Im vorliegenden Beitrag werden Kernbefunde der empirischen Prekaritätsforschung seit den frühen 2000er Jahren zusammengefasst. Insbesondere in der Arbeits- und Industriesoziologie, der Familiensoziologie und der politischen Soziologie findet sich eine Vielzahl an Arbeiten, die die Einflüsse atypischer Beschäftigungsverhältnisse auf zentrale Bereiche des sozialen Lebens untersuchen. Die empirischen Kernbefunde und theoretischen Grundlagen aus diesen drei Teildisziplinen zusammenführend wird im Laufe des Beitrags ein handlungs- und desintegrationstheoretisch fundiertes Modells zur Erklärung der sozialen Konsequenzen atypischer bzw. prekärer Beschäftigungsformen skizziert. Anschließend wird die aktuelle (quantitative) Dateninfrastruktur in der Bundesrepublik Deutschland daraufhin untersucht, ob und inwieweit sich die im vorliegenden Beitrag aufgeworfenen Forschungsfragen und Orientierungshypothesen auf Basis der vorhandenen Datenbasis empirisch fundiert beantworten bzw. überprüfen lassen. Es zeigt sich, dass die vorhandene Dateninfrastruktur für eine theoretisch und empirisch fundierte erklärende Prekaritätsforschung in Deutschland bislang lediglich in Grundzügen vorhanden ist. Insbesondere (mögliche) Interaktionseffekte zwischen objektiven und subjektiven Prekaritätsdimensionen auf das Arbeits- und Familienleben sowie auf politische Einstellungen und Partizipationsformen lassen sich damit nur sehr grob untersuchen.
Urbane Informalität ist ein deutlicher Ausdruck der Transformationsprozesse städtischer Räume unter globalen Urbanisierungsbedingungen. Sie stellt sich insbesondere in den Megastädten des globalen Südens als Überlebenskampf der sozial und ökonomisch Benachteiligten, aber auch als enge Verflochtenheit mit den urbanen Entwicklungsprozessen dar. Informelle Siedlungen sind von Armut, Unsicherheit und Vulnerabilität geprägt. Sowohl in der politischen Rahmensetzung als auch in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung werden sie bis auf wenige integrative Ansätze bis heute als Problem sozialer, räumlicher und ökologischer Prekarität sowie als Formen der Landbesetzung behandelt, die sich außerhalb der gesetzlichen Normen situieren. Sie spiegeln jedoch auch einen hohen Grad an Selbstorganisation zur Sicherung des Überlebens wieder. Diese drückt sich durch eine gemeinschaftliche Regulierung der Siedlungsräume und Selbstkonstruktion von Infrastrukturen in Abhängigkeit zu städtischer Wohnungsbaupolitik und der Implementierung von Sanierungsprojekten aus. Die Raumproduktion informeller Siedlungen ist durch ein Ineinandergreifen verschiedener und differenzierter Akteursnetzwerke und Interessen geprägt sowie durch eine enge Verbundenheit der Bewohner mit ihrem Wohn- und Siedlungsraum. Vor dem Hintergrund, ein komplexeres Verständnis dieser wechselseitigen Prozesse zu entwickeln, richtet sich die Arbeit auf die Offenlegung der spezifischen Beziehungen zwischen den Akteuren der Raumproduktion und dem Raum informeller Siedlungen. Am Beispiel des Favelakomplexes Manguinhos in Rio de Janeiro wird untersucht, wie diese Prozesse sich entwickeln und welche Akteursnetzwerke daran beteiligt sind. Mit dem Ansatz der Arbeit wird eine neutrale Perspektive verfolgt, die den Raum informeller Siedlungen im Kontext seiner Interaktivität thematisiert. Aus dem Blickwinkel einer raumgestaltenden Disziplin ist Gegenstand der Arbeit die Entwicklung und Anwendung einer theoretisch-analytischen Methode. Sie verbindet sozialwissenschaftliche und architektonische Ansätze, die Raum in seiner interaktiven Rolle und als soziales Konstrukt verstehen. Die Erarbeitung der Methode basiert auf einer grundlegenden Auseinandersetzung mit Henri Lefebvres Werk 'La production de l'espace' von 1974 und seinem Verständnis des sozialen Raums. Sie richtet sich auf Lefebvres theoretisch-methodischen Ansatz, urbanen Raum als Produkt der Interaktion sozialer Beziehungen zwischen der Gesellschaft und den Individuen sowie im Prozess seiner Produktion zu decodieren. Es wird eine konzeptionelle und räumliche Lesart seiner Dimensionen des sozialen Raums herausgearbeitet. Die Methode richtet sich auf die Charakteristik und Entschlüsselung von räumlicher Interaktivität urbaner Räume und innerhalb der Siedlungs- und Freiraumproduktion informeller Siedlungen. Mit einer analytischen Untersuchung von 14 Comunidades in dem Favelakomplex Manguinhos kommt die Methode exemplarisch zum Einsatz. Anhand des Entwicklungsprozesses der einzelnen Siedlungsräume sowie der alltäglichen Prozesse der Freiraumproduktion wird die Komplexität und Dynamik der jeweiligen Raumproduktion sichtbar gemacht. Dazu zählt die Offenlegung der beteiligten Akteursnetzwerke, ihrer sozialen und räumlichen Praktiken der Interaktion sowie der daraus sich abbildenden differenzierten Raumstrukturen. Die Arbeit schließt mit einer Formulierung möglicher Entwicklungstendenzen anhand der markierten interaktiven Schnittstellen des Ineinandergreifens der Akteure und ihres Siedlungs- und Freiraums. Sie zeigt eine Einschätzung über mögliche Tendenzen der Reproduktion und Vervielfältigung, aber auch als Katalysator zur sozialräumlichen Konsolidierung informeller Siedlungen. Es wird eine Wissensbasis geschaffen, die das theoretisch-methodische Raumkonzept Lefebvres für eine analytische Untersuchung sozialer Problemstellungen anwendbar macht. Damit werden die Akteur-Raum-Beziehungen als Schnittstellen markiert für die Prognose der Wachstumsdynamik informeller Siedlungen, die mit dem Risiko einer Ausbreitung des informellen Bodenmarktes, aber auch als soziales und räumliches Regenerationspotenzial mit einer urbanen Tragweite sichtbar gemacht werden können. Die Arbeit versteht sich als interdisziplinärer theoretisch-analytischer Beitrag für eine Erweiterung des wissenschaftlichen Diskurses zu urbaner Informalität und interaktiver Raumproduktion. ; Urban informality is a clear expression of the transformation of urban spaces under conditions of global urbanization. Particularly in the megacities of the global South, it highlights the struggle for survival of the socially and economically disadvantaged, one that is also closely interwoven with processes of urban development. Informal settlements are marked by poverty, insecurity and vulnerability. Both political guidelines and scientific studies, with the exception of a few integrative studies, approach informal settlements as a problem of social, spatial and ecological vulnerability, as well as forms of land occupation that situate themselves outside the legal norms. They, however, also display a great deal of the self-organization required to ensure survival. This is expressed through community-based regulation of the settlement areas and a self-constructed infrastructure dependent on urban housing policy and the implementation of slum upgrading projects. Space production is marked by the interactions of various different actor networks and interests, as well as a close relationship between dwellers and their particular housing and settlement areas. With the goal of developing a more complex understanding of these reciprocal processes, the present study focuses on identifying the interconnectivity between the actors of space production and the spaces of informal settlements. The Manguinhos favela complex in Rio de Janeiro is taken as an example through which to discover how these processes develop and which actor networks are involved. This study's approach takes a neutral perspective that observes the spaces of informal settlements in the context of their interactivity. From the viewpoint of a space-designing discipline, the object of the study is the development and application of a theoretical-analytic method. The method connects social scientific and architectural approaches that understand space in its interactive role and as a social construct. Development of the method is based on a foundational engagement with Henri Lefebvre's 1974 work 'La production de l'espace' and his understanding of social space. It adopts Lefebvre's theoretical-methodological approach to decoding urban space both in the process of its production and as a product of the interactions between society and individuals. This study conducts a conceptual and spatial reading of the dimensions of social space. The method looks at the characterization and decoding of spatial interactivity of urban spaces and within the settlement and the open space production of informal settlements. It is applied to the example of the Manguinhos complex in Rio de Janeiro, with an analytical examination of 14 'comunidades'. Given the historical development processes of the individual settlement spaces, as well as the everyday processes of open space production, the complexity and dynamics of this space production is made visible. This includes the identification of the actor networks involved and their social and spatial practices of interaction, as well as the differentiated spatial structures. . This study concludes with a formulation of possible development tendencies visible in the observed interactive interfaces between the actors and their settlements and open spaces. This allows for an estimation of the possible tendencies of reproduction and multiplication, but also for the socio-spatial consolidation of informal settlements. It creates a knowledge basis that makes Lefebvre's theoretical-methodological spatial concept applicable to the analysis of social problems. The actor-space-relationships are identified as interfaces for the prognosis of growth dynamics of informal settlements, which can be made visible with respect to their risk of expanding of an informal land market, but also as the potential for social and spatial regeneration in an urban context. The work can be seen as an interdisciplinary theoretical-analytical contribution towards the enrichment of the scientific discourse on urban informality and interactive production of space.
Inhaltsangabe: Einleitung: Diese empirische Fallstudie will über unsichere Wohnlebenslagen von ALG II BezieherInnen informieren. Durch die Hartz-IV-Reformen und das Inkrafttreten des SGB II hat sich für viele der betroffenen Menschen eine neue Situation in ihrer Privatsphäre ergeben. Die vorliegende Arbeit soll Aufklärung und Erhellung der Ansichten über den zentralen § 22 SGB II, der die Kosten der Unterkunft regelt, und zur Bedeutung der kommunalen Richtlinien geben. Hauptbestandteil dieser empirischen Fallstudie für Dortmund bilden die von mir durchgeführten Intensivinterviews. Als Kern dieser Studie vermitteln sie ein lebendiges Bild im Hinblick auf eine mögliche Prekarisierung von Wohnverhältnissen von ALG II BezieherInnen. Wohnverhältnisse sind in letzter Zeit von Sozialpolitik und Sozialer Arbeit wieder verstärkt diskutiert worden im Zusammenhang mit dem Arbeitslosengeld II und den begrenzt von den ARGEn übernommenen Kosten der Unterkunft, sowie dem oftmals daraus folgenden Zwang zum Umzug in kleinere Wohnungen. Vermutlich ist das nicht alles. Häufig kommt es zu Problemen, die ein verstärktes Engagement der Sozialarbeit hilfreich erscheinen lässt. Die von mir geführten Interviews möchten einen Eindruck vermitteln, wie die Betroffenen und Interessensvertreter diese Situation sehen. An dieser Stelle der Einleitung nehme ich Bezug auf die Vorgehensweise dieser empirischen Fallstudie für Dortmund. Dieses erscheint mir sinnvoll, zumal sich die Vorgehensweise doch immer auch ein Stück – wenn auch indirekt – mit der eigenen Motivation und den Einstieg in das Thema auseinandersetzt. Wohnverhältnisse sind immer ein sensibler Bereich des menschlichen Lebens. Sicherlich auch gerade deshalb, weil sie zu einem gewissen Teil etwas über einen Menschen aussagen. Bei dem Einstieg in die Materie stand die im Rahmen von Sozialpolitik und Sozialer Arbeit diskutierte Frage, ob es einen Zusammenhang mit dem ALG II und dem daraus folgenden Zwang zum Umzug in kleinere Wohnungen gibt. Ein weiterer Aspekt von Prekarität der Wohnverhältnisse sind 'schlechte' Wohnungen, d.h. in schlechten Unterhaltungszustand z.B. Toiletten auf halber Treppe ohne eigenständiges Bad. 'ALG II Empfänger hat Anspruch auf Badezimmer. Nach Auffassung des Sozialgerichts Dortmund haben auch Empfänger von Arbeitslosengeld II Anspruch auf ein Minimum an Komfort. Eine Wohnung ohne Bad zum Beispiel ist unzumutbar. Langzeitarbeitslose dürfen sich selbst dann eine besser ausgestattete Wohnung suchen, wenn sie bislang ohne Bad gewohnt haben'. Die weithin bekannteste Form von prekären Wohnverhältnissen ist die Obdachlosigkeit. Obdachlosigkeit ist in dieser vorliegenden Studie jedoch nicht Bestandteil der Betrachtung. Sich damit zu beschäftigen, wäre Aufgabe einer eigenständigen Arbeit. Das beengte Wohnen von Hartz IV Betroffenen, bedingt durch die Zumutbarkeitsregelung innerhalb des SGB II und die zunehmende Konzentration von ALG II Haushalten in bestimmten Stadtvierteln, darf als Einstieg in die Materie gesehen werden. In Dortmund, wie in allen Städten und Kreisen der Bundesrepublik Deutschland, hat sich bereits eine Praxis des Umgangs mit der Wohnberechtigung von ALG II BezieherInnen herausgebildet. Die Sozialberichterstattung der ARGE hat den Umfang der erforderlichen Umzüge nach der Gesetzesänderung dokumentiert. Über die gesetzlichen Grundlagen für das Wohnen von ALG II Beziehern, über die Richtlinien der Wohnungsversorgung und über das Ausmaß der Umzüge konnte ich mich anhand einschlägiger Beschlüsse des Rates und der Sozialberichterstattung informieren. Der Strukturatlas der Stadt Dortmund – bekannt als 'Strohmeierbericht' – zeigt deutlich, in welchen Stadteilen eine Konzentration von sozial mehrfach benachteiligten Bürgerinnen und Bürgern leben. Bereits während meines Studiums und dem darin integrierten Praxissemester habe ich mich eingehend mit der Frage der Prekarisierung von Wohnverhältnissen von ALG II BezieherInnen und deren räumlicher Konzentration in bestimmten Stadtteilen Dortmunds befasst. Bei der Sozialforschungsstelle Dortmund, in Kooperation mit dem Planungsforschungsbüro Dr. Müller wurde diese Fragestellung konkretisiert. In selbständig durchgeführten qualitativen Interviews mit verschiedenen Schlüsselpersonen und betroffenen MieterInnen, die einen Hauptbestandteil dieser empirischen Fallstudie ausmachen, konnte ich der bisher noch wenig untersuchten Frage zu den Kosten der Unterkunft gemäß SGB II nachgehen.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: 1.Einführung in das Thema Prekarisierung von Wohnverhältnisse4 1.1Definition Der Prekarisierung4 1.2Begriffserklärung5 1.3Wohnen: Zustand in Dortmund6 1.4Warum kann Hartz IV Prekarisierung bedeuten?7 1.5Vorgehensweise8 2.Ein Gesetz in der öffentlichen Diskussion10 2.1SGB II: Kosten der Unterkunft12 2.1.1Regelleistung und Unterkunftskosten14 2.1.2Wer ist anspruchberechtigt?16 2.2Verbände und die ARGE.18 2.3Kritik an der Hartz IV Reform: Kosten der Unterkunft21 2.3.1Der Wohnungsmarkt, Konzentration und Prekarisierung24 2.3.2Soziale Ungleichheit27 3.Gesetzliche Grundlagen: Praxis in Dortmund28 3.1Die ARGE Dortmund:eine Konstruktion der öffentlichen Hilfe28 3.2Die ARGE: Aufgaben und Genehmigungspraxis30 3.2.1Die ARGE Dortmund nimmt Stellung33 3.2.2Abweichungen von der gÄngigen Praxis39 3.3Bedarfsgemeinschaften in Dortmund: Ein soziales Problem40 4.Das qualitative Interview: Methoden43 4.1Das narrativeVS. Leitfadengestützes Interview43 4.2Das Vorgespräch45 4.3Die Reflexivität45 4.4Der Ton macht die Musik47 4.5Die Transkription47 5.Die Interviews49 Kontaktaufbau49 5.1Ein Betroffener50 Herr O. - 'Irgendwann werde ich mal ausziehen müssen!'50 5.2Eine betroffene Familie56 Familie T. - 'Aber ich gehe doch arbeiten!'56 5.3Der Vorsitzende des Mietervereins61 Die Nordstadt darf kein Tabu sein61 5.4Eine Beraterin67 'Geh nicht alleine zur ARGE!'68 5.5Fazit75 6.Bewertung der Interviews: Kosten der Unterkunft und die Prekarisierung von Wohnverhältnissen77 6.1Der junge Mann Herr O.: Einordnung und Bewertung77 Schlüsselfrage: 'Zwangsumzug'79 6.2Die Bedarfsgemeinschaft: Einordnung und Bewertung80 6.3Die Sozialberater: Einordnung und Bewertung82 6.3.1Der Vorsitzende des Mietervereins: Sozial-Politiker83 6.3.2Die Prekäre Situation84 6.3.3Feststellbare Konzentration?85 6.3.4Die Sozialberaterin aus dem ALZ Dortmund85 6.3.5Kritik an der Aufklärungsarbeit der ARGE87 7.Tätigkeitsfelder für Soziale Arbeit: Beratungsbedarf88 Das ALZ als Beratungsstelle89 Beratungspflicht der ARGE und Selbsthilfe90 Ängste vonALG II Empfänger/Innnen92 7.1Präventive Beratung93 7.2Schuldnerberatung als Aufgabe der sozialen Arbeit94 7.3Psychosoziale Begleitung95 7.4Resümee96 8.Zusammenfassung98 8.1Soziale Arbeit: Ratgeber für Betroffene100 8.2Folgerungen für die Sozialpolitik101 Literaturverzeichnis103 Tabellenverzeichnis106 Verzeichnis der Abbildungen107Textprobe:Textprobe: Kapitel 3, Gesetzliche Grundlagen: Praxis in Dortmund: Dieses Kapitel will eine präzise und verständliche Beschreibung für die Übernahme von Wohnkosten für ALG II BezieherInnen bieten. Der Leserin und dem Leser soll eine aufschlussreiche Erklärung des Gesetzes geboten werden, dabei hat es den Anspruch keine bloße Aufzählung oder Aneinanderreihung von Paragraphen aus dem Sozialgesetzbuch abzubilden. Das Gesetz soll erlebbar und anschaulich gemacht werden. Dabei wird sich dieser Abschnitt weitgehend mit dem ALG II beschäftigen, welches sich im SGB II wieder findet. Der Fokus richtet sich demgemäß auf einen speziellen Teilbereich des SGB II. Eine weiterführende Betrachtung, ja, möglicherweise Vergleiche mit dem alten BSHG, sind nicht Bestandteil dieses gesetzlichen Grundlagenkapitels. Dieses wäre vielmehr die Aufgabe, mit der sich eine eigenständige Ausarbeitung beschäftigen müsste. Es wäre eine singuläre Aussage, wenn man behaupten würde, dass der Wechsel vom BSHG zum SGB II der alleinige Grund für eine eventuelle Prekarisierung von Wohnverhältnissen sei. Hier spielen die verschiedensten Determinanten eine Rolle. In den nachfolgenden Punkten wird als erstes das Konstrukt ARGE vorgestellt. Im Anschluss daran, sehen wir wie die ARGE in ihrer Genehmigungspraxis vorgeht. Die ARGE Dortmund:eine Konstruktion der öffentlichen Hilfe: ARGE ist zunächsteine gebräuchliche Abkürzung für den Begriff einer Arbeitsgemeinschaft. In diesem Zusammenhang bezeichnet es aber die Arbeitsgemeinschaft nach dem Sozialgesetzbuch II. Bei der ARGE, oftmals auch mit dem Zusatz JobCenter versehen, ist in dem Kontext der Studie, der Träger zur Grundsicherung für Arbeitssuchende gemeint. Da es sich hier um eine Studie für die Region Dortmund handelt, gilt es, das Augenmerk auf die Aufgaben und Genehmigungspraxis der Dortmunder ARGE zu richten. Gleichwohl dieses gängige Praxis in fast allen kreisfreien Großstädten im Bundesgebiet ist. Der Gesetzgeber regelt in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB II die sachliche Zuständigkeit der Leistungsträger. Aufgrund § 44b SGB II, der die Möglichkeit zum Zusammenschluss von Bundesagentur und kommunalen Träger zu einer ARGE bietet, schloss sich die Agentur für Arbeit Dortmund zu einem gemeinsamen Träger zusammen. Die ARGE beschreibt sich in ihrem Selbstporträt auf ihrer eigenen Internetseite wie folgt: 'Die JobCenterARGE Dortmund betreut und vermittelt die Bezieher von Arbeitslosengeld II in Dortmund. Zugleich ist sie Ansprechpartner für Arbeitgeber bei der Meldung offener Stellen und der Prüfung möglicher Einstellungshilfen. Eine Steuerung der Arbeit der ARGE und ihre Einbindung in die lokalen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Strukturen Dortmunds erfolgt über drei Gremien. Trägerversammlung: Die ARGE (ARbeitsGEmeinschaft) wird gemäß § 44b Sozialgesetzbuch II von der Agentur für Arbeit Dortmund und der Stadt Dortmund getragen, diese Träger tagen in der Trägerversammlung. Ende 2005 hat die Stadt Dortmund in dem vierköpfigen Gremium das entscheidende Stimmrecht übernommen. Vorsitzender ist Oberbürgermeister Dr. Gerhard Langemeyer. Weiterhin vertreten ist Stefan Kulozik, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Dortmund. Trägerausschuss: Zur Beteiligung der lokalen Politik hat die Gesellschafterversammlung einen Trägerausschuss einberufen, in dem sechs Vertreter aus dem Rat der Stadt Dortmund und sechs Vertreter der Agentur für Arbeit sitzen und Empfehlungen für die Trägerversammlung aussprechen. Der Ausschuss tagt einmal im Quartal, Vorsitzender ist Stadtrat Siegfried Pogadl als Vertreter des Oberbürgermeisters. Beirat: Mindestens zweimal jährlich tagt der Beirat der ARGE. Den Vorsitz führen jährlich wechselnd der Dortmunder DGB-Vorsitzende Eberhard Weber und der Geschäftsführer des Unternehmensverbandes der Metallindustrie, Dr. Heinz S. Thieler. Die 18 Mitglieder dieses Gremiums kommen aus Wohlfahrtsverbänden, den politischen Fraktionen im Rat der Stadt Dortmund, der Handwerkskammer, der IHK, Gewerkschaften, Unternehmerverbänden und Qualifizierungsträgern. Der Beirat hat Beratungsfunktion, er soll bei der Entwicklung von regionalen Lösungskonzepten helfen, die Rahmenkriterien der Arbeitsmarktpolitik miterarbeiten, Zukunftsthemen ansprechen und den gesellschaftlichen Konsens fördern'. Die ARGE: Aufgaben und Genehmigungspraxis: Das Selbstporträt der ARGE Dortmund im vorhergehenden Kapitel beschreibt eine Vielzahl der unterschiedlichen Aufgaben, welche die Arbeitsgemeinschaft in ihrer täglichen Praxis zu erfüllen hat. Der Blick soll sich aber nunmehr auf die Aufgaben der ARGE im Kontext der Übernahme von Wohnkosten richten. Die Umsetzung des Gesetzes ist die ureigenste Aufgabe der ARGE. In diesem Kontext prüft die ARGE formal, ob die vom Gesetzgeber festgelegten Kriterien für eine Leistungsgewährung bei den von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen vorliegen. Nachdem der Hilfsbedürftige einen Leistungsantrag auf Übernahme von Wohn- und Heizkosten bei der ARGE gestellt hat, prüft diese, ob die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 SGB II vorliegen. In dieser Vorschrift heißt es: '§ 7 Berechtigte. (1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die: 1. das 15 Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. 2. erwerbsfähig sind. 3. hilfebedürftig sind. 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. (2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit Erwerbsfähigen in einer Bedarfsgemeinschaft leben'. Die ARGE prüft prinzipiell, ob die Wohnung der hilfebedürftigen Person im Rahmen der Angemessenheitskriterien liegt. Hier stellt sich die Frage: Nach welchen Kriterien oder Richtlinien prüft die ARGE dieses überhaupt? Was gilt als angemessen und was gilt als unangemessen? Das SGB II lässt hier einen erheblichen Handlungs- und Ermessenspielraum der Kommunen. Die Angemessenheitskriterien werden nicht definiert oder durchdekliniert. Vielmehr überlässt der Gesetzgeber den Kommunen einen politischen Aushandlungsprozess in Gang zu setzen. In Dortmund ist der Mieterverein bei diesem Aushandlungsprozess in starken Maß beteiligt. Der Mieterverein als Interessensverband beteiligt sich engagiert an einer öffentlichen Diskussion über die Angemessenheitskriterien der Kosten der Unterkunft. Die Stadt Dortmund ist einer der beiden Träger der kommunalen ARGE. Der Rat der Stadt Dortmund mit seinen Abgeordneten trifft parlamentarisch die wichtigen Vorentscheidungen für Sachfragen im Bereich Arbeit und Soziales. Diese im Rat verabschiedeten Beschlüsse werden in die Trägerversammlung der ARGE Dortmund gebracht. Die politischen Parteien üben insofern einen großen Einfluss auf die Politik und Praxis der ARGE aus. Die Definition der angemessenen Kaltmiete und ob eine Toleranzregelung für praktikabel gehalten wird, sind das Ergebnis eines politischen Ringens und Tauziehens auf verschieden Seiten. Die öffentlich geführte Diskussion, auf die ich im zweiten Kapitel dezidiert eingegangen bin, hat sicherlich einiges zu diesem Aushandlungsprozess beigetragen. Nach derzeitigem Stand (April 2008) betragen die angemessenen Kosten der Kaltmiete für einen Ein-Personenhaushalt 218,70 Euro. Für die Betriebskosten werden nochmals 58,05 Euro veranschlagt und somit als angemessen anerkannt. Nach dem Gesetz dürfen Mietkosten für Wohnungen nur insoweit übernommen werden, wie diese der Angemessenheit entsprechen. 'Besteht das Mietverhältnis seit 2004, darf die ARGE nicht ohne Weiteres die Ihnen zustehende Leistung kürzen. Zunächst müssen Sie aufgefordert werden, Ihre Wohnkosten zu senken (…)'.