Vom abstrakten zum konkreten Systemgestalter: Die Rolle des Europäischen Parlaments in den Regierungskonferenzen bis Nizza
In: Das Europäische Parlament: Supranationalität, Repräsentation und Legitimation, S. 35-45
Der Beitrag zur Europapolitik geht der Frage nach, wann und unter welchen Umständen das Europäische Parlament (EP) auf die Vertragsreformen seit Mitte der 1980er Jahre bis zur Regierungskonferenz 2000 in Nizza Einfluss nehmen konnte. Dabei vertritt der Autor die These, dass das EP einen Wandel vom abstrakten zum konkreten 'Systemgestalter' durchlaufen hat. In den 1980er Jahren hat das EP mit seinem föderal ausgerichteten Verfassungsentwurf ('Spinelli-Entwurf') einen Vorschlag gemacht, dessen Umsetzung zum damaligen Zeitpunkt als sehr utopisch erscheint. Die Ausgangslage für solche föderalen Ideen verändert sich jedoch dann, als die EU in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre und dann verstärkt nach dem Jahr 2000 ('Post-Nizza-Prozess') offiziell in die Phase der 'Verfassungswerdung' bzw. der konkreten Konstitutionalisierung eingetreten ist. Dabei wird gezeigt, so der zweite Teil der These, dass der relative Erfolg des EP als 'Systemgestalter' zum einen von der jeweiligen 'Opportunitätsstruktur' und zum anderen von den leadership-Kapazitäten des EP und engagierter Abgeordneter abhängt. Die Diskussion dieser Annahme gliedert sich in folgende Schritte: Im ersten Schritt werden zunächst konkurrierende Konzepte zur Erklärung der Rolle des EP erörtert, um schließlich deutlich zu machen, weshalb das Konzept von Grabitz u.a. (1988) die beste Grundlage für eine Analyse liefert. Grabitz u.a. schreiben dem EP mit der Politikgestaltung, der Systemgestaltung und der Interaktion drei Funktionen zu. Der zweite Schritt untersucht sodann anhand von Fallstudien die Rolle des EP in den Vertragsreformen seit der Einheitlichen Europäischen Akte (1985) bis zur Regierungskonferenz von Nizza (2000). In diesem Zusammenhang finden (1) der Verfassungsentwurf von 1984, (2) die Regierungskonferenz von 1990/1991 von Maastricht und der Verfassungsentwurf des EP von 1994 sowie (3) die Regierungskonferenz 1996/1997 von Amsterdam Berücksichtigung. Im dritten Schritt werden abschließend aus dem empirischen Teil Schlussfolgerungen abgeleitet, welche die Eingangsthese zum EP und ihrem Wandel vom utopischen und abstrakten zum konkreten und pragmatischen Systemgestalter bestätigen. (ICG2)