Das Problem der Gewaltausstrahlung im Tschetschenienkonflikt ist nach dem "Weg zur politischen Lösung", den die russische Regierung im Jahr 2003 eingeschlagen hat, eher größer als kleiner geworden. In seinen Hauptpunkten, vor allem mit der forcierten Wahl des bisherigen Verwaltungsleiters Kadyrow zum tschetschenischen Präsidenten, erwies sich dieser Weg als Scheinlösung. Rußland definiert den Konflikt weiterhin als seine innerstaatliche Angelegenheit und weist jeglichen Ansatz zur Internationalisierung zurück. Dabei greift Gewalt mehr als zuvor über die Grenzen der nordkaukasischen Teilrepublik hinaus. Zwar steht dieser Konfliktfall mit seinem Potential für regionale Eskalation hinter Konfliktherden wie Palästina, Afghanistan, Irak und Kaschmir zurück. Aber die Vorstellung, er sei als ein innerstaatliches Problem Rußlands "eingekapselt", ist ein Irrtum. Die Studie stellt dar, warum die Situation in Tschetschenien die internationale Politik über humanitäre Belange hinaus angeht, und setzt sich mit der im Jahr 2003 praktizierten Tschetschenienpolitik des Kreml sowie mit westlicher Rußlandpolitik in Hinsicht auf Tschetschenien auseinander. (SWP-Studie / SWP)
In: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht: ZaöRV = Heidelberg journal of international law : HJIL, Band 67, Heft 1, S. 145-157
Die in der Friedensforschung zugrunde gelegten Paradigmen der internationalen Politik sind keineswegs geschlechtsneutral. Mit den zentralen Kategorien Macht, nationales Interesse, Staatensystem etc. arbeiten die Friedensforscher im gleichen Denkstil wie die staatlichen Akteure. Das Besondere feministischer Ansätze besteht darin, daß sie Geschlechtsrollenannahmen, die in den gängigen Theorien von Krieg und Frieden enthalten sind, als Mechanismen kultureller Gewalt sichtbar macht, die die internationale politische Praxis ebenso wie deren wissenschaftliche Erforschung in "hegemonialer Weise" durch Ausgrenzung nichtkonformer Erfahrungen, Verhaltensweisen und Lebensformen prägen. Wissenschaftsimmanent könnte eine integrative Verbindung von Friedensforschung und feministischer Forschung fruchtbar werden. In Bezug auf die praktische Politik fordert die Autorin, daß sich Frauen auf gesellschaftlicher Ebene vernetzen und eine Nahost-Konferenz organisieren. Dabei müßten die Kategorien männlicher Entscheidungsprozesse, vor allem das Prinzip nationalstaatlicher Repräsentanz durchbrochen werden. (pka)
Auch im 21. Jahrhundert sieht sich die internationale Politik mit einer altbekannten, doppelten Fragestellung konfrontiert: Warum und wie kommt es einerseits dazu, daß Staaten oder gesellschaftliche Gruppen immer wieder zur Gewalt greifen? Wie lassen sich andererseits der Ausbruch und die Eskalation gewaltsamer Konflikte verhindern und, sollte dies nicht möglich sein, zumindest eindämmen? Als Zauberformel wird in der Wissenschaft und Praxis der Begriff der Prävention gehandelt, der seit dem Ende des Ost-West-Konflikts eine atemberaubende Karriere gemacht hat. Um die vielfach postulierte "Kultur der Prävention" angemessen zu erfassen, werden drei miteinander verknüpfte Aspekte problematisiert, die zugleich Erklärungselemente des Wandels im internationalen System bereithalten: 1. die Problemstruktur des internationalen Systems, 2. die organisatorische und politikfeldspezifische Struktur der internationalen Beziehungen (transnationale und internationale Akteure in den Politikfeldern Sicherheit, Entwicklung und humanitäre Hilfe) sowie 3. die normative Struktur internationaler Ordnung (Souveränität, Nichteinmischungsnorm). Vor diesem Hintergrund kann gezeigt werden, daß es zwar durchaus Prozesse der Zivilisierung der internationalen Politik gibt. Doch wird eben auch deutlich, daß kollektive Gewaltanwendung, insbesondere ihr Wandel, nach wie vor eine fundamentale Herausforderung sowohl für praktische Präventionspolitik als auch für die Theorie der Internationalen Beziehungen ist. ; Two well known questions re-emerge at the beginning of the new millenium for the study of international politics. First, why is organized violence a permanent feature of the international system and what are the underlying conditions for internal and international armed conflict? Second, how is it possible to prevent the outbreak of violence or at least limit the vertical and horizontal escalation of war? As a kind of magic formula, both in the scientific community and in practice, spooks the term of prevention, which made an impressive career since the end of the cold war. In order to understand the often postulated "culture of prevention" accurately, we suggest a concept by combining three inter-linked aspects: 1. the causes and issues of organized violence in the international system, 2. the organizational and political structure of international relations (transnational and international actors in the areas of security, development and humanitarian aid), and 3. the normative structure of international order (sovereignty, norm of non-intervention). Given these dimensions of continuity and change in the international system, there are some reasons supporting the argument that there are processes of civilization in the sphere of international politics. On the other hand, it is also striking that organized violence, in particular new patterns of conflict in weak or failed states, still represents a fundamental challenge for both the politics of prevention and international relations theory.