Schieflagen sozialer Gerechtigkeit
In: SPW: Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft, Heft 1, S. 14-21
Der Autor untersucht unter Rückgriff auf empirisches Datenmaterial die anhaltende politische Vertrauenskrise in der Bundesrepublik Deutschland. Dabei orientieren sich die Ausführungen an der These, dass sich dieser Zustand keineswegs durch Prognosen eindimensionaler Trends, wie beispielsweise der Individualisierung, der politischen Verdrossenheit oder eines Wertewandels erklären lassen. Die Trends sind vielmehr nur Teilaspekte von komplexeren Kräftefeldern, die von den gesellschaftlichen Akteuren - Milieus und gesellschaftspolitischen Lagern - aktiv mitgestaltet werden. Die Milieus sind zwar vielfältig unterteilt, sie sind aber dennoch die modernisierten Nachfahren der historischen Klassen, Schichten und Stände, und sie teilen sich nach wie vor in privilegierte, weniger privilegierte oder unterprivilegierte Gruppen. Im Rahmen eines historischen Rückblicks wird zunächst die Krisensituation des Sozialmodells der BRD skizziert und das Paradox einer neoliberalen Sparpolitik seit den 70er Jahren erörtert, nämlich eine Stagnation in Form einer anhaltenden Nachfrage- und Wachstumsschwächung bei steigendem 'Arbeitslosensockel' trotz Wachstum der Produktivität. Die Abwertung der Arbeitskraft, die zu einer zunehmenden sozialen Schieflage führt, zeigt sich in vier Entwicklungstendenzen: (1) der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Nationalität, des Alters usw., (2) der Entwertung von qualifiziertem Arbeitsvermögen, (3) der Prekarisierung und (4) der Exklusion. Befragungsergebnisse zu diesem Prozess offenbaren eine Bereitschaft zu mehr eigenverantwortlichem Handeln in der Bevölkerung, kritisch wird aber angemerkt, dass diese Bereitschaft seitens der Politik nicht gerecht und leistungsgerecht motiviert, belohnt und sozial abgesichert wird. Das heißt, dass das politische Misstrauen die bisherige Demokratie- und Sozialverfassung nicht grundsätzlich in Frage stellt, sondern nur die Haltung der politischen Klasse zur Weiterentwicklung des Sozialmodells. Daran anknüpfend lotet der Autor abschließend die Chancen eines integrativen Sozialmodells aus. (ICG2)