Empirische Sozialforschung / Emanzipatorische Praxis
In: Sozialwissenschaftliche Informationen für Unterricht und Studium: sowi, Band 2, Heft 2, S. 44-49
ISSN: 0340-2304
Damit eine kritische Sozialwissenschaft ihrem emanzipatorischen Anspruch genügen kann, muß sie eine emanzipatorische Theorie entwickeln, die von den Beherrschten selbst als Ausdruck ihrer Situation und ihrer Wünsche anerkannt wird und Methoden finden, die dahin führen, daß die Beherrschten zu einer handlungsfähigen und veränderungswilligen Gruppe werden. Der Verf. diskutiert unter diesem Aspekt verschiedene Forschungsansätze und geht zunächst auf die nomologischen Sozial- und Verhaltenswissenschaften ein. Deren Theorien vergrößern die Verfügungsgewalt über Menschen, womit die Möglichkeit einer Herrschaft über Menschen steigt, da sie die soziale Wirklichkeit als eine sich ständig gesetzmäßig reproduzierende bzw. reproduzierbare Faktenwelt und nicht als theraphiebedürftige Welt menschlicher Handlungen thematisiert. Die Methoden einer nach sozialen Gesetzmäßigkeiten suchenden empirischen Sozialforschung müssen gewährleisten, daß die Versuchsperson aus der Forschungssituation in der gleichen Verfassung wieder entlassen werden, wie sie hereingekommen sind. Ein solches Wissenschaftsprogramm ist jedoch nicht realisierbar, da es an der Veränderung des Untersuchungsgegenstandes in der Untersuchung und an der Möglichkeit des Antwortens der Untersuchungsobjekte auf die Resultate der Untersuchung scheitert. Hierin liegt die Chance einer emanzipatorischen empirischen Sozialforschung, die solche Forschungsprozesse als Lernsituationen verstehen muß. Als Beispiel dafür stellt der Verf. die Methoden der Human-Relations-Bewegung und die der community-self-surveys dar, bei der die Erforschten am Forschungsprozeß selbst teilnehmen und sich dadurch verändern. (JM)