Anti-Amerikanismus
In: 9/11, kein Tag, der die Welt veränderte, S. 151-165
Sowohl in Europa als auch im Mittleren Osten war der 11. September 2001 kein Bruch in der Entwicklung des Anti-Amerikanismus, wohl aber ein wichtiger und entscheidender Katalysator. Im europäischen Raum etwa wird die Schuld an den Anschlägen des 11. Septembers indirekt den Vereinigten Staaten selbst zugewiesen. Deren wiederholte Interventionen, imperiales Gebaren und geostrategische, vor allem ökonomische Interessen werden in den anti-amerikanischen intellektuellen Zirkeln Europas als der sinnstiftende Kontext des 11. September interpretiert. Dass Barack Obama weder den Irak-Krieg noch das Engagement in Afghanistan umgehend beendete, erklärt dann auch den anhaltenden, beziehungsweise rasch wieder einsetzenden Popularitätsverlust in Europa. Es ist diese vermeintliche Solidarisierung mit den Gesellschaften des Mittleren Ostens, die den europäischen Anti-Amerikanismus mit demjenigen dieser Region verbindet. Der Anti-Amerikanismus in seiner gegenwärtigen Form bezieht seine Kraft aus einer paradox anmutenden Verbindung beider Anti-Amerikanismen: aus politisch motivierter Zurückweisung der Moderne im Nahen und Mittleren Osten und einer Kritik an den Vereinigten Staaten in Europa, die den politischen Begriff der Moderne an sich schon als imperialistisch ablehnt. (ICB2)