Die Antisemitismus-Problematik im Politikbegriff von Carl Schmitt
Aus der Einleitung: Nicht nur das Werk von Carl Schmitt ist umfangreich. Auch die Literatur zu Schmitt ist zahlreich. In der Politikwissenschaft gibt es unterschiedliche Zugänge zu seinem Werk. Vielfach vorhanden sind biographische Arbeiten, weniger ideen- geschichtliche und theoretische. Je nach politischem Schwerpunkt der Forschung divergiert die Bewertung Schmitts zwischen einer ideologiekritischen und euphemistischen Perspektive. Die enzyklopädisch angelegte Buchveröffentlichung von Raphael Gross, '"Carl Schmitt und die Juden'" war in Hinsicht auf die groben antisemitischen Ausfälle im Werk von Carl Schmitt insofern eine wichtige Orientierungshilfe, als dessen während der NS-Zeit publizierte Aufsätze in der Regel entweder schwer zugänglich oder gar ganz aus dem offiziellen Bibliotheksbestand verschwunden sind. Mit dem Thema Antisemitismus bei Carl Schmitt scheint sich im Rahmen größerer wissenschaftlicher Arbeiten neben Raphael Gross niemand wirklich auseinandergesetzt zu haben. Über die einschlägigen Primärquellen hinaus, stellt Heinrich Meiers Darstellung der historischen Kontroverse um den Begriff des Politischen zwischen Carl Schmitt und Leo Strauss gegen Ende der Weimarer Republik einen wichtigen Bezugspunkt im kritischen Diskursgeschehen dar. Auch erwies sich bei der Erabeitung des Themas der mit der politisch-theologischen Mythologie und Anthropologie Carl Schmitts sich auseinandersetzende Band von Ruth Groh, 'Arbeit an der Heillosigkeit der Welt' als hilfreich. Um nun aber der Tragweite der Problematik des Antisemitismus im Politikbegriff von Carl Schmitt auf einer begrifflichen Ebene beizukommen, soll der theoretischen Auseinandersetzung mit dem entscheidenden deutschen Ausnahmesystematiker des zwanzigsten Jahrhunderts - dem staatsrechtlichen 'Dezisor' der Weimarer Republik - im Rahmen der vorliegenden Arbeit erstens eine allgemeine historische Herleitung von Antisemitismus vorangestellt werden. Im Zentrum des vorliegenden Textes, dessen normative Intention auf einer sprachsynthetischen Ebene zugleich gegen Antisemitismus als Latenzphänomen gerichtet ist, steht zweitens die historische Rolle und politische Bedeutung des staatsrechtlichen Denkers Carl Schmitt als eines weltanschaulichen Verschärfers. Der ontogenetisch-phylogenetische Strukturzusammenhang, welcher den Schmittschen Antisemitismus weniger generierte als dass sich dieser in dessen substantiviertem Politikbegriff, in eben dem Substanzbegriff des 'Politischen' reproduzierte, verweist zugleich auf die politische Passivität des Individuums in der bürgerlichen Gesellschaft, d.h. auf dessen sozietäre Situiertheit. Das soziohistorische Verhältnis der politischen Akteure zu-/ bzw. gegeneinander war gerade in Deutschland während der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts nicht substantiell durch das Individuum in Vermittlung über den Staat, sondern durch den Staat als säkularisiertes Totum bestimmt worden. Insofern das Individuum in Abstraktion aus der Substantialität der bürgerlichen Gesellschaft sich historisch weniger politisch als ökonomisch konkret konstituiert hatte, und die politischen Akteure in erster Linie gemeinschaftlich (innerhalb eines staatlich definierten Rahmens) und nicht gesellschaftlich (mit Hinblick auf eine kosmopolitische Nation) agierten, waren die historischen Gründe des modernen Antisemitismus in einem bestimmten politökonomischen Verhältnis von ('politisch') substantialisiertem Staat und bourgeoisem Subjekt zu suchen. Jüngere Entwicklungen im Kontext politikwissenschaftlicher Analysen gehen dahin, dass sie empirisch auf generative Verschiebungen im kultursoziologischen Konfliktfeld eines globalen Rahmens reagieren, dessen historische Ursachen - begründet durch die Singularität der Shoah - in der politischen Besonderheit des 'Nahostkonflikts' liegen. Die Konzeption des vorliegenden Entwurfs rekurriert auf einen Ansatz kritischer Gesellschaftstheorie, dem zufolge das allgemeinpolitische Problem des globalen Antisemitismus vermittelt über die Komplexität der diesem historisch zugrundeliegenden Strukturzusammenhänge zu fassen ist (vgl. Kap II. Antisemitismus). Im Zentrum des theoretischen ersten Teils dieser Arbeit steht weniger eine spezifische Analyse von Antisemitismus als dessen historisch genealogische Betrachtung. Der historische Formwandel in dem Verhältnis von vormodernem 'Antijudaismus' zu modernem Antisemitismus bildet den paradigmatischen Kern historisch-kritischer Begriffsbildung. Die vor- und frühgeschichtlichen Ursachen von Judenhass bzw. 'Antijudaismus', resultierend aus dem Opferritual und dessen Negation durch den jüdischen Monotheismus, bilden (in Hinsicht auf Tiefe und Umfang) den inhaltlichen Schwerpunkt der Darstellung, deren Intention - vom Versuch einer phylogenetischen Redefinition in Anknüpfung an Freud: Totem und Tabu) geleitet - weniger die konkret zu vermittelnde Konstitutionsform denn das allgemeine Strukturverhältnis von (abstrakt erscheinendem) Schuldkomplex und (konkretem) Fetischphänomen in das soziohistorische Zentrum der Deskription stellt. Die schuldstrategische Umwandlung dieses historischen Gesamtkomplexes zu modernen Formen gemeinschaftlich fetischisierter Unmittelbarkeit bildet aus dieser subjektbezogenen Perspektive das entscheidende Moment des in der Shoah kulminierenden modernen Antisemitismus. Mit historischem Blick auf die konstitutive Konstellation des Strukturverhältnisses von Vormoderne und Moderne, Gemeinschaft und Gesellschaft enthüllt sich die gesellschaftsfeindliche Dimension von Antisemitismus insbesondere unter Berücksichtigung des Paradigmas einer materialistischen Erkenntnistheorie.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: I.Vorbemerkungen4 II.Antisemitismus12 1.Judenfeindschaft - Antisemitismus: Begriffsbildung als soziohistorisches Paradigma12 1.1Politische Stigmatisierung und historische Formation: Antisemitismus oder die ewige Wiederkehr des Immergleichen?28 III.Der Schmittsche Politikbegriff: Leben, Werk und Antisemitismus33 1.Entscheidende lebensgeschichtliche Prägungen im wilhelminischen Deutschland33 2.Weimarer Republik: Systematisierung des Ausnahmezustands und politische Verschärfung37 3.Die Alternität des Antisemitismus und das substantialisierte 'Politische': Carl Schmitt, der 'Kronjurist 'des 'Dritten Reichs'47 4.Das programmatische Agens während der BRD: Von der öffentlichen Amnesie zur heimlichen Rekonvaleszenz?66 IV.Resumee80 V.Literaturverzeichnis89Textprobe:Textprobe: Kapitel 3, Der Schmittsche Politikbegriff: Leben, Werk und Antisemitismus: Entscheidende lebensgeschichtliche Prägungen im wilhelminischen Deutschland: Am 11.7. 1888 wurde Carl Schmitt im sauerländischen Plettenberg geboren, wo er in einer kleinbürgerlichen, katholischen Kaufmanns-Familie aufwuchs. Sein Katholizismus galt ihm als stammesmäßige Bestimmung mit lokalem Bezug; 1958 notierte der 70jährige, seine frühen zeitgeschichtlichen Prägungen periodisierend: 1. Kindheit: 1888-1900: Ins Sauerländische entorteter eifel-moselanischer Katholizismus. 2. Knabenalter: 1900-1907: Enttotalisierter Konviktsklerikalismus mit humanistischer Bildung. 3. Jüngling 1907-1918: Enthegelisiertes Großpreußentum wilhelminischer Prägung und Neukantianismus. 4. Mann 1919-1932: Entpreußtes Deutschtum mit Liberal-Demokratie Weimarer Art und stark nationalen Reaktionen (Anti-Versailles). Carl Schmitt verbrachte seine Kindheit in jener Blütezeit des wilhelminischen Im- perialismus, da die weltanschauliche Liaison von säkularisiertem christlichen Glauben und Preußentum weitgehend das politische Klima des 1871 unter Bismarck gegründeten deutschen Reiches dominierte. Da die weltliche Umgebung des katholischen Milieus, in dem Schmitt aufwuchs, deutlich durch den Protestantismus und dessen Bildungskanon gezeichnet war, machte sich ein indirekter protestantischer Einfluss schon früh auch bei Schmitt bemerkbar. Einerseits erzwang die Beschäftigung mit protestantischer Religionskritik während der Gymnasialzeit seinen Austritt aus dem katholischen Konvikt in Attendorn, andererseits entwickelte sich als Symptom der Bildungskatastrophe, in die der deutsche Katholizismus infolge der Enteignung kirchlicher Vermögen im Kontext der staatsrechtlich-politischen Säkularisation des neunzehnten Jahrhunderts geraten war, eine 'sog. katholische Inferiorität', deren Ressentiment Schmitt spätestens seit Beginn der Weimarer Republik teilte. Da das Ende des Kaiserreichs sowohl den Protestantismus als auch den Katholizismus in eine schwierige Lage gebracht hatte, während die Assimilation der jüdischen Minderheit an die protestantische Umgebung zu einem nicht unbedeutenden Teil wirtschaftlich und akademisch erfolgreich vollzogen war, gab es über die beiden christlichen Lager hinaus zunächst partikulare Bestrebungen, die in der Richtung ihrer Abgrenzung latenten homologen Bestand hatten. 'Aus der katholischen Perspektive rückte das Judentum in große Nähe zu den Institutionen und Denkweisen der Moderne. Der von Schmitt beharrlich bekämpfte Walter Rathenau hatte in diesem Zusammenhang einen ganz besonders hohen Symbolwert. Die tatsächlich auf einer bestimmten Ebene vorhandene Affinität zwischen Judentum und Moderne wurde im populären Diskurs grob verzerrt, und so erschien die jüdische Position in schärfstem Kontrast zur katholischen Skepsis gegenüber der Moderne. Trotzdem kam es nicht direkt zu einer Übernahme offen rassistischer, antisemitischer Positionen. Dies erklärt sich dadurch, daß der Rassismus aus katholischer Sicht selber Teil der zu bekämpfenden Moderne war. Dem rassistischen Antisemitismus begegnete man von katholischer Seite mit Vorbehalten, dadurch erhielt der katholische Antisemitismus seine eigene Prägung. Er mobilisierte traditionelle Elemente der Judenfeindschaft. Allerdings scheute man sich letztlich nicht, rassistische Stereotypen gegen die jüdische Moderne zu funktionalisieren. Besonders inkriminierte Phänomene wurden in der Folge als 'jüdisch' gekennzeichnet; die als bedrohlich empfundene Moderne mit ihrer zunehmenden Differenzierung . der Welt sollte durch komplexitätsreduzierende Schuldzuweisung an die traditionell abgelehnten Juden gebannt werden.' Schmitts rechtswissenschaftliches Studium in München, Berlin und Straßburg bewegte sich in einem Verhältnis der gleichzeitigen Nähe und Distanz zu dem im Kontext der europäischen Avantgarde seit der Jahrhundertwende allmählich sich herausbildenden Expressionismus. Carl Schmitt rezipierte den Expressionismus in rückwärtsgewandter Projektion auf die romantische Zeit eines erhaben konnotierten 'status naturalis'. Die Ablehnung der Moderne verkehrte sich - nach 1917 - gegen die `bürgerliche Subjektivität` schlechthin zum politischen Vorwurf, was an der komplementären Semantik der 1916 erschienen Schrift 'Theodor Däublers Nordlicht 'und der ersten Grundlegung für die Substantivierung des 'Politischen' durch 'Die politische Romantik' im Jahr 1919 nachvollziehbar ist. 'Schmitt war . Staatsdiener, als am 7. April 1919 in München die Räterepublik ausgerufen wurde. Vieles von dem, was er seitdem über das Verhalten von Staaten in Ausnahmezuständen schrieb, war von diesem Ereignis und von dem, was ihm vorausging, beeinflußt. Es hat ihn ein für allemal davon überzeugt, daß Staatstheorie nicht vom Normalfall, sondern vom Ausnahmefall her gedacht werden muß . In einer verwirrten Zeit . kreisten seine Gedanken um das zentrale Problem, auf welche Weise der Ausnahmezustand benutzt werden könne, um zum Normalzustand zu kommen.' Im nominalistischen Kontext der ontologischen Freund-/ Feindbestimmung mußte das substantialisierte 'Politische' insofern mit explizitem Antisemitismus einhergehen, als die gemeinschaftiche Disziplinierung und Ausschliessung von Formen gesellschaftlicher Autonomie zugleich als negative Projektion auf ein äußerlich gewendetes Selbstverhältnis zurückging. 'Der Feind ist unsre eigne Frage als Gestalt' (Theodor Däubler). 'Auctoritas, non veritas facit legem'(Thomas Hobbes). Weimarer Republik: Systematisierung des Ausnahmezustands und politische Verschärfung: Am Ende des ersten Weltkriegs resultierte der Ausnahmezustand für Schmitt und den zu einem heroischen Nihilismus sich stilisierenden Konservatismus seiner Zeit nicht aus den objektiven Materialschlachten, den geradezu unvorstellbaren menschlichen und sozialen Verlusten des Krieges, sondern aus der als subjektiver Schmach empfundenen Niederlage der Nation. In der Bewertung der Ereignisse des Krieges und der Kriegsschuldfrage gestattete man keinen Kompromiss. Seitens der politischen Reaktion in Deutschland wurde nicht nur der Versailler Vertrag (1919), sondern auch und gerade der Status der daran sich anschließenden Republik alsCrimen Laesae Maiestatis- als Fall von hoheitlicher Kompromittierung empfunden. Protektorate und Mandate gelten . offiziell als Formen der Herrschaft über halb- oder nichtzivilisierte Völker . Aber die Erde ist klein und . die alte überlieferte Vorstellung, die . die völkerrechtliche Praxis noch im 19. Jahrhundert beherrscht hat, nämlich die Einteilung der Menschheit in christliche und nichtchristliche Völker, die Gleichstellung von Christentum und Zivilisation und damit die Grundlage des Respekts vor den europäischen Völkern, alles das ist entfallen. Ein Abgrund trennt uns von der Zeit, da man in völkerrechtlichen Lehrbüchern noch vom Recht der christlichen Nationen sprach. Der größte Schritt auf diesem Weg zur Entthronung Europas war der Vertrag von Versailles.