In: Differenz und Integration: die Zukunft moderner Gesellschaften ; Verhandlungen des 28. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie im Oktober 1996 in Dresden ; Band 2: Sektionen, Arbeitsgruppen, Foren, Fedor-Stepun-Tagung, S. 442-446
Nach der modernen Privatisierung und soziologischen Entzauberung des familiären Zusammenlebens entdecken Wissenschaftler und Politiker nun wieder die Familie als den besten Ort, um Kinder zu zeugen und großzuziehen sowie als die beste Form der Gesundheits- und Altenpflege. Auch der deutsche Wohlfahrtsstaat, der aus Kostengründen sein sozialpolitisches Engagement zusammenstreicht, erhöht sein Budget für Familienpolitik. Ist dieses Geld gut investiert? Erfüllt tatsächlich die Familie diese biologischen Aufgaben am besten? Und von welcher Familie ist hier eigentlich die Rede? Die Autorin versucht in ihrem Beitrag, diese Fragen mit Blick auf die Gesundheitsproduktion in Familien anhand empirischer Daten aus dem Sozio-Ökonomischen Panel von 1984 bis 2003 zu beantworten. Sie zeigt, dass der tiefgreifende und globale Wandel moderner Familiendemographien nicht die gesundheitsfördernden Mechanismen der Ehe für Männer und Frauen unterwandert. Die Daten aus einer westdeutschen Panelstichprobe, die die Autorin als Testfall verwendet, weisen einen signifikanten Überlebensvorteil von Verheirateten gegenüber Alleinlebenden oder Verwitweten aus. Die Studie zeigt ferner, dass die Protektions- und Selektionsmechanismen von Ehe und Familie keine Einmaleffekte sind, sondern sich im Zeitverlauf verändern. Gleichzeitig erleben Männer und Frauen unterschiedliche selektive und protektive Familienbiografien. (ICI2)
In: Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. Teilbd. 1 u. 2, S. 1694-1705
"Nichts prägt Kinder mehr als die Beziehungsdynamik im unmittelbaren sozialen Nahraum der Familie. Neben den Erziehungsmustern der Eltern prägen insbesondere die Einflüsse durch die Geschwister die Bindungsqualität eines Menschen ein Leben lang. Die Betrachtung des horizontalen Geschwistersubsystems innerhalb der Familie wird selten als System unabhängig agierender Individuen betrachtet, sondern als Teil der Familie verstanden, der sich über den Bezug anderer Dyaden wie über die Eltern-Kind-Beziehungen definiert. Vor allem in der frühen Kindheit bis ins Vorschulalter hinein pendelt das einzelne Kind bei seinen Sozialisationsagenten zwischen den Eltern (wobei hier deutlich zwischen Mutter und Vater unterschieden werden muss), Geschwistern (wobei auch hier die Geschwister nicht als homogene Gruppe sondern als Subsystem einzelner Individuen betrachtet werden muss) und den ersten Gleichaltrigenkontakten außerhalb der Familie (wobei hier unterschieden werden muss zwischen privaten und institutionalisierten settings). Es ist in diesem Sinne neu, die Gleichaltrigen als eigenständige Sozialisationsagenten zu fassen und die Sozialisationsinstanzen in erwachsenengeprägte und gleichaltrigengeprägte zu differenzieren. Ziel ist darzustellen, dass die Zusammenhänge für die Sozialisation eines Kindes vielfältiger sind als bisher angenommen und dass es wichtig ist, diese Zusammenhänge zu analysieren und daraus Erkenntnisse zu entwickeln, die Einfluss auf die gesellschaftliche Wahrnehmung von kindlicher Sozialisation nehmen. Die Verfasserin konzentriert sich dabei auf eine synchrone Analyse der Geschwisterbeziehung, denn die horizontale Einflussnahme ist eine flüchtige Erscheinung und wird im diachronen Blick retrospektiver Befragungen verklärt. Anhand der Datenerhebung bei jüngeren Kindern durch eine Triangulation von Selbstauskünften, teilnehmender Beobachtung und Familiendiagnostik möchte sie den Weg zu meiner Eingangsthese explizieren. Dadurch will sie anregen, auf das Geschwistersubsystem zu schauen und die Bereicherung von Familienerziehung durch Geschwister wahrzunehmen. Nach der einführenden Darstellung des Forschungsstandes und der theoretischen Diskussion der Sozialisationseinflüsse in der Familie illustriere sie diesen Ansatz durch Zwischenergebnisse einer qualitativen Fallstudie aus dem laufenden Dissertationsprojekt der Verfasserin. Die Perspektive der Kinder steht dabei im Mittelpunkt." (Autorenreferat)
In: Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. Teilbd. 1 u. 2, S. 5022-5036
"Mit der Anhebung der Altersgrenzen haben sich die Rahmenbedingungen des Übergangs von der Erwerbsarbeit in den Ruhestand essentiell verändert. Durch die Einführung von Abschlägen für den vorzeitigen Renteneintritt erhält die Erforschung der Strukturen sozialer Ungleichheit im Verrentungsprozess sozialpolitische Relevanz. Vor diesem Hintergrund präsentiert der Vortrag Ergebnisse einer empirischen Untersuchung zu den Bestimmungsfaktoren des Renteneintrittsalters. Im Zentrum des lebenslaufsoziologischen Forschungsansatzes stehen die Handlungsoptionen und Entscheidungsgründe der Akteure beim Timing des Rentenübergangs. Die Datenbasis der Analyse bildet der Scientific Use File Versichertenrentenzugang 2004, der vom Forschungsdatenzentrum der Rentenversicherung aus prozessproduzierten Daten erstellt wurde. In der Modellbildung wird der Übergang von Männern der Rentenzugangskohorte 2004 in den Altersrentenbezug ereignisanalytisch rekonstruiert. Dazu wird ein Piecewise Constant Exponential Model geschätzt, das der Bedeutung der rentenrechtlichen Altersgrenzen Rechnung trägt. Die Mehrheit der Rentenzugänge erfolgt mit 60, 63 oder 65 Jahren. Die multivariate Datenanalyse belegt, dass sich das Renteneintrittsrisiko mit steigender Anzahl an Entgeltpunkten erhöht. Während sich in frühen Renteneintritten - etwa nach Altersteilzeit - überwiegend eine hohe Freizeitpräferenz offenbart, zeigt sich eine Minderheit resistent gegenüber bestehenden Frühverrentungsanreizen. Der Zusammenhang zwischen der Bildung der Beschäftigten und der Erwerbsneigung entspricht einschlägigen Befunden zur betrieblichen Ausgliederung älterer Arbeitnehmer und verweist weiterhin auf den Einfluss lebenslaufbezogener Normen. Bezüglich der Handlungsspielräume der Akteure werden soziale Ungleichheiten sichtbar. Wie das hohe Renteneintrittsrisiko nach vorhergehender Arbeitslosigkeit demonstriert, bestehen vor allem für ältere Arbeitnehmer mit geringem Humankapital wenige Alternativen zum frühzeitigen Ruhestand. Auch gesundheitliche Probleme beschleunigen den Renteneintritt. Hingegen müssen Versicherte mit untypischen Erwerbsbiografien ihre Verrentung aufgrund der Zugangsvoraussetzungen der GRV mitunter aufschieben. Insgesamt belegt die starke Abhängigkeit des Renteneintrittsalters vom letzten sozialrechtlichen Status, dass die Akteure über die verschiedenen institutionalisierten Renteneintrittspfade mit hoher Bestimmtheit in die entsprechenden Rentenarten geführt werden." (Autorenreferat)
In: Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede: Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München. Teilbd. 1 und 2, S. 3441-3454
"Im Verlauf des Jahrhunderte dauernden Zivilisationsprozesses entwickelten sich langfristige Empfindungsstandards, deren Ursprünge uns nicht mehr bekannt sind, die aber verhaltenskonstituierende Merkmale aufweisen. Norbert Elias bezeichnete diesen Vorgang als 'soziogenetische' Strukturierung von Gesellschaften. Zivilisatorische Prägungen der Vergangenheit wirken auf unsere gegenwärtigen Empfindungengegenüber der Architektur teilweise unerkannt ein. Das gesamte architektonische Denken und Handeln, die Wahrnehmung des gebauten Raumes, das Verhalten in Gebäuden und das Entwerfen und Bauen von Gebäuden wurde von den sich über Jahrhunderte entwickelten Machtverhältnissen zwischen den Ständen bzw. Schichten, Milieus und Geschlechtern geprägt. Die Wohnzivilisierung beginnt mit den Wohnverhältnissen unter Ludwigs XIV. in Frankreich (Elias) und reicht bis zum Wohnungsbau der Neuzeit, weil die französischen höfischen Raumstandards von den bürgerlichen Gesellschaften Europas im 18. und 19. Jh. selektiv übernommen und in Teilstrukturen noch in den Raumstandardsder deutschen Bürger und Arbeiterschaft im 20. Jh. wirksam sind. Im Verlauf der Wohnzivilisierung verändern sich die Räume des Wohnens, des Essens, des Kochens, der Kinder, des Arbeitens, des Schlafens und der Körperentleerung und Körperreinigung in Abhängigkeit vom Gesellschaftswandel. Die Erforschung des Prozesses der Wohnzivilisierung zeigt uns die Ursachen und Folgen des langfristigen Wandels des Wohnens, Wohnungs- und Städtebaus. Sie zeigt auch, wie die architektonischen Raumbildungen der Planer die sozialen Strukturen der Wohnungen und Wohnumgebungen prägen, um als Gestaltungsmacht die Empfindungs- und Verhaltensstandards und das Handeln der Bewohner zu determinieren. Sie reflektiert die Transformationen der gesellschaftlichen Machtverhältnisse im Wohnungs- und Städtebau und die Konflikte zwischen traditionellen Architekturstandards und gegenwärtigen Wohnanforderungen." (Autorenreferat)
In: Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. Teilbd. 1 u. 2, S. 2349-2359
"Ausgehend von der Governance-Debatte ('from government to governance') beschäftigt sich der Beitrag aus soziologischer Sicht mit der Frage, wie sich Recht und Rechtsprechung unter Bedingungen des 'Wandels der Staatlichkeit' verändern. Empirisch wird dazu am europäischen Recht und der europäischen Rechtsprechung angesetzt, deren Qualität sich zwar durchaus noch mit 'rechtsstaatlichen' (rule of law) Attributen beschreiben lässt, die zugleich aber prototypisch auch den Wandel der 'Rechtsstaatlichkeit' verkörpern, der sich im Kontext von Europäisierung und Globalisierung vollzieht: die Ergänzung und teilweise Ersetzung eines vertikalen, hierarchischen, eindeutigen Modus der (nationalstaatlichen) 'Integration durch Recht' durch einen horizontalen, heterarchischen, mehrdeutigen Modus der (supra- bzw. transnationalen) 'Integration durch Recht'. Zur theoretischen Erschließung der Fragestellung wird zum einen aufbauend auf governance-analytischen Vorarbeiten ein Konzept von 'judicial governance' entwickelt, mit dessen Hilfe sich der Europäische Gerichtshof als Governance-Akteur entwerfen lässt, der den Mehrebenen- und Netzwerkeigenschaften des europäischen 'Regierens' Rechnung trägt und zwischen Recht und Politik, Wirtschaft und Gesellschaft vermittelt. Zum anderen wird die 'europäische Rechtsgemeinschaft' als Governance-Kontext entworfen, der die (richter)rechtlichen Koordinations- und Steuerungsleistungen begrenzt und ermöglicht und in einem weiteren, soziologischen Sinne als gewandelte Form der 'Rechtsstaatlichkeit' zu interpretieren ist. Der Schwerpunkt des Beitrags wird auf der gesellschaftstheoretischen Ausarbeitung des Konzepts der europäischen Rechtsgemeinschaft liegen, wobei systemtheoretische, diskurstheoretische, strukturfunktionalistische und feldtheoretische Arbeiten herangezogen und für die 'Integration durch Recht' jenseits des Staates spezifiziert werden. In einer Zusammenführung der unterschiedlichen Erklärungs- und Deutungsansätze werden die Spezifika der europäischen Rechtsgemeinschaft herausgestellt und auf das Wirken des Europäischen Gerichtshofs zurückbezogen. Unter der solchermaßen erschlossenen Perspektive von 'Judicial Governance in der europäischen Rechtsgemeinschaft' wird schließlich ein konkretes Untersuchungsfeld betrachtet, an dem der Zusammenhang von politökonomischen Strukturveränderungen und richterrechtlichen Anpassungsleistungen veranschaulicht werden kann: der Wandel der europäischen Wirtschaftsverfassung. Am Beispiel der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Regulierung (einschließlich Deregulierung und Reregulierung) des Güterhandels im Gemeinsamen Markt lässt sich nicht nur die Neurelationierung von Staat, Markt und Gemeinschaft, sondern auch die Differenzierung von Binnendimension und Außendimension der europäischen Wirtschaftsverfassung anhand der entwickelten Konzepte rechtssoziologisch und gesellschaftstheoretisch gehaltvoll aufschlüsseln." (Autorenreferat)
In: Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. Teilbd. 1 u. 2, S. 4997-5007
"Die Bedeutung der Personalauswahlentscheidung wächst: für die Arbeitsuchenden schon wegen der Massenarbeitslosigkeit, für die Unternehmen, weil sie mit einem erhöhten Arbeitsaufwand konfrontiert sind und weil sie sich angesichts oft unbestimmter Anforderungen und der Bedeutung sozialer Kompetenzen nicht mehr auf Zertifizierungen von Qualifikationen und die Aussagekraft von Lebensläufen allein verlassen können. So hat die Personalauswahl eine eigene Rationalität, Rationalisierungslogik und Regulierung entwickelt. Dieses 'Bewerbungssystem' führt zur Standardisierung von Darstellungs- und Bewertungsmustern. Es hat eine eigene Industrie von Bewerbungsratgebern und -trainern, Personaldienstleistern und Diagnostiken hervorgebracht. Seine Ausdifferenzierung und Rationalisierung stützt die Legitimation der Personalabteilung. Für die BewerberInnen wird die Bewerbung zu einer identitätsrelevanten Bewährungsprobe, womit die Selbstführung in Orientierung an erwarteten Erwartungen der Organisation und des Marktes gefördert wird. Auf die Komplexität der Personalauswahl als Entscheidungssituation reagieren die Organisationen mit Routinisierung und Entpersonalisierung. Testverfahren liegt die Fiktion einer festgefügten Persönlichkeit zugrunde, die es in verschiedenartigen Authentifizierungsverfahren zu entschlüsseln gilt. Einstellentscheidungen werden reversibel gehalten, die Umstellung von der Kündigung auf den Auslauf eines Zeitvertrags entdezisioniert die Entscheidung. Die zentrale These des Beitrags lautet: die Organisation von Entscheidungen ist eine Strategie zur Reduktion von Entscheidungskomplexität und führt zur Anpassung des Verhaltens der Akteure an die Logik des Entscheidungsverfahrens. Damit entwickelt sich zwar einerseits eine eigene Rationalität der Personalauswahl, die indes die Bedeutung der Subjektivität im Entscheidungsverfahren keineswegs mindert. Auch die Legitimation der Auswahlentscheidung stützt sich gleichzeitig auf objektivierende Verfahren und auf das 'Bauchgefühl' erfahrener Personaleinsteller. Der Beitrag wird empirisch fundiert durch Befunde eines laufenden Projekts zur Personalauswahl von Unternehmen und zum Bewerbungsverhalten von Arbeitsuchenden und durch Ergebnisse einer früheren Studie zur betrieblichen Nutzung befristeter Arbeitsverträge." (Autorenreferat)
In: Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. Teilbd. 1 u. 2, S. 4644-4654
"Untersuchungen zur Arbeit mit hoch technisierten Systemen zeigen, dass für die Bewältigung kritischer Situationen Fachwissen und planmäßig-rationales Handeln nicht ausreichen. Erforderlich ist ebenso ein besonderes Erfahrungswissen und erfahrungsgeleitetes Handeln. Dies beruht auf komplexen sinnlichen Wahrnehmungen, Gespür, assoziativem Denken sowie einem interaktiv-dialogischen Umgang mit Dingen sowie einer persönlichen Beziehung zu ihnen. Bisher liegen hierzu noch wenige Kenntnisse und kaum Untersuchungen zum Erfahrungswissen und erfahrungsgeleiteten Handeln von Piloten vor. In dem Vortrag werden Ergebnisse einer Untersuchung, die an der Universität Augsburg im Rahmen einer Diplomarbeit durchgeführt wurde, vorgestellt. Sie zeigen die Rolle impliziten Wissens, deren besondere Merkmale und Grundlagen, sowie Gemeinsamkeiten wie auch Unterschiede gegenüber anderen Arbeitsbereichen. Eine besondere Frage ist, in welcher Weise zukünftig das notwendige Erfahrungswissen und die Fähigkeit zum erfahrungsgeleiteten Handeln erworben werden können. Solche Wissens- und Handlungsformen sind zum einen notwendig, zum anderen werden aber durch die technische Entwicklung die Möglichkeiten zu ihrem Erwerb eher eingeschränkt als gefördert. In welcher Weise hieraus neue Anforderungen an die Ausbildung entstehen, ist ein Thema, das im Anschluss an den Vortrag ausführlicher diskutiert werden könnte." (Autorenreferat)
In: Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede: Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München. Teilbd. 1 und 2, S. 473-488
"In allen OECD-Ländern wurde ein Reformprozess der Alterssicherungssysteme eingeleitet, der seit den 1990er Jahren auch Deutschland erfasst hat. Die aktuell drängenden Fragen der Finanzierbarkeit und Tragbarkeit der Altersversorgung angesichts der demografischen Veränderungen und wirtschaftlichen Probleme haben die Erwägung der langfristigen sozialen Kosten und des Regulierungsbedarfs der neuen Rentenregime in der öffentlichen und akademischen Diskussion verdrängt. Aus soziologischer Sicht stellt sich die Frage: Werden die gegenwärtigen Reformen und veränderten Alterssicherungssysteme neue Formen der sozialen Ungleichheit hervorrufen? Eine Voraussage der zukünftigen Entwicklungspfade von Altersvorsorgesystemen und deren sozialen Risiken hängen von zukünftigen politischen Entscheidungen und langfristigen soziodemografischen sowie wirtschaftlichen Entwicklungen ab. An Stelle einer spekulativen Analyse sollen die wohlfahrtstaatliche Ausgestaltung und deren Auswirkungen in verschiedenen OECD-Ländern verglichen werden. Dabei werden die sozialen Folgen dreier Entwicklungen genauer betrachtet: (1) die Umkehrung der Frühverrentungspolitik, (2) die zunehmende Bedeutung privater Zusatzvorsorge und (3) die Umschichtung zu kapitalfinanzierten Renten. Hieraus ergeben sich drei potentielle Probleme sozialer Ungleichheit: eine Zunahme des Erwerbslosigkeitsrisikos im Alter, die ungleichen Deckungsraten privater Vorsorge für einzelne soziale Gruppen und die Individualisierung der Finanzmarktrisiken der Altersvorsorge. Der internationale Vergleich kann Probleme unterschiedlicher Regime aufdecken und die bisherigen Regulierungsversuche skizzieren. Auch wenn 'best practice' Erfahrungen nur unter Vorbehalten übertragen und zukünftige Entwicklungsdynamiken nur bedingt vorausgesagt werden können, so lassen sich doch unterschiedliche Problem- und Regulierungsszenarien entwerfen. Solange es weiterhin ein staatliches Ziel ist, erhöhte Armut und Ungleichheit im Alter zu vermeiden, erfordert der gegenwärtige (Teil-)Rückzug des Staates aus der finanziellen Verantwortung durchaus flankierende Beschäftigungspolitiken, die Förderung sozialpartnerschaftlicher Konzertierung sowie staatliche Regulierungs- und Steuerpolitik." (Autorenreferat)
In: Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede: Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München. Teilbd. 1 und 2, S. 275-285
"In dem öffentlichen Diskurs über Gewalteskalation konkurrieren bislang zwei Erklärungsmuster: die deprivationstheoretische Erklärung, derzufolge wahrgenommene Benachteiligung für die Gewaltbereitschaft ursächlich, und die kulturalistische Erklärung, derzufolge unverträgliche kulturelle Traditionen zu fortschreitenden Spannungen und Konflikten führen, die schließlich auch mit Mitteln des Terrorismus ausgetragen werden können. Nun wissen wir, dass Benachteiligung in vielen Fällen nicht zur Revolte führt und ganz unterschiedliche kulturelle Traditionen durchaus friedlich nebeneinander existieren können. Hier soll darum eine dritte konflikttheoretische Erklärung vorgestellt werden: Gruppenkonflikte, wie immer sie entstanden sind und worum immer sie gehen, enden in der Gewalt, wenn sie nicht in Institutionen aufgefangen werden. Dann forcieren sie über Angst und Hoffnung die Transformation der sozialen Identität von Akteuren und Opfern. Diese wird zunehmend eindeutig, Freund und Feind, Gut und Böse werden getrennt. Wachsende Ressentiments bestätigen sich wechselseitig. Der Rückgriff auf Traditionen angesichts fortschreitender Globalisierung (Huntington 1996) ist nur eine mögliche Konfliktlinie unter anderen. In vielen Fällen geht es nicht um Kultur, sondern um Land und Wasser, um Herrschaft und Zukunft. Gewalttätige Konflikte reduzieren die Vielfalt von Identitäten, die Menschen alltäglich aktualisieren, auf diejenige, die die persönliche Sicherheit, Integrität und Würde zu sichern scheint. Terrorismus ist daher nicht Ausdruck einer spezifischen Kultur oder von Kulturkonflikten (bei Basken, Iren, Tamilen, Tschetschenen, Hutus, Arabern usw.), sondern Folge (und zunehmend auch Ursache) eines radikalisierten Konfliktes zwischen imaginierten Gemeinschaften. Leidensfähige und gewaltbereite Kollektive agieren dann in einer 'kosmischen Auseinandersetzung' (Juergensmeyer 2000)." (Autorenreferat)