Werden die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer?: zur Verschärfung der Einkommensungleichheit in entwickelten Ländern
In: Gesellschaft, Wirtschaft, Politik: GWP ; Sozialwissenschaften für politische Bildung, Band 54, Heft 3, S. 367-388
ISSN: 2196-1654
"Die ersten beiden Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts waren für die entwickelten Länder der Erde nicht nur eine Erfolgsgeschichte. Zwei Weltkriege, diverse Wirtschaftskrisen sowie nukleare und ökologische Beinahe-Katastrophen änderten jedoch nichts daran, dass die Bevölkerungen entwickelter Länder bis in die 1960er Jahre hinein mit überwiegend optimistischen Erwartungen in die Zukunft blickten. Die Menschen sahen immer mehr Wohlstand, Existenzsicherheit, Gesundheit, Bildung und nicht zuletzt mehr soziale Gleichheit kommen. Die zuvor krasse und weithin als ungerecht empfundene soziale Ungleichheit schien sich immer mehr in eine gemäßigte, durch berufliche Leistung legitimierte soziale Schichtung zu verwandeln. Bildung schien auch den Kindern unterer sozialer Schichten Aufstiegschancen zu eröffnen. Armut wurde auf dem Aussterbeetat gesehen. Das beständige Anwachsen der Mittelschichten galt als wesentliches Entwicklungskennzeichen von Industriegesellschaften. Zu einem gewissen Höhepunkt gelangten diese optimistischen Erwartungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Wir können aus heutiger Sicht nur mühsam nachvollziehen, mit wie viel Enthusiasmus in der Nachkriegszeit der weiteren Entwicklung entgegengesehen wurde. Diese Hoffnungen sind in den letzten zwei oder drei Jahrzehnten großenteils verflogen. Auch ohne erneuten Weltkrieg und ohne die befürchtete nukleare Menschheitskatastrophe ist der Pessimismus vorgedrungen. Besonders deutlich zeigt sich dies in Erwartungen kommender sozialer Ungleichheit." (Textauszug)