Lynchjustiz in Guatemala: Produktion und Erosion von Sicherheit
In: Multiple Unsicherheit: Befunde aus Asien, Nahost, Afrika und Lateinamerika, S. 229-249
Während die lateinamerikanische Praxis der Lynchmorde in den 1990er Jahren noch als Ausdruck eines versagenden Justizsystems gewertet wurde, leitete die in jüngster Zeit registrierte Ausbreitung von Lynchjustiz in Ländern mit einem hohen indigenen Bevölkerungsanteil einen Wandel des diesbezüglichen Diskurses ein: Die Lynchjustiz wird zunehmend als eine kollektive Praxis indigener "comunidades" interpretiert, die im Rahmen des lateinamerikanischen "ethnic revival" und des Kampfes um indigene Autonomie angewandt wird. Der vorliegende Beitrag setzt sich vor diesem Hintergrund zum Ziel, den medialen, politischen und wissenschaftlichen Diskurs über Lynchjustiz kritisch zu beleuchten. Es wird ein alternativer Interpretationsansatz vorgestellt, der nicht zuletzt auf die semantische Doppeldeutigkeit des Phänomens verweist. Die Ausführungen der Autorin beziehen sich u.a. auf die typischen Erscheinungsformen des Lynchmordes sowie auf die Frage, ob die Lynchjustiz ein autonomes oder anomisches Rechtssystem darstellt. Sie zeigt, dass die Lynchjustiz in Guatemala verschiedene Gesichter hat und insgesamt in einem sozialen Kontext eingebettet ist, der durch einen Anstieg von Kriminalitätsfurcht und ein Patchwork von (Un-) Sicherheiten charakterisiert ist. (ICI2)