'Die nationalen Wohlfahrtsstaaten in Europa stehen heute vor einer doppelten Herausforderung. Sowohl interne gesellschaftliche Veränderungen wie die zunehmende Alterung unserer Gesellschaften als auch externe Prozesse wie die Globalisierung und insbesondere die wirtschaftliche Integration innerhalb des europäischen Binnenmarkts stellen viele traditionelle Wohlfahrtsprogramme in Frage. Inwiefern ist die Europäische Union in der Lage, die nationalen Wohlfahrtsstaaten bei der Bewältigung dieser Herausforderungen zu unterstützen? Nach einem Überblick über die historische Entwicklung und den heutigen Stand der europäischen Sozialpolitik stellt der Beitrag die sozialpolitischen Neuerungen im mittlerweile verabschiedeten EU-Verfassungsvertrag vor und diskutiert ihre möglichen Folgen. Die neuen Bestimmungen bieten Raum für eine Sicherung und Stärkung der nationalen sozialpolitischen Handlungsspielräume und für eine Weiterentwicklung der sozialen Dimension durch den EuGH. Zur Erklärung dieser Resultate werden die kontroversen politischen Diskussionen im Europäischen Konvent untersucht, der den Verfassungsvertrag in wesentlichen Teilen inhaltlich gestaltet hat. Dabei zeigen sich nationale, aber vor allem auch parteipolitisch verlaufende Konfliktlinien.' (Autorenreferat)
Im vorliegenden Beitrag wird gezeigt, dass die Entwicklung der EU-Sozialpolitik nicht nur aus der Bottom-up-Perspektive von Bedeutung ist, sondern dass sich daraus auch Rückwirkungen auf die nationalen Staat-Verbände-Beziehungen ergeben können. Die Autoren knüpfen damit an Arbeiten der jüngeren Europaforschung an, die sich mit dem Thema "Europäisierung" im Sinne von Top-down-Auswirkungen der europäischen auf die nationale Ebene beschäftigen. Die sich entwickelnde EU wird dabei als unabhängige Variable betrachtet, deren Einfluss auf die nationale Ebene am Beispiel der Implementation der europäischen Sozialpolitik analysiert wird. Konkret wird der EU-induzierte Wandel der Einbindung von Sozialpartnern in die nationale arbeitsrechtliche Regulierung in ausgewählten Mitgliedstaaten der EU hinsichtlich der Frage untersucht, ob die Europäisierung in diesem Bereich einen einheitlichen europäischen Weg bewirkt oder ob sich die nationalen Muster zumindest einander annähern. Die Autoren identifizieren zunächst verschiedene Veränderungsanstöße, die von der europäischen Ebene ausgehend einen Wandel der Interaktion zwischen nationalen Regierungen und Sozialpartnern bewirken. Sie beschreiben anschließend Mechanismen, über die diese Anstöße potentiell ihre Wirkung entfalten können, und stellen vor diesem Hintergrund die Ergebnisse ihrer empirischen Fallstudien in Großbritannien, Luxemburg, Belgien und Dänemark zur Europäisierung nationaler Staat-Verbände-Beziehungen vor. (ICI2)
Da der praktische Effekt der arbeitsrechtlichen EG-Richtlinien bisher noch nicht systematisch und vergleichend überprüft worden ist, hat sich eine Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung zum Ziel gesetzt, den jeweiligen Anpassungsbedarf und die konkreten Folgen von sechs verschiedenen Richtlinien für alle Mitgliedstaaten der EU empirisch zu erheben. Im Mittelpunkt stehen dabei folgende Fragen: Welche Folgen haben die EG-Vorschriften in arbeitsrechtlichen Richtlinien ganz konkret in den einzelnen Mitgliedstaaten? Erfolgen die Anpassungen überhaupt, und wie werden diese kontrolliert und durchgesetzt? Kommt es zu signifikanten Anhebungen der nationalen Standards, oder lassen sich nur leichte und materiell betrachtet unbedeutende Anpassungen beobachten? Gehen die Länder mit höheren Standards in Richtung der Mindeststandards nach unten, obwohl rein rechtlich Absenkungen infolge einer EG-Richtlinie verboten sind? Da der vorliegende Beitrag aus einer Frühphase der empirischen Auswertung stammt, beschränken sich die Autoren darauf, einen kurzen Überblick über die Entwicklung arbeitsrechtlicher EG-Richtlinien zu geben und einige qualitative Zwischenergebnisse zum Zusammenspiel von europäischen Richtlinien und nationalen Regeln im Arbeitsrecht vorzustellen. Anhand ausgewählter Beispiele diskutieren sie die potenziellen Wirkungsmuster von EG-Richtlinien (z.B. Lokomotivfunktion, Leuchtturmfunktion, Sicherheitsnetz, symbolische Politik, Magnet nach unten). Sie beschreiben darüber hinaus einige Besonderheiten des Mehrebenensystems in der europäischen Sozialpolitik (z.B. Durchschlagskraft der Richtlinienstandards in die nationalen Systeme auch bei Widerstand, Anpassungszwang auch bei negativer Kosten-Nutzen-Bilanz, indirekte Prozessintervention durch die EU, Verschmelzung der nationalen und supranationalen Politikprozesse). Nach Meinung der Autoren gilt es, die empirische Häufigkeit und Relevanz der einzelnen Wirkungsmuster in Zukunft kritisch zu prüfen und zu quantifizieren. (ICI2)
This paper presents first results from a collaborative research project which analyzes the national transposition, enforcement and application of six European labor law Directives in all 15 member states. Looking at the case of the EC's parental leave Directive (1996), it draws conclusions about the domestic impact of European social policy standards. It will interest practitioners as much as labor law experts that, in fact, adaptational pressure was created in all 15 member states. Although the overall economic impact of the Directive in terms of costs was rather modest, every single country had to change its rules. While misfit was rather small in Finland, France, Germany, Portugal, Spain and Sweden, the other member states were confronted with significant adaptation pressure. Political theorists may be surprised that our results cast doubts on the theoretical usefulness of focusing too much on matches or mismatches between European policies and domestic structures. We show that a very low degree of misfit may sometimes even be a problem rather than a condition for success and that the existence of considerable adaptational pressure may under certain conditions even be conducive to smooth implementation. In addition, several member states not only eliminated the misfit created by the Directive, but raised their domestic standards above the European minimum requirements. ; Dieses Papier stellt erste Ergebnisse eines Projektverbundes vor, der die rechtliche Umsetzung, administrative Durchführung und praktische Anwendung von sechs arbeitsrechtlichen EG-Richtlinien in allen 15 Mitgliedstaaten untersucht. Anhand der Richtlinie zum Elternurlaub (1996) werden hier die Auswirkungen europäischer Sozialstandards auf der nationalen Ebene behandelt. Für Praktiker und Arbeitsrechtsexperten gleichermaßen interessant dürfte unser Befund sein, dass die Richtlinie tatsächlich in allen Mitgliedstaaten Anpassungen nötig machte. Obwohl die von der Richtlinie verursachten Kosten insgesamt eher gering waren, musste doch jedes Land seine Regulierungen ändern. Während die erforderlichen Reformen in Deutschland, Finnland, Frankreich, Portugal, Spanien und Schweden von eher begrenzter Tragweite waren, sahen sich die übrigen Mitgliedstaaten mit beträchtlichem Anpassungsbedarf konfrontiert. Theoretisch Interessierte werden feststellen, dass unsere Ergebnisse Zweifel daran erwecken, ob die im Rahmen der Prognose des Anpassungserfolges bislang gängige Orientierung an der Größe des verursachten Anpassungsbedarfes wirklich sinnvoll ist. Wir zeigen, dass sehr kleiner misfit manchmal die erfolgreiche Anpassung sogar behindern kann, und dass hoher Anpassungsbedarf unter bestimmten Bedingungen größeren Erfolg verspricht. Darüber hinaus haben mehrere Mitgliedstaaten im Zuge der Implementation nicht nur die notwendigen Anpassungen vorgenommen, sondern ihre nationalen Standards über das von der Richtlinie geforderte Maß hinaus verändert.