Deutschland auf dem Weg zur "Kanzlerdemokratie"?: zur Bedeutung der Kanzlerkandidaten für das Wahlverhalten bei den Bundestagswahlen 1990 bis 2005
In: Sind wir ein Volk?: Ost- und Westdeutschland im Vergleich, S. 158-187
"Bundestagswahlen sind Kanzlerwahlen" - so fasste Theodor Eschenburg vor fast 40 Jahren den Charakter von nationalen Wahlen in Deutschland zusammen. Damit hob er nicht nur die starke Rolle des Bundeskanzlers im parlamentarischen System der Bundesrepublik hervor, sondern beschrieb auch die Bedeutung von Kandidatenorientierungen im Wählerkalkül. Dass diese im Laufe der letzten Jahre größer geworden ist, behaupten die Vertreter der These von der Personalisierung des Wahlverhaltens, welche im vorliegenden Beitrag anhand der Querschnittserhebungen des DFG-Projekts "Politische Einstellungen, politische Partizipation und Wählerverhalten im vereinigten Deutschland" empirisch überprüft wird. Im Mittelpunkt der Analyse stehen u.a. die Personalisierung von Wahlkampfführung, Medienberichterstattung und Wahlverhalten, die Bewertung und das Image der Kanzlerkandidaten, die Kandidatenorientierung im Rahmen von Fernsehdebatten sowie die Auswirkungen der TV-Duelle auf die Wahlentscheidung der Deutschen. Die Ergebnisse liefern nur wenige Hinweise darauf, dass das relative Gewicht von Kandidatenorientierungen im Vergleich zu anderen kurz- und langfristigen Faktoren, die die individuelle Wahlentscheidung beeinflussen, in den vergangenen Jahren zugenommen hat. Eine Personalisierung des Wahlverhaltens ist trotz einer behaupteten (und teilweise nachgewiesenen) Personalisierung von Wahlkämpfen und Medienberichterstattung in beiden Landesteilen nicht zu erkennen und Deutschland befindet sich nicht auf dem Weg zu einer "Kanzlerdemokratie". (ICI2)