In: Anthropos: internationale Zeitschrift für Völker- und Sprachenkunde : international review of anthropology and linguistics : revue internationale d'ethnologie et de linguistique, Band 103, Heft 1, S. 225-228
Was hat die beliebte Schwarzwaldmetropole mit dem Kolonialismus zu tun und was haben wir hier im Globalen Norden damit zu tun? Wie wirkte sich der deutsche Kolonialismus auf Gesellschaften aus, die von ihm betroffen waren, und welche Folgen hat er für deren Nachfahren heute? Der Katalog zur gleichnamigen Ausstellung der Städtischen Museen Freiburg beleuchtet diese und weitere Fragen im Zusammenhang mit der Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus und soll motivieren, sich mit dem Themenfeld kritisch auseinanderzusetzen.
Kennzeichnend für den deutschen Kolonialismus war ein Widerspruch zwischen der geringen wirtschaftlichen Bedeutung der deutschen Kolonien und dem hohen Stellenwert, der ihnen im Bewusstsein der Öffentlichkeit zugemessen wurde. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts engagierte sich das Deutsche Kaiserreich stärker für die Entwicklung der Kolonien. Mit dem Durchbruch zu einer neuen Kolonialpolitik ging eine Reihe blutiger Erhebungen einher. Das Resultat war einerseits die Einführung eines modernen Kolonialmanagements, andererseits eine bessere Behandlung der afrikanischen Arbeitskräfte. Mit dem Versailler Vertrag wurden die deutschen Kolonien nach dem Ersten Weltkrieg Mandatsgebiete des Völkerbundes. Die deutsche Kolonialgeschichte endete damit als Realgeschichte - als Phantasie- und Projektionsgeschichte lebte sie jedoch noch bis nach dem Zweiten Weltkrieg fort. (ICE2)
Wenn wir in diesem Heft "den Kolonialismus" zum Schwerpunktthema machen, so meinen wir hier die europäische und später auch US-amerikanische und japanische Expansion, angefangen mit den Portugiesen und Spaniern im 16. Jahrhundert über die aggressive, imperialistische Politik der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis schließlich zur Entkolonialisierung in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg. Der Anlaß einer solchen Themenstellung ergibt sich aus der aktuellen Diskussion über 500 Jahre Kolonialismus anläßlich der europäischen Entdeckung Amerikas vor 500 Jahren.
Wie tief waren die Stadt Freiburg und ihre Bürgerschaft in die deutsche Kolonialgeschichte verstrickt? Und welche Bedeutung besaß der Kolonialismus für die Freiburgerinnen und Freiburger? Diese Studie zeichnet Freiburg als eine vom Kolonialismus stark geprägte Stadtgesellschaft. In allen sozialen Milieus war koloniales Gedankengut fest verankert: Sowohl im bürgerlich-nationalen wie im katholischen als auch im Arbeiter-Milieu dachten die meisten Menschen kolonial. Über alle politischen Gräben hinweg teilten sie die Überzeugung von einer zivilisatorischen Überlegenheit der Deutschen gegenüber den kolonisierten Bevölkerungen. Nationale und koloniale Vereine trommelten für die Errichtung neuer Kolonien und verteidigten die brutale Niederschlagung von Widerständen. Zahlreiche Gesellschaften und wissenschaftliche Vortragsserien widmeten sich kolonialen Themen, ein Völkerkundemuseum wurde eingerichtet, und die Lokalpresse berichtete ausführlich von den Kolonialkriegen, wo auch Freiburger Soldaten in die Kämpfe verwickelt waren. Das Interesse und Engagement für die Kolonien überdauerte auch das Ende der deutschen Kolonialherrschaft (1918). In der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus war der Kolonialrevisionismus in Freiburg besonders stark, wie sich auch bei der Reichskolonialtagung 1935 in Freiburg zeigte - dem lokalen Höhepunkt der Kolonialbegeisterung