Westeuropa und die Sowjetunion: Entwicklungschancen des Ost-West-Verhältnisses in Europa
In: Aus Politik und Zeitgeschichte: APuZ, Heft B. 15, S. 3-12
ISSN: 0479-611X
"Seit der sowjetischen Intervention in Afghanistan im Dezember 1979 befindet sich das Ost-West-Verhältnis in einer Dauerkrise, die auch die Beziehungen zwischen Westeuropa und der Sowjetunion belastet. Zwar mehren sich gegenwärtig die Anzeichen, die für die Möglichkeit einer Überwindung der Krise sprechen: Die UdSSR nimmt an der KVAE teil und ist darüber hinaus im März 1984 an den Verhandlungstisch der MBFR-Konferenz zurückgekehrt; die USA, die nach Jahren der Schwäche und Demütigung ihre Weltmachtstellung wieder konsolidiert haben und jetzt aus einer Position der Stärke und Festigkeit verhandeln können, sind - nach Aussage Präsident Reagans - zu einem "konstruktiven Dialog" mit der UdSSR bereit. Andererseits ist die Lage der Sowjetunion durch wirtschaftliche Schwierigkeiten, überhöhte Militärlasten und außenpolitische Überbeanspruchung sowie vor allem durch tiefgreifende Führungsprobleme gekennzeichnet. Ob Europa in dieser Situation eine eigenständige, vermittelnde Rolle zwischen beiden Supermächten spielen kann, ist nach dem Scheitern der Gipfelkonferenz der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Gemeinschaft im März 1984 in Brüssel fraglicher denn je. Die gesicherte Einbindung Westeuropas in die Atlantische Allianz bleibt deshalb eine Grundbedingung der westeuropäischen Politik gegenüber der Sowjetunion. Die europäische Interessenlage erfordert jedoch einen Abbau der Ost-West-Spannungen und eine Verbesserung des Verhältnisses zur UdSSR, um den Frieden zu sichern und die positiven Ergebnisse der Entspannungspolitik der siebziger Jahre zu erhalten und auszubauen. Der Ost-West-Handel und Bemühungen um Fortschritte im Bereich der Rüstungskontrolle, Abrüstung und sicherheitspolitischen Vertrauensbildung dürften in den kommenden Jahren im Vordergrund der sowjetisch-westeuropäischen Beziehungen stehen. Während der Handel mit der Sowjetunion für die westeuropäische Wirtschaft auch künftig interessant bleibt, sind die Aussichten für MBFR und KVAE weniger günstig; das weitere Schicksal der unterbrochenen Verhandlungen zur Begrenzung der Mittelstreckenraketen in Europa (INF) ist zur Zeit noch gänzlich offen. Eine Rückkehr zur Entspannung, zu der die westeuropäischen Regierungen - und jetzt auch die amerikanische Administration - grundsätzlich bereit scheinen, würde aber die Voraussetzungen für Fortschritte bei den Verhandlungen verbessern. Ob es dazu kommt, hängt nicht zuletzt von der Lösung der Führungsprobleme in der Sowjetunion ab." (Autorenreferat)