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Am 17. Oktober 1978 beging Jean Amery in Salzburg Selbstmord. Kesting würdigt Leben und Werk des Dichters. Amery sucht nicht das System, sondern den Diskurs, seine Arbeiten sind bekenntnishaft-selbstanalytisch, seine Essays brilliant. Der Faschismus, den Amery in Österreich und Deutschland miterlebte, zerstörte seine frühen Träume. Er nahm an der französischen Widerstandsbewegung teil, erlitt Folter und verschiedene Konzentrationslager. Diese Erlebnisse prägen sein weiteres Leben. Sein Verhältnis zu Deutschland war nach der Niederlage des Faschismus weiter gestört, da er eine Gesamtschuld im Sinne moralischer Verantwortung beim deutschen Volk sah, die es nie anerkannt und eingelöst hat. Er sah, daß in der BRD nicht die Opfer, sondern die Henker begnadigt worden waren. In den späten Jahren vollzog sich eine politische Desillusionierung, da nicht nur die sartresche Zukunftsphilosophie scheiterte, sondern auch die demokratischen Staaten versagten, gleichfalls die sozialistischen Länder. Er sprach von einem Versagen der Geschichte. Da die Vernunft der Geschichte zerstört war, wurde er auf die nackte Existenz zurückgeworfen, die sich im Prozeß des Alterns auflöst. Den Selbstmord bestimmte Amery als unveräußerliches Menschenrecht. Der Freitod war Weg ins Freie, nicht das Freie selbst. Sein Essay "Hand an sich legen. Diskurs über den Freitod" gibt letztlich jedoch den Lebenden recht. Sein Werk sieht er als Beitrag dazu an, daß "Kenntnis zur Erkenntnis und diese zur Sittlichkeit" führt. (BG)