Aus der Einleitung: Der Mainstream der soziologischen und politologischen Forschung betrachtete Rechtsextremismus bis Anfang der neunziger Jahre als "allgemeines Problem". Durch den vorherrschend androzentrischen Blickwinkel geriet dies unwillkürlich zu einem "männlichen" - meistens jedoch, ohne als solches benannt zu werden. Tatsächlich legen Kriminalstatistiken und Wahlanalysen den Eindruck nahe, dass Rechtsextremismus als "männliches Problem" zu betrachten sei, da Frauen und Mädchen rein quantitativ in geringerem Maße vertreten sind. Im Hinblick auf frühere empirische Untersuchungen lässt sich jedoch erkennen, dass ein rechtsextremistisches Orientierungsmuster nicht mehr als rein "männliches Problem" betrachtet werden darf, sondern dass auf der Ebene der latenten Einstellungen zunächst keine geschlechtsspezifischen Differenzen auszumachen sind. Gang der Untersuchung: Diesem Faktum, welches der Arbeit zugrunde liegt und der Annahme, dass geschlechtsspezifische Äußerungsformen dieser Einstellungen bestehen, gilt es genauer nachzugehen: In einem ersten Schritt diskutiere ich verschiedene Ansätze, die auf individueller sowie auf struktureller Ebene ansetzen, um die Zuneigung oder Resistenz von Frauen zu rechtsextremistischen Einstellungen zu erklären und die verschiedene Äußerungsformen rechtsextremistischer Einstellungen aufzeigen, wobei sie nur Vermutungen über zugrundeliegende Motive anstellen können. Ziel der Diskussion ist es nicht, eine Erklärung für eine geschlechtsspezifische Zuneigung zu rechtsextremistischen Einstellungen zu konstruieren, sondern zu erkennen, welche Frauen welche Motive haben können, um verschiedenen Dimensionen einer rechtsextremistischen Einstellung zuzuneigen, da davon auszugehen ist, dass entsprechend der Heterogenität unter Frauen unterschiedliche Begründungszusammenhänge gefunden werden müssen. Bei der Darstellung der interpretativen Ansätze wird es auch darum gehen, eine Entwicklungslinie in der feministischen Wissenschaft aufzuzeigen, die versucht, der aktiven Beteiligung von Frauen am Geschlechterverhältnis auf die Spur zu kommen. Erst mit dieser Entwicklung ist es möglich, das Phänomen Rechtsextremismus nicht mehr ausschließlich als ein "männliches" zu konstruieren. Mit Bezugnahme auf den heutigen Forschungsstand kristallisieren sich zudem zwei Theoriestränge heraus, die jeweils Eingang in die Theorie gefunden haben. Der zweite Arbeitsschritt besteht in einer genauen geschlechtsspezifischen Analyse verschiedener empirischer Untersuchungen (s. Inhaltsverzeichnis meiner Arbeit). Eine Analyse unter einem erweiterten Blickwinkel, wie er durch die Diskussion der interpretativen Ansätze geschaffen wurde, ermöglicht es mir zu erkennen, ob auf der Ebene der Einstellungen doch Differenzen zwischen den Geschlechtern bestehen, die einerseits zu einem geschlechtsunspezifischen Ergebnis führen und andererseits Differenzen in der Zuneigung oder Resistenz gegenüber einzelnen Dimensionen einer rechtsextremistischen Einstellung ausblenden. Mit der Annahme, dass Geschlecht als soziale Strukturkategorie zu betrachten ist, darf diese Kategorie nicht hinter geschlechtsunspezifischen Ergebnissen unsichtbar werden. Mit der Zusammenführung der beiden Arbeitsschritte und einer Offenlegung eventueller Widersprüche zwischen interpretativen Ansätzen und empirischen Evidenzen ergibt sich ein strukturierteres "Bild" von Affinität oder Resistenz von Mädchen und Frauen zu einzelnen Dimensionen eines rechtsextremistischen Orientierungsmusters. Eine differenzierte Wahrnehmung soll im Hinblick auf Gegenstrategien weiterhelfen – einfache Lösungsansätze kann ich nicht bieten, allerdings überraschende Ergebnisse... Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis meiner Arbeit). Eine Analyse unter einem erweiterten Blickwinkel, wie er durch die Diskussion der interpretativen Ansätze geschaffen wurde, ermöglicht es mir zu erkennen, ob auf der Ebene der Einstellungen doch Differenzen zwischen den Geschlechtern bestehen, die einerseits zu einem geschlechtsunspezifischen Ergebnis führen und andererseits Differenzen in der Zuneigung oder Resistenz gegenüber einzelnen Dimensionen einer rechtsextremistischen Einstellung ausblenden. Mit der Annahme, dass Geschlecht als soziale Strukturkategorie zu betrachten ist, darf diese Kategorie nicht hinter geschlechtsunspezifischen Ergebnissen unsichtbar werden. Mit der Zusammenführung der beiden Arbeitsschritte und einer Offenlegung eventueller Widersprüche zwischen interpretativen Ansätzen und empirischen Evidenzen ergibt sich ein strukturierteres "Bild" von Affinität oder Resistenz von Mädchen und Frauen zu einzelnen Dimensionen eines rechtsextremistischen Orientierungsmusters. Eine differenzierte Wahrnehmung soll im Hinblick auf Gegenstrategien weiterhelfen – einfache Lösungsansätze kann ich nicht bieten, allerdings überraschende Ergebnisse... Inhaltsverzeichnis: 0.Kämpfen und siegen oder durchgreifen lassen? Frauen und Rechtsextremismus - zur Problematik3 1.Begriffsdefinitionen5 2.Diskussion der interpretativen Ansätze9 2.1.1Die "friedfertige Frau" und das Konzept der "Mittäterschaft"9 2.1.2Das Konzept der "Dominanzkultur"14 2.1.3Der defizitäre Ansatz G. Sillers und das Individualisierungstheorem18 2.1.4Rassismus als Form ideologischer Vergesellschaftung23 2.2Zusammenfassung und Weiterführung der Diskussion25 3.Auswertung der empirischen Untersuchungen27 3.1.1Begründung der Auswahl der empirischen Untersuchungen27 3.1.2Darstellung des Auswertungsschemas28 3.2Die empirischen Untersuchungen29 3.2.1Die SINUS-Studie29 3.2.1.1Theoretischer Argumentationsrahmen und Grundhypothese29 3.2.1.2Umsetzung des ersten Erkenntniszieles -Konstruktion der Skalen30 3.2.1.3Datenerhebung und-auswertung31 3.2.1.4Ergebnisse31 3.2.2Die Untersuchung von Heitmeyer32 3.2.2.1Theoretischer Argumentationsrahmen und Grundhypothesen32 3.2.2.2Umsetzung33 3.2.2.3Datenerhebung und –auswertung35 3.2.2.4Ergebnisse36 3.2.3Die geschlechtsspezifische Fallstudie37 3.2.3.1Theoretischer Bezugsrahmen und Grundhypothesen37 3.2.3.2Umsetzung38 3.2.3.3Datenerhebung und –auswertung39 3.2.3.4Ergebnisse41 3.2.4Die NRW-Studie42 3.2.4.1Theoretischer Argumentationsrahmen und Grundhypothesen42 3.2.4.2Umsetzung44 3.2.4.3Datenerhebung und –auswertung44 3.2.4.4Ergebnisse45 3.2.5Die qualitative Untersuchung im Rahmen der Rassismusforschung47 3.2.5.1Theoretischer Argumentationsrahmen und Grundhypothesen47 3.2.5.2Umsetzung48 3.2.5.3Datenerhebung und –auswertung49 3.2.5.4Ergebnisse51 3.2.6Interviews mit "Republikanerinnen"53 3.2.6.1Theoretischer Argumentationsrahmen53 3.2.6.2Gesprächsführung54 3.2.6.3Auswertung55 3.2.6.4Ergebnisse55 3.3Zusammenfassung der Auswertung der empirischen Untersuchungen unter drei Aspekten59 3.3.1Gewaltakzeptanz59 3.3.2Gewalterfahrung61 3.3.3Individualisierungstheorem und Selbstkonzept62 4.Fazit64 5.Literatur67 6.Anhang77 6.1Empirische Untersuchung Heitmeyers77 6.2Geschlechtsspezifische empirische Untersuchung77
Through the lense of four different art projects, Troubled Atmosphere – On Noticing Air looks at hybrid, layered, inconsistent, muddled, unruly, contaminated gatherings of air, inquiring how air has been conceptualised and perceived, and how the construction of aerial imaginaries enables specific ways of engaging with the world and excludes others. Paying attention to the materiality, relationality and performativity of air, noticing air is explored as a methodology to consider how air, approached as a naturalcultural and technoecological phenomenon, is made perceptible and knowable under historically specific circumstances, perceptual systems, and politics of representation. For this, air is addressed through the artworks Being With (2015), The World Indoors (2015), In the Vast Ocean of Air (2016), and Often People Ask How Birds Are Affected by the Air (2017), and through corresponding texts structured around specific material-semiotic figures – the body, plants, clouds, PM2.5 (minute airborne particulate matter) – which substantiate air, and its technoscientific assemblages, and propose diversified ways of noticing air. Subject to chemical, biological, geological, technological and cultural processes and transformations, air is modified, structured, and compartmentalised, rendered inherently political with effects, consequences, and health impacts distributed unevenly and unjustly. Considering how noticing air can be expanded to reconsider relations and relatings with air that may contribute to the long-term collective feminist undertaking of reimagining liveable and breathable worlds for the many, the dissertation reflects upon the transformative role of environmental concepts and imaginaries. More specifically, it poses the author's interdisciplinary collaboration with researcher in ecology Agata Marzecova as an example of how to bring theory, criticism, and scientific research together with art and poetics, and how meaningful experimentation with formats, languages, and different ways of knowing may allow for thicker, more layered and nuanced approaches for noticing air. ; Gefiltert durch vier verschiedene künstlerische Arbeiten, beschäftigt sich Troubled Atmosphere – On Noticing Air mit der hybriden, geschichteten, widersprüchlichen, verworrenen, ungebändigten und verunreinigten Zusammensetzung von Luft. Das Projekt fragt danach, wie Luft konzipiert und wahrgenommen wird, und wie die Konstruktion der Welt auf der Basis von Luftaufnahmen, bestimmte Arten der Beschäftgung mit ihr ermöglicht, während andere verschlossen werden. Indem der Fokus auf die Materialität, Relationalität und Performativität von Luft gelegt wird, wird noticing air zu einer Methodologie und untersucht, wie Luft - verstanden als natur-kulturelles und techno-ökologisches Phänomen - unter historisch-spezifischen Umständen und mithilfe von Wahrnehmungssystemen und Repräsentationspolitiken konzipiert wird. Dazu wird Luft mittels der künstlerischen Arbeiten Being With (2015), The World Indoors (2015), In the Vast Ocean of Air (2016), und Often People Ask How Birds Are Affected by the Air (2017) wie auch mittels zugeordneter Texte, die um bestimmte material-semiotische Figuren herum organisiert sind - Körper, Pflanzen, Wolken, PM2.5 (winzige Partikel von Material in der Luft) adressiert. So werden Luft und ihre techno-wissenschaftlichen Assemblagen materialisiert und unterschiedliche Weisen eines noticing air vorgeschlagen. In chemischen, biologischen, geologischen, technologischen und kulturellen Prozessen und Transformationen, wird Luft modifiziert, strukturiert und unterteilt und so grundlegend politisch, wobei die Auswirkungen, Effekte und gesundheitlichen Folgen ungleichmäßig und ungerecht verteilt sind. Um der Frage nachzugehen, wie noticing air auch dazu beitragen kann, Beziehungen und Bezüge zu Luft in einer Weise zu überdenken, die etwas zu dem langfristigen, kollektiven, und feministischen Projekt beitragen kann, lebbare und atembare Welten für viele zu ermöglichen, beschäftigt sich die Dissertation mit der transformativen Rolle von umweltbezogenen Konzepten und Vorstellungen. Genauer gesagt, nimmt sie die interdisziplinäre Kollaboration zwischen der Autorin und der Umweltforscherin Agata Marzecova als Beispiel, um aufzuzeigen, was passiert, wenn Theorie, Kritik und wissenschaftliche Forschung auf Kunst und Poetik treffen und wie das Experimentieren mit Formaten, Sprachen und unterschiedlichen Arten des Wissens vielschichtigere und differenziertere Ansätze von noticing air produzieren kann.
Die vorliegende Arbeit ist eine Fallstudie zu Gender- und ethnischen Identitäts- und Differenzkonstruktionen in einer indigenen Gemeinde im Tiefland Ecuadors. Sie sucht folgende Fragen zu beantworten: I. Wie wird Gender im sog. "Oriente" Ecuadors verhandelt und performativ produziert? Existieren Gegenstimmen und Subversionen zu dominanten Genderrollen, und wenn ja, in welcher Form? II. Wie entwerfen die Napo Runa von der sogenannten Peripherie aus ihre nationale und ethnische Identität? Welche Diskurse und praktischen Strategien entwickeln sie im Umgang mit den ethnisch "Anderen" innerhalb des nationalen, ecuadorianischen Kontextes? III. Auf welche Art und Weise sind die Kategorien Gender, Ethnizität und Nation ineinander verwoben? Wie werden Männlichkeiten und Weiblichkeiten in Abgrenzung und Anziehung zum ethnisch "Anderen" konstruiert? Wie werden dabei hegemoniale Gender-, ethnisch-rassische und nationale Diskurse und Praxen von den Runa aufgenommen, verarbeitet und umgedeutet? In der feministisch ausgerichteten Gender-Forschung dienen "nicht-westliche" Beispiele häufig dazu, Alternativen zur euro-amerikanischen binären, heteronormativen Geschlechterordnung aufzuzeigen und letztere somit zu dekonstruieren. Diese Fallstudie zu den Tiefland-Runa in Ecuador kann dazu nur sehr bedingt einen Beitrag leisten: Die Runa bestehen auf der Dichotomie weiblich-männlich, die nach dem biologischen Geschlecht des Kindes bei der Geburt bestimmt wird. Und dennoch erfordert das Herausbilden der "richtigen" Genderidentität aus indigener Perspektive von Kindheit an beständige Formung, was sich besonders in der früh einsetzenden Arbeitsteilung äußert, welche Wissen in den Körper "einschreibt". Wer die gegenderten, alltagspraktischen Techniken in seinen/ihren Körperhabitus übernommen hat, gilt als "richtiger Mann" resp. "richtige Frau", als erwachsen. Der biologischen Reifung des Körpers wird dagegen weniger Bedeutung beigemessen. Explizit ausformuliert wird die für gesellschaftliches Leben als unerlässlich angesehene Komplementarität beider Geschlechter. Die jüngere ethnographische Literatur zum Amazonastiefland tendiert mehrheitlich zur Gleichsetzung dieser Komplementarität mit einem egalitären Geschlechterverhältnis. Meine Daten deuten jedoch auf ein unausgeglichenes Machtverhältnis zwischen Männern und Frauen hin. Eine klare Hierarchie lässt sich in verschiedenen Bereichen ablesen, wie z.B. dem unterschiedlichen Zugang zu politischer Macht, spirituellem Wissen, ökonomischen Möglichkeiten, Arbeitszeitaufteilung, Bewegungsfreiheit und Verfügungsgewalt über den eigenen und fremde Körper. Auch in der Abgrenzung der Runa gegenüber anderen ethnischen Gruppen spielt die Kategorie Geschlecht eine zentrale Rolle. Entlang der Runa-Ideale von geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung und Verhaltensidealen werden Grenzen gezogen. Dabei sind es die MestizInnen, welche die wichtigste Rolle in diesem fortwährenden identitätszeichnenden und -versichernden Prozess als direkte und dominanteste Gegenüber spielen. Einerseits sucht man sich gegen mestizische Dominanz und Vereinnahmung durch Betonung der eigenen, ethnisierten Kraft und Stärke und einer "reinen" Heiratspraxis zu erwehren. Andererseits eifert insbesondere die jüngere Generation, auch in ihren Genderentwürfen, einem mestizischen Lebensstil als Inbegriff von "Zivilisation", Modernität, Urbanität und Fortschrittlichkeit nach und versucht, dies besonders durch Bildung zu erreichen. Speziell in den Feminitätsentwürfen der ruralen, traditionellen runa warmi und ihrem Gegenstück "urbane Mestizin" findet dieser Widerspruch seinen Ausdruck. Für Männer stellt das Militär den größten außerdörflichen Einfluss auf jugendliche maskuline Runa-Identitätsbildung dar und drängt diese zusehends in die Richtung eines mestizisch-virilen Männlichkeitsideals, das eng verbunden ist mit einer nationalen Identität als Ecuadorianer. Beruhend auf Viveiros de Castros" Multinaturalismus-Theorie findet man in der wissenschaftlichen Literatur zum Amazonastiefland immer wieder die Darstellung äußerst aufnahmefähiger, flexibler Gesellschaften, welche starren ethnischen Grenzen mit größter Skepsis zu begegnen wüssten. Die Inkorporierung "Fremder", seien sie Affinalverwandte oder ethnisch different, geschehe über die konstante gemeinsame Produktion entlang der gegenderten Arbeitsteilung und den Konsum der gleichen Nahrung, die zusehends und fortlaufend die Unterschiede zwischen Menschen nivellieren. Ich halte diese Einschätzung amazonischen Gemeinschaftslebens für idealisiert. Sie mag partiell richtig sein, jedoch wird "Fremdartigkeit" nie ganz vergessen. Eine gewisse "fremde" Essenz, welcher Art diese auch immer sein möge, bleibt bestehen " unabhängig davon, ob die Betreffenden die geschlechtsspezifischen Runa-Körpertechniken erlernt haben. Es stehen hier m. E. zwei Diskurse nebeneinander. ; The dissertation is a case study about the construction of gender and ethnic identities and differences in an indigenous community in the lowlands of Ecuador. It aims at answering the following questions: I. How is gender discoursively and practically constructed in the Ecuadorian "Oriente"? Do opposion and subversion towards the dominant gender roles exist, and if yes, in which way? II. How do the Napo Runa construct their national and ethnic identity from a so-called peripherical position? What discourses and practical strategies do they develop in dealing with ethnic "others" in a national context? III. In what way are the categories of gender, ethnicity and nation interconnected? How are masculinities and feminities are constructed in opposition and attraction to ethnic "others"? How are hegemonial gender, ethnic, racial and national discourses und practices adopted, dealt with and reframed by the Runa?
Das Dissertationsprojekt befasst sich mit der australischen Autorin Dymphna Cusack, deren Popularität in Ost und West zwischen 1955 und 1975 ihren Höhepunkt erreichte. In diesem Zeitraum wurde sie nicht nur in den westlichen Industriestaaten, in Australien, England, Frankreich und Nord Amerika viel gelesen, sondern auch in China, Russland, der Deutschen Demokratischen Republik und in vielen Sowjetrepubliken. Im Verlauf ihres Schaffens wurde ihr grosse Anerkennung für ihren Beitrag zur australischen Literatur zuteil; sie erhielt die "Commonwealth Literary Pension", die "Queen′s Silver Jubilee Medal" und 1981 den "Award of her Majesty". Trotz dieser Unterstützung durch den Staat in Australien und England äusserte Cusack immer wieder feministische, humanistisch-pazifistische, und anti-faschistisch bzw. pro-sowjetische Sozialkritik. Sie war auch für ihren starken Nationalismus bekannt, plädierte dafür, eine "einheimische" Literatur und Kultur zu pflegen. Besonders das australische Bildungssystem war das Ziel ihrer Kritik, basierend auf ihren Erfahrungen als Lehrerin in städtischen und ländlichen Schulen, die sie ihrer Autobiographie beschrieb. 'Weder ihr Intellekt, noch ihre Seele oder ihre Körper wurden gefördert, um ganze Männer oder ganze Frauen aus ihnen zu machen. Besonders letztere wurden vernachlässigt. Mädchen wurden ermutigt, ihren Platz dort zu sehen, wo deutsche Mädchen ihn einst zu sehen hatten: bei Kindern, Küche, Kirche.' Cusack engagierte sich stark für Bildungsreformen, die das Versagen australischer Schulen, das erwünschte liberal-humanistische Subjekt zu herauszubilden, beheben sollten. Der liberale Humanismus der Nachkriegszeit schuf ein populäres Bedürfnis nach romantischem Realismus, den man in Cusacks Texten finden kann. Um verstehen zu können, wie Frauen sich zwischen "Realismus und Romanze" verfingen, biete ich eine Dekonstruktion von Geschlecht innerhalb dieses "hybriden" Genres an. Mittels feministischer Methodik können Einblicke in die konfliktvolle Subjektivität beider Geschlechter in verschiedenen historischen Perioden gewonnen werden: die Zeit zwischen den Kriegen, während des Pazifischen Krieges und den Weltkriegen, während des Kalten Krieges, zur Zeit der Aborigine-Bewegung, des Vietnamkrieges, sowie zu Beginn der zweiten feministischen Bewegung in den siebziger Jahren. Eine Rezeptionsanalyse des romantischen Realismus und der Diskurse, die diesen prägen, sind in Kapitel zwei und drei untersucht. Die Dekonstruktion von Weiblichkeit und eines weiblichen Subjekts ist in Kapitel vier unternommen, innerhalb einer Diskussion der Art und Weise, wie Cusacks romantischer Erzählstil mit dem sozialen Realismus interagiert. Nach der Forschung von Janice Radway, werden Cusacks Erzählungen in zwei Tabellen unterteilt: die Liebesgeschichte versagt, ist erfolgreich, eine Parodie oder Idealisierung (s. "Ideal and Failed Romances"; "Primary Love Story Succeeds or Fails"). Unter Einbeziehung von Judith Butlers philosophischem Ansatz in die Literaturkritik wird deutlich, dass diese Hybridisierung der Gattungen das fiktionale Subjekt davon abhält, ihr/sein Geschlecht "sinnvoll" zu inszenieren. Wie das "reale Subjekt", der Frau in der Gesellschaft, agiert die fiktionale Protagonistin in einer nicht intelligiblen Art und Weise aufgrund der multiplen Anforderungen an und den Einschränkungen für ihr Geschlecht. Demnach produziert die geschlechtliche Benennung des Subjektes eine Vielfalt von Geschlechtern: Cusacks Frauen und Männer sind geprägt von den unterschiedlichen und konfliktvollen Ansprüchen der dichotom gegenübergestellten Genres. Geschlecht, als biologisches und soziales Gebilde, wird danach undefinierbar durch seine komplexen und inkonsistenten Ausdrucksformen in einem romantisch-realistischen Text. Anders gesagt führt die populäre Kombination von Liebesroman und Realismus zu einer Überschreitung der Geschlechtsbinarität, die in beiden Genres vorausgesetzt wird. Weiterführend dient eine Betrachtung von Sexualität und Ethnie in Kapitel fünf einer differenzierteren Analyse humanistischer Repräsentationen von Geschlecht in der Nachkriegsliteratur. Die Notwendigkeit, diese Repräsentationen in der Populär- und in der Literatur des Kanons zu dekonstruieren, ist im letzten Kapitel dieser Dissertation weiter erläutert. ; In her lifetime, Dymphna Cusack continually launched social critiques on the basis of her feminism, humanism, pacificism and anti-fascist/pro-Soviet stance. Recalling her experi-ences teaching urban and country schoolchildren in A Window in the Dark, she was particularly scathing of the Australian education system. Cusack agitated for educational reforms in the belief that Australian schools had failed to cultivate the desired liberal humanist subject: 'Neither their minds, their souls, nor their bodies were developed to make the Whole Man or the Whole Woman - especially the latter. For girls were encouraged to regard their place as German girls once did: Kinder, Küche, Kirche - Children, Kitchen and Church.' I suggest that postwar liberal humanism, with its goals of equality among the sexes and self-realisation or 'becoming Whole', created a popular demand for the romantic realism found in Cusack′s texts. This twentieth century form of humanism, evident in new ideas of the subject found in psychoanalysis, Western economic theory and Modernism, informed each of the global lobbies for peace and freedom that followed the destruction of World War II. Liberal ideas of the individual in society became synonymous with the humanist representations of gender in much of postwar, realistic literature in English-speaking countries. The individual, a free agent whose aim was to 'improve the life of human beings', was usually given the masculine gender. He was shown to achieve self-realisation through a commitment to the development of "mankind", either materially or spiritually. Significantly, the majority of Cusack′s texts diverge from this norm by portraying women as social agents of change and indeed, as the central protagonists. Although the humanist goal of self-realisation seems to be best adapted to social realism, the generic conventions of popular romance also have humanist precepts, as Catherine Belsey has argued. The Happy End is contrived through the heroine′s mental submission to her physical desire for the previously rejected or criticised lover. As Belsey has noted, desire might be considered a deconstructive force which momentarily prevents the harmonious, permanent unification of mind and body because the body, at the moment of seduction, does not act in accord with the mind. In popular romance, however, desire usually leads to a relationship or proper union of the protagonists. In Cusack′s words, the heroine and hero become "whole men and women" through the "realistic" love story. Thus romance, like realism, seeks to stabilise gender relations, even though female desire is temporarily disruptive in the narrative. In the end, women and men become fully realised characters according to the generic conventions of the love story or the consummation of potentially subversive desire. It stayed anxieties associated with women seeking independence and self-realisation rather than traditional romance which signalled a threat to existing gender relations. I proposed that an analysis of gender in Cusack′s fiction is warranted, since these apparently unified, humanist representations of romantic realism belie the conflicting aims and actions of the gendered subjects in this historical period. For instance, when we examine women′s lives immediately after the war, we can identify in both East and West efforts initiated by women and men to reconstruct private/public roles. In order to understand how women were caught between "realism and romance", I plan to deconstruct gender within the paradigm of this hybrid genre. By adopting a femininist methodology, new insights may be gained into the conflictual subjectivity of both genders in the periods of the interwar years, the Pacific and World Wars, the Cold War, the Australian Aboriginal Movement at the time of the Vietnam War, as well as the moment of second wave Western feminism in the seventies. My definition of romantic realism and the discourses that inform it are examined in chapters two and three. A deconstruction of femininity and the female subject is pursued in chapter four, when I argue that Cusack′s romantic narratives interact in different ways with social realism: romance variously fails, succeeds, is parodic or idealised. Applying Judith Butler′s philosophical ideas to literary criticism, I argue that this hybridisation of genre prevents the fictional subject from performing his or her gender. Like the "real" subject - actual women in society - the fictional protagonist acts in an unintelligible fashion due to the multifarious demands and constraints on her gender. Consequently, the gendering of the sexed subject produces a multiplicity of genders: Cusack′s women and men are constituted by differing and conflicting demands of the dichotomously opposed genres. Thus gender and sex become indefinite through their complex, inconsistent expression in the romantic realistic text. In other words, the popular combination of romance and realism leads to an explosion of the gender binary presupposed by both genres. Furthermore, a consideration of sexuality and race in chapter five leads to a more differentiated analysis of the humanist representations of gender in postwar fiction. The need to deconstruct these representations in popular and canonical literature is recapitulated in the final chapter of this Dissertation.
Dass man mit Tieren gut denken könne, behauptete Claude Lévi-Strauss 1962 in Le totémisme aujourd'hui (Paris: Presses Universitaires de France, S. 128) und entlarvte damit in seinem bahnbrechenden strukturalistischen Text den Totemismus als eine Fiktion, die, indem sie einer universellen klassifikatorischen Logik gehorcht, die Konstruktion des Verhältnisses von Kultur und Natur erst ermöglichte. In ihrer inhaltlich und wissenschaftspolitisch neue Maßstäbe setzenden Publikation greifen die beiden Herausgeberinnen und der Herausgeber – Anikó Imre, Timothy Havens und Katalin Lustyik – Lévi-Strauss' Pioniergeist und das Zitat auf, um es sich folgendermaßen anzueignen: "It would seem that old television is, to appropriate Lévi Strauss's now famous quote, good to remember with" (S. 5). Die Analyse televisueller Programme und Ästhetiken aus dem osteuropäischen Raum, die Erinnerungsmodi der sozialistischen Vergangenheit befeuern und teilweise selbst generieren, steht daher auch im Zentrum von Popular Television in Eastern Europe During and Since Socialism. Auffällig an den untersuchten Fernsehprogrammen ist das Aufgreifen sozialistischer TV-Formate ('old television'), die in der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit sowie hinsichtlich der Neubildung postsozialistischer Identitäten eine wesentliche Rolle übernehmen. Sozialistische Fernsehfilme und Serien, Animationsfilme für Kinder und Jugendliche, sogar Werbeeinspielungen, so Imre, Havens und Lustyik in der Einleitung, "have re-appeared on local programming since 1989 as an irreplacable source of national and regional memory and identity and have also inspired serious historical and critical scholarship" (S. 3). Anikó Imre (University of Southern California, School of Cinematic Arts) hat in den letzten zehn Jahren in den Bereichen der feministischen Film- und Fernsehwissenschaft sowie der Osteuropa Studien herausragende Publikationen vorgelegt. In Transnational Feminism in Film and Media (2005), East European Cinemas (2007), Identity Games. Globalization and the Transformation of Media Cultures in the New Europe (2009) hat sie eindringlich gezeigt, welche Herausforderungen die postsozialistische Ära für eine transnationale (und feministische) Film- und Medienwissenschaft bereithält. Nun reicht sie gemeinsam mit Timothy Havens (University of Iowa, Communication Studies) und Katalin Lustyik (Ithaca College, Faculty Television-Radio) eine weitere Publikation zu diesem Themenkomplex nach und reagiert damit auf die "Western centric perspective" (S. 2) der europäischen Fernsehwissenschaft, die auch in der aktuell vorliegenden Publikationen mit 'europäischem' Fernsehen vor allem 'westeuropäisches' Fernsehen meint. Osteuropäische Fernsehwissenschaft erfolgt aber nicht nur an den Rändern der internationalen Fernsehwissenschaft, sondern sie nimmt auch innerhalb der osteuropäischen Medienwissenschaft, deren Fragestellungen sich vorwiegend den Printmedien, dem Journalismus und dem demokratischen Gemeindeleben widmen, einen marginalen Platz ein (vgl. S. 1). Popular Television in Eastern Europe During and Since Socialism schreibt sich in einen westeuropäischen Theorie- und Forschungskontext der Fernsehwissenschaft ein, den es gleichzeitig kritisch reflektiert (vgl. S. 1) und schlägt Analysen von Fernsehsendungen vor, die sich stark an fernsehwissenschaftlichen Konzepten und Theorien der Cultural Studies, der Memory Studies und des Audience Research orientieren. Erklärtes Ziel der Anthologie ist es, "to bring popular culture into Eastern European studies, to highlight the relevance of Eastern European realities in the study of globalization, and to de-Westernize television and media studies" (S. 9). Für die Unterrepräsentation osteuropäischer Thematiken in der internationalen Fernsehwissenschaft führen Imre, Havens und Lustyik gleich mehrere Gründe an. Als Folge eines fortbestehenden ideologischen und disziplinären Erbes des Kalten Krieges wurde osteuropäisches Fernsehen als populärkulturelles (und staatlich kontrolliertes) Medium lange nicht ernst genommen. Weder westeuropäische Forscherinnen und Forscher noch osteuropäische Filmemacher oder Autoren (hier vor allem Männer) interessierten sich für das Fernsehen. Letztere, weil sie ihren politischen Auftrag in der Herstellung politisch subversiver kinematographischer und literarischer Arbeit sahen, die sich in der europäischen Hochkultur verortet. Aber auch das intime Verhältnis des Mediums zu nationalen Sprachen und Kulturen stellt ein Hindernis dar, das Non-Natives den Zugang zu den Programmen erschwert (vgl. S. 3). Für den Zusammenhang von osteuropäischer Geschichte und Identität ist das Fernsehen aber ebenso zentral wie umgekehrt die Untersuchungen osteuropäischer Fernsehkulturen fernsehwissenschaftliche Forschung insgesamt vorantreiben könnten. Die auf dem Gebiet des postsozialistischen Fernsehens erfolgenden Transformationen seit dem Fall des Kommunismus bieten nämlich in besonderem Maße die Möglichkeit, die Funktionsweisen televisueller Technologien zu untersuchen. Die Entwicklung von staatlich kontrollierten Rundfunksystemen, die nationale, regionale und stark gefilterte westliche Programme ausstrahlten, hin zu 'transnationalen Multiplattformen', die vor allem amerikanische und westeuropäische Unterhaltungsprogramme senden, "provide[s] opportunities to examine the complex interactions among economic and funding systems, regulatory policies, globalization, imperialism, popular culture and cultural identity" (S. 2). Ausgehend von der Prämisse, dass die Episteme der Fernsehwissenschaft – 'Identität', 'Repräsentation', 'kulturelle Macht', 'populäre Form', die Bedeutung der Institutionen – für das Verständnis osteuropäischer Kultur hochrelevant sind, versammeln die Herausgeberinnen und der Herausgeber vierzehn Beiträge von Forscherinnen und Forschern aus Budapest, Groningen, Halle, Ljubljana, Prag, Salzburg und von acht Universitäten in Großbritannien und den USA, die darlegen, wie "national identity, nostalgia, globalization, local production and minority popular culture are articulated in Eastern European television culture in ways that differ significantly from Western European or Anglophone television cultures" (S. 3). Popular Television in Eastern Europe During and Since Socialism ist in drei thematische Teile unterteilt. Im ersten Teil "Popular Television in Socialist Times" finden sich fünf Beiträge über das Fernsehen in der Ära des Sozialismus mit Fallbeispielen aus Rumänien, Polen und der DDR; im zweiten Teil, "Commercial Globalization and Eastern European TV", geht es in vier Beiträgen um den Einfluss von Globalisierung und Liberalisierung der Märkte auf die Repräsentationen nationaler Identitäten mit Fallbeispielen aus Polen, Rumänien, Tschechien, Ungarn und der Slowakei; im dritten Teil, "Television and National Identity on Europe's Edges", steht der Nexus von Fernsehen und nationaler Identität im Zentrum der analytischen Bemühungen von fünf Beiträgen mit Fallbeispielen aus Rumänien, Slowenien, Tschechien, Ungarn. Obwohl die Autorinnen und Autoren des Bandes die Unterschiede der soziopolitischen Veränderungen in den Ländern des ehemaligen Ostblocks berücksichtigen, sind der transnationale Zugang und die Bezeichnung der Region als 'Osteuropa' programmatisch zu verstehen. Der Aspekt der "intricate regional and transnational connections and interwoven television cultures" (S. 5f.) wurde bisher in der Osteuropaforschung vernachlässigt. Traditionell folgten Forscherinnen und Forscher geographischen sowie disziplinären Unterteilungen und fokussierten vor allem auf die Eigenheiten der osteuropäischen Kinematographien. Damit spielten sie aber auch einer sowjetischen Politik in die Hände, die kontinuierlich damit beschäftigt war, die Differenzen zwischen den Satellitenstaaten überdimensional darzustellen. Als ein Medium, das Erinnerungsdiskurse im osteuropäischen Raum maßgeblich (mit-)gestaltet, generiert das Fernsehen Räume, in denen sozialistische Vergangenheit und der traumatische oder nostalgische Umgang damit vermittelt und diskutiert, verhandelt und verarbeitet werden. Im Zentrum des Sammelbandes steht so das Dispositiv Fernsehen als ein Instrument der Erinnerung, das zur Aufarbeitung der sozialistischen Vergangenheit und zum Verständnis der Funktionsweisen des 'kulturellen Gedächtnisses' maßgeblich beiträgt. "Spanning decades and nations, the scholarship […] on television and cultural memory in Eastern Europe not only adds to the ongoing theorization of post-communist nostalgia and trauma, but also makes a powerful case for the centrality of popular television in the production, continuation and study of cultural memory" (S. 5). Es ist wohl zutreffend zu behaupten, dass das Fernsehen mit seinen Angeboten der Vergangenheitsbewältigung in einigen Ländern des ehemaligen Ostblocks ein Versäumnis postsozialistischer Politik nachholt. Dies trifft beispielsweise auf den Fall Tschechiens zu, wo die öffentliche Diskussion aufgrund einer nach 1989 von öffentlicher Seite sehr stark vorangetriebenen 'Entkommunisierung' (Françoise Mayer), die mit einer völligen Tabuisierung der kommunistischen Vergangenheit einherging, noch am Anfang steht. Ähnlich tabuisiert ist seit dem Fall des Kommunismus die Frage, wie sich ethnische Minderheiten und speziell die Roma-Bevölkerungen in Osteuropa, in das nationale Imaginäre integrieren (lassen). Das Fernsehen spielt hier eine Schlüsselrolle, wie die Beiträge von Annabel Tremlett und Ksenija Vidmar-Horvat aufzeigen. Aus der Lektüre des hochinformativen Bandes ergibt sich ein Paradox, das ich hier als kritisches Moment zwar kurz anführen, aber gleichzeitig mit dem Hinweis versehen möchte, dass es die Diskussion über die televisuellen Kulturen der Region befruchten und weiter vorantreiben könnte. In einigen Beiträgen der Anthologie wird einerseits die Differenz zwischen aktuellem west- und osteuropäischen Fernsehen dekonstruiert, deren Konstruktion zuallererst einer westlichen Perspektive auf den Forschungsgegenstand zugeschrieben wird. Andererseits ist aber auch die Rede von der Dominanz westeuropäischer (hier auch US-amerikanischer) Fernsehformate und von der 'Entfremdung' von der "idealized, local past" (S. 7), die wenngleich als idealisiert bezeichnet, dennoch positiv konnotiert ist. Der Einfluss westeuropäischer Programme und TV-Formate auf osteuropäische TV-Produktionen wird also zum einen als transnationales Phänomen einer sich gegenseitig befruchtenden, gleichberechtigten globalen Fernsehlandschaft hervorgehoben. Zum anderen werden in der Rede von innereuropäischem Medienimperialismus (zurecht) Aspekte von Hegemonie und von Macht adressiert, die die Differenz von west- und osteuropäischem Fernsehen aktualisieren. In ihrem Artikel "Intra-European Media Imperialism: Hungarian Program Imports and the Television Without Frontiers Directive" zeigen Timothy Havens, Evelyn Bottando und Matthew S. Thatcher beispielsweise, dass Importe aus dem Westen in das ungarische Fernsehen vom wirtschaftspolitischen Versuch herrühren, Osteuropa zu rekolonialisieren. Adina Schneeweis bespricht in ihrem Beitrag "To Be Romanian in Post-Communist Romania: Entertainment Television and Patriotism in Popular Discourse" die rumänische Serie Garantat 100 %, die aus der Sicht der Autorin zwischen der Aneignung von westlichen Idealen und dem Rückzug in eine idealisierte, lokale Vergangenheit oszilliert. Möglicherweise liegt eine Annäherung an die Problematik des Widerspruchs in der konzeptuellen Fassung des Fernsehens als Schauplatz von Mikropolitiken[1], der die Zuschauerinnen und Zuschauer als am Dispositiv Fernsehen Partizipierende begreift. Der Text von Irena Carpentier Reifová, Katerina Gillarova und Radim Hladik mit dem Titel "The Way We Applauded. How Popular Culture Stimulates Collective Memory of the Socialist Past in Czechoslovakia – The Case of the Television Serial Vypravej and its Viewers" scheint mir diesbezüglich richtungsweisend. In ihrem auf empirischen Daten aus Zuschauerbefragungen beruhenden Beitrag beanstanden die Autorinnen und der Autor, dass die im Rahmen der Memory Studies erfolgte Forschung bisher noch keine schlüssige Analyse der "principles of commemoration, remembering and forgetting" anzubieten hätte, "that help post-socialist Europe make sense of the state-socialist experience" (S. 200). Die Frage, die sie anhand der Zuschauerbefragungen beantworten möchten, ist jene, wie das Fernsehprogramm in die Herstellung postsozialistischer Identität interveniert. Anstatt allerdings einseitige Diagnosen zu stellen, die in miteinander konkurrierenden Erinnerungsgenres wie Nostalgie, Trauma oder Amnesie festgeschrieben sind, leiten Carpentier Reiferová, Gillarova und Hladik aus ihrer qualitativen Analyse ab, dass sich diese Konzepte vielmehr gegenseitig bedingen und "diskursiv koexistieren" (S. 200). Abgesehen von ihrer unanfechtbaren wissenschaftspolitischen Bedeutung innerhalb einer neu perspektivierten europäischen Fernsehwissenschaft sei die Anthologie Popular Television in Eastern Europe During and Since Socialism auch als höchst spannendes und breit gefächertes Nachschlagewerk für aktuelle Fernsehproduktionen aus dem osteuropäischen Raum empfohlen. --- [1] Andrea Seier: Mikropolitiken der Medien. Mediale Praktiken der Selbstführung. (Habilitationsschrift, eingereicht an der Universität Wien im März 2013, erscheint 2014 im LIT Verlag).
Seit dem Aufkommen der Visual Culture Studies um 1990 in den USA und Großbritannien prägen eine Abgrenzungsrhetorik und der Kampf um die Deutungshoheit von visuellen Kulturen der Gegenwart das Verhältnis zwischen den Visual Culture Studies und der Kunstgeschichte. Susanne von Falkenhausen, emeritierte Professorin für Neuere Kunstgeschichte mit Schwerpunkt Moderne an der Humboldt-Universität zu Berlin, setzt sich in ihrer Publikation Jenseits des Spiegels mit der Lektüre elementarer Texte aus beiden Gebieten auseinander und lässt diese Dynamik hinter sich. Das Sehen verbindet beide Wissenschaftsdisziplinen, es strukturiert "die Visualität der Visual Culture Studies ebenso grundsätzlich wie den Modus Operandi der Kunstgeschichte" (S. 15). Beim ersten Durchblättern des Buches über Das Sehen in Kunstgeschichte und Visual Culture Studies war ich etwas enttäuscht, dass es gar keine Bilder enthält, nur eine einzige, schlichte Grafik. Aber schon das detaillierte, sehr aufschlussreiche Inhaltsverzeichnis beruhigte mich wieder und ein Streifzug durch das Literaturverzeichnis versöhnte mich vollends, waren dort neben den von mir erhofften Quellen noch viele, viele mehr zu finden. Das abschließende Personen- und Sachverzeichnis versprach eine für die eingehende Auseinandersetzung oder auch nur die Orientierung im Thema Visualität hervorragend geeignete Publikation. Im ersten der sieben Kapitel des Buches geht die Autorin auf die Kunstgeschichte ein, deren Textmaterial üblicherweise das Sehen als Voraussetzung ihrer Praxis unausgesprochen lässt. Sie wählte jedoch solche Texte aus, die von einem jeweils unterschiedlichen "Modell für die Blickbeziehungen zwischen Objekt (Kunstwerk) – BetrachterIn – KünstlerIn" (S. 20) ausgehen. Es handelt sich dabei um Erwin Panofskys Perspektive als symbolische Form (1927) und Ernst Gombrichs Art and Illusion. A Study in the Psychology of Pictorial Representation (1960), die beide eine lange und kontroverse Rezeptionsgeschichte haben, auf die von Falkenhausen in ihrer kritischen Analyse eingeht. Mit Otto Pächts Methodisches zur kunsthistorischen Praxis (1977) folgt ein selten rezipierter Text. Weiters wird Michael Baxandalls Painting and Experience in Fifteenth Century Italy (1972) einer selektiven Lektüre unterzogen, ebenso wie Svetlana Alpers' The Art of Describing (1983), der als "Initialzündung für den Begriff der Visual Culture angesehen" (S. 21) wird. Den Abschluss der untereinander und gleichermaßen mit vielen anderen kunstgeschichtlichen Texten in Verbindung gebrachten Lektürebeispiele bildet Wolfgang Kemps Der Anteil des Betrachters (1983). Das zweite, deutlich kürzer ausgefallene Kapitel ist den Visual Culture Studies gewidmet, die als junge Wissenschaftsdisziplin "noch keinen der Kunstgeschichte vergleichbaren Kanonisierungsprozess durchlaufen" (S. 23) haben und in einer kurzen Genealogie dargestellt werden. Da die für die folgenden sieben Kapitel ausgewählte Literatur auf den Blicktheorien von Sartre und Lacan aufbaut, wird im dritten Kapitel zu 'Gaze' eine Konzeptualisierung des Sehens anhand dieser zwei Autoren vorgenommen, mit Texten von Norman Bryson unter dem Titel "Das bedrohte Subjekt" und Margaret Olin im Abschnitt "Der böse Blick und ein Gegenmodell" abgerundet und durch ein Zwischenresümee abgeschlossen. In "Visuality/Visualität: Das Sehen im kulturellen Feld", dem vierten Kapitel, fragt die Autorin zu einem Text von W. J. T. Mitchell "What is Visual Culture?", diskutiert mit Nicholas Mirzoff "Visualität als Ereignis"und kommt mit Mieke Bal, die "nie als Propagatorin der Visual Culture Studies im engeren Sinn aufgetreten ist" (S. 163), zu dem Schluss: "Sehen ist lesen" – der zugleich der Titel ihres Textes ist. Als verbindendes Element zwischen Bryson, Mirzoff und Bal wird die "Tendenz eines gewissen Präsentismus" festgehalten, bei Mirzoff sind es die "des faszinierten und manipulierten Konsumenten", bei Bal und Bryson die "des sehend lesenden Interpreten" (S. 171). In Kapitel fünf, "Sehen als politische Ressource in den Visual Culture Studies", werden Brysons Text "Todd Haynes's Poison und Queer Cinema", der 1999 in Invisible Culture. An Electronic Journal for Visual Studies erschienen ist, und der 1992 publizierte "The Oppositional Gaze – Black Female Spectators" von bell hooks (deren Name leider nicht immer kleingeschrieben wird) einer eingehenden Lektüre unterzogen. hooks' Beitrag kam "aus der Filmwissenschaft, die spätestens seit Mulvey stark von feministischen Positionen geprägt war und sich intensiv mit Fragen der Betrachterpositionen und den Blickregimes auseinandersetzte" (S. 182). Als Gemeinsamkeit von Bryson und hooks benennt von Falkenhausen, die sich selbst als Feministin bezeichnet, "dass sie ihre Evidenzen aus den Elementen der Erzählung, des filmischen Plots holen" (S. 186), was sie als "methodische Folge der identitätspolitischen Agenda der Visual Culture Studies" (ebd.) bezeichnet. Die seit Stuart Hall theoretisierte "Gleichsetzung von Kultur mit der Produktion von Bedeutung und von visuellen Objekten als Orten derRepräsentationsolcher Bedeutung" (S. 186, Herv. i. Orig.) führe, wie sie explizit salopp kritisiert, zu einer "inhaltistischen Haltung gegenüber Gegenständen der Interpretation" (S. 187). Der darauffolgende "Integrationsversuch aus der Kunstgeschichte"folgt einem von Lisa Bloom 1999 herausgegebenen Reader zu den Visual Culture Studies und versucht, die Kunstgeschichte "mit den Blickkonzepten der Visual Culture zu erneuern" (S. 187). Gegen Ende dieses Kapitels versammelt die Autorin eine Menge aufgetauchter Fragen zu den Evidenzen und kommt zu folgendem Schluss: "Es gibt also kein Objekt, sondern Objekte, auf die sich Evidenzen beziehen müssen. Die Objekte wie die Evidenzen ergeben sich aus den Fragen, nicht umgekehrt. Beide sind nicht in dem Sinnobjektiv, dass sie objekthaft da sind; sie sind extrem diskursabhängig und müssenkonstruiertwerden" (S. 192, Herv. i. Orig.). Den Abschluss und quasi die Ergänzung dieses spannenden Kapitels bilden die "Evidenzen des Nicht-Sichtbaren", die sich mit Repräsentationspolitiken und Rassismen auseinandersetzen. Das vorletzte Kapitel ist mit der Lektüre zweier Texte von Nicholas Mirzoff – einer aus dem Jahr 1998, der andere von 2011 – "Utopische[n] Blickregimes: Diaspora und Countervisuality" gewidmet, bevor im letzten Kapitel unter dem Titel "Fragen der Ethik: Sehen als wissenschaftliche Handlung" Dimensionen herausgeschält werden, die "zwischen den beiden Feldern Kunstgeschichte und Visual Culture Studies verhandelbar sind" (S. 223). Als Kernproblem hat sich die Frage nach "der Anerkennung von Alterität, von Fremdheit im Akt des Sehens herausgestellt" (S. 25, Herv. i. Orig.). "Wenn jedoch die Spannung zwischen dem interpretierenden Subjekt und der Fremdheit des Objekts wachgehalten wird, erzeugt sie eine Vermischung, welche die Kritikfähigkeit gegenüber jenen Macht- und Diskursverhältnissen wesentlich hervorbringt, aus denen unsere Gegenstände hervorgehen und in denen wir arbeiten" (S. 26f.). Diesen Auftrag können und sollten die interessierten Leser/innen in ihre eigenen Forschungen und Überlegungen und in ihr Agieren in der visuellen Gegenwartskultur mitnehmen.
Als sich 2007 eine Arbeitsgruppe zusammenfand, um über "Ethics, Evidence and Truth" in der Theatergeschichtsschreibung nachzudenken, war noch nicht abzusehen, dass sich die abschließende Publikation des Projekts knapp zehn Jahre später wie ein Kommentar auf die gegenwärtige gesellschaftspolitische Wirklichkeit lesen wird. Die Forschungsgruppe der TaPRA (The Theatre and Performance Research Association) beschloss ihr Nachdenken über die ethischen Implikationen theaterhistoriographischen Arbeitens 2016 mit dem Sammelband "Theatre History and Historiography. Ethics, Evidence and Truth" – just in dem Jahr, in dem die Redaktion des Oxford English Dictionary "post-truth" zum internationalen Wort des Jahres wählte.[1] Das Wort bezeuge, so die Jurybegründung, "that truth itself has become irrelevant"[2]. Das Gegenteil fordert die vorliegende Publikation für die historiographische Arbeit ein. Der unbedingte Versuch, "historical truth" zu vermitteln, sei – entgegen postmoderner Einwendungen – die gemeinsame Basis für Geschichtsschreibende (S. 4). Zwei weitere Maximen vergegenwärtigt der Sammelband angesichts neuerlicher Aushandlungen über die Deutungshoheit von Geschichte: die verantwortungsvolle Beteiligung am Prozess der Geschichtsschreibung einerseits und andererseits die Verständigung über Vergangenheit aus der Gegenwart heraus. "History matters", postuliert die Gruppe für die Theatre Studies und wendet sich damit gleichsam gegen einen von David Wiles diagnostizierten "Presentism" (S. 3). Dass eine ethisch verantwortungsvolle Historiographie theoretisch schnell gefordert, in der Praxis aber stetig neu zu justieren ist, zeigen die Beiträge des Bands allesamt. Angelegt in drei Teilen nähert er sich dem Komplex a-chronologisch und in 'kleinen Erzählungen': Jeder der insgesamt acht Autoren entwickelt größere ethische Fragestellungen am konkreten Material aus der eigenen Forschung heraus. Die Beitragenden – mehrheitlich aus den britischen Theatre Studies – eint dabei sowohl die Anerkennung von Geschichtsschreibung und Theater als sich bedingende soziale Praxen, als auch der Wunsch nach einem'Ethical Turn'für die Theaterhistoriographie. Im Sinne der mikrohistorischen Verfahrensweise eröffnet der erste Teil programmatisch mit dem Versuch, verfestigte Makronarrative aufzubrechen: Re-Writing (Master) Narratives – so der Titel von Teil 1 – steht programmatisch für die Beiträge von David Roberts, Rosemarie K. Bank und Vivien Gardner. Roberts nähert sich der Schwierigkeit biografischen Schreibens anhand der Schauspielerbiografie Thomas Bettertons. Banks unterzieht die Festschreibung einer US-amerikanischen Theaterfeindschaft im "langen 19.Jahrhundert" der kritischen Lektüre. Sie scheidet zwischen "anti-theatrical actions" und "anti-theatrical prejudice" (S. 49) und argumentiert, dass "actions", wie Stückzensur und Theaterschließungen, nicht notwendig auf eine generelle Befangenheit gegen Theater schließen lassen, sondern durch theaterfremde Faktoren motiviert gewesen sein könnten – das Narrativ der Theaterfeindlichkeit also durch Fakten allein nicht hinreichend gestützt sei. Eine Argumentation, die eine wichtige Sichtweise auf institutionell definierte Theaterfeindlichkeit betont, auf theateranthropologischer Ebene jedoch wiederum neu zu befragen wäre. Viv Gardner beschließt Teil 1 mit einer kritischen Rückschau auf ihr eigenes Forschen zum 5.Marquis of Anglesey (1875–1905), bekannt für sein durch Loïe Fuller inspiriertes Tanzen. Für den Sammelband dekliniert Gardner ihre Wahrheit als eine mögliche Wahrheit zu dessen exzentrischen Leben, setzt die Ergebnisse in Beziehung zum Forschungsakt – und hat damit eine unkonventionelle aber besonders fruchtbare Form gefunden, den historiographischen Prozess mittels der Maximen "reliability" and "trust" (S. 61) praktisch nachvollziehbar zu machen. Schonungslos ehrlich lesen sich die kursiven Passagen des Artikels, in denen Gardner nach ihren – zum Teil autobiografisch motivierten – Auswahlkriterien fragt, Notizen ihres Arbeitstagebuchs preisgibt und Informationen korrigiert, die sie 2007 noch als gesichert weitergab. Gardner rekonstruiert das mediale Eigenleben ihres selbstgeschaffenen Narrativs, das in Folge eines Guardian-Artikels in Internet-, Print- und Radiobeiträgen proliferierte und – nun außer ihrer Kontrolle – fortgeschrieben wurde. Daraus schlussfolgernd warnt sie vor der Überinterpretation einer Person und plädiert für die Balance zwischen "'controlling' the narrative and keeping the past open and available for 'diverse purposes'" (S. 73). Die folgenden drei Beiträge eint die Entscheidung der Herausgeberinnen, sie als 'Other' Histories in Teil 2 des Bands zu versammeln. Dabei wird das Einbringen marginalisierter Themen in den akademischen Diskurs als ethischer und politischer Akt zugleich markiert. Katherine Newey versteht ihre Fallstudie zu Frauen im viktorianischen England als Teil einer politischen feministischen Historiographie, als "Geschichte von unten". Jede der für die Studie ausgewählten Frauen stellt Newey vor ethische Fragen: So etwa die Theaterautorin Florence Bell (1851–1930), die gegen die Suffragetten-Bewegung ihrer Zeit agierte und damit auch die heutigen Positionen Neweys, die sich als "feminist historian" (S. 91) begreift, herausfordert. In Poonam Trivedis Beitrag über das English Garrison Theatre im kolonialen Indien sind 'die Anderen'nicht die Kolonialisierten, sondern die Kolonisten; genauer: Laienschauspieler der Britischen Armee, die westliches Theater in Indien populär gemacht haben sollen. Trivedi bemängelt die Geschichtsschreibung über koloniales Theater. Dessen Geschichte sei bisher lediglich anekdotisch – von englischer Seite – oder verklärend – von indischer Seite – erzählt worden. Beides verdecke die historische Bedingtheit indischer und englischer Theatertradition und mache eine Geschichte der Kolonisatoren aus postkolonialer Perspektive umso dringlicher. Mit der Perspektivierung eines Gegenstands und den damit verbundenen Setzungen beschäftigt sich auch Claire Cochrane. In Facing the Face of the Other zeichnet sie eine kurze Institutionsgeschichte des Nia Centre for African and Caribbean Culture nach und fragt nach den Gründen für dessen Schließung. Denn das Kunstforum, das 1991 in Manchester als erstes "black-led arts centre in Europe" (S. 121) gegründet wurde, scheiterte nach nur sechs Jahren wegen finanzieller Probleme. Cochrane positioniert sich selbst als "outsider historian" (139) mit "'white' skin pigmentation" (S. 125) und beschreibt dann endogene und exogene Faktoren für die Insolvenz, das aufgewühlte Umfeld des Projekts sowie die sozialen Erwartungen, die mit ihm verbunden waren. Sie lässt hierfür "Insider", d.h. "black perspectives", und "Outsider" (S. 139) zu Wort kommen und sieht sich als Wissenschaftlerin in der Verantwortung für ein ausgewogenes Gespräch zwischen verschiedenen Gruppen und Personen im multikulturellen Großbritannien. Teil 3 beschließt den Band mit The Ethics of Evidence. Alison Jeffers und Heike Roms fragen nach den ethischen Herausforderungen von Erinnerung, Material und Archiv. Beide beschäftigt deren Subsistenz zwischen Verflüchtigung und Verfestigung. Alison Jeffers bettet ein Social-Archiving-Projekt rund um ein Graffito in Nord-Belfast in theoretische Überlegungen zu kollektivem Gedächtnis. Mit Foucaults Urteil – "es gibt kein unschuldiges Archiv" – fragt sie nach den ethischen Grenzen, das Graffito aus der Zeit des Nordirlandkonflikts für die Menschen der benachbarten Wohnsiedlung als soziales Archiv fruchtbar zu machen. Heike Roms führt abschließend Performance, Ethics und Memory eng, indem sie die performative Seite sowohl von Erinnerung als auch von historischen Zeugnissen betont und hierin Wege für künstlerische Forschung (Artistic Research) sieht: Performative Formate könnten die Hierarchien zwischen Wissenschaftlern, deren untersuchten Subjekten und den Rezipienten neu herausfordern. Der Bogen, den der Sammelband – von der neuzeitlichen Schauspielerbiografie bis zu gegenwärtigen Performances – spannt, ist groß, der gemeinsame wissenschaftsethische Nenner weit gefasst. Man mag darüber und über die Tatsache verzweifeln, dass Geschichtsschreibung als kulturelle und damit auch ethische Praxis eine relative Angelegenheit ist; Gegenstände, Kontexte und Interpretationen verwoben sind und auch "historical truth" keine Letztgültigkeit beanspruchen kann – oder gerade darin den Reiz der eigenen Arbeit und der vorliegenden Publikation erkennen. Für sich genommen bieten die Beiträge zweierlei: Die konkrete inhaltliche Beschäftigung mit sehr diversen (zeit)historischen Gegenständen sowie die theoretische Reflektion darüber. So liest sich der Band gleichermaßen als Werkstattbericht und Protokoll eines Status quo der angelsächsischen Theaterhistoriographie. Das Ausstellen wissenschaftlichen Forschens als work in progress und das Einfordern eines ethischen Umgangs mit historischen Subjekten und historiographischen Positionen sind die Errungenschaften der Publikation. Sie zeigt aber auch, wie schwer es ist, eben jene Formeln vom "reflektierten Umgang" und von "verantwortungsvoller Haltung" ins konkrete zu wenden. Die verschiedenen Verständnisse vom Gegenstand Theater, die der Sammelband ebenso spiegelt wie die Perspektiven- und Theorienvielfalt der Theatre Studies, erschweren das gemeinsame Nachdenken über ethische Grundlagen zusätzlich. Sie machen das Abstecken eines Grundes, auf dem sich theaterhistorisches Forschen bewegt, aber umso notwendiger. Denn zuvorderst findet nur das, was als Theater untersucht wird, Eingang in Theatergeschichtsschreibung. Es mag dann genau an diesem gemeinsamen Grund liegen, ob sich die Summe der einzelnen Teile – etwa die, des breit aufgestellten Sammelbands – in der Betrachtung zum Kaleidoskop fügt oder als Flickenteppich geriert. --- [1] Die Gesellschaft für deutsche Sprache wählte im selben Jahr "postfaktisch" zum Wort des Jahres. [2] English Oxford Dictonaries, URL: https://en.oxforddictionaries.com/word-of-the-year/word-of-the-year-2016 [Zugriff 20.04.2017].
In der vorliegenden bio-bibliografischen Sammlung wurden Leben und Werk von Wissenschafterinnen in und aus Österreich erforscht. Der zeitliche Schwerpunkt erstreckt sich vornehmlich von der Jahrhundertwende bis zur Nachkriegszeit. Erforscht wurde die erste Generation von Wissenschafterinnen an den Universitäten Wien, Graz und Innsbruck. Vollständig aufgenommen wurde die erste Generation von Frauen, die sich in Österreich habilitieren konnte, die ersten Dozentinnen und Professorinnen. Es handelt sich hier um "klassische" Wissenschaftskarrieren, die sich in ihrem Ablauf mit denen von Männern vergleichen lassen. Ausführliche Berücksichtigung erhielt aber auch der außerakademische Bereich. Von insgesamt 331 Lexikonartikel sind ca. ein Drittel aus dem medizinischen, psychologischen und therapeutischen Feld. Bedingt durch die historischen Zäsuren der beiden Weltkriege treten in zahlreichen Beiträgen Verfolgung, Flucht, Emigration und auch Remigration ins Zentrum der einzelnen Biografien. Die Frage nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zu den in Österreich Verbliebenen, nach unterschiedlichen Lebensbedingungen und -chancen liegt nahe. Über den individualbiografischen Aspekt hinaus wird ein historischer Eindruck über kulturelle und politische Strömungen und ihre Einflüsse auf die wissenschaftliche Forschung und Lehre geschaffen. Vor allem aus feministischer Perspektive stellt das Lexikon ein Desiderat dar, da in Österreich die Beteiligung von Frauen an der Wissenschaftsproduktion und -vermittlung von der Jahrhundertwende bis in die späte Nachkriegszeit erstmals umfassend recherchiert, dokumentiert und erforscht worden ist. Anliegen war es, frauenspezifisches wissenschaftliches Wirken nicht als die Geschichte einiger weniger darzustellen - die Vielzahl der hier versammelten Beiträge spricht vielmehr für eine breite Emanzipationsbewegung im Bereich der Bildung und Wissenschaft. Deutlich gemacht wurden die vielfältigen Dimensionen, über die sich Frauen den wissenschaftlichen, Bereich als Berufs- und Wirkungsfeld erschließen konnten. Dabei wurde nicht so sehr die Erforschung der persönlichen und privaten Lebensumstände in den Vordergrund gestellt, sondern der Schwerpunkt der Beiträge liegt auf einer umfassenden Werkinterpretation. Die von zahlreichen Autoren und Autorinnen aus den einschlägigen Fachgebieten verfaßten Beiträge gewähren damit ebenso Einblick in eine faszinierende Vielfalt von Erfahrungshorizonten und Lebensmustern wie auch in das engagierte Erkenntnisinteresse, welches die unterschiedlichen wissenschaftlichen Laufbahnen bestimmte. Dieses frauenspezifische Lexikon revidiert bisher übliche Sichtweisen auf die österreichische Wissenschaftsgeschichte. in denen nach wie vor der weibliche Anteil unterrepräsentiert vertreten ist. Das Lexikon kann nicht zuletzt auch auf Grund seiner Interdisziplinarität und der Darstellung des Exils österreichischer Wissenschafterinnen einen Beitrag zu einem umfassenderen Verständnis der Verwobenheit österreichischer Wissenschaftstraditionen mit dem inter/nationalen Kultur- und Wissenschaftstransfer leisten. ; In the present bio - bibliographic collection the life and work of female scientists, working in Austria or being originally from Austria, have been the center of research. The temporal focus extends primarily from the turn of the century to the post-war period. The first generation of female scientists at the Universities of Vienna, Graz and Innsbruck were explored. The first generation of women who achieved a habilitation in Austria, as well as the first female lecturers and professors were collected in their completeness. Those "classical" science careers can be compared with those of men. However, a detailed consideration was also given to the non- academic area. From a total of 331 lexicon articles about one-third is dedicated to the medical, psychological and therapeutic field. Due to the historical turning points of the two world wars persecution, flight, emigration and also re-migration of the female scientists move into the focus of numerous of the individual biographies. The question of similarities and differences, according to different living conditions and opportunities to those who remained in Austria, is obvious. Beyond the individual biographical aspect, a historic impression about cultural and political trends and their impact on scientific research and teaching is provided. Especially from a feminist perspective, the lexicon is a desideratum, as it is the first time that in Austria the participation of women in the production and placement of science during the considered period got comprehensively researched and documented. With the help of the variety of the textual contributions the overall concern was to depict the wide emancipation movement in the fields of education and the sciences rather than the history of a few female scientists working in specific fields. Clearly the multiple dimensions in which women could develop their scientific abilities were a focal point thus the personal and private life circumstances got rather set aside to provide the interested reader with a comprehensive interpretation of their scientific contributions. The numerous biographies written by authors specialized in the relevant areas grant an insight into a fascinating diversity of horizons of experiences and life patterns as well as into the scientific interest, which determined their various scientific careers. This women-specific lexicon introduces an alternative perspective on the Austrian history of science, where female contributions so far were mainly under-represented. Eventually the lexicon due to its interdisciplinarity and its representation of the forced exile of many female scientists, achieves to contribute to a broader understanding of the interconnectedness of the Austrian tradition of science with the inter/national culture- as well as the science transfer.
Es fällt nicht gerade leicht, innerhalb des Dschungels an gegenwärtig zirkulierenden Filmtheoremen Orientierung bzw. Überblick zu gewinnen. Wollte man eine kartografische Zusammenschau der aktuellen Filmansätze erstellen, dann würde wohl jenes Deleuzsche Rhizom herauskommen, das mittlerweile zum Quasi-Dingsymbol postmoderner Vielfalt geworden ist; ein zentrumsloses, enthierarchisiertes Netzwerk an Theoremen und Methoden mit grenzenlosen Koppelungs- und Kombinationsmöglichkeiten, das sich ständig neu formiert. Zwar verdichten sich die unterschiedlichen Forschungsansätze immer wieder zu wirkungsmächtigeren Theoriekonstellationen und Knotenpunkten (Gender Studies, Cultural Studies, New Historicism), von einer "vorherrschenden" bzw. bahnbrechenden Theorie kann jedoch kaum mehr gesprochen werden. Vielmehr sehen wir uns mit einer Perspektivenvielfalt auf das Medium Film konfrontiert. Ging es "klassischen Filmtheoretikern" wie Arnheim, Balázs, Kracauer oder auch Eisenstein noch um Legitimation bzw. Abgrenzung des "Films als Kunst/Sprache" gegenüber anderen Ausdrucksformen und daran anschließend um allgemeingültige, systematisch-normative Aussagen über das Wesen, die Funktionsweise und das (ästhetische, politische, gesellschaftliche) Potential des Films, so haben sich die filmtheoretischen Diskurse in den letzten Jahrzehnten zu einem anderen, geradezu konträren Verständnis von Film entwickelt. Es geht nun nicht mehr um ein essentialistisches Ergründen geniun filmischer Mittel, also nicht mehr um ein (anfänglich vor allem filmpolitisch notwendiges) Ab- und Ausgrenzen, sondern tendenziell um Grenzüberschreitungen, um ein Ent-Grenzen der filmischen "Gattungsgrenzen" gegenüber anderen kulturellen Bereichen. Film wird in zunehmendem Maße als hybrides, intertextuelles bzw. intermediales Konstrukt betrachtet. Vor allem auch ist das Interesse am Akt des Sehens bzw. am Zuseher immer größer geworden. Der Tod des Autors führte zur Geburt des Lesers. "Wie wird Film erfahren?", "Welche Rolle spielt der (filmische bzw. film-erfahrende) Körper als Medium kultureller Erinnerung?", das sind Fragen, die momentan insbesondere innerhalb der Filmphänomenologie als Subdisziplin der Filmphilosophie und der Kognitionspsychologie verhandelt werden. Die Einbettung des Films in immer größere gesellschaftliche Kontexte hängt eng mit den Erkenntnisschüben und theoretischen Impulsen zusammen, die die Filmtheorie im Laufe ihrer Entwicklung aus anderen wissenschaftlichen Unternehmungen erhalten hat und erhält: Semiotik, Strukturalismus Psychoanalyse, Psychologie, Phänomenologie, Philosophie, Feministische Theorie, Soziologie, Textkritik etc. Auch das klassische Dreieck "Filmtheorie-Filmanalyse-Filmgeschichte" erfuhr seit der französischen Filmsemiotik und ihrer Rezeption zahlreiche Umgestaltungen bzw. Demontagen. So wird beispielsweise im Rahmen des gegenwärtig gleichermaßen kontroversiell wie aufmerksam rezipierten neoformalistischen Projekts (David Bordwell, Kristin Thompson, Noel Carroll) durch eine Vernetzung dieser drei Teildisziplinen, die ursprünglich unabhängig voneinander funktionierten, der Versuch unternommen, eine "Historische Poetik des Kinos" zu verfassen. Die Möglichkeiten, sich im deutschsprachigen Raum insbesondere über aktuelle filmwissenschaftliche Theorieformationen zu informieren, sind peinlich gering. Mit Ausnahme der von Franz-Josef Albersmeier herausgegebenen Textkompilation Texte zur Theorie des Films oder mittlerweile schon vergriffenen Einführungen in die Filmtheorie wie die deutsche Übersetzung von Andrew Tudors Film Theories bzw. Peter Wuss' Theoriegeschichte Kunstwert des Films und Massencharakter des Mediums blieben Überblicksdarstellungen im deutschsprachigen Raum bislang eine Leerstelle. Auch die angeregten und ständig expandierenden Filmdebatten aus dem angloamerikanischen Raum oder aus Frankreich werden mit erheblicher Verspätung rezipiert und übersetzt. Hin und wieder erscheinen Bücher, die, ähnlich einem Deus ex Machina, wie gerufen kommen, Versäumnisse nachzuholen, Verwirrungen aufzulösen und in profunder Zusammenschau das zu bieten, was man sich bislang in mühsamer Kleinarbeit aus Aufsätzen und Buchkapiteln zusammensuchen musste. Ein ebensolches Buch ist jüngst im Theo Bender Verlag (Mainz) erschienen. Die von dem Medienwissenschaftler Jürgen Felix in der Reihe filmforschung herausgegebene Einführung in die (post)modernen Filmtheoreme mit dem Titel Moderne Film Theorie hat es sich zum Ziel gemacht, die Lücke auf dem Gebiet der filmtheoretischen Einführungen zu füllen. Dementsprechend beginnt das Vorwort mit einem Kommentar zur aktuellen, vorhin schon skizzierten filmwissenschaftlichen Lage und Misere. Da eine umfassende Darstellung der Geschichte der Filmtheorie von den Anfängen bis heute den "editorischen Rahmen [.] gesprengt" (S. 9) hätte, konzentriert sich der vorliegende Band auf die aktuellen Filmtheorien. Er bildet somit den zweiten Teil eines Großprojektes, im Rahmen dessen wir noch einen Band über die klassische Filmtheorie von Münsterberg bis Kracauer erwarten dürfen. Das Buch ist ein äußerst geglückter Versuch, durch klug angesetzte Stichproben den aktuellen Status quo vadis (Blumfeld) filmtheoretischer Debatten auszumessen, durch Gegenüberstellung von Positionen und Paradigmen Einblick in zentrale Problembereiche und Entwicklungen zu bieten und darüber hinaus - durchaus einem Lehrbuch vergleichbar - dem Leser Anregungen, Einblicke, Mittel und Zwecke bereitzustellen, um das Gelesene in eigenständiger und weiterführender Weise am Material Film zu erproben. Denn es finden sich in dem Buch nicht nur einführende Aufsätze zu den derzeit interessantesten und besten Projekten der neuen Theorie, sondern im Anschluss an die Beiträge (neben ausführlichen Bibliografien) jeweils kurze Filmanalysen (u. a. zu Blue Velvet, Pulp Fiction, JFK, Winterschläfer, His Girl Friday oder Saving Privat Ryan), in denen die zuvor dargestellte Perspektive in exemplarischer Weise veranschaulicht wird. Hier wird nicht in selbstgefälliger und voraussetzender Weise mit Wissen gegeizt, sondern Wissen vermittelt und angewandt. Die Autoren stammen allesamt aus dem Kontext (medien)wissenschaftlicher Forschung und Lehre: Lorenz Engell, Oliver Fahle, Britta Hartmann, Knut Hickethier, Hermann Kappelhoff, Frank Kessler, Heike Klippel, Drehli Robnik, Joachim Paech, Hans J. Wulff und der oben schon genannte Herausgeber Jürgen Felix. Stellt sich nun die Frage, wann und wo so etwas wie ein "Beginn" der Modernen Filmtheorie festgemacht werden kann. Die historische Fixierung kann nur willkürlich sein, ist im Fall des vorliegenden Buches jedoch überzeugend gewählt. Ausgehend von der im Vorwort formulierten Überlegung, wonach die von Truffaut, Godard und Konsorten in den 50er Jahren betriebene Autorenpolitik nicht nur den Beginn des modernen Autorenfilms markiert, sondern sich die Autorentheorie "bis heute als Schnittstelle zwischen den akademischen und den populären Diskursen über das Kino" (S. 10) behauptet hat, bildet ein Beitrag von Jürgen Felix über das Autorenkino den Auftakt des Buches. Felix bietet in seinem Beitrag nicht nur einen ausführlichen Abriss der Geschichte der Autorentheorie, sondern legt sein Augenmerk insbesondere auf die Krisen, Infragestellungen und Neuerungsschübe, die diese Theorie im Laufe ihrer Entwicklung erfahren hat: Wie wurde aus einer "politique des auteurs" die "auteur theory"? Was passierte mit dem Autor-Subjekt, nachdem es vom Strukturalismus für tot erklärt wurde? Gibt es trotz postmoderner Identitätsspiele so etwas wie eine Rückkehr des Autors? - um nur einige Fragestellungen herauszugreifen. Im Gegensatz zu den anderen Beiträgen, die stellenweise etwas zu deskriptiv, gegenüberstellend und neutral verfasst sind - so werden manchmal wichtige Fragen aufgeworfen, ein Beantwortungsversuch bleibt jedoch aus -, macht Jürgen Felix auch seine persönliche Perspektive auf die thematisierten Problembereiche transparent. Knut Hickethier widmet sich in seinem Beitrag einer im deutschsprachigen Raum - zumindest unter diesem Etikett - noch kaum rezipierten Theorie: dem "genre criticism". Genretheorie bzw. Genreanalyse konnten sich vor allem in den 70er Jahren im Windschatten von Strukturalismus und Filmsemiotik etablieren, Genres wurden in Analogie zu sprachlichen Systemen und Strukturen verstanden. "Genretheorie gibt eine Definition des Genres, beschreibt und systematisiert die narrativen Muster eines Genres, liefert eine Ikonographie der Genres, also eine Beschreibung der visuellen Stereotypen und Standards, stellt das Verhältnis von Ideologie und Geschichte dar, untersucht das Verhältnis von Genre und filmindustriellen Produktionszusammenhang und analysiert das Verhältnis von Genre und Autorenschaft." (S. 69) Neben einer Einführung in die allgemeinen Dimensionen und die Geschichte der Genretheorie werden u. a. folgende Problemkomplexe erörtert: Wo verläuft die Grenze zwischen Genre und Gattung? Kann die klassische Dichotomie Autorenkino/Genrekino überhaupt noch Gültigkeit beanspruchen? Welche hinreichenden bzw. notwendigen Elemente müssen gegeben sein, damit von einem Genre gesprochen werden kann? Wie lange beträgt die "Inkubationszeit" eines Genres? Welchen historischen Veränderungen ist ein Genre unterworfen? Können Genres überhaupt in einer systematischen Zusammenschau erfasst und voneinander abgegrenzt werden? Welche Versuche einer solchen Katalogisierung der Genres hat es in der Geschichte gegeben? Wie sieht die Genrepraxis im Kino aus? Wie gestaltet sich das Verhältnis von Genre und Mythos? Neben weiteren Beiträgen über Filmsemiotik (von Frank Kessler), Kino und Psychoanalyse (von Hermann Kappelhoff), Feministische Filmtheorie (von Heike Kippel), Intermedialität des Films (von Joachim Paech) und Neoformalismus, Kognitivismus, Historische Poetik des Kinos (von Britta Hartmann/Hans J. Wulff) seien hier noch zwei Essays hervorgehoben, die sich mit gegenwärtig besonders prominenten Denkweisen über Film beschäftigen. Seit einiger Zeit hat sich ein angeregter Dialog zwischen Philosophie und Film entsponnen. Amerikanische wie europäische Philosophen entdecken zunehmend die epistemologische Bedeutung der filmischen Wahrnehmung und des Film-Sehens. Hierbei rekurrieren sie auf grundsätzliche Fragen, die in der Perspektive anderer Forschungsansätze längst als obsolet und anachronistisch gelten (beispielsweise auf die Frage aller Fragen: "Was ist Film?"), und versuchen eine "Ontologie des Films" zu erarbeiten. Verwiesen sei hier auf Stanley Cavell, die "heute wohl wichtigste filmphilosophische Stimme in den USA",1 und sein Schlüsselwerk The World Viewed. An Ontology of Film sowie auf Gilles Deleuzes wegweisendes filmphilosophisches Werk Das Bewegungs-Bild bzw. Das Zeit-Bild. Deleuze beruft sich bei seinem Versuch einer Klassifizierung der Bilder und Zeichen einerseits auf den Zeichentheoretiker Charles S. Pierce, andererseits setzt er dort an, wo die Filmphilosophie ihre Initialzündung erlebt hat: bei Henri Bergsons Reflexionen über Zeit und Bewegung (Matière et mémoire, 1896), die ungefähr mit der Entstehung des Kinos zusammenfielen. Der Filmphilosophie sind im vorliegenden Buch zwei Beiträge gewidmet: Lorenz Engell und Oliver Fahle zeigen in ihrem Beitrag Film-Philosophie die radikale Sprengkraft von Deleuzes Filmtheorie auf, Drehli Robnik diskutiert in seinem Aufsatz Körper-Erfahrung und Film-Phänomenologie jene aktuelle Denkweise von Vivian Sobchack und Co., die sich in Rekurs auf Maurice Merleau-Ponty, Edmund Husserl, Deleuze und Kracauer mit "Film-Erfahrung als leibhaftige[r] Intersubjektivität" auseinander setzt. Es zählt zu den Vorzügen des Buches, nicht nur Forschungsansätze und Paradigmen zu präsentieren, die der Filmtheorie wichtige Impulse beschert haben, sondern die sich darüber hinaus im Zuge ihrer Vernetzung mit Film entscheidend verändert, weiterentwickelt bzw. von ihren Ursprungsdisziplinen emanzipiert haben. Dadurch ergeben sich interessante Schichtungen, Brechungen bzw. theoretische Grenzerfahrungen. Vor allem auch wird einmal mehr vor Augen geführt, dass Film "die grenz-transversale Kunst schlechthin" ist, weil er ermöglicht, "in mehreren Symbolsystemen gleichzeitig zu denken",2 und mit "Spannungen" unter ihnen spielt. Wir warten jedenfalls gespannt auf den angekündigten ersten Band des vom Bender Verlag auf zwei Bände angelegten bemerkenswerten Projektes FilmTheorie. 1 Ludwig Nagl (Hg.): Filmästhetik. Wien: Oldenbourg 1999 (Wiener Reihe. 10), S. 15. 2 Ebenda, S. 65.
Ich fühle – also bin ich? Marie-Luise Angerer diagnostiziert in Vom Begehren nach dem Affekt die Ausbreitung einer affektiven Epidemie. Diese äußert sich gleichermaßen in der Euphorie über die Fußballweltmeisterschaft 2006, dem "postideologischen" emotionalisierten Politikverständnis unserer Tage, dem "performative turn" in der Kunst und der Affektbegeisterung in Medien- und Kulturtheorie. All diese Phänomene sind Manifestationen einer mehrschichtigen Umwälzung, eines "somatischen, affektiven turns" (S. 10). Ja, im allgegenwärtigen Interesse an Emotionen, Gefühlen und Affekten sieht Angerer in Anlehnung an Foucault sogar die Formierung eines (neuen) Dispositivs, "in dem philosophische, kunst- und medientheoretische Diskurse mit molekularbiologischen, kybernetischen und kognitionspsychologischen zu einer neuen 'Wahrheit des Menschen' verlötet werden" (S. 7) – ein durchaus gefährliches Dispositiv, das im Begriff ist, die Sexualität und das für sie charakteristische Begehren aus dem Denken des Humanen zu verdrängen. Die Autorin, seit Anfang 2007 Rektorin an der Kunsthochschule für Medien Köln, hat in ihrem jüngsten Buch jahrelange Forschungen über das Begehren und den Affekt in Medientheorie, Philosophie, Psychoanalyse, Gender Studies und zeitgenössischer Kunst äußerst komprimiert und zugespitzt. Den Verästelungen einer gotischen Kathedrale vergleichbar sind in dem äußerlich recht schlanken Band verschiedene Theorien und Aspekte des Themas so verdichtet miteinander in Verbindung gebracht, dass vermutlich allein die vollständige Aufzählung der angeführten AutorInnen den Rahmen dieser Buchbesprechung sprengen würde. In diesem Sinne möge die nachfolgende Zusammenfassung als ein Blitzlicht verstanden werden, das wesentliche Aspekte aus der komplexen Architektur des Textes beleuchtet. Im ersten Kapitel "Affective Troubles in Medien und Kunst" kritisiert Angerer die neue Zentrierung auf ein Affektives, das vielfach als selbstevident angenommen wird. Aber eben dieses sich scheinbar selbst Erklärende des Affekts sollte stutzig machen und dazu anregen, es im Sinne von "affective troubles" zu reflektieren und zu diskutieren. Es scheint jedoch gerade die Sehnsucht nach einer Wahrheit jenseits von sprachlicher Repräsentation zu sein, die hinter dem Interesse an einer Theorie des affektiven Körpers als Zentrum des medialen Bilderuniversums steht. Hand in Hand damit gehen die medientheoretische Feier des Digitalen als Universaltechnologie, welche die conditio humana zu transzendieren vermag, und der Versuch der Kybernetik, "das Programm des menschlichen Gehirns dem Programm intelligenter Maschinen zu implementieren" (S. 31). Was das Affektive und die Technologie des Digitalen gemeinsam haben, ist – so Angerer an anderer Stelle – das Begehren, einen unmittelbaren Zugang zum Gehirn bzw. zum Organismus herzustellen. Mit dem Digitalen als Medium, das über das Mediale, über das Vermittelte hinauszugehen vermag, und der Stilisierung des "Gefühl[s] als Medium" (S. 22) zwischen Körper und Geist wird die Rolle des bewusst handelnden Subjekts zunehmend problematisch und die Grenzziehung des Menschlichen zu Tier/Maschine brüchig. Es ist der "Abschied vom Humanen", der, wie in "Human / Posthuman / Transhuman" dargelegt, von Lebensphilosophie, Kybernetik und Neurobiologie eingeleitet wurde. Schon Foucault prophezeite, dass das "Denken vom Menschen" verschwinden würde. Seit dem Niedergang des cartesischen Cogitos, das schon bei Kant brüchig geworden und nicht mehr "voll wie ein Ei" ist (Deleuze, zit. nach S. 41), wird das Ich als begrenztes erfahren. Diese theoriegeschichtliche Entwicklung gipfelt in Sprachphilosophie und Psychoanalyse mit ihrer Konzeption des Subjekts als symbolisch verfasstes. Das Humane, so Angerer mit Heidegger, hat seine Heimat in der Sprache. Aber der gegenwärtige Wandel im Denken, die Konjunktur von Theorien des Affektiven, welche Sprache und Repräsentation in Zweifel ziehen, treibt die Aushöhlung dieser Subjektkonzeption voran und führt damit das Humane in die Krise. Die Bewegung von der Sprache zum Affekt ist der Entwicklung von human zu posthuman bzw. transhuman eingeschrieben. Angerer führt die "Affektiven Theorieläufe", die diese Bewegung vollziehen, unter Berufung auf Bergson, Spinoza, Neurobiologie und Systemtheorie aus, und sie beschreibt, wie diese Theorien die Überwindung der Geist/Körper-Dichotomie versprechen und nach der Verbindung von Biologischem und Kulturellem, Geistes- und Naturwissenschaften streben. Die Idee des Affekts als spontane, unverfälschte Äußerung des Leibes steht im Zentrum einer Psychologie, die "mit dem kybernetischen Selbstregulierungsgedanken flirtet" (S. 68). Aus den Reihen der AffekttheoretikerInnen – und gerade auch feministische Diskurse haben zum "somatischen turn" beigetragen – hagelt es Angriffe auf die Psychoanalyse und deren Fokussierung auf die Repräsentation. Speziell Lacan wird beschuldigt, den Affekt ignoriert zu haben. Jedoch ist nach Lacan der Affekt nicht verdrängt, sondern lediglich verschoben, und zwar "wie eine Schiffsladung verrutscht" (S. 124). Gerade diese primäre Rolle, die Lacan dem Affekt abspricht, kommt ihm aber laut Silvan Tomkins, einem der Begründer der Affekttheorie, zu, insbesondere der Scham als einem "Primär-Affekt". Der Affektbegriff soll bei Tomkins den seiner Meinung nach zu eng gefassten Begriff des Triebes ablösen. Doch Angerer stellt fest, dass diese Definitionen des Affekts einerseits nur knapp am freudschen Triebbegriff vorbeischiffen und andrerseits die zentralen Begrifflichkeiten – wie Affekt, Gefühl, Emotion – oft unklar und uneinheitlich sind. Im Kapitel "Vom Cybersex zu Abstract Sex" beschreibt die Autorin die Bedrohung der Sexualität und des ihr eigenen Begehrens nach dem Anderen (Lacan) durch die Fokussierung auf das Somatische und Affektive. In der psychoanalytischen Definition beinhaltet Sexualität über die bloße Bedürfnisbefriedigung hinaus immer die "Dimension des Begehrens und des Anspruchs" (S. 85). Doch die digital beschleunigten Metamorphosen (die Cyborg, Die Fliege), das "Tier-Werden" (Deleuze/Guattari), höhlen das begehrende Subjekt so weit aus, dass sich unter der Haut kein Ich mehr finden lässt, das einen Anderen begehren kann. Diese tief greifenden Mutationen des Begehrens gipfeln in seiner völligen Dekomposition – wie etwa in der Theorie eines "Abstract Sex" (Luciana Parisi), der nur mehr eine Frage des Austausches auf unterschiedlichen Ebenen ist, ein quasi motivationsloses "genetic mixing in organisms" (Margulies, zit. nach S. 99). Im Schlusskapitel "Sexualizing Affect" plädiert Angerer dafür, die Sexualität, das Begehren – kurz: den psychoanalytischen Standpunkt – in den Diskurs zurückzuholen. Das Unbewusste wird in kybernetischen, neuropsychologischen Debatten zum Teil nur mehr als eine Adaptionsqualifikation verstanden, die Menschen den Maschinen voraushaben – als "Automaten, die, ohne zu wissen, richtig reagieren, weil ihre Spontaneität mit ihrer Umwelt direkt kommuniziert" (S. 103). Dieser verkürzten Sichtweise entgegnend ist es an der Zeit, das Unbewusste wieder als ein "dynamisches Potenzial" (Freud) zu begreifen, das das Individuum übersteigt und das Begehren als das "unbewusste Wissen der Triebe" (Lacan), welches die Sexualität antreibt. Eine entsexualisierte Definition des Humanen über den Affekt möchte die Distanz zwischen Geist und Körper, dem Ich und dem Anderen als nicht-existent darstellen. Das Begehren aber entsteht aus eben der Spaltung, der nicht schließbaren Lücke, deren Überwindung es anstrebt. Die Sexualität – als elementarer kultureller Motor – braucht ein begehrendes Subjekt ebenso wie diesem Subjekt ein sprachlich verfasstes Bewusstsein und ein "unberechenbares" Unbewusstes zugestanden werden müssen. Die somatische Definition des Menschen als affektgesteuertes Wesen blendet mit dem Sexuellen auch alle Tiefendimensionen des Humanen aus. Das "Begehren nach dem Affekt", nach dem das Buch benannt ist, ist doppelt zu verstehen: einmal als Bestandsaufnahme oder Diagnose eines (diskursiven) Begehrens, das auf den Affekt und auf seine scheinbar so viel versprechende Erforschung gerichtet ist, und zweitens im Sinne der Frage nach dem Zustand des (dem Affekt zeitlich nachgeordneten) Begehrens "nach" dem Affekt. In einer Zeit, in der das Affektive als vermeintlich "primäre Kraft" das Sexuelle entthront hat und die "Wahrheit des Affektiven" den Menschen zwischen biologischen und technischen Definitionen zu zermalmen droht, hat der Standpunkt des Begehrens das Potenzial, das Subjekt wieder einzusetzen. Für das affektive Dispositiv kann eine "Verlagerung auf das Sichtbare diagnostiziert werden, in dem das Sagbare sich nur mehr 'zeigt' (evident ist)." (S. 120). Den Affekt zu sexualisieren, das Begehren zurück in die Diskussion zu holen, kann als subversives Mittel verstanden werden, dieser Verflachung entgegenzuwirken und der vermeintlichen Evidenz des Affektiven den lacanschen Spiegel vorzuhalten. In Vom Begehren nach dem Affekt bezieht Marie-Luise Angerer eine kritische Position zu erkenntnistheoretischen Missständen im Zeitalter der digitalen Kultur. Diese breit angelegte Untersuchung geht in ihrer philosophischen Fundierung und durch umfassende Einbeziehung psychoanalytischer, naturwissenschaftlicher, kunsttheoretischer und kulturwissenschaftlicher Standpunkte über das traditionelle Gebiet der Medientheorie weit hinaus. Der Text gibt sich in seiner Dichte, Komplexität und Kompromisslosigkeit nicht gerade leicht verständlich, eröffnet aber dem/der entschlossenen LeserIn erstaunliche neue Perspektiven auf das gerade in der heutigen Zeit hochaktuelle Grundproblem des Verhältnisses von "Wahrheit" und Wissenskultur, Medium und Subjekt.
[ger] Die drei schlichten Worte "Ich bin Spaniolin" im Titel der vorliegenden literaturwissenschaftlichen Forschungsarbeit beinhalten das fundamentale Bekenntnis der jüdisch-sephardischen Schriftstellerin Veza Canetti, dessen tiefgreifende Dimension sich im Laufe der biographisch-literarisch-historischen Untersuchungen offenbart haben. Innerhalb von drei konzentrischen Kreisen richtet sich der Hauptfokus auf die judenspanische Identität Veza Canettis. Ein extensiver historischer Rückblick auf das Goldene Zeitalter der Sepharadim auf der Iberischen Halbinsel sowie die Konsquenzen des Vertreibungsedikts von 1492 macht das Festhalten der Sephardim an der spanischen Sprache und Kultur plausibel. Danach wird die literarisch-soziopolitisch fruchtbarste Zeit für jüdische Künstler und Schriftsteller wie Veza (und Elias) Canetti im Roten Wien des Austromarxismus bis zur nationalsozialistischen Machtübernahme 1938 und das jüdische Exil in London erforscht. In jedem der konzentrischen Kreise ziehen sich vier relevante themenorientierte Elemente als roter Faden durch die Arbeit: 1. Das Judenspanische als Kommunikationssprache zwischen dem Ehepaar Canetti, 2. der einflussreiche literarische und künstlerische Freundeskreis der Canettis in Wien und im Londoner Exil, 3. die deutsche Literatursprache Veza und Elias Canettis, 4. eine minutiöse Analyse jener Werke, die thematisch mit dem jeweiligen der drei konzentrischen Kreise verbunden sind, d.h. das jüdisch-sephardische Erbe, das Leben mit jüdisch-sephardischen Wurzeln im Wien des sozio-politischen Wandels und zuguterletzt das jüdische Exil in London. Der erste konzentrische Kreis erforscht das jüdisch-sephardische Erbe Veza Canettis in seiner vollständigen Dimension im Hinblick auf das Leben ihrer Urahnen während des Goldenen Zeitalters Spaniens und Portugals, die Vertreibung der Juden und deren Neuansiedlung in Nordafrika, Nord-/Ost- und Westeuropa, im Osmanischen Reich, auf dem Balkan und Übersee. Die judenspanische Sprache hat sich bis in die Aktualität bewahrt, und zwar in Volksweisen, Sprichwörtern und der Literatur. Die Werkanalysen dieses konzentrischen Kreises beziehen sich insbesondere auf die spanischen Erzählungen "Der Seher" und "Pastora", in denen die spanische Urheimat Veza Canettis mit der andalusischen Hauptstadt Sevilla als "innerer Idealstandort" leuchtend zutage tritt. Der zweite konzentrische Kreis untersucht die Einwirkungen der literarischen Strömungen wie die Wiener Moderne, die Neue Sachlichkeit sowie des politischen Wandels der ehemaligen Doppelmonarchie Österreich-Ungarn auf das Leben und Werk Veza Canettis. Hierin werden die beginnende literarische Gemeinschaft mit Elias Canetti, der jüdische Wiener Freundeskreis, die literarischen Vorbilder Veza Canettis, der Austromarxismus als die in Europa beispielhafte Sonderform eines gemäßigten Sozialismus und insbesondere der Inhalt ihrer sozio-politisch-feministischen Kritikpunkte an den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen ihrer Zeit erforscht. In der Wiener Zeit entstanden Veza Canettis bedeutendste Erzählungen, die zum Novellenzyklus (Roman) Die Gelbe Straße zusammengefasst wurden. Der Roman Die Schildkröten stellt ein Brückenwerk dar, denn er wurde von Veza Canetti in wenigen Wochen nach ihrer Ankunft im Londoner Exil geschrieben, ist aber zugleich ein lebendiges Zeugnis der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Wien 1938 und Verdrängung und Verfolgung der Juden. Zum Glück gelingt den Canettis die rechtzeitige Flucht ins Exil nach London. Im dritten konzentrischen Kreis wird das jüdische Exil Veza (und Elias) Canettis in London untersucht. Wiederum sind die geflohenen jüdischen Freunde von wesentlicher Bedeutung, sowie die judenspanische Sprache, die Veza und Elias Canetti im privaten Umgang pflegen. Ferner wird den Briefen zusätzliche literarische Wertschätzung beigemessen. Die erforschten Briefe drücken die jüdisch-sephardische Identität Veza Canettis am ehesten aus und enthalten, vor allem die Buchsammlung der Briefe an Georges betreffend, etliche Hinweise auf das Judentum. Die in diesem konzentrischen Kreis untersuchten Werke sind weniger gesellschaftskritisch als in der Wiener Zeit und beschreiben sowohl Kriegserlebnisse wie die Bombardierung Londons ("Air raid" und "Der letzte Wille") , die Gegenüberstellung von Christen und Juden in "Toogoods oder das Licht", wie auch Veza Canettis Beobachtungen der britischen Gesellschaft unter humoristischer Perspektive in ihrer Exilkomödie Der Palankin. Drei Werkübersichten, etliche Dokumente, Fotos und Briefe aus verschiedenen Nachlässen sowie zwei Gesprächs- bzw./Besuchsprotokolle im Anhang komplettieren die literaturwissenschaftlichen Forschungen der vorliegenden Dissertation und führen zu der Erkenntnis, dass eine profilierte Schriftstellerin sich mit ihren literarischen Schriften aus dem Schatten ihres langjährigen Ehemannes herauslöst und mit ihren jüdisch-sephardischen Wurzeln in eigenem Licht erstrahlt: Veza Canetti. ; [eng] Three simple words "I am a Spaniolin" in the title of the present literary research work appoint to the fundamental belief of the Judeo-Spanish writer Veza Canetti. The profound dimensión of this confession is confirmed trhoughout the biographical, literary and historical research for this thesis. The central focus concentrates – within three concentric circles– on Veza Canetti's Judeo-Spanish identity including a vaste historical retrospection of the Golden Middle Ages for the Spanish Jews on the Iberic Peninsular, the consecuences of the expulsión of the Sephardim on 1492 in order to make comprehensible their adherence to the Spanish culture and language. Furtheron, the investigation of the fertile literary production of Jewish artists and writers like Veza (and Elias) Canetti during the Austromarxism in Red Viena til the take-over of the Nazis in 1938 and the consecuent Jewish exile in London is described in this thesis. In every concentric circle there are four relevant elements as a red line throughout this paper: 1) Judeo-Spanish as the language of private communication between the Canetti- couple, 2) the influence of their literary and artistic friends in Viena and in London, their exile 3) the German as a literary language for both Veza and Elias Canetti 4) An exhaustive work-analisis of those literary works which are directly related to the head-lines of each concentric circle, as the are the Jewish-Sephardic heritage, living with Jewish-Sephardic roots in Viena and last not least the Jewish exile period in London. The first concentric circle contains the most important part of this thesis: the Sephardic heritage with a wide historic background and analisis of Veza Canettis Spanish works Der Seher and Pastora. The second concentric circle contains the Viena-period. The literary value of the letters is as well contemplated within the third and last concentric circle, as letters are the expression of one's own identity of Sephardic elements which are always present in Veza Canetti's letters to her brother-in-law Georges and friends and editors. Three tables of Veza Canetti's Works, numerous documents, photographs and letters out of different legacies, as well as two reports of conversations and visits, to be found in the Annex, complete the new results of this literary research thesis about Veza Canetti's Judeo-Spanish roots.
Fragestellung In zahlreichen, sowohl wissenschaftlichen als auch politischen Veröffentlichungen, wird die "Energiewende" als Transformationsprojekt eingeordnet. Zweifelsohne birgt eine Umstellung auf ein erneuerbares Energiesystem transformative Potenziale. Die Bedeutungsbestimmung von "Energiewende" oder auch Transformation bleibt in Politik und Forschung aber häufig unklar. Um dem zu begegnen, wird in der vorliegenden Studie die Bedeutung von "Energiewende", wie sie im Bundestag verhandelt wird, untersucht. Darauf aufbauend wird analysiert, ob und inwiefern die "Energiewende" einem Anspruch als Transformationsprojekt gerecht werden kann, bzw. wie sich die Wirkrichtung der mit "Energiewende" verbundenen Politiken im Spannungsfeld beharrend – reformistisch – transformativ verorten lässt. Forschungsgegenstand Die besondere gesellschaftliche Bedeutung der Bundestags-Debatten um "Energiewende" leitet sich diskurstheoretisch unter anderem aus der ihnen zukommenden' Schaufensterfunktion' ab, wonach die Debatten strategisch auf eine außerparlamentarische Öffentlichkeit ausgerichtet sind. Hinzu kommt, dass sich der hier stattfindende Diskurs, bspw. in Gesetzen, unmittelbar materialisiert. Als Startpunkt der Untersuchung wird der Beginn der rot-grünen Regierungszeit gewählt (1998), da diese – u.a. wegen der Verabschiedung des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG) und dem politischen Beschluss zum Atomausstieg – in besonderer Weise mit der "Energiewende" in Verbindung gebracht wird. Als Endpunkt dient die letzte vollständige Wahlperiode zum Zeitpunkt der Untersuchung. Die Diskursanalyse bezieht sich demnach auf die Bundestagsdebatten zur "Energiewende" zwischen der 14. und 18. Legislaturperiode (1998-2017). Theorie Die Studie basiert auf einer Verknüpfung der Diskurstheorie nach Laclau/Mouffe (2015) mit dem Konzept des Vorsorgenden Wirtschaftens, das die transformationstheoretische Positionierung der Arbeit konkretisiert. Die Diskurstheorie nach Laclau/Mouffe (2015) zeichnet sich insbesondere durch ihre Bedeutung als politische Theorie und Hegemonietheorie sowie durch ihren Diskursbegriff aus, der die Dichotomie zwischen sprachlich/geistig versus nicht-sprachlich/materiell subvertiert, indem er die materielle Welt als Teil des Diskurses betrachtet – ohne deren Materialität zu bestreiten. Das Vorsorgende Wirtschaften versteht sich als "kritischer Ansatz", der die herrschaftliche Prägung gesellschaftlicher Natur- und Geschlechterverhältnisse zu einem Ausgangspunkt der eigenen Arbeit macht (Netzwerk Vorsorgendes Wirtschaften 2013: 10). Es basiert auf drei Handlungsprinzipien: Vorsorge, Kooperation und Orientierung am für das gute Leben Notwendigen. Mit der Verknüpfung von Diskurs- und Transformationstheorie leistet die Studie einen Beitrag zu deren gemeinsamer theoretischer und methodischer Weiterentwicklung. So gelingt mit dem Vorsorgenden Wirtschaften eine normative Erweiterung der Diskurstheorie, welche die politische Ökonomie in den Blick holt. Gleichzeitig wird das Potenzial des materiellen Diskursbegriffes nach Laclau/Mouffe (2015) für die sozial-ökologische Forschung deutlich. Ausgehend von der Perspektive des Vorsorgenden Wirtschaftens ist die Studie innerhalb einer kritischen, feministischen Nachhaltigkeits- und Transformationsforschung zu verorten. Methodik Das methodische Innovationspotenzial der Arbeit liegt insbesondere in der Verbindung aus einem Verfahren quantitativer, computerbasierter Diskursanalyse mit einer qualitativen Analyse. Als Ergebnis der Verknüpfung von Transformations- und Diskurstheorie wird ein methodisch komplexes Forschungsdesign präsentiert, das sich neben der Analyse des "Energiewende"-Diskurses auf weitere Bereiche der politischen Transformationsforschung übertragen lässt. Basis dieses Forschungsdesigns ist eine Diskursanalyse über vier Dekonstruktions-Ebenen. Zunächst erfolgt eine Operationalisierung der Diskurstheorie nach Laclau/Mouffe (2015) in einem quantitativ und zwei qualitativ ausgerichteten Verfahrensschritten. Die quantitative Auswertung aller Plenarprotokolle im Betrachtungszeitraum erfolgt mit PolmineR, einem Tool zur Analyse von Plenarprotokollen in der Programmiersprache R (www.polmine.github.io). Auf der obersten Dekonstruktions-Ebene der lexikalischen Elemente werden so zeitliche Entwicklungen des Diskurses (z.B.: Häufigkeitsentwicklungen) um "Energiewende" nachvollzogen und regelmäßige Differenzbeziehungen (Kollokationen) herausgearbeitet. Die 30 Plenarprotokolle und Dokumente, die sich dabei als besonders relevant für den Diskurs erweisen, werden im nächsten Schritt qualitativ analysiert und der Diskurs wird somit auf zwei weiteren Dekonstruktions-Ebenen analysiert. In einem kodierenden Verfahren werden zunächst komplexitätsreduzierende Erzählungen, sogenannte Story-Lines, identifiziert. Daraufhin werden den Erzählungen zugrundeliegende fantasmatische Narrative herausgearbeitet. Die diskurstheoretische Analyse auf diesen drei Dekonstruktions-Ebenen wird schließlich in einer hegemonietheoretisch fundierten Diskussion zusammengeführt. Die Ergebnisse der Diskursanalyse werden anschließend auf einer vierten Dekonstruktions-Ebene aus der Perspektive des Vorsorgenden Wirtschaftens reflektiert. Das Vorsorgende Wirtschaften wird dabei anhand seiner Handlungsprinzipien (Vorsorge, Kooperation, Orientierung am für das gute Leben Notwendigen) sowie der aus der Literatur entnommenen Kriterien "Externalisierung als Prinzip" und "Potenziale für eine herrschaftsärmere Zukunftsgestaltung" (vgl. Biesecker/von Winterfeld 2015) operationalisiert. Es wird eine Analyseheuristik generiert, mit Hilfe derer schließlich die Wirkrichtung von mit "Energiewende" verbundenen politischen Praktiken im Spannungsfeld beharrend – reformistisch – transformativ verortet wird. Die Grundlage dieser Klassifikation leitet sich aus der im Theorieteil erfolgten Verortung in der kritisch-feministischen Transformationsforschung ab. Im Sinne des retroduktiven Forschungsdesigns dieser Studie nach Glynos/Howarth (2007) wird die empirische Anwendbarkeit des Konzeptes Vorsorgendes Wirtschaften gegenstandsbezogen entwickelt und erweitert. Beispielsweise zeigen sich in der Analyse der Debatten zur Energiepolitik in einem deutlichen Umfang neokoloniale Artikulationsmuster und nationale Erzählungen, weshalb das Vorsorgende Wirtschaften hier im Hinblick auf nationale und neokoloniale Machtstrukturen analytisch konkretisiert wird. Ergebnisteil Die Ergebnisse der Dekonstruktion des "Energiewende"-Diskurses werden in zwei Teilen präsentiert. Der erste bezieht sich auf die Diskursanalyse der Bundestagsdebatten zur "Energiewende" nach der Diskurstheorie von Laclau/Mouffe (2015). Hier verweisen die Ergebnisse darauf, dass sich in den Bundestagsdebatten nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima ein Post-Politisierungsprozess identifizieren lässt. Dieser manifestiert sich in einer überwiegend marktökonomischen Einordnung von "Energiewende" sowie einer diskursiven Loslösung von sozial-ökologischen Problemlagen. Im zweiten Teil der Dekonstruktion liegt der Fokus auf dem Sichtbarmachen von hierarchischen Externalisierungsstrukturen unter Anwendung einer kritisch-emanzipatorischen Forschungsperspektive Vorsorgenden Wirtschaftens. Materielle Wirkweisen politischer Praktiken in Verbindung mit "Energiewende" werden ebenso wie die damit verbundenen Machtverhältnisse entschlüsselt. Die feministische Perspektive der Arbeit leistet einen innovativen und in bisherigen Forschungsarbeiten marginalisierten Einblick in die Debatten um "Energiewende" im Bundestag. Die (geschlechtshierarchische) Strukturierung dieser Debatten manifestiert sich zum einen darin worüber überhaupt diskutiert wird, nämlich überwiegend über ökonomische und technologische Fragen, die dem Öffentlichen zugewiesen werden, während soziale Themen dem Privaten zugeordnet bleiben und kaum vorkommen. Zum anderen werden gegenhegemoniale Forderungen über die Abwertung des sozial Weiblichen (z.B.: als "hysterisch" (CSU 24.03.2011: 11300)) delegitimiert und aus dem politischen Raum gedrängt. Fazit In den Bedeutungskämpfen um "Energiewende" ist im zeitlichen Ablauf mit "Fukushima" ein Bruch festzustellen. Vor "Fukushima" wird "Energiewende" im Bundestag – auch unter rot-grün – nur selten artikuliert und kann in der Diskursbewertung nicht als Transformationsprojekt bundespolitischer Gesetzgebung klassifiziert werden. Nach "Fukushima" lassen sich in der Analyse überwiegend energiepolitische Praktiken identifizieren, die vor dem Hintergrund einer Forschungsperspektive Vorsorgenden Wirtschaftens in ihrer Wirkrichtung im Spannungsfeld reformistisch-beharrend zu verorten sind, bzw. in einigen Fällen sogar reaktionäre Elemente aufweisen. So lässt sich insbesondere nach "Fukushima" eine Reduktion von "Energiewende" auf verfahrenspolitische, technokratische sowie managementorientierte politische Praktiken nachzeichnen, die auf einer Naturalisierung marktwirtschaftlicher Strukturen basieren und gesellschaftliche Naturverhältnisse nicht adressieren. Es wird zudem aufgezeigt, wie vor "Fukushima" marginalisierte energiepolitische Forderungen danach von einer hegemonialen Diskursformation angeeignet werden. Das Narrativ, das sich in diesem Zusammenhang etabliert, wird hier als 'technokratisch-managementorientierter Ökokonsens'bezeichnet. Die zentralen Ergebnisse der Arbeit verweisen darauf, dass mit der "Energiewende" ein großes, potenziell auf Transformation ausgerichtetes Projekt, aus sozial-ökologisch orientierten zivilgesellschaftlichen Bewegungen für verfahrenspolitische Prozesse im Bundestag mobilisiert und gleichzeitig sozial-ökologisch und politisch an Bedeutung entleert wurde. Reflexion und Ausblick Der "Energiewende"-Diskurs konnte gerade durch die Kombination von Diskurstheorie mit einer Perspektive Vorsorgenden Wirtschaftens umfangreich dekonstruiert werden. Die Erweiterung der Diskurstheorie um ein normatives Konzept, welches wie das Vorsorgende Wirtschaften, den Blick auf politisch ökonomische Strukturen richtet, leistet einen Beitrag dazu den materiellen Diskursbegriff nach Laclau/Mouffe (2015) zu operationalisieren und die Diskurstheorie somit für die sozial-ökologische Transformationsforschung empirisch noch stärker zu öffnen. Das Instrument der computerbasierten Datenerhebung hat sich insbesondere als Vorstrukturierung für die folgenden qualitativen Analyseschritte als wirksam erwiesen und dazu beigetragen, dass das Forschungsdesign im Sinne des retroduktiven Ansatzes angepasst werden konnte. Nach dem der Arbeit zugrunde liegenden Theorieverständnis ist das Erkennen von Externalisierungsstrukturen und Naturalisierungen eine Voraussetzung für eine emanzipatorische Politik und Praxis. Kritik erfüllt dabei keinen Selbstzweck, sondern aus ihr heraus scheinen immer wieder emanzipatorische, nicht-externalisierende Gestaltungsperspektiven auf. In diesem Sinne werden am Ende der Arbeit als Ausblick Strategien einer Repolitisierung von "Energiewende" genannt. ; Research question In numerous publications, both scientific and political, the "Energiewende" is classified as a transformation project. Undoubtedly, the change to a renewable energy system has transformative potential. However, the meaning of "Energiewende" or transformation in politics and research mostly remains vague. Therefore, the present study examines the meaning of "Energiewende", as negotiated in the federal German parliament (German: Bundestag). On this basis, it is analyzed whether and to what extent the "Energiewende" complies with the claim of being a transformation project – or rather where the associated policies can be placed within an axis of persistence – reform – transformation. Object of research The particular social significance of the Bundestag debates on the "Energiewende" derives, among other things, from their so-called 'showcase function', according to which the debates are strategically oriented towards an extra-parliamentary public. In addition, the discourse taking place here materializes directly, e.g. in laws. The starting point of the investigation is the beginning of the legislative period led by a coalition of the SPD (German Democratic Party) and the Green Party (1998). This government is generally associated with the "Energiewende" due to the adoption of the Renewable Energy Sources Act (German: Erneuerbare-Energien-Gesetz, EEG) and the political decision to phase out nuclear power. The discourse analysis therefore is applied to the Bundestag debates on the "Energiewende" of the 14th until the 18th legislative period (1998-2017), which is the last complete legislative period by the time of the study. Theoretical background The study is based on a combination of the discourse theory according to Laclau/Mouffe (2015) with the concept of 'Vorsorgendes Wirtschaften', which specifies the position of the present study within transformation theory. The discourse theory according to Laclau/Mouffe (2015) is characterized in particular by its significance as a political theory and a theory of hegemony. Its concept of discourse 1 Energy transition is not a precise translation of "Energiewende", which is why the German word is used in the following. 2 As there is no precise translation of 'Vorsorge' into English, the word formation 'pre-caring', which has already been used in earlier translations of 'Vorsorgendes Wirtschaften', is used here. subverts the dichotomy between linguistic/spiritual versus non-linguistic/material by considering the material world as part of the discourse – without denying its materiality. 'Vorsorgendes Wirtschaften' is defined as a "critical approach" that takes the domination-shaped character of societal relations to nature and gender as a starting point for analysis and intervention (Netzwerk Vorsorgendes Wirtschaften 2013: 10). It is based on three principles: pre-caring, cooperation and orientation towards what is necessary for a good life. By linking discourse and transformation theory, the study contributes to their common theoretical and methodical development. Thus, by the combination with 'Vorsorgendes Wirtschaften', a normative expansion of the discourse theory becomes possible, which brings political economy into view. At the same time, the potential of the material concept of discourse according to Laclau/Mouffe (2015) for social-ecological research becomes explicit. Based on the perspective of 'Vorsorgendes Wirtschaften', the study is considered in the context of critical, feminist sustainability and transformation research. Methodology The innovative methodological potential of the study lies particularly in the mixed methods approach, combining a method of quantitative, computer assisted discourse analysis with a qualitative analysis. The link between transformation and discourse theory methodically results in a complex research design, which could also be valuable for other fields of political transformation research. The basis of this research design is an analysis of the "Energiewende" discourse over four levels of deconstruction. Als Ergebnis der Verknüpfung von Transformations- und Diskurstheorie wird ein methodisch komplexes Forschungsdesign präsentiert, das sich neben der Analyse des "Energiewende"-Diskurses auf weitere Bereiche der politischen Transformationsforschung übertragen lässt. Basis dieses Forschungsdesigns ist eine Analyse über vier Dekonstruktions-Ebenen. The discourse theory according to Laclau/Mouffe (2015) is operationalized in one quantitative and two qualitative steps. Quantitative evaluation of all plenary protocols during the periods under review is carried out using PolmineR, a tool for analyzing plenary protocols in the programming language R (www.polmine.github.io). At the first level of deconstruction of the lexical elements, temporal developments in the discourse (e.g. frequency) are traced around "Energiewende" and regular difference-relations (collocations) are examined. 30 plenary protocols and documents, which prove to be particularly relevant for the discourse, are qualitatively analyzed in the next step. In doing so, the discourse is analyzed on two further levels of deconstruction. By means of a coding method, complexity-reducing narratives, so-called story lines, are identified. Thereupon, underlying fantasmatic narratives are explicated. The discourse-theoretical analysis on these three levels of deconstruction is finally brought together in a discussion based on theory of hegemony. As a next step, the results of the discourse analysis are reflected on a fourth level of deconstruction using the perspective of 'Vorsorgendes Wirtschaften'. The concept is operationalized on the basis of its principles (pre-caring, cooperation and orientation towards what is necessary for a good life) and supplemented by two additional criteria from the literature – "externalization as a principle" and "potentials for shaping the future, less characterized by domination" (cf. Biesecker/von Winterfeld 2015). A heuristic for analysis is generated, with the help of which the effects of the policies associated with the "Energiewende" are classified within an axis of persistence – reform – transformation. The basis of this classification derives from the positioning of the study in critical feminist transformation research, which is explicated in the theory part. As defined by the retroductive research design of this study according to Glynos/Howarth (2007), the empirical applicability of the concept 'Vorsorgendes Wirtschaften' is developed in a subject-related way and expanded. For example, the analysis of debates on energy policy clearly shows neocolonial articulation patterns and national narratives, which is why 'Vorsorgendes Wirtschaften' is analytically specified here in terms of national and neocolonial power structures. Results The results of the deconstruction of the "Energiewende" discourse are presented in two parts. The first part refers to the discourse analysis of the Bundestag debates on the "Energiewende" according to the discourse theory by Laclau/Mouffe (2015). Here, results indicate that a post-politicization process has taken place in the debates after the reactor disaster of Fukushima. This becomes apparent through a predominantly market-economic integration of "Energiewende" as well as a discursive dissociation from social-ecological problems. In the second part of the deconstruction, the focus is on the elaboration of hierarchical externalization structures using a critical-emancipatory research perspective of 'Vorsorgendes Wirschaften'. Thus, material effects of political practices in connection with "Energiewende" and the associated power relations are decoded. The feminist perspective of the study provides an innovative insight into the debates, which has been marginalized in previous research. On the one hand, the (gender-hierarchical) structure of these debates manifests itself in what is being discussed – mainly economic and technological questions, which are assigned to the public sphere – while social issues remain assigned to the private sphere and hardly occur. On the other hand, counter-hegemonic demands are delegitimized and forced out of the political sphere by depreciating the socially feminine (e.g. as "hysterical" (CSU 24.03.2011: 11300)). Conclusion The analysis of the discourse on "Energiewende" shows a significant turning point with "Fukushima". Before "Fukushima" "Energiewende" is rarely articulated in the Bundestag – even under the red-green government – and thus cannot be classified as a transformation project of federal legislation. After "Fukushima", energy policy practices are identified, which – on the basis of the research perspective "Vorsorgendes Wirtschaften" – can be classified between reform and persistence, regarding their effects; in some cases they even show reactionary elements. Thus, especially after "Fukushima", a reduction of "Energiewende" to procedural, technocratic and management-oriented political practices can be illustrated, which are based on a naturalization of market-economic structures and do not address societal relations to nature. Moreover, it is shown that energy policy demands, that were marginalized before "Fukushima" are appropriated by a hegemonic discourse formation afterwards. The study identifies the narrative that is established in this context as 'technocratic-management-oriented ecoconsensus'. The central results of the study point out that with the "Energiewende" a large, potentially transformation-oriented project, which was originally promoted by social-ecologically oriented civil societal movements, is mobilized for procedural oriented political processes in the Bundestag and at the same time emptied of social-ecological and political meaning. Reflection and outlook The discourse on "Energiewende" was deconstructed extensively with the help of the combination of discourse theory with a perspective of "Vorsorgendes Wirtschaften". The extension of the discourse theory by integrating a normative concept focusing on political economic structures contributes to operationalizing the material concept of discourse according to Laclau/Mouffe (2015) and thus opens discourse theory empirically for social-ecological transformation research. In particular, the computer assisted data analysis tool has proven to be effective in pre-structuring the material for the following qualitative analytical steps and has helped to adapt the research design to the retroductive research approach. The underlying theory of this study implies that understanding and recognizing externalization structures and naturalizations is necessary for an emancipatory policy and practice. However, critique does not fulfill an end in itself, but can open up emancipatory, non-externalizing perspectives. In this sense, at the end of the study, some strategies for a re-politicization of "Energiewende" are outlined.
"Am Anfang dieses Buches habe ich Testosteron genommen […]; ich wollte mich selbst enthaupten, mir den Kopf, der von einem Geschlechts-Programm geprägt war, abschneiden, ich wollte einen Teil des molekularen Modells sezieren, das in mir wohnt. Dieses Buch ist die Spur, die von diesem Schnitt geblieben ist" (S. 419). In Testo Junkie entwickelt Paul Preciado anhand von Gendertheorie, einer Genealogie einer geschlechtsbezogenen Pharmazie und der Protokollierung der Eigeneinnahme von Testosteron eine "somapolitische Theorie des Selbst" (S. 11). Nicht nur die Anwendung von Testosteron und das Verhältnis zum eigenen Körper sind radikal im als "Körper-Essay" (S. 11) bezeichneten Selbstversuch, sondern auch der Umgang mit wissenschaftlichen Referenzen. So lautet eine Überschrift "Paris Hilton im Bett mit Max Weber" (S. 277), und mit Klassikern aus Philosophie, Feminismus oder der Porno-Branche wird durchgehend hart umgegangen: "Buffy tötet den Vampir von Simone de Beauvoir. Der Dildo, Paradigma aller Prothesen teleproduzierter Lust, schluckt den Schwanz von Rocco Siffredi" (S. 37). Testosteron-Gel, Dildos, Sex und Drag-Workshops werden wie der eigene Körper und Affekte als Schnittstelle politischer Phänomene verstanden und sind fürTesto Junkiewichtiger als der Bezug auf kulturtheoretische Texte. Diese werden nur dann herangezogen, wenn sie sich in das Sammelsurium der Lustproduktion einfügen lassen. Preciado eignet sich neben Theorien von Donna Haraway, Angela Davis und Paolo Virno auch literarische Gattungen an. Neben dem Essay parodiert Preciado eine metaphysische Abhandlung, schreibt ein Kapitel als Manifest und kreiert einen Genre-Mix, der sich kaum noch um wissenschaftliche Standards kümmert. Diese sind jedoch bei weitem nicht das Einzige, was zum Ausverkauf bereit steht: "Gender for sale" (S. 230). Geschlecht versteht Preciado als Techno-Ökologie, welche seit dem 20. Jahrhundert und insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg durch folgende Techniken geprägt ist: "Photographische, biotechnologische, operative, pharmakologische, cinematographische oder cybernetische Techniken konstruieren die Materialität der Geschlechter performativ" (S. 131). All diese Techniken fasst Preciado mit dem Begriff der Pharmapornographie, welche die zwei bedeutenden Stränge Pharmaindustrie (Hormonforschung) und Pornographie im weiteren Sinne (Medien, Technologien, Pornifizierung des Körpers) in Bezug zur Produktion von Geschlecht setzt. "Die zwei Pole der pharmapornographischen Industrie (der pharmazeutischen wie der pornographischen) funktionieren gerade durch ihre Gegensätze, sie konvergieren nicht miteinander. Die pornographische Industrie produziert zwar mehrheitlich normative und idealisierte Repräsentationen [.], die pharmazeutische, biotechnologische Industrie und die neuen Formen der künstlichen Befruchtung [.] gestalten die Grenzen zwischen den Geschlechtern jedoch unablässig neu." (S. 127f.) Während in dieser These die pharmazeutische und pornographische Industrie als tendenziell gegensätzlich gedacht werden, nuancieren die historischen Analysen deren Verhältnis. So beschreibt Preciado im Kapitel 'Pharmamacht' detailliert die Herstellung eines Wissens von Sexualität durch die Photographie zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die Ausbeutung der Bevölkerung in Puerto Rico im Zuge der Hormonforschung in den 1960er-Jahren, die Einführung der Pille, die Regulierung von Sexualität durch restriktive Gesetzgebung in Kanada (wodurch vor allem feministische Pornos zensiert wurden) bis zur Konstruktion eines Multimedia-Bordells für die Fußball-WM 2006 in Deutschland. Entwicklungen der letzten Jahre deckt Testo Junkie leider nicht mehr ab, da die spanischen und französischen Fassungen bereits 2008 erschienen. Dass Testo Junkie jedoch weiterhin aktuell ist und für anschließende Forschungen einen Ausgangspunkt darstellen sollte, liegt zum einen am spezifischen Verständnis der historischen Modelle, das Preciado anhand von Michel Foucault entwickelt: "Es gibt keine historische Abfolge von Modellen […], sondern verbundene Gleichzeitigkeiten, transversale Aktionen vielfältiger somapolitischer Modelle, die auf die Subjektivität einwirken" (S. 123). So unterliegen Nase und Genitalien unterschiedlichen politischen Regimen: Die Genitalien unterliegen in geschlechtsangleichenden Operationen den strikten staatlichen Regulierungen eines souveränen Regimes, während die Nase in der Rhinoplastik als Schönheitsoperation den Warencharakter des pharmapornographischen Regimes besitzt. Letzteres zeichnet sich folgendermaßen aus: "Während die disziplinargesellschaftlichen Technologien der Subjektivierung den Körper von Außen kontrolliert haben – als ortho-architektonischen Körper –, sind die Technologien der pharmapornographischen Gesellschaften Teil des Körpers, sie werden Somatechnologien" (S. 81f.) und wirken dadurch auf molekularer und affektiver Ebene. Die Entstehung dieser Somatechnologien verortet Preciado in der Hormonforschung und -anwendung: "Die telekinematische Theorie des Hormons ist Medientheorie, […] in der der Körper nicht mehr einfach ein Mittel ist, durch das Information ausgesendet, verbreitet und empfangen wird, sondern selbst die materielle Wirkung dieser semiotechnologischen Tauschoperationen" (S. 168). Nicht nur ein Verständnis des Körpers als materielle Wirkung von Hormonen, Technologien, Praktiken und Affekten bietet Anschluss für Debatten über Smart Environments und die Quantified-Self-Bewegung. Diese könnten sich ebenso auf die Zusammenhänge von Kapitalismus und Selbst beziehen, welche in Testo Junkie durch die Konfrontation von queerer Szene und Theorie sowie post-operaistischen Theorien (Antonio Negri, Silvia Federici) entfaltet werden: Im ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhundert verliert die Produktion von Warenobjekten an Bedeutung und "die Erfindung eines Subjekts und [seine] globale Reproduktion" (S. 37) werden immer bedeutender. Im Zentrum dieser spätkapitalistischen Verwertung steht bei Preciado die potentia gaudendi, die orgasmische Kraft, welche an Stelle von Karl Marx' Begriff der Arbeitskraft tritt. Sie "existiert ausschließlich als Ereignis, Verhältnis, Praxis, Werden" und "ist gleichzeitig die abstrakteste und die materiellste aller Formen von Arbeitskraft, unhintergehbar fleischlich, dabei jedoch digital" (S. 43f.). "Der zeitgenössische Kapitalismus macht die reine Genusskraft produktiv, ob in pharmakologischer Form (als Molekül einer Tablette, das im Körper der Konsumierenden arbeitet), in pornographischen Repräsentationen (semiotechnisches Zeichen, das in digitale Daten konvertierbar ist […]) oder in den Sexdiensten (lebendiges pharmapornographisches Wesen […])" (S. 43). Dabei geschieht diese Verwertung in einer Kombination aus Selbst- und Fremdtechnologien, wenn das "cis-girl […] ihren Körper in ein konsumierbares Bild verwandeln" will und zugleich Kind "Hollywoods, von Porno, Pille, TV-Trash, Internet und Cyberkapitalismus" (S. 404) ist. Während das pharmapornographische Regime historisch betrachtet zunächst Zugriff auf die Körper von rassifizierten Sklav*innen und inter- sowie transgeschlechtlichen Personen hatte, dehnte sich dieser mit der Einführung der Pille auf cis-Frauen und mit Viagra auf cis-Männer aus, bis schließlich "jeder Körper zur mehr oder weniger virtuosen multimedialen techno-Hure" (S. 310) wird. Doch Testo Junkie belässt es nicht dabei, kapitalistische Funktionsweisen und Techno-Ökologien des Geschlechts herauszuarbeiten, sondern zeigt auch Fluchtlinien auf, die "dem Kontrollsystem entkommen" (S. 147). Diese sind jedoch nicht als ein "oppositionelles biologisches oder historisches Subjekt" (S. 340) verkörpert. Stattdessen geht es um die gemeinschaftliche Wiederaneignung von Techniken, die diese zu Commons anstelle von proprietärem Gut machen: "Mein Geschlecht gehört nicht meiner Familie oder dem Staat oder der pharmazeutischen Industrie. Mein Geschlecht gehört nicht dem Feminismus oder der lesbischen community oder der queer-Theorie. Gender muss dem Makrodiskurs entrissen werden und verdünnt werden mit einer guten Dosis mikropolitischer, hedonistischer Psychedelika" (S. 391). Es geht Preciado darum, dass die "durchaus fragilen Archive über Feminismus, black-, queer-, und trans-Kultur, [dass] dieses Minderheitenwissen in kollektives Experimentieren transformiert werden, in physikalische Praktiken, in Lebenswege und Formen des Miteinander" (S. 348). Derartige Transformationen schildert Preciado an der Teilnahme und Organisation von Drag-Workshops und dem Gender-Hacking, der eigendosierten Hormoneinnahme. Sie dienen dazu, "technolebendige Körper als ein biopolitisches Archiv" (S. 389) zu formen. Dass dies ebenso gut eine kapitalistische Strategie sein könnte, wird in Testo Junkie nicht vernachlässigt. Das Politische liegt laut Preciado jedoch im Kampf um ebendiese Strategien, die von unseren Körpern untrennbar sind. Unsere technolebendigen Körper, diese "'pharmapornographische[n] Fabriken' […] existieren gleichzeitig als Rohmaterial, als Produzent/innen (aber selten als Besitzer/innen) von gender-Biocodes und als pharmapornographische Nutzer/innen" (S. 388). Sowohl in der queeren Szene als auch beim Hacking und der Open-Source-Programmierung verortet Preciado die Entstehung einer Bewegung, die nicht-proprietäre Techniken einer 'Free Fuckware' oder 'OpenGender' schaffen und sich für einen möglichst freien Zugang zu ebendiesen minoritären Strategien einsetzen, die sich in und durch unsere Körper materialisieren. Doch der "politischen Geste [würde] jede Kraft fehlen", wenn es nicht zu einem kollektiven Prozess von "Legionen schweigender Transsexueller" (S. 63) und Genderhacker*innen käme. Mit der Übersetzung von Testo Junkie durch Stephan Geene ist hoffentlich ein weiterer Beitrag zum gemeinsamen Experimentieren geleistet. Insbesondere da die Übersetzung den zitierten Konzepten große Achtung schenkt und beispielsweise Gilles Deleuze' 'devenir' nicht wie in der englischen Ausgabe von 2013 als 'evolutionary process', sondern als 'Werden' wiedergibt. Auch das handliche Format des Buchs ist für die äußerst lustvolle Lektüre geeignet, indem es den Leser*innen und deren orgasmischer Kraft eine freie Hand zur Verfügung stellt: "[U]nd wie Vampire werden wir kommen, um deinen Durst nach Sex, Blut und Testosteron zu stillen" (S. 422).
Wie kann man in digitale Kulturen intervenieren? Wie eingreifen in soziale, politische und ökonomische Kontexte und wie technologische Bedingungen und Infrastrukturen verändern? Diese Fragen kreisen über den sich in Herangehensweise und inhaltlicher Schwerpunktsetzung stark unterscheidenden Beiträgen des 2017 erschienenen SammelbandesInterventions in Digital Cultures, herausgegeben von Howard Caygill, Martina Leeker und Tobias Schulze. Der Titel verrät, welche zwei zentralen Begriffe hier abgetastet und befragt werden: Intervention und digitale Kultur. Beide dienen den Leser*innen als Orientierungshilfe, sich in der Perspektivenvielfalt der Beiträge nicht zu verlieren. Die Einleitung gibt eine vage Vorstellung davon, wie die Herausgeber*innen Intervention und digitale Kultur zusammendenken. Es wird davon ausgegangen, dass Interventionen auf der einen Seite den Infrastrukturen digitaler Kulturen unterliegen, diese aber auf der anderen Seite zugleich mitkonstituieren. Bei der Herausarbeitung dieses wechselwirkenden Moments der gegenseitigen Beeinflussung setzt das Buch an. Beide – digitale Infrastruktur und Intervention – werden mit der hier als Schlüsselbegriff verstandenen 'resilience' gedacht, die zum einen die technologischen Angebote selbst zu Agent*innen macht und damit die Performativität beider, der Infrastrukturen sowie der Interventionen, nochmals betont. Zum anderen wird die selbstreferenzielle Komponente hervorgehoben, da weder die infrastrukturellen Angebote noch die auf den Plan gerufenen Interventionen als lösungsorientiert verstanden werden. Vielmehr konstituieren sie ein System von Adaptionen und verweisen auf weitere Aktivitäten. Die wechselseitige Bedingtheit führt wiederum zum Paradox, dass Interventionen in die infrastrukturelle Umgebung digitaler Kulturen eingebunden sind. Folglich ist jeder Eingriff in diese Strukturen immer auch eine Bestätigung dieser, ein "feeding, unwillingly, the whole-earth-data-network" (S. 15). Das Buch hat nun den Anspruch zu überprüfen, in welcher Weise widerständige Praktiken dann überhaupt noch möglich sind. Auf methodischer Ebene ermöglicht dieses Fragen, Interventionen genealogisch einzubetten und die Konzepte und Diskurse dahinter neu zu denken. Schlüsselbegriffe wie 'resilience' unterliegen hierbei sinnigerweise keiner eindeutigen Definition, sondern sind bewusst offengelassen, um allen in den Band eingebetteten Zugängen Raum zu geben. Entsprechend fragen die Autor*innen bzw. Interviewten dann auch aus ganz unterschiedlichen Perspektiven danach, wie Interventionen als Störfaktor eines Systems fungieren, wann sie jedoch in ebenjenes System eingespeist und damit "ad absurdum" (S. 88) geführt werden. Nicht alle Beitragenden beziehen sich explizit auf digitale Kulturen; eine Historisierung zieht sich als Schlüsselkomponente durch viele Herangehensweisen. Zugrunde liegt dabei das Verständnis von Interventionen als "activities that engage in social and political contexts […] hoping to interrupt critical situations and ultimately change social, economic, or technological conditions" (S. 11). Dennoch geben die Herausgeber*innen keine klare Definition, sondern sehen den Band als ein "experiment in fostering thinking in ambivalences" (S. 139), was allein aufgrund der vielfältigen Zusammenstellung der Beiträge durchaus gelingt. Der erste Beitrag, ein Interview mit Fred Turner, stellt sogleich in einem historischen Vergleich das angeblich Neue in 'New Media' auf den Kopf. Turners These bezieht sich weniger auf eine technische, mehr auf eine gesellschaftskonstituierende Ebene, indem er Attribute wie egalitär, kollaborativ oder basisdemokratisch nicht allein dem digitalen Zeitalter zuschreibt, sondern Ideen eines gleichberechtigten Mediengebrauchs bereits in der us-amerikanischen Kurator*innenszene der 1940er-Jahre als Gegenentwurf zu "one-to-many media" wie das Radio oder die Zeitung (S. 23) sieht. Auch das problematische Demokratieverständnis hinter dieser 'unsichtbaren' Kuration ("some people know what is good for mankind better than others", S. 26) sieht Turner bereits dort begründet. Entsprechend warnt er davor, Interventionen mit künstlerischen Mitteln bereitwillig und unhinterfragt als kollaborativ zu verstehen, ohne ihre politisch relevante Geschichte mitzudenken. In der Frage, wie sich diese historiografische Betrachtungsweise auf aktuelle künstlerische Interventionen in digitalen Kulturen übertragen lässt, wird dieser Freiheitsanspruch von Turner wieder aufgegriffen. Denn die Imagination der 1940er- und 1950er-Jahre "as free in that world" findet sich in zahlreichen Versprechen sogenannter Sozialer Netzwerke wieder. Doch analog dazu müsse auch jetzt wieder der Gedanke an freie, bedingungslose Entscheidungen kritisch hinterfragt werden, denn: "I am free, but I am free in terms that are constantly being negotiated and set for me invisibly by managers, who work for states and companies" (S. 38). Turners Lösungsvorschläge sind insbesondere hinsichtlich des darauffolgenden Beitrags von Mitherausgeber Howard Caygill brisant. Denn während hier eine konstitutionelle Einmischung auf staatlicher Ebene denkbar wird, um die Macht des Oligopols digitaler Unternehmen zurückzudrängen, zeichnet Caygill die historische Entwicklung digitaler Netzwerke aus militärstrategischer Sicht nach. Bezugnehmend auf Carl von Clausewitz' posthum veröffentlichtes Werk Vom Kriege fokussiert Caygill seine Betrachtungen auf die Fragestellung nach der Bedeutung von strategischer Intervention ("strategic intervention", S. 47). Die von ihm beschriebene Ausgangslage ist die Forderung seitens staatlicher Mächte nach dem alleinigen Vorrecht auf Geheimhaltung und Informationsbeschaffung (insbesondere über digitale Medien, hier "the Internet"), was zwingend den Verzicht dieses Anspruchs seitens der Zivilgesellschaft nach sich zieht (vgl. S. 47). Zwar leugnet Caygill die schon frühe Entwicklung eines non-hierarchischen, dezentralisierten Netzwerkes nicht, doch betont er die Bestrebungen um Verschlüsselung und geheime Datenverfolgung sowie Informationsübertragung, die einer egalitären Nutzung von vornherein widersprach und das Internet als "an arcanum or space of secrecy [Herv. i. O.] " (S. 54) kennzeichnet. Alexander R. Galloway untersucht im Gespräch mit Martina Leeker die ambivalente Rolle der algorithmischen Bestimmung, die digitale Infrastrukturen offen und verschlossen zugleich erscheinen lässt. Die Frage bezüglich Interventionen richtet sich folglich nach den Möglichkeitsbedingungen widerständiger Praktiken innerhalb dieses ambivalenten Zustands (vgl. S. 62). Konträr zu Caygill sieht Galloway im Digitalen durchaus einen Raum für politischen Widerstand und spricht sich für "electronic civil disobedience" aus, dem durchaus nicht ganz unproblematischen Leitsatz folgend: "The Power isn't in the streets anymore" (S. 63). Konkrete Lösungen sind für Galloway sogenannte 'ad hoc networks', die außerhalb kommerzieller oder staatlicher Vermittlerpositionen funktionieren (S. 68). Widerständige Praktiken sind dabei als langfristige Projekte angelegt. Ein Gedankengang ist dabei besonders interessant: Obwohl digitale Kommunikation bereits auf Kürze und Schnelllebigkeit beruht, fordert Galloway diese weiter zu verkürzen und damit ein "network without data" zu konzipieren (S. 67), da lokal ohne weitere Vernetzung und Datenabgriff ausschließlich von Gerät zu Gerät kommuniziert werden könnte. Bezüglich der vieldiskutierten Algorithmen hinter digitalen Kulturen betont Galloway den Umstand, dass diese auf bestimmten Weltanschauungen basieren. Um ihre uniforme Darstellung zu durchbrechen, schlägt er vor, eben andere Perspektiven einzuschreiben, wie z. B. eine feministische und eilt damit Wendy Hui Kyong Chuns Betrachtungen voraus. Im Vordergrund stehen auch in ihrem Beitrag die technologischen Bedingungen von Intervention in digitalen Kulturen. Chun spricht sich allerdings dafür aus, Interventionen auf allen Ebenen zu suchen: "from hardware, protocols, software, and user interactions to how these are embedded in various economic and social systems and imaginaries" (S. 76). Damit ist sie die Erste des Bandes, die die Bedingungen digitaler Kulturen sowie das mögliche Eingreifen in diese multiperspektivisch betrachtet. Nicht neu, aber dennoch innovativ ist, technologische Infrastrukturen als Gewohnheiten ("habits") zu betrachten, denn dies eröffnet die Möglichkeit algorithmische Medien mit dem Prinzip der Homophilie zu denken. Homophilie nämlich ist es, was nach Chun die technologischen Strukturen und in weiterer Folge auch das Nutzer*innenverhalten beeinflusst und kennzeichnet. Eine Um- und Neugestaltung dieser Infrastrukturen könne nur über interdisziplinäre Zusammenschlüsse funktionieren, die der Gefahr entgegenlaufen, selbst Teil des Systems zu werden, in das eingegriffen werden soll (vgl. S. 83). Ulrike Bergermann wiederum bezieht sich in ihrem Artikel auf analoge Interventionen im Politischen, die sie als Eingreifen in eine laufende Sache, ein Stoppen, Innehalten, also als Blockade und Störfaktor versteht, der sich Fluidität und gleichbleibender Bewegung widersetzt. Ihr Beispiel betrifft das sogenannte 'human mic', eine Kulturtechnik ("social technologies", S. 88 und 95) des Protestes aus den 1970er-Jahren, die in der Protestbewegung Occupy Wall Street (OWS) im Herbst 2011 wieder aufgegriffen wurde. Bergermann versteht die Nutzung des human mic als neue politische Ästhetik eines Netzwerks von "human/technologies/imaginary" (S. 91). Bezugnehmend auf Nancys Konzept des Mitseins ("being-with"), stellt sie die Frage, welche Kollektivitäts- und Vereinzelungsstrategien darin hervortreten. Wenn Sein nur als Mitsein gedacht werden kann, steht die human mic-Bewegung vor der Herausforderung, ihre Behauptung "We are the 99 %" (S. 96) zu verteidigen: Formierungen wie die Gruppe POCupy legen offen, dass "[n]ot everybody had equal access to the human mic" (S. 98), was hier insbesondere für people of color zutrifft, die in der OWS-Bewegung größtenteils keine oder nur wenig Repräsentation finden. In dieser Weise muss nach Bergermann Nancy neu gedacht werden: "Interventions need mi-lieus insofar as re-thinking any space has to take into account how to connect in an unhierarchical manner, how this would be barred through supposedly antecedent structures, and how to approach the task of de-learning to put oneself first in line of perceiving and reasoning" (S. 100f.). Mit Steve Kurtz findet man wohl die techno-pessimistischste Perspektive des Bandes: Veränderungen hin zu weniger staats- oder ökonomiebedingter Überwachung hält er heutzutage für utopisch. Ähnlich wie Galloway vertritt Kurtz die Meinung, dass eine digitale Kommunikation ohne Metadaten – aus technischer Sicht – durchaus im Bereich des Möglichen und Umsetzbaren liegt, allerdings an den demokratiefeindlichen Strukturen des Kapitalismus scheitert. Eine systemimmanente Zäsur würde eine "reconstruction of the digital infrastructure" (S. 119) erfordern, die jedoch längst nicht mehr durchsetzungsfähig sei. Kat Jungnickel nutzt im abschließenden Beitrag des Bandes für ihre historiografische Arbeitsweise eine Anlehnung an die ANT, um über Interventionen zu sprechen. Ihr Fallbeispiel umreißt das Aufkommen des Fahrradfahrens im viktorianischen England und dessen Bedeutung für weibliche Mobilität, die durch die Bekleidung entweder ermöglicht oder eben verhindert wurde. Den Fokus auf "socio-technical systems and practices" richtend, die so weit in den Alltag integriert sind, dass sie selten bewusst wahrgenommen werden, eröffnet Jungnickel zumindest methodologisch neue Sichtweisen auf Interventionen in Bezug auf Körperlichkeit und Technologie, denn "the more mundane and trivialized something is, the more important its role probably is in daily life" (S. 126), entfernt sich jedoch von den titelgebenden digitalen Kulturen vollends. Die Stärke des Buches ergib sich sicherlich aus ihrer inter- und transdisziplinären Zusammenstellung: Theoretiker*innen der Philosophie, Politischen Theorie, Medienwissenschaft und Soziologie stehen im Austausch mit Aktivist*innen, woraus eine Methodenvielfalt entsteht, die wiederum die Ambivalenz von Interventionen veranschaulicht. Dieses Zusammenspiel bewusst nutzend, führen die Herausgeber*innen denn auch kein geringeres Ziel an, als die Konzeption eines "critical and practical guide for future interventions" (S. 17). Was diesen Band schlussendlich besonders interessant macht, sind also weniger die einzelnen Beiträge, die bereits aufgrund ihrer Kürze oft an der Oberfläche verbleiben. Doch der gegenseitige Bezug der Beitragenden aufeinander, ohne in einen tatsächlichen Austausch zu treten, stellt sich bei genauerer Betrachtung als enorme Bereicherung für interdisziplinäre Forschung im Bereich der Medienkultur- und Politikwissenschaft heraus. Während auf der einen Seite mehr staatliche Kontrolle des digitalen Kommunikationsbereichs (Turner) als Ausweg des ökonomisch bedingten Trackings betrachtet wird, wird dieser Gedanke im nächsten Beitrag (Caygill) aus historiografischer Perspektive hinsichtlich der Militarisierung digitaler Infrastrukturen, die Geheimhaltung, Verschlüsselung und Überwachung der Zivilgesellschaft impliziert, kritisch hinterfragt. Exitstrategien wie die bewusste Verweigerung digitaler Vernetzung (Galloway) finden ihren Gegenpol in der Herausarbeitung von Interferenzen zwischen unterschiedlichen Realitätsebenen, die digitale Kulturen eben nicht in einen virtuellen Raum abgrenzten, sondern Konsequenzen der digitalen Infrastrukturen auch auf den nicht-digitalen Bereich übertragen sehen (Caygill, Chun, Kurtz). Konzepte wie die des Habituellen und der Homophilie (Chun) werfen Fragen zu Kulturtechniken der politischen Intervention wie die des 'human microphone' auf, das als basisdemokratisches Mittel der Verschmelzung des Einzelnen und der Vielen gefeiert wird, aber zugleich als Repräsentation und Verbreitung nur einer Stimme/Meinung dient und damit durchaus ausschließend wirkt (Bergermann). In dieser Weise treten die Beiträge in einen imaginierten Diskurs (denn keiner der Beiträge bezieht sich tatsächlich und namentlich auf andere Artikel oder Interviews) und werfen mehr Fragen auf als sie Antworten geben können. Damit werden vielfältige Perspektiven und Denkweisen eröffnet, die eine hohe Anschlussfähigkeit mit sich bringen und die Aufmerksamkeit auf die Komplexität des Gegenstandes lenken. Denn so inflationär der Begriff der Interventionen auch gebraucht wird, zeigt dieser Band dennoch auf, wie notwendig und erkenntnisreich eine weitere Beschäftigung mit diesem hinsichtlich digitaler Kulturen ist. Die reflexive Methode muss als großer Mehrwert betrachtet werden, da sie in ihrer rhizomatischen Denkweise produktive Leerstellen und Denkanstöße bietet, statt dem Imago allgemeingültiger Theorien zu verfallen. Demnach wird der Anspruch "thinking in ambivalences" (S. 139) der Herausgeber*innen durchaus erfüllt.
Inhaltsangabe: Einleitung: Seit dem Ende des zweiten Weltkriegs und dem Beginn der modernen Weltordnung hat die westliche Gesellschaft eine weitreichende Entwicklung durchlebt, die noch immer anhält. Die derzeitige gesellschaftliche Lage zeichnet sich aus durch Umwandlungen von Politik und Kultur, wie die voranschreitende Globalisierung sowie Ausweitung und Entwicklung von Kommunikationstechnologie und biotechnologischer Forschung. Die Entwicklung der westlichen Gesellschaft wird darüber hinaus von einer Problematik begleitet, die immerhin die Hälfte der Menschheit betrifft und daher nicht weniger relevant ist als beispielsweise Terrorismus, Voranschreiten der Reproduktionsmedizin und Umweltzerstörung in einer von Unsicherheiten begleiteten menschlichen Existenz. Diese Problematik findet ihren Ursprung bereits beim Übergang von Agrar- ins Industriezeitalter, im Beginn der Frauenerwerbsarbeit. In der vorindustriellen Zeit war die Mitarbeit der Frau in Privatbetrieben gängig, doch aufgrund der wachsenden Bedeutung des Reproduktionsmittels Arbeit im Zuge der industriellen Revolution, erlangten alle Bereiche des sozialen Lebens, beispielsweise jene der Familie, Erziehung und Kultur, einen gravierenden Wandlungsprozess, da sie als unbezahlte Tätigkeiten an Ansehen verloren. Dies hatte zur Folge, dass das System der gesellschaftlich organisierten Arbeit nicht mit der Institution Familie harmonisierte. Aufgrund ihrer Reproduktionsfähigkeit und gesellschaftlicher Vorurteile, wurde die Verrichtung der Hausarbeit, Kindererziehung und allgemein Familienerhaltung und -versorgung mit der weiblichen Gesellschaftsrolle verknüpft. Während der Mann als patriarchales Familienoberhaupt den Lebensunterhalt verdient, ist die Frau hauptsächlich Hausfrau und in der öffentlichen Sphäre maximal 'Dazuverdienerin'. Da Geld das Medium gesellschaftlicher Austauschprozesse ist, das Hausarbeit schwer bemessen kann, wird im Kapitalismus die Institution Familie marginalisiert, da der entlohnten Arbeit in der Gesellschaft mehr Prestige zukommt. Kurz gesagt: die Frau erhält für ihre Tätigkeit kein angemessenes gesellschaftliches Ansehen, weil im Kapitalismus Hausarbeit und Familienversorgung kein Geld einbringen. Daher besteht zwischen der öffentlichen Sphäre Arbeit und der privaten Sphäre der Familie eine Rangordnung: die private Sphäre muss sich der öffentlichen beugen. Das führt dazu, dass männlich dominierte, öffentliche Sektoren, wie zum Beispiel Politik, Wirtschaft und Naturwissenschaft, hohes Ansehen genießen gegenüber der unbezahlten Tätigkeiten innerhalb der privaten Sphäre von Haushalt und Familie. Dies brachte die Frau in ein Dilemma: der Bereich der Prokreation, Haushalts- und Kinderversorgung wird nicht angemessen honoriert und innerhalb der öffentlichen Sphäre der entlohnten gesellschaftlich organisierten Arbeit wird sie vergleichsweise schlechter bezahlt und zudem in ihrem Qualifikations- bzw. Ausbildungsniveau marginalisiert. Da der ökonomische Erwerb gegenüber der Hausarbeit vorrangig ist, verlor und verliert letztere weiterhin an öffentlicher Anerkennung. Daher befindet sich das weibliche Geschlecht in der westlichen Gesellschaft in dem Dilemma der 'doppelten Vergesellschaftung', da die Frau sowohl in dem privaten als auch öffentlichen Bereich der Gesellschaft eingebunden ist, aber in keiner der beiden Bereiche eine angemessene oder gleichberechtigte Honorierung zugestanden wird. Das patriarchalische Familienmodell lässt die Politik nur ungenügend mit sozialer Gewalt gegen Frauen befassen und schließt sie aus den politischen Feldern wie Parteien, Parlamente und Kabinette aus. Da die öffentliche, politische Sphäre von den Männer beherrscht und die Frau in diesem Bereich lediglich eine Randgruppe darstellt, ist die Relation der privaten zur öffentlichen Sphäre ein Bestandteil feministischer Gesellschaftsanalyse. In kapitalistischen Ländern wird das menschliche Leben sehr stark vom Produktionsfaktor Arbeit und vom Warentausch beeinflusst. Die geschlechtsspezifische Arbeitsmarktsegregation besitzt für die europäische Geschlechter- und Feminismusforschung hohe Relevanz, da die Familie noch immer die grundlegende gesellschaftliche Institution darstellt, ohne die Erziehung der nachfolgenden Generation ist das Fortbestehen der Gesellschaft nicht möglich und keineswegs zu belächeln. Bei weiterer Betrachtung der modernen Öffentlichkeit, scheint sie nach mehr als 200 Jahren kapitalistisch geprägter Entwicklung, eine Politik zu entwickeln, die sich von der Parteipolitik zu politischen und sozialen Protestbewegungen wandelt und danach strebt, eine Politik hervorzubringen, die kollektive Formen von Identität, wie zum Beispiel Homo- und Transsexuelle, Punks sowie religiöse Gruppen, anzuerkennen. Hinsichtlich dessen ist es erschreckend, dass die Frau im Erwerbsleben noch immer nicht emanzipatorisch behandelt, Hausarbeit sozial abgestuft wird und sich an der patriarchalischen Ordnung und der damit einhergehenden ungleichen Honorierung, zumindest aus empirischer Sicht, bis heute nichts verändert hat. Das Gegenteil ist der Fall: der Verdienstunterschied zwischen Frauen und Männern in Deutschland betrug 2009 durchschnittlich 23%. Doch bestehen zwischen den westlichen Ländern untereinander schwer übersehbare Unterschiede. Laut Gender Daten Report betrug der Einkommensunterschied zwischen den Geschlechtern in Schweden 2003 16 Prozent. Dies sind vergleichsweise 7 Prozent weniger als in Deutschland, wo in demselben Jahr der Verdienstunterschied bereits bei 23 Prozent lag. In Schweden hingegen sank dieser bis 2010 auf 6 Prozent und ist nach Angaben des Bundeskanzleramts Österreich der geringste Einkommensunterschied in Europa und bietet Deutschland ein vergleichbares Gegenstück. Zu Fragen ist bei Betrachtung der obigen Daten zweierlei: Woher rührt der geschlechtsspezifische Einkommensunterschied bzw. worin bestehen seine Faktoren? Und wieso sind sie innerhalb Europas so unterschiedlich, wie im Falle Deutschland und Schweden? Zu untersuchen, welche beobachtbaren Faktoren für den Entgeltunterschied zwischen Frauen und Männern sowie der einhergehenden geschlechtsspezifischen Arbeitsmarktsegregation in Deutschland und Schweden verantwortlich sind und woher die Unterschiede zwischen den zwei Nationen herrühren, ist Ziel dieser Arbeit. Der Inhalt setzt sich daher zusammen aus: einer Diskussion über geschlechtsspezifische Arbeitsmarktsegregation und Einkommensunterschiede in Deutschland und Schweden und darüber hinaus wird der Zusammenhang zwischen Einkommensstatus und Geschlecht sowie Einkommensstatus und Familienstatus auf Grundlage einer trivariaten Regression untersucht. Hierbei ist anzumerken, dass Berufe in der Regel dann als segregiert betrachtet werden, wenn sich weniger als 30 Prozent des anderen Geschlechts im jeweiligen Beruf befinden. Es handelt sich dann um männer- und frauentypische Berufe. Einkommensvergleiche und -analysen zwischen den Geschlechtern sind auf fünf Ebenen möglich: auf internationaler Ebene handelt es sich um Vergleiche westlicher Nationen, auf nationaler handelt es sich um politische Maßnahmen zur Abschaffung der Arbeitsmarktsegregation, die lokale Ebene beschäftigt sich mit Arbeitsmarktstrukturen, die Organisationsebene bildet Strategien zur Bekämpfung der Segregation und die individuelle Ebene setzt sich mit Geschlechtsmustern des Arbeitsverhältnisses auseinander. Diese Untersuchung verläuft auf nationaler und internationaler Ebene. Im ersten Kapitel werden familiäre Strukturen, Berufsvorstellungen, Studien zur Arbeitsmarktsegregation sowie Einkommensentwicklung und -ungleichheit in Deutschland analysiert. Hiernach folgt die Untersuchung der Ursachen und Faktoren des Verdienstunterschiedes zwischen Frauen und Männern auf literarischer Grundlage, der durch den sogenannten Gender Pay Gap abgebildet wird. Zudem wird auf Entwicklungen der schwedischen Frauenpartizipation und -erwerbsbeteiligung sowie auf Frauenbeschäftigungsumfang und Armutsrisiko in beiden Ländern eingegangen. Aus temporären und aus Gründen der Überschaubarkeit der vorliegenden Thesis, wird die theoretische Untersuchung im ersten Teil in den 80er Jahren stattfinden und die Entwicklung bis ins Jahr 2009 aufzeigen. Im darauf folgenden Abschnitt wird ein vergleichender Blick zwischen Deutschland und Schweden, insbesondere Armuts- und Reichtumslagen betreffend, gewagt. Ferner werden im zweiten Teil die Einflussfaktoren der Entgeldunterschiede auf Grundlage wissenschaftlicher Thesen empirisch überprüft. Die Basis der Untersuchung bietet das International Social Servey Programme 2002: Family and Changing Gender Roles 3. Ebenfalls aus temporären Gründen und jenen der Überschaubarkeit, findet die empirische Untersuchung lediglich für Deutschland statt. Letztendlich folgt der Untersuchung die Vorstellung gleichstellungspolitischer Maßnahmen beider Länder und eine Beurteilung der Ergebnisse sowie mögliche Zukunftsaussichten sowohl für die betreffende Zielgruppe, als auch für die Gesamtgesellschaft.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: Einleitung1 Teil 1:Entgeltungleichheit in Deutschland und ihre Ursachen5 1.1Beruf und Gehalt in Deutschland5 1.1.1Entwicklung der geschlechtsspezifischen Arbeitsmarktsegregation von 1980 bis 19906 1.1.2Ursachen und theoretische Ansätze9 1.1.3Aktuelle Befunde zu Geschlecht und Einkommen12 1.2Geschlechtsspezifische Arbeitsmarktsegregation in Schweden18 1.3Zusammenhang von Einkommen und Armut22 Teil 2: Gleichstellungspolitische Maßnahmen und ihre Erfolge25 Teil 3: Eine Empirische Untersuchung der geschlechtsspezifischen Einkommensunterschiede in Deutschland30 3.1Explikation der Hypothesen30 3.2Methodisches Vorgehen31 3.2.1Datengrundlage: ALLBUS/ ISSP 200231 3.2.2Operationalisierung der Hypothesen32 3.3Analyse34 3.3.1Analyse: Modus, Median und arithmetisches Mittel34 3.3.2Vorbereitung des Regressionsmodells36 3.4Analyse: multivariate Regression38 3.4.1Regression38 3.4.2Modellformulierung 40 3.4.3Schätzung der Regressionsfunktion41 3.4.4Prüfung der Regressionsfunktion42 3.4.4.1Bestimmtheitsmaß r²43 3.4.4.2F- Statistik43 3.4.4.3Standardfehler der Schätzung44 3.4.5Prüfung der Regressionskoeffizienten44 3.4.5.1T- Test der Regressionskoeffizienten45 3.4.5.2Beta- Wert45 3.5Interpretation der Ergebnisse und Prüfung der Hypothesen47 Teil 4: Fazit und Ausblick48 LiteraturTextprobe:Textprobe: Kapitel 2, Gleichstellungspolitische Maßnahmen und Ihre Erfolge: Die deutsche Bundesregierung Deutschland verfolgt mehrere Strategien und Maßnahmen zur Überwindung der Entgeltungleichheit als zentrales gleichstellungspolitisches Anliegen. Erschreckend ist aber, dass das Bundeskabinett erst seit 1999 die Gleichstellung von Frauen und Männern als Leitprinzip der Regierungstätigkeit ansieht und die Strategie des Gender Mainstreaming fördert, daher bei allen gesellschaftlichen Vorhaben die Interessen beider Geschlechter zu berücksichtigen- obwohl bereits in den 80er Jahren Studien zu dieser Thematik existierten. Diese hätten zu jener Zeit bereits zu Handlungen anspornen müssen. Weshalb dies nicht der Fall war, bleibt fraglich. Zur Förderung der Gleichstellung ist die Zusammenarbeit der Entscheidungsträger aus Politik, Tarifpartner, Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Verbände notwendig. Konkrete Ziele sind dabei die finanzielle und soziale Absicherung der Frau, Absicherung des Fachkräftebedarfs der Unternehmer und Abschaffung veralteter Rollenbilder und geschlechtsspezifischer Arbeitsmarktsegregation sowie die langfristige Verringerung der Entgeltungleichheit zwischen den Geschlechtern. Zu den Maßnahmen gehören einerseits die Verkürzung familienbedingter Erwerbsunterbrechungen und andererseits die Veränderung der weiblichen Erwerbsstruktur. Hierfür sind der Ausbau der Kinderbetreuungsmöglichkeiten, besonders für Kinder unter drei Jahren, und die steuerliche Absetzbarkeit der Betreuungskosten sowie der Ausbau des Elterngeldes notwendig, um es Männern und Frauen beiderseits zu ermöglichen, Beruf und Familie zu vereinbaren und die partnerschaftliche Betreuungsaufgabe des Nachwuchses gerecht aufzuteilen, sodass ein kontinuierlicher Erwerbsverlauf der Frau und existenzsichernde Verhältnisse gewährleistet werden können. Ein europaweiter Ländervergleich zeigt, dass der Entgeltunterschied kleiner ist, desto höher die Frauenerwerbstätigkeit und daher Familie und Beruf besser vereinbart werden können. Hierbei geht Schweden mit gutem Beispiel voran: der geschlechtsspezifische Einkommensunterschied ist kleiner und die Erwerbsbeteiligungsquote wesentlich höher als in Deutschland. Das deutsche Steuersystem und familienbezogene Sozialausgaben fördern das männliche Ernährermodell und den Rückzug der Frau aus dem Erwerbsleben. Das führt dazu, dass 2004 in den Familien der Vater zu 90 Prozent als Haupternährer fungierte. Hingegen sind die Steuersysteme anderer Länder individualisiert: in Griechenland, Finnland und Schweden macht es steuerlich keinen Unterschied, ob einer der Partner oder einer der beiden allein das Familieneinkommen bestreiten (vgl. Kröhnert/ Klingholz 2005). Das am 1.1. 2007 in Deutschland eingeführte Elterngeld- Konzept, das durchschnittlich 68 Prozent des Einkommens ersetzt, bietet ein Beispiel hierfür. Die Elternzeit beträgt 12 Monate und verlängert sich um weitere zwei, wenn beide Elternteile diese Zeit in Anspruch nehmen. Damit soll erreicht werden, dass Frauen und Männer in selben Ausmaßen ihre Erwerbstätigkeit aus familiären Gründen unterbrechen, und nicht mehr zum größten Teil oder sogar ausschließlich die Frau. Trotz guter Absichten des Familienministeriums sind die Erfolge sehr gering. Die 2007 gestellten Anträge auf Elterngeld stammen lediglich zu 13 Prozent von Vätern. Zugegebenermaßen waren es davor gerade mal 3,5 Prozent. Von den 13 Prozent der männlichen Antragssteller nehmen aber ein Drittel lediglich die zwei Partnermonate und nur 10 Prozent das gesamte Jahr in Anspruch. Im Vergleich: 89 Prozent der Mütter bleiben das gesamte Jahr daheim. Darüber hinaus bemüht sich die Bundesregierung darum, das Berufswahlspektrum junger Frauen zu erweitern, da die Berufswahl von tradierten Rollenbildern geprägt ist. Projekte hierfür, die in Kooperation mit anderen Entscheidungsträgern stattfinden, sind: Girl`s Day und Komm, mach MINT. Girl`s Day und Komm, mach MINT sind jährlich stattfindende Informationstage der Bundesregierung. Darüber hinaus plant das BMFSFJ, das Instrument Logib (Logib steht für 'Lohngleichheit im Betrieb') in Deutschland einzuführen, das seit 2006 in der Schweiz Anwendung findet. Mithilfe dieses Instruments können Unternehmen im Selbsttest untersuchen, ob und inwieweit sie Einkommensgleichheit gewährleisten. Dabei handelt es sich um eine statistische Regressionsanalyse auf Grundlage der Arbeitsplatz-, Lohn- und Qualifikationsdaten der MitarbeiterInnen. Dadurch sollen Unternehmen zur Durchsetzung der Entgeltgleichheit ambitioniert werden. Die Teilnahme der Unternehmen ist freiwillig, daher ist Logib ein Appell der damaligen deutschen Familienministerin Van der Leyen an die Unternehmen, der zu breiter Kritik geführt hat. Beispielsweise Elke Ferner, Vorsitzende der Arbeitsgruppe Sozialdemokratischer Frauen in der SPD hielt die Politik Van der Leyens im Spiegel- Interview schlichtweg für eine Akzeptanz der Ungleichbehandlung und die stellvertretende Grünen- Fraktionsvorsitzende im Bundestag Krista Sager ist der Meinung, dass ein Computerprogramm kein Ersatz für politische Steuerung sein kann. Andere europäische Staaten setzen hingegen auf Sanktionen statt Appelle. In Frankreich beispielsweise herrscht ein Gesetz zur Entgeltgleichheit. Bei Nichteinhaltung der Verpflichtungen können Sanktionen für die Unternehmen folgen. Die Europäische Kommission hat eine sogenannte Roadmap zur Förderung der Geschlechtergleichstellung in den Jahren 2006 bis 2010 festgelegt, in dieser alle Aktionspartner zur Handlung aufgefordert werden. Zudem wurde eine Arbeitsgruppe auf europäischer Ebene gebildet.