Einstellung der Bevölkerung zu psychisch Kranken: eine Übersicht über empirische Einstellungsuntersuchungen
In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie: KZfSS, Band 25, Heft 2, S. 336-349
ISSN: 0023-2653
In einem systematischen Überblick werden Untersuchungen der Einstellung zu psychisch Kranken vorgestellt und in den Ergebnissen kurz beschrieben. In den Untersuchungen sollten auch Ansätze zu einer Einstellungsänderung erkundet werden. Diese Einstellungsänderung ist notwendig für Reformansätze der Psychiatrie, die eine verständnisvolle Haltung der Gesellschaft gegenüber ihren psychisch Kranken erfordern. Vorwiegend mit den Techniken des Interviews, der Inhaltsanalyse und des Experiments wurden verbale Äußerungen über Gefühle, Wissen und Verhaltensweisen gegenüber Geisteskranken gemessen. Andere Befragungen untersuchten die Einstellungen zu Einzelaspekten der psychiatrischen Behandlung, Einrichtung und zum Berufsimage des Psychiaters. Untersuchungen zu Einstellungen von Familienmitgliedern zeigen, ähnlich wie in der Bevölkerung, ein Unverständnis gegenüber den psychiatrischen Behandlungsmethoden. Ihr Interesse richtet sich vor allem auf die somatische Betreuung. Die Dauer der Hospitalisierung vergrößert die Distanz zum psychisch Kranken. Als Determinanten der insgesamt negativen Einstellung zum Bereich der Psychiatrie wurden demographische, sozioökonomische und soziokulturelle Faktoren, Persönlichkeitsvariablen und der Kontakt mit psychisch Kranken untersucht. Die Ergebnisse zeigen zwar einen wachsenden Informationsstand der Bevölkerung, der allerdings die negative Einstellung nicht beseitigen konnte. Zudem weisen andere Untersuchungen auf eine Diskrepanz zwischen Einstellung und Verhalten hin, der mit einer Informationsanhäufung nicht begegnet werden kann. Programme für die Einstellungsänderung mit dem Ziel, Vorurteile abzubauen und bereits leichtere psychische Störungen zu erkennen, laufen Gefahr, auch leichte Fälle mit dem Begriff Geisteskrankheit zu stigmatisieren. (HM)