After the collapse of the Soviet Union the former member states have started the transformation process. The transformation process from planned to market economy includes not only the adaptation of the economy to the new market rules but also the profound social and political transformation. For this reason such processes present huge challenges to affected societies. The transformational recession in Georgia was significantly enhanced by the civil war and by ethnic conflicts in Abkhazia and South Ossetia. During the ethnic conflicts and civil war the business and technical infrastructure were damaged and most of them were completely destroyed. Poverty and political instability were predominated. The trade relations with the member countries of Council of Mutual Economic Assistance (Comecon) were aborted. Moreover, the conflict in South Ossetia hampered the power supply from Russia and a conflict in Abkhazia, the production and trade with tea and citruses, which were major trade commodities at that time. In the beginning of 90-ies, Georgian government with the assistance of international organizations, such as International Monetary Fund and World Bank started to elaborate political and economical reforms. The reforms included several aspects, such as the transfer of public assets to private through privatization, the liberalization of domestic market and trade and the creation of market-oriented institutions. Because of lack in implementation neither economical nor political transformation has been achieved. For instance, by the begin of market oriented reforms the awareness of policy makers about the importance of entrepreneurship, in particular small and medium ones for the economy was low. The absence of previous experience prevented the elaboration of appropriate policy instruments and methods for the development of competitive market economy. The stimulation of private sector has been generally neglected. This had a severe affect on political, social and economical problems, which still hampers the development of middle class in Georgia. The presented research indicates that productive entrepreneurship is a driving force of an economy. The entrepreneurial activities on the one hand facilitate the resource allocation and on the other through the development of new products and services urge the competition. Furthermore, they contribute to technological improvements through innovation, create jobs and thus boost the economic and social development of a particular region or country. However, it is important that the legal and institutional framework is appropriately settled. Unlike mature market economies, Georgia is not characterized by well-developed sector of small and medium sized businesses. Most existing SMEs are operating in local markets and predominantly in the shadow economy. It is also noteworthy that small business in Georgia belongs to so called "mom and pop" rather than to innovative, growth oriented businesses. They are mostly engaged in trade and craft. In addition of poor performance, the business activity of SMEs is very centralized. The vast majority of them are operating in the capital Tbilisi. The poor performance of small and medium businesses in Georgia and their negligence by the market forces is among others due to the armed conflicts and state failure. As in the beginning of transformation process, down to the present day, the state fails to provide necessary conditions, such as rule of law, the protection of property rights and competition, transparent and uncorrupted public administration. The result is the weak middle class. The weak middle class by itself has a negative impact on economic development and democratization process in Georgia. ; Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion haben die ehemaligen Mitgliedstaaten angefangen, ihre Wirtschaftssysteme zu transformieren. Beim Prozess der Transformation von einer Planwirtschaft zu einer Marktwirtschaft handelt es sich um mehr als um einen Prozess der wirtschaftlichen Umwandlung: Er beinhaltete sowohl einen tiefgreifenden sozialen als auch einen politischen Wandel. Aus diesem Grund stellen derartige Transformationsprozesse eine große Herausforderung für die betroffenen Gesellschaften dar. Die transformationsbedingte Rezession in Georgien wurde in der Anfangszeit durch den Bürgerkrieg und ethnische Konflikte wesentlich verstärkt. Im Laufe der Kriegszeit wurden sowohl die technische als auch die geschäftliche Infrastruktur im Wesentlichen zerstört. Es herrschten Armut und politische Instabilität. Die Handelsbeziehungen mit Mitgliedstaaten des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) wurden abgebrochen. Zudem behinderte einerseits der Krieg in Südossetien Energielieferungen aus Russland andererseits schwächte der Krieg in Abchasien die Produktion von Zitrusgewächsen und Tee sowie den Handel mit ihnen. Diese Produkte gehörten damals zu den wesentlichen Exportgütern von Georgien. Im Jahr 1994 wurden die marktwirtschaftlichen Reformen in Georgien durch den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank unterstützt. Die Unterstützungsmaßnahmen konzentrierten sich zunächst auf den Privatisierungsprozess, auf die Stabilisierung und die Liberalisierung der Märkte. Die Stabilisierungs-und Liberalisierungsmaßnahmen wurden durch diese Unterstützung effektiv durchgeführt. Dadurch wurde ein gewisses Maß an wirtschaftlicher Stabilisierung erreicht, was jedoch die Privatisierung anbetrifft, blieben die Ergebnisse des Prozesses insgesamt mangelhaft. Es ist ganz offensichtlich, dass mit dem Beginn der marktwirtschaftlichen Reformen das Bewusstsein für die volkswirtschaftliche Bedeutung des Unternehmertums, insbesondere der KMU, unter den politischen Entscheidungsträgern allerdings nicht mit der notwendigen Geschwindigkeit gewachsen ist. Die Rolle der kleinen und mittleren Unternehmen für die Volkswirtschaft sowie die Instrumente und Methoden, um eine moderne wettbewerbsfähige Marktwirtschaft aufzubauen und institutionell zu kräftigen, waren den Entscheidungsträgern in den Georgien aus Mangel an früheren Erfahrungen zunächst unbekannt. Deswegen wurde es versäumt, Maßnahmen zur Förderung der kleinen und mittleren Unternehmen zu erarbeiten. Dies führt bis heute zu transformationsbedingten politischen, wirtschaftlichen und sozialen Problemen, welche die Entstehung eines starken Mittelstands bremsen. Die Ergebnisse der Forschung zeigen, dass auf die makroökonomische Ebene bezogen das produktive "Entrepreneurship" einen Schlüssel zu Wachstum und Dynamik der Wirtschaft darstellt. Unternehmerische Aktivitäten ermöglichen einerseits eine effiziente Allokation der Ressourcen, andererseits treiben sie durch die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen den Wettbewerb an. Darüber hinaus erfüllen sie im praktischen Wirtschaftsleben aber noch weitere wichtige Funktionen: Vor allem gewährleisten sie den technischen Fortschritt, indem sie Innovationen durchsetzen, sie tragen zum Entstehen von Arbeitsplätzen bei und beschleunigen die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung, indem sie brach liegende Potenziale mobilisieren. Es ist jedoch unbedingt notwendig, dass die rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen korrekt festgesetzt sind, damit die Entrepreneure diese Ziele erreichen können. Die Analyse des Status quo in Georgien hat verdeutlicht, dass die überwiegende Zahl der kleinen und mittleren Unternehmen in den Bereichen Handel und Dienstleistungen beschäftigt ist. Die Tätigkeit von vielen davon ist eher als "Proprietorship" statt "Entrepreneurship" zu charakterisieren. Die Ursache, dass sich in Georgien eine unproduktive Form unternehmerischer Tätigkeit entwickelt hat, ist u. a. auf Staatsversagen zurückzuführen. Wie in der Anfangsphase versagt der Staat bis heute bei der Bereitstellung der notwendigen Rahmenbedingungen und der Festlegung gerechter Spielregeln, und darunter leiden kleine und mittlere Unternehmen stärker als die großen. Da die notwendigen Rahmenbedingungen in Georgien noch nicht im gewünschten Maße bereitgestellt sind, und die Institutionen einfach fehlen, erschwert das weiter die Funktion der Märkte, sodass die kleinen und mittleren Unternehmen auch durch die Märkte benachteiligt werden.
Intentionales Kinderfernsehen transportiert spezifische Vorstellungen von Kindheit und ist ebenso politisches Objekt wie Ausdruck gesellschaftlicher Zeitströmungen. Für letztere sind die Globalisierung und Marktorientierung vieler Lebensbereiche von zunehmender Bedeutung. Auch für das Kinderfernsehen wurde immer wieder eine zunehmende Internationalisierung, Amerikanisierung, Kommerzialisierung und Vermassung, die zueinander in Beziehung gesetzt wurden, kritisch konstatiert, ohne dies mit eindeutigen Analysen zu untermauern. Die vorliegende Arbeit hat deshalb den aktuell erreichten Grad der Internationalisierung des Kinderfernsehens und dessen Bedeutung für das Programmangebot untersucht. Als Gegenstand der Studie wurden dabei das deutsche und das britische Kinderfernsehen miteinander vergleichend in Beziehung gesetzt. Nach einer medienhistorischen, kulturellen und wissenschaftlichen Einordnung der Thematik wurde für einen künstlichen Programmmonat im Frühjahr 2003 eine quantitative Bestandsaufnahme und statistische Auswertung von 21.177 Kindersendungen in beiden Ländern erstellt. Auf Basis der darin aufgezeigten Trends wurden drei Animationsserien unterschiedlicher Provenienz qualitativ auf formale, ästhetische und inhaltliche kulturelle Implikationen – national oder international – untersucht. Die quantitative Analyse ergibt, dass die Kinderfernsehangebote in Deutschland und Großbritannien bereits nach wenigen Monaten zu über 50 % identisch sind, während die jeweils eigenständigen Programmanteile die Minderheit bilden. Die Schnittmenge wird zu 80 % von Animationsserien bestimmt, und die dominierenden Programme stammen aus den USA, während sich aus Europa nur britische Produktionen nennenswert behaupten können. US-amerikanische Animationsserien allein machen 27 % des deutschen und 40 % des britischen Kinderfernsehangebots aus. Die Genrezusammensetzung beider Angebote ist weit-gehend identisch, obwohl das Material aus unterschiedlichen Quellen bezogen wird und die Briten stärker zu spezialisierter Programmbeschaffung neigen. Maßgeblicher Träger der Internationalisierung, Amerikanisierung und Cartoonisierung des Kinderprogramms sind die Zielgruppenkanäle, die zu den Sendernetworks der global operierenden Medienkonzerne gehören. Werden von diesen auch nur die fünf mit der längsten täglichen Sendezeit nicht berücksichtigt, sinkt der Umfang des Gesamtangebots an Kinderprogrammen um zwei Fünftel. Gleichzeitig schrumpft die programmliche Schnittmenge bei-der Märkte auf 40 Prozent, während die europäischen Produktionen gegenüber den amerikanischen an Bedeutung gewinnen. Das wechselseitige Verhältnis des britischen und des deutschen Kinderfernsehens verschiebt sich dadurch ebenfalls: Insgesamt ist das britische Programm für deutsche Produktionen und Koproduktionen nur halb so durchlässig wie umgekehrt; ohne die Network-Kanäle sogar nur ein Fünftel so durchlässig. Insgesamt zeigt sich eine weitgehende Internationalisierung des Kinderfernsehens, die sich in einer Homogenisierung der beiden nationalen Programmangebote und deutlicher Dominanz der Animation vor allem bei Importen und Koproduktionen äußert. Diesem Befund entspricht die inhaltliche Angleichungstendenz: Für eine erfolgreiche internationale Verwendung von Programmen ist der Verzicht auf alltagskulturelle Implikationen vorteilhaft. Dies führt dazu, dass standardisierte Produktionen in stilisierten oder phantastischen Umgebungen, mit klischeehaften Figuren und allgemeinverständlich-banalen Plots das Programm in beiden Ländern bestimmen und vereinheitlichen. Sofern doch einmal nationalkulturelle Referenzen vermittelt werden, sind diese am ehesten amerikanischen Ursprungs, da europäische Kinder aus anderen medialen Kontexten darauf vorbereitet sind. Das gegenwärtige Kinderfernsehen ist somit weniger international als vielmehr "glocal", es bewegt sich zwischen den beiden Polen des lokal-kulturspezifischen und des global-standardisierten Programms. Die Darstellung der weltweiten Vielfalt an Perspektiven und Themen ist dagegen bedeutungslos geworden. Ausgehend von den Ergebnissen dieser Studie können weiterführende Untersuchungen zukünftig Auskunft darüber geben, wie sich dieses "glocalisierte" Kinderfernsehen auf das kulturelle Bewusstsein und die Mentalitätsbildung des Kinderpublikums auswirkt. ; Intentional children's television communicates specific ideas of childhood and is subject to political debates and contemporary controversy. The latter two are increasingly reflecting the current globalization and commercial orientation across many aspects of daily life. It comes as no surprise that also for children's television an increasing internationalization, Americanization, commercialization and loss of identity and their interrelation were critically noticed in recent years, however a dedicated analysis is overdue. The present work is devoted to the Status Quo of internationalization in children's television as reflected by the available program. Subject of this study is a comparative description of both the British and German program starting from a historical sketch of children's TV. The cultural discussion and the literature are subsequently presented. For an artificial month (four disjunctive weeks) in spring 2003, 21,177 broadcasts of children's TV from both countries are the broad statistical basis for a quantitative analysis. According to representative trends three animation series of different origin are selected and qualitatively analysed with respect to formal, aesthetic and content-related cultural indications of national or international implications. The quantitative analysis reveals that over a few extrapolated months the available children's TV programs in both countries share more than 50 percent common material, i.e. the independent part is the minority. Eighty percent of the common share are animation series, predominantly originating from the USA, while among European productions only those from the UK have a portion worth mentioning. American animation series provide 27 percent of the total German children's program and even 40 percent of the British. The taste, probably best reflected by the genres is almost identical with only a difference in the providers i.e. a slightly stronger British focus on national specialties. The main promoter of internationalization, Americanization and increasing amounts of cartoons are network channels, belonging to globally operating media companies. If only five of them (those that also broadcast at night) are omitted, the total program volume shrinks to only 60 percent of the previous value with a simultaneous reduction of the common program to only 40 percent. In addition European productions gain relevance in the remaining dataset. The mutual relation of British and German children's TV market is also affected: Generally the British program is only half as accessible for German (co-) productions as the German program is to British (co-)productions but ignoring the network-channels this ratio drops to only a fifth. There is a strong tendency to internationalization in children's television as reflected by a homogenisation of both markets and a predominance of animation in imports and co-productions. This finds its correspondence in the content: to achieve a wide international distribution the abandonment of cultural references is advantageous if not mandatory. This results in standardised productions of stylised or fantastic scenarios with clichéd and stereotype characters in trivial plots that dominate and unify the program in both countries. Existing references to a national background are mostly American, probably they do not interfere with expectations as European children are prepared by other media. The contemporary children's television is thus more "glocal" than international; it is biparted into local, culture-specific references and a globally standardised program. The illustration of the global diversity of viewpoints and topics has become irrelevant. Starting from these findings, further studies should address how this "glocal" children's television shapes the cultural awareness and the mentality of the young target group.
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#MeToo – nach über fünf Jahren ist dieser Hashtag immer noch nahezu jeder Person ein Begriff. Der Aufschrei über sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch im Jahr 2017 war groß. Frauen auf der ganzen Welt solidarisierten sich mit den Opfern von sexualisierter Gewalt oder teilten ihre eigenen Geschichten. Und heute? Wie hat sich #MeToo entwickelt? Endete die Thematik in genervtem Kopfschütteln? Gilt die Debatte als beendet? Fünf Jahre nach dem ersten Aufschrei stellt sich nun die Frage: Hat sich etwas verändert und das spürbar für die breite Öffentlichkeit?Eines kann klar gesagt werden: Die Medien beschäftigen sich auch heute noch mit dem Thema des Machtmissbrauchs, des Machtungleichgewichts und mit sexualisierter Gewalt. Diese Thematik und der damit stark verbundene Feminismus sind in aller Munde. Ist dies ein Verdienst der #MeToo-Debatte aus dem Jahr 2017? Oder war die Debatte ein reines Internetphänomen, das folgenlos im Sand verlief?Diese Fragen standen im Zentrum der Recherche zu dieser Ausarbeitung. Ich möchte mich der Frage widmen, ob #MeToo mehr als folgenloser Klicktivismus war. Hierfür beginne ich mit einigen Begriffsdefinitionen, die inhaltlich wichtig sind für die Fragestellung, um anschließend Ursprung und Entwicklung der Bewegung zu betrachten. Zusätzlich wird auf die Kritik an der #MeToo-Debatte eingegangen, um einige der Kritikpunkte zu entschärfen. Die Veränderungen, die #MeToo eventuell erzielen konnte, werden im Anschluss beschrieben und zwar in Bezug auf Hollywood sowie auf die allgemeine Öffentlichkeit insbesondere in Deutschland.Sexismus, sexuelle Belästigung und sexuelle GewaltIn dieser Seminararbeit wird häufig über diese Begriffe gesprochen, weshalb diese einer Definition bedürfen, um Unklarheiten vorzubeugen.Sexismus ist eine voreingenommene, vorurteilsbehaftete Verhaltensweise, die Menschen aufgrund ihres Geschlechtes diskriminiert. Dies kann auch durch Menschen des gleichen Geschlechtes erfolgen. Meist beruht Sexismus auf einem ungleichen Machtverhältnis.Sexuelle Belästigung kann aufgrund von vorherrschendem Sexismus entstehen. Als sexuelle Belästigung werden unter anderem sexuelle Anspielungen sowie ungewollte Berührungen gezählt. Sexuelle Belästigung führt bei den Betroffenen zu einem Zustand des Unwohlseins.Sexuelle Gewalt (dazu zählt auch sexueller Missbrauch) ist ein Übergriff, der durch körperliche Gewalt erfolgt. Dieser kann auch zu ungewolltem Geschlechtsverkehr führen (vgl. Krassnig-Plass 2020, S. 13ff.).Soziale MedienDa das Thema dieser Seminararbeit ihre Anfänge in den Sozialen Medien nahm, bedarf es auch hier einer Begriffsbestimmung. "Soziale Medien" ist ein inflationär genutzter Begriff. Doch was genau sind "Soziale Medien"? Und warum werden sie als "soziale" Medien beschrieben (Scheffler 2014)?Als Soziale Medien oder "social media" werden Massenmedien bezeichnet, die ausschließlich im Internet präsent sind. Als "sozial" werden diese Medien bezeichnet, da sie die Nutzer*Innen verknüpfen. Über die Plattformen können Meinungen, Informationen und Erfahrungen auf schnellem und direktem Wege ausgetauscht werden. Jede*r Nutzer*In kann selbst Inhalte erstellen oder auf bereits vorhandene Inhalte reagieren. Dies kann durch Texte, Audios, Videos oder Bilder geschehen. Meist verschwimmen die Grenzen zwischen Konsument*Innen und Produzent*Innen. Soziale Medien können sowohl bekannte als auch fremde Menschen miteinander vernetzen.Soziale Medien stehen ihren Nutzer*Innen meist kostenlos zur Verfügung. Um sich zu finanzieren, sammeln sie in der Regel Daten der Nutzer*Innen, um gezielte Werbung oder Inhalte zu schalten, die für diese interessant sein könnten.Ein wichtiger Aspekt der sozialen Medien ist also die Partizipation, das Mitwirken und Teilnehmen an Diskussionen des gesellschaftlichen Lebens. Durch die Mitwirkung und Teilnahme in den Sozialen Medien steigt das gesellschaftliche Engagement. Feministischer AktivismusFeminismus bezeichnet eine Bewegung, die Diskriminierung von Frauen beseitigen möchte und eine Gleichstellung der Geschlechter in allen Lebensbereichen anstrebt (vgl. bpb 2021). Aktivismus bedeutet, dass sich Bürger*Innen aktiv für einen Wandel einsetzen. Es gibt sehr vielfältige Möglichkeiten, Aktivismus zu betreiben. Aktivismus ist eine Art Protest und stellt bestehende Regeln in Frage. Diese bestehenden Regeln werden im Aktivismus manchmal vorsätzlich gebrochen, um den gesellschaftlichen Wandel voranzutreiben.Die Fridays for Future-Bewegung ist ein Beispiel für Aktivismus. Schüler*Innen protestierten während der Schulzeit, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen. Hierbei wurde die Schulpflicht ignoriert und somit eine bestehende Regel gebrochen. Aktivismus kann durch Gruppen oder auch Einzelpersonen ausgeführt werden. Meist erfolgt Aktivismus, um Einfluss auf Politik und Entscheidungsträger*Innen zu nehmen (vgl. Hamer 2020).Feministischer Aktivismus ist ein zusammengesetzter Begriff. Hier setzen sich Feminist*Innen aktiv ein und streben einen Wandel in der Gesellschaft an. Dieser Wandel soll die Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern beenden. Auch Männer können Feministen sein, wenn sie sich für das Ausräumen der Ungerechtigkeiten einsetzen.Es gibt verschiedene Arten von Aktivismus. Bei der #MeToo-Bewegung handelt es sich um einen feministischen Aktivismus, der im Internet stattfand und der auch oftmals als "Klicktivismus" bezeichnet wird.KlicktivismusDie Sozialen Medien bieten vielseitige Möglichkeiten zur Partizipation. Durch die digitalen Angebote kann die Gesellschaft mitgestaltet werden. Der Begriff "Klicktivismus" bezeichnet hierbei eine Beteiligung, vorwiegend zu politischen Themen, die durch die Nutzung digitaler Inhalte in den digitalen Medien entsteht, beispielsweise durch Petitionen im Netz, Geld sammeln oder auch durch Ankündigung von Demonstrationen. Es werden somit viele Menschen gleichzeitig erreicht. Es können Beiträge kommentiert oder geteilt werden. "Klicktivismus" setzt sich aus den beiden Begriffen "klicken" und "Aktivismus" zusammen. Klicken beschreibt hierbei, dass es sich um ein reines Phänomen im Internet handelt (vgl. bpb 2022).Diese spezielle Form des Aktivismus kann zu neuen politischen und gesellschaftlichen Diskursen führen oder bestehende Diskurse verändern. Allerdings neigt der Klicktivismus dazu, schwächer zu sein als realer Aktivismus. Dies wird dadurch begründet, dass es eines geringeren Aufwands bedarf, eine Petition zu unterschreiben oder einen Beitrag zu teilen, als aktiv zu einer Demonstration zu gehen. Die Hemmschwelle ist eine viel niedrigere. Aus diesem Grund gibt es häufiger eine größere Gruppe von Menschen im Internet, die an dem Online-Aktivismus teilnehmen, jedoch nicht bereit sind, an einer Demonstration teilzunehmen. Dies schwächt den Klicktivismus deutlich ab. Aktivismus im realen Leben erzielt meist eine größere Wirkung.Hashtag-AktivismusBei der #MeToo-Debatte handelt es sich um einen Aktivismus, der im Internet seinen Ursprung hatte. Ein Hinweis darauf ist unter anderem das Rautensymbol, das für diese Bewegung gleich zu Beginn benutzt wurde. Dieses Rautensymbol wird in den sozialen Plattformen, wie beispielsweise Instagram oder Twitter, als Hashtag bezeichnet. Hashtags werden benutzt, um Schlagwörter in einem Post, einem Artikel oder ähnlichem einzubauen. Eingeführt wurde dieses Symbol durch Twitter, um inhaltliche Verknüpfungen zu schaffen.Ein Begriff, der mir bei der Recherche häufig begegnet ist, ist der Begriff des "Hashtag-Aktivismus". Bei dieser Form des Aktivismus wird ein bestimmtes Schlagwort hinter dem Rautensymbol eingefügt. Unter diesem Hashtag können dann beispielweise, wie bei #MeToo, persönliche Geschichten und Meinungen geteilt werden. Dies kann auch für sozialen Protest genutzt werden. Auch die #MeToo-Bewegung entstand durch einen Hashtag (vgl. Hochschule der Medien, o.D.).Die Sozialen Medien können aufmerksam machen auf Themen, die in der Politik keinen oder zu wenig Raum finden, und es kann den Diskurs in der Politik sowie in der Gesellschaft entfachen und verändern. Konnte die #MeToo-Bewegung dies erreichen? Oder war die Bewegung ein folgenloser Klicktivismus? Im Folgenden wird die #MeToo-Debatte näher betrachtet.#MeToo-BewegungBewegungen entstehen aufgrund von gesellschaftlichen Konflikten. Sie reagieren auf Missstände und durch die Bewegungen werden gezielt Veränderungen angestrebt. Dies kann auch durch Protest geschehen (vgl. bpb 2021b). Meist werden im Zuge von sozialen Bewegungen Debatten geführt oder sie liegen sozialen Bewegungen zugrunde. Debatten sind öffentliche Streitgespräche.Bei der Thematik #MeToo wird oft von einer Debatte oder einer Bewegung gesprochen, da #MeToo Züge beider Phänomene aufweist. Bei #MeToo wird auf gezielte Veränderungen gesetzt, wie es bei einer (sozialen) Bewegung der Fall ist, und es werden öffentliche Streitgespräche über weitere Vorgehensweisen geführt. Die Trennlinie der beiden Begriffe ist in dieser Thematik unscharf.Ursprung der BewegungIm Oktober 2017 erlangte das Hashtag #MeToo große Aufmerksamkeit. Seinen Anfang nahm der Hashtag auf Twitter und innerhalb weniger Tage und Wochen wurde er auch auf anderen Plattformen verwendet. Bereits innerhalb weniger Wochen wurden unter dem Hashtag 12 Millionen Bilder, Geschichten und Erlebnisse öffentlich geteilt.Doch was bedeutet dieser Hashtag eigentlich genau? Und wie kam es zu diesem Hashtag? Der Ausspruch "Me too" hat bereits über zwei Jahrzehnte vor der weltweiten Aufmerksamkeit seinen Ursprung. Die Aktivistin Tarana Burke gilt als Begründerin des Ausdrucks. Seit Tarana 14 Jahre alt ist, setzte sie sich vor allem für dunkelhäutige Frauen ein, die Opfer von sexueller Gewalt geworden waren.Auch Tarana Burke selbst wurde Opfer von sexueller Gewalt. Als sie sich an ein lokales Zentrum für Opfer von sexueller Gewalt wandte, um Hilfe zu bekommen, wurde sie abgewiesen. Hilfe konnte ihr nur angeboten werden, wenn zuvor die Polizei eingeschaltet wurde. Daraufhin arbeitete sie an einem Programm, das Opfer sexualisierter Gewalt unterstützen sollte. Dies ermöglichte sie mithilfe von Bürgerorganisationen, Workshops und später auch durch die Sozialen Medien.Tarana Burke begann an Schulen in den USA Workshops zum Thema sexualisierte Gewalt zu geben. Im Rahmen eines Workshops in einer High-School in Alabama sollten die Mädchen, wenn sie Hilfe brauchten, einen Zettel mit den Worten "Me too" (deutsch: ich auch) schreiben. Dies war der Moment, in dem #MeToo ins Leben gerufen wurde. Tarana beschrieb ihre Arbeit wie folgt:"I knew when you exchange empathy with somebody, there's an immediate connection you make with a person by saying 'me too'. That's what the work is about. It's about survivors talking to each other" (Amnesty International 2021).Skandal um Harvey WeinsteinHarvey Weinstein ist ein US-amerikanischer Filmproduzent mit eigenen Produktionsfirmen in Hollywood. Vielen Schauspieler*Innen konnte er über mehrere Jahrzehnte hinweg zu Bekanntheit verhelfen. Gerüchte über seinen sexistischen Umgang mit Frauen gab es schon lange, weshalb Jodi Kantor und Megan Twohey diesen auf den Grund gehen wollten. Zusätzlich wurden sie dadurch angetrieben, dass Frauen zwar mittlerweile über mehr Macht verfügten, jedoch immer noch sexueller Belästigung ausgesetzt waren. Die Frauen, die Opfer von sexualisierter Gewalt wurden, litten häufig im Verborgenen, während die Täter ungestört Karriere machen konnten.Im Jahr 2017 begannen die beiden Journalistinnen für die New York Times über Harvey Weinstein zu recherchieren. Sie kontaktierten Schauspielerinnen, die mit Harvey Weinstein zusammenarbeiteten. In den wenigen Fällen, in denen es ihnen gelang, mit einer Schauspielerin zu sprechen, fielen die Gespräche sehr kurz aus. Zu groß war die Scham und auch die Angst, mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen. Viele lebten in großer Diskretion, um ihre Privatsphäre so gut wie möglich vor der Öffentlichkeit zu schützen. Einige der Schauspielerinnen hatten außerdem Verschwiegenheitserklärungen unterschrieben und fürchteten sich vor den rechtlichen Konsequenzen. Einfacher war es, mit ehemaligen Angestellten Weinsteins zu sprechen. Aber auch diese verharmlosten sein Verhalten oftmals (vgl. Kantor et al. 2020).Die erste Schauspielerin, die ihr Schweigen brach und mit den beiden Journalistinnen in Kontakt trat, war Rose McGowan. Sie erzählte, wie sie 1997 von Harvey Weinstein sexuell missbraucht wurde, nachdem sie sich zu einem Gespräch über einen bevorstehenden Film verabredet hatten. Sie beschuldigte jedoch nicht nur Weinstein, sondern die ganze männlich dominierte Filmindustrie in Hollywood."Das Problem geht weit über Weinstein hinaus, […]. Hollywood [ist] ein organisiertes System für den Missbrauch von Frauen (vgl. Kantor et al. 2020, S. 24)."Daraufhin brachen unter anderem eine ehemalige Assistentin Weinsteins und weitere Schauspielerinnen ihr Schweigen und berichteten über sexuelle Übergriffe durch Weinstein. Zelda Perkins, eine Londoner Produzentin, brach ihr Schweigen trotz einer unterschriebenen Verschwiegenheitserklärung. Auch ein ehemaliger männlicher Mitarbeiter Weinsteins, der sein Wissen immer mehr als Belastung empfand, half dabei, den Machtmissbrauch durch Weinstein aufzudecken (vgl. Kantor et al. 2020). Am 5. Oktober 2017 veröffentlichten sie dann ihre Recherchen über die mutmaßlichen sexuellen Belästigungen und Übergriffe durch Harvey Weinstein.Ausgelöst durch die Berichtserstattung ermutigte Alyssa Milano, eine US-amerikanische Schauspielerin, Frauen dazu, ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung öffentlich zu teilen. Dies geschah, indem Frauen ihren Twitter-Posts unter dem Hashtag #MeToo veröffentlichten (vgl. DER SPIEGEL 2017). Die journalistischen Veröffentlichungen sowie der Post von Alyssa Milano legten den Grundstein für einen öffentlichen Diskurs über Machtmissbrauch und sexuellen Missbrauch von Männern an Frauen (vgl. Kurtulgil 2020).Kritik an #MeTooEin besonders häufig angesprochener Kritikpunkt während der Debatte war, dass viele Frauen unglaubwürdig zu sein schienen. Viele zweifelten an der Glaubwürdigkeit der Frauen, die ihre Geschichte unter dem Hashtag #MeToo teilten und Zweifel gab es vor allem auch an den Frauen, die ihre Erfahrung mit sexueller Gewalt im Hinblick auf Harvey Weinstein äußerten. Es wurde in Frage gestellt, weshalb sich die Frauen erst Jahre, teilweise auch erst Jahrzehnte nach den Taten äußerten. Kritisiert wurde auch, ob nicht einige Aussagen überdramatisiert wurden.Laut Experten ist es jedoch üblich, dass sich Opfer von sexualisierter Gewalt erst sehr spät oder gar nicht melden. Als Grund wird ein Scham- und Angstgefühl der Betroffenen genannt. Auch befinden sich einige Opfer noch in den bestehenden Machtverhältnissen und können diesen nicht oder nur schwer entkommen. Die Dunkelziffer dieser Taten schätzen einige Experten als sehr hoch ein (vgl. ZDF 2021).Auch wird #MeToo oft für ein vermehrtes Auftreten von Unsicherheiten im Umgang mit Annäherungsversuchen seitens männlicher Personen kritisiert. Beklagt wird, dass die Debatte eine Verbotskultur entstehen ließe. Flirten fühle sich an wie eine Straftat und zerstöre somit Annäherungsversuche. Diesem Kritikpunkt kann entgegengesetzt werden, dass jedoch auch die Chance entsteht, dass die klassischen Geschlechterrollen aufgebrochen werden. Die Rolle des "aktiven Mannes" und der "passiven Frau" könnte dadurch entstigmatisiert werden (vgl. Braun 2021). Des Weiteren kann dieses Argument entkräftet werden, indem bewusst gemacht wird, dass Annäherungen einvernehmlich geschehen müssen. Es kann zu einer Sensibilisierung führen, sodass ein "Nein" auch als "Nein" gewertet wird.Kritik wird zudem daran geäußert, dass sexuelle Belästigung, sexuelle Gewalt und sexueller Missbrauch nichts mit der Ungleichheit zwischen Männern und Frauen zu tun hat. Diesem Argument kann entgegengesetzt werden, dass vor allem in den USA häufig die Machtposition von Männern missbraucht wurde, um Frauen sexuell zu belästigen (vgl. Krassnig-Plass 2020).Anknüpfend an den vorherigen Kritikpunkt ist der Folgende: es wird kaum bis gar nicht über sexuelle Gewalt und sexuellen Missbrauch durch Frauen gesprochen. Frauen werden in die Opferrolle gedrängt. Laut einer Studie sind jedoch 75 bis 90 Prozent der Sexualstraftäter Männer. Was nicht bedeutet, dass es diese Fälle nicht gibt, doch die Gefahr, sexuelle Gewalt als Frau durch einen Mann zu erfahren, ist laut Statistik deutlich höher (vgl. UBSKM).Als sehr wichtiger Kritikpunkt, gerade im Hinblick auf diese Ausarbeitung, wird oft genannt, dass die #MeToo-Debatte eben nur ein öffentliches Streitgespräch darstelle und keine spürbare Veränderung in der Gesellschaft bewirke, da es nur online stattfand und es nicht schaffte, einen Bogen zur Realität zu schlagen. Ob dieses Argument berechtigt oder haltlos ist, wird im nächsten Punkt betrachtet. Es wird beschrieben, ob und welche Veränderungen es durch die #MeToo-Bewegung in Hollywood und in der breiten Öffentlichkeit gab (vgl. Toyka-Seid 2022a).Veränderungen durch #MeToo in HollywoodNachdem die Anschuldigungen am 5. Oktober 2017 veröffentlicht wurden, entschuldigte sich Weinstein, da er sich offenbar falsch gegenüber einigen Kolleginnen verhalten habe, stritt jedoch ab, sexuell übergriffig geworden zu sein. Den Opfern warf er vor, mental instabil zu sein. Den Journalistinnen wurde mit einer Anzeige wegen Verleumdung und einer Schadensersatzforderung von 100 Millionen Dollar gedroht.Am 6. Oktober, einen Tag nach der Veröffentlichung, meldeten sich weitere Frauen bei den Journalistinnen, um ihnen von ihrem Missbrauch durch Weinstein zu erzählen. In den folgenden Tagen gaben mehrere Mitarbeiter*Innen Weinsteins ihren Job auf. Weinstein wurde infolge der Veröffentlichungen aus seiner Produktionsfirma "The Weinstein Company" entlassen. Ein halbes Jahr später meldete die Firma Insolvenz an und wurde im Juli 2018 verkauft (vgl. Kantor et al. 2020).Am 13. Oktober wurden in der Zeitung "New Yorker" 13 Opfer Weinsteins zitiert. Drei davon warfen ihm Vergewaltigung vor. Im Februar 2020 hatten fast einhundert Frauen ihre Erfahrungen mit Harvey Weinstein öffentlich gemacht. Die Anschuldigungen reichten von sexueller Belästigung bis hin zur Vergewaltigung. Viele dieser Vergehen waren allerdings bis zu dem Prozess 2020 schon verjährt oder erfüllten nicht den Tatbestand eines Strafdeliktes. 2020 wurde Harvey Weinstein in einem Prozess schuldig gesprochen und zu einer Haftstrafe von 23 Jahren verurteilt. 2022 stand er nochmals vor Gericht und wurde in weiteren Anklagepunkten schuldig gesprochen. Ihm drohen weitere 24 Jahre Haft (vgl. Tagesschau 2022).Nach dem Skandal stieg die Zahl der Regisseurinnen in Hollywood an. Weibliche Regisseurinnen schufen eine respektvollere Arbeitsumgebung. Außerdem zeigte die #MeToo-Debatte generell das Problem der Unterrepräsentation von Frauen in Führungspositionen in Hollywood auf (vgl. Luo, Zhang 2020).Verändert hat sich das Bewusstsein, dass sexuelle Belästigung und sexuelle Übergriffe nicht unbestraft bleiben können. Zahllose Männer, die in der Öffentlichkeit standen, mussten sich ihrem Verhalten stellen. Die Taten vieler Männer blieben somit nicht mehr unbestraft und Frauen begannen, ihr Schweigen zu brechen. Laut der New York Times verloren rund 200 Männer im Zuge der #MeToo-Debatte ihren Job. Rund die Hälfte dieser Jobs wurde anschließend von Frauen besetzt (vgl. Carlsen et al. 2018).Veränderungen durch #MeToo in der ÖffentlichkeitBereits eine Woche nach dem Aufruf von Alyssa Milano wurde der Hashtag #MeToo bereits millionenfach genutzt. Nicht nur über Twitter, sondern auch über andere Plattformen wie beispielsweise Instagram oder Facebook. Unterstützung bekam sie zudem von bekannten Schauspielerinnen, die bereit waren, ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung oder sexuellem Missbrauch öffentlich zu teilen. Dadurch gelang es, das Thema sexuelle Belästigung in den Fokus der breiten Öffentlichkeit zu rücken und es beschränkte sich nicht mehr nur auf die Filmbranche.Bald wurde außerdem deutlich, dass sexuelle Belästigungen nahezu alle Bereiche des Lebens betreffen. In allen Branchen, in denen es Machtpositionen gibt, wurden diese ausgenutzt und Frauen sexuell belästigt. Weltweit wurde daraufhin gefordert, dass sich das Machtgefälle zwischen den Geschlechtern ändern müsse. Es entstanden zudem weitere Debatten, die sich in einem breiten Themenfeld bewegten, es ging um Geschlechterdiskriminierung oder auch "Catcalling" (verbale sexuelle Belästigung, die keinen eigenen Strafbestand darstellt) (vgl. ZEIT ONLINE, o. D.). 2020 wurde deshalb im Zuge einer Online-Petition gefordert, dass verbale sexuelle Belästigung als Ordnungswidrigkeit geahndet werden sollte.In Großbritannien veranlasste die mediale Aufmerksamkeit Frauen dazu, über sexuelle Übergriffe von britischen Abgeordneten zu sprechen. Daraufhin wurde unter anderem der Verteidigungsminister Michael Fallon aus seinem Amt entlassen (vgl. Kantor et al. 2020).Eines hat die #MeToo-Debatte jedoch besonders deutlich gemacht. Sexuelle Gewalt und Machtmissbrauch sind keine individuellen Probleme, sondern betreffen eine Vielzahl an Menschen. Frauen wurde bewusst gemacht, dass sie nicht die Schuld an sexueller Gewalt tragen. Die wesentliche Stärke der Bewegung stellte den gesellschaftlichen Rückhalt, die Unterstützung dar. Das Bewusst-machen und Enttabuisieren dieser wichtigen Thematik führte zu einem Anstieg an geforderten Beratungsgesprächen über sexualisierte Gewalt. Es wurde Frauen die Angst genommen, sich zu äußern, ihre eigenen Grenzen zu kennen und diese zu wahren (vgl. Krassnig-Plass 2020).Die Bewegung sorgte also für eine nachhaltige Sensibilisierung im Hinblick auf sexualisierte Gewalt. Gerade bei der Organisation Weisser Ring e.V. melden sich seit 2017 immer mehr Menschen, um Hilfe nach einer Vergewaltigung oder bei Stalking zu bekommen.Die #MeToo-Bewegung machte außerdem deutlich, dass es immer noch ein Machtgefälle zwischen Männern und Frauen gibt und dadurch Sexismus und sexualisierte Gewalt entsteht. Es signalisiert, dass die Gesellschaft noch immer nicht bei der Gleichberechtigung angelangt ist. Die Debatte kann also als Indikator für die noch bestehende Kluft zwischen Männern und Frauen in nahezu allen beruflichen Branchen und Bereichen des alltäglichen Lebens gewertet werden. Das größte Verdienst hat die #MeToo-Bewegung also in der Öffentlichkeit gehabt, indem das öffentliche Denken angeregt wurde und existierende Unterschiede zwischen Männern und Frauen bewusst und öffentlich gemacht wurden.Feminismus ist in der breiten Masse der Bevölkerung angekommen und wird mehr denn je thematisiert und unterstützt. Feminismus generell verläuft in Wellen. Seit #MeToo und durch die Nutzung digitaler Medien wird von der vierten Welle des Feminismus gesprochen. #MeToo könnte einen Beitrag zur Entstehung dieser Welle geleistet haben (vgl. Schwarzkopf 2019).FazitDie #MeToo-Debatte entwickelte sich zu einer sehr wichtigen Bewegung, über die bis weit in die breite Öffentlichkeit hinein gesprochen wurde. Doch konnten wirklich spürbare Veränderungen hervorgerufen werden oder handelt es sich nur um folgenlosen Klicktivismus?In der vorliegenden Arbeit wurde beschrieben wie #MeToo entstand, wie es sich im Netz entwickelte und welche Veränderungen die Bewegung in der Realität hervorgerufen hat. Dabei wurde aufgezeigt, dass #MeToo seinen Anfang im realen Leben nahm, dann über das Internet an weltweite Öffentlichkeit gelangte und dort eine wichtige Debatte auslöste. Dies geschah sowohl online als auch in der realen Gesellschaft.#MeToo ist eine der größten medialen Bewegungen der letzten Jahre und steht für das Bewusst-machen von noch bestehenden Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen. Sexualisierte Gewalt wurde enttabuisiert und mehr Frauen wurden dazu gebracht, über ihre Erfahrungen zu sprechen. Anfangs wurde Hilfe im Netz in Anspruch genommen und dann bei dafür spezialisierten Organisationen in der Realität.#MeToo legte einen wichtigen Grundstein für weitere feministische Entwicklungen im Netz und der Realität. Längst wird #MeToo nicht mehr nur als Internetphänomen gesehen. Harvey Weinstein und viele andere Männer, die ihre Machtpositionen ausnutzten, wurden angeklagt und aus ihren Ämtern entlassen. Dies zeigt einen Erfolg der Bewegung, der außerhalb des Internet messbar ist.Auch arbeiten deutlich mehr Frauen in früher hauptsächlich von Männern besetzten Berufen. Auch dies ist ein spürbarer Erfolg. Aber vor allem hat #MeToo den öffentlichen Diskurs über sexuelle Gewalt, Machtmissbrauch und Ungleichheit zwischen Männern und Frauen verändert. Welche Veränderungen es zusätzlich in den nächsten Jahren geben wird, wird sich zeigen. Den Grundstein für Veränderungen hat die Debatte jedoch durch Bewusstmachung des Problems gelegt.#MeToo hat gezeigt, dass Veränderungen auch durch das Internet und die Sozialen Medien geschehen können. Es hat eine neue Form aufgezeigt, um für Rechte einzustehen. Bewusst gemacht hat es außerdem, dass ein "Internetphänomen" auch in gesellschaftliche Strukturen eingreifen kann und die Macht hat, diese nachhaltig zu verändern.Abschließend kann die Frage, ob es sich bei der #MeToo-Debatte um folgenlosen Klicktivismus handelt, mit Nein beantwortet werden. Einzelne Ereignisse, wie das Entlassen von mehr als 200 Männern in Machtpositionen oder der Prozess gegen Harvey Weinstein sind Erfolge, die sich messen lassen und auf #MeToo zurückzuführen sind. Es handelt sich nicht nur um ein Phänomen, das im Internet entstanden ist und dort geblieben ist. Es ging über die Sozialen Medien hinaus bis weit in die Gesellschaft hinein und veränderte den öffentlichen Diskurs.Literatur Amnesty International. (2021, 11. Oktober). Tarana Burke: The woman behind Me Too. Amnesty International. Abgerufen am 31. Januar 2023, https://www.amnesty.org/en/latest/news/2018/08/tarana-burke-me-too/Braun, P. (2021). Flirten nach #metoo Auswirkungen der Debatte auf die Geschlechterrollen und das daraus resultierende Verhalten beim Flirten zwischen heterosexuellen Frauen und Männern. Universität Innsbruck. https://diglib.uibk.ac.at/ulbtirolhs/content/titleinfo/6617715/full.pdf Carlsen, A., Salam, M., Miller, C. C., Lu, D., Ngu, A., Patel, J. K. & Wichter, Z. (2018, 29. Oktober). #MeToo Brought Down 201 Powerful Men. Nearly Half of Their Replacements Are Women. The New York Times. Abgerufen am 31. Januar 2023, https://www.nytimes.com/interactive/2018/10/23/us/metoo-replacements.html Cuéllar, L. (2022, 10. Januar). Klicktivismus: Reichweitenstark aber unreflektiert? bpb.de. Abgerufen am 31. 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Wir sollten akzeptieren, dass KI-gestützte Lehre der neue Normalfall sein wird. Wie verändert das unser Selbstverständnis und unsere Rolle als Hochschullehrende? Ein Gastbeitrag von Marie Luise Schreiter.
Marie Luise Schreiter ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Dozentin am Psychologischen Institut der Universität Tübingen. Foto: privat.
BEVOR KI-SYSTEME perfekte Sätze formulieren konnten, die klingen, als würde ein Experte aus Wissenschaft, Politik oder Gesellschaft reden, war künstliche Intelligenz (KI) ein Nischenthema. An der University of Sussex, wo ich studiert habe, waren die Fragen nach der Schnittstelle von KI, Robotik und Bewusstsein und ihrer Interaktion mit der menschlichen Intelligenz dagegen schon früh Thema für Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen.
Was ich davon gelernt habe, was ich in der heutigen Debatte manchmal vermisse und was ich selbst heute als Wissenschaftlerin vertrete: Bei all dem Hype um die rasante Entwicklung der Künstlichen Intelligenz, all den (berechtigten und unberechtigten) Spekulationen über ihre Fähigkeiten und ihr gesellschaftliches Veränderungspotenzial ist zentral, dass wir Menschen unsere eigene Rolle im Umgang mit KI-Systemen besser verstehen. Nur dann können wir künftige KI-Entwicklungen mitgestalten. Als Lehrende und Forschende müssen wir uns fragen: Wie beeinflussen KI-Systeme die universitäre Lehre und die wissenschaftliche Arbeit? Und wie verhalten wir uns dazu?
Es ist unbestritten, dass generative KI die Geschwindigkeit, Präzision und möglicherweise auch die Qualität der Wissenschaft grundlegend verändern kann. KI-gestützte Literaturrecherche hilft bereits heute Neulingen, sich im Meer aus Publikationen zurechtzufinden. Noch während meines Studiums bedeutete die Einordnung neuer Literatur in den aktuellen Forschungsstand stundenlange Recherchen in Online-Bibliotheken und Fachzeitschriften. Natürlich hatte ich Zugang zu den einschlägigen Suchmaschinen für wissenschaftliche Recherchen, und die Ergebnisse wurden mir digital, organisiert und übersichtlich angezeigt. Aber welcher Autor in einem Bereich einflussreich war oder welcher Ansatz stark kritisiert wurde, musste ich mir durch Lesen und Schreiben selbst erarbeiten.
Die Studierenden in meinem Studiengang können heute die gleichen Herausforderungen in einem Bruchteil der Zeit bewältigen. Aktuelle wissenschaftliche KI-Anwendungen, die den wissenschaftlichen Prozess unterstützen, ermöglichen es, Forschungsartikel zu jeder Forschungsfrage in jedem Fachgebiet in Sekundenschnelle zusammenzufassen, die Zitieraktivität über viele Jahre hinweg von Originalarbeiten bis hin zu Folgepublikationen in einer interaktiven Netzgrafik farblich gekennzeichnet darzustellen oder die fachliche Kritik an einer bestimmten Methode oder Theorie wiederzugeben.
Perfekter Wissenschaftsjargon, in Text gegossener Einheitsbrei
Die Zeiten und Arbeitsmethoden ändern sich schnell. Während vor zwei Jahren meine Studierenden noch sehr unsicher auf die Frage reagierten, ob sie jemals ChatGPT für ihre Hausarbeit verwendet hätten, antwortete mir der diesjährige Jahrgang mit einem erstaunten bis mitleidigen Gesichtsausdruck: "Immer!" Bedauernd vielleicht deshalb, weil unsere Studierenden sehr wohl wissen, dass die derzeitige universitäre Lehre nur oberflächlich auf den Einsatz von künstlicher Intelligenz zur Generierung von wissenschaftlichen Texten, Forschungsberichten, Analysen und Ideen vorbereitet ist. Mitleidig, vielleicht auch, weil ich als ihre Dozentin kaum überprüfen könnte, ob eine Prüfungsarbeit in Form eines Forschungsberichts oder eines Essays von einem Roboter namens ChatGPT geschrieben wurde. Wenn ich mich entschlösse, diese neuen Werkzeuge in dem Repertoire meiner Studierenden zu ignorieren, würde ich mich wahrscheinlich regelmäßig an hervorragenden Aufsätzen erfreuen: perfekter Wissenschaftsjargon und dem wissenschaftlichen Konsens entsprechender, in Text gegossener Einheitsbrei.
Die Wahrheit ist jedoch, dass wissenschaftlicher Fortschritt nicht durch die bedingungslose Akzeptanz und blinde Reproduktion des wissenschaftlichen Konsenses entsteht. Wie viele andere Wissenschaftler betrachte ich es als Teil meiner Aufgabe, offen für Innovationen zu sein und im besten Fall den Fortschritt voranzutreiben. Um die nächste Generation von Wissenschaftlern entsprechend vorzubereiten, muss dies auch bedeuten, dass ich in der Lehre die relevanten Fähigkeiten zur Innovationsfähigkeit und zum kritischen Hinterfragen vermittle.
Für mich heißt das in erster Linie zu akzeptieren, dass KI-gestützte Lehre der neue Normalfall sein muss. Generative KI-Systeme gehören längst zum Handwerkszeug eines jeden Studierenden, ob es mir nun gefällt oder nicht. Für die Studierenden in meinem Studiengang bedeutet das, dass die Pflichtlektüre auch von einer KI zusammengefasst werden kann. Oder dass ein wissenschaftlicher Chat-Roboter für unsere Forschung konsultiert werden sollte, um neue Forschungsfragen zu generieren oder einfach um kleine methodische oder technische Fragen zu beantworten, die während der Diskussion im Seminar unbeantwortet geblieben sind. Die Integration von KI in unseren Lehrplan hat also Raum und Zeit geschaffen, damit ich meinen Studenten kritisches Hinterfragen, Medienkompetenz, Recherchefähigkeiten und die Nutzung von KI beibringen kann.
Prüfungsaufgaben, die sich nicht von einer KI täuschen lassen
Was bedeutet das praktisch? Eine Herausforderung für mich als Lehrende bestand darin, den Leistungsfortschritt von Studierenden mit einer Aufgabe zu prüfen, bei der die Nutzung von KI nicht automatisch zur Lösung führt. Das bedeutete eine Prüfungsleistung zu stellen, die gezielt die Aspekte der menschlichen Intelligenz in meinen Studierenden prüft, die eine KI (bisher) nicht ersetzen kann. Das ist in der wissenschaftlichen Arbeit gar nicht so schwer, da die Evidenzlage oft ausreichend unklar ist, um auch weit verbreitete und vielzitierte Theorien und Studien kritisch zu hinterfragen.
Generative KI produziert Informationsausgabe auf Basis von Trainingsdaten in Form öffentlich zugänglicher Ressourcen. Das bedeutet, dass tendenziell eine mehrheitlich überwiegende Informationslage wiedergegeben wird. In Bezug auf die Wissenschaft bringt das ein wichtiges Problem mit sich, denn Kontroversen oder unklarer Forschungsstand werden möglicherweise im Output einer KI fehlerhaft wiedergegeben. Zum Beispiel dann, wenn neue Forschungsergebnisse einen bis dato etablierten Wissenschaftsansatz in Frage stellen, herrscht für eine gewisse Zeit ein Ungleichgewicht in Publikationszahl und Zitationen. Somit kann generative KI unter Umständen diese bereits in den Trainingsdaten vorhandene Verzerrung reproduzieren. An diesen Unsicherheiten müssen innovative Lehrformen und Prüfungsleistungen ansetzen, denn genau dort sind weiter menschliche Fähigkeiten wie kritische Analyse, methodische Kompetenzen, Logik und experimentelle Kreativität im wissenschaftlichen Prozess sowie ein grundlegendes Verständnis des Publikationssystems gefordert.
Wenn Hochschulen die Rahmenbedingungen schaffen, dass genau diese Fähigkeiten in Kombination mit der Nutzung neuer KI-Systeme gelehrt werden, ist nicht nur die Vorbereitung unserer Studierenden auf die reale Arbeitswelt optimal, sondern es wird schneller möglich sein, die Antworten auf aktuelle wissenschaftliche Fragen zu finden. Zu diesen Rahmenbedingungen gehört, dass Studierenden und Lehrenden ein sicherer, kostenfreier und barrierefreier Zugang zu wissenschaftlicher KI-Software ermöglicht wird. Vor kurzem wurde hier im Blog sogar dafür plädiert, dass Hochschulen ihre eigenen KI Sprachmodelle entwickeln sollten. Eine unterstützenswerte Forderung, doch egal ob durch das Trainieren von hochschul-internen Modellen oder mehr Public-Private-Kollaborationen mit der in Deutschland ansässigen KI-Industrie: Der digitale Ausbau innovativer Bildungstechnologien muss so schnell wie möglich formal und praktisch in die Hochschullehre und Forschung eingebunden werden, fordert auch der Wissenschaftsrat.
Die Integration von KI in die Hochschullehre ist unausweichlich. Studierende nutzen sie bereits für ihre Arbeiten, es liegt an uns Lehrenden, ihnen den verantwortungsvollen Einsatz nahezubringen. Zugleich lädt uns die Nutzung generativer KI dazu ein, unsere Forschungs- und Lehrmethoden zu überdenken. Es ist an der Zeit, das volle Potenzial dieser Technologie für die Zukunft der Wissenschaft auszuschöpfen.
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Die Situation der Forschungsliteratur zum Mode-Begriff "Immersion" ist eine schnelllebige. Dies beweist aus der Perspektive des aktuellen Jahres 2020 dieser 2018 erschiene Band mit dem Titel Immersion – Design – Art: Revisited. Transmediale Formprinzipien neuzeitlicher Kunst und Technologie, der in Kooperation verschiedener Kunst- und Fachhochschulen in Kiel und Münster, basierend auf einer Tagung von 2016, erarbeitet wurde. Während nach der Veröffentlichung von Fabienne Liptays und Burcu Dogramacis Immersion in Visual Arts and Media im Jahr 2016[1] im medienwissenschaftlichen Bereich eine zweijährige Pause der theoretischen Auseinandersetzung mit dem Begriff Immersion entstanden ist (die lediglich mit praktischen Zuwendungen wie etwa dem mehrjährigen Ausstellungsprojekt "Immersion" der Berliner Festspiele zu füllen wäre), erscheint 2018 etwa zeitgleich mit Rainer Mühlhoffs in der Philosophie angesiedelter Dissertation Immersive Macht hier noch eine weitere Publikation. Der Sammelband hat sich eine "eigenständige medientheoretische Perspektive" vorgenommen, "in der Medienkunst weder als einfacher Effekt der Medientechnologie erscheint, noch die gesellschaftliche Realität der Medien mit der künstlerischen Phantasie der Medienkünstler verwechselt wird" (S. 7). In dieser Dimension schlägt die hier vorgelegte Veröffentlichung der Herausgeber Lars C. Grabbe, Patrick Rupert-Kruse und Norbert Schmitz in eine verwandte Kerbe zu Mühlhoffs Buch, der als "immersive Macht" "den strategischen Machteffekt [begreift], der sich auf der makroskopischen Ebene affektiver Resonanz- und Interaktionsmuster"[2] manifestiert. Überdies bleibt der Sammelband anschlussfähig an die 2019 erschienene Ausgabe der Navigationen-Zeitschrift, die herausgegeben von Thiemo Breyer und Dawid Kasprowicz den Titel Immersion. Grenzen und Metaphorik des digitalen Subjekts trägt und betont, sie wolle "die reziproken Verhältnisse zwischen Subjekt und Objekt, Werk und Rezipient"[3] untersuchen. Und trotzdem liegt hier ein sich von diesen (medien-)philosophisch orientierten Schriften stark unterscheidendes Buch vor. So präsentiert sich der Sammelband im Vergleich zur 2016er-Tagung als wesentlich theoretischer; im Vergleich zu anderen aktuellen Texten des Diskurses aber praktischer orientiert. In der Einleitung wird bereits auf die unüberwindbare Utopie hingewiesen, die den Diskurs um immersive Erfahrungen und Medientechnologien durchzieht, seit mit Oliver Graus Buch Virtual Art. From Illusion to Immersion (2003)[4] das Schreiben einer Genealogie immersiver Medienformate als lineare und teleologische Steigerung medialer Mimesis begonnen wurde. Jener Steigerungslogik steht auf theoretischer Seite einerseits der Vorwurf der Negation zeitspezifischer Wahrnehmungskonfigurationen auf Nutzer*innenseite gegenüber, welche die Herausgeber im Verweis auf die veränderten Wahrnehmungsmodalitäten von digital natives thematisieren. Andererseits muss auch die oft formulierte Annahme eines Immersionsbedürfnisses als anthropologische Konstante mit Kritik insofern rechnen, als dass einem 'perfektionierten' Realitätseffekt von Repräsentationen mit der philosophischen Sicht auf die mediale Illudierung als willing suspension of disbelief längst eine dynamischere Konzeption entgegengestellt wurde. Dieser komplexen Konzeption des Immersionsdiskurses kommt der Sammelband differenziert nach, indem in verschiedenen Artikeln theoretische Binärkategorien wie Realität vs. Virtualität, Unmittelbarkeit vs. Hypermedialität[5], Kunst vs. Medialität, Ästhetik vs. Aisthesis sowie Immersion vs. Reflexion aufs Neue befragt und deren Dualismus zur Debatte gestellt wird. Gleichzeitig ist dem Buch sein Ursprungsort, das praktisch orientierte "Institut für immersive Medien" in Kiel, das auch einer der beiden Austragungsorte der Tagung war, weiterhin anzumerken. Randbemerkungen wie jene über einen "Fortschritt der Technologien" (S. 8) oder Aussagen wie "Diese Unterscheidung [zwischen einer Gleichzeitigkeit von der Wahrnehmung des Bildgegenstandes als einer außerbildlichen Referenz und dem Bewusstsein des Bildes als solchem] ist logischerweise bei vollständiger Immersion nicht mehr möglich." (S. 11) erweisen, dass das Anliegen des Buches in Wahrheit ein doppeltes ist: Einerseits den wahrnehmungstheoretischen Novitäten im Diskurs Rechnung zu tragen, gleichzeitig jedoch die technologische Komponente – die Frage nach den technischen Potenzialen sogenannter immersiver Medien – weiterhin aufrecht zu erhalten. Ein solches doppeltes Anliegen manifestiert sich auch in der inhaltlichen Zweiteilung des Buches in Teil 1 "Die Kunst der Immersion", der sich mit der "Spezifik des Künstlerischen gegenüber dem allgemein Medialen" (S. 8) auseinandersetzt, und Teil 2 "Zur Ästhetik der Immersion", der sich eine "systematische Bestimmung von Begriff und Phänomen hin zu gegenwärtigen und einschlägigen kulturellen Praxen" (S. 16) vorgenommen hat. Auf den ersten Blick scheint es überraschend, dass die Herausgeber entschieden haben, zwei ältere und etwas eingestaubt wirkende Texte – Oliver Graus Aufsatz zur Telepräsenz von 2001 und Lambert Wiesings Antrittsvorlesung zur Unterscheidbarkeit von Virtualität und Imagination von 2005 – wieder abzudrucken, zumal es die originären Autoren den Herausgebern sogar selbst überlassen haben, Abstracts für deren Texte zu formulieren. Auf den zweiten Blick lässt sich diese Entscheidung aber mit der in diesen Artikeln angesprochenen Technikgeschichte der Utopien und Mythen (Grau) sowie der Unterscheidung von "Kontinuitätstheoretikern" und "Diskontinuitätstheoretikern" (S. 140) als Ausgangspunkte der oben angesprochenen Diskurse begreifen, die auch in den anderen Beiträgen weitergeführt werden. Von diesen erscheinen vier insbesondere erwähnenswert: etwa jener von Norbert Schmitz, dessen provokante Frage, ob wir nicht grundlegend in Immersionen leben würden, wiederum zu einer komplexen Befragung der Funktion einer "Kunst der Immersion" führt. Schmitz formuliert als Fazit seines Textes klug: "Die 'Kunst der Immersion', ob nun als subversive Strategie innerhalb der Populärkultur oder innerhalb des Kunstsystems, bestände also darin, die ästhetische Differenz zwischen Objekt und seiner Abbildung wieder sichtbar zu machen, aber nicht im überkommenen Geist einer Dekonstruktion der Mimesis, sondern als Thematisierung der vollständigen Konstruiertheit unserer alltäglichen phänomenalen Wahrnehmung als unüberschreitbare Grenze und conditio humana" (S. 73) und schafft so die thematische Verbindung zu einem Artikel im zweiten Teil – jenem von Jonathan Lahey Dronsfield. Dieser befragt in seinem Text unter anderem den anthropologischen Wunsch nach "immediacy" neu und stellt dabei ganz ähnlich fest: "[W]hat is the desire for 'unified experience' in an immersive environment […]? Nothing other than the longing for subjectivity in the loss of self" (S. 189). Dass neben der technologischen Überwältigungsstrategie also auch das rezipierende Subjekt theoretisch befragt werden muss, zeigt ebenso der Text von Alberto Gabriele auf, der aus literaturwissenschaftlicher Perspektive die Relevanz eines interdisziplinären Blickwinkels andeutet, um spezifische Wahrnehmungskonfigurationen zu spezifischen Zeit-Punkten untersuchen zu können. Gabriele inspiziert dafür beispielhaft die Wechselwirkung zwischen dem "cartographic writing" (S. 193) und der Position, die ein*e Zuschauer*in während der Rezeption eines Panoramas einnimmt. Seine Schlussfolgerung, "[v]ision, therefore, becomes a self-induced normative rearrangement of the faculties of memory and perception" (S. 203) beschreibt so Immersion mit der nötigen Komplexität und Relationalität. Eine solche Komplexität klingt auch in Lars C. Grabbes Text an, wenngleich dieser über die von ihm sogenannte "Phänosemiose" (die "medieninduzierte Körper-Geist-Dynamik" (S. 155)) "die menschliche Wahrnehmung [als] abhängig von der jeweils kulturell realisierten medialen Technizität" (S. 158) beschreibt, jedoch die Frage nach einer möglichen Autonomie des Subjekts gänzlich außen vor lässt. Weitere Texte des Bandes sind Patrick Rupert-Kruses Beschäftigung mit verschiedenen Formen medialen Realismus' (im Spiegel von Ästhetik und Aisthesis), Diego Mantoans Generationenvergleich von Videokünstler*innen, der Videotechnologien auf ihre "aesthetic maturity" befragt, Carolina Fernández-Castrillos Rückblick auf die "desire of uniting art and life" (S. 127), die die Futurist*innen in ihren Manifesten vorgeschlagen hatten, und Christiane Heibachs Bericht von einem Versuch, Proband*innen in eine synästhetische Medienumgebung zu versetzen, während theoretisch auf Mark Weisers Konzept der Re-Naturierung von Technik, der Nahtlosigkeit zwischen Welt und Repräsentation zurückgegriffen wird. So verbleibt nach der Lektüre der hinsichtlich ihrer Aktualität, ihrer Diskursfreudigkeit und ihrer Verzahnung von Theorie und Praxis höchst heterogenen Texte vor allem ebendiese Verschiedenheit als erfreulicher Output: Indem das Buch praktische wie theoretische, disziplininterne wie interdisziplinäre, aktuellere wie ältere Perspektiven auf den medienkünstlerischen und -wissenschaftlichen Immersionsbegriff präsentiert, scheint zwar gelegentlich die Bezugnahme auf die aktuellen Publikationen im gleichen thematischen Feld – etwa zu Liptays und Dogramacis Herausgeber*innenschaft – aus dem Blick zu geraten. Insgesamt präsentiert sich das Buch jedoch als adäquates Nachschlagewerk, in dem sehr verschiedene Zugänge zur Immersion aufeinandertreffen. Um diese erfreuliche Heterogenität weiter voranzutreiben, wäre zwar auch das Hinzuziehen marginalisierter Perspektiven auf die vermeintlich anthropologische Konstante Immersion wichtig gewesen. Es bleibt jedoch darauf zu hoffen, dass eine solche – die bislang prominenten Diskurspfade verlassende – alternative Schreibweise einer politisch äußerst relevanten Geschichte immersiver Medien im nicht-westlichen Erfahrungsraum in künftige Publikationen stärker Einzug nehmen wird. Im hiesigen Sammelband sind zumindest einführend Gedanken für einen solche zeitgemäße Heterogenität zu finden. [1] Fabienne Liptay/Burcu Dogramaci (Hg.): Immersion in Visual Arts and Media. Leiden 2016. [2] Rainer Mühlhoff: Immersive Macht. Affekttheorie nach Spinoza und Foucault. Frankfurt/New York 2018, S. 22. [3] Dawid Kasprowicz/Thiemo Breyer (Hg.): Immersion. Grenzen und Metaphorik des digitalen Subjekts. Ausgabe von: Navigationen, Zeitschrift für Medien- und Kulturwissenschaft 19/1, 2019, S. 8. [4] Oliver Grau: Virtual Art from Illusion to Immersion. Cambridge/London 2003. [5] Jay Bolter/Richard Grusin: Remediation. Understanding New Media. Cambridge 1999.
Im Folgenden stelle ich den Sammelband Performing Politics vor, der anlässlich der ersten Internationalen Sommerakademie 2010 in Hamburg entstanden ist. Die zentrale Fragestellung der Akademie lautete: "wie man heute im Sinne der von Jean-Luc Godard vorgeschlagenen Unterscheidung statt politischer Kunst politisch Kunst machen kann" (S. 7). Außerdem sollte der Austausch zwischen Theorie und Praxis gepflegt und die Veranstaltung für eine größere Öffentlichkeit geöffnet werden. Trotz der Heterogenität ergänzen sich einige Beiträge und vermitteln einen Eindruck des vielfältigen und weiten Feldes. Unter der Überschrift "Politik (in) der Kunst" wurden Beiträge versammelt, die sich mit den grundlegenden Voraussetzungen dafür beschäftigen, wie Kunst politisch sein kann. Es geht dabei vor allem um künstlerische Methoden und Vorgangsweisen. Der Gemeinschafts-Begriff bzw. der Begriff des Kollektiven spielt eine wichtige Rolle in mehreren Beiträgen. Das Nature Theater of Oklahoma (NTO) – Pavol Liska und Kelly Copper – versucht ein krisenhaftes Moment in ihre Arbeiten einzuführen, das ihre eigene Arbeitsweise, die der Schauspieler_innen und die Erwartung des Publikums herausfordert. So sollen neue Formen entstehen, die die traditionellen Grenzen des Theaters überschreiten. Die Theatermacher_innen verwenden einen Begriff von "Echtheit" bzw. "Realismus", der einen Zwischen-Zustand meint, in dem die Darsteller_innen weder sie selbst noch ihre Rolle sind. Robin Arthur thematisiert das Problem der Gemeinschaft und 'der Anderen' im Kontext des Politischen. Dabei wirft der Autor die Frage auf: Ist jede Art von Performance schon Politik, weil sie eine bestimmte (wenn auch exklusive) Kollektivität erzeugt? Reinhard Strobl und Jasna Žmak versuchen mit ihrem Text "High Hopes" eine fiktive Gemeinschaft mit ihren Lesern_innen herzustellen. Man könnte diese Textform auch als 'performatives Texten' beschreiben, da es den/die Leser_in aktivieren soll, eigene Gedanken anzuschließen. Sebastian Blasius fragt sich angesichts der Arbeit … although I live inside … my hair will always reach towards the sun … der Choreographin Robyn Orlin, "ob überhaupt innerhalb des theatralen Mediums Alternativen oder Lösungen politischer Fragen erdacht werden können, die nicht schon anderswo versucht wurden" (S.42). Spannend finde ich seine Schlussfolgerung, dass die Form an sich in Frage gestellt werden müsse, um politisch Theater zu machen. Auch in Astrid Deuber-Mankowskys Beitrag geht es um das Herstellen einer Gemeinschaft, genauer um "das Fehlen des Volkes" in Filmen der Nachkriegszeit. Die Formel des "Fehlens des Volkes" geht auf Gilles Deleuze zurück. Nach Deleuze sei es die Aufgabe des modernen Kinos, zu zeigen "wie das Volk fehlt" – was verbunden sei mit der Herstellung der Bedingungen von Kollektivität, dem Problem der Wahrnehmung und dem Problem des Denkens (vgl. S.30). Rudi Laermans spricht in seinem Text über Meg Stuart hingegen vom "kollektive[n] Blick" bzw. dem "kollektiven Ohr". Gemeint ist einerseits die Gemeinschaft von Zuschauer_innen/Zuhörer_innen und andererseits eine kulturelle Gemeinschaft, die dieselben Zeichen lesen kann. Die sogenannte "Politik des Zuschauens" tritt dann ein, wenn die Voraussetzungen und kulturellen Normen des Schauens/Hörens oder die Beziehung zwischen Zuschauern_innen und Akteuren_innen in Frage gestellt werden (vgl. S.43f.). Im Abschnitt "Interventionen – Kunst und (subversive) Aktionen" geht es um die Rolle von Kunst als 'politisches Instrument' sowie um die Frage, inwiefern Kunst konkrete Auswirkungen auf politische und gesellschaftliche Zusammenhänge haben kann. Sergej A. Romashko betont die Bedeutung des jeweiligen situativen und historischen Kontextes für die Frage, wann Kunst politisch ist. Mit Walter Benjamin weist er außerdem darauf hin, dass das Politische an der Kunst nicht allein am Inhalt festgemacht werden könne, sondern auch die Form zu berücksichtigen sei. So können die Arbeiten von Kollektive Aktionen (Kollektivnye dejstvija), einer russischen Künstlergruppe, der der Autor selbst angehört, im Kontext der Sowjetzeit und im Verhältnis der gesellschaftlichen Spielregeln als 'politisch' gedeutet werden. Die Teilnehmer_innen stellen nichts dar, sondern vollziehen eine bestimmte Handlung, die sich zu kulturellen, historischen und politischen Rahmenbedingungen ins Verhältnis setzt. André Schallenberg bezieht sich in seinem Beitrag ebenfalls auf Arbeiten von Kollektive Aktionen (KA), aber auch auf aktuelle Aktions- und Interventionsprojekte von Labofii, den Yes Men, 01.org und der russischen Gruppe Voina. Er unterscheidet zweckorientierte Kunst, die sich in den Dienst von Protest oder einer pädagogischen Funktion stellt von jenen Praktiken, die versuchen Freiräume für Kunst zu schaffen, die außerhalb jeglichen Systemzwangs stehen. Daher unterscheidet er das Laboratory of Insurrectionary Imagination (Labofii), das als erklärtes Ziel "die (Zurückeroberung) öffentlichen Raumes durch eine Gruppe Fahrradfahrer sowie die Herstellung einer sich einig wissenden Gemeinschaft von politisch Aktiven" habe, radikal von Gruppen wie KA oder Voina (S. 74). Demgegenüber erläutert John Jordan die Innenperspektive des Labofii. Die Künster_innen betrachten "de[n] Aufstand als eine Kunstform und Kunst als Mittel zur Vorbereitung auf den kommenden Aufstand" (S.79). Zu diesem Zweck bauten sie z.B. zurückgelassene Fahrräder in Kopenhagen/Hamburg um, und in einer Reclaim-The-Street-Aktion sollten die Straßen 'zurückerobert' werden. Fraglich ist einerseits, inwiefern Kunst die Realität auf Dauer verändern kann und andererseits, ob die Unterordnung von Kunst unter andere Zwecke – seien diese pädagogischer, politischer oder wirtschaftlicher Art – diese nicht ihrer selbst zu sehr entfremdet. Shalaby und Bansemir beziehen sich ebenfalls auf die Aktion FLOOD von Labofii, die am 22.August 2010 in Hamburg stattfand. Sie betonen die Ambivalenz der Aktion, die weder eindeutig als Kunst noch als politische Demonstration einzuordnen war, was zu einer Auflösung der Grenzen beider Bereiche führte. Maximilian Haas beurteilt die Aktionen von Labofii im Sinne von Walter Benjamin als "reine Mittel ohne Zweck, die sich dem Kontext der repräsentativen Ordnung von Kunst und Politik entziehen, und die – folgt man Benjamin – also als gewaltlos zu bezeichnen wären" (S. 87). Für Haas bleiben sowohl der Kunstcharakter der Intervention als auch die jeweilige politische Forderung unausgesprochen, was die Aktionen zu reinen Mitteln werden lasse. Die Beiträge, die unter "Konfigurationen – Politiken des Raumes" gesammelt wurden, thematisieren einerseits die Inszenierung des öffentlichen urbanen Raumes und andererseits künstlerische Interventionen, die sich mit diesem auseinandersetzen. Die Autor_innen nähern sich der Thematik aus historischer, künstlerischer, architektonischer, sozialer und kapitalismuskritischer Perspektive an. Ulrike Haß hat sich angesehen, wie kulturelle, politische, religiöse und andere Faktoren städtische Topographien im Laufe der Zeit verändern. Genauer untersucht die Autorin die Relation zwischen Raum und Sichtbarkeit in Bezug auf die Städte der Renaissance, die filmischen Topographien deutscher Filmemacher am Anfang des 20. Jahrhunderts und in Bezug auf den Städtebau der BRD. Die totale Sichtbarkeit in der Kontrollgesellschaft lässt dabei "übersehene Räume" – Zwischenräume, die noch nicht vom Konsum bestimmt werden –als potentielle Orte des Widerstands erscheinen, die zurückerobert und teilnehmend erkundet werden können. Das Kollektiv Bauchladen Monopol begann 2010 in Hamburg, öffentliche Plätze und Gebäude durch ihre Tanz-Aktionen zu besetzen und damit den Raum für die begrenzte Zeit von jeweils vierzig Minuten für sich zu beanspruchen. In der Reflexion ihrer Arbeit kommen sie zu dem Schluss, dass die Besetzung öffentlicher urbaner Räume, die keinem bestimmten Zweck dient, sowohl als Eingriff in die bestehende Ordnung, aber auch als willkommene Abwechslung gelesen werden kann. Jasmin Stommel weist in ihrem Beitrag ebenfalls auf den Zusammenhang von kapitalistischen Interessen und dem urbanem Raum hin. Ein Symptom davon seien sogenannte "Nicht-Orte" (Marc Augé) an der Peripherie von Städten, die monofunktional und transitorisch sind. Als Beispiel führt die Autorin das Kampnagelgelände in Hamburg an, in dessen vielfältiger Nutzung sich dieses Spannungsverhältnis widerspiegle. Unter dem Titel "Überschreitungen – Politiken (in) der Institution" wurden Beiträge gruppiert, die sich mit den Bedingungen von Kunstproduktion in jenen institutionellen Gefügen beschäftigen, die Kunst oftmals erst ermöglichen, aber auch behindern können. Aus ihrer Perspektive als Kuratorin führt Amelie Deuflhard vier Kategorien an, in die sie künstlerische Arbeiten einordnet, die "politisch Kunst machen": "neue theatrale Formen (Experiment), transkulturelle Arbeiten, partizipatorische Formate und performative Interventionen" (S.124). Das Problem an den genannten Kategorien ist meiner Meinung nach, dass diese sehr allgemein und weit gefasst werden. Des Weiteren müssten folgende Aspekte einbezogen werden: der geschichtliche Kontext, die raum-zeitlichen Konfigurationen sowie die spezifische Ästhetik der Darstellung. Anneka Esch-van Kan weist auf die starke Tendenz hin, Theorie und Praxis des zeitgenössischen Theaters zu verbinden, was sich sowohl in den Produktionsweisen als auch in der wissenschaftlichen Arbeit niederschlägt. Sie betont jedoch die damit verbundenen Spannungen, die es erschweren eine Sprache zu finden, "die den vielfältigen komplexen Verhältnissen begegnen könnte". Das Finden einer solchen Sprache ist ihrer Ansicht nach ein wichtiger Schritt für die "Theoriebildung zum Politischen im Theater" (S.128). Als Theaterpraktiker plädiert Matthias von Hartz dafür, das Potential der Institutionen zu nutzen, um eine – nicht näher definierte – Öffentlichkeit zu erreichen. Einerseits sieht er die Relevanz des Theaters als Ort gesellschaftlicher Auseinandersetzung schwinden, andererseits will er für dessen Re-Politisierung kämpfen. Unter den verschiedenen Institutionen sieht er Festivals als "theoretisch ideale Formate", da für diese "alle Freiheiten des Theaters, aber nur wenige seiner Zwänge" gälten (S.131). Obwohl die Idee, die Institutionen von Seiten der Künstler_innen mehr zu nutzen, durchaus interessant ist, scheinen mir die zugrunde gelegten Begriffe von "Politik" und "Öffentlichkeit" sehr vage und unreflektiert. Außerdem denke ich, dass der Autor eher "politisches Theater" meint – und weniger Theater, das auf politische Weise gemacht ist. Nina Jan weist in ihrem Beitrag darauf hin, dass Festivals genauso bestimmten "Zwängen" folgen wie andere Kunstinstitutionen und demnach nicht unbedingt mehr Freiheiten bieten. Während die Relevanz von Festivals für das Networking zwischen Künstler_innen unbestreitbar sei, betont sie auch die den Festivals inhärente Marktlogik. Als Versuch, sich dieser zu entziehen, nennt die Autorin das Festival Pleskavica, das im Juni 2011 in Ljubljana (Slowenien) stattfand. Unter dem Titel "Jenseits des Spektakels" wurden Beiträge versammelt, die sich mit dem Begriff des Spektakels bzw. des Spektakulären auseinandersetzen. In Bezug auf Letzteres geht es um reale und imaginäre Bilder, die in und durch Performances/Theater generiert werden. Das postspektakuläre Theater, das André Eiermann beschreibt, setzt sich kritisch mit den Postulaten der "Unmittelbarkeit" und der "zwischenmenschlichen Begegnung von Angesicht zu Angesicht" auseinander, die in den letzten zehn Jahren zentral für den Diskurs um das Politische im Theater und die "Mitverantwortung des Publikums" waren (S.145). Im Unterschied zum oft spektakulären Mitmach-Theater, das – ganz im Sinne der Gesellschaft des Spektakels – darauf ausgerichtet sei, sich selbst darzustellen und einen nur scheinbar gleichwertigen Austausch mit den Darstellern_innen zu simulieren, sind postspektakuläre Arbeiten abstrakter oder formaler, bieten jedoch dem Publikum Anschlussstellen für die eigenen Imagination. Jemma Nelson und Caden Manson – zwei Mitglieder der New Yorker Performance Gruppe The Big Art Group – stellen ihren Begriff des Spektakulären vor. Für ihre Performances dienen die massenwirksamen Bildproduktionsmaschinen von Internet-Foren, Online-Games, Webseiten, Talkshows oder Nachrichtensendungen als Inspirationsquellen und Rohmaterial. Es geht den Verfassern jedoch um die "Brechung des Spektakulären", die ihrer Meinung nach nicht mehr durch eine kritische oder analytische Distanz bewerkstelligt werden könne (S.151). Statt Aussagen blieben in den Aufführungen die Bildlichkeit und die Formen des medialen Informationskrieges übrig. Es geht den Theatermachern aber auch um eine Kritik an der Massenwirksamkeit von Bildern. Sanna Albjørks Außenperspektive auf zwei Produktionen der Big Art Group hilft, deren Arbeitsweise besser zu verstehen. Charakteristisch ist laut der Autorin "[d]ie Gleichzeitigkeit der Betrachtung spektakulärer Bilder […] und die Ausstellung ihrer Produktion". Es gehe nicht um den 'Inhalt' der Bilder, sondern um deren "Manipulierbarkeit" (S.153). Interessant ist vor allem die Frage, die sich Albjørk selbst stellt: Wird wirklich eine Brechung des Spektakulären bewerkstelligt, oder wird der/die Zuschauer_in durch das "Bombardement von Bildern und Sounds" (S.154) mit dieser Überforderung allein gelassen? Krystian Lada untersucht anhand von drei Beispielen "den kreativen Prozess des Herstellens von Bildern auf der Bühne" (S.155). Wie bei Eiermann kommt dem Publikum eine wichtige Rolle zu. Erst in der Vorstellung der Zuschauer_innen entstehen die 'fertigen' Bilder, die durch die Bühnenvorgänge angeregt werden. Der Prozess der Imagination kann z.B. nur durch Sprache und die Körper der Performer_innen initiiert werden. Unter dem Titel Ein anderes Subjekt des Politischen wurden Beiträge versammelt, die sich mit der Subjekt-Werdung und deren politischen Implikationen auseinandersetzen. Einerseits wird der cartesianische Subjekt-Begriff philosophisch befragt, andererseits geht es um die Subjekt-Konstitution in/durch Performances und Theateraufführungen. In seinem Beitrag "Theaterkörper" denkt Jean-Luc Nancy Martin Heideggers Da-Seins-Begriff radikal weiter, indem er das Subjekt als Körper versteht, der nicht gedacht werden kann, sondern sich zeigt. Da dieses Körper-Subjekt nicht mehr im Rahmen der Philosophie gedacht werden kann, dehnt Nancy seine Überlegungen auf das Theater aus, das derjenige Ort sei, wo Präsenz erfahren werden könne. Nancy denkt Existenz als gleich-ursprüngliche Mitzugehörigkeit (coappartenance) (vgl. S.158), als Nebeneinander von Körpern in einer zeitlich-räumlichen Konfiguration, die über Relationalitäten miteinander in Beziehung treten. Dieser Gedanke ist immens politisch, da er den Menschen nicht als vereinzeltes Individuum begreift, sondern als Teil einer Gemeinschaft von Körpern, die immer schon aufeinander bezogen sind. Maria Tataris Kommentar zu Nancys Text trägt viel zu dessen Verständlichkeit bei und ergänzt diesen um wertvolle Informationen. Das "als Solche" der Präsenz denkt Nancy als Äußerlichkeit, was dem philosophischen Denken, das immer am Immateriellen festhält, widerspricht. Folgendes Zitat fasst Nancys Text auf wunderbare Weise zusammen: "Heideggers ontologische Differenz, die die Entfaltung des Seins nicht als Bestandheit der Präsenz, sondern als Emergenz der Zeit denkt, von Nancy als Körper radikalisiert, als Errichtung von bezügezeitigenden und raumgreifenden Intensitäten im Außen, endet im Theater" (S. 175). Mayte Zimmermann wendet in ihrem Beitrag Nancys Konzept eines Körper-Subjekts auf deufert&plischkes Arbeit Anarchiv#2: second hand an. In dieser Arbeit wird das Subjekt herausgefordert, weil es keine fixe Position mehr einnimmt, von der aus es sich seiner Machtposition versichern und die Performer_innen zu angeblickten Objekten machen kann. Die Verhandlung der Frage des Gemeinschaftlichen im Theater ist für die Autorin eine politische Frage. Das Politische kann für sie jedoch nur als "quasi gespenstische Repräsentation" gedacht werden (S.176). Die Konfrontation mit dem Anderen generiert die Subjekt-Werdung: Die Körper im Raum setzten sich zueinander in Relation; sie prallen aufeinander, stoßen einander ab oder ziehen einander an. Aber sie verhalten sich immer zu-einander, sie sind immer schon mit-einander. Laut Zimmermann geht es in Anarchiv#2 auch darum, dass der Abgrund bzw. der "Zwischen-Raum" und die "Zwischen-Zeit" zwischen uns und dem Anderen geöffnet werden sollen, auf eine Weise, dass das "gespenstische Eigenleben" des Anderen erhalten bleiben kann (vgl. S. 184f.). Nikolaus Müller-Schöll untersucht in seinem Beitrag den Zusammenhang zwischen dem Verschwinden der Figur des Chores und der des Harlekins in der europäischen Theatergeschichte sowie deren Renaissance im Theater der Gegenwart. Der Harlekin bricht, wie der Chor, mit der Illusion der Bühnenhandlung, weil wir ihn immer als Harlekin/Chor erkennen und wissen, dass er "nur spielt". Beide sind nicht Teil der Handlung des Dramas, sondern ihnen kommt die "Funktion eines Trägers, Begleiters, Zeugen und Richters der Handlung zu, letztlich also eine Art von Neutrum und insofern die eines bloßen Spielers" (S.193). Müller-Schöll nennt u. a. die Performance-Gruppe Forced Entertainment als herausragendes Beispiel für die Wiederkehr des Harlekins im Gegenwartstheater. Die Geschichten, die sie erzählen, scheitern, denn es gibt keine Wahrheit mehr, die im dramatischen Dialog zutage kommen könnte (vgl. S.197ff.). Sowohl der Harlekin als auch der Chor stellen traditionelle Möglichkeiten dar, innerhalb der Theatertradition auf die Unsicherheit von Identität hinzuweisen. Für Müller-Schöll geht es um die "abgründige Erfahrung" der Existenz, um das Bewusstsein, dass wir immer schon in einem Medium sind, das "das Ende jeder geschlossenen Repräsentation und die Eröffnung unabsehbarer Möglichkeiten" bedeutet (S.200). Jurga Imbrasaite geht in ihrem Beitrag ebenfalls auf die Frage des Subjektes und dessen politische Bedeutung ein. Am Beispiel von Jérôme Bels Tänzerporträts wird aufgezeigt, wie "das choreographische Subjekt" (vgl. Zimmermann) erzeugt wird, indem es sich der Choreographie unterwirft. Die Machtkonstellation Choreograph – Tänzer wird subvertiert, indem die Stücke die Namen der porträtierten Tänzer tragen. Neben der unorthodoxen Namensgebung stellt die Art und Weise, wie die Tänzer_innen agieren, ebenfalls eine Verschiebung der Normen dar. Das private Selbst und das "choreographisches Selbst" werden einander gegenübergestellt und höhlen sich dadurch gegenseitig aus. Insgesamt gibt der Sammelband Performing Politics einen guten Überblick über aktuelle Debatten im Kontext des Politischen und der darstellenden Künste. Die Beiträge decken ein weites thematisches Spektrum ab; durch die Bündelung unter übergreifende Themen gelingt es jedoch, Querverbindungen zwischen den einzelnen Beiträgen herzustellen. Viele Autoren_innen arbeiten sich an der Schnittstelle von Theorie und Praxis der Kunst ab, tun dies jedoch aus sehr unterschiedlichen Perspektiven. Es finden sich aber auch spannende Beispiele und Berichte aus der Praxis von/über: Nature Theater of Oklahoma, Labofii, Kollektive Aktionen (KA), The Big Art Group, Kollektiv Bauchladen Monopol, deufert&plischke, Jérôme Bel und Forced Entertainment. Theoretisch besonders anregend ist der Abschnitt "Ein anderes Subjekt des Politischen", der Einblick in aktuelle philosophische Debatten (Jean-Luc Nancy) gibt, ohne jedoch den Kunstkontext hinter sich zu lassen. Die Beiträge zu "Politiken des Raumes" geben ungewohnte und spannende Perspektiven in Hinblick auf Raum, Stadt, Kapitalismus und Öffentlichkeit. Der Abschnitt "Interventionen" spiegelt wiederum sehr gut den aktuellen Trend zu aktionistischen und interventionistischen Kunstformen wieder. Andererseits taucht darin die alte Debatte um den "Zweck von Kunst" überhaupt auf, in der die Verfechter des l'art pour l'art jenen gegenüberstehen, die Kunst dem Zweck der Politik (oder anderen Zwecken) unterordnen wollen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es sich um eine vielseitige und spannende Lektüre für all jene handelt, die einen Überblick über aktuelle Debatten zur Thematik suchen. Es finden sich aber sicher auch Anregungen für auf diesem Gebiet bereits versierte Leser_innen.
Black communities have been making major contributions to Europe's social and cultural life and landscapes for centuries. However, their achievements largely remain unrecognized by the dominant societies, as their perspectives are excluded from traditional modes of marking public memory. For the first time in European history, leading Black scholars and activists examine this issue - with first-hand knowledge of the eight European capitals in which they live. Highlighting existing monuments, memorials, and urban markers they discuss collective narratives, outline community action, and introduce people and places relevant to Black European history, which continues to be obscured today
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Der Krieg in der Ukraine hat Polen und Deutsche vor eine ernste Herausforderung gestellt, die zur Erneuerung oder Intensivierung der Kontakte mobilisiert hat. Mehrere Treffen auf höchster Ebene kurz vor und kurz nach der russischen Aggression gegen die Ukraine haben gezeigt, dass eine schnelle und konstruktive Zusammenarbeit möglich ist. Auch die positiven polnischen Äußerungen nach der Ankündigung eines radikalen Wandels in der deutschen Sicherheitspolitik durch Bundeskanzler Scholz deuteten auf eine neue Qualität im deutsch-polnischen Dialog auf höchster Ebene hin. Leider bestätigten sich die Befürchtungen, dass es zu einer schnellen Rückkehr zum "business as usual" kommen würde. Die Kritik an Deutschland nimmt in Polen wieder einen scharfen Ton an und geht weit über eine legitime Partnerschaft hinaus, indem sie auf wahrgenommene Probleme hinweist. Teile der regierungsnahen Kreise und die damit verbundenen Experten und Publizisten haben sich erneut zum Angriff begeben, obwohl die westeuropäische Einheit wichtiger ist denn je. Dies ist leider ein bewusstes Vorgehen, das Polen sehr schadet. Gleichzeitig sind die Veränderungen in der deutschen Politik gegenüber Russland weit von den polnischen Erwartungen entfernt. Die erneute Bestätigung von Bundeskanzler Scholz, ein Embargo gegen russische Rohstoffe nicht zu unterstützen, sorgt in Polen für berechtigte Frustration.Parallel dazu gibt es aber jetzt noch mehr Beispiele als in den letzten Monaten für eine gelungene Zusammenarbeit, für eine Einigung, für gemeinsame Initiativen auf der Grundlage von Vertrauen. Die Ansichten der Menschen in Polen und Deutschland haben sich nach Jahren der Divergenz plötzlich angenähert. Einige Formate der deutsch-polnischen Zusammenarbeit, wie das Weimarer Dreieck oder Städtepartnerschaften, die als Instrumente der Kooperation in Frage gestellt wurden, haben sich als effektiv und nützlich erwiesen. Aus den sozialen Kontakten sind Projekte zur Unterstützung ukrainischer Flüchtlinge entstanden. Es lohnt sich, diese positiven Signale hervorzuheben, da sie allzu oft von den negativen überlagert werden. Auf dieser Grundlage ist es nun möglich und wird es auch hoffentlich in Zukunft möglich sein, die deutsch-polnischen Beziehungen in den Bereichen, in denen sie derzeit regelmäßig beschädigt werden, umfassend wiederherzustellen.Deutsche Bewunderung für PolenDie Offenheit, mit der die Polen ukrainische Flüchtlinge aufnehmen, hat in den deutschen Medien und in Alltagsgesprächen eine Welle positiver Kommentare ausgelöst. Den Deutschen fällt es zunächst schwer zu verstehen, warum eine Gesellschaft, die der Aufnahme von Flüchtlingen im Jahr 2015 so ablehnend gegenüberstand, plötzlich mit so viel Engagement humanitäre Hilfe leistet und Ukrainer in ihre Wohnungen einlädt. Die vorgebrachten Argumente - Angst vor Russland, kulturelle Nähe, zahlreiche Kontakte zu bereits in Polen lebenden Ukrainern - sind überzeugend und rufen noch mehr Respekt gegenüber den Polen hervor. Die täglich wachsende Zahl von Neuankömmlingen in Polen schockiert die Deutschen, die sich noch daran erinnern, wie vor einigen Jahren viele Monate lang Hunderttausende von Flüchtlingen in ihr Land kamen. Angesichts der aktuellen Zahlen und der kurzen Zeit, die zur Verfügung steht, ist die Bewunderung für das polnische Vorgehen umso größer. Diese plötzliche Verbesserung des in den letzten Jahren angeschlagenen Images Polens und der Polen in Deutschland ist ein ausgezeichneter Ausgangspunkt für die Entwicklung eines neuen Dialogs.Angleichung der AnsichtenEine weitere stabile Grundlage ist der Mentalitätssprung in Deutschland. "Wir erleben eine Zeitenwende" - mit diesen Worten beschrieb Bundeskanzler Olaf Scholz den Wandel, den der russische Überfall auf die Ukraine in der Weltordnung markiert hat. Zugleich verweist der Satz auf die Ankündigung eines Wechsels in der deutschen Sicherheits- und Russlandpolitik als Reaktion auf dessen Angriff auf die Ukraine. Jahrelang waren es genau diese beiden Bereiche - die Beziehungen zu Russland und die Sicherheit -, die in den Beziehungen zwischen Polen und Deutschland Anlass zu Streitigkeiten und gegenseitigen Anschuldigungen gaben. Der Wandel in der deutschen Haltung - in der Politik und in der öffentlichen Meinung - hat Warschau und Berlin einander näher gebracht.Die unterschiedliche Wahrnehmung Russlands als Land und die von ihm ausgehende Bedrohung resultierte aus historischen Erfahrungen und wirtschaftlichen Kontakten, die für Polen und Deutschland charakteristisch waren. Der Krieg hat dies geändert. Heutzutage empfinden Polen und Deutsche, die im Rahmen des zyklischen Deutsch-Polnischen Barometers befragt wurden, Russland eindeutig als Bedrohung in allen Bereichen - politisch, wirtschaftlich und militärisch. Dies wird von einer großen Mehrheit - drei Viertel der Befragten - in beiden Ländern angegeben. Auch die Mehrheit der Deutschen und Polen hält Russland für einen unzuverlässigen Partner, von dem man sich im Energiebereich unabhängig machen sollte.Während sich die Meinungen auf polnischer Seite durch die russische Aggression nur verschärft haben, sind solche hohen Bewertungen auf deutscher Seite ein Novum. Der Einmarsch in ein Nachbarland und die Ermordung von Zivilisten, die Erpressung mit Gas (z. B. die Forderung, die Lieferungen in Rubel zu bezahlen) und die Verletzung aller Grundsätze der internationalen Ordnung sind für die Deutschen ein Schock, während sie für die Polen nur die seit langem in europäischen Foren geäußerten Befürchtungen bestätigen.Auf polnischer Seite herrscht jedoch ein bitteres Gefühl der Schadenfreude, wenn man in den Stellungnahmen einer wachsenden Zahl von Journalisten, Experten und Politikern hört, dass Polen jahrelang Recht hatte und man auf die Stimme eines Landes hätte hören sollen, das die Besonderheiten Russlands kenne. Umso bitterer ist es, wenn nach ehrgeizigen Ankündigungen von Maßnahmen und Unterstützung für die Ukraine weitere Sanktionen oder Waffenlieferungen an die Ukraine von Berlin nicht so schnell und umfassend aufgenommen werden, wie man es von einem Land seines Gewichts erwartet. Es ist für die Polen enttäuschend und ärgerlich, dass Deutschland so lange auf die Eröffnung von Nord Stream II gesetzt hatte und auch weiterhin Gas aus Russland importiert, wie der Bundeskanzler erneut bestätigt hat. Vor dem Ausbruch des Krieges und auch danach werden die sukzessiven Schritte der deutschen Regierung in Polen als zu langsam, zu spät und zu gering wahrgenommen. Daher sind die polnischen Meinungen über die deutsche Russlandpolitik trotz des angekündigten Wandels weiterhin kritisch. Mehr als die Hälfte der Polen im Deutsch-Polnischen Barometer bezeichnet diese Politik als zu nachgiebig gegenüber Moskau. Informationen über angebliche Waffenlieferungen an die Ukraine werden mit Hoffnung, aber auch mit Zweifel aufgenommen.Diese Annäherung der polnischen und deutschen Meinungen sowie vieler deutscher Experten und Journalisten eröffnen jedoch ein wichtiges Feld für die Zusammenarbeit. Die Anerkennung der polnischen Kompetenz im Wissen über Osteuropa und Russland selbst in Deutschland, aus der Offenheit für Dialog und für eine gemeinsame Suche nach Lösungen entstehen, kann die Grundlage für eine erneut konstruktive und partnerschaftliche Zusammenarbeit werden. Es ist jedoch notwendig, wachsam zu bleiben und auf beiden Seiten Anstrengungen zu unternehmen, um diese Zusammenarbeit erfolgreich zu gestalten. Nach den Ereignissen auf dem Maidan oder der Annexion der Krim gab es bereits konkrete Beispiele für eine solche substanzielle Zusammenarbeit, den Austausch von Informationen und die gemeinsame Arbeit an Lösungen. Die Deutschen gaben ausdrücklich zu, dass sie sich auf die polnische Kompetenz in Ostfragen verlassen sollten, und sie kamen nach Warschau, um zuzuhören. Auf deutscher Seite fehlte jedoch langfristig der Glaube, dass die polnische Skepsis gegenüber möglichen Veränderungen in Russland richtig war. Langsam erlahmte das Interesse an diesem Thema und die Kontakte zu den Polen auf diesem Gebiet. Auf polnischer Seite wurde die Zusammenarbeit mit den Deutschen in vielen Bereichen als unerwünscht angesehen und die Ostpolitik, wie z. B. die Kontakte zur ukrainischen Regierung, galt in Warschau nicht mehr als vorrangigen Aufgabe. Gleichzeitig ist man sich der Bedeutung der großen Wende in der deutschen Einstellung zu den Sicherheitsfragen nicht richtig bewusst. Mehr Druck von polnischer Seite oder Kritik an der Langsamkeit kann in Deutschland im Gegenteil entmutigend wirken, da sie mit der Überzeugung kollidiert, dass die unternommenen Anstrengungen, ihre Geschwindigkeit und ihr Umfang für Deutschland auf jeden Fall enorm sind. Diese Fehler auf beiden Seiten dürfen jetzt nicht wiederholt werden.Wiederbelebung des Weimarer DreiecksDer polnische Unwille, die politischen Beziehungen zu Deutschland zu vertiefen, und das mangelnde Interesse Frankreichs an einer Zusammenarbeit mit Polen waren in den letzten Jahren die Hauptgründe dafür, dass das Weimarer Dreieck in den letzten Jahren völlig ins Abseits geraten ist. Das letzte Gipfeltreffen fand 2013 statt. Obwohl anlässlich der Jahrestage des 1991 gegründeten Gesprächsformats darauf bestanden wurde, dass das Dreieck noch eine Zukunft habe, war es schwierig, Themen zu finden, die den drei Seiten interessant genug erschienen, um sich in diesem Format damit zu befassen.Die Bedrohung und dann die russische Aggression gegen die Ukraine waren Anlass für dringende Treffen des Weimarer Dreiecks, beginnend mit einem Gipfeltreffen zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz, Präsident Emmanuel Macron und Präsident Andrzej Duda am 8. Februar in Berlin. Bereits nach Beginn des Krieges trafen sich die Außenminister in Lodz: Zbigniew Rau, Annalena Baerbock und Jean-Yves Le Drian. Ein verstaubtes Format, das wegen mangelnden Interesses aufgegeben wurde, erwies sich plötzlich als hilfreich, um schnell Gespräche über ein aktuelles Thema zu führen. Spekulationen darüber, inwieweit dadurch regelmäßige Treffen ermöglicht wurden, sind schwierig, da auch hier vieles von den Interessen der einzelnen Länder abhängt. Die Erprobung des Dreiecks in Notzeiten ist jedoch ein wichtiges Zeichen dafür, dass sich die drei Länder dank dieses Formats im Bedarfsfall gegenseitig konsultieren können.StädtepartnerschaftenEin weiteres Format, das in den letzten Jahren in den deutsch-polnischen Beziehungen infrage gestellt wurde, waren die Städtepartnerschaften. Einige der Partnerstädte und -gemeinden waren nicht in der Lage, neue Formen der Zusammenarbeit zu finden, denn direkte Unterstützung aus Deutschland für die polnische Verwaltung und Bürger, wie sie in der kommunistischen Ära und in den ersten Jahren der polnischen Transformation so wichtig war, hatte über die Jahre ihre Notwendigkeit verloren. Andere Gebietskörperschaften blieben in Kontakt und führten erfolgreich gemeinsame Projekte durch, tauschten Erfahrungen aus, lernten voneinander und brachten Bürger mit ähnlichen Interessen (z. B. Sport) oder Bedürfnissen (z.B. Jugendzentren, Vereine zur Unterstützung von Kranken) zusammen. "Suchen, was uns verbindet", empfahlen daher Peter Oliver Loew und ich als Schlussfolgerung unserer Untersuchung, wie Kommunen aus Polen und Deutschland ihre Zusammenarbeit intensivieren oder erneuern können.Der Krieg in der Ukraine hat dieses verbindende Element mit sich gebracht und Gemeinden und Städte aus beiden Ländern zu gemeinsamen Aktionen mobilisiert. Diese sind sehr unterschiedlich. Einige deutsche Städte haben ihren polnischen Partnern, die ukrainische Flüchtlinge aufnehmen, finanzielle Unterstützung gewährt. Andere reagierten auf den spezifischen Bedarf, indem sie Lastwagen mit Produkten schickten, die der polnische Partner für die bereits untergebrachten ukrainischen Ankömmlinge benötigte. In anderen Fällen fungierte eine polnische Stadt als Relaisstation und brachte Hilfsgüter aus Deutschland zusammen mit Produkten aus Polen in eine Partnerstadt in der Ukraine. Deutsche Kommunalbeamte informierten sich über ihre polnischen Kollegen darüber, was in der Ukraine benötigt wurde. Die Kontakte zwischen den Verwaltungen waren entscheidend für den raschen Beginn der Hilfsmaßnahmen. Aber auch Gemeinden, die keine engen Beziehungen zueinander hatten, mobilisierten sich in dieser Situation für gemeinsame Aktionen. Wie es in der »Erklärung des Deutsch-Polnischen Ausschusses [der beim Polnischen Städtetag und beim Deutschen Städtetag tätig ist - Anm. d. Verf.] zum Krieg in der Ukraine« heißt: »Die letzten Tage haben deutlich gemacht, dass kommunale Partnerschaften unverzichtbar sind, um die grenzüberschreitende Zusammenarbeit auf zivilgesellschaftlicher Ebene zu befördern. Die Kooperationen auf kommunaler Ebene tragen so unmittelbar zu einer grenzüberschreitenden Solidarität bei«. Diese konkreten Solidaritätsaktionen von Polen und Deutschen sind sicherlich die besten Bausteine für ein Gemeinschaftsgefühl und eine deutsch-polnische Partnerschaft. Unabhängig davon, wann der Krieg in der Ukraine endet, werden die Gemeinden und Städte dort noch lange auf die Unterstützung der EU-Länder angewiesen sein. Die weitere Zusammenarbeit zwischen polnischen und deutschen Gebietskörperschaften in diesem Bereich kann daher eine gemeinsame Aufgabe und eine Idee für die Intensivierung von Partnerschaften und sogar für die Schaffung neuer Partnerschaften sein. Der Ansatz der deutschen Seite - die Polen nach ihren eigenen Bedürfnissen und denen der Ukrainer zu fragen - ist auch hier entscheidend. Abgesehen von der Möglichkeit, auf spezifische Nachfragen einzugehen, wird dadurch eine wichtige Beziehungsebene geschaffen - eine Partnerschaft, bei der die deutsche Seite auf die Kompetenz und das Wissen der polnischen Seite vertraut und beide zusammen einen gemeinsamen Plan umsetzen.Jugendaustausch und gesellschaftlichen ProjekteEin Bereich, in dem in den letzten Jahren vieles gut funktioniert hat, ungestört von politischen Meinungsverschiedenheiten, ist die Zusammenarbeit auf gesellschaftlicher Ebene. Aber auch hier hatte sich, wie überall, ein gewisser Überdruss, eine Enttäuschung, ein Unverständnis eingeschlichen - ein bisschen wie in einer langjährigen Beziehung, wo man sich nicht mehr zurückhalten kann, härter zu kritisieren oder mehr zu fordern. Die neue plötzliche Herausforderung führte dazu, dass dieser Ballast aufgegeben und auf ein konkretes Ziel ausgerichtet wurde. Verbände kamen zusammen, um auf die Bedürfnisse in der Ukraine zu reagieren. Dadurch wurde das Vertrauen in den Partner gestärkt. Die gemeinsamen Erfahrungen werden in die weitere Zusammenarbeit einfließen.Vor allem die bestehenden formalen Kooperationsstrukturen der verschiedenen Organisationen erwiesen sich als entscheidend. Die Kreisau-Stiftung für europäische Verständigung, die seit fast dreißig Jahren eine Begegnungsstätte für Jugendliche auf dem Grundstück des deutschen Wiederstands aus dem Zweiten Weltkrieg (Familie von Moltke, Kreisauer Kreis) und auf dem Gelände des Versöhnungsmesse von 1989, bei der Bundeskanzler Helmut Kohl und Ministerpräsident Tadeusz Mazowiecki eine symbolische Geste des Friedens ausgetauscht haben, hat rund 100 Flüchtlinge aufgenommen. Die polnische Stiftung, die jedes Jahr viele deutsch-polnische Jugendbegegnungen organisiert und Friedens- und Demokratiebildung betreibt, erfüllt damit ihre Mission in der Praxis. Die Kreisau-Initiative und die Freya von Moltke-Stiftung in Deutschland, die seit vielen Jahren mit der Stiftung verbunden sind, helfen bei der Finanzierung der Aufnahme von Flüchtlingen. Tausende von Euro an Spenden aus Deutschland für Kreisau zur Unterstützung der Ukrainer haben daher eine besondere völkerverbindende Bedeutung.Das Deutsch-Polnische Jugendwerk (DPJW) , eine Organisation, die seit über dreißig Jahren den Jugendaustausch fördert, reagierte ebenso schnell. Deutsche und polnische Partner können Personen aus ihren Partnerorganisationen in der Ukraine zu einem individuellen Aufenthalt (bis zu drei Monaten) in Deutschland oder Polen einladen. Das DPJW wird einen Zuschuss gewähren und die Reisekosten in erheblichem Umfang erstatten. Das Programm wird im Rahmen einer Hospitation durchgeführt - für Lehrer, Mitarbeiter von Vereinen, Jugendzentren und anderen Organisationen oder im Rahmen eines Praktikums. Wenn es Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine gelingt, nach Deutschland oder Polen zu gelangen, oder wenn ihre Gruppen bereits in Deutschland oder Polen sind, kann das DPJW ihren Aufenthalt für bis zu 28 Tage bezuschussen. An diesen Treffen können Partnergruppen aus Deutschland und Polen teilnehmen, müssen es aber nicht. Diese beiden Beispiele zeigen, dass bestehende und gut funktionierende Kooperationsformate in einem Moment der Bewährung schnell und effektiv reagieren können. Ihre weitere Entwicklung wird die deutsch-polnischen Beziehungen weiter fördern.Steter Tropfen höhlt den SteinDie Annäherung der Meinungen, die erfolgreichen deutsch-polnischen Projekte in dem Augenblick, in dem es darauf ankommt, stehen im Widerspruch zu der aggressiven antideutschen Rhetorik von Teilen der polnischen Politik. In beiden Fällen lässt sich feststellen, dass die Maßnahmen Wirkung zeigen. Einerseits wachsen mehrere Generationen von Deutschen und Polen mit dem Bewusstsein auf, wie viel wir gemeinsam haben und wie viel Gutes wir gemeinsam tun können. Auf der anderen Seite verbreiten sich antideutsche Parolen und werden von den polnischen Machthabern akzeptiert. Das erwähnte zu langsame oder nur teilweise Handeln Deutschlands bestärkt die Kritiker und beflügelt sogar diejenigen, die es sich zum Prinzip gemacht haben, Deutschland anzugreifen. Wie bereits erwähnt, dürfen wir uns nicht von dieser Rhetorik leiten lassen, wenn wir die deutsch-polnischen Beziehungen weiterentwickeln und sie auf konkrete Ergebnisse ausrichten wollen. Dies kann durch die Entwicklung von Aktivitäten in den oben genannten Bereichen erreicht werden, die sich auf die reichen Errungenschaften der letzten 30 Jahre stützen. Dies ist eine Herausforderung für beide Seiten. Es ist wichtig, dass die Polen sich von der Atmosphäre in den höchsten politischen Kreisen nicht entmutigen lassen, sondern weiterhin wertvolle Projekte durchführen. Gleichzeitig sollten sie ihren deutschen Kollegen mutig zeigen, wenn deren Verhalten in polnischen Augen fragwürdig ist, um sie auf der Grundlage des aufgebauten Vertrauens für die polnische Sichtweise zu sensibilisieren. Die Deutschen müssen akzeptieren, dass die Argumente der Polen oft richtig sind und dass es sich lohnt, sich auf sie zu stützen und, wie jetzt, auf die polnische Kompetenz zu vertrauen. Der Krieg in der Ukraine hat gezeigt, dass die deutsch-polnische Zusammenarbeit nicht nur für die beiden Länder und ihre Gesellschaften notwendig ist. Auch andere warten auf sie.
Ob Fernsehschränke, Telefonzellen oder Computergehäuse – Umhüllungen und Verkleidungen medialer Technologien waren lange Zeit keine Gegenstände einer kulturwissenschaftlich ausgerichteten, medientheoretischen Auseinandersetzung, obwohl gerade das insistente Fragen nach Möglichkeitsbedingungen, nach Rahmung, nach Materialität oder nach medialer Verfasstheit ein Erkennungsmerkmal medienkulturwissenschaftlichen Problembewusstseins darstellen will. Der Sammelband Gehäuse: Mediale Einkapselungen bietet eine ambitionierte und komplexe Theoriebildung zur vernachlässigten Handlungsmacht von Gehäusen an, indem das Gehäuse erstmalig großangelegt als medienwissenschaftliches Epistem befragt wird. Darüber hinaus eröffnen die Texte viele Einblicke in die Mediengeschichte der Hüllen, Behausungen und Bauformen von Apparaten und Technologien, aber auch von historischen Vorläufermedien, von Materialitäten wie Holz und Müll oder von Kulturtechniken der Speicherung und Übertragung. Als die Jahrestagung der Gesellschaft für Medienwissenschaft 2018 stattfand, fielen vielen Tagungsteilnehmer_innen die zahlreichen, kunstvoll bemalten Verteilerstromkästen des Gastgeberorts Siegen auf. Durch die Gestaltung der Kästen beabsichtigte die Stadt sich als kreativer Industrie- 'und' Kulturstandort zu positionieren – und sorgte auf Fußwegen zwischen den Veranstaltungsräumen der Tagung für Gespräche über Stadt-Ästhetik, Energiewirtschaft, Geschmack etc. Wenn eine ansonsten unsichtbare Materialität erst durch Verfremdungspraktiken überhaupt sichtbar und dann mit Energiewirtschaft oder Ingenieurswesen assoziiert wird, handelt es sich höchstwahrscheinlich um ein Medium, weil Medien Wirklichkeiten organisieren und kanalisieren und dabei einen Hang zur Unsichtbarmachung ihrer Körper und ihrer Agency haben. Es war das Medium 'Gehäuse', also der Kasten (und nicht der Kabelsalat oder der Strom), der im Stadtraum sichtbar wurde und sich selbst thematisierte: als neues Trägermedium für Kunst. Jene zuvor anästhetische, eigene Medialität von Gehäusen ist es, die Hans Blumenberg "Umkleidung des künstlichen Produkts mit Selbstverständlichkeit" (S.9) nannte, und die für die Herausgeber_innen des Sammelbands die Grundthese darstellt, dass Gehäuse "Orte der Vermittlung sind, die vordergründig der Stabilisierung eines Funktionsarrangements dienen, an denen sich aber auch Zeichenprozesse abspielen." (S.10) Dass eine Medientheorie der Gehäuse eine lohnende, komplexe epistemische Herausforderung darstellen könnte, wurde dabei bisher durch hartnäckige Abwertungen vernebelt: Einerseits imaginieren kulturelle Gemeinplätze Gehäusefiguren als äußerliche Nur-Hüllen/Nur-Fassaden/nicht-essenzielle Oberflächen bzw. als Blendwerke/Täuschungen und andererseits formulieren auch wissenschaftliche Kommentare zu medialen Hüllen solche meist lediglich als Verstärkerinnen des 'Eigentlichen', also als sekundäre, repräsentationslogische Thematisierungen des Gehäuseinneren, der Software (oder des guten alten Inhalts) 'in' der äußerlichen Aufbereitung (Form). Dem halten die Herausgeber_innen eine Theoretisierung des Gehäuses entgegen, die es nicht nur als eine 'Schicht' des Mediums denkt, sondern die das Gehäuse selbst als 'medial' begreift – also als performativ, als wirkmächtig und in intermaterieller Wechselwirkung mit Umwelt, Nutzer_in, Innenleben etc. Dazu werden in der Einleitung vier Kontextualisierungen des Begriffs entwickelt. Konzipiert als "materielle Artefakte" (S.11), können Gehäuse erstens mit theoretischen Anleihen aus den Material Culture Studies und der ANT perspektiviert werden, womit auch die Beziehung der Funktionalität von Gehäusen zu Fragen der (Inter‑)Materialität oder zu Praktiken des Alltags adressiert ist, sodass das Gehäuse "als ein Ort (mit eigener Medialität) beschrieben werden kann, an dem ein gestaltetes Artefakt mit Praktiken konfrontiert ist und an dem sich damit auch soziokulturelle Konflikte abspielen"(S.13). In einem zweiten Schritt werden dann Perspektiven aus Theorie und Praxis von 'Design' bemüht, da Produktdesign intrinsisch mit der Geschichte der Industrialisierung (etwa mit der technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks) verschränkt ist und so die Ambivalenz von 'Funktionalität und Ästhetik' in den Fokus rückt. Unter den Blickpunkten des Designs betrachtet – geplanter Gebrauch vs. "übergreifende ästhetische Leitvorstellungen"– offenbaren sich Gehäuse als verhandlungsintensive Medien, mittels derer zeitgenössische "Kommunikation über gesellschaftlich geteilte Werte, Normen und Einstellungen" (S.18) stattfindet. Ein Gehäuse weist drittens sowohl die Charakteristika der 'Infrastruktur' als auch des 'Interface' auf. Als Interface erscheint es, weil es ein instrumentelles Bedienelement ist, das sich Nutzer_innen als Schnittstelle zuwendet. Es tritt aber zugleich als Infrastruktur in Erscheinung – bzw. macht sich als solche unsichtbar –, indem es eine Stabilisierung von Komponenten darstellt, welche das Funktionieren eines Systems garantieren und dessen Verhältnis zur Umwelt determinieren soll. Mit dieser Einsicht lassen sich Gehäuse gerade in ihrer "wechselnde[n] Positionierung […] als bedienbares Werkzeug oder als Teil der Architektur" (S. 21) eines ökologischen Dispositivs untersuchen. Die vierte Kontextualisierung bündelt die vorangehenden am Beispiel der Theoriegeschichte der Blackbox und überträgt diese auf die Frage nach einer medienkulturwissenschaftlichen Theorie der Gehäuse. Die "Logik des Blackboxing" besteht in der Einkapselung technischer Komponenten und deren Abschirmung von Anwender_innen, womit sie "materieller Ausdruck von Formalisierungs- und Technisierungsprozessen" (S.11) sind und eine je spezifische Ordnung von 'Intransparenz zugunsten von Transparenz' festlegen, indem ihr Weniger an Einsicht den Pragmatismus ihrer Handhabe optimiert. Auf Basis dieser Annahme lässt sich die Erschließung einer Theorie des Gehäuses an die epistemologischen Erkenntnisse der Kybernetik anknüpfen: Davon kann abgeleitet werden, dass Gehäuse ein allgemeines "Modell von Kognition"markieren, das darin besteht, dass sie praktisches Wissen hervorbringen und organisieren (Beobachten, Erkennen, Sehen, Erfassen, Lernen). So soll argumentiert werden, dass sich Gehäuse nicht in ihrem instrumentellen Charakter erschöpfen. Sie sind dann nicht Repräsentationen von ihnen ausgelagertem Wissen, von Werten oder Normen, sondern Interaktionsparter_innen im prozessualen Auf-Einander-Abstimmen und damit "Verfahren der Wissensproduktion" (S.22). Wie schon die Einleitung, richtet sich das Gros der Beiträge an medienphilosophische Leser_innen-Interessen. Die meisten Texte verhandeln, bezogen auf einen material- oder ideengeschichtlichen Diskurs oder auf historische/aktuelle Phänomene, immer auch die Fragen: Wie definiert sich eigentlich ein/das Gehäuse und welches grundlegende medientheoretische Wissen lässt sich darauf anwenden oder davon ableiten? Und was bedeutet das für unseren Medienbegriff? So offeriert der Sammelband etwa eine Theorie der Gehäuse von Notfalldingen als emergente "suspense-Techniken"(Martin Stiegler, S.302), eine Diskussion von Körperkapseln, die binäre Subjekt-Objekt-Ontologien auflösen (Andreas Broeckmann) oder auch eine medienphilosophische Untersuchung der Beeinflussung des etablierten Umweltbegriffs durch Uexkülls mediale Umweltkonzeption "als gläsernes Gehäuse", "stabil und fest dem Lebewesen zugehörig" sowie "unauffällig und transparent" (Julian Jochmaring, S.262). Auch die Frage danach, wie sich kultureller Wandel in Gehäusen zeitigt, begegnet widerkehrend: in der Analyse sowohl von solchen Imitationen einer kühlen Smart-Phone-Elektrogerätästhetik in zeitgenössischer Architektur (Tom Steinert), als auch (umgekehrt) von jenen Nachahmungen wärmend hölzerner Musikmöbel-Optik durch aktuelle Retro-Smart-Phone-Gehäuse (Leonie Häsler). Herausstechend sind jene Passagen, in denen die Gehäuse-Theoriebildung mit politischen, gesellschaftskritischen oder explizit gender-relevanten Fragen verschränkt wurde, und in welchen die Medialität von Gehäusen so hinsichtlich ihrer Verstrickung in Machtverhältnisse dargestellt wird. Auf Gender-Diskurse von medialen Gehäusen macht etwa Tobias Landers Inklusion einer Besprechung von Valie Exports Tapp- und Tastkinoin der Genealogie künstlerisch reflexiver Gehäuse-Mysterien aufmerksam. Heike Weber wiederum kommt in ihrer Analyse "[z]ur Vermittlung von Konsumtechniken" mitunter auf Ellen van Oosts einschlägige Gender-Skript-Studie zum elektrischen Rasierapparat der 1950er-Jahre zu sprechen und erweitert Oosts Schlüsse zur Vergeschlechtlichung von Medien durch das Beispiel von Radioportables der Zeit.Außerdem beobachtet Weber, dass die Interfaces von Waschvollautomaten um 1990 ein effeminierendes Script vorgaben, das ihren Anwenderinnen mitunter durch 'Bio-Programme' die soziale Rolle einer Koordinationsverantwortlichen für Hygiene-, Material- und Umwelt-Bewusstsein nahelegte. Zusammenhänge von sozialer Differenz mit ihren korrespondierenden Gehäusen betreffen nicht zuletzt klassifizierte Praxen. Anhand von "Behausungen des Mülls"zeigt etwa Laura Moisi auf, wie Müll "Dingen und Personen einen Platz in der symbolischen Ordnung des Sozialen zuweist und die Welt in Zonen der Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit aufteilt"(S. 214). Die Administration von Normativität durch Gehäuse ist auch Thema von Markus Krajewskis Kritik an der deutschen Architektur der Nachkriegszeit. Mosaik-, Raster- und Kachel-Strukturen im Stil karierter Collegeblocks dienen dazu – so die These – die Gegenwart zu dehistorisieren, "Gewissen reinzuwaschen" (S. 170) und "Bewohner in unbeschriebene Blätter zu wandeln", gleichsam "formatiert" (S. 171) und geschichtsvergessen. Derartige machtkritische Ausrichtungen der Forschungsbeiträge werden teilweise vermisst, wenn der ein oder andere Text sich etwa als genuin medienphilosophisch oder medienhistorisch versteht, und wenn dann das spezifische Selbstverständnis der Analyse- oder Theoretisierungspraxis impliziert, dass die untersuchte Medialität von Design, Infrastruktur oder Architektur ein Forschungsgegenstand ist, der unabhängig von dessen Gender-, Race-, Class- oder Ability-Dimensionen besprochen werden könnte. Eine Theorie von Gehäusen kann es nach meinem Dafürhalten nur unter den Prämissen geben, dass Gehäuse essentielle Agent_innen in Gefügen der Organisation von Accessibilities (Queer/Crip Theory) sind und dass sie eine Vergeschlechtlichung von Innerlichkeit/Äußerlichkeit durchwirkt – eine Perspektive, zu der Lektüren von Bourdieus Theorie des Hauses als gegendert-normalisierende 'verkehrte Welt' oder Sara Ahmeds feministischer Bezugnahme auf das Survival-Kit inspirieren könnten.[1] In viele Gehäuse von elektronischen Medien ist außerdem ein wichtiger Reminder für die Medientheorie buchstäblich 'eingeschrieben': "Made in China", "Made in Bangladesh" etc. verweisen auf materiale Implikationen von race/gender/class, die mit dem Outsourcing unserer Medienproduktion in Länder des Globalen Südens und mit der Ausbeutung von Women of Colour in der Medienindustrie einhergehen – ein entscheidendes und permanent anwesend/abwesendes Charakteristikum von Medialität im 21. Jh., das, wie Lisa Nakamura anregt, das kritische Verständnis von Medientheorie herausfordern sollte.[2] Ansätze einer solchen machtverhältniskritischen Haltung von Medienwissenschaftler_innen finden sich in Heike Webers Fazit zu Fragen des Blackboxings: "Was in einer Gesellschaft von einer jeweiligen Technik als wichtig zu wissen erachtet und was von dieser Technik erwartet wird, wird auch über Gehäuse- und Interfacedesign vermittelt, derweil andere Aspekte des Technischen ausgeschwärzt sind – und damit […] auch weiter im Machtraum der Technikproduzenten verbleiben" (S. 134). Denn bei aller vermeintlich öffnenden Ökologisierung von Medien als deren Emergenz in Smart Homes, Ubiquitous Computing oder Ambient Intelligence, darf nicht die Konjunktur zunehmender Schließung und Abgrenzung von Gehäusen übersehen werden. Auf diesen Prozess wird auch im Sammelband verwiesen: auf Vorgänge der "Isolierung", die beabsichtigen, "nur noch die notwendigen Ströme durchzulassen und unbefugte Zugriffe zu verhindern" (Florian Sprenger, S. 194). Till A. Heilmanns Text bietet dazu ebenso eine problembewusste Beobachtung an: Eine zunehmende Immunisierung des 'Machtraums der Technikpoduzent_innen' gegenüber Subversionen mittels gezielter Verunmöglichung von individuellen Eingriffen in Systeme "zwingt Nutzerinnen und Nutzern das Muster eines rein konsumierenden Umgangs mit und Gebrauchs von Computertechnik auf" (S.50). Vor diesem Hintergrund erscheint auch die Telefonzelle auf dem Cover des Sammelbands als Überhang aus einer anderen Epoche, wenn wir daran denken, dass in den letzten Jahren immer mehr europäische Stadtadministrationen ihre öffentlichen Telefonzellen so umgebaut haben, dass sie nicht mehr von Obdachlosen als Schlafplatz oder Kälteschutz angeeignet werden können. [1] Siehe Pierre Bourdieu: Entwurf einer Theorie der Praxis. Auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft. Frankfurt a. M. 2009. Sowie Sara Ahmed: Feministisch Leben! Manifest für Spaßverderberinnen. Münster 2017. [2] Siehe Lisa Nakamura: "Indigenous Circuits. Navajo Women and the Racialization of Early Electronic Manufacture". In: American Quarterly, 66/4, Dezember 2014, S. 919–941.
Aus der Einleitung: (1) Problemstellung: Zunehmende Branchenkonzentration und hohe Dynamik führen zu einer Intensivierung des Wettbewerbs im Handel. Ein erfolgreiches Bestehen am Markt wird für Unternehmen immer schwieriger. Parallel dazu befinden sich die Welt sowie die Art und Weise des Wirtschaftens am Anfang eines grundlegenden Veränderungsprozesses hin zur nachhaltigen Entwicklung. Nachhaltigkeit ist das Schlagwort der heutigen Zeit. Auch die marktgetriebenen Handelsunternehmen versuchen sich in diesem Bereich zu engagieren. Inzwischen hat fast jedes Unternehmen im Rahmen seiner Internetpräsenz einen Abschnitt über Verantwortung, Corporate Social Responsibility, Nachhaltigkeit o. Ä., der über entsprechende Initiativen berichtet - sei es allein aus dem Grund, keine Wettbewerbsnachteile zu erleiden. Diese Initiativen werden gerne als Nachhaltigkeitsstrategien propagiert, können aber dennoch primär operativ oder einseitig ausgerichtet sein. Hierbei besteht die Gefahr, dass die Öffentlichkeit die Maßnahmen trotz hohem Einsatz für unglaubwürdig erachtet und das Unternehmen des Greenwashings bezichtigt. Dies kann zu einem enormen Imageverlust führen. Damit Unternehmen dies nicht nachgesagt wird, darf Nachhaltigkeit nicht nur durch zeitlich begrenzte Projekte oder punktuelle Initiativen umgesetzt werden, sondern muss langfristig in das Kerngeschäft bzw. auf strategischer Ebene verankert werden. Im Hinblick auf die herausfordernde Situation im Handel könnte Nachhaltigkeit für das zukünftige Überleben eines Handelsunternehmens von elementarer Bedeutung sein, wobei insbesondere ihre strategische Verankerung eine entscheidende Rolle spielt. (2) Zielsetzung und Gang der Arbeit: Ziel und Inhalt der vorliegenden Arbeit sollen deshalb sein, ein Konzept für die strategische Verankerung von Nachhaltigkeit im Handel zu erarbeiten sowie die Rahmenbedingungen, Motivationen und Wirkungen der handelsspezifischen Nachhaltigkeit zu erläutern. Darüber hinaus soll beurteilt werden, ob und inwiefern das neue Leitbild zur Profilierung und zum Überleben innerhalb der prekären Handelsbranche geeignet ist. Daher wird im ersten Teil der Arbeit zunächst ein Bezugsrahmen erstellt (Abbildung 1 im Anhang verdeutlicht den Aufbau der Arbeit). Dazu gehört die Darstellung der derzeitigen Wettbewerbsbedingungen im Handel (Abschnitt I.1), welche die Dringlichkeit neuer Ansätze deutlich werden lässt. Da die Basisbegrifflichkeiten des Nachhaltigkeitskonzeptes im Allgemeinen nicht klar definiert und trennscharf sind, soll hier versucht werden, diese für die vorliegende Arbeit sowohl zu definieren als auch von ähnlichen Konzepten wie z. B. Corporate Social Responsibility abzugrenzen (Abschnitt I.2). Der zweite Teil der Arbeit stellt die Anwendung und Konkretisierung des Vorhergehenden dar und behandelt Nachhaltigkeit im Handel als Managementaufgabe. Dahingehend werden als Erstes die strategische Ausgangslage sowie die Zukunftsfähigkeit derzeitiger Handelsstrategien im Hinblick auf die aktuellen Herausforderungen der Branche ermittelt (Abschnitt II.1). Ausgehend davon, dass Nachhaltigkeit zuerst in Form von punktuellen Initiativen Eingang in das operative Handelsmanagement findet, werden in Abschnitt II.2 die verschiedenen branchenspezifischen Handlungsfelder und Schlüsselthemen auf funktionaler bzw. operativer Ebene identifiziert. Darüber hinaus gilt es u. a. zu klären, welche treibenden Kräfte existieren, warum Nachhaltigkeit im Vergleich zu anderen Branchen besonders herausfordernd ist und wie sich der Status quo darstellt. Im letzten Abschnitt der Arbeit (Abschnitt II.3) wird die handelsspezifische Nachhaltigkeit aus der strategischen Perspektive betrachtet. Nachhaltigkeit könnte einen Ansatz zur Profilierung darstellen, sofern sie sich mit den Anforderungen des Marktes und bereits existierenden Strategien vereinen lässt sowie strategisch verankert ist. Das kontrovers diskutierte Thema über die Wirkung von Nachhaltigkeit auf den Unternehmenserfolg wurde in der Wissenschaft bereits auf konzeptioneller und empirischer Ebene umfassend bearbeitet. Daher werden die durch Nachhaltigkeit beeinflussbaren ökonomischen Erfolgsgrößen aufgezeigt sowie die Gründe des Handels für Nachhaltigkeit dargelegt. Aufbauend darauf werden zwei handelsspezifische Strategie-Typologien sowohl vorgestellt als auch deren Eignung zur Profilierung innerhalb der Branchensituation aufgezeigt. Im Anschluss wird ein erarbeitetes Konzept zur strategischen Verankerung präsentiert. Darüber hinaus sollen die Vereinbarkeit von Nachhaltigkeit sowohl mit Unternehmenszielen als auch mit den in Abschnitt II.1 analysierten Strategien überprüft und die Ausgestaltungsmöglichkeiten erörtert werden.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: MANAGEMENT SUMMARYII INHALTSVERZEICHNISIII ABKÜRZUNGSVERZEICHNISVIII EINLEITUNG1 TEIL I:GRUNDLEGENDER BEZUGSRAHMEN FÜR NACHHALTIGKEIT IM HANDEL3 I.1Einblick in die Handelsbranche3 I.1.1Grundlegende Begrifflichkeiten und Abgrenzungen4 I.1.2Herausfordernde Rahmenbedingungen5 I.1.2.1Informations- und Kommunikationstechnologien6 I.1.2.2Permanenter Wandel im Kundenverhalten7 I.1.2.3Hohe Wettbewerbsintensität13 I.1.2.4Notwendigkeit neuer Strategieansätze14 I.2Das Leitbild Nachhaltigkeit15 I.2.1Entwicklung des Konzeptes Nachhaltigkeit15 I.2.2Nachhaltigkeit in Unternehmen18 I.2.2.1Definitorische Grundlagen von unternehmerischer Nachhaltigkeit18 I.2.2.2Abgrenzung zu Corporate Social Responsibility20 I.2.2.3Die Relevanz der strategischen Verankerung von Nachhaltigkeit21 TEIL II:NACHHALTIGE UNTERNEHMENSENTWICKLUNG IM HANDEL22 II.1Strategische Ausgangslage und Zukunftsfähigkeit ausgewählter Handelsstrategien22 II.1.1Strategieverständnis und Managementperspektive22 II.1.2Wettbewerbsstrategische Positionierung- und Profilierungsstrategien23 II.1.2.1Kosten- oder Preisführerschaft24 II.1.2.2Differenzierung und Retail Branding25 II.1.2.3Mischstrategien28 II.1.2.4Konzentration auf Schwerpunkte28 II.1.2.5Bedeutung und Zukunftsfähigkeit von Wettbewerbsstrategien29 II.1.3Vertikalisierung31 II.1.3.1Vorteile und Eignung der Vertikalisierungsstrategie32 II.1.3.2Relevanz von Handels-/ Eigenmarken33 II.1.4Kooperationsstrategien als Alternative zur Vertikalisierung oder Akquisition34 II.1.4.1Allianzen auf Handelsstufe35 II.1.4.2Partnerschaften zwischen Handel und Industrie36 II.1.4.3Hinweise zum Kooperationsmanagement36 II.1.4.4Bedeutung und Zukunftsfähigkeit von Kooperationsstrategien37 II.1.5Zwischenfazit38 II.2Nachhaltigkeit im operativen Handelsmanagement39 II.2.1Nachhaltigkeitstreiber40 II.2.1.1Außermarktliche Nachhaltigkeitstreiber40 II.2.1.2Marktliche Nachhaltigkeitstreiber43 II.2.2Der Handel als 'Gatekeeper' der Nachhaltigkeit45 II.2.3Handlungsfelder und Schlüsselthemen46 II.2.3.1Lieferkettenverantwortung und nachhaltige Beschaffung47 II.2.3.2Arbeitsbedingungen in den Standorten49 II.2.3.3Ökologisch nachhaltiger Geschäftsbetrieb49 II.2.3.4Sortimentsgestaltung und Produktverantwortung50 II.2.3.5Kommunikation51 II.2.4Nachhaltigkeit in den Handelssegmenten52 II.2.4.1Lebensmittelhandel53 II.2.4.2Fachmärkte für Unterhaltungselektronik54 II.2.4.3Baumärkte54 II.2.4.4Modehandel55 II.2.5Status quo55 II.3Nachhaltigkeit im strategischen Handelsmanagement59 II.3.1Nachhaltigkeit als strategischer Erfolgstreiber60 II.3.2Handelsspezifische Nachhaltigkeitsstrategien61 II.3.2.1Wettbewerbsstrategien der Nachhaltigkeit nach Kriener, Grimm und Berg62 II.3.2.2Nachhaltigkeitsstrategien nach Zentes, Bastian und Lehnert66 II.3.3Strategische Verankerung69 II.3.3.1Analyse von Nachhaltigkeitsherausforderungen69 II.3.3.2Normative Verankerung70 II.3.3.3Zielbildung71 II.3.3.4Strategieformulierung73 II.3.3.5Strategieimplementierung76 II.3.3.6Strategiecontrolling78 II.3.4Strategische Ausgestaltungsmöglichkeiten79 FAZIT UND AUSBLICK81 ANHANGX LITERATURVERZEICHNISXXIIITextprobe:Textprobe: Kapitel II.2.1.1, Außermarktliche Nachhaltigkeitsreiber: Gesellschaftliche und globale Nachhaltigkeitsprobleme: Im Jahre 2050 werden knapp neun Milliarden Menschen auf unserer Erde leben, was einen vierfachen Anstieg der Weltbevölkerung innerhalb von hundert Jahren bedeutet. Konsum, Nahrungsbedarf und Verkehr bedrohen Natur und Artenvielfalt. Die Verknappung verursacht steigende Rohstoffpreise und soziale Missstände, weshalb letztendlich die Beschaffung für den Handel erschwert wird. Vor allem international agierende Handelsunternehmen sind aufgrund ihrer globalen Wertschöpfungsketten, ihrer vielen nationalen und internationalen Mitarbeiter und ihrem großen Einfluss auf eine breite Masse an Menschen von den aufgezeigten Problemen betroffen und somit zur Verantwortung verpflichtet. Transparenz, öffentlicher Druck und Non-Governmental Organizations: Handelsunternehmen sind nicht nur direkt von Nachhaltigkeitsproblemen betroffen, sondern auch indirekt über das gestiegene Nachhaltigkeitsbewusstsein der Öffentlichkeit. In der Wahrnehmung der Öffentlichkeit trägt der Handel Mitverantwortung für die ökologischen und sozialen Effekte der von ihm auf den Markt gebrachten Produkte. Transparente und korrekte Berichterstattung über Unternehmensaktivitäten wird gefordert. Wenn Unternehmen dies nicht tun, übernehmen es soziale Netzwerke und anderen Medien. Sie informieren die Öffentlichkeit und andere Stakeholder schonungslos über unverantwortliche Geschäftspraktiken von Unternehmen, so dass auch der Handel diesen schwer überschau- und kontrollierbaren meinungsbildenden Medien ausgeliefert ist. Außerdem steigt die Anzahl der direkten Anfragen von Non-Governmental Organizations (NGO), die ebenfalls den Druck nachhaltig zu handeln erhöhen. Vorgaben von Gesetzgebern und supranationale Institutionen: Nationale und supranationale Gesetzgeber drängen den Handel ebenfalls in Richtung Nachhaltigkeit. Regierungen, die sowieso seit Jahren Interesse daran haben, die negativen Effekte von Unternehmen, Produkten und deren Verpackungen zu reduzieren, nehmen das gestiegene Nachhaltigkeitsinteresse der Öffentlichkeit wahr und treiben sowohl nachhaltige Produktion als auch nachhaltigen Konsum voran. Für den Handel haben Gesetzesvorgaben zu CO2-Emissionen und der Abfallwirtschaft große Relevanz. Der Handel soll seinen Carbon Footprint verringern sowie Waren unter der Berücksichtigung von nachhaltigen Prinzipien produzieren, verkaufen und entsorgen. Auf staatlicher Ebene gibt es neben Abfallrichtlinien weitere Verordnungen, wie beispielsweise die Verpackungsordnung oder die Batterieverordnung, für die der Handel Lösungen entwickeln muss. Management und Arbeitnehmer: Das Management von Handelsunternehmen kann aus subjektiven Gründen oder aus ökonomischen Prinzipien Nachhaltigkeit vorantreiben (vgl. Abschnitt II.3.1). Letztere beziehen sich auf die Realisierung von Wettbewerbsvorteilen durch Nachhaltigkeit. Das Personal eines Handelsunternehmens und seine Lieferanten fordern ebenfalls faire Arbeitsbedingungen, Mitarbeiterentwicklung sowie Gesundheitserhaltung und -vorsorge. Aber auch Arbeitsschutz- und Sicherheitsaspekte, eine gerechte Entlohnung, die Einhaltung von Verträgen und Gesetzesvorgaben gehören dazu. Besonders internationale Handelsunternehmen stehen der großen Herausforderung gegenüber, globale Standards für Arbeitsbedingungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu implementieren. II.2.1.2, Marktliche Nachhaltigkeitstreiber: Kapitalmärkte, Investoren und Banken: Nachhaltigkeit ist inzwischen ein Investitionskriterium für Kapitalmärkte und institutionelle Investoren geworden. Die Aufnahme in einen der Nachhaltigkeitsindizes ist eine zusätzliche Möglichkeit finanzielle Mittel zu beschaffen. Die Aufnahme gleicht einem Zertifizierungsprozess und stellt eine Zusatzinformation für die Kapitalmarktbewertung bzw. zur Verringerung des Investmentrisikos dar. Dementsprechend fördern Kapitalmärkte die Nachhaltigkeitsberichtserstattung, nachhaltige Investitionen und damit auch den Fortschritt der Nachhaltigkeit im Handel. Konkurrenz und Wettbewerbsdruck: Andere Branchen weisen bereits seit längerer Zeit und im größeren Ausmaß Nachhaltigkeitsengagement auf. Einzelne Vorreiter-Unternehmen im Handel haben mit ihren öffentlich kommunizierten Nachhaltigkeitszielen und -engagement einen Antriebseffekt für die ganze Branche erzeugt. Insgesamt werden nicht-nachhaltige Unternehmen verstärkt unter Druck gesetzt und erfahren durch fehlendes Engagement Wettbewerbsnachteile. Steigendes Kundeninteresse: Der Handel wird zunehmend von seinen Kunden zum nachhaltigen Wirtschaften gezwungen. Umwelt- und Sozialskandale haben in den vergangen Jahren nicht nur mehr Aufmerksamkeit geschaffen, sondern auch zu einem verstärkten Bewusstsein für den Zustand der Erde geführt. Verbraucher werden nicht nur immer kritischer und sensibler, sondern haben zuweilen das Vertrauen in Hersteller und Handel gänzlich verloren. Umwelt- und Sozialbedingungen werden deshalb im Vergleich zu traditionellen Faktoren wie Marke, Preis oder Leistung zunehmend Beachtung finden. Nachhaltige Produkte werden verstärkt nachgefragt und somit wird Nachhaltigkeit zum Kaufkriterium. Infolgedessen werden nachhaltige Unternehmen vom Kunden durch seinen Kauf unterstützt und nicht-nachhaltige durch seine Ablehnung bestraft. Auch die gegenwärtigen Nachfragetrends (z. B. Bio-/Ökoorientierung, Wellness und Gesundheit) spiegeln sich im neuen Kaufkriterium wider, da die Konsumtrends eng miteinander verknüpft sind. Das nachhaltigkeitsorientierte Kundeninteresse variiert je nach Produktkategorie. Bei Produkten, welche die Gesundheit betreffen oder einen emotionalen Kauf darstellen (z. B. Nahrungsmittel oder Spielwaren), ist das Involvement höher als bei weniger emotionalen Gütern (z .B. Elektronikartikel). Die Struktur dieser nachhaltig orientierten Konsumenten ist im Hinblick auf Einstellung und Vertriebskanalvorliebe abermals heterogen.
Inhaltsangabe:Einleitung: 'Worte sind wie Vögel – einmal freigelassen, kann man sie nicht wieder einfangen.' (Altes Sprichwort). 'Mit den WoW-Gildenmates den nächsten Raid planen. Nebenbei mit einem Klassenkameraden via ICQ gemeinsam Hausaufgaben lösen. Kurz die neuen Mails bei wkw checken und die Fotos der letzten Party kommentieren. Dann noch schnell ein neues Musikvideo auf den iPod und die neueste Folge der Lieblingssoap aufs Handy ziehen und ab zum Kumpel, um gemeinsam auf der PS3 eine Blue Ray anzuschauen. So in etwa könnte der Nachmittag eines 15-Jährigen aussehen, dessen Beschreibung sich für viele Erwachsene wie eine Aneinanderreihung von Hieroglyphen liest'. Diese Schilderung verdeutlicht, dass Medien bei den meisten Kindern und Jugendlichen einen integralen Bestandteil des Alltags darstellen und auf selbstverständliche und unbeschwerte Weise genutzt werden. Besonders die Angebote des Internets gewinnen zunehmend an Bedeutung und bieten vielerlei Chancen und neue Möglichkeiten der Kommunikation, weshalb sie von den Kindern und Jugendlichen gerne in Anspruch genommen werden. Im virtuellen Raum sind Kinder und Jugendliche aber auch mit den Schattenseiten des Internets konfrontiert. Tagtäglich kommt es dort zu verbaler Gewalt und sozialer Manipulation. 'Mobbing hat inzwischen das digitale Zeitalter erreicht'. Mobbing unter Kindern und Jugendlichen ist keine Erscheinung der Neuzeit. Durch die zunehmende Etablierung der Neuen Medien dringt es nun aber auch in den Bereich der virtuellen Welt vor und erreicht dort eine neue, ungeahnte Qualität, da 'jede Feindschaft, Verleumdung und Schmach vor einem Millionenpublikum ausgetragen werden' kann. 2007/2008 beschäftigte das Schicksal der 13-Jährigen Megan Meier aus den USA die Medien in besonderem Maße. Das schüchterne und einsame Mädchen verliebte sich in ihre Internetbekanntschaft 'Josh Evans' und verehrte ihn. Der 16-Jährige war gutaussehend, umwarb sie und schenkte ihr ungewohnte Aufmerksamkeit. Als er sie eines Tages jedoch verschmähte und mehrfach zutiefst beleidigte und demütigte, erhängte sich das junge Mädchen im Keller. Besonders tragisch ist, dass der virtuelle Freund in Wirklichkeit eine ehemalige Freundin war, die sich mithilfe ihrer Mutter aufgrund einer pubertären Streitigkeit an Megan rächen wollte. Nicht immer muss Cyber-Mobbing so dramatisch enden, meist sind die Folgen für die Opfer aber von tiefer Enttäuschung, Scham und Wut geprägt. Dieser und ähnlich gelagerte Fälle haben das Phänomen Cyber-Mobbing in den letzten Jahren zunehmend in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Doch den meisten Tätern ist nicht bewusst, welche Gefühle ihr Handeln bei den Opfern auslösen kann und welchen Schaden sie durch Worte anrichten können. Daher ist es wichtig, junge Menschen zum Thema Cyber-Mobbing aufzuklären, sowohl in präventiver als auch intervenierender Hinsicht. Dazu gehört auch die Vermittlung allgemeiner Medienkompetenzen, denn Heranwachsende benötigen eine Begleitung im Umgang mit Neuen Medien. Zum Thema Cyber-Mobbing gibt es bislang nur wenige Studien und entsprechende Literatur. Die meiste derzeit verfügbare Literatur stammt aus dem angloamerikanischen Raum. Ziel dieser wissenschaftlichen Arbeit ist die Zusammenfassung bisheriger Erkenntnisse, wodurch das Phänomen Cyber-Mobbing an konkreter Gestalt gewinnen und genauer beleuchtet werden soll. Des Weiteren geht diese Arbeit auf mögliche Handlungsweisen, sowohl intervenierender als auch präventiver Art, ein. Um Cyber-Mobbing als eine spezifische Form von Mobbing begreifen zu können, erscheint es sinnvoll, zunächst Mobbing im schulischen Kontext darzustellen. In Kapitel 2 geht es demnach um eine genaue Definition von Mobbing sowie unterschiedliche Erscheinungsformen und deren Verbreitung an deutschen Schulen. Des Weiteren werden die Beteiligten in den Fokus genommen und mögliche Gründe erörtert. Weil sich Cyber-Mobbing von Mobbing im schulischen Kontext durch neue Kommunikationsweisen mittels moderner Medien unterscheidet, werden in Kapitel 3 zunächst die Besonderheiten dieser modernen Kommunikationsmedien vermittelt. Nach einer Definition von Cyberspace und Internet folgt eine Beschreibung der spezifischen Merkmale computervermittelter Kommunikation sowie der Eigenschaften des Web 2.0. Dieses Kapitel zeigt, dass Computer und Handy für Kinder und Jugendliche eine enorme Rolle im Alltag spielen. Dabei wird ebenfalls auf ihr Nutzungsverhalten sowie die Bedeutung der Medien für ihre Identitätsbildung eingegangen. Kapitel 4 beschäftigt sich mit dem Phänomen Cyber-Mobbing und stellt einen der Schwerpunkte dieser Arbeit dar. Nach einer Definition werden Kanäle und Methoden, also die Art und Weise wodurch sich Cyber-Mobbing ereignen kann, herausgearbeitet. Außerdem werden Aussagen über die Häufigkeit auftretenden Cyber-Mobbings im Raum Deutschland getroffen, um dem Leser eine Vorstellung des Ausmaßes zu vermitteln. Zur Komplettierung des Wissens werden ferner Spezifika der beteiligten Personen beschrieben und mögliche Gründe sowie Folgen dargelegt. Das Kapitel endet mit einer rechtlichen Bewertung des Phänomens Cyber-Mobbing. Der zweite Schwerpunkt dieser Arbeit liegt auf Kapitel 5 und beinhaltet Handlungsmöglichkeiten sowohl intervenierender wie auch präventiver Art. Ziel ist es, Cyber-Mobbing im Vorfeld zu verhindern oder mit entsprechenden Vorfällen konstruktiv umzugehen. Nach einigen allgemeinen Erkenntnissen wird zunächst auf Interventionsmöglichkeiten eingegangen, die nicht nur bei Kindern und Jugendlichen, sondern auch bei Eltern und (Sozial-)Pädagogen ansetzen. Auch die daraufhin folgenden Präventionsmaßnahmen bieten Handlungsmöglichkeiten für unterschiedliche Akteursgruppen. Des Weiteren wird in diesem Kapitel die Notwendigkeit der Vermittlung von Medienbildung sowie Medienkompetenz verdeutlicht und die vermittelnden Instanzen Schule, Elternhaus, Peergroup und Medien selbst näher in den Blick genommen. Die nähere Betrachtung des medienpädagogischen Aspekts ist notwendig, da dieser die Entstehung von Cyber-Mobbing beeinflussen kann. Im Anschluss wird auf zwei unterschiedliche Rollen eingegangen, die die Soziale Arbeit im Handlungsfeld Cyber-Mobbing einnehmen kann. Abschließend beschäftigt sich Kapitel 6 mit einer Zusammenfassung der gewonnenen Erkenntnisse. Kapitel 7 bietet einen Ausblick sowie Anregungen in Bezug auf weitere Forschungsvorhaben.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: INHALTSVERZEICHNISI ABBILDUNGSVERZEICHNISIV TABELLENVERZEICHNISV 1.Einleitung1 1.1Die Bedeutung des Phänomens Cyber-Mobbing1 1.2Zielsetzung und Gang der Arbeit3 2.Mobbing im schulischen Kontext5 2.1Definition des Begriffs Mobbing sowie seine Merkmale6 2.2Erscheinungsformen von Mobbing im schulischen Kontext8 2.3Verbreitung von Mobbing in Deutschland10 2.3.2Aus Perspektive der Opfer11 2.3.1Aus Perspektive der Täter13 2.4Merkmale und Spezifika beteiligter Personen an und betroffener Personen von Mobbing im schulischen Kontext15 2.4.1Die Opfer16 2.4.2Die Täter18 2.4.3Die Mittäter20 2.4.4Die Zuschauer und die schweigende Mehrheit21 2.5Mögliche Gründe und begünstigende Ausgangssituationen für Mobbing im schulischen Kontext22 3.Cyber-Mobbing als eine spezifische Form von Mobbing im modernen Medienzeitalter26 3.1Definition und Eigenschaften des Cyberspace und Internets26 3.2Computervermittelte Kommunikation und ihre spezifischen Merkmale sowie Theorien28 3.3Der Weg zum Web 2.0 und seine Besonderheiten32 3.4Verfügbarkeit sowie Nutzung von Computern und Handys durch Kinder und Jugendliche34 3.5Die Bedeutung des Computers, Internets und Handys für Kinder und Jugendliche im Allgemeinen und in Bezug auf ihre Identitätsbildung38 4.Cyber-Mobbing und seine Problemlagen41 4.1Definition sowie Merkmale42 4.2Kanäle und Methoden44 4.3Verbreitung von Cyber-Mobbing in Deutschland48 4.4Merkmale von betroffenen und beteiligten Personen in Bezug auf Cyber-Mobbing50 4.4.1Opfer50 4.4.2Täter53 4.4.3Zuschauer56 4.5Mögliche Ursachen für Cyber-Mobbing56 4.6Folgen und Auswirkungen auf Seiten der Opfer58 4.7Rechtliche Bewertung des Phänomens Cyber-Mobbing63 5.Handlungsmöglichkeiten unterschiedlicher Akteure und im Kontext der Sozialen Arbeit70 5.1Aktueller Stand der Handlungsmöglichkeiten70 5.2Mögliche Interventionsmaßnahmen bei auftretendem Cyber-Mobbing71 5.2.1Handlungsoptionen betroffener Kinder und Jugendlicher72 5.2.2Handlungsoptionen von Schulsozialarbeitern, Lehrkräften sowie Schulleitern75 5.2.3Handlungsoptionen der Eltern von betroffenen Kindern und Jugendlichen78 5.2.4Die Möglichkeit einer Therapie83 5.3Mögliche Präventionsmaßnahmen zum Schutz vor Cyber-Mobbing83 5.3.1Handlungsoptionen betroffener Kinder und Jugendlicher85 5.3.2Handlungsoptionen von Schulleitern, Lehrkräften sowie Sozialpädagogen86 5.3.3Handlungsoptionen der Eltern von betroffenen Kinder und Jugendlichen90 5.3.4Handlungsoptionen der Plattformbetreiber91 5.3.5Initiativen auf gesellschaftlicher und politischer Ebene93 5.4Entwicklung und Stärkung einer Medienkompetenz bei Kindern und Jugendlichen94 5.4.1Definition des Begriffs Medienkompetenz95 5.4.2Die Vermittlung von Medienkompetenz durch unterschiedliche Sozialisationsinstanzen97 5.4.3Die Vermittlung von Medienkompetenz durch die Eltern98 5.4.4Die Vermittlung von Medienkompetenz durch die Schule sowie Soziale Arbeit99 5.5Die übergeordneten Rollen der Sozialen Arbeit102 6.Zusammenfassung105 7.Ausblick108 LITERATUR- UND QUELLENVERZEICHNISVI ANHANGXXXTextprobe:Textprobe: Kapitel 4.4, Merkmale von betroffenen und beteiligten Personen in Bezug auf Cyber-Mobbing: Täter sowie Opfer und Zuschauer zeichnen sich durch bestimmte Verhaltensweisen und Charakterzüge aus, die nachstehend genauer erläutert werden. Zu den Beteiligten von Mobbing im schulischen Kontext sind überwiegend Parallelen, aber auch Kontraste zu verzeichnen. 4.4.1, Opfer: Eine deutsche Studie schreibt Chat-Opfern Charakteristika zu, die Parallelen zu denen von Mobbing-Opfern im schulischen Kontext aufweisen: Die Opfer sind männlich wie auch weiblich, haben 'ein geringeres Kompetenzbewusstsein bezüglich ihres schulischen Erfolges', empfinden sich als unbegabt und zeigen schulisches Problemverhalten (z. B. Schwänzen). Sie haben oftmals keine oder nur wenige Freunde und sind somit sozial isoliert. Zu ihren Eltern haben sie ein eher schwieriges Verhältnis, da diese wenig Vertrauen in die Fähigkeiten ihres Kindes haben, zur Überbehütung neigen und häufig Strafen als Erziehungsmittel anwenden. Außerdem haben Chat-Opfer meist ein geringes Selbstwertgefühl und hadern häufig mit ihrem Aussehen. Sie klagen vermehrt über körperliches Unbehagen wie z. B. Kopf- und Magenschmerzen sowie Schlafstörungen. Oftmals bemerken die Opfer erst nach einiger Zeit, dass sie ein solches geworden sind, z. B. anhand der Reaktionen ihrer Umwelt, denn nicht immer werden sie direkt mit Attacken konfrontiert. Für die Opfer ist es problematisch, dass sie meist nicht wissen, wer sich hinter dem Täter verbirgt. Sie werden misstrauisch, beschuldigen auch unbeteiligte Personen und isolieren sich somit noch stärker. Die Möglichkeit einer direkten Aussprache mit dem meist anonymen Täter bleibt ihnen verwehrt, was sie zunehmend belastet. Zudem ist bei Cyber-Mobbing-Opfern die Versuchung der Revanche mit gleichen Mitteln groß, da es sie weniger Überwindung kostet als eine direkten Konfrontation von Angesicht zu Angesicht. Rund zwei Drittel der Opfer wenden sich bei Problemen an eine Vertrauensperson. Am ehesten sprechen sie darüber mit Freunden, dann Eltern, oder Geschwistern und eher selten mit Lehrern. Mögliche Gründe des Schweigens werden in Kapitel 4.6 näher erläutert. Amerikanische Autoren berichten, dass knapp ein Viertel der gelegentlichen Cyber-Mobbing-Opfer auch außerhalb des virtuellen Raums viktimisiert wird. Bei Opfern, die wiederholt attackiert werden, ist es etwa die Hälfte. Nicht selten werden solche Kinder und Jugendlichen im Chat zu Opfern, die auch im schulischen Kontext gemobbt werden. Vergleicht man die Eigenschaften von Mobbing-Opfern im schulischen Kontext mit denen von Cyber-Mobbing-Opfern, so fallen sowohl Parallelen wie auch Kontraste auf. 'Insbesondere die Eigenschaften der Chatkommunikation stützen die Vermutung, dass zwischen beiden Viktimisierungsphänomenen kein Zusammenhang existieren könnte und die Kontraste bei den Prädiktoren überwiegen.' Durch die Möglichkeit der Anonymität werden, wie in Kapitel 3.2 geschildert, soziale Hinweisreize wie z. B. Alter, Aussehen, Akzent herausgefiltert und können Viktimisierung daher nicht begünstigen, wie es bei dem traditionellen Mobbing im schulischen Kontext der Fall ist. Demnach kann jeder zum potentiellen Opfer werden. Allerdings widerlegen Katzer diese These wiederum mit der Aussage, dass '[…] stabile situationsübergreifende Merkmale wie Alter, Geschlecht, Selbstwert, Familien- und Erziehungsklima oder individuelle Einstellungen das Verhalten oder den Kommunikationsstil in jedem Handlungskontext [beeinflussen].' Daher ist es wahrscheinlicher, dass sich die Opfer in gleicher Weise verhalten, wie sie es im Alltag gewohnt sind. Knüpft man an diese Annahme an, so sind Chat-Opfer ebenso wie Schul-Opfer eher verschlossen, schüchtern, zurückhaltend und leiden an Minderwertigkeitskomplexen. Starke Übereinstimmungen gab es auch bei der Betrachtung problematischer Interessen im Internet. Sowohl Schul-Opfer wie auch Chat-Opfer 'besuchen häufig Porno-, Prügel- oder rechtsradikale Internet-Chatrooms, zeigen sozial manipulatives Verhalten und verbreiten in Internet-Chatrooms gezielte Lügen'.
Inhaltsangabe: Einleitung: Demenz ist eine der häufigsten und folgenreichsten psychiatrischen Erkrankungen im höheren Alter, die neben den außergewöhnlichen Belastungen für Betroffene und Pflegende mit hohen gesellschaftlichen Kosten sowie vermindertem sozialen Status für die Betroffenen verbunden ist. Demenzielle Erkrankungen und ihre Folgen für Betroffene, Angehörige und das professionelle Hilfesystem sind in den letzten Jahren daher verstärkt in das öffentliche Bewusstsein gerückt. Angesichts der Problematik der Betreuung von Demenzerkrankten, die derzeit etwa 900.000 beträgt und ihrer Verdoppelung bis schätzungsweise 2040, ist das öffentliche Interesse verständlich. Die heute über 65-Jährigen leben relativ zufrieden und werden immer älter. Was geschieht, wenn sie an Demenz erkranken? Werden sie dann von ihren Kindern, von denen sie meist getrennt leben, versorgt und gepflegt? Können Wohngruppen für demente ältere Menschen eine adäquate Versorgungsmöglichkeit für die Betroffenen bieten? Sind solche Angebote vorhanden? Für die betroffenen Angehörigen, aber auch für ambulante Pflegedienste, gesetzliche Betreuer und Selbsthilfeorganisationen ist dies der Anlass, nach neuen Wegen der Versorgung für demenziell erkrankte Menschen zu suchen. Denn pflegende Angehörige geraten bei Fortführung der Versorgung ihres erkrankten Familienmitglieds häufig an die Grenzen ihrer physischen und psychischen Leistungsfähigkeit. Selbst professionelle ambulante Dienste können einen mittelschwer Demenzkranken auf Dauer nicht verantwortlich in seiner eigenen Wohnung versorgen. Verhaltensauffälligkeiten und Verwahrlosung zwingen über kurz oder lang die bisherigen Pflegepersonen über eine Alternative nachzudenken. Mein Interesse für dieses Thema wurde geweckt durch die Betreuung einer dementen 87-jährigen Frau. Frau M. wohnt seit drei Jahren alleine in einer modernen 3-Zimmerwohnung. Ihr berufstätiger, 60-jähriger Sohn und seine Familie wohnen in der Nähe. Die Schwiegertochter ist Hausfrau, die 20-jährige Enkeltochter ist in der Ausbildung und lebt ebenfalls zu Hause. Die Schwiegertochter hat ihre eigene Mutter fünf Jahre bei sich zuhause gepflegt. Sie sagt, sie wolle jetzt auch mal Zeit für sich haben, außerdem könne sie ihre Schwiegermutter nicht bei sich ertragen, da diese 'keine Ruhe gebe'. Durch die räumliche Nähe - vom Fenster aus kann man das Haus des Sohnes sehen - erfolgen fast täglich Besuche. Die alte Dame versteht aber nicht, warum sie alleine leben muss und besonders ihr Sohn nicht mehr Zeit mit ihr verbringt. Frau M. kann mit Hilfe eines Gehwagen in ihrer Wohnung laufen und räumt gerne in ihrem Kleiderschrank herum. Sie kann selbstständig zur Toilette gehen. Unter Anleitung kann Frau M. Geschirr abspülen und Wäsche zusammenlegen. Frau M. braucht Hilfe bei der zeitlichen und örtlichen Orientierung, beim An- und Ausziehen, beim Waschen und zu Bett gehen. Ich koche und kaufe für sie ein. Alle vier Wochen macht der Hausarzt einen Hausbesuch. Frau M. wird zwar körperlich versorgt, ist aber nicht zufrieden und oft traurig und fühlt sich allein gelassen. Ihren vor zehn Jahren verstorbenen Mann vermisst sie sehr. Ungefähr alle zwei Monate entwickeln sich bei Frau M. psychosomatische Störungen. Sie hat dann undifferenzierte Schmerzen in den Beinen, sagt, sie könne nicht laufen. Frau M. sieht in diesen Phasen oft Dinge, die nicht da sind. Ihre latent vorhandene Angst kommt durch Schreien zum Ausdruck. Sie ruft während diesen Perioden ständig -ca. 20 bis 40 mal am Tag- ihre Familie oder die Pflegepersonen an. Obwohl ihr Sohn und seine Frau nicht mit ihr zusammen leben können, möchten sie die alte Dame nicht in ein Pflegeheim geben, da sie jetzt schon ein schlechtes Gewissen haben. Deshalb ist die Situation für beide Seiten unbefriedigend. Ich habe ein Jahr in einem 'normalen' Altersheim als Pflegepersonal gearbeitet. Heime, die ohne spezifische Konzeption für die Betreuung Demenzkranker ihre Arbeit verrichten, können diesen meistens nicht gerecht werden. Viele Angehörige Demenzkranker möchten ihre Verwandten nicht in einem Pflegeheim versorgen lassen, weil sie dort häufig noch ein Angebot erleben, das ihren Ansprüchen an eine liebevolle, annehmende und fördernde pflegerische Betreuung bei weitem nicht genügt. In konventionellen Arrangements besteht zudem folgende Diskrepanz: Während bei der ambulanten häuslichen Versorgung die Hauptpflegeperson umfassende Verantwortung trägt und ambulant zugeschaltete Dienstleistungen nur punktuell in Anspruch genommen werden, dominiert im Fall der stationären konventionellen Versorgung die Dienstleistung. Angehörige und Familie, oft mit schlechtem Gewissen, bleiben außen vor. In diesem Zwischenraum präsentieren sich nun mehr speziell auf demenziell erkrankte Menschen zugeschnittene Wohngruppen. Angehörige brauchen nicht mehr alleine die Belastung der Versorgung zu tragen. Gleichzeitig wird ihnen die Option gegeben, am Gemeinschaftsleben der Wohngruppe teil zu nehmen und den erkrankten Angehörigen weiter zu begleiten. Fraglich ist, ob Angehörige in den Alltag der Wohngruppen eingebunden werden können. Ist ein spezieller Umgang mit dementen älteren Menschen notwendig? Kann der besondere Umgang in einer Wohngruppe umgesetzt werden? Ist hierfür eine demenzgerechte Architektur vorteilhaft? Ich möchte untersuchen, ob spezielle Wohngruppen für demente ältere Menschen eine Alternative und gute Wahl sind. Im ersten Kapitel der Arbeit werden die Grundlagen der Demenz erklärt. Dies beinhaltet Epidemiologie, eine Übersicht der verschiedenen Erscheinungsformen und den Verlauf von Demenzen. Die Demenz vom Alzheimer-Typ und die vaskuläre Demenz werden explizit behandelt. Abschluss des Kapitels sind Diagnostik und Therapie. Im darauffolgenden Kapitel werden Wohngruppen für demente ältere Menschen mitPrinzipien und unterschiedlichen Typen vorgestellt. Segregation versus Integration wird dargelegt. Weiterhin werden die Tagesstruktur und Arbeitsabläufe in der Wohngruppe sowie Personaleinsatz in der Pflege und Betreuung dementer Menschen gezeigt. Hinzu kommen Wohnstruktur und Architektur. Zudem werden rechtliche Rahmenbedingungen dargestellt. Das Recht hinsichtlich Demenz, Heimrecht und Sozialrecht wird ausführlich erläutert. Am Ende des Kapitels werden unterschiedliche Finanzierungsoptionen geschildert. Im Kapitel Betreuungskonzepte werden drei unterschiedliche Ansätze vorgestellt. Im weiteren wird der Umgang mit Dementen behandelt, um in Unterkapiteln das jeweilige Erleben aus Sicht der Betroffenen, der Angehörigen und der professionellen Pflegekräfte zu erläutern. An den Schluss meiner Arbeit habe ich zwei unterschiedliche Beispiele realisierter Konzepte für Wohngruppen gestellt. Der Anhang behandelt die demographische Entwicklung Deutschlands um die Dringlichkeit dieses Themas zu verdeutlichen. Eine kurze Bemerkung zur Sprachregelung: Männliche grammatikalische Geschlechtsformen stehen im Sinne einer sprachlichen Vereinfachung für einen geschlechtsneutralen Gebrauch, obwohl ich mir der Problematik dieser Vereinfachung bewusst bin - auch in Hinblick auf den höheren Anteil von Frauen in der Gruppe der älteren Menschen.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: 1.Einleitung06 2.Was ist Demenz?09 2.1Epidemiologie der Demenz10 2.1.1Prävalenz von Demenzen10 2.1.2Inzidenz der Demenz13 2.1.3Demenzrisiko14 2.2Übersicht der verschiedenen Erscheinungsformen der Demenz14 2.3Verlauf von Demenzen16 2.4Demenz vom Alzheimer-Typ19 2.4.1Prävalenz der Alzheimer-Demenz20 2.4.2Risikofaktoren der Alzheimer-Demenz20 2.4.3Laborbefunde der Alzheimer-Demenz21 2.5Vaskuläre Demenz21 2.5.1Prävalenz der vaskulären Demenz22 2.5.2Risikofaktoren der vaskulären Demenz22 2.5.3Laborbefunde der vaskulären Demenz22 2.6Diagnostik23 2.7Therapie24 2.7.1Nicht-pharmakologische Interventionen25 2.7.2Medikamentöse Therapie28 3.Wohngruppen für demente ältere Menschen32 3.1Prinzipien von Wohngruppen34 3.2Typen von Wohngruppen36 3.3Segregation versus Integration40 3.4Tagesstruktur und Arbeitsabläufe in der Wohngruppe44 3.5Personaleinsatz in der Pflege und Betreuung dementer Menschen46 3.6Die Wohnstruktur von Wohngruppen49 3.7Demenzgerechte Architektur54 3.8Rechtliche Rahmenbedingungen von Wohngruppen für demente ältere Menschen57 3.8.1Recht und Demenz57 3.8.2Wohngruppen und Heimrecht62 3.8.3Wohngruppen und Sozialrecht65 3.9Finanzierungsoptionen für ein Wohngruppenprojekt69 4.Betreuungskonzepte74 4.1Realitätsorientierungstraining74 4.2Validation76 4.3Milieutherapie79 4.4Umgang mit dementen Menschen84 4.4.1Erleben aus Sicht der Betroffenen86 4.4.2Erleben aus Sicht der Angehörigen90 4.4.3Erleben aus Sicht der professionellen Pflegekräfte97 5.Praxisbeispiele für betreute Wohngruppen101 5.1Stationär betreute Wohngruppe am Beispiel des Gradmann Haus101 5.1.1Leitgedanken101 5.1.2Rahmenbedingungen102 5.1.3Ausstattung104 5.1.4Zielsetzung108 5.1.5Leben und Aktivitäten in der Gemeinschaft112 5.1.6Personalkonzept114 5.1.7Angebote im Gradmann Haus115 5.1.8Angehörige in der Einrichtung118 5.1.9Kosten und Finanzierung120 5.1.10Aufnahmekriterien121 5.2Ambulant betreute Wohngruppe am Beispiel Berlin- Tiergarten125 5.2.1Leitgedanken125 5.2.2Rahmenbedingungen125 5.2.3Ausstattung127 5.2.4Zielsetzung128 5.2.5Leben und Aktivitäten in der Gemeinschaft129 5.2.6Angehörige in der Wohngruppe130 5.2.7Personalkonzept130 5.2.8Kosten und Finanzierung131 5.2.9Planung der Wohngruppe134 6.Diskussion136 7.Schlussbemerkungen139 8.Anhang Demographische Entwicklung141 9.Literaturverzeichnis148Textprobe:Textprobe: Kapitel 5.2, Ambulant betreute Wohngruppe am Beispiel Berlin-Tiergarten: Die ambulant betreute Wohngruppe für demenziell erkrankte ältere Menschen in Berlin-Tiergarten ist eine von mittlerweile über 80 Berliner Wohngruppen. Klaus Pawletko, der 1. Vorsitzende des Vereins 'Freunde alter Menschen', entwarf 1995 das Modell 'Wohngemeinschaft für Demenzkranke'. Im Februar 1996 zogen sechs demente ältere Frauen in die erste Wohngruppe ein. 5.2.1, Leitgedanken: Die Selbstständigkeit und Selbstbestimmung dementer älterer Menschen in der Wohngruppe soll vor allem durch Alltagsorientierung erhalten bleiben. Die räumliche und personelle Atmosphäre soll ihnen Orientierung gewährleisten. Durch die Betreuung in einer kleinen Gruppe können die älteren Menschen annährend ihr gewohntes Leben weiter fortsetzen. Gewohntes und Alltägliches, wie bekannte Einrichtungsgegenstände und Tätigkeiten, bieten den demenzkranken Bewohnern Halt und Sicherheit. Unruhezustände sollen durch Vertrautes gemildert werden. Die Vertrautheit wird in der Wohngruppe durch ein bekanntes Wohnumfeld erweitert, da die Bewohner zuvor schon in dem Stadtviertel wohnten. Die Wohngruppe besitzt insgesamt einen sehr häuslichen Charakter. Das Versorgungsangebot wird von ambulanten Pflegediensten erbracht. Das Konzept möchte den pflegenden Angehörigen eine Alternative bieten, die Pflege abzugeben und die demenziell Erkrankten dennoch in einer häuslichen Umgebung versorgt zu wissen. 5.2.2, Rahmenbedingungen: Die Wohngruppe Berlin-Tiergarten ist integriert in ein normales Wohngebiet. Der Tagesablauf wird bei entsprechender Wohnraumanpassung wie in einem Privathaushalt gehalten. Die Bewohner beteiligen sich an allen relevanten Haushaltstätigkeiten. Die ambulant betreute Wohngruppe als eigener Haushalt ist keine Einrichtung im Sinne des Heimgesetzes und hat entsprechend auch keinen Betreiber. Der ältere Mensch ist Mieter einer Wohnung und hat damit einen eigenen Haushalt. Der beteiligte Pflegedienst hat keinen Einfluss auf die Vermietung. Seine Rolle bleibt die des Auftragnehmers und Pflegedienstleisters. Es gibt keinen Betreuungsvertrag, der mit dem Mietvertrag gekoppelt ist. Die Finanzierung geschieht analog gängiger sozialrechtlicher Regelungen der ambulanten Betreuung. Die Krankenkassen sind als Kostenträger von behandlungspflegerischen Maßnahmen beteiligt. Der Bewohner erhält in Hinsicht auf Gestaltung der Personalauswahl, der Pflegeabläufe und des Alltags eine deutliche Stärkung verglichen mit dem normalen Heimbewohner. Die Planung und Realisierung der Wohngruppe Berlin-Tiergarten wurde in Kooperation mit ambulanten Diensten, Ärzten, Juristen, Verwaltungsmitarbeitern, der Alzheimer Gesellschaft und dem Verein 'Freunde alter Menschen' durchgeführt. Die Bewältigung der vielfältigen organisatorischen Rahmenbedingungen war nicht einfach. Geeigneter Wohnraum musste erst gefunden werden. Große Wohnungen oder Häuser, die den Ansprüchen für eine kollektive Pflegeform genügen, sind selten. Ein Vermieter musste ermittelt werden, der mehrere Mietverträge für eine Wohnung akzeptiert. Die Suche nach einem kooperativen Vermieter scheiterte und so trat schließlich der Verein 'Freunde alter Menschen' als Generalvermieter ein. Ein Kundenkollektiv bzw. Bewohner und Angehörige oder gesetzliche Betreuer müssen initiiert werden, die sich über die gemeinschaftliche Nutzung einer Wohnung oder eines Hauses verständigen. Ein Pflegeanbieter, der fachlich und organisatorisch in der Lage ist, die Wohngruppe zu versorgen, muss gefunden werden. Diese Punkte stellen Leistungen dar, die durch das Engagement der privaten Organisatoren der ambulanten Wohngruppe gelöst werden müssen. Der individuelle Pflegebedarf der einzelnen Bewohner und eine entsprechende Klärung der Ansprüche mit den unterschiedlichen Kostenträgern muss festgestellt werden. Diese Angelegenheiten werden von Sozialarbeitern und Pflegedienstleitungen der beteiligten Pflegedienste übernommen. Auf der Grundlage der Gesamteinnahmen der Bewohner muss der Pflegeeinsatz organisiert werden. Das Projekts muss durch regelmäßige Angehörigen-/Betreuertreffs und Reflexionen mit Mitarbeitern des Pflegedienstes kontinuierlich begleitet werden. Die Organisation einer ambulant betreuten Wohngruppe bedeutet einen hohen Aufwand. 5.2.4, Zielsetzung: Die Wohngruppe ist für demenziell erkrankte ältere Menschen konzipiert, die in Tiergarten wohnen. Das Ziel ist, ihnen ihr Leben so selbstständig wie möglich in einer familiären Atmosphäre zu gestalten. Wichtig ist, die Kompetenzen der Bewohner zu beleben und ihnen somit die Gelegenheit zu bieten, sich an der Gestaltung des täglichen Lebens abhängig von ihren Interessen und Bedürfnissen zu beteiligen. Die Aufgabe der Pflegenden ist, die älteren Menschen täglich zu vielfältigen Aktivitäten im Alltag anzuregen. Die Alltagsgestaltung ist dabei orientiert an Bedürfnissen und Bekanntem wie eigene Möbel, Erinnerungsstücke, Musik und Gerüche und anderem mehr. Vertrautes schafft Halt und Sicherheit in der immer größer werdenden Desorientierung der Einzelnen. Die Behandlung mit Psychopharmaka soll durch eine angenehm überschaubare Atmosphäre vermieden oder reduziert werden. Der Mieterstatus und die Versorgung durch ambulante Pflegedienste soll den Bewohnern bzw. deren Angehörigen und Betreuern ein hohes Maß an Freiheit und Rechten bieten. Die Bewohner können bis zu ihrem Lebensende in der Wohngruppe leben und gegebenenfalls nach einem Krankenhausaufenthalt wieder in ihr gewohntes Umfeld zurück kehren. Somit ist die Finalpflege Bestandteil des Betreuungsangebotes der ambulanten Pflegedienste. Die Bewohner können in einer ihnen vertraut gewordenen Umgebung im Sterbeprozess begleitet werden.