die Auseinandersetzung mit der deutschen Besatzung Polens einander näherbringen und das Wissen und Empathie fördern soll. Dies gilt auch über das Thema des Zweiten Weltkriegs hinaus, denn der neue Ort soll zukunftsorientiert zur deutsch-polnischen Versöhnung und Verständigung beitragen. Heutzutage wird immer wieder berichtet, dass Kriegserfahrungen wie Traumata intergenerationell auch bei den sog. Kriegsenkel:innen nachwirken können – für mich waren die hybriden oberschlesischen Erfahrungen meiner Familie allen voran sinnstiftend. Insofern bin ich Oberschlesien dankbar, denn es motiviert mich in meinem verbindenden, deutsch-polnischen Engagement.
[1] Vgl. Ebd. Schätzungen zufolge wurden auf polnischem Gebiet während des Zweiten Weltkriegs – bei Weitem nicht immer freiwillig – fast eine halbe Million ehemaliger Bürger der Zweiten Republik Polen, darunter ca. 200 Tsd. Oberschlesier, aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Deutschen Volksliste in die Wehrmacht eingegliedert.
[2] Vgl. Michalczyk, Andrzej: Migrationen aus Oberschlesien, in: Deutsches Polen-Institut (Hrsg.), Jahrbuch Polen 2021, Bd. 32 / Oberschlesien, Wiesbaden 2021.
[3] Vgl. Rokita, Zbigniew (2020): "Kajś. Opowieść o Górnym Śląsku", bisher nur in Polnisch erschienen [Irgendwo. Eine Erzählung über Oberschlesien].
[4] Siehe https://www.deutsches-polen-institut.de/politik/polen-ort/.
World Affairs Online
World Affairs Online
In: Nomos eLibrary
In: Jura Grundlagen
Der Brexit ist da – aber die Art der künftigen Beziehungen zwischen EU und UK bleibt offen. Höchste Zeit, die Frage nach der Zukunft der EU zu stellen: Europa verstehen, dann reformieren. Die zusammengestellten Texte suchen Antwort aus verfassungsrechtlicher Perspektive. Der Autor, Prof. Dr. Dres. h.c. Pernice, betrachtet das Konzept und die Entwicklung der EU aus dem Blickwinkel der Einzelnen: Menschen, die verstehen, dass Herausforderungen wie die Wahrung des Friedens oder der Schutz der Umwelt nur mit der Konstituierung supranationaler Kompetenz zu bewältigen sind, durch Verfassung jenseits des Staates. Das Ergebnis ist (im ersten Schritt) eine gestufte rechtliche Grundordnung des – Staaten und Union umfassenden – Gemeinwesens EU, das als "Europäischer Verfassungsverbund" erklärt wird und in dem sich die Bürgerinnen und Bürger als Legitimationssubjekte beider miteinander verflochtenen (Teil-)Verfassungen verstehen, jeweils ihres Mitgliedstaats und der EU. Ausgehend von der kritischen Würdigung des Spinelli-Entwurfs einer Verfassung für Europa (1984) bis hin zur Betrachtung der Normativität der Europäischen Verfassung angesichts der Rechtsstaatsprobleme in Polen (2019) verdeutlichen die hier abgedruckten Beiträge auch die praktische Bedeutung dieses theoretischen Konzepts für das Verständnis vieler Schlüsselprobleme des europäischen Verfassungsrechts wie Vorrangprinzip Grundrechtsschutz Demokratiedefizit föderale Balance und Kompetenzabgrenzung Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip nationale Identität Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion Nach Finanzkrise und Brexit, und angesichts der Corona-Krise, weisen die Beiträge den Weg für notwendige weitere Reformen. Mit einem Vorwort von Koen Lenaerts, Präsident des EuGH.
In: UTB 5248
In: Schulpädagogik, Sonderpädagogik
In: utb-studi-e-book
Beim Aufbau eines inklusiven Schulsystems - seit der UN-Behindertenrechtskonvention bildungspolitisches Leitbild für Deutschland – stehen alle Lehrkräfte in allen Schulformen vor der Aufgabe, mit der Heterogenität ihrer Schülerschaft umgehen zu können. Soll schulische Inklusion gelingen, so müssen angehende Lehrkräfte bereits im Lehramtsstudium in angemessener Weise auf diese neue Aufgabe vorbereitet werden. Dazu ist u. a. ein Grundwissen zu den sonderpädagogischen Förderschwerpunkten, den verschiedenen Organisationsformen der sonderpädagogischen Förderung sowie zum inklusiven Unterricht und zur inklusiven Schulentwicklung erforderlich. Das "Studienbuch Inklusion" zielt darauf ab, dieses Basiswissen in Form didaktisch aufbereiteter Texte zusammenzufassen, die mit Praxis- und Fallbeispielen angereichert sind. Eine Einladung zur aktiven Erarbeitung der Grundlagen einer inklusiven Pädagogik in Schule und Unterricht!
World Affairs Online
In: Journal of European integration, Volume 38, Issue 7, p. 807-822
ISSN: 0703-6337
World Affairs Online
How did Richard Nixon, a president so determined to compete for strategic nuclear advantage over the Soviet Union, become one of the most successful arms controllers of the Cold War? Drawing on newly opened Cold War archives, John D. Maurer argues that a central purpose of arms control talks for American leaders was to channel nuclear competition toward areas of American advantage and not just international cooperation. While previous accounts of the Strategic Arms Limitation Talks (SALT) have emphasized American cooperative motives, Maurer highlights how Nixon, National Security Advisor Henry Kissinger, and Secretary of Defense Melvin Laird shaped negotiations, balancing their own competitive interests with proponents of cooperation while still providing a coherent rationale to Congress. Within the arms control agreements, American leaders intended to continue deploying new weapons, and the arms control restrictions, as negotiated, allowed the United States to sustain its global power, contain communism, and ultimately prevail in the Cold War.
World Affairs Online
Puppenspiel, Figuren- und Objekttheater, Theater der Dinge? AkteurInnen in diesen dynamischen Spielfeldern sind – durch Produktions- und Aufführungsmodi mitbedingt – mehrheitlich offen für genreüberschreitende Formensprachen, räumlich ausgesprochen mobil und unterschiedlichsten Publikumsarten zugewandt. Ungeachtet der Benennungsproblematik und ihrer Präsenz auf Gegenwartsbühnen ist die Anzahl an Publikationen zu dieser variantenreichen Theaterform im deutschsprachigen Raum sehr überschaubar, (theater-)wissenschaftliche Monografien oder Sammelbände sind quasi inexistent. Der Verlag Theater der Zeit bietet mit seinem konsequent zweisprachigen Arbeitsbuch Der Dinge Stand/The State of Things. Zeitgenössisches Figuren- und Objekttheater/Contemporary Puppetry and Object Theatre eine Fülle an Text- und Bildmaterial, das exemplarisch künstlerische Positionen zu gesellschaftspolitisch relevanten Themen und Phänomenen – Digitalisierung, Protestkulturen, Körperbilder, Heimat, Migration und Erinnerung – zu fassen sucht. "Puppenspieler*innen gehörten zu den ersten Kunstschaffenden, die interdisziplinäre Inszenierungsansätze, postdramatische Dramaturgien und internationale Kollaborationen etablieren und, zumindest im Festivalbetrieb, durchsetzen konnten." (S. 7) In ihrem Vorwort argumentieren die HerausgeberInnen Annette Dabs und Tim Sandweg darüber hinaus, dass der Diskurs über Figuren- und Objekttheater in letzter Zeit von ästhetischen Fragestellungen dominiert worden sei. Die vorliegende Publikation solle zeitgenössische Spielformen und -materialien primär hinsichtlich ihrer Relationen zu sozialen und politischen Thematiken befragen. Zudem liege im Verlag Theater der Zeit die Veröffentlichung des letzten genrespezifischen Arbeitsbuchs Animation fremder Körper (herausgegeben von Silvia Brendenal im Jahr 2000) beinahe zwei Jahrzehnte zurück. Sieben Artikel, ebenso viele Gespräche und einige manifestartige, poetische bzw. autobiographische Texte umfasst Der Dinge Stand/The State of Things. Der Einstieg in die im Vorwort angekündigten Schwerpunktthemen erfolgt dezidiert – womöglich um Figuren- und Objekttheater unmissverständlich als Innovationsmotor zu markieren – über die Verhältnisse zu den neuen Technologien. So konfrontiert das erste Gespräch zwischen Martina Leeker, Andreas Bischof und Markus Joss, Perspektiven aus der Medienwissenschaft, der Sozialwissenschaft und der Puppenspielpraxis: Robotik, Digitalisierung, neue Kommunikationsformen differieren in ihrem Einsatz im Alltag und auf der Bühne. Ist im Theater der Dinge womöglich nicht das reibungslose Funktionieren dieser neuen Mittel fruchtbar, sondern gerade deren Versagen? Joss spricht pointiert, anhand des aktuell beliebten Topos der Roboter auf der Bühne, über die Grenzen der Brauchbarkeit dieser neuartigen Puppen: "Ein Roboter ist ja erst einmal ein riesengroßes Versprechen. Aber wenn ich aus dem Theater der Dinge darauf blicke, ist das sehr begrenzt: Wenn der Roboter jetzt Treppen steigen kann, haben sehr viele Ingenieur*innen ihr Leben darauf verwandt, damit er das kann. Das ist einerseits beeindruckend, aber unter dem Aspekt der Artistik unendlich langweilig." (S. 25) Wie könnte sich Figuren- und Objekttheater also heute und zukünftig zu einer durch neue Technologien geprägten Gesellschaft verhalten? Womöglich weder durch ein Absorbieren von Robotern, Programmierung, Digitalisierung, noch durch die Einrichtung eines technologiefreien Theaterreservats, sondern durch die Offenlegung von Übersetzungsleistungen, welche im alltäglichen Technikeinsatz verdeckt werden: Joss argumentiert, "dass heute eine Aufgabe von darstellender Kunst im Öffnen, im Sichtbarmachen besteht. Da liegt für mich auch eine Chance für das Theater der Dinge in digitalen Kulturen." (S. 26) Es folgen, im Kielwasser des ersten Themenschwerpunkts, drei Gespräche, darunter eines mit dem Berliner Kollektiv komplexbrigade über interaktives Rollenspieltheater mit Retro-Science-Fiction-Ästhetik (flirrende Bildschirme, Knöpfe und Schalter) und ein weiteres mit dem Professor für digitale Medien im Puppenspiel Friedrich Kirschner über Erwartungshaltungen und Reaktionsketten in partizipativen Formaten. Das dritte Gespräch, mit dem Intendanten des Schauspiels Dortmund Kay Voges, streift Virtual-Reality-Brillen, Body Tracking und Kostüme aus dem 3D-Drucker sowie die "Hoffnung, dass das Theater auch in dreißig Jahren noch ein Ort sein kann, wo die Schönheit der Komplexität erzählt werden kann und nicht die Partizipationswut jede Geschichte zerstört." (S. 54) Der im Themenfeld von Gaming- und Mitmachtheater graduell entgleitende Fokus auf das breit gefasste Theater der Dinge wird mit einem Artikel von Tom Mustroph wieder justiert, der sich mit der 2017 uraufgeführten Inszenierung Pinocchio 2.0 der Berliner Gruppe Manufaktor befasst. Die Puppenspiel-AbsolventInnen der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch mobilisieren auf halbem Wege zwischen Frankensteins Monster und Freuds Prothesengott, Technologie auf der Bühne: Mit verkabelten Tierschädelknochen und einem ferngesteuert rollenden Fuchs-Katze-Doppelkopfapparat mit LED-Augen illustrieren sie ein dystopisches Kriegsszenario zwischen Menschen und Maschinen am Ende des 21.Jahrhunderts – inklusive anthropomorpher "Pinocchio-Figur als Retter der Menschheit" (S. 52). Der zweite, einem konventionelleren Verständnis von Figuren- und Objekttheater näherliegende Themenfokus des Arbeitsbuchs – der menschliche Körper im Verhältnis zum Mythos, zur Gewalt, zum Objektkörper – wird in fünf Textbeiträgen ausgelotet. Sind wir etwa nie modern gewesen? Im Gespräch befragt die Puppenspielerin Julika Mayer, Renaud Herbin, Puppenspieler und Intendant des TJP Centre Dramatique National in Straßburg, zu Bezügen zwischen antiken Mythen, Ritualen und Körpern im Puppenspiel. "Neither flesh nor fleshless; Neither from nor towards; at the still point, there the dance is" (S. 67) – Herbin zitiert T. S. Eliot herbei, um der Unentschiedenheit zwischen Lebendigem und Unbelebtem, zwischen Aktivem und Passivem in einer angehaltenen Zeit, Raum zu geben: Genau dort läge der Tanz, der ebenso wie Mythologie und Puppenspiel "eine andere Erfahrung des Körpers in Aussicht" (S. 67) stelle. Ebenfalls im Gespräch mit Mayer spinnt Uta Gebert die Fragen nach dem Nonverbalen im tanzaffinen Puppenspiel fort: Das Ding ist hier weder Beiwerk noch Spielzeug, sondern gibt den Rhythmus vor. Mit Demut agiert der "Mensch als Unterstützung, der der Puppe Raum und Kraft verschafft", da "eine Puppe ein gänzlich anderes Zeit-Raum-Gefüge hat. In dieses Gefüge muss der Mensch irgendwie rein, damit beide gut interagieren können" (S. 71). Ein Artikel von Bernard Vouilloux bearbeitet die facettenreichen Verwischungen der Grenzen zwischen organischem und künstlichem Körper und deren ontologischen Zuschreibungen je nach Bewegungs- oder Stillstandmodus in den Arbeiten von Gisèle Vienne. Der thematische Block endet mit einem Artikel über Jan Jedenaks Arbeiten, in welchem mittels Masken und Puppen die Übergänge von Spiel zu Gewalt am Körper ermessen werden, und einem Monologtext der Puppenspielerin Antje Töpfer, der dem Verhältnis zwischen PuppenspielerIn und Spielfigur mit humoristischem Ton begegnet: "Wir sind ein komisches Paar. Du fängst an, dich zu beugen. MATERIALSCHWÄCHE. Meine Augen wandern nach links, zu dir. WILLENSSCHWÄCHE. Ich kann dich nicht länger halten so mit ausgestrecktem Arm. MUSKELSCHWÄCHE." (S. 82) Was hier in der Auswahl der GesprächspartnerInnen und der thematisierten KünstlerInnen deutlich hervortritt, ist die gegenwärtige Bedeutung des professionellen Puppenspiel-Netzwerks zwischen Deutschland und Frankreich, denn alle sind AbsolventInnen spezialisierter Studiengänge an der Ernst Busch, der HMDK Stuttgart und/oder der ESNAM in Charleville-Mézières. Ein dritter Themenschwerpunkt betrifft politisch engagiertes Figuren- und Objekttheater. Den Anfang macht ein Artikel von John Bell über die Zusammenhänge von Figurentheater und politischem Aktivismus in den USA, etwa im Rahmen von Demonstrationen anlässlich der Wahl von Donald Trump oder von Black Lives Matter. Die anschließenden Beiträge sind weniger pädagogisch bzw. kontextualisierend ausgerichtet: Ein poetischer Text von Gerhild Steinbuch kommentiert den Sprachgebrauch der Neuen Rechten, – über die Inszenierungsweisen im dazugehörigen Projekt Beate Uwe Selfie Klick am Theater Chemnitz erfahren LeserInnen allerdings nichts. Auch der manifestartige Text der Lovefuckers – "Aus zwei Moorleichen quillt blaues Blut. Du hast die Wahl. Elvis steht am Ufer und spielt auf einer lila E-Gitarre nur für dich. Don't look back. Fuck all rules. Puppets rule. #<3f***ers" (S. 107) – lässt mitunter den Wunsch nach Informationen zum Tun dieses Berliner Kollektivs aufkommen. Der Beitrag von Anna Ivanova-Brashinskaya, in Form von Lexikon-Einträgen zu Schlagworten, die für die interaktiven Performances des russischen Kollektivs AXE – Russian Engineering Theater von Bedeutung sind, bietet ebenfalls potentiell Neugier weckende Formulierungen, allerdings frei von Informationen zu den konkreten Arbeitsweisen: "FOLTER – im Prinzip alle Handlungen, die die PERFORMENDEn an sich selbst oder an anderen PERFORMENDEn vornehmen" (S. 112). Zum Objekt – da ja der Dinge Stand im Fokus ist – heißt es, "was schreibt, ist keine Hand, sondern ein Stift; was weint, sind nicht die Augen, sondern die Brille. […] Die PERFORMENDEn, in dienender Funktion, ermöglichen ihm das autarke Spiel. Tritt einen Moment lang auf – nur um seine sakralen Pflichten zu erfüllen und zu sterben" (S. 112). Für LeserInnen ohne Kenntnisse über dieses Kollektiv verbleibt der Text wohl etwas opak. Erinnerung, Heimat und Migration bilden die vierte Schwerpunktsetzung im Arbeitsbuch. Zwei international ausgerichtete Beiträge – ein Gespräch mit Ludomir Franczak und ein Artikel über das Kollektiv El Solar – befassen sich mit dokumentarischem Objekttheater, in welchem materielle Gegenstände (die auch Kopien von auratisch-authentischen Gegenständen sein können) als Erinnerungsträger fungieren, die Erzählungen über individuelle Biographien und soziales Leben in urbanen Räumen der Vergangenheit initiieren. Die Fraglichkeit der Trennung zwischen dem Eigenen und dem Fremden im Kontext der Globalisierung und der so genannten Energiewende wird in einem Artikel über die Beweggründe zum Stück Carbon der Dresdner Gruppe Freaks und Fremde thematisiert. Mascha Erbelding zeichnet in ihrem Artikel zum Ensemble Materialtheater die Verhandlung von Flucht, Armut und Krieg mittels Brecht'scher Verfremdung nach. Was wissen gut versorgte EuropäerInnen über diese Themen? Wie kann man das Nichtselbsterfahrene darstellen? International Selbsterfahrenes bietet das Arbeitsbuch dann zum Abschluss: Ariel Doron macht sich autobiographische Gedanken über seine europäisch-israelische Identität bis hin zum Weltbürger-Werden durch den Puppenspieler-Beruf, während Gyula Molnàrs Erzählung vom Koffer als Puppentheater- und Migrationssymbol – konfrontiert mit strengem Einreisekontrollprotokoll – mit wohlgewählten Mehrdeutigkeiten endet: "Nun hat sich das Bild gewandelt. Der Migrant verlässt das Schiff ohne Koffer, seine Geschichte ist im Meer der Nachrichten versunken. Er kommt ohne Koffer, dafür in einen goldenen Mantel gehüllt, und betritt barfuß den Boden unseres Eldorados." (S. 163) Die Entscheidung, alle Textbeiträge sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch zu veröffentlichen – wie auch im Luk Perceval gewidmeten Arbeitsbuch 2019 –, ist angesichts der internationalen Tätigkeitsfelder der zum Zuge kommenden KünstlerInnen als auch der potenziellen Diversifikation des Lesepublikums eine produktive Geste. Ihre Kehrseite ist eine ungefähre Halbierung der Quantität an Beiträgen bzw. ihre Kürze, denn die Gesamtseitenanzahl liegt im Bereich der einsprachigen Arbeitsbücher. Es wäre in diesem Kontext womöglich publikumsfreundlich gewesen, die Aufteilung der verfügbaren Seiten – den etwa 77 Textseiten stehen 53 Bild- und 39 Werbeseiten gegenüber – anders zu gestalten und längere Beiträge (als die vorliegenden 0,5 bis 3 Seiten pro Text) zu erlauben. Auch stellt sich bisweilen die Frage nach dem Zielpublikum, denn entsprechend der Ankündigung wird mehr auf die Inhalte als auf die Ästhetik fokussiert, wodurch Beschreibungen von figuren- und objekttheaterspezifischen Verfahren (Inszenierungs- und Spielweisen, Dramaturgien) kaum Erwähnung finden. Die enthaltenen poetischen bzw. dramatischen Texte eröffnen sich ohne diese Kontexte allerdings eher bereits informierten LeserInnen. Gerade weil im deutschsprachigen Raum noch immer publizistisch und theaterwissenschaftlich marginalisierte Theaterformen im Zentrum der Publikation stehen, wäre eine umfassendere, deskriptive und kontextualisierende Hilfestellung gewinnbringend gewesen. Hoch anzurechnen ist den HerausgeberInnen des lesenswerten und bildlich attraktiven TdZ-Arbeitsbuchs 2018 ihre internationale und interdisziplinäre Weitsicht, sowohl betreffend der AutorInnen als auch der thematisierten Arbeiten aus den komplex gebastelten, Genregrenzen umschiffenden, digitalisierten oder leiblichen Produktionen des gegenwärtigen großen Puppen-, Figuren-, Objekt- oder Gaming-Theaters der Dinge.
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Blog: Web 2.0 - Medienkompetenz - (politische) Bildung
#MeToo – nach über fünf Jahren ist dieser Hashtag immer noch nahezu jeder Person ein Begriff. Der Aufschrei über sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch im Jahr 2017 war groß. Frauen auf der ganzen Welt solidarisierten sich mit den Opfern von sexualisierter Gewalt oder teilten ihre eigenen Geschichten. Und heute? Wie hat sich #MeToo entwickelt? Endete die Thematik in genervtem Kopfschütteln? Gilt die Debatte als beendet? Fünf Jahre nach dem ersten Aufschrei stellt sich nun die Frage: Hat sich etwas verändert und das spürbar für die breite Öffentlichkeit?Eines kann klar gesagt werden: Die Medien beschäftigen sich auch heute noch mit dem Thema des Machtmissbrauchs, des Machtungleichgewichts und mit sexualisierter Gewalt. Diese Thematik und der damit stark verbundene Feminismus sind in aller Munde. Ist dies ein Verdienst der #MeToo-Debatte aus dem Jahr 2017? Oder war die Debatte ein reines Internetphänomen, das folgenlos im Sand verlief?Diese Fragen standen im Zentrum der Recherche zu dieser Ausarbeitung. Ich möchte mich der Frage widmen, ob #MeToo mehr als folgenloser Klicktivismus war. Hierfür beginne ich mit einigen Begriffsdefinitionen, die inhaltlich wichtig sind für die Fragestellung, um anschließend Ursprung und Entwicklung der Bewegung zu betrachten. Zusätzlich wird auf die Kritik an der #MeToo-Debatte eingegangen, um einige der Kritikpunkte zu entschärfen. Die Veränderungen, die #MeToo eventuell erzielen konnte, werden im Anschluss beschrieben und zwar in Bezug auf Hollywood sowie auf die allgemeine Öffentlichkeit insbesondere in Deutschland.Sexismus, sexuelle Belästigung und sexuelle GewaltIn dieser Seminararbeit wird häufig über diese Begriffe gesprochen, weshalb diese einer Definition bedürfen, um Unklarheiten vorzubeugen.Sexismus ist eine voreingenommene, vorurteilsbehaftete Verhaltensweise, die Menschen aufgrund ihres Geschlechtes diskriminiert. Dies kann auch durch Menschen des gleichen Geschlechtes erfolgen. Meist beruht Sexismus auf einem ungleichen Machtverhältnis.Sexuelle Belästigung kann aufgrund von vorherrschendem Sexismus entstehen. Als sexuelle Belästigung werden unter anderem sexuelle Anspielungen sowie ungewollte Berührungen gezählt. Sexuelle Belästigung führt bei den Betroffenen zu einem Zustand des Unwohlseins.Sexuelle Gewalt (dazu zählt auch sexueller Missbrauch) ist ein Übergriff, der durch körperliche Gewalt erfolgt. Dieser kann auch zu ungewolltem Geschlechtsverkehr führen (vgl. Krassnig-Plass 2020, S. 13ff.).Soziale MedienDa das Thema dieser Seminararbeit ihre Anfänge in den Sozialen Medien nahm, bedarf es auch hier einer Begriffsbestimmung. "Soziale Medien" ist ein inflationär genutzter Begriff. Doch was genau sind "Soziale Medien"? Und warum werden sie als "soziale" Medien beschrieben (Scheffler 2014)?Als Soziale Medien oder "social media" werden Massenmedien bezeichnet, die ausschließlich im Internet präsent sind. Als "sozial" werden diese Medien bezeichnet, da sie die Nutzer*Innen verknüpfen. Über die Plattformen können Meinungen, Informationen und Erfahrungen auf schnellem und direktem Wege ausgetauscht werden. Jede*r Nutzer*In kann selbst Inhalte erstellen oder auf bereits vorhandene Inhalte reagieren. Dies kann durch Texte, Audios, Videos oder Bilder geschehen. Meist verschwimmen die Grenzen zwischen Konsument*Innen und Produzent*Innen. Soziale Medien können sowohl bekannte als auch fremde Menschen miteinander vernetzen.Soziale Medien stehen ihren Nutzer*Innen meist kostenlos zur Verfügung. Um sich zu finanzieren, sammeln sie in der Regel Daten der Nutzer*Innen, um gezielte Werbung oder Inhalte zu schalten, die für diese interessant sein könnten.Ein wichtiger Aspekt der sozialen Medien ist also die Partizipation, das Mitwirken und Teilnehmen an Diskussionen des gesellschaftlichen Lebens. Durch die Mitwirkung und Teilnahme in den Sozialen Medien steigt das gesellschaftliche Engagement. Feministischer AktivismusFeminismus bezeichnet eine Bewegung, die Diskriminierung von Frauen beseitigen möchte und eine Gleichstellung der Geschlechter in allen Lebensbereichen anstrebt (vgl. bpb 2021). Aktivismus bedeutet, dass sich Bürger*Innen aktiv für einen Wandel einsetzen. Es gibt sehr vielfältige Möglichkeiten, Aktivismus zu betreiben. Aktivismus ist eine Art Protest und stellt bestehende Regeln in Frage. Diese bestehenden Regeln werden im Aktivismus manchmal vorsätzlich gebrochen, um den gesellschaftlichen Wandel voranzutreiben.Die Fridays for Future-Bewegung ist ein Beispiel für Aktivismus. Schüler*Innen protestierten während der Schulzeit, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen. Hierbei wurde die Schulpflicht ignoriert und somit eine bestehende Regel gebrochen. Aktivismus kann durch Gruppen oder auch Einzelpersonen ausgeführt werden. Meist erfolgt Aktivismus, um Einfluss auf Politik und Entscheidungsträger*Innen zu nehmen (vgl. Hamer 2020).Feministischer Aktivismus ist ein zusammengesetzter Begriff. Hier setzen sich Feminist*Innen aktiv ein und streben einen Wandel in der Gesellschaft an. Dieser Wandel soll die Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern beenden. Auch Männer können Feministen sein, wenn sie sich für das Ausräumen der Ungerechtigkeiten einsetzen.Es gibt verschiedene Arten von Aktivismus. Bei der #MeToo-Bewegung handelt es sich um einen feministischen Aktivismus, der im Internet stattfand und der auch oftmals als "Klicktivismus" bezeichnet wird.KlicktivismusDie Sozialen Medien bieten vielseitige Möglichkeiten zur Partizipation. Durch die digitalen Angebote kann die Gesellschaft mitgestaltet werden. Der Begriff "Klicktivismus" bezeichnet hierbei eine Beteiligung, vorwiegend zu politischen Themen, die durch die Nutzung digitaler Inhalte in den digitalen Medien entsteht, beispielsweise durch Petitionen im Netz, Geld sammeln oder auch durch Ankündigung von Demonstrationen. Es werden somit viele Menschen gleichzeitig erreicht. Es können Beiträge kommentiert oder geteilt werden. "Klicktivismus" setzt sich aus den beiden Begriffen "klicken" und "Aktivismus" zusammen. Klicken beschreibt hierbei, dass es sich um ein reines Phänomen im Internet handelt (vgl. bpb 2022).Diese spezielle Form des Aktivismus kann zu neuen politischen und gesellschaftlichen Diskursen führen oder bestehende Diskurse verändern. Allerdings neigt der Klicktivismus dazu, schwächer zu sein als realer Aktivismus. Dies wird dadurch begründet, dass es eines geringeren Aufwands bedarf, eine Petition zu unterschreiben oder einen Beitrag zu teilen, als aktiv zu einer Demonstration zu gehen. Die Hemmschwelle ist eine viel niedrigere. Aus diesem Grund gibt es häufiger eine größere Gruppe von Menschen im Internet, die an dem Online-Aktivismus teilnehmen, jedoch nicht bereit sind, an einer Demonstration teilzunehmen. Dies schwächt den Klicktivismus deutlich ab. Aktivismus im realen Leben erzielt meist eine größere Wirkung.Hashtag-AktivismusBei der #MeToo-Debatte handelt es sich um einen Aktivismus, der im Internet seinen Ursprung hatte. Ein Hinweis darauf ist unter anderem das Rautensymbol, das für diese Bewegung gleich zu Beginn benutzt wurde. Dieses Rautensymbol wird in den sozialen Plattformen, wie beispielsweise Instagram oder Twitter, als Hashtag bezeichnet. Hashtags werden benutzt, um Schlagwörter in einem Post, einem Artikel oder ähnlichem einzubauen. Eingeführt wurde dieses Symbol durch Twitter, um inhaltliche Verknüpfungen zu schaffen.Ein Begriff, der mir bei der Recherche häufig begegnet ist, ist der Begriff des "Hashtag-Aktivismus". Bei dieser Form des Aktivismus wird ein bestimmtes Schlagwort hinter dem Rautensymbol eingefügt. Unter diesem Hashtag können dann beispielweise, wie bei #MeToo, persönliche Geschichten und Meinungen geteilt werden. Dies kann auch für sozialen Protest genutzt werden. Auch die #MeToo-Bewegung entstand durch einen Hashtag (vgl. Hochschule der Medien, o.D.).Die Sozialen Medien können aufmerksam machen auf Themen, die in der Politik keinen oder zu wenig Raum finden, und es kann den Diskurs in der Politik sowie in der Gesellschaft entfachen und verändern. Konnte die #MeToo-Bewegung dies erreichen? Oder war die Bewegung ein folgenloser Klicktivismus? Im Folgenden wird die #MeToo-Debatte näher betrachtet.#MeToo-BewegungBewegungen entstehen aufgrund von gesellschaftlichen Konflikten. Sie reagieren auf Missstände und durch die Bewegungen werden gezielt Veränderungen angestrebt. Dies kann auch durch Protest geschehen (vgl. bpb 2021b). Meist werden im Zuge von sozialen Bewegungen Debatten geführt oder sie liegen sozialen Bewegungen zugrunde. Debatten sind öffentliche Streitgespräche.Bei der Thematik #MeToo wird oft von einer Debatte oder einer Bewegung gesprochen, da #MeToo Züge beider Phänomene aufweist. Bei #MeToo wird auf gezielte Veränderungen gesetzt, wie es bei einer (sozialen) Bewegung der Fall ist, und es werden öffentliche Streitgespräche über weitere Vorgehensweisen geführt. Die Trennlinie der beiden Begriffe ist in dieser Thematik unscharf.Ursprung der BewegungIm Oktober 2017 erlangte das Hashtag #MeToo große Aufmerksamkeit. Seinen Anfang nahm der Hashtag auf Twitter und innerhalb weniger Tage und Wochen wurde er auch auf anderen Plattformen verwendet. Bereits innerhalb weniger Wochen wurden unter dem Hashtag 12 Millionen Bilder, Geschichten und Erlebnisse öffentlich geteilt.Doch was bedeutet dieser Hashtag eigentlich genau? Und wie kam es zu diesem Hashtag? Der Ausspruch "Me too" hat bereits über zwei Jahrzehnte vor der weltweiten Aufmerksamkeit seinen Ursprung. Die Aktivistin Tarana Burke gilt als Begründerin des Ausdrucks. Seit Tarana 14 Jahre alt ist, setzte sie sich vor allem für dunkelhäutige Frauen ein, die Opfer von sexueller Gewalt geworden waren.Auch Tarana Burke selbst wurde Opfer von sexueller Gewalt. Als sie sich an ein lokales Zentrum für Opfer von sexueller Gewalt wandte, um Hilfe zu bekommen, wurde sie abgewiesen. Hilfe konnte ihr nur angeboten werden, wenn zuvor die Polizei eingeschaltet wurde. Daraufhin arbeitete sie an einem Programm, das Opfer sexualisierter Gewalt unterstützen sollte. Dies ermöglichte sie mithilfe von Bürgerorganisationen, Workshops und später auch durch die Sozialen Medien.Tarana Burke begann an Schulen in den USA Workshops zum Thema sexualisierte Gewalt zu geben. Im Rahmen eines Workshops in einer High-School in Alabama sollten die Mädchen, wenn sie Hilfe brauchten, einen Zettel mit den Worten "Me too" (deutsch: ich auch) schreiben. Dies war der Moment, in dem #MeToo ins Leben gerufen wurde. Tarana beschrieb ihre Arbeit wie folgt:"I knew when you exchange empathy with somebody, there's an immediate connection you make with a person by saying 'me too'. That's what the work is about. It's about survivors talking to each other" (Amnesty International 2021).Skandal um Harvey WeinsteinHarvey Weinstein ist ein US-amerikanischer Filmproduzent mit eigenen Produktionsfirmen in Hollywood. Vielen Schauspieler*Innen konnte er über mehrere Jahrzehnte hinweg zu Bekanntheit verhelfen. Gerüchte über seinen sexistischen Umgang mit Frauen gab es schon lange, weshalb Jodi Kantor und Megan Twohey diesen auf den Grund gehen wollten. Zusätzlich wurden sie dadurch angetrieben, dass Frauen zwar mittlerweile über mehr Macht verfügten, jedoch immer noch sexueller Belästigung ausgesetzt waren. Die Frauen, die Opfer von sexualisierter Gewalt wurden, litten häufig im Verborgenen, während die Täter ungestört Karriere machen konnten.Im Jahr 2017 begannen die beiden Journalistinnen für die New York Times über Harvey Weinstein zu recherchieren. Sie kontaktierten Schauspielerinnen, die mit Harvey Weinstein zusammenarbeiteten. In den wenigen Fällen, in denen es ihnen gelang, mit einer Schauspielerin zu sprechen, fielen die Gespräche sehr kurz aus. Zu groß war die Scham und auch die Angst, mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen. Viele lebten in großer Diskretion, um ihre Privatsphäre so gut wie möglich vor der Öffentlichkeit zu schützen. Einige der Schauspielerinnen hatten außerdem Verschwiegenheitserklärungen unterschrieben und fürchteten sich vor den rechtlichen Konsequenzen. Einfacher war es, mit ehemaligen Angestellten Weinsteins zu sprechen. Aber auch diese verharmlosten sein Verhalten oftmals (vgl. Kantor et al. 2020).Die erste Schauspielerin, die ihr Schweigen brach und mit den beiden Journalistinnen in Kontakt trat, war Rose McGowan. Sie erzählte, wie sie 1997 von Harvey Weinstein sexuell missbraucht wurde, nachdem sie sich zu einem Gespräch über einen bevorstehenden Film verabredet hatten. Sie beschuldigte jedoch nicht nur Weinstein, sondern die ganze männlich dominierte Filmindustrie in Hollywood."Das Problem geht weit über Weinstein hinaus, […]. Hollywood [ist] ein organisiertes System für den Missbrauch von Frauen (vgl. Kantor et al. 2020, S. 24)."Daraufhin brachen unter anderem eine ehemalige Assistentin Weinsteins und weitere Schauspielerinnen ihr Schweigen und berichteten über sexuelle Übergriffe durch Weinstein. Zelda Perkins, eine Londoner Produzentin, brach ihr Schweigen trotz einer unterschriebenen Verschwiegenheitserklärung. Auch ein ehemaliger männlicher Mitarbeiter Weinsteins, der sein Wissen immer mehr als Belastung empfand, half dabei, den Machtmissbrauch durch Weinstein aufzudecken (vgl. Kantor et al. 2020). Am 5. Oktober 2017 veröffentlichten sie dann ihre Recherchen über die mutmaßlichen sexuellen Belästigungen und Übergriffe durch Harvey Weinstein.Ausgelöst durch die Berichtserstattung ermutigte Alyssa Milano, eine US-amerikanische Schauspielerin, Frauen dazu, ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung öffentlich zu teilen. Dies geschah, indem Frauen ihren Twitter-Posts unter dem Hashtag #MeToo veröffentlichten (vgl. DER SPIEGEL 2017). Die journalistischen Veröffentlichungen sowie der Post von Alyssa Milano legten den Grundstein für einen öffentlichen Diskurs über Machtmissbrauch und sexuellen Missbrauch von Männern an Frauen (vgl. Kurtulgil 2020).Kritik an #MeTooEin besonders häufig angesprochener Kritikpunkt während der Debatte war, dass viele Frauen unglaubwürdig zu sein schienen. Viele zweifelten an der Glaubwürdigkeit der Frauen, die ihre Geschichte unter dem Hashtag #MeToo teilten und Zweifel gab es vor allem auch an den Frauen, die ihre Erfahrung mit sexueller Gewalt im Hinblick auf Harvey Weinstein äußerten. Es wurde in Frage gestellt, weshalb sich die Frauen erst Jahre, teilweise auch erst Jahrzehnte nach den Taten äußerten. Kritisiert wurde auch, ob nicht einige Aussagen überdramatisiert wurden.Laut Experten ist es jedoch üblich, dass sich Opfer von sexualisierter Gewalt erst sehr spät oder gar nicht melden. Als Grund wird ein Scham- und Angstgefühl der Betroffenen genannt. Auch befinden sich einige Opfer noch in den bestehenden Machtverhältnissen und können diesen nicht oder nur schwer entkommen. Die Dunkelziffer dieser Taten schätzen einige Experten als sehr hoch ein (vgl. ZDF 2021).Auch wird #MeToo oft für ein vermehrtes Auftreten von Unsicherheiten im Umgang mit Annäherungsversuchen seitens männlicher Personen kritisiert. Beklagt wird, dass die Debatte eine Verbotskultur entstehen ließe. Flirten fühle sich an wie eine Straftat und zerstöre somit Annäherungsversuche. Diesem Kritikpunkt kann entgegengesetzt werden, dass jedoch auch die Chance entsteht, dass die klassischen Geschlechterrollen aufgebrochen werden. Die Rolle des "aktiven Mannes" und der "passiven Frau" könnte dadurch entstigmatisiert werden (vgl. Braun 2021). Des Weiteren kann dieses Argument entkräftet werden, indem bewusst gemacht wird, dass Annäherungen einvernehmlich geschehen müssen. Es kann zu einer Sensibilisierung führen, sodass ein "Nein" auch als "Nein" gewertet wird.Kritik wird zudem daran geäußert, dass sexuelle Belästigung, sexuelle Gewalt und sexueller Missbrauch nichts mit der Ungleichheit zwischen Männern und Frauen zu tun hat. Diesem Argument kann entgegengesetzt werden, dass vor allem in den USA häufig die Machtposition von Männern missbraucht wurde, um Frauen sexuell zu belästigen (vgl. Krassnig-Plass 2020).Anknüpfend an den vorherigen Kritikpunkt ist der Folgende: es wird kaum bis gar nicht über sexuelle Gewalt und sexuellen Missbrauch durch Frauen gesprochen. Frauen werden in die Opferrolle gedrängt. Laut einer Studie sind jedoch 75 bis 90 Prozent der Sexualstraftäter Männer. Was nicht bedeutet, dass es diese Fälle nicht gibt, doch die Gefahr, sexuelle Gewalt als Frau durch einen Mann zu erfahren, ist laut Statistik deutlich höher (vgl. UBSKM).Als sehr wichtiger Kritikpunkt, gerade im Hinblick auf diese Ausarbeitung, wird oft genannt, dass die #MeToo-Debatte eben nur ein öffentliches Streitgespräch darstelle und keine spürbare Veränderung in der Gesellschaft bewirke, da es nur online stattfand und es nicht schaffte, einen Bogen zur Realität zu schlagen. Ob dieses Argument berechtigt oder haltlos ist, wird im nächsten Punkt betrachtet. Es wird beschrieben, ob und welche Veränderungen es durch die #MeToo-Bewegung in Hollywood und in der breiten Öffentlichkeit gab (vgl. Toyka-Seid 2022a).Veränderungen durch #MeToo in HollywoodNachdem die Anschuldigungen am 5. Oktober 2017 veröffentlicht wurden, entschuldigte sich Weinstein, da er sich offenbar falsch gegenüber einigen Kolleginnen verhalten habe, stritt jedoch ab, sexuell übergriffig geworden zu sein. Den Opfern warf er vor, mental instabil zu sein. Den Journalistinnen wurde mit einer Anzeige wegen Verleumdung und einer Schadensersatzforderung von 100 Millionen Dollar gedroht.Am 6. Oktober, einen Tag nach der Veröffentlichung, meldeten sich weitere Frauen bei den Journalistinnen, um ihnen von ihrem Missbrauch durch Weinstein zu erzählen. In den folgenden Tagen gaben mehrere Mitarbeiter*Innen Weinsteins ihren Job auf. Weinstein wurde infolge der Veröffentlichungen aus seiner Produktionsfirma "The Weinstein Company" entlassen. Ein halbes Jahr später meldete die Firma Insolvenz an und wurde im Juli 2018 verkauft (vgl. Kantor et al. 2020).Am 13. Oktober wurden in der Zeitung "New Yorker" 13 Opfer Weinsteins zitiert. Drei davon warfen ihm Vergewaltigung vor. Im Februar 2020 hatten fast einhundert Frauen ihre Erfahrungen mit Harvey Weinstein öffentlich gemacht. Die Anschuldigungen reichten von sexueller Belästigung bis hin zur Vergewaltigung. Viele dieser Vergehen waren allerdings bis zu dem Prozess 2020 schon verjährt oder erfüllten nicht den Tatbestand eines Strafdeliktes. 2020 wurde Harvey Weinstein in einem Prozess schuldig gesprochen und zu einer Haftstrafe von 23 Jahren verurteilt. 2022 stand er nochmals vor Gericht und wurde in weiteren Anklagepunkten schuldig gesprochen. Ihm drohen weitere 24 Jahre Haft (vgl. Tagesschau 2022).Nach dem Skandal stieg die Zahl der Regisseurinnen in Hollywood an. Weibliche Regisseurinnen schufen eine respektvollere Arbeitsumgebung. Außerdem zeigte die #MeToo-Debatte generell das Problem der Unterrepräsentation von Frauen in Führungspositionen in Hollywood auf (vgl. Luo, Zhang 2020).Verändert hat sich das Bewusstsein, dass sexuelle Belästigung und sexuelle Übergriffe nicht unbestraft bleiben können. Zahllose Männer, die in der Öffentlichkeit standen, mussten sich ihrem Verhalten stellen. Die Taten vieler Männer blieben somit nicht mehr unbestraft und Frauen begannen, ihr Schweigen zu brechen. Laut der New York Times verloren rund 200 Männer im Zuge der #MeToo-Debatte ihren Job. Rund die Hälfte dieser Jobs wurde anschließend von Frauen besetzt (vgl. Carlsen et al. 2018).Veränderungen durch #MeToo in der ÖffentlichkeitBereits eine Woche nach dem Aufruf von Alyssa Milano wurde der Hashtag #MeToo bereits millionenfach genutzt. Nicht nur über Twitter, sondern auch über andere Plattformen wie beispielsweise Instagram oder Facebook. Unterstützung bekam sie zudem von bekannten Schauspielerinnen, die bereit waren, ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung oder sexuellem Missbrauch öffentlich zu teilen. Dadurch gelang es, das Thema sexuelle Belästigung in den Fokus der breiten Öffentlichkeit zu rücken und es beschränkte sich nicht mehr nur auf die Filmbranche.Bald wurde außerdem deutlich, dass sexuelle Belästigungen nahezu alle Bereiche des Lebens betreffen. In allen Branchen, in denen es Machtpositionen gibt, wurden diese ausgenutzt und Frauen sexuell belästigt. Weltweit wurde daraufhin gefordert, dass sich das Machtgefälle zwischen den Geschlechtern ändern müsse. Es entstanden zudem weitere Debatten, die sich in einem breiten Themenfeld bewegten, es ging um Geschlechterdiskriminierung oder auch "Catcalling" (verbale sexuelle Belästigung, die keinen eigenen Strafbestand darstellt) (vgl. ZEIT ONLINE, o. D.). 2020 wurde deshalb im Zuge einer Online-Petition gefordert, dass verbale sexuelle Belästigung als Ordnungswidrigkeit geahndet werden sollte.In Großbritannien veranlasste die mediale Aufmerksamkeit Frauen dazu, über sexuelle Übergriffe von britischen Abgeordneten zu sprechen. Daraufhin wurde unter anderem der Verteidigungsminister Michael Fallon aus seinem Amt entlassen (vgl. Kantor et al. 2020).Eines hat die #MeToo-Debatte jedoch besonders deutlich gemacht. Sexuelle Gewalt und Machtmissbrauch sind keine individuellen Probleme, sondern betreffen eine Vielzahl an Menschen. Frauen wurde bewusst gemacht, dass sie nicht die Schuld an sexueller Gewalt tragen. Die wesentliche Stärke der Bewegung stellte den gesellschaftlichen Rückhalt, die Unterstützung dar. Das Bewusst-machen und Enttabuisieren dieser wichtigen Thematik führte zu einem Anstieg an geforderten Beratungsgesprächen über sexualisierte Gewalt. Es wurde Frauen die Angst genommen, sich zu äußern, ihre eigenen Grenzen zu kennen und diese zu wahren (vgl. Krassnig-Plass 2020).Die Bewegung sorgte also für eine nachhaltige Sensibilisierung im Hinblick auf sexualisierte Gewalt. Gerade bei der Organisation Weisser Ring e.V. melden sich seit 2017 immer mehr Menschen, um Hilfe nach einer Vergewaltigung oder bei Stalking zu bekommen.Die #MeToo-Bewegung machte außerdem deutlich, dass es immer noch ein Machtgefälle zwischen Männern und Frauen gibt und dadurch Sexismus und sexualisierte Gewalt entsteht. Es signalisiert, dass die Gesellschaft noch immer nicht bei der Gleichberechtigung angelangt ist. Die Debatte kann also als Indikator für die noch bestehende Kluft zwischen Männern und Frauen in nahezu allen beruflichen Branchen und Bereichen des alltäglichen Lebens gewertet werden. Das größte Verdienst hat die #MeToo-Bewegung also in der Öffentlichkeit gehabt, indem das öffentliche Denken angeregt wurde und existierende Unterschiede zwischen Männern und Frauen bewusst und öffentlich gemacht wurden.Feminismus ist in der breiten Masse der Bevölkerung angekommen und wird mehr denn je thematisiert und unterstützt. Feminismus generell verläuft in Wellen. Seit #MeToo und durch die Nutzung digitaler Medien wird von der vierten Welle des Feminismus gesprochen. #MeToo könnte einen Beitrag zur Entstehung dieser Welle geleistet haben (vgl. Schwarzkopf 2019).FazitDie #MeToo-Debatte entwickelte sich zu einer sehr wichtigen Bewegung, über die bis weit in die breite Öffentlichkeit hinein gesprochen wurde. Doch konnten wirklich spürbare Veränderungen hervorgerufen werden oder handelt es sich nur um folgenlosen Klicktivismus?In der vorliegenden Arbeit wurde beschrieben wie #MeToo entstand, wie es sich im Netz entwickelte und welche Veränderungen die Bewegung in der Realität hervorgerufen hat. Dabei wurde aufgezeigt, dass #MeToo seinen Anfang im realen Leben nahm, dann über das Internet an weltweite Öffentlichkeit gelangte und dort eine wichtige Debatte auslöste. Dies geschah sowohl online als auch in der realen Gesellschaft.#MeToo ist eine der größten medialen Bewegungen der letzten Jahre und steht für das Bewusst-machen von noch bestehenden Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen. Sexualisierte Gewalt wurde enttabuisiert und mehr Frauen wurden dazu gebracht, über ihre Erfahrungen zu sprechen. Anfangs wurde Hilfe im Netz in Anspruch genommen und dann bei dafür spezialisierten Organisationen in der Realität.#MeToo legte einen wichtigen Grundstein für weitere feministische Entwicklungen im Netz und der Realität. Längst wird #MeToo nicht mehr nur als Internetphänomen gesehen. Harvey Weinstein und viele andere Männer, die ihre Machtpositionen ausnutzten, wurden angeklagt und aus ihren Ämtern entlassen. Dies zeigt einen Erfolg der Bewegung, der außerhalb des Internet messbar ist.Auch arbeiten deutlich mehr Frauen in früher hauptsächlich von Männern besetzten Berufen. Auch dies ist ein spürbarer Erfolg. Aber vor allem hat #MeToo den öffentlichen Diskurs über sexuelle Gewalt, Machtmissbrauch und Ungleichheit zwischen Männern und Frauen verändert. Welche Veränderungen es zusätzlich in den nächsten Jahren geben wird, wird sich zeigen. Den Grundstein für Veränderungen hat die Debatte jedoch durch Bewusstmachung des Problems gelegt.#MeToo hat gezeigt, dass Veränderungen auch durch das Internet und die Sozialen Medien geschehen können. Es hat eine neue Form aufgezeigt, um für Rechte einzustehen. Bewusst gemacht hat es außerdem, dass ein "Internetphänomen" auch in gesellschaftliche Strukturen eingreifen kann und die Macht hat, diese nachhaltig zu verändern.Abschließend kann die Frage, ob es sich bei der #MeToo-Debatte um folgenlosen Klicktivismus handelt, mit Nein beantwortet werden. Einzelne Ereignisse, wie das Entlassen von mehr als 200 Männern in Machtpositionen oder der Prozess gegen Harvey Weinstein sind Erfolge, die sich messen lassen und auf #MeToo zurückzuführen sind. Es handelt sich nicht nur um ein Phänomen, das im Internet entstanden ist und dort geblieben ist. Es ging über die Sozialen Medien hinaus bis weit in die Gesellschaft hinein und veränderte den öffentlichen Diskurs.Literatur Amnesty International. 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In: Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte Band 113
"The CSCE process was largely responsible for keeping alive East-West dialogue during the crisis-ridden period of the 1970s and 80s. France, in full solidarity with the interests of West Germany and with its own important motivations, helped to shape this process through its own disarmament initiative, which continued to have an impact well into the future
World Affairs Online
In: tuduv-Studien
In: Reihe Politikwissenschaften 6
World Affairs Online
In: Review of international studies: RIS, Volume 37, Issue 3, p. 1191-1214
ISSN: 0260-2105
World Affairs Online