Die dynamische Bevölkerungsentwicklung Ostdeutschlands seit 1990 zeigt am Beispiel der Entstehung einer Residualbevölkerung die unterschiedlichen Variationen der Selektivität von Wanderungen: Einer Bevölkerung, die aufgrund langfristig wirkender selektiven Wanderungsverluste im ländlich-peripheren Raum ein spezifisches demographisches Verhalten aufweist. Der Wanderungsverlust Ostdeutschlands mit über 2,5 Millionen Menschen hat tiefgreifende Auswirkungen auf die alters-, geschlechts- und bildungsspezifische Bevölkerungsstruktur der neuen Bundesländer hinterlassen. Auch wenn die jungen Generationen zumeist das politisch geeinte Deutschland leben, existieren mit Blick auf die vorliegenden demographischen Prozesse und Strukturen bis heute nahezu zwei deutsche Staaten. Die Entwicklungen sowie die Auswirkungen insbesondere der räumlichen Bevölkerungsbewegung wurden entsprechend dem Stand der Forschung vor dem Hintergrund der Situation Ostdeutschlands vorgestellt und die darauf aufbauenden Forschungsthesen benannt. Das bisher nur theoretische Konstrukt der Residualbevölkerung, die Interdependenz aus natürlicher und räumlicher Bevölkerungsbewegung, wurde anhand von unterschiedlichen demographischen Parametern (u. a. hohe Fertilität, hohe Mortalität, starke Wanderungsverluste, großes Frauendefizit, Überalterung) eingeordnet und damit als messbar definiert. Am Beispiel Mecklenburg-Vorpommerns konnte anschließend gezeigt werden, wie sich die Bevölkerungsstruktur des ehemals jüngsten Bundeslandes aufgrund der selektiven Migration innerhalb eines Vierteljahrhunderts in das älteste umkehrte. Um diesen Verlauf nachzuvollziehen, wurden auf Gemeindeebene die unterschiedlichen Bewegungsentwicklungen ab 1990 dargestellt: Der Rückgang der Sterblichkeit, der Wiederanstieg der Fertilität sowie der sich manifestierende Wanderungsverlust junger Frauen. Daran anschließend zeigten Strukturberechnungen, wie sowohl das Billeter-Maß als auch Geschlechterproportionen, die umfassenden Auswirkungen der Bewegungen auf den Bevölkerungsstand und dessen Struktur Mecklenburg-Vorpommerns: Einen stetigen Rückgang der Bevölkerungszahlen, ein über-proportionales Frauendefizit in jüngeren Altersjahren und eine fortlaufend beschleunigte Alterung der Bevölkerung. Vor dem Hintergrund dieser Rahmenbedingungen wurde für die Zeiträume 1990-2001 und 2002-2013 jeweils eine Clusteranalyse durchgeführt, die als Ergebnis eine Typisierung von Gemeinden hinsichtlich einer messbaren Residualbevölkerung ermöglichten. Entsprechend der Vordefinition eines solchen migrationellen Konstruktes konnte für etwa jede fünfte Gemeinde in Mecklenburg-Vorpommern solcherart demographische Bedingungen identifiziert werden. Diese Gemeinden liegen tendenziell im Binnenland und fern der Zentren – eine zentrale Verortung konnte nicht festgestellt werden. Von Gemeinde zu Gemeinde unterschieden sich die demographischen Parameter teils stark, so dass von einflussreichen lokalen (nicht betrachteten) Rahmenbedingungen ausgegangen werden muss. Dagegen konnten auch Gemeinden ohne residuale Züge identifiziert werden. Etwa jede dritte Gemeinde Mecklenburg-Vorpommerns wies keine Parameter einer Residualbevölkerung auf. Diese Regionen waren vor allem in der Nähe der Zentren und der Küste zu finden. Die verbliebenen Gemeinden zeigten nur kurzfristig oder nur im geringfügigem Maße Indizien für eine solche Bevölkerung – das betraf etwa die Hälfte aller Gemeinden im Land. Nach der gesamtgemeindlichen Analyse wurde die Bevölkerungs- und Sozialstruktur der dabei betroffenen Gemeinden Strasburg (Um.) im Landkreis Vorpommern-Greifswald und Dargun im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte detailliert analysiert. Die Bevölkerungsentwicklung beider Betrachtungsgemeinden entsprach der vieler ostdeutscher Kleinstädte im ländlichen Raum nach der politischen Wende: Während die Gemeinden in der DDR Bevölkerungswachstum erfuhren oder zumindest gleichbleibende Bevölkerungszahlen als regionales Zentrum aufwiesen, verursachte die Abwanderung vor allem junger Menschen und ein manifestierter Sterbeüberschuss nach 1990 stetig rückläufige Zahlen. In diesen beiden Gemeinden wurden dann nicht gesamtgemeindliche Bevölkerungszahlen analysiert, sondern vielmehr die Zusammensetzung einer Gemeindebevölkerung vor dem Hintergrund ihres Migrationsstatus differenziert. Für den Zeitraum 1979-2014 wurden deshalb anhand dieses Status die Bevölkerungen beider Gemeinden in Sesshafte und Zugezogene unterteilt. Aufgrund der sowohl vorhandenen Sterbe- als auch Geburtsstatistik war es möglich, die natürliche und räumliche Bevölkerungsbewegung der insgesamt fast 22.000 Men-schen direkt herauszuarbeiten. Die sesshafte Bevölkerung repräsentiert dabei die Menschen, die am ehesten dem Typus "Residualbevölkerung" entsprechen. Nach Berechnung der Mortalitäten für unterschiedliche Zeiträume ergab sich tendenziell eine höhere Sterblichkeit bzw. geringere Lebenserwartung der Sesshaften gegenüber den Zuzüglern bei Frauen wie Männern. Wurden darüber hinaus die Zugezogenen nach Lebensdauer in den Betrachtungsgemeinden differenziert, ergab bei beiden Geschlechtern eine längere Zugehörigkeit zu den Gemeinden auch eine höhere Sterblichkeit. Damit wurde einerseits die generell höhere Mortalität des ländlich-peripheren Raums gegenüber dem urbanen Raum bestätigt. Andererseits entspricht die höhere Sterblichkeit der sesshaften gegenüber der der nichtsesshaften Bevölkerung den Vorüberlegungen zur Residualbevölkerung. Darüber hinaus wurde zusätzlich der Parameter "Bedürftigkeit" berücksichtigt. Hier konnte erwartungsgemäß für beide Betrachtungsgemeinden die höchste Sterblichkeit der von Sozial-leistungen betroffenen Menschen festgestellt werden. Je länger dabei die Bezugsdauer, umso höher war die aufgezeigte Mortalität – dies sogar zumeist vor der sesshaften Bevölkerung. Bezieher von Sozialhilfe waren im Vergleich zu Beziehern von Wohngeld am stärksten betroffen; Unterschiede bei Männern besonders stark vertreten. Die Nichtbezieher wiesen bei beiden Geschlechtern die geringste Sterblichkeit auf. Neben der Mortalität wurde als zweite Variable der natürlichen Bevölkerungsbewegung die Fertilität der beiden Bevölkerungsgruppen untersucht. Hier ergaben sich jedoch keine signifikanten Unterschiede zwischen beiden Bevölkerungsgruppen Im Bereich der Periodenfertilität wiesen Zuzügler gegenüber den Sesshaften eine erhöhte Fertilität auf. Berechnungen der Kohortenfertilität ergaben wiederrum eine leicht höhere Fertilität der Sesshaften. Auch eine detaillierte Analyse der Zuzüglerinnen offenbarte kein einheitliches Bild. Mit Blick auf die Bedürftigkeit war festzustellen, dass die Bezieherinnen eine deutlich höhere Fertilität gegenüber Nichtbezieherinnen – unabhängig von der Bezugsdauer – aufwiesen. Im Ergebnis wurde damit zwar die generell höhere Fertilität des ländlich-peripheren Raums gegenüber dem urbanen Raum bestätigt. Die entsprechenden Vorüberlegungen zur Fertilität der sesshaften gegenüber der nichtsesshaften Bevölkerung konnten aber nicht eindeutig verifiziert werden. Die gesamtheitliche Betrachtung der Gemeindeberechnungen zeigte demzufolge ein zweitgeteiltes Bild: Die Ergebnisse der Mortalität bestätigen die Annahmen zur Residualbevölkerung, die Ergebnisse der Fertilität nur in Teilen. Auch wenn die festgestellten Fertilitäts- und Morta-litätsunterschiede ortsbehaftet sind – sei es durch Umwelteinflüsse vor Ort oder die Art der Menschen zu leben: Je länger die Menschen in Regionen mit einem bestimmten Fertilitäts- und Mortalitätsniveau leben, umso stärker passen sie sich diesem an – in beide Richtungen. Vor dem Hintergrund sowohl der Typisierung aller Gemeinden als auch der beiden Betrach-tungsgemeinden ist zu konstatieren, dass beide Variablen der natürlichen Bevölkerungsbewegung nichtgleichberechtigt nebeneinander zur Erklärung einer Residualbevölkerung fungieren müssen. Unter der Beibehaltung der theoretischen Annahmen ist dementsprechend zukünftig von einer Residualbevölkerung mit Schwerpunkt einer hohen Mortalität einerseits und mit Schwerpunkt einer hohen Fertilität andererseits auszugehen. Das bisher in der Literatur benannte Frauendefizit stellt darüber hinaus nur einen Parameter unter mehreren dar und sollte bei nachfolgenden Betrachtungen nicht als alleiniger Indikator dienen. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse sowohl aus beiden Gemeinden als auch aus den Clus-teranalysen wurde ein Modell einerseits zur Entstehung der Residualbevölkerung, andererseits zum Wirken der selektiven Migration generell erstellt. In Abhängigkeit von Alter und Geschlecht und unter Voraussetzung einer langfristig konstanten Wanderungsbewegung konnte so der theoretische Einfluss der räumlichen Bevölkerungsbewegung auf die Bevölkerungsstruktur – und damit indirekt auch auf die natürliche Bevölkerungsbewegung – vereinfacht projiziert werden. Der ostdeutsche ländlich-periphere Raum ist abschließend als Sonderform des ländlich-peripheren Raums einzuordnen. Die hier gezeigte Residualbevölkerung kann als ein Indikator für – den gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Verwerfungen geschuldeten – langfristige Wanderungsverluste eingeordnet werden. Die überproportional ausgeprägte Bedürftigkeit im ländlich-peripheren Raum kann deshalb auch als ein Merkmal der Sesshaftigkeit eingeordnet werden. Insofern ist die Residualbevölkerung, vor dem Hintergrund der darüber hinaus als perspektivisch ungünstig erachteten Zukunftsaussicht, als Bevölkerungsgruppe eines Raumes abnehmender Entwicklungsstufe zu verstehen. Es ist daher ratsam, einerseits eine Verbesserung der Lebenssituation betroffener Menschen in ländlich-peripheren Räumen zu erwirken und andererseits diesen Herausforderungen raumplanerisch stärkeres Gewicht zu verleihen. Die zukünftige dahingehende Gestaltung ländlich-peripherer Räume in Ostdeutschland bedarf aus Sicht des Autors deshalb mehr an Autarkie sowie flexibler Kreativität. ; The dynamic population development in East Germany since 1990 shows the different variations in the selectivity of migration: A population that has a specific demographic behavior due to long-term selective migration losses in the rural-peripheral area. The migration loss of more than 2,5 million people in East Germany has profound effects on the age-specific, gender-specific and education-specific population structure of the new federal states. Even though the younger generations mostly live in a politically united Germany, with regard to the present demographic processes and structures, almost two German states still exist today. The developments as well as the effects of the spatial population movement in particular were presented according to the state of research against the background of the situation of East Germany and the research theses based on it were named. The so far only theoretical construct of the Residualbevölkerung, in the interdependency of natural and spatial population movement, was arranged on the basis of different demographic parameters (among the things high fertility, high mortality, strong migration losses, large woman deficit, overaging) and thus defined as measurable. The example of Mecklenburg-Vorpommern has shown afterwards explained how the population structure of the formerly youngest federal state reversed into the oldest within a quarter of a century due to selective migration. In order to follow this course, the different movements from 1990 onwards were presented at community level: The decline in mortality, the increase in fertility and the apparent continuation of migration loss in young women. Subsequently, structural calculations, such as the Billeter-Maß, as well as gender proportions, showed the overall impact of movements on the population level and its structure of Mecklenburg-Vorpommern, viz a steady decline in population, a disproportionate deficit of young women and an accelerated aging of the population. Against the backdrop of these conditions, a cluster analysis was carried out for the periods 1990-2001 and 2002-2013 respectively which allowed typologies of communities for a measurable residual population. According to the predefinition of such a migration construct, demographic conditions could be identified for about one in five communities in Mecklenburg- Vorpommern. These communities tend to be inland and remote from the centre, centralized location could not be determined. From community to community, the demographic parameters are sometimes very different, so that influential local conditions (not considered) have to be assumed. On the other hand, communities without residual traits could be identified. About one in three municipalities in Mecklenburg-Vorpommern had no parameters of a Residualbevölkerung. These regions were mainly found near the centres and the coast. The remaining municipalities showed only short-term or insignificant evidence for such a population, that was about half of all communities in the country. According to the analysis of the total community, the population and social structure of the affected communities Strasburg (Um.) in the district of Vorpommern-Greifswald and Dargun in the district of Mecklenburger Seenplatte are analyzed in detail. The population development of both viewing communities corresponded to that of many eastern German rural towns after the political change, while the communities in the GDR experienced population growth or at least a constant population as a regional centre, the emigration of mainly young people and a manifested death surplus after 1990 caused steadily declining numbers. In these two communities population numbers were not analyzed, but rather the composition of a community population was differentiated against the background of their migration status. For the period 1979-2014, therefore, this status has divided the populations of both communities into settled and immigrant communities. Based on the existing mortality and birth statistics it was possible to work out directly the natural and spatial population movement of the nearly 22.000 people. The sedentary population represents the people most closely associated with the type of " Residualbevölkerung". Calculating mortality rates for different periods, there was a tendency towards higher mortality rates and lower life expecting for sedentary people compared with the immigrants (in women as well as in men). In addition, if the immigrants were differentiated by their duration of life in the viewing communities, a longer affiliation to the communities also resulted in a higher mortality in both sexes. On the one hand, this confirmed the generally higher mortality of the rural-peripheral area compared to the urban area. On the other hand, the higher mortality of the sedentary population compared to that of the non-sedentary population corresponds to the consideration of the Residualbevölkerung. In addition, the parameter "neediness" was additionally taken into account. Here, as expected, the highest mortality rate of people affected by social benefits could be determined for both viewing communities. The longer the duration of the treatment, the higher is the mortality rate and this is even higher than that of the sedentary population. Beneficiares of social assistance were the most affected compared with beneficiares of housing assistance. Differences in men are particulary strong. The non-recipients showed the lowest mortality in both sexes. In addition to mortality, the fertility of the two populations was studied as the second variable of the natural population movement. However, there were no significant differences between the two populations. In the area of period fertility, newcomers showed increased fertility compared to the sedentary population. Calculations of cohort fertility, in turn, showed a slightly higher fertility of the sedentary population. A detailed analysis of the newcomers also revealed no uniform picture. With regard to the neediness, it was noted that the recipients had a significantly higher fertility rate vis-a`-vis non-recipients, regardless of the duration of receipt of social benefits. As a result, the generally higher fertility of the peripheral area compared to the urban area was confirmed. However, the respective considerations of fertility of the sedentary versus non-indigenous population could not be clearly verified. The holistic consideration of the municipal calculations thus showed a split picture: The results of the mortality confirm the assumptions about the Residualbevölkerung, the results of the fertility only partially. Even if the observed differences in fertility and mortality are location-dependent, whether due to environmental factors on site or the way people live: The longer people live in regions with a defined fertility and mortality level, the more they adapt to it - in both directions. The background to both the typification of all communities and the two communities of concern is that both variables of the natural population movement do not have to function equally alongside one another to explain a Residualbevölkerung. Accordingly while maintaining the theoretical assumptions, a Residualbevölkerung with a high mortality focus on the one hand and a high fertility focus on the other hand should be assumed. The women`s deficit mentioned so far in the literature also represents only one parameter among several and should not be used as a sole indicator in subsequent considerations. Taking into account the results from both municipalities and cluster analysis, a model was created on the one hand for the emergence of the Residualbevölkerung and on the other hand for act of selective migration. Depending on age and gender and assuming a long-term constant migration, the theoretical influence of the spatial population movement on the population structure and thus also indirectly on the natural population movement could be projected in a simplified manner. The eastern German rural-peripheral area is finally classified as a special form of rural-peripheral space. The Residualbevölkerung shown here can be categorized as an indicator of long-term migration losses owed to societal, cultural and economic upheavals. This disproportionately high need in the rural-peripheral area can therefore also be classified as a feature of sedentary life. In this respect, the Residualbevölkerung as seen against the background of a poor future is to be understood as the population group of a decreasing development level. It is therefore advisable, on the one hand, to improve the living conditions of affected people in rural-peripheral areas and, on the other hand, to give these challenges greater emphasis in terms of spatial planning. From the author`s point of view, the future design of rural-peripheral areas in East Germany therefore needs more self-sufficiency and flexible creativity.
Die Politbarometer werden seit 1977 etwa monatlich von der Forschungsgruppe Wahlen für das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) durchgeführt. Seit 1990 steht diese Datenbasis auch für die neuen Bundesländer zur Verfügung. Im Zentrum der Untersuchung stehen die Meinungen und Einstellungen der wahlberechtigten Bevölkerung in der Bundesrepublik zu aktuellen politischen Themen, Parteien und Politikern sowie dem Wahlverhalten. 1990 bis 1995 und ab 1999 wurden die Politbarometer-Umfragen in den neuen und alten Bundesländern getrennt durchgeführt (Politbarometer Ost bzw. Politbarometer West). Die monatlichen Einzelumfragen eines Jahres werden in einen kumulierten Datensatz integriert, der alle Erhebungen eines Jahres und alle Variablen des jeweiligen Jahrganges umfasst. Ab 2003 sind die Politbarometer-Kurzbefragungen, die unterschiedlich häufig im Jahr erhoben werden, in die Jahreskumulation integriert.
Inhaltsangabe:Problemstellung: Wirtschaftskriminalität wurde in Deutschland als eigenständiges Forschungsobjekt schon Ende des letzten Jahrhunderts diskutiert und thematisiert. Nach dem ersten Weltkrieg interessierten sich verschiedene Fachbereiche für die Erforschung der Phänomene Kriegswirtschaft, Industriespionage und Kreditbetrug. Eine Integration der breiten Öffentlichkeit entstand 1939 durch den Ansatz von Sutherland, der den Begriff white-collar-crime prägte. Dieser Begriff bezeichnete alle kriminalistischen Handlungen, die im Zusammenhang mit einer beruflichen Tätigkeit stehen und einem potentiellen Täter, nicht aber dem eigentlichen Stereotyp eines klassischen Kriminellen, entsprechen. Trotz aller Diskussionen und Forschungen ist und bleibt Wirtschaftskriminalität ein akutes Problem und Bestand unserer Gesellschaft; der kontinuierliche Verfall ethischer Werte und die zunehmende Globalisierung mittels Komplexität der Geschäftsabläufe unterstützen diesen Trend noch zusätzlich. Gerade in heutiger Zeit werden Unternehmen durch wirtschaftkriminelle Handlungen ihrer Mitarbeiter und Dritter immer häufiger tangiert. Dies korreliert mit der Tatsache, dass die Anzahl der gemeldeten und polizeilich verfolgten Straftaten aufgrund höherer Sensibilität und gestiegener Kontrollaktivitäten von Mitarbeitern, unternehmerischer Stabsstellen und Geschäftsführung stark ausgebaut wurden. Bisher ist es den fachwissenschaftlichen Bereichen nicht gelungen, sich auf eine einheitliche Definition der Wirtschaftskriminalität zu einigen. Erste Definitionsansätze stammen aus dem Bereich der Soziologie, die vorhandene gesellschaftliche Faktoren der Täter in den Vordergrund stellen. Seit diesem ersten Versuch einer Definition interpretiert die Literatur den Begriff Wirtschaftskriminalität sehr unterschiedlich, da jeder Autor versucht, bestimmte Merkmale herauszufiltern und zu bewerten, ohne einen übergreifenden Konsens zu finden. Grund hierfür besteht in den eigentlichen Erscheinungsformen von Wirtschaftskriminalität. Sie kann als vielfältig und besonders diffuses und schwer erfassbares Phänomen bezeichnet werden. Daher kann eine einheitliche Definition des Begriffes Wirtschaftskriminalität bis heute nicht abgebildet werden und darf nur als Zusammenfassung von beteiligten Straftaten beschrieben und gleichzeitig als interdisziplinäres Phänomen klassifiziert werden. Unter dem Schlagwort Wirtschaftskriminalität können daher die Straftaten Bestechung, Steuerhinterziehung, Betrug oder der Diebstahl von sensiblen Unternehmensdaten zusammengefasst werden. Weiterhin kann darunter noch der Anlagebetrug, Kreditvermittlungsbetrug, Markenpiraterie und Subventionsbetrug als nicht abschließende Aufzählung verstanden werden. Eine übergreifende Definitionsgemeinsamkeit existiert in der Literatur nur hinsichtlich des Charakters des wirtschaftsbezogenen Deliktes und der Kennzeichnung durch hohe Schadenssummen. Es findet eine Bewertung mittels Indikatoren statt, die u.a. als Verstoß gegen Rechtsnormen, Vertrauensmissbrauch, Verflüchtigung der Opfereigenschaft angesehen werden können und keine direkte Gewaltanwendung darstellen. Deshalb kann argumentiert werden, dass je mehr Indikatoren zu einem Sachverhalt vorliegen, desto stärker die Indizien auf ein Vorliegen von wirtschaftskriminellen Handlungen sind. Gleichwohl existiert in der Literatur keine Einigkeit hinsichtlich der eindeutigen Abgrenzung von Wirtschaftskriminalität, Wirtschaftsstrafsachen, Wirtschaftsstraftaten und Wirtschaftsdelinquenz. Globaldefinitionen aller Begriffe erscheinen unbrauchbar, da die Einzeldelikte zu weit gefasst werden und dann auch u.a. der Ladendienstahl erfasst werden müsste. Bezüglich Wirtschaftskriminalität und Gesamtschadensniveau herrscht unter Experten in der Literatur auch Uneinigkeit, da der Gesamtschaden, der durch wirtschaftskriminelle Handlungen erfolgt, nur geschätzt werden kann. Als Grund hierfür kann die unternehmensinterne Ermittlung von Schadensfällen angesehen werden, da durch Geschäftsführung und Vorstand ein Reputationsschaden befürchtet wird und somit keine Integration von Strafverfolgungsbehörden, inklusive deren Statistikführung, vorgenommen wird. Gleichzeitig bestehen Risiken hinsichtlich des zukünftigen Umsatzniveaus, da bestehende und potentielle Kunden durch Medienpublikationen abgeschreckt werden. Um das Gesamtschadensniveau durch wirtschaftskriminelle Handlungen genauer zu bewerten, versucht die als Dunkelfeldforschung deklarierte Bewertungsmethode das Schadensniveau von den formal bekannt gewordenen Straftaten auf das tatsächliche bestehende Schadenspotential aller wirtschaftskrimineller Delikte abzuleiten, da eine Aufklärung aller möglichen Delikte nur unter Einbeziehung von kriminalistischer Analyse und strikter Beweisführung möglich ist. Man geht von ca. 100 Milliarden Euro pro Jahr Schadenssumme aus und Statistiken und Expertenmeinungen sehen eine weitere Steigerung diesen Ausmaßes. Gleichwohl zeigt das starke Verhältnis von Anzahl und Ausmaß der Wirtschaftkriminalität in der polizeilichen Kriminalstatistik das eigentliche Risiko für Unternehmen und Gesellschaft. Danach haben die registrierten und abgeschlossenen wirtschaftskriminellen Delikte, gemessen an allen Delikten in der PKS, einen wertmäßigen Anteil von 1 bis 2 Prozent und besitzen gleichzeitig ein Gesamtschadensniveau von ca. 60 Prozent, was die Relevanz von Wirtschaftskriminalität nochmals deutlich unterstreicht. Gerade mittelständische Unternehmen bewerten das Risiko von wirtschaftskriminellen Handlungen als überaus hoch, da der langfristige Bestand der eigenen Gesellschaft in Gefahr scheint. Die durch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers jährlich durchgeführten Befragungen und Studien zu Wahrscheinlichkeiten und Schadensniveau wirtschaftskrimineller Handlungen, unterstreichen diese Tatsachen besonders. Diese kommen zum Ergebnis, dass mittlerweile jedes zweite deutsche Unternehmen Opfer von wirtschaftskriminellen Handlungen wird und 2003 eine Schadenshöhe von durchschnittlich 3,4 Millionen Euro für jedes betroffene Unternehmen und ein Gesamtschadensniveau von über 250 Millionen Euro in Deutschland entstand. Gleichwohl wird argumentiert, dass 62 Prozent aller Unternehmen mit mehr als 5.000 Mitarbeitern Opfer von wirtschaftskriminellen Handlungen waren, was das Risiko der geringen Entdeckungswahrscheinlichkeit in größeren Unternehmen unterstreicht. Unternehmensbefragungen zeigen deutlich, dass über 70 Prozent aller befragten Unternehmen Wirtschaftskriminalität als überaus ernsthaftes Problem empfinden und vier von fünf Unternehmen erwarten, dass das Ausmaß wirtschaftskrimineller Handlungen, vor allem im Bereich Korruption, in Zukunft noch weiter steigen wird. So kann das zunehmende Einkommensgefälle, Internationalisierung und ein unterschiedliches Werteverständnis als mögliche Erklärung angesehen werden. Kritisch kann in diesem Zusammenhang der Ansatz der Justiz und vor allem der strafrechtlichen Verfolgungsbehörden bewertet werden. So haben auf der einen Seite Unternehmer überzogene Erwartungen in Bezug auf straf- und zivilrechtliche Unterstützung und Sanktionierung. Auf der anderen Seite arbeiten Verfolgungsbehörden nach Meinung von Literatur und Presse mit zu knappen polizeilichen und justiziellen Ressourcen. Gleichwohl wird argumentiert, dass Strafprozesse im Rahmen von wirtschaftskriminellen Handlungen allein im Interesse der Öffentlichkeit geführt werden und die eigentliche Opferstellung und Schadhaftigkeit nur beiläufig einfließt. Aufgrund einer immer größer werdenden Präsenz und Gesamtproblematik der Wirtschaftskriminalität und speziell Korruption, stehen Gesellschaft, Politik und Justiz vor neuen Herausforderungen. Korruption als fester Bestandteil wirtschaftlicher Systeme in Deutschland: "Korruption ist die Autobahn neben dem Dienstweg". Nach Ansicht von Experten und Literatur kann Korruption und deren Einfluss als fester und selbständiger Bestandteil von Wirtschaftskriminalität und organisiertem Verbrechen angesehen und aufgrund seiner vielfältigen Erscheinungsformen als verbreitetes Krebsgeschwür bzw. durch eine gegebene Sogwirkung als Virusinfektion umschrieben werden. Eine Entwicklungsbetrachtung von Korruption und deren praktische Bedeutung in der Bestechungskriminalität zeigt, dass es sich nicht um eine hochmoderne und aktuelle Erscheinungsform handelt. Der Blick in die Geschichte beweißt, dass es Korruption schon immer in nahezu allen Kulturen und Zeiten gab, ebenso wie Initiativen gegen korrupte Maßnahmen und Leistungen. So erließ Julius Cäsar im Jahre 59 v. Chr. die Lex Iulia de repetundis, die Beamten untersagte, Geldleistungen von Dritten anzunehmen bzw. Getreidewucher und Veruntreuung von öffentlichen Geldern unter Strafe stellte. Dabei konnte schon früh festgestellt werden, dass Korruption und wirtschaftliche Aktivitäten direkt miteinander verbunden sind. Im 16. Jahrhundert widerstand in England der Staatsphilosoph und Kanzler Heinrichs VIII, Sir Thomas Morus, allen Bestechungsversuchen bestehender Unternehmer und wurde dafür später hingerichtet. Er formulierte das Korruptionsphänomen in einem Gebet von 1535 als Einschüchterung des Bösen und suchte nach Mitteln, alle guten und reinen Dinge mittels einer heiligen Seele zu sehen, um alle Dinge in Ordnung zu bringen. Mittlerweile nehmen korrupte Handlungen und Leistungen im eigentlichen Sinne ein modernes Reizthema an, da sowohl Gesellschaft als auch Medien verstärkt nach jenen suchen, die solche Leistungen anbieten oder annehmen. Gerade in den letzten Jahren spiegeln die korrupten Handlungen von Unternehmen einen Zeitzeugenbericht wieder, der die Form der momentan bestehenden Korruptionskonjunktur nur noch deutlicher unterstreicht und im Interesse von Gesellschaft, Wirtschaft und sonstiger Dritter fungiert. Um praktische Beispiele von Korruptionsfällen zu finden, genügt eigentlich nur ein Blick in die Zeitungslektüre Zwischen 1995 und 2001 wurden Bauaufträge an bestimmte Unternehmen verteilt, da der verantwortliche Mitarbeiter der öffentlichen Körperschaft kontinuierlich Bestechungszahlungen durch die Unternehmen erhielt. Als weiteres Beispiel der strukturellen Korruption können Abteilungsleiter einer überregionalen Baumarktkette genannt werden, die von ihren Zulieferern kontinuierlich hochwertige und kostenfreie Personenkraftwagen forderten, damit die Zulieferer noch beliefern durften. Aber auch Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit stützen diese These: Aktuell erleben wir eine Korruptionskonjunktur, die vor Jahren nicht annährend vorstellbar gewesen wäre. Im Jahr 2005 waren gleich fünf DAX-Unternehmen, in Korruptionsfälle verwickelt und das Jahr 2006 war ebenfalls von Korruptionsdelikten bei DaimlerChrysler, Siemens, der EnBW oder BMW gekennzeichnet. Wie aber wird sich der Trend für Korruption in den nächsten Jahren entwickeln? Experten der Zukunftsforschung gehen von einer noch größeren Entdeckungswahrscheinlichkeit aus, da Transparenz und Bewusstsein durch die aktuellen Fälle gestiegen sind. Der Anteil an korrupten Handlungen bleibt voraussichtlich in den nächsten Jahren gleich, aber die aufgedeckten Fälle werden zunehmen und für eine zusätzliche Sensibilisierung von Gesellschaft und Politik sorgen. Hinsichtlich der Strukturierung scheint die Zahlung von Korruptionsleistungen in einigen Branchen nicht unüblich zu sein. Gerade in stark wettbewerbsintensiven Märkten entwickeln Korruptionszahlungen eine große Sogwirkung, da sowohl Auftraggeber als auch mögliche Auftragnehmer diese Geschäftspraktiken scheinbar tolerieren. Aufgrund dieser Tatsachen und einer erneut starken Aktualität muss auf die hohe Anzahl von Delikten und deren bestehender Schadensniveaus nicht gesondert hingewiesen werden. Das Bundeskriminalamt präsentiert in seinem jährlichen Lagebild zur Korruptionsentwicklung in Deutschland eine Auswertung von relevanten Straftaten. So wurden im Jahre 2005 von den Bundesländern und dem Bundeskriminalamt 14.689 Korruptionsstraftaten gemeldet, was eine Steigerung von 93 Prozent in Relation zum Vorjahr ausmacht. Das Problembewusstsein hinsichtlich Korruption und deren Auswirkungen auf Gesellschaft und Systeme hat in den letzten Jahren auch die Politik und deren Gesetzgebung beeinflusst. So beschreiben die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, dass Unternehmen weder direkt noch indirekt Bestechungsgelder oder sonstige ungerechtfertigte Vorteile anbieten, versprechen, gewähren oder fordern sollen. Auch die deutsche Bundesregierung sieht Korruptionsprävention als zentral politische und gesellschaftliche Aufgabe und erarbeitet deshalb im Moment den Entwurf des zweiten Gesetzes zur Bekämpfung von Korruption. Nichtsdestotrotz erscheint die Frage nach den Ursachen für Korruption durchaus diffus und schwierig und kann genauso wie eine allgemeingültige Definition von Korruption nur mittels unterschiedlicher Verhaltensweisen dargestellt werden. So kommt zum Einen das durchaus niedrige Entdeckungsrisiko durch die Verwendung von Netzwerken oder die soziale Üblichkeit in einigen Branchen zum Tragen. Gleichwohl spielen zum Anderen die finanziellen Anreize und deren Strahlungscharakter in Korruptionsfällen eine übergeordnete Rolle und unterstreichen das materialistische Wertesystem innerhalb einer Gesellschaft, das sich verstärkter am Individual-, als am Gemeinwohl orientiert. Oft unterstreicht das natürlich und biologisch verankerte Streben nach finanziellen Werten auch ein individuelles Fordern nach Einfluss, Macht und Besitztum, die mittels Statussymbole externalisiert werden, um die Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlich höheren Schichtebene zu präsentieren. Darüber hinaus wird argumentiert, dass kriminelles Verhalten durch Interaktionen mit heterogenen Gruppen erlernbar ist, wenn Mitglieder dieser Gruppen eine Gesetzesverletzung befürworten und eine Verfolgung von Gesetzen ablehnen. Deshalb wird auch z.T. argumentiert, dass Korruption einen positiven Nutzen stiften kann. Sie dient als Leistungsanreiz für Bürokraten, die Bestechungsleistungen erst dann entgegennehmen, um unsinnige Regulierungen zu umgehen und dem Korrumpeur einen schnelleren Marktzutritt zu bieten. Ein weiteres Argument für Korruption wird bei Ausschreibungsverfahren angesetzt, da Korruptionsleistungen eine Verteilung der Zahlungsströme, nicht aber die Zielorientierung verändern würden. Es wird ausgeführt, dass das Unternehmen mit den Korruptionszahlungen auch gleichzeitig ohne korrupte Handlungen die Ausschreibung gewinnen würde, da die meisten Zahlungsmittel unternehmensintern bestehen. Nichtsdestotrotz bewertet die Literatur das Thema Korruption und dessen Anziehungskraft als rein personenbedingte Frage. Trotz aller rechtlichen, politischen und organisatorischen Kontroll- und Präventionsansätze bleibt der Mensch selbst die Schwachstelle bzw. das eigentliche Risiko. So beantworten 58 Prozent aller Unternehmen mit bekannt gewordenen Korruptionsvorfällen, dass eine höhere Sensibilisierung der Mitarbeiter ein kriminelles Handeln verhindern hätte können, was auf eine menschlich programmierte, abgeleitete Verhaltensschwäche hinweist. Gang der Untersuchung: Ist Korruption ein Bestandteil aller wirtschaftlichen Handlungen und wie versucht die Gesetzgebung und Privatwirtschaft dieses Phänomen zu bewerten? Das ist sicherlich die zentrale Frage bei Geschäftsführung, Korruptionsbeauftragten und Gesellschaft, die mit dem Problem Bestechung täglich durch Medien und Veröffentlichungen tangiert werden. Auch diese Arbeit beschäftigt sich im allgemeinen Teil mit diesem Thema und versucht zu erörtern, wie sich die Begrifflichkeit Korruption definieren lässt, wie sie zu messen und wie sie aus Sicht des privaten Sektors als rechtlicher und steuerrechtlicher Ansatz zu bewerten ist. Ziel des allgemeinen Teils dieser Arbeit ist deshalb eine Darstellung der gegebenen Situation, um das Phänomen Korruption besser zu erörtern und vor allem Theorie und Praxis zu vereinen. Der besondere Teil dieser Arbeit konzentriert sich auf die praktische Anwendbarkeit von Korruptionsfällen und proaktiver Prävention. Hierbei soll ein Szenario eines Korruptionsverdachtes bei einem mittelständischen Unternehmen mittels Meinungen und Ansätze durch Strafverfolgungsbehörden, Rechtsanwälten und weiteren Dritten untersucht und bewertet werden. Weiterhin sollen gefährdete Unternehmensbereiche, Korruptionsnetzwerke und die Sinnhaftigkeit eines möglichen Korruptionsbeauftragten bewertet werden, um Korruptionsprävention als Aufgabe zur Sensibilisierung zu verstehen. Zum Abschluss dieser Arbeit soll eine Zusammenfassung aller beschriebenen Präventionsmaßnahmen beurteilt und auf deren Praxistauglichkeit untersucht werden.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: VorwortIII AbbildungsverzeichnisVI TabellenverzeichnisVI A.Allgemeiner Teil 1.Korruption als Element der Wirtschaftskriminalität1 1.1Problemstellung: Wirtschaftskriminalität1 1.2Korruption als fester Bestandteil wirtschaftlicher Systeme in Deutschland4 1.3Fragestellungen und Gang der Arbeit7 2.Die unterschiedlichen Definitionsformen von Korruption8 2.1Bewertung des Phänomens Korruption8 2.1.1Ökonomischer Definitionsansatz9 2.1.2Soziologischer Definitionsansatz10 2.1.3Politologischer Definitionsansatz11 2.1.4Juristischer Definitionsansatz12 2.1.5Moraltheologischer Definitionsansatz13 2.1.6Ethischer Definitionsansatz unter dem Gesichtspunkt der Staatsräson14 2.2Zusammenfassung der Begrifflichkeit Korruption15 3.Ökonomische Erkenntnisse der Korruption17 3.1Ausmaß und Schäden von Korruption als Element der Wirtschaftkriminalität in Deutschland17 3.2Ansätze der Korruptionsempirie18 3.2.1Datenanalyse polizeilicher Kriminalstatistik18 3.2.2Verständnis von Transparency International20 3.2.2.1Berechnungsansätze des Corruption Perception Index21 3.2.2.2Ergebnisse und Trends der CPI Analyse 200623 3.2.2.3Ergänzung des CPI: Der Bribe Payers Index24 3.3Ökonomische Empirie von Korruption26 3.3.1Korruption und Bruttoinlandsprodukt26 3.3.2Dilemmasituation der Korruption29 3.3.3Statische Korruptionsspieltheorie32 3.3.4Zusammenfassung35 4.Straftaten gegen den freien Wettbewerb36 4.1Strafbarkeit von Korruption in Deutschland36 4.2Korruptionshandlungen im privaten Sektor38 4.3Wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei Ausschreibungen40 4.3.1Begriff der Submission41 4.3.2Zweckmäßigkeit von Submissionsverfahren41 4.3.3Beschreibung und Handlungsansatz der Submissionskartelle43 4.3.4Geschütztes Rechtsgut des § 298 StGB44 4.3.5Tatbestand des § 298 StGB46 4.3.6Eingriffnahme von Submissionsverfahren46 4.3.7Zusammenfassung47 4.4Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr48 4.4.1Geschütztes Rechtsgut des § 299 StGB50 4.4.2Definierte Täterkreise51 4.4.3Tatbestände des § 299 Abs. 1 StGB52 4.4.3.1Handeln im geschäftlichen Verkehr52 4.4.3.2Vorteilhaftigkeit und Sozialadäquanz53 4.4.3.3Eigentliche Handlung54 4.4.3.4Bevorzugung54 4.4.3.5Unlauterbarkeit54 4.4.3.6Vollendung55 4.4.4Tatbestände des § 299 Abs. 2 StGB55 4.4.4.1Handeln im geschäftlichen Verkehr55 4.4.4.2Tathandlung zum Zweck des Wettbewerbs55 4.4.4.3Innergeschäftliche Tathandlung56 4.4.4.4Vollendung56 4.4.5Zusammenfassung56 4.5Wirksamkeit von zivilrechtlichen Rechtsgeschäften58 4.5.1Nichtigkeit nach § 134 BGB58 4.5.2Nichtigkeit nach § 138 Absatz 1 BGB59 4.5.3Nichtigkeit des Hauptvertrages60 4.5.4Ansprüche des Geschädigten61 4.5.4.1Herausgabe des Bestechungsgeldes62 4.5.4.2Schadensersatz gegen den Beauftragten63 4.5.4.3Schadensersatz gegen den Korrumpeur64 4.5.5Zusammenfassung64 5.Korruption und Steuerstrafrecht66 5.1Steuerrechtliche Problemstellung66 5.2Steuerliches Grundgesetz66 5.2.1Abgrenzung und Definition der steuerrechtlichen Norm § 40 AO67 5.2.2Auslegung und Zusammenfassung68 5.3Gewinn auf Basis des Einkommenssteuerrechts68 5.3.1Reglementiertes Abzugsverbot für Bestechungs- und Schmiergelder69 5.3.2Zusammenfassung72 5.4Korruption in Tateinheit mit Steuerhinterziehung73 5.4.1Unternehmerische Sphäre: Schmiergelder außerhalb der Buchführung73 5.4.2Unternehmerische Sphäre: Schmiergelder innerhalb der Buchführung73 5.5Private Sphäre: Schmiergelder als sonstige Einkünfte74 5.6Zusammenfassung74 B.Besonderer Teil 6.Szenario: Analyse von Theorie und Praxis im Falle eines Korruptionsverdachtes in einem mittelständischen Unternehmen76 6.1Einstiegsszenario76 6.2Ansätze der Strafverfolgungsbehörden77 6.2.1Ansätze der Staatsanwaltschaft77 6.2.2Ansätze der Polizei78 6.3Ansätze Rechtanwälte79 6.4Ansätze Dritter80 6.5Zusammenfassung der Verdachtsansätze81 7.Analyse der eigentlichen Korruptionsproblematik83 7.1Gefährdete Abteilungsbereiche und -positionen83 7.2Erkennungsmerkmale der Korruption84 7.2.1Konstellationen des wirtschaftlichen Handelns84 7.2.2Konstellationen des persönlichen Handelns von Mitarbeitern84 7.2.3Analyse von Korruptionsnetzwerken85 7.3Wirkungskraft von Verhaltensrichtlinien87 7.4Die Stellung des Korruptionsbeauftragten88 7.5Einzelanalyse und Fazit zur "gesunden" Prävention89 8.Eigenes Fazit zum Phänomen Korruption und deren Präventionsproblematik94Textprobe:Textprobe: Kapitel 4.5, Wirksamkeit von zivilrechtlichen Rechtsgeschäften: Korruption wird in vielen Unternehmen als bedeutendes Risiko angesehen. Für geschädigte Unternehmen entstehen neben den strafrechtlichen Normen auch zivilrechtliche Ansprüche auf Erfüllung oder Rückabwicklung von Verträgen, Schadensersatz und Unterlassung. Durch die Interaktion mehrerer Beteiligter während des Korruptionsvorganges ist eine umfassende Darstellung der zivilrechtlichen Rechtsfolgen zuerst einmal problematisch. Im Allgemeinen kann man aus klassischer Sicht von einer Dreier-Kombination ausgehen: Korrumpierender, Korrumpierter und dessen Geschäftsherr. Somit muss die eigentliche Handlung in zwei Abschnitte aufgeteilt werden, um die zivilrechtliche Struktur der Rechtsfolgen zu definieren. Zuerst ist deshalb der Vorgang zur Schmiergeldvereinbarung, und danach das sich anschließende Fehlverhalten des Korrumpierten mit seinen haftungsrechtlichen Konsequenzen genauer zu betrachten. Nichtigkeit nach § 134 BGB: Rechtsgeschäfte können ihre rechtliche Wirksamkeit nur entfalten, wenn sie einen zulässigen Inhalt besitzen. Die Vorschrift des § 134 BGB ordnet die zivilrechtliche Nichtigkeit von Rechtsgeschäften an, wenn diese gegen ein gesetzliches Verbot im Rahmen dieser Vorschrift verstoßen. Grundsätzlich richtet sich ein Verbotsgesetz gegen die Geltung von rechtgeschäftlichen Regelungen, deren Inhalt durch einen Satz des positiven Rechts abgelehnt wird. Die Vorschrift des § 134 BGB sagt aber selbst nichts darüber aus, wann ein Vertrag oder ein Rechtsgeschäft verboten ist. Somit dient § 134 BGB als Bindeglied zwischen verschiedenen Rechtsgebieten und ist gleichzeitig ein Mittel zur Herstellung eines widerspruchsfreien Rechtsfolgensystems. Grundsätzlich ist in diesem Zusammenhang zu beachten, ob eine verletzte Norm im Sinne der Vorschrift ein Verbotsgesetz ist und ob die Erforderlichkeit der zivilrechtlichen Nichtigkeit als Rechtsfolge angesetzt werden muss. Korruptionsvereinbarungen und Handlungen in der gewerblichen Wirtschaft berühren mehrere Verbotsvorschriften, so u.a. die strafrechtlichen Gesetze §§ 266, 298, 299, 331 – 335 StGB, welche als Parlamentsgesetze den Ansatz und das Hauptanwendungsgebiet von § 134 BGB erfüllen. Ob Nichtigkeit als Rechtsfolge durch eine Handlung angenommen werden kann, bestimmt sich durch den Ansatzpunkt des eigentlichen Verbotsgesetzes. Man unterscheidet im Allgemeinen, ob der Inhalt des Rechtsgeschäftes oder die Art und Weise des Zustandekommens der relevante Grund für das gesetzliche Verbot ist. Im letzteren Fall wird keine Nichtigkeit angenommen, da sich die Vorschriften nicht gegen den Inhalt und damit den Erfolg des Rechtsgeschäftes richten. Sobald Bestechungsvereinbarungen Inhalt des objektiven Tatbestandes sind, führt dies regelmäßig zur Nichtigkeit nach § 134 BGB, da es sich um ein klassisches Verbotsgesetz handelt. Nichtigkeit nach § 138 Absatz 1 BGB: Grundlage des Vorwurfs zur Sittenwidrigkeit im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB ist eine Bewertung hinsichtlich des allgemein herrschenden Sittlichkeitsempfinden. Hintergrund dieser Vorschrift ist, dass es in jeder Gesellschaft eine Vielzahl von Regeln gibt, die eine Ordnung des menschlichen Lebens zugrunde legen. Die im Privatrecht installierte Privatautonomie wird durch die Leitlinien der guten Sitten begrenzt und durch den BGH grundsätzlich als ein Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden definiert. In Fällen von Bestechungshandlungen bezieht sich dieser Ansatz auf den Inhalt der bestehenden Vereinbarung, es handelt sich um eine Inhaltssittenwidrigkeit. Bestechungsleistungen werden in Rechtsprechung und Literatur übereinstimmend als sittenwidrig nach § 138 Abs.1 BGB angesehen. Die Rechtsnorm kann in diesem Sinne aber nur angesetzt werden, wenn sich die Nichtigkeit des zu bewerteten Rechtsgeschäftes nicht schon aus §134 BGB i.V.m. einem Verbotsgesetz ergibt. Deshalb kann § 134 BGB als speziellere Norm, die Vorrang zur Generalklausel des § 138 Abs. 1 BGB hat, angesehen werden, da der bloße Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot nicht zur Annahme von Sittenwidrigkeit angesehen werden kann. Eine Sittenwidrigkeit ergibt sich im Falle von Korruptionshandlungen u.a. aus der missbräuchlichen Ausnutzung der vorhandenen Vertreterstellung, die zur Erlangung eigener Vorteile genutzt wird. Nichtigkeit des Hauptvertrages: Von einer Schmiergeldvereinbarung spricht man aus Sicht der Literatur, wenn ein Beauftragter oder Vertreter eines Geschäfts- oder Dienstherrn heimlich ein materieller oder immaterieller Vorteil versprochen oder zugewandt wird, damit dieser dem Zuwendenden im Gegenzug einen Vorteil ermöglicht, der ohne die heimliche Zuwendung nicht möglich gewesen wäre. Meistens sind solche Aktivitäten mit einem Abschluss eines Vertrages verbunden, dem sog. Hauptvertrag. Da die zivilrechtliche Nichtigkeit von Bestechungsleistungen über § 134 BGB oder § 138 Abs. 1 BGB bejaht werden kann, ist eine Nichtigkeit des Hauptvertrages, der durch Bestechungshandlungen entstanden ist, nach Ansicht des BGH an drei Voraussetzungen geknüpft. 1. Ein heimlicher Abschluss der Bestechungsvereinbarung zwischen dem Vertreter oder Beauftragten eines Geschäftsherren und einem Dritten. 2. Eine zu Ungunsten des Geschäftsherren wirkende Vertragsausgestaltung. 3. Kausalität zwischen der Bestechungsvereinbarung und der zu Ungunsten des Geschäftsherren wirkenden Ausgestaltung des Hauptvertrages. Ausschlaggebend für die Bewertung einer Korruptionsleistung ist, wie im Strafrecht, die Sozialadäquanz. Grundsätzlich kann das Gewähren von geringfügigen Vorteilen, die im Rahmen einer Verkehrssitte als Höflichkeit oder Gefälligkeit anerkannt sind, vom Tatbestand ausgeschlossen, und deshalb als nicht strafbar angesehen werden. Obwohl die Kommentarliteratur keine Auskunft über einen Schwellenwert für geschenkte Vermögensgegenstände erteilt, ist anzunehmen, dass in Wirtschaftsunternehmen bei kleinen Aufmerksamkeiten, wie z.B. Kugelschreiber oder Kalender, die Sozialadäquanz noch angenommen werden kann. Um dem Problem der oftmals schwierigen Vertragsrückwicklung zu entgehen, hat der BGH im Jahr 1999 deutlich entschieden, dass Verträge, die nicht aufgrund von Korruptionsaktivitäten entstanden sind, als schwebend unwirksam anzusehen sind und der Geschäftsherr nach den Grundsätzen des Missbrauchs der Vertretungsmacht analog § 177 Abs. 1 BGB diese genehmigen muss. Somit kann selbst der Hauptvertrag nach Genehmigung durch den Geschäftsherren gekündigt werden, wenn dieser einen Verstoß gegen Treue und Glauben analog § 242 BGB darstellt. In einem zweiten Urteil zu diesem Sachverhalt sieht der BGH auch eine Genehmigungsfähigkeit für Verträge, die auf Korruptionsvereinbarungen aufgebaut sind und deshalb als nachteilig für den Geschäftsherren ausgelegt werden können. In seinem Urteil von 2000 leitete der BGH auch einen Schadensersatzanspruch für korruptionsbedingte Hauptverträge ab. Danach wurde entschieden, dass der bestechende Vertragspartner gegenüber dem geschädigten Geschäftsherren eine unbedingte Aufklärungspflicht über die gezahlte Korruptionsleistung hat. Mittels dieser Aufklärungspflicht leitet der BGH einen Schadensersatzanspruch zur Aufhebung des Hauptvertrages und weitere, mögliche Leistungen für den Ersatz von entstandenen Schäden, ab. In Bezug auf die mögliche Nachteiligkeit für Geschäftsherren und dem damit verbundene Hauptvertrag schließt der BGH aus zivilprozessualer Hinsicht nach den Beweisgrundsätzen des ersten Anscheins, d.h. wenn erste Anzeichen für den Geschäftsherren auf eine mögliche Benachteiligung gegeben sind. Dieser Ansatz gilt auch für Folgeverträge, die im Rahmen des Hauptvertrages abgeschlossen wurden, aber unabhängig betrachtet werden müssen, da grundsätzlich alle Rechtsgeschäfte keine Verbindung aufweisen und deshalb voneinander unabhängig sind. Eine Ausnahme besteht für Haupt- und Folgeverträge, die aus literarischer Sicht als Einheit und somit als einheitliches Rechtsgeschäft angesehen werden. Ist das Rechtsgeschäft teilbar, könnte nach Willen beider Geschäftspartner der nichtsittenwidrige Vertragsteil weiter bestehen, währenddessen der schadhafte Vertragsteil nicht bewertet gilt. Ansprüche des Geschädigten: Aus zivilrechtlicher Sicht kann der Geschäftsherr, dem heimlich ein Vorteil durch einen Beauftragten oder Vertreter vorenthalten wurde oder überhöhte Preise für Waren und Dienstleistungen bezahlt hat, einen Ersatz geltend machen, der in zwei grundsätzliche Ansprüche gegen die Schadensverursacher münden kann: Die Herausgabe des Bestechungsgeldes von seinem Vertreter geltend machen oder einen Anspruch auf Schadensersatz erheben, da der Vertreter die allgemeinen Nebenpflichten der Informationspflicht und Rücksichtnahme des Arbeitnehmers aus dem arbeitsvertraglichen Rechtsverhältnisses verletzte. Gleichwohl existiert ein Schadensersatzanspruch gegen den Korrumpeur, da dieser entweder im Rahmen eines bestehenden Vertrages den Beauftragten zum Vertragsbruch verleitet hat oder seine Informationspflicht verletzt hat, wenn noch kein Vertrag zwischen Geschäftsherr und Korrumpeur bestanden hat. Beide Ansprüche sollen im Rahmen dieser Arbeit bewertet werden. Herausgabe des Bestechungsgeldes: Die wichtigste Frage im Zusammenhang mit Bestechungshandlungen und den zivilrechtlichen Rechtsfolgen dreht sich um den Herausgabeanspruch des Geschäftsherrn gegen seinen Angestellten in Bezug auf die erhaltenen Bestechungsl
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Lambert T. Koch reagiert auf die Vorwürfe einer zu großen Nähe des Hochschulverbands zum "Netzwerk Wissenschaftsfreiheit". Im Interview sagt der DHV-Präsident, wo er die Berufsvertretung wissenschaftspolitisch verortet sieht, wie er um nichtprofessorale Mitglieder wirbt – und welche Rolle für ihn Gender Studies und die Postkoloniale Theorie spielen.
Lambert T. Koch, 58, ist Wirtschaftswissenschaftler und war von 2008 bis 2022 Rektor der Bergischen Universität Wuppertal. Viermal wurde er von DHV-Mitgliedern zum "Rektor des Jahres" gekürt. 2023 trat Koch die Nachfolge von Bernhard Kempen als Präsident des Deutschen Hochschulverbandes an. Foto: Deutscher Hochschulverband/BeAStarProductions.
Herr Koch, der Deutsche Hochschulverband (DHV) bezeichnet sich selbst als "Berufsvertretung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland". Wäre es nicht fairer zu sagen, dass er lange vor allem eine Vertretung arrivierter Professoren und ihre Interessen war? Und ist er es immer noch?
Wie es der Begriff "Berufsvertretung" nahelegt, versteht sich der DHV schwerpunktmäßig als ein Interessenverbund von Menschen, die hauptberuflich und dauerhaft in der Wissenschaft tätig sind oder sich für eine solche Tätigkeit qualifizieren. Natürlich passt er sich dabei an veränderte Karrierewege an. So hat er sich schon vor Jahren nicht nur für Habilitierende und Juniorprofessorinnen und -professoren, sondern generell auch für Postdocs geöffnet. Die Serviceangebote des DHV wollen Mitglieder in jedem beruflichen Stadium ansprechen – von der Phase der Qualifizierung bis in die Zeit nach der Emeritierung. Was Studierende und Promovierende anbetrifft, strebt rein statistisch am Ende nur ein geringer Prozentsatz eine wissenschaftliche Karriere an. Dennoch sind uns auch berechtigte Interessen dieser Gruppen nicht gleichgültig.
Rund 70 Prozent der DHV-Mitglieder sind unbefristet beschäftigte Professorinnen und Professoren. Was tun Sie, um den Anteil von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu erhöhen, die keine Professur, aber eine Dauerstelle haben? Und wie wollen Sie mehr junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Karrierephase als Mitglieder gewinnen? Zuletzt gab es in zwei Protestwellen sogar zahlreiche Austritte.
Zu den zentralen wissenschaftspolitischen Zielen des DHV gehört es, über alle Personalkategorien hinweg Wissenschaft als Beruf attraktiv zu halten. Deshalb legen wir regelmäßig dort den Finger in die Wunde, wo sich Rahmenbedingungen verbessern müssen. Wir nehmen natürlich Rücksicht darauf, dass die Interessen unserer Mitglieder divergieren. So haben beispielsweise junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein mehr als verständliches Interesse daran, dass für sie verlässliche Perspektiven im Wissenschaftssystem gegeben sind. Dies nimmt der Verband genauso auf, wie er unermüdlich auf eine auskömmliche Budgetierung von Hochschulen drängt, damit junge Menschen überhaupt eine wissenschaftliche Karriere anstreben können. Vielerorts werden zusätzliche Dauerstellen im Mittelbau benötigt, auch im Rahmen neuer Personalkategorien unterhalb der Professur. Das mahnen wir an. Dass es trotz unserer Bemühungen, möglichst alle Gruppierungen mitzunehmen, Austritte gegeben hat, bedauere ich. Der DHV konnte diese Austritte bislang zwar immer durch Eintritte mehr als kompensieren. Doch unser Anspruch ist es, artikulierte Unzufriedenheit ernst zu nehmen. Dass ansonsten die schon erwähnten Serviceangebote und persönlichen Beratungen insbesondere auch von jüngeren Mitgliedern immer wieder sehr gutes Feedback erhalten, ist dann doch zumindest ein Indikator dafür, dass der DHV einiges richtig macht.
Ihr Vorgänger Bernhard Kempen hat den DHV sehr konservativ positioniert. An welcher Stelle und bei welchen Positionen unterscheiden Sie sich von ihm?
In der öffentlichen Debatte ist man für meinen Geschmack heute zu schnell dabei, Menschen und Institutionen Stempel aufzudrücken oder Bekenntnisse abzufordern: rechts oder links, konservativ oder progressiv, für mich oder gegen mich. Wenn man dies bezüglich meiner Person versuchte, wäre ich darüber nicht glücklich. Gerade in einer Zeit, in der Politik an den Hochschulen wieder eine größere Rolle spielt, müssen wir uns als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das leisten, was Wissenschaftsfreiheit ja Gott sei Dank ermöglicht: Wir sollten Sachverhalte differenzierter betrachten und dabei auch unterschiedliche Sichtweisen respektieren – fair und ohne Polemik, mit der man nach meinem Eindruck heute allzu schnell bei der Hand ist. Der DHV vereinigt rund 33.500 fachlich, biografisch und von ihrer politischen Anschauung her höchst unterschiedliche Mitglieder. Diese Vielfalt bereichert den Verband. Was uns verbindet, ist das Interesse an freier Forschung und Lehre sowie guten Arbeitsbedingungen. Darüber hinaus sind wir alle dem Streben nach Erkenntnis verpflichtet. Wir sind gewissermaßen immer auf dem Weg und offen für neue Positionen und Perspektiven. Nur so bleiben wir auch als Verband glaubwürdig und interessant. Davon bin ich überzeugt.
"Der DHV arbeitet institutionell mit dem Netzwerk Wissenschaftsfreiheit nicht zusammen und hat keinen Einfluss auf dessen Entwicklung."
Wenn der DHV, wie geschehen, das "Netzwerk Wissenschaftsfreiheit" als "willkommenen Mitstreiter" bezeichnet, was sagt das über das Verhältnis zwischen DHV und Netzwerk?
Die Bezeichnung halte ich für missverständlich. Sie ist meines Wissens ein einziges Mal verwendet worden und bezog sich auf das wichtige Anliegen, die Freiheit der Wissenschaft gegen Übergriffe zu verteidigen. Missverständlich deshalb, weil damit zu keinem Zeitpunkt eine pauschale Zustimmung zu sämtlichen Aktivitäten und Positionen des Netzwerks verbunden war, erst recht nicht zu problematischen Personalia. Der DHV arbeitet institutionell mit dem Netzwerk nicht zusammen und hat keinen Einfluss auf dessen Entwicklung. Das Netzwerk hat gut 700 Mitglieder, die sich aus einer gemeinsamen Problemwahrnehmung heraus zusammengefunden haben. Wir vertreten wie gesagt mehr als 33.000 Mitglieder und sprechen dabei für eine große Zahl von Kolleginnen und Kollegen, die heterogene Perspektiven und voneinander abweichende Erwartungen pflegen. Was unterschiedliche wissenschaftliche Positionen angeht, kommt es uns nicht zu, eine Schiedsrichterrolle einzunehmen.
Und wissenschaftspolitisch? Anhand welcher Kriterien sollte sich eine Berufsvertretung da positionieren?
Eine Berufsvertretung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern muss für die Freiheit von Forschung und Lehre eintreten. Das ist ihr klarer wissenschaftspolitischer Auftrag. Welche konkreten Positionen und Forderungen daraus erwachsen, muss von Fall zu Fall entschieden werden. Bewertungsrundlage ist aber stets die freiheitlich demokratische Grundordnung. Das heißt beispielsweise, dass auch unliebsame, den eigenen Überzeugungen zuwiderlaufen Ansichten im wissenschaftlichen Diskurs zuzulassen sind. Sollte bestimmten wissenschaftlichen Positionen oder Fachrichtungen die Daseinsberechtigung abgesprochen werden, muss der DHV die Stimme erheben. Er würde aber sein Mandat überziehen, wenn er sich beispielsweise in politischen Diskussionen dazu einmischte, welche Fachrichtungen auf Kosten anderer besonders gefördert werden sollten. Dies ergibt sich schon aus der Vielzahl von Fächern, die in unseren eigenen Reihen vertreten sind.
Wie stehen Sie zu der per Offenen Brief geäußerten Kritik des "Netzwerks Wissenschaftsfreiheit", die Postkoloniale Theorie habe "erheblichen Anteil an der Diskreditierung und Erosion fundamentaler Prinzipien der Wissenschaftlichkeit und der Wissenschaftsfreiheit"?
Ich halte diese Position für zu pauschal. Die mir bekannten postkolonialen Theorieangebote weisen eine hohe Heterogenität und Differenziertheit auf. Sie gehen auch unterschiedlich weit, was ihre implizite oder explizite Normativität betrifft. Hier besteht vor allem auf fachlich-inhaltlicher Ebene viel Diskursbedarf. Zum Teil wurde in der Kritik an dem von Ihnen erwähnten Offenen Brief ja behauptet, dass das Netzwerk die Politik dazu auffordere, postkoloniale Studien an Universitäten zu unterbinden. Tatsächlich heißt es aber in dem Schreiben: "Wir wenden uns selbstverständlich nicht dagegen, dass postkoloniales und anderes postmodernes Gedankengut an unseren Universitäten vertreten wird. Es muss aber jederzeit kritisch diskutiert werden können." Da halte ich es schon für wichtig, bei aller Erregung, korrekt zu bleiben. Ich persönlich mag den polemischen Stil auf beiden Seiten nicht und glaube auch nicht, dass wir uns als Wissenschaft mit Blick auf die interessierte Öffentlichkeit damit einen Gefallen tun. Das Thema ist wichtig. In der Sache sollte daher gerne auch hart diskutiert werden. Dabei sollten die Beteiligten aber gelassener bleiben und nicht immer wieder unter die Gürtellinie zielen.
"Viele, die selbst eine wissenschaftliche Laufbahn durchschritten haben, werden mir zustimmen, dass es in frühen Karrierephasen riskanter ist, sich gegen den Mainstream des eigenen Fachs zu positionieren."
Besteht die eigentliche Gefahr einer mangelnden Meinungs- und Perspektivenvielfalt in der deutschen Wissenschaft nicht in der mangelnden Vielfalt in den wissenschaftlichen Führungspositionen?
Ich halte Perspektivenvielfalt in einer offenen und innovativen Wissenschaft für wesentlich und unverzichtbar. Das deutsche Wissenschaftssystem verträgt fraglos mehr biografische Heterogenität. Vielfalt darf dann aber auch unterschiedliche politische Positionen nicht ausschließen. Außerdem darf nicht aus dem Blick geraten, dass Wissenschaft vor allem einem Wahrheitsanspruch verpflichtet ist. Ihre Positionen entwickeln sich methodengeleitet und dürfen nicht leichthin auf schlichte Meinungen reduziert werden. Dies kommt mir bisweilen in der aufgeheizten Debatte um Vielfalt zu kurz. Wir müssen genauer fragen, wo mehr Vielfalt benötigt wird und was wir davon erwarten. Es gibt viele gute Gründe dafür, Chancengleichheit zu fordern und Benachteiligungen auf dem Karriereweg zu bekämpfen. Doch das allein führt nicht notwendigerweise zu besserer Erkenntnis. Im Übrigen ist es eine Stärke des DHV, dass so viele unterschiedliche Fächer vertreten sind, die mit dem Thema Vielfalt je eigene Perspektiven verbinden. Diese gilt es zusammenzubringen, um zu differenzierten Antworten zu gelangen. Darin liegt zugleich ein großer Vorzug, der Wissenschaft gegenüber Politik auszeichnet.
Wessen Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit ist stärker gefährdet: die verbeamteter Professor:innen oder wissenschaftlicher Mitarbeiter:innen in frühen Karrierephasen?
Es gibt nur eine Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit für alle, unabhängig vom Beschäftigungsstatus. Aber viele, die selbst eine wissenschaftliche Laufbahn durchschritten haben, werden mir zustimmen, dass es in frühen Karrierephasen riskanter ist, sich gegen den Mainstream des eigenen Fachs zu positionieren. Grundsätzlich sollten die Organisationsstrukturen in der Wissenschaft für alle so sein, dass die Bereitschaft, Überkommenes infrage zu stellen und innovative Pfade zu beschreiten, unterstützt und geschützt wird, ohne die Verantwortung für Qualitätssicherung zu vernachlässigen. Das heißt etwa auch, Professorinnen und Professoren müssen ebenso selbstverständlich mit dem begründeten Widerspruch von wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern leben wie umgekehrt.
Wie soll das gehen angesichts des Machtgefälles, das vielerorts immer noch herrscht?
Ich bin optimistisch, dass sich Varianten der alten Idee einer so gearteten Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden in einem transparenten, offenen Wissenschaftsbetrieb auch heute realisieren lassen.
Inwiefern braucht es für eine Steigerung der Exzellenz und für eine größere Perspektivenvielfalt in der deutschen Wissenschaft auch mehr Vielfalt und Diversität unter den Professor:innen, und wie wollen Sie sich als DHV konkret für Veränderungen einsetzen?
Der DHV setzt sich in vielerlei Hinsicht für ein offenes und faires Wissenschaftssystem in Deutschland ein. Dieser Einsatz betrifft die grenzüberschreitende Offenheit für Menschen unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht, sexueller Orientierung, Nationalität, Sprache, Religion oder sozialem Status. Unter Berücksichtigung des Prinzips der Bestenauslese können zusätzliche Perspektiven die Ergebnisse von Wissenschaft bereichern. Ansatzpunkte, in diese Richtung zu wirken, ergeben sich bei jeder Beteiligung an Hochschulgesetzesnovellen, bei der Auditierung von Hochschulen für transparente und faire Berufungsverhandlungen oder auch mit Blick auf viele Serviceangebote, gerade für neue Mitglieder.
"Als wenig redlich empfinde ich es, wenn der Eindruck erweckt wird, als wäre es an der Tagesordnung, dass der DHV gegen Wissenschaftlerinnen oder Wissenschaftler namentlich Stellung bezieht."
Könnten hier auch die Gender Studies willkommene Mitstreiter des DHV sein? Welche Bedeutung haben diese grundsätzlich an deutschen Universitäten?
Jede Disziplin, die mit wissenschaftlichen Methoden nach rationaler Erkenntnis sucht und dafür Wissenschaftsfreiheit einfordert, ist eine willkommene Mitstreiterin des DHV. Ich sehe keinerlei Grund, warum dies für Gender Studies nicht gelten sollte, sofern sie, wie jedes andere Fach auch, danach trachten, methodengeleitet einen Teilausschnitt der Welt besser zu verstehen. Worauf es hier für Universitäten ankommt, hat beispielsweise der Wissenschaftsrat in seiner jüngsten Bestandaufnahme zur Geschlechterforschung hervorgehoben.
War es klug, dass der DHV in einer Debatte über die Wissenschaftsfreiheit eine einzelne kritische Wissenschaftlerin per Tweet namentlich angegangen ist?
Ich persönlich mag den rauen oder teils sogar sehr derben Stil, der in Debatten auf Plattformen wie "X" zuweilen vorherrscht, nicht. Das kam ja schon raus. Ihre Frage, ob es im konkreten Fall, den ich natürlich kenne, klug war, eine einzelne Wissenschaftlerin per Tweet namentlich zu nennen, lässt sich nicht einfach mit Ja oder Nein beantworten. Am besten macht sich jeder selbst ein Bild. Ich weiß, dass der Fall in einem Blog-Beitrag harsch kritisiert wurde. Als wenig redlich empfinde ich es allerdings, wenn der Eindruck erweckt wird, als wäre es an der Tagesordnung, dass der DHV gegen Wissenschaftlerinnen oder Wissenschaftler namentlich Stellung bezieht. Richtig ist, dass ein großer Berufsverband sicherlich mehr aushalten kann und muss als eine Einzelperson, selbst wenn diese gelegentlich im Verbund mit meinungsstarken Netzwerken und Akteuren agiert. Die konkrete Namensnennung erfolgte im Tweet zu einem FAZ-Artikel. In diesem wird die Wissenschaftlerin zwar nicht namentlich erwähnt, jedoch unter offensichtlicher Bezugnahme auf zuvor öffentlich im Blog getätigte Äußerungen kritisiert. Dass die Weiterleitung des Artikels und der Tweet die Gemüter derart erhitzen, hat mich überrascht. Aber natürlich nehme ich den Unmut zur Kenntnis.
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Die Verteilung der staatlichen Mittel zur Finanzierung von Sozialleistungen ist besonders wichtig in Sub-Sahara Afrika, da die immer noch hohen Armutsraten dazu führen, dass private Anbieter für einen großen Teil der Bevölkerung nicht bezahlbar sind. Zusätzlich stehen kurzfristigen Sozialausgaben dabei auch in Konkurrenz zu Investitionen die langfristig das Wachstum verbessern. Dennoch sind Analysen und das Verstehen landwirtschaftlicher Produktivitätseffekte durch staatlich bereitgestellte Sozialleistungen stark begrenzt durch Datenprobleme und die Notwendigkeit, für eine Vielzahl von damit verbundenen Faktoren zu kontrollieren. Da speziell im ruralen Raum der landwirtschaftliche Sektor eine wichtige Einkommensquelle darstellt, ist es wichtig, dass die Wirkungen der staatlichen Ausgaben für Sozialleistungen auf die landwirtschaftliche Produktivität besser verstanden werden. Die Mittelverteilung kann dabei nicht nur kurzfristige Bedürfnisse im Bereich Gesundheit und Bildung erfüllen, sondern auch zu langfristigem Wachstum führen. Trotz der begrenzten Datenverfügbarkeit, wurden schon in der Vergangenheit Analysen zur Rolle von Staatsausgaben für die rurale Armut durchgeführt. Oft sind diese begrenzt auf einen Sektor, beziehen alle ruralen Einkommen ein und fokussieren sich nicht auf die landwirtschaftliche Produktivität. Zusätzlich, werden oft homogene Produktionstechnologien vorausgesetzt und klimatische Unterschiede, die die Produktion beeinflussen, werden nicht beachtet. Auf diesen früheren Untersuchungen aufbauend, untersuchen wir verschiedene Sektoren und lassen eine Heterogenität der zugrundeliegenden sozio-ökonomischen und klimatischen Umwelt zu. Diese Studie schätzt erst den Einfluss von Staatsausgaben auf die landwirtschaftliche Produktivität länderübergreifend in Sub-Sahara Afrika. Danach ist nur Tansania im Fokus der Analyse zur Wirkung von Sozialleistungen auf die landwirtschaftliche Produktivität. Weiterhin wird in der abschließenden Untersuchung, die sich auch ausschließlich auf Tansania bezieht, der Einfluss der Wasserversorgung der Haushalte auf die landwirtschaftliche Produktivität analysiert. Um den Einfluss der Staatsausgaben auf die landwirtschaftliche Produktivität zu schätzen, werden im ersten Teil der Analyse bestehende Haushaltsdaten für Sub-Sahara Afrika im Rahmen einer länderübergreifenden Regression untersucht. Es werden verschiedene analytische Möglichkeiten und außerdem ein neu zusammengesetzter Datensatz zu jährlichem Niederschlag auf dem Land genutzt. Obwohl Datenrestriktionen die Analyse und die möglichen Rückschlüsse aus dieser beträchtlich einschränken, wird eine Effizienzanalyse für die Länder in Sub-Sahara Afrika durchgeführt, in der Gesundheits- und Bildungsresultate die Indikatoren für die Verfügbarkeit von Sozialleistungen sind. Es wird außerdem ein Strukturgleichungsmodell mit latenten Variablen für eine Teilgruppe von Ländern implementiert, wo sowohl für länderspezifische Heterogenität kontrolliert wird als auch eine direktere Schätzung der Rolle der staatlichen Sozialleistungsausgaben durchgeführt wird, die verschiedene Sektoren abdeckt. Generell, unterstützen die Ergebnisse die Hypothese, dass Staatsausgaben für Leistungen gerade im Bereich Gesundheit und Bildung die Produktivität der Inputs und die Effizienz in der Landwirtschaft beeinflussen. Länderspezifische Heterogenität und Variablen, die mit dem Klima zusammenhängen, sind wichtige Faktoren für die landwirtschaftliche Produktion in Sub-Sahara Afrika, die in solchen Schätzungen nicht vernachlässigt werden sollten. In den verbleibenden Teilen konzentriert sich die Analyse auf Tansania im Speziellen. Es werden die Effekte von Gesundheits- und Bildungsausgaben auf Distriktebene auf die Grenzproduktivitäten von landwirtschaftlichen Inputs und die gesamten Produktion untersucht. Die Ergebnisse des Strukturgleichungsmodels mit latenter Variable bestätigen die signifikante Wirkung von staatlichen Sozialausgaben für die Humankapitalbildung, gemessen mit Gesundheits- und Bildungsindikatoren. Die Ergebnisse zeigen auch Effekte von Gesundheits- und Bildungsresultaten auf die landwirtschaftliche Produktivität. Die Grenzproduktivität der Inputs, besonders Arbeit, reagiert signifikant und positiv auf Gesundheits- und Bildungserfolg, speziell wenn Gesundheit und Bildung gleichzeitig betrachtet werden. Die Einflüsse scheinen auch von der Wahl des Gesundheitsindikators abhängig zu sein, wobei kurzfristige Gesundheitsfaktoren wie Malaria und Durchfall die Produktivität von Saatgut und Dünger beeinflussen. In Gegensatz dazu haben langfristige Gesundheitsprobleme (z.B. chronische Krankheiten) scheinbar einen größeren Einfluss auf Arbeitsqualität und Landproduktivität. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass es ein Mindestniveau von Pro-Kopf-Ausgaben gibt, um zu einem Einfluss auf Bildung und Gesundheit zu führen. Es wird bestätigt, dass es wichtig ist, sowohl die Heterogenität innerhalb eines Landes als auch die klimatischen Besonderheiten mit einzubeziehen. Die Ergebnisse zeigen, dass der jährliche Niederschlag einen signifikanten Einfluss auf die Produktion in allen Modelspezifikationen hat. Für den letzten Teil dieser Studie, konzentrieren wir uns auf den Wassersektor in Tansania, angesichts der Tatsache, dass öffentliche Ausgaben in diesem Sektor sehr begrenzt sind. Für diese Analyse nutzen wir Primärdaten auf Haushaltsebene, die in vier Regionen Tansanias gesammelt wurden, um den Einfluss von Zugang zu Trinkwasser auf die Produktivität des Haushalts in der Landwirtschaft zu untersuchen. Wie in den meisten Regionen von Sub-Sahara Afrika sind auch im ländlichen Tansania die Verfügbarkeit von Wasser und die Qualität des Trinkwassers wichtige Determinanten für den Gesundheitszustand der Bevölkerung. Obwohl Wasser im Zentrum der armutsreduzierenden Bemühungen steht, wurde die Zeit, die für das Wasserholen benötigt wird, in vielen Studien zu Produktivität und Einkommen vernachlässigt. Mit einem Produktionsfunktionsansatz schätzen wir den Einfluss von der für das Wasserholen benötigten Zeit auf die Verfügbarkeit und Produktivität von landwirtschaftlicher Arbeitskraft, und die Erträge. Die Ergebnisse zeigen, dass zusätzliche Zeit, die fürs Wasserholen benötigt wird, signifikant die Arbeitsproduktivität des Haushalts und die Erträge verringert, wenn die Haushalte mehr als den Median (20 Minuten) zum Wasserholen benötigen. In diesen Haushalten hat die Zeit, die fuer das Wasserholen benötigt wird, augenscheinlich einen größeren Einfluss auf die Arbeitsproduktivität als die Qualität des Wassers selbst. Dieser Effekt bleibt auch bestehen, wenn für Heterogenität zwischen Haushalten, Anbaupflanzen und Distrikte kontrolliert wird. Die relative Wichtigkeit anderer produktiver Inputs verändert sich auch, umso höher die Zeit ist, die für das Wasserholen benötigt wird. Folglich ist es wichtig, die Zeit für das Wasserholen zu beachten, wenn ländliche Entwicklungsprojekte geplant werden. Insgesamt hat diese Studie hervorgehoben, dass Einschränkungen wegen Datenproblemen und aus anderen Gründen, die Wirkungsanalyse von öffentlichen Ausgaben auf die landwirtschaftliche Produktivität behindern können. Damit Regierungen ihre beschränkten Mittel effizient und gezielt einsetzen, ist es notwendig ein vollständigeres Verständnis für die direkten und indirekten Effekte zu haben, die Staatsausgaben auf die Entscheidungen der Landwirte haben und welche Einschränkungen existieren. Daten sollten zwischen verschiedenen Akteuren geteilt werden und Ministerien eng zusammenarbeiten, damit gemeinsame Ziele erreicht werden, die zu langfristigem Wachstum führen und gleichzeitig wichtige unmittelbare soziale Bedürfnisse erfüllen. Unsere Ergebnisse machen deutlich, dass Sozialausgaben in unseren Daten positive Wirkungen auf die landwirtschaftliche Produktivität haben. Diese Wirkungen müssen weiter untersucht werden, um hilfreiche Entscheidungshilfen für die zukünftige Mittelvergabe zu liefern. Zusätzlich zur Verdeutlichung des weiteren Forschungsbedarfs hat diese Untersuchung auch politische Implikationen. Sie zeigt die Wichtigkeit eines Mindestniveaus von staatlichen Ausgaben, damit der Gesundheitszustand und die Bildung beeinflusst werden können. Außerdem ist es auch wichtig kontextspezifische Bedürfnisse zu beachten, angesichts der Heterogenität zwischen Ländern oder sogar innerhalb von Ländern zu beachten. Zusätzlich ist in dieser Untersuchung die Wichtigkeit von wasserbedingten Beschränkungen (Regen und der Zugang zu Wasser) verdeutlicht worden. Der Zugang zu Wasser muss somit weiter in den Fokus rücken und Maßnahmen finanziert werden, die diese Probleme reduzieren können. ; In sub-Saharan Africa, public resource allocation in social service sectors can be particular important in that low levels of development can make private services inaccessible for much of the population. In addition, short-term social services needs often compete with longer-term growth enhancing investments for limited government funds. However, the analysis and understanding of the agricultural productivity effects from the provision of social services has been severely limited by data constraints and the need to control for a variety of related factors. Given the importance of agriculture for rural incomes, a better understanding of the effects on agricultural productivity from the provision of a variety of social services is important for allocating spending that will not only support short-term needs but also longer-term growth in rural areas. Despite the limited data availability, previous analyses have been conducted regarding the role of public expenditures on rural poverty. Often, this is limited to one sector or overall rural incomes rather than agricultural productivity. In addition, these analyses often assume homogeneous production technology and do not account for climatic variations driving production. Expanding on the work that has been done previously, we analyze multiple expenditure sectors, allowing heterogeneity in the underlying socio-economic and agro-climatic environment. This research estimates the impact of public expenditures on agricultural productivity across countries of sub-Saharan Africa and then, specifically in the case of Tanzania. Furthermore, given the limited funding available for the water sector in Tanzania, it looks specifically at water constraints at the household level and how this may constrain agricultural productivity. In an effort to estimate the impacts of public expenditures on agricultural productivity, the first part of the analysis explores the existing data for sub-Saharan Africa, using a cross-country regression framework. It exploits multiple analytical options while including a newly-compiled dataset on annual precipitation for agricultural land. While our conclusions are substantially limited by the data constraints, this analysis conducts an efficiency analysis for the group of sub-Saharan African countries using health and educational outcomes as indicators of social service availability. It also implements a latent variable structural equation framework for a subset of countries, allowing not only for country-specific heterogeneity but also more direct estimation of the role of social service expenditures covering multiple sectors. Overall, the results provide evidence that public service expenditures (especially on health and education) can influence input productivity and efficiency in agriculture. Country-specific heterogeneity and climate-related variables appear to be a significant consideration for agricultural production in sub-Saharan Africa that should not be ignored. In the remaining sections, we focus on Tanzania in particular. We begin with an investigation of the impacts of district-level health and education expenditures on marginal productivities of agricultural inputs and overall production. The results of our latent variable, covariance structural model confirm the significance of government social expenditures in human capital formation as measured through health and education indicators. The results also show the effects of these health and educational outcomes on agricultural productivity. We find that the marginal productivities of inputs (labor in particular) respond significantly and positively to health and education outcomes, especially when health and education are considered jointly. The impacts also seem to be a function of the type of health constraint, with short-term health factors such as malaria and diarrhea impacting productivity of seeds and fertilizer. In contrast, longer-term health problems (i.e., chronic diseases) appear to have greater impacts on labor quality and land productivity. The results also suggest that there is a minimum level of expenditures per capita needed to see an impact on educational or health outcomes. The results confirm the importance of considering intra-country heterogeneity as well as climate-related constraints, as the results demonstrate that annual precipitation has a significant impact on production for all specifications. For the final part of the research, we focus on the water sector in Tanzania, given that public spending in this sector is very limited. For this analysis, we rely upon primary household survey data collected in four regions of Tanzania to investigate the impact of drinking water access on agricultural productivity at the household level. As in many parts of sub-Saharan Africa, a lack of sufficient and safe drinking water is a health constraint in rural Tanzania. Although the water sector has been prioritized in poverty-reduction efforts, water collection time has been overlooked in many studies addressing productivity and incomes. Using a production function approach, we estimate the impact of drinking water collection times on agricultural labor availability, labor productivity, and yields. The results show that additional time required to access drinking water significantly reduces household labor productivity and yields for households that have to spend more than the median time (20 minutes) collecting water. In these households, the time needed to collect water appears to serve as a more significant constraint to labor productivity than the quality of the water at the source. This effect remains consistent even after controlling for heterogeneity among households, crop diversity, and districts. The relative importance of other productive inputs also changes with increased time needed for water collection. Our results support further consideration of the time required for water collection when planning rural development initiatives. Overall, this research has highlighted the important data limitations and the confounding constraints that can hinder analysis of the impacts of public expenditures on agricultural productivity. In order for governments to efficiently target limited funds, a more comprehensive understanding of the direct and indirect impacts of these expenditures on farm-level decisions and constraints will be necessary. Further data sharing among agencies and working across ministries is needed in order to o meet common goals for long-term growth while addressing more immediate social needs. The findings here suggest that social expenditures can also positively impact agricultural productivity and these impacts should be further explored in making funding decisions. In addition to emphasizing the need for additional data, this research has other important policy implications. It points to the importance of providing sufficient levels of expenditures in order to influence health and education outcomes and the importance of recognizing context-specific needs given the heterogeneity between countries even within a country. In addition, this research has provided strong evidence of the importance of water-related constraints (both precipitation and household access to water) that seem to support not only consideration of these constraints but also funding of measures that may reduce vulnerability.
Malnutrition, poverty and the unsustainable exploitation of natural resources pose serious problems in sub-Saharan Africa (SSA). Overfishing and deforestation not only damage ecosystems, but also put livelihoods at risk in rural economies. The development of nature-based tourism, aquaculture and bioenergy production from papyrus briquettes provide opportunities for improvement. Co-management is becoming increasingly important in SSA to prepare and implement development plans. It aims to provide a framework in which governments work closely together with key stakeholders in village communities, but often success has been limited. Namibia and Zambia are used as case studies in this thesis because despite co-management, malnutrition, poverty and high exploitation of natural resources is evident. A modeling approach can evaluate the impact of different policy (or development) programs ex-ante in order to derive recommendations for action. Quantitative approaches such as computer-based mathematical programming therefore provide an important tool to support policy planning and explore development opportunities, as simulations can indicate the feasibility and potential acceptance of policy (or development) programs. As a result, there is great interest in computer-based models to support the design of development and management plans. The literature also points to research needs for nature-based tourism, aquaculture and papyrus briquettes as bioenergy in SSA. This need is addressed in this thesis by developing computer-based mathematical programming models. Against this background, the overall objective of this thesis is to develop computer-based mathematical programming models to investigate the impact of different development opportunities on rural economies and natural resources in SSA. The focus of this thesis is on nature-based tourism and aquaculture applied to a region in Namibia, and papyrus briquetting applied to a rural area in Zambia as possible (management) options. In detail, the following research questions are raised: (1) Does nature-based tourism improve local livelihoods? (2) Does nature-based tourism have the potential to reduce overfishing? (3) Does aquaculture improve local livelihoods? (4) Does aquaculture have the potential to reduce local overfishing? (5) Does papyrus harvesting and processing improve local livelihoods? (6) Does papyrus harvesting and processing have the potential to reduce the pressure on local forest resources? Chapter 2 investigates the impact of nature-based tourism on rural development and conservation in Namibia's Zambezi Region. Co-management and nature-based tourism often go hand in hand to drive conservation and economic development in SSA. However, the complementarity of the two strategies is controversially discussed in the literature. A mathematical optimization model was developed which represents the economy of a rural case study region and analyzes the trade-offs between nature conservation and development objectives. The model is based on survey data from 200 households collected in 2012. Two different modeling scenarios were developed. Results show that in the scenario describing unrestricted resource extraction, local communities mainly benefit from fishing and utilizing forest products. The current problem of overfishing is highlighted and would be further worsened by the absence of the angling tourism sector. Furthermore, important macro- and micronutrients are missing in the daily diets. In comparison, the scenario representing the social optimum, implying sustainably managed fish stocks and appropriate diets for community inhabitants, shows that community households increase agricultural diversification and shift livelihoods towards tourism employment. As long as appropriate dietary substitutes for fish are available, the overall welfare can be maintained. Model results indicate the high willingness to pay for fish of angling tourists compared to local consumers. Revealed marginal values provide information for developing sustainable regional management plans and guide values for development interventions. Nature-based tourism thus has the potential to improve livelihoods and stop overfishing. Chapter 3 examines the impact of aquaculture development on fish stocks and livelihoods in rural Namibia. Aquaculture is widely recognized as a way to reduce malnutrition and poverty. So far, research with respect to aquaculture has mainly focused on Asia, and the few studies available from SSA are predominantly ex-post partial analyses. A village Computable General Equilibrium (CGE) model was constructed to investigate whether aquaculture improves local livelihoods and simultaneously has the potential to counteract local overfishing. The model is applied to a rural case study region in Namibia's Zambezi Region where malnutrition, poverty and fish resource overexploitation pose current problems. A Social Accounting Matrix (SAM) from 2012 is used as a database for the analysis. The village CGE model shows that aquaculture is a viable livelihood activity improving household incomes and utility through labor reallocations. Furthermore, aquaculture can counteract malnutrition through increased fish consumption. Higher opportunity costs lead to households leaving the fisheries and switching to aquaculture. These substitution effects offer the possibility of reducing the pressure on local freshwater fish stocks. The results also predict that the price of fish from aquaculture is below the regional market price and thus more affordable for the poor. However, the subsistence fish harvest still exceeds the sustainability limit, and the simulation of a strict fish conservation policy leads to declining incomes and increasing deforestation. Policy makers can use the results to introduce aquaculture support programs in rural areas. The findings indicate that such interventions should take particular account of the poorest households, which are most dependent on fisheries. The derived opportunity costs provide information about payments that are necessary to make policy interventions acceptable for different household groups. Chapter 4 analyzes the impacts of introducing a small-scale papyrus briquetting business in rural Zambia. Papyrus is increasingly suggested as an alternative bioenergy source to reduce the pressure on forest ecosystems. However, there are few studies on the economic viability of papyrus wetlands and the benefits for local communities. A village CGE model was developed to examine whether papyrus harvesting and processing has the potential to improve local livelihoods and simultaneously counteract the pressure on local forest resources. The model is applied to a village in northern Zambia where overexploitation of forest resources to produce energy from firewood and charcoal poses a serious problem. The analysis is based on a SAM, which was constructed from survey data of 105 households collected in 2015. The model results show that papyrus briquettes are a possible alternative biofuel and that this technology of papyrus briquetting improves household income and utility through labor reallocations. Higher opportunity costs lead to households switching from firewood extraction and charcoal production activities to papyrus harvesting and processing for bioenergy production. Revealed group-specific opportunity costs of the CGE analysis represent the incentive price for households to stop deforestation. Replacing energy supplies from firewood and charcoal with papyrus briquettes results in substitution effects between forest land and wetland and thereby reduces the pressure on local forest resources. However, sustainable harvesting regimes are required to maintain papyrus as an alternative biofuel source. The CGE approach allows for an economy-wide ex-ante analysis at village level and can support management decisions to ensure the success of papyrus bioenergy interventions. Annex A contains a user manual for the construction of a SAM for a village economy. The methodology is well established at the national level. The procedure for developing national SAMs is extensively documented in literature. However, it can also be constructed for smaller economies, such as a village. Studies dealing with village SAMs are rare. In addition, there are hardly any guidelines for design. In order to complete this gap, theoretical principles and data requirements are discussed; a hypothetical village SAM is constructed by using numerical examples. Subsequently, the SAM of a real-world village case study from Zambia is analyzed. It is demonstrated how macroeconomic indicators can be calculated and microeconomic information obtained. Furthermore, a village SAM provides the database for scientific modeling approaches, such as optimization and CGE models, which are presented. Village SAMs are thus a useful management tool and support policy planning at local and regional level. ; Unterernährung, Armut und die nicht nachhaltige Ausbeutung natürlicher Ressourcen sind schwerwiegende Probleme in Subsahara-Afrika. Überfischung und Entwaldung schädigen nicht nur die Ökosysteme, sondern gefährden auch die Existenzgrundlage der ländlichen Wirtschaftsräume. Die Förderung von Naturtourismus, Aquakultur und Bioenergieproduktion aus Papyrusbriketts stellen Möglichkeiten zur Verbesserung dar. Co-Management gewinnt immer stärker an Bedeutung in Subsahara-Afrika, um Entwicklungspläne zu erstellen und umzusetzen. Es soll einen Rahmen schaffen, in dem Regierungen eng mit den wichtigsten Interessengruppen in dörflichen Gemeinden zusammenarbeiten, allerdings häufig mit begrenztem Erfolg. Namibia und Sambia werden in dieser Arbeit als Fallstudien verwendet, da trotz Co-Management Unterernährung, Armut und eine starke Ausbeutung der natürlichen Ressourcen offensichtliche Herausforderungen darstellen. Ein Modellierungsansatz kann die Auswirkungen verschiedener Politik- (oder Entwicklungs-)Programme ex-ante bewerten, um Handlungsempfehlungen abzuleiten. Quantitative Ansätze, wie die computergestützte mathematische Programmierung, bieten daher ein wichtiges Instrument zur Unterstützung der Politikplanung und Erarbeitung von Entwicklungsmöglichkeiten, da Simulationen auf die Realisierbarkeit und wahrscheinliche Akzeptanz von Politk- (oder Entwicklungs-)Programmen hinweisen können. Es besteht folglich ein hohes Interesse an computergestützten Modellen, um die Erstellung von Entwicklungs- und Managementplänen zu unterstützen. Die Literatur verweist zudem auf Forschungsbedarf für Naturtourismus, Aquakultur und Papyrusbriketts als Bioenergie in Subsahara-Afrika. Dieser Bedarf wird im Rahmen der Arbeit durch die Entwicklung computergestützter mathematischer Programmierungsmodelle adressiert. Vor diesem Hintergrund ist das übergeordnete Ziel dieser Arbeit, computergestützte mathematische Programmierungsmodelle zu entwickeln, um die Auswirkungen verschiedener Entwicklungsmöglichkeiten auf ländliche Ökonomien und die natürlichen Ressourcen in Subsahara-Afrika zu untersuchen. Als mögliche (Management-)Option wird der Naturtourismus und die Aquakultur am Beispiel Namibias und die Papyrusbrikettierung am Beispiel Sambias hervorgehoben. Im Einzelnen werden die folgenden Forschungsfragen aufgeworfen: (1) Verbessert der Naturtourismus die lokalen Lebensgrundlagen? (2) Hat der Naturtourismus das Potenzial, die Überfischung zu reduzieren? (3) Verbessert Aquakultur die lokalen Lebensgrundlagen? (4) Hat Aquakultur das Potenzial, die lokale Überfischung zu reduzieren? (5) Verbessert die Papyrusernte und -verarbeitung die lokalen Lebensgrundlagen? (6) Hat die Papyrusernte und -verarbeitung das Potenzial, den Druck auf die lokalen Waldressourcen zu reduzieren? Kapitel 2 untersucht die Auswirkungen des Naturtourismus auf die ländliche Entwicklung und den Naturschutz in Namibias Sambesi Region. Co-mangement und Naturtourismus gehen oft Hand in Hand, um den Naturerhalt und die ökonomische Entwicklung in Subsahara-Afrika zu fördern. Inwiefern sich diese beiden Strategien ergänzen, wird jedoch in der Literatur kontrovers diskutiert. Es wurde ein mathematisches Optimierungsmodell entwickelt, welches die Wirtschaft einer ländlichen Fallstudienregion repräsentiert und die Zielkonflikte zwischen Naturschutz und Entwicklungszielen untersucht. Die Datenbasis des Modells stellen Umfragedaten von 200 Haushalten aus dem Jahr 2012 dar. Es wurden zwei unterschiedliche Modellierungsszenarien entworfen. Die Ergebnisse zeigen, dass in dem Szenario der uneingeschränkten Ressourcenextraktion die lokalen Gemeinden hauptsächlich von der Fischerei und der Nutzung von Waldprodukten profitieren. Das derzeitige Problem der Überfischung wird aufgezeigt und würde durch das Fehlen des Angeltourismus noch weiter verschärft werden. Zudem zeigt die Simulation das Fehlen wichtiger Makro- und Mikronährstoffe in der täglichen Ernährung. Im Vergleich zu dieser, den Status quo repräsentierenden Modellierung zeigt das Szenario des sozialen Optimums, welches nachhaltig bewirtschaftete Fischbestände und eine angemessene Ernährung der Gemeindebewohner beinhaltet, dass die Haushalte der Gemeinde ihre landwirtschaftliche Diversifizierung erhöhen und ihre Lebensgrundlagen zugunsten von Tourismusbeschäftigungen verlagern. Solange geeignete Ernährungssubstitute für Fische zur Verfügung stehen, kann die allgemeine Wohlfahrt aufrechterhalten werden. Die Modellergebnisse zeigen die hohe Zahlungsbereitschaft für Fische von Angeltouristen im Vergleich zu lokalen Konsumenten. Aufgedeckte Marginalwerte liefern Informationen für die Entwicklung nachhaltiger regionaler Managementpläne und Richtwerte für Entwicklungsmaßnahmen. Naturtourismus hat somit das Potenzial, die Lebensgrundlagen zu verbessern und die Überfischung zu stoppen. Kapitel 3 behandelt die Auswirkungen der Entwicklung der Aquakultur auf die Fischbestände und Lebensgrundlagen im ländlichen Namibia. Aquakultur ist allgemein als eine Möglichkeit bekannt, Unterernährung und Armut zu reduzieren. Bisher hat sich die Forschung bezüglich dieses Themas hauptsächlich auf Asien konzentriert und die wenigen verfügbaren Studien aus Subsahara-Afrika sind überwiegend Ex-post-Teilanalysen. Daher wurde ein ländliches Gleichgewichtsmodell entwickelt, welches untersucht, ob Aquakultur die lokalen Lebensgrundlagen verbessert und gleichzeitig das Potenzial hat, der lokalen Überfischung entgegenzuwirken. Das Modell wird auf eine ländliche Fallstudienregion in der Sambesi Region Namibias angewendet, die von Unterernährung, Armut und Überfischung gekennzeichnet ist. Für die Analyse wird der Datensatz einer Sozialrechnungsmatrix aus dem Jahr 2012 verwendet. Das ländliche Gleichgewichtsmodell zeigt, dass Aquakultur eine realisierbare Aktivität zur Verbesserung des Einkommens und des Nutzens der Haushalte durch Arbeitsreallokationen ist. Darüber hinaus kann die Aquakultur der Unterernährung durch erhöhten Fischkonsum entgegenwirken. Höhere Opportunitätskosten führen dazu, dass Haushalte die Fischerei verlassen und zur Aquakultur wechseln. Diese Substitutionseffekte bieten die Möglichkeit, den Druck auf die lokalen Süßwasserfischbestände zu verringern. Die Ergebnisse prognostizieren zudem, dass der Preis für Fisch aus der Aquakultur unter dem regionalen Marktpreis liegt und somit für einkommensschwache Haushalte bezahlbar ist. Der Subsistenzfischfang übersteigt jedoch noch immer die Nachhaltigkeitsgrenze und die Simulation einer strengen Fischschutzpolitik führt zu sinkenden Einkommen und zunehmender Entwaldung. Politische Entscheidungsträger können diese Resultate nutzen, um Förderprogramme für Aquakultur in ländlichen Gebieten einzuführen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass bei diesen Maßnahmen insbesondere die ärmsten Haushalte, die am stärksten von der Fischerei abhängig sind, berücksichtigt werden sollten. Abgeleitete Opportunitätskosten geben Aufschluss über Zahlungen, die notwendig sind, um politische Interventionen für verschiedene Haushaltsgruppen akzeptabel zu gestalten. Kapitel 4 analysiert die Auswirkungen der Einführung eines Papyrusbrikettbetriebes im ländlichen Sambia. Papyrus wird zunehmend als eine alternative Bioenergiequelle vorgeschlagen, um den Druck auf die Waldökosysteme zu verringern. Es gibt jedoch nur wenige Studien über die Wirtschaftlichkeit von Papyrus-Feuchtgebieten und den Nutzen für die lokale Bevölkerung. Es wurde ein ländliches Gleichgewichtsmodell entwickelt, um zu untersuchen, ob die Ernte und Verarbeitung von Papyrus das Potenzial hat, die lokalen Lebensgrundlagen zu verbessern und gleichzeitig dem Druck auf die lokalen Waldressourcen entgegenzuwirken. Das Modell wird auf ein Dorf im Norden Sambias angewendet, wo die Ausbeutung der Wälder zur Energiegewinnung aus Feuerholz und Holzkohle ein schwerwiegendes Problem darstellt. Die Analyse verwendet eine Sozialrechnungsmatrix, die auf Erhebungsdaten von 105 Haushalten aus dem Jahr 2015 basiert. Die Modellergebnisse zeigen, dass Papyrusbriketts ein möglicher alternativer Biokraftstoff sind und dass diese Technologie der Papyrusbrikettierung das Einkommen und den Nutzen der Haushalte durch Arbeitsreallokationen verbessert. Höhere Opportunitätskosten führen dazu, dass die Haushalte von der Feuerholzgewinnung und Holzkohleproduktion auf die Papyrusernte und -verarbeitung zur Erzeugung von Bioenergie wechseln. Die aufgedeckten gruppenspezifischen Opportunitätskosten der Gleichgewichtsanalyse stellen einen Anreiz für Haushalte dar, die Entwaldung zu stoppen. Der Austausch von Energie aus Feuerholz und Holzkohle durch Papyrusbriketts führt zu Substitutionseffekten zwischen Waldfläche und Feuchtgebiet und entlastet damit die lokalen Waldressourcen. Um Papyrus als alternative Biokraftstoffquelle zu erhalten, sind jedoch nachhaltige Erntemethoden erforderlich. Der Gleichgewichtsansatz ermöglicht eine gesamtwirtschaftliche Ex-ante-Analyse auf Dorfebene und kann Managemententscheidungen unterstützen, um den Erfolg von Papyrus-Bioenergie-Interventionen sicherzustellen. Annex A beinhaltet ein Benutzerhandbuch für den Bau einer Sozialrechnungsmatrix einer ländlichen Ökonomie. Die Anwendung dieser Methodik ist auf nationaler Ebene bereits etabliert. Die Vorgehensweise zur Erstellung nationaler Sozialrechnungsmatrizen ist in der Literatur ausführlich dokumentiert. Sie kann aber auch für kleinere Ökonomien, wie ein Dorf, entwickelt werden. Studien, die sich mit dörflichen Sozialrechnungsmatrizen beschäftigen, sind selten. Zudem gibt es kaum Richtlinien zur Gestaltung. Um diese Lücke zu schließen, werden theoretische Grundlagen und Datenanforderungen diskutiert; eine hypothetische dörfliche Sozialrechnungsmatrix wird mit Hilfe numerischer Beispiele konstruiert. Anschließend wird eine Sozialrechnungsmatrix einer realen Dorf-Fallstudie aus Sambia analysiert. Es wird aufgezeigt, wie makroökonomische Indikatoren berechnet und mikroökonomische Informationen ermittelt werden können. Darüber hinaus wird erläutert, inwiefern eine dörfliche Sozialrechnungsmatrix die Datenbasis für wissenschaftliche Modellierungsansätze wie Optimierungs- und Gleichgewichtsmodelle bietet. Dörfliche Sozialrechnungsmatrizen sind somit ein nützliches Managementinstrument und unterstützen die Politikplanung auf lokaler und regionaler Ebene.
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Berlins Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra über die neuen Berliner Hochschulverträge und den altbekannten Sanierungsstau, die Chancen des Exzellenzverbundes BUA – und wie es mit der Postdoc-Entfristung weitergeht.
Berlins Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra. Fotos: Nils Bornemann.
Frau Czyborra, am Dienstag hat der Berliner Senat die neuen Hochschulverträge beschlossen. Was drinsteht, war seit der Ihrer Einigung mit den Hochschulen im August im Wesentlichen bekannt. Vor allem, dass es bis 2028 jedes Jahr fünf Prozent mehr Landesgeld gibt und dass die Zahl der Lehramts-Studienplätze aufgestockt wird. Was ist aus Ihrer Sicht sonst noch bemerkenswert?
Ich bin sehr zufrieden mit dem Erreichten. Wir geben nicht einfach mehr Geld, wir haben auch die überkomplexe Systematik reformiert, nach der das Geldbislang verteilt wurde. Konkret: Wir haben die Zahl der Leistungsindikatoren für die Hochschulen verringert und dafür gesorgt, dass sich die gesetzten Anreize nicht mehr gegenseitig aufheben. Wichtig ist auch, dass Minderleistungen in einem Bereich nicht mehr durch Mehrleistungen an anderer Stelle ausgeglichen werden können. Es kann also zu Abzügen kommen.
Wie stark können die werden?
Theoretisch bis zu 30 Prozent. Aber da muss eine Hochschule schon alles falsch machen. Realistisch gehe ich von maximal fünf Prozent aus. Aber die können schon richtig wehtun.
Weil das meiste Budget in Personalkosten gebunden ist und jedes Minus voll auf die wenigen beweglichen Gelder durchschlägt. Und das ist eine gute Nachricht für die Hochschulen?
Die gute Nachricht ist, dass wir Leistung tatsächlich belohnen. Die Abzüge gehen ja nicht zurück in den Landeshaushalt, sondern fließen in den Topf der Qualitätsoffensive für die Lehre – aus dem wir dann wieder gezielte Maßnahmen in den Hochschulen finanzieren können, und zwar genau dort, wo eine besondere Innovationsdynamik herrscht. Das hilft auch den Präsidien. Beispiel Gleichstellung: Wenn eine Fakultät da nicht mitzieht, können die Hochschulleitungen die resultierenden Mittelabzüge direkt dorthin durchreichen, wo die Verantwortlichen sitzen. Allerdings, das gebe ich zu, hat unsere Indikatorik noch Schwächen.
Ina Czyborra, 57, ist promovierte Archäologin und stellvertretende SPD-Landesvorsitzende in Berlin. Über viele Jahre war sie wissenschaftspolitische Sprecherin ihrer Fraktion im Abgeordnetenhaus. Im April 2023 übernahm sie das Amt der Berliner Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege.
Welche meinen Sie?
Die dritte große Aufgabe der Hochschulen neben Lehre und Forschung ist der Transfer, da brauchen wir dringend mehr Output in Form technologischer und sozialer Innovationen, aber auch anderen Formen von Wissenstransfer. Dafür müssen wir aber erstmal wissen, wie wir erfolgreichen Transfer sinnvoll messen. Wir können ja nicht nach Bauchgefühl gehen. Unsere Aufgabe ist, diese harten Indikatoren jetzt zu entwickeln, damit wir sie in der nächsten Phase der Hochschulverträge einbauen können.
Keine Lösung präsentiert haben Sie darüber hinaus für die jetzt schon sechs Millionen Euro pro Jahr, die die Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) für das Studienangebot für künftige Polizeikräfte ausgibt. Zugunsten der Senatsverwaltung des Innern – aber die zahlt nicht.
Das ist nicht die Verantwortung der Innenverwaltung, sondern Folge der Eigenheit der Finanzverwaltung, Sonderprogramme außerhalb der normalen Haushaltssystematik zu produzieren, die dann alle zwei Jahre erneuert werden müssen, was bei einem Studiengang von drei oder vier Jahren absolut keinen Sinn ergibt. In der Wissenschaftsverwaltung waren wir da aber vielleicht auch etwas blauäugig.
Inwiefern?
Weil uns die Finanzverwaltung immer wieder signalisiert hatte, dass sie die Polizei-Thematik in den Hochschulverträgen berücksichtigen wolle, worauf wir uns verlassen haben. Wenn es jetzt heißt, dafür gebe es ja die fünf Prozent für alle Hochschulen oben drauf, daraus müssten auch die Polizei-Studienplätze finanziert werden, dann muss uns die Finanzverwaltung die Frage beantworten, an welcher anderen Stelle die Hochschulen das nötige Geld einsparen sollen. Etwa bei der Byzantinistik oder der Altphilologie? Bei der Elektrotechnik oder dem Maschinenbau, weil es da gerade weniger Bewerber gibt? Sollen Kürzungen wirklich die Antwort sein?
"Das sind die Debatten, die ich mit den Hochschulen führen möchte"
Wie lautet denn Ihre Antwort?
Wir sollten diese Studiengänge nicht kaputtsparen, sondern gemeinsam mit den Hochschulen darüber reden, wie wir sie attraktiver machen. Das sind die Debatten, die ich unterhalb der Hochschulverträge in den nächsten Jahren mit den Hochschulen führen möchte. Gleichzeitig hoffe ich, dass wir irgendwann mit der Finanzverwaltung und anderen Ressorts zu einem klaren Verständnis kommen, was die Stadt eigentlich an Studienangeboten braucht und erwartet. Im Augenblick höre ich nur Klagen, die Hochschulen erhielten so viel Geld, doch die nötigen Fachkräfte seien trotzdem nicht da. Meine Gegenfrage an die anderen Ressorts lautet: Welche Personalbedarfe habt ihr denn? Definiert die bitte für die nächsten zehn, 15 Jahren – von der Zahl der Pflegekräfte über die Verwaltung bis hin zu Radweg- und Verkehrsplanern. Dann kann ich mit den Hochschulen besprechen, wie wir die Bedarfe decken, in Einklang mit der Wissenschaftsfreiheit, versteht sich. Doch bislang bekomme ich keine Antwort.
Unstrittig ist der Bedarf an zusätzlichen Lehrkräften.
Erfreulicherweise sieht es so aus, als sei die Zahl der Bewerber um einen Studienplatz gestiegen. Ob daraus mehr Immatrikulationen werden, wissen wir noch nicht.
Sie haben in den Hochschulverträgen verabredet, dass bis 2028 die Zahl der Lehramts-Studienplätze auf 2500 aufgestockt werden soll. Wird das reichen, um die Zahl der Studiengänge mit Zugangsbeschränkungen zu senken? Derzeit kann man die Signale an die Bewerber nur als widersprüchlich bezeichnen: Die Politik beklagt den Lehrermangel, gleichzeitig lässt sie viele Lehramts-NCs zu.
Das ist ein Schein-Widerspruch. Da, wo der Bedarf an Lehrkräften hoch ist, in Mathe, Chemie oder Physik etwa, haben wir keinerlei NCs. Wenn aber viele junge Menschen Politologie oder Geschichte auf Lehramt studieren wollen, obwohl es gar nicht so viel Personalbedarf für das Fach gibt, dann ist es legitim, wenn wir vergleichsweise wenig Studienplätze zur Verfügung stellen. Hinzu kommt ein Phänomen, über das nicht so gern geredet wird. Wenn Sie in Berlin Grundschullehramt studieren, müssen Sie Mathe belegen. Es sei denn, Sie wählen alternativ Sonderpädagogik. Wenn es da dann plötzlich 1000 Bewerber gibt und einen extremen NC, handelt es sich ganz offenbar um eine Fehlsteuerung.
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Mehr Lehrkräfte würde die Stadt auch dadurch bekommen, dass die hohen Schwundquoten im Studium runtergehen.
Diese behaupteten Schwundquoten gibt es doch in der Form bei uns gar nicht. Wir haben zum Beispiel einen Bachelor mit Lehramts-Option. Wenn sich Studierende dagegen entscheiden, fertig auf Lehramt zu studieren, ist das so im System angelegt und kein Studienabbruch, nur weil sie vielleicht nicht im Master of Education auftauchen. Aus der Humboldt-Universität höre ich, dass sie tatsächlich im Grundschullehramt signifikant niedrigere Abbrecherquoten als anderswo haben.
Man hört viel und weiß wenig, weil die exakten Zahlen nicht erhoben werden?
Natürlich würden wir gern mehr wissen, was aus den Studienanfängern wird. Natürlich stützen wir uns zu oft auf anekdotische Evidenz und hätten gern mehr Verbleibstudien. Aber die Auskunftsfreude derjenigen, die sich exmatrikulieren, ist gering, der Rücklauf von Fragebögen entsprechend überschaubar. Persönlich würde ich gern selbst mal eine der Mathe-Klausuren schreiben, die im Grundschullehramt obligatorisch sind. Von den Studierenden vernehme ich da die schlimmsten Geschichten, während mir etwa die Freie Universität mitteilt, der abgefragte Stoff gehe über den Satz des Pythagoras nicht hinaus. Zumindest dessen Beherrschung erwarte ich dann schon von jeder Grundschul-Lehrkraft. Sonst kommen wir in Deutschland nie raus aus dem verqueren Verhältnis, was viele Menschen zur Mathematik haben.
Ende des Jahres legt die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz ihre Empfehlungen zur Reform der Lehrkräftebildung vor. Wie groß wird danach der Reformeifer in Berlin ausfallen?
Ich beobachte mit einer gewissen Faszination, wie an vielen Orten in Deutschland schon jetzt kräftig herumreformiert wird. Vieles davon erscheint mir wenig systematisch. Genau diese Systematik erhoffe ich mir aber vom SWK-Gutachten. Sehr hilfreich fand ich bereits das Papier des Wissenschaftsrats zur Lehramtsausbildung im Fach Mathematik. In Berlin haben wir zusammen mit der Bildungsverwaltung einige Runde Tische mit Experten vor uns. Als nächstes möchte ich mit den Universitäten in eine offene und zugleich zielgerichtete Debatte einsteigen. Mein Ziel ist, dass wir im ersten Halbjahr 2024 Eckpunkte zur Reform der Lehrerbildung in Berlin vorlegen. Persönlich bin ich ein großer Fan von Ein-Fach-Lehramtsstudiengängen, die flexible Einstiege ermöglichen und doch qualitativ hochwertig sind. Was ich für keine gute Idee halte: Im Rahmen eines dualen Studiums die Studienanfänger ohne jeden Abstand zur eigenen Schullaufbahn am ersten Tag vor eine Schulklasse zu stellen. Das geht auf Kosten der Unterrichtsqualität und der Studierenden.
"Es gab die richtige und hehre Absicht, aber nie einen zu Ende gedachten Plan, wie sich der Sanierungsstau in sinnvollen Schritten abarbeiten ließe"
Zurück zu den Hochschulverträgen: Die Freude an den Hochschulen ist stark getrübt, weil sich parallel der enorme Sanierungsstau immer handfester bemerkbar macht. Die Technische Universität Berlin musste mehrere Gebäude kurzfristig schließen, TU-Präsidentin Geraldine Rauch warnt vor dramatischen Konsequenzen für die Hochschullehre.
Ich habe die Wortmeldungen von Frau Rauch zur Kenntnis genommen, auch ihre Mahnungen, die Baumisere gefährde Berlins Chancen in der Exzellenzstrategie. Dazu noch ihre Forderung, verschiedene Gebäude in die Sanierungsplanung aufzunehmen. Als nächstes wünsche ich mir konkrete Vorschläge, wie wir mit den kurzfristigen Problemen umgehen. Weder werden Frau Rauchs Exzellenz-Warnungen auf Begeisterung bei den anderen Universitäten stoßen noch wird das Setzen auf irgendwelche Sanierungslisten etwas ausrichten gegen einen Wasserschaden in der Chemie oder die mutwillige Sabotage in der Mathematik. Zumal das neue Mathematik-Gebäude ja längst im Werden und 2025 fertig ist. Aber was machen wir bis dahin? Wo will die TU Container hinstellen, um die akute Platznot zu beheben und den Betrieb zu stabilisieren? Die Studierenden haben ein Anrecht auf baldige Antworten. Mit Frau Rauch stehen wir zu all diesen Fragen in einem engen Austausch. Ich freue mich, dass seit der vergangenen Woche zumindest Teile beider Gebäude wieder genutzt werden können.
Aber Frau Rauch hat doch einen Punkt! Der damalige Regierende Bürgermeister Michael Müller und sein Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach hatten den Hochschulen schon vor Jahren bis 2036 jährlich 250 Millionen Euro für die Hochschulbau und -sanierung versprochen, doch diesen Aufbruch sieht man den Berliner Hochschulen nicht an.
Weil es zwar die richtige und hehre Absicht gab, aber nie einen zu Ende gedachten Plan, wie sich der Sanierungsstau über diesen langen Zeitraum in sinnvollen Schritten abarbeiten ließe. Hinzu kommt, dass sich die finanzielle Situation geändert hat. 2018 hatte wir steigende Steuereinnahmen, jetzt haben wir es mit enormen Baukostensteigerungen zu tun. Außerdem seit Jahren mit einem Fachkräfteproblem, auch in den Bauabteilungen der Hochschulen. Dann war da die Pandemie, die uns über Jahre im Griff hatte.
Und schließlich wurde viel Geld in Leuchtturmprojekte gesteckt.
Klar spielt das da rein, wenn wir, was ich für richtig und unabdingbar halte, für das Herzzentrum eine halbe Milliarde Euro ausgeben. Oder für das Museum für Naturkunde 330 Millionen. Beim Campus Tegel sind wir mittlerweile bei 365 Millionen angekommen, und die Planungen für die Charité, immerhin das siebtbeste Universitätskrankenhaus der Welt, schlagen ebenfalls zu Buche. Da sind Schwerpunkte gesetzt worden.
Und nun?
Was auf jeden Fall gilt: Wir müssen schneller werden, wegkommen von der Kameralistik und den ewigen Planungsprozessen zwischen drei Behörden und den Hochschulen. Es kann nicht sein, dass zwischen Beschluss und Fertigstellung eines Gebäudes zehn Jahre vergehen. Ich kann mir vorstellen, dass wir eine Hochschulbau-Gesellschaft gründen, die alles aus einer Hand macht. Aber die Hochschulen sollten sich auch an die eigene Nase fassen. Die TU hat in den vergangenen Jahren nur ein Drittel ihres Budgets für den Bauunterhalt ausgegeben und den Rest in die Rücklage gepackt. Wir alle müssen flexibler im Denken werden.
"Wir sollten als Land Berlin handeln und eine Gesellschaft für den Hochschulbau gründen."
Das heißt?
Da Studiengebühren ja kein Weg sind, sollten wir über neue Modelle der Baufinanzierung und -durchführung sprechen, wie sie zum Beispiel Österreich entwickelt hat. Dort gibt es die Bundesimmobilien-Gesellschaft, die den Schul- und Hochschulbau auf grundsätzlich neue, wirtschaftlich tragfähige Füße gestellt hat. Da wir Derartiges von unserem Bund nicht zu erwarten haben, finde ich, dass wir als Land Berlin handeln und eine Gesellschaft für den Hochschulbau gründen sollten. In die bringen wir bebaubare Grundstücke ein, das nötige Eigenkapital, und dann generieren wir über die Investitionsbank Berlin Brandenburg die nötige Restfinanzierung. Das würde auch planerisch große Synergien schaffen, darum möchte ich die Idee mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung gern vorantreiben.
Vorantreiben wollten Sie und Ihre Mitstreiter:innen im Abgeordnetenhaus einst auch die Entfristung von Postdocs ins Berlin. Als Sie kurz vor der Abgeordnetenhauswahl 2021 den umstrittenen Paragraph 110, Absatz 6 ins neue Berliner Hochschulgesetz bugsierten, haben Sie und ihre Parlamentskolleg:innen von den Grünen und der Linken anschließend eine Flasche Sekt aufgemacht und sich beim Anstoßen ablichten lassen. War die Sektlaune verfrüht?
Der Wortlaut der Bestimmung war nicht wirklich zu Ende gedacht. Das war dem hohen Zeitdruck geschuldet, unter dem er entstand – und der wenig seriösen Zuarbeit aus der damaligen Wissenschaftsverwaltung…
…die die Regelung nicht wollte…
Aber es hat sich ja alles geklärt seitdem. Berlin kann sich auf die Fahnen schreiben, dass wir mutig vorangeschritten sind und die "#IchbinHanna"-Debatte massiv beflügelt haben. Das war nicht nur für die noch immer nicht abgeschlossene Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) auf Bundesebene wichtig, sondern hat die Berliner Hochschulen motiviert, spannende Personalkonzepte zu entwickeln.
Die wurden im Herbst 2022 bei der Senatsverwaltung eingereicht. Seitdem ist nichts passiert. Im Gegenteil: Der neue Senat von CDU und SPD hat die geplante Entfristung der Postdocs bis 2025 ausgesetzt.
Die Hochschulen haben versprochen, trotz der Aussetzung an den Konzepten festzuhalten. Nachdem wir die Hochschulverträge unter Dach und Fach haben, können wir uns jetzt die unterschiedlichen Ideen genauer anschauen. In den meisten Fällen läuft es auf "2+4"-Modelle hinaus: also zwei Jahre einfache Befristung nach der Promotion, die anschließende Befristung für weitere vier Jahre ist dann mit einer Anschlusszusage verbunden, natürlich abhängig von der Erfüllung vereinbarter Leistungskriterien. Es gibt weitere spannende Ideen, etwa den Plan des Instituts für Philosophie der Humboldt-Universität, die Personalmittel der Mehrheit der Professoren in fünf neue Tenure-Track-Stellen für Postdocs umzuwandeln.
Wo aber ist die politische Initiative?
Wir werten aus, was die Schwarmintelligenz der Berliner Hochschulen an Konzepten hervorgebracht hat, wir warten das Ergebnis der WissZeitVG-Reform ab, und dann passen wir den Paragraphen 110 entsprechend an. Es kann gut sein, dass wir durch die WissZeitVG-Reform und mögliche Öffnungsklauseln sogar mehr Regelungskompetenz auf Länderebene bekommen. Die werden wir nutzen.
"Es ist völlig unklar, wann die Richter sich äußern, das kann zehn Jahre dauern. Deshalb machen wir uns davon unabhängig."
Und irgendwann wird sich das Bundesverfassungsgericht zum Paragraph 110 äußern. Ende 2021 hatte die Humboldt-Universität Verfassungsbeschwerde eingereicht, im Frühjahr 2022 folgte die damals oppositionelle CDU-Fraktion mit einer Normenkontrollklage.
Es ist völlig unklar, wann die Richter sich äußern, das kann zehn Jahre dauern. Die Prioritäten des Gerichts liegen – vorsichtig formuliert – woanders. Eine Verfassungsklage gegen das Thüringer Hochschulgesetz harrt seit 2019 der Dinge. Deshalb machen wir uns davon unabhängig. In der Vereinbarung von CDU und SPD ist klar geregelt, dass wir auf die Reform im Bund warten, dass die Neuregelung dann aber zum 1. April 2025 in Kraft tritt.
TU-Präsidentin Rauch warnt vor Folgen des Sanierungsstaus für die Exzellenzchancen. Sie sagen, das werde den anderen Universitäten der Berlin University Alliance (BUA) nicht gefallen. Ist die Stimmung in der BUA so schlecht?
Die BUA hatte einen schwierigen Start. Das hatte mit Corona zu tun und mit einem Selbstfindungsprozess zwischen den Universitäten, der nicht einfach war. Inzwischen habe ich den Eindruck, dass die Vorstellungen über den nächsten Antrag des Verbundes in der Exzellenzstrategie sehr klar sind.
Es gibt Stimmen, die sagen: Auf die Qualität des Antrags kommt es gar nicht an, die BUA ist ohnehin too big to fail.
Darauf würde ich mich nicht verlassen. Die BUA muss mehr sein als die Summe ihrer Teile, das hat auch etwas mit einem Gemeinschaftsgeist zu tun, der sich entwickeln muss. Dazu muss die BUA unter anderem das Verhältnis der einzelnen Cluster zueinander und zu ihrer Gesamtstrategie klären. Genau da haben wir noch einige Debatten vor uns.
Ein bisschen rosig gemalt, oder?
Die Wissenschaftslandschaft funktioniert nach ihren eigenen Gesetzen. Wer die heile Welt sucht, ist da falsch. Das gilt übrigens, sage ich als Gesundheitssenatorin, im Gesundheitswesen genauso. Hier wie da gibt es massive Einzelinteressen, daraus entsteht eine Vielstimmigkeit, die manchmal an Kakophonie grenzt. Das kann man nicht schönreden und ja, das erfordert mehr Commitment von allen BUA-Partnern.
Oder die Schlussfolgerung, dass es ein Fehler war, die Universitäten in die BUA zu drängen? Das Problem ist ja nicht die Zusammenarbeit in den einzelnen Clustern. Das Problem ist, dass die Hochschulleitungen ihre Entscheidungen zuallererst am Wohl der eigenen Institution ausrichten – auch wenn das auf Kosten der Partnerschaft geht.
Die Universitäten haben sich freiwillig zur BUA bekannt, und bei allem Einzelkämpfertum wissen sie, dass sie im Kampf um die wissenschaftlichen Fleischtöpfe dieser Welt nur in Kooperation bestehen können.
Hat die Exzellenzstrategie als Wettbewerb ihren Zenit überschritten? Fast alle Wissenschaftsminister:innen, die sie 2016 als Fortsetzung der Exzellenzinitiative auf den Weg gebracht haben, sind außer Dienst. Ihre Nachfolger finden andere Themen wie den Wissens- und Technologietransfer offenbar viel spannender. Die Politikerreden von "Exzellenz" weichen mehr und mehr den Forderungen nach Anwendungsnähe.
Ich glaube, dass der Exzellenz-Begriff falsch verstanden wird. Anders als oft behauptet geht es nicht um Elitenbildung, sondern Exzellenz bedeutet Relevanz, Transfer, Kooperation, das Arbeiten an den großen gesellschaftlichen Fragestellungen, den Grand Challenges. Übrigens bin ich überzeugt, dass auch Edelgard Bulmahn…
…die Bundesforschungsministerin, die die erste Exzellenzinitiative 2005 auf den Weg gebracht hat…
…Exzellenz genauso gemeint hat. Wenn ich die BUA-Cluster besuche, erlebe ich all das: transdisziplinäre Zusammenarbeit, die Suche nach Lösungen für die großen Probleme, die wir heute und in Zukunft haben. Die Cluster führen Menschen zusammen, die vorher nicht zusammengearbeitet haben, aus den verschiedensten Wissenschaften und Institutionen. In ihrem Miteinander, ihrer Vernetzung und an den Grenzflächen wird das wirklich Neue geschaffen.
" Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich nur eine einzige Wissenschaftlerin davon abschrecken lässt, dass es in Berlin nicht so leicht ist, einen Arzttermin zu bekommen."
Und während Sie über die großartigen Bedingungen der Spitzenforschung in Berlin schwärmen, berichten Forschende, dass sie keine Kita-Plätze für ihre Kinder bekommen, dass die Mieten unbezahlbar werden und sie ganze Nachmittage auf dem Einwohnermeldeamt verbringen.
Die Hürden in der Forschung haben Sie noch gar nicht erwähnt. Zum Beispiel, dass es viel zu lange dauert, bis Tierversuche genehmigt werden. Klar müssen wir bei all dem besser werden. Auf der anderen Seite kann ich mir nicht vorstellen, dass sich nur eine einzige Wissenschaftlerin davon abschrecken lässt, dass es in Berlin nicht so leicht ist, einen Arzttermin zu bekommen – wenn umgekehrt ein für sie einzigartiges Forschungsumfeld lockt.
Hamburgs Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) sagte neulich hier im Blog, man solle beim Vergleich der Metropolen auch über das Funktionieren der Bürokratie reden, und was das Fünf-Prozent-Plus in den Berliner Hochschulverträgen angeht, sagte sie: "Ich schaue mir die Zahlen immer gern sehr genau an und stelle dann fest: Fünf Prozent auf dem Papier sind am Ende nicht immer fünf Prozent, die bei den Hochschulen ankommen."
Und ich sage immer: Berlin und Hamburg sind neidische Schwestern. Wir streiten uns, aber irgendwie haben wir uns dann doch lieb. In Sachen Verwaltung könnten wir in der Tat einiges von Hamburg lernen. Wir versuchen das auch seit Jahrzehnten. Nur ist das mit der Umsetzung in Berlin immer eine besondere Herausforderung, das hat mit der Zerrissenheit der Stadt zu tun. Genau diese Zerrissenheit, diese manchmal chaotische Vielfalt ist es aber auch wiederum, die die Leute in die Stadt zieht. Ich erinnere mich an eine Islamwissenschaftlerin aus Yale, die dort irre viel Forschungsgeld und wenig Lehrverpflichtung hatte und doch nach Berlin kam, wegen der Stadt, wegen der Leute, wegen der wissenschaftlichen Dynamik.
Viele andere Landeswissenschaftsminister waren in den vergangenen Jahren zunehmend genervt von Berlin, das eine Bundesförderung nach der anderen einheimste. Bestes Beispiel: die Eingliederung des bundesfinanzierten Berliner Instituts für Gesundheitsforschung (BIG) in die Charité, ein zu dem Zeitpunkt bundespolitisch einzigartiger Vorgang. Verstehen Sie, wenn Ihre Kollegen sagen: Jetzt reicht es aber mal?
Ich kann das nachvollziehen. Wir sind ein föderaler Staat, wir haben viele Zentren. Wenn Misstrauen gegenüber einer großen und weiter wachsenden Hauptstadt entsteht, begleitet von der Angst, abgehängt zu werden, müssen wir das ernstnehmen. Hier gilt tatsächlich dieser Begriff "too big to fail": Alle wollen nach Berlin, die Studierenden, die Wissenschaftler:innen, viele neue außeruniversitäre Forschungsinstitute sind bei uns entstanden. Wenn die staatlichen Gelder knapper werden, fällt es anderen noch schwerer, mit uns im Streit um die besten Köpfe mitzuhalten.
Mit Verlaub: Oft war es weniger die wissenschaftliche Qualität, sondern das schon legendäre Verhandlungsgeschick von Müller und Krach.
Wir hatten aber auch die Flächen, wir konnten sagen: Kommt nach Berlin, wir stellen euch ein neues Gebäude mitten in die Stadt. Jetzt ist der Platz knapper, die Preise sind zu hoch, wir können nicht mehr alle und jeden zentral unterbringen. Wir können auch nicht immer noch mehr Kofinanzierung für vom Bund mitfinanzierte Einrichtungen leisten. Jetzt geht es mehr ums Konsolidieren und Qualität als Wachstum um jeden Preis, wir müssen die Ansiedlungen, die wir erreicht haben, langfristig finanziell absichern. Und ansonsten wählerisch sein und uns fragen: Was fehlt uns wirklich noch in der Berliner Wissenschaft?
"Wenn der Bund über die grundsätzliche Finanzarchitektur zwischen Bund und Ländern reden will: aber gern. Dann sollten wir aber überall da anfangen, wo die Bundesregierung Beschlüsse zulasten Dritter, von uns Ländern, macht"
Gerade jetzt fordert der Bund von den Ländern sogar noch mehr Kofinanzierung, wenn sie bestehende Bund-Länder-Programme fortgesetzt sehen wollen. Aktuell steht unter anderem die Verlängerung der Forschungsförderung an Hochschulen für angewandte Wissenschaften an. Bisher zahlen die Länder da keinen Euro dazu. Der Bund will künftig immer und überall mindestens 50 Prozent Länderanteil. Haben Sie dafür Verständnis?
Nein, habe ich nicht. Wenn der Bund seine Kooperation nur noch zu Bedingungen anbieten will, die sich kein Land leisten kann, wenn er sich dann als Konsequenz aus der Forschungsförderung zurückziehen würde oder aus dem Ausbau digitaler Bildungsangebote an Schulen und Hochschulen, dann frage ich: Worin sonst besteht die originäre Aufgabe eines Bundesministeriums für Bildung und Forschung, wenn nicht im Setzen solcher zusätzlichen Impulse? Die Kofinanzierung von uns Ländern ist die um ein Vielfaches teurere Grundfinanzierung, die wir jeden Tag leisten. Wenn der Bund über die grundsätzliche Finanzarchitektur zwischen Bund und Ländern reden will: aber gern. Dann sollten wir aber überall da anfangen, wo die Bundesregierung Beschlüsse zulasten Dritter, von uns Ländern, macht. Wenn ein FDP-Bundesfinanzminister die Umsatzsteuer für die Gastronomie dauerhaft auf sieben Prozent senken möchte, kostet das allein Berlin 90 Millionen pro Jahr. Das ist anderthalbmal so viel, wie der Bund insgesamt für die Förderung von Forschung an HAWs in allen 16 Ländern ausgibt.
Was antwortet Ihnen Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger auf solche Argumente?
Es gibt ja leider nicht so viel Austausch mit ihr. Vergangene Woche war sie eine Stunde bei der Kultusministerkonferenz dabei. Eigentlich müssten wir Ministerinnen und Minister uns open end zusammensetzen und miteinander klären, wie wir die anstehenden Zukunftsaufgaben stemmen wollen: vom Klimaschutz über die Digitalisierung und die Gebäudesanierung bis hin zu Investitionen in neue Forschungsprogramme. Das Fingerzeigen aufeinander können wir uns nicht mehr leisten.
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Mit der Verabschiedung der Agenda 2030 wurden im Jahr 2015 siebzehn Ziele für eine nachhaltige Entwicklung, die sogenannten Sustainable Development Goals (SDGs), festgelegt. Da die SDGs auf alle Ebenen der Regierung anwendbar sind, bilden diese Ziele auch für Kommunen einen wichtigen Rahmen zur Orientierung. Eine nachhaltige Entwicklung gewinnt somit auch auf kommunaler Ebene zunehmend an Bedeutung. Dies zeigt sich unter anderem anhand des Engagements, das in vielen Kommunen zu erkennen ist. Durch die SDGs haben auch Kommunen einen strategischen Orientierungsrahmen und können konkrete Ziele und Maßnahmen leichter festlegen. Nachhaltigkeit kann somit vor Ort wirkungsvoller in die Realität umgesetzt werden.Effektiver Klimaschutz und Nachhaltigkeitsmanagement auf kommunaler Ebene ist essenziell. Neben dem notwendigen Beitrag zur nationalen und internationalen nachhaltigen Entwicklung können Kommunen klare Vorteile aus einer Nachhaltigkeitsstrategie ziehen: Beispielsweise können Gebäude energieeffizienter gebaut und genutzt und das Verkehrssystem kann effizienter und umweltfreundlicher gestaltet werden und gleichzeitig die CO2-Belastung und Verkehrsdichte im urbanen Raum reduzieren. Was zum Klimaschutz beiträgt, kann demnach gleichzeitig die Attraktivität von Kommunen steigern. Des Weiteren schützen sich Kommunen so vor Wetterextremen und können sich an den Klimawandel anpassen.Nach wie vor bestehen Unterschiede. Während einige Kommunen bereits seit mehreren Jahrzehnten an einer möglichst nachhaltigen Stadtentwicklung arbeiten und bereits viele Erfahrungen sammeln und Erkenntnisse gewinnen konnten, haben andere Städte vergleichsweise spät damit begonnen. Weiterhin schlagen Kommunen teils sehr unterschiedliche Wege ein, um die festgelegten Nachhaltigkeitsziele zu verwirklichen. Dies kann beispielsweise an den örtlichen Gegebenheiten oder an unterschiedlichen Ziel- und Schwerpunktsetzungen liegen. Übergeordnet stellen sich die Fragen, wieso gerade auf kommunaler Ebene viel für den Klimaschutz und Nachhaltigkeit getan werden muss und seit wann dies konkrete Formen annimmt.Ziel dieser Ausarbeitung ist es, zwei europäische Großstädte bezüglich ihrer bisherigen Nachhaltigkeitsentwicklung zu untersuchen. Die Schwerpunktsetzung liegt dabei sowohl beim Bereich Mobilität als auch bei ausgewählten Maßnahmen im Bereich einer nachhaltigen Stadtplanung. Weitere Aspekte werden bei Bedarf hinzugezogen. Ein Vergleich zwischen beiden Städten soll anschließend erfolgen. Bei diesem Vergleich müssen die Besonderheiten der jeweiligen Stadt berücksichtigt werden. Auch wenn nicht alle Parameter berücksichtigt werden können und ein direkter Vergleich möglicherweise nicht in allen Bereichen zielführend ist, können dadurch Erkenntnisse, beispielsweise bezüglich des Fortschritts der jeweiligen Stadt, gewonnen werden.Bei den zu untersuchenden Kommunen handelt es sich um Kopenhagen und München. Beide Städte weisen unterschiedliche Ausgangslagen, Besonderheiten und geografische Gegebenheiten auf, was darauf schließen lässt, dass divergente Befunde auftreten. Dies macht einen Vergleich interessanter und aufschlussreicher als beispielsweise einen Vergleich auf nationaler Ebene. Es handelt sich um internationale Städte innerhalb der Europäischen Union. Weiterhin sind beide Städte Großstädte, die ihre jeweilige Region prägen. Trotz der verschiedenen Gegebenheiten werden dabei exemplarisch ähnliche Bereiche beleuchtet. Dies soll die Vergleichbarkeit gewährleisten. Neben der Mobilität werden die Bereiche der Energieversorgung und Extremwetter- beziehungsweise Klimaanpassung beleuchtet.Bevor die Kommunen untersucht werden, werden im Vorgriff die für diese Ausarbeitung notwendigen Grundlagen thematisiert. Hier werden zentrale Elemente untersucht, zum Beispiel, wie Nachhaltigkeit definiert wird, welche Rolle eine nachhaltige Stadt spielt, was eine nachhaltige Stadt ausmacht und wie der urbane Raum überhaupt zentral für internationale Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsbestrebungen werden konnte. Da es sich hierbei um zentrale Aspekte handelt, die es auf dem Weg zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung zu verstehen gilt, fällt dieser Teil verhältnismäßig umfangreich aus.GrundlagenIn diesem Kapitel werden relevante Grundlagen betrachtet. Dazu gehört neben Grundbegriffen und Faktoren, die sich auf nachhaltige Mobilität und Stadtplanung beziehen, ein kurzer Überblick, der beschreibt, wie das Thema Nachhaltigkeit historisch betrachtet für die kommunale Ebene relevant wurde. Darüber hinaus muss der Begriff Nachhaltigkeit vorab definiert werden, womit nachfolgend begonnen wird.Begriff NachhaltigkeitDer Begriff Nachhaltigkeit existiert seit mehr als drei Jahrhunderten und wurde ursprünglich in der Forstwirtschaft verwendet. Nachhaltigkeit stammt aus einem Bereich, in dem ressourcenschonendendes Wirtschaften äußerst relevant ist. Bezeichnend für das damalige Verständnis von Nachhaltigkeit ist die Vorgabe, innerhalb eines Jahres nicht mehr Holz zu fällen, als in derselben Zeitspanne nachwachsen kann (vgl. Weinsziehr/Verhoog/Bruckner 2014, S. 3). Die Forstwirtschaft arbeitete demzufolge dann nachhaltig, wenn der Verbrauch der Ressourcen und somit die Abholzung die Menge des nachwachsenden Holzes nicht übersteigt. Die heutige Auffassung von Nachhaltigkeit ist mit diesem Ursprungsgedanken eng verknüpft. Dies zeigt sich auch anhand der folgenden Definition:"Nachhaltigkeit oder nachhaltige Entwicklung bedeutet, die Bedürfnisse der Gegenwart so zu befriedigen, dass die Möglichkeiten zukünftiger Generationen nicht eingeschränkt werden" (vgl. Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 2023c, o.S.).In der heutigen Zeit bezieht sich der Begriff Nachhaltigkeit jedoch auf alle Wirtschaftsbereiche und beinhaltet einen weiteren Aspekt, die sogenannte "Triple Bottom Line" (TBL), welche drei Dimensionen einer nachhaltigen Entwicklung benennt (vgl. Weinsziehr/Verhoog/Bruckner 2014, S. 3f.): Die wirtschaftliche Effizienz, die soziale Gerechtigkeit und die ökologische Tragfähigkeit müssen gleichberechtigt betrachtet werden, und möglichst alle politischen Entscheidungen sollten Nachhaltigkeit als Grundlage beinhalten (vgl. Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 2023c, o.S.).Der Begriff Nachhaltigkeit wird heute teilweise inflationär verwendet (vgl. Aden 2012, S. 15). Im weiteren Verlauf dieser Arbeit spielt vor allem das Verständnis einer nachhaltigen Entwicklung eine Rolle, was wie folgt definiert werden kann:"Politik und menschliches Verhalten sollen sich an der langfristigen Erhaltung der Lebensgrundlagen orientieren" (ebd., S. 15).Nachhaltige Stadt: Eine ArbeitsdefinitionEs gilt, eine adäquate Arbeitsdefinition von Nachhaltigkeit im Sinne einer nachhaltigen Stadtentwicklung zu formulieren. Ziel dieser Arbeit ist es, vor allem den Bereich Mobilität innerhalb von München und Kopenhagen zu beleuchten. Nachhaltigkeit im weiteren Verlauf bezieht sich somit vermehrt auf eine ressourcenschonende und emissionsarme Verkehrsplanung. Neben der Verkehrsplanung sind jedoch weitere Elemente interessant. Eine in der Gesamtheit nachhaltige Stadt lässt sich wie folgt definieren:" […] ein gut ausgebautes Netz des Öffentlichen Personennahverkehrs, eine regelmäßige Müllentsorgung sowie architektonische Innovationen, die es der städtischen Bevölkerung erlauben, einen nachhaltigen Lebensstil zu pflegen" (Bildung für nachhaltige Entwicklung 2023, o.S.).Ein nachhaltiger Lebensstil wiederum bedeutet, dass Menschen durch ihren eigenen Lebensstil und den Verbrauch ihrer Ressourcen nachfolgenden Generationen dieselben Möglichkeiten bieten (vgl. Aachener Stiftung Kathy Beys 2015, o.S.). Eine nachhaltige Stadt ist gleichzeitig eine für ihre Bewohner:innen ansprechende Stadt, die eine saubere Umwelt, ein intaktes Verkehrssystem, erschwingliche Energie und ein gutes gesellschaftliches Miteinander gewährleistet (vgl. Dütz 2017, S. 15).Eine nachhaltige Stadtentwicklung kann somit eine Vielzahl verschiedener Themenbereiche beinhalten (vgl. Firmhofer 2018, S. 10). Aufgeteilt in zwei Oberbereiche muss sich eine Stadt bezogen auf die städtische Infrastruktur und auf das städtische Leben verändern. Die städtische Infrastruktur beinhaltet zum Beispiel das Transportwesen sowie die Energie- und Wasserversorgung. Das städtische Leben enthält unter anderem wohnliche, arbeitstechnische, soziale und kulturelle Elemente (vgl. ebd., S. 10). Der Begriff Stadtentwicklung selbst bezeichnet"die Steuerung der Gesamtentwicklung von Städten und Gemeinden und erfordert eine integrierte und zukunftsgerichtete Herangehensweise, die durch Stadtplanung […] umgesetzt wird" (Koch/Krellenberg 2021, S. 19).Folgende Handlungsfelder sind besonders relevant für eine nachhaltige Stadtentwicklung: Die Dekarbonisierung, die Förderung möglichst umweltfreundlicher Mobilität, das Ziel einer baulich und räumlich kompakten sowie sozial durchmischten Stadt, die Klimawandelanpassung und die Bekämpfung von Armut (vgl. ebd., S. 22).Diese Eingrenzung dient als Fokus dieser Ausarbeitung. Das Augenmerk liegt neben der städtischen Verkehrsinfrastruktur auf weiteren ausgewählten Aspekten, beispielsweise auf der Energieversorgung und baulichen Maßnahmen. Diese Aspekte werden hinsichtlich der Frage betrachtet, ob und in welchem Maße die städtische Bevölkerung dadurch einen nachhaltigen Lebensstil erreichen kann. Somit ist ebenso das städtische Leben relevant.Entwicklung nachhaltiger KlimaschutzzieleUm zu verstehen, wie sich ein Nachhaltigkeitskonzept auf kommunaler Ebene entwickeln konnte, wird ein historischer Überblick gegeben, der die Entwicklung nachhaltiger Klimaschutzziele von der globalen bis hin zur kommunalen Ebene zusammenfasst. Dabei werden vor allem relevante Eckpunkte benannt.Im Jahr 1997 wurde das Kyoto-Protokoll beschlossen und trat acht Jahre später in Kraft. Durch diese Vereinbarung verpflichteten sich die meisten Industriestaaten inklusive der damaligen EU-Mitgliedsstaaten dazu, die Emissionen von bestimmten Treibhausgasen innerhalb von vier Jahren um mindestens fünf Prozent, verglichen mit dem Jahr 1990, zu senken (vgl. Eppler 2023, o.S.).Im Jahr 2000 verständigten sich die Vereinten Nationen (UN) auf die Millennium Development Goals (MDGs) (vgl. Koch/Krellenberg 2021, S. 6). Durch diese Erklärung verpflichteten sich die Staats- und Regierungschefs der jeweiligen Staaten neben der Bekämpfung von Armut, Hunger und Krankheiten auch gegen Umweltzerstörung vorzugehen. Um die Fortschritte messbar zu machen, wurden Zielvorgaben für das Jahr 2015 formuliert (vgl. Weltgesundheitsorganisation 2018, o.S.). Der Fokus lag auf der supranationalen, also auf der überstaatlichen Ebene. Eine nachhaltige Stadtentwicklung stand nicht im Fokus, war durch einige Zielformulierungen dennoch indirekt betroffen (vgl. Koch/Krellenberg 2021, S. 6).Im Jahr 2009 fand die Weltklimakonferenz in Kopenhagen statt. Das Ziel, die Erderwärmung auf weniger als zwei Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu begrenzen, wurde als Absichtsziel erklärt, jedoch fehlten verpflichtende Regelungen (vgl. Schellnhuber u. a. 2010, S. 5). Der festgelegte Wert von zwei Grad Celsius kommt durch die Wissenschaft zustande. Diese geht davon aus, dass dieser Wert nicht überschritten werden darf, um drastische Konsequenzen zu vermeiden (vgl. Buhofer 2018, S. 83).Mit dem Pariser Klimaabkommen wurde das Zwei-Grad-Celsius-Ziel festgelegt (vgl. Edenhofer/Jakob 2017, S. 39). Dieses Mal handelt es sich um ein völkerrechtlich bindendes Abkommen, welches das Kyoto-Protokoll ablöste und zur Erreichung der Eckpunkte verstärkt die kommunale Ebene miteinbezieht (vgl. Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg 2023, o.S.). Weitere Ziele des Pariser Klimaabkommens, das Ende 2016 in Kraft trat, sind die Senkung von Emissionen und die Klimawandelanpassung (vgl. Watjer 2023, o.S.). Nationale Klimaschutzkonzepte sind in der Regel als Folge des Pariser Klimaabkommens entstanden (vgl. ebd. 2023, o.S.). Die Vereinten Nationen brachten im Jahr 2015 die Agenda 2030 auf den Weg, die klare Ziele für eine nachhaltige Entwicklung benennt (vgl. Koch/Krellenberg 2021, S. 7).Agenda 2030 und die Sustainable Development Goals"Transforming our world" (Koch/Krellenberg 2021, S. 6) - diese Formulierung verdeutlicht die ambitionierten Ziele, die mit der Agenda 2030 durch die Ziele für nachhaltige Entwicklung, die Sustainable Development Goals (SDGs) festgelegt wurden. Die Agenda 2030 ist für alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen gültig. Kern der Agenda ist das Ziel einer nachhaltigen globalen Entwicklung auf allen dazugehörigen Ebenen, was durch die 17 Ziele erreicht werden soll (vgl. Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 2023a, o.S.). Diese Ziele ergänzen sich gegenseitig, haben den gleichen Stellenwert und beinhalten jeweils zwischen acht und zwölf Unterziele (vgl. Koch/Krellenberg 2021, S. 9). Auch wenn die Agenda 2030 von allen UN-Mitgliedsstaaten beschlossen wurde, ist diese rechtlich nicht bindend, was ebenfalls für die SDGs gilt (vgl. ebd. 2021, S. 12).Im Vergleich zu den MDG-Zielen sind die SDG-Zielsetzungen umfangreich formuliert und mit SDG-Ziel elf wird erstmals die regionale und lokale Ebene in den Blickpunkt genommen. Dieses Ziel betrachtet ausdrücklich die Entwicklung von Städten und Gemeinden mit dem Anspruch, diese neben einer nachhaltigen Gestaltung sicherer, inklusiver und widerstandsfähig zu gestalten (vgl. Koch/Krellenberg 2021, S. 7f.).Nachfolgend werden die wichtigsten Unterziele dargestellt. Neben der Sicherung von bezahlbarem Wohnraum soll das Verkehrssystem nachhaltig, sicher, zugänglich und bezahlbar ausgebaut werden (vgl. Vereinte Nationen 2023b, S. 24). Siedlungspläne sollen auf eine nachhaltige Entwicklung ausgerichtet werden (vgl. ebd., S. 24). Ziel hierbei ist es, die Verstädterung bis 2030 nachhaltiger und inklusiver zu organisieren. Ebenfalls bis 2030 soll die Zahl der durch Klimakatastrophen bedingten Todesfälle und Betroffenen deutlich gesenkt werden (vgl. Koch/Krellenberg 2021, S. 10). Von Städten ausgehende schädliche Umweltauswirkungen sollen verringert, die Luftqualität verbessert und Grünflächen als öffentliche Räume geschaffen und inklusiv, also für alle Menschen, zugänglich gemacht werden (vgl. Vereinte Nationen 2023b, S. 24).Weitere SDGs lassen sich nur durch städtische Maßnahmen verwirklichen und sind daher eng mit der urbanen Entwicklung verbunden. Ein Beispiel ist SDG 7, das auf nachhaltige beziehungsweise erneuerbare Energien fokussiert ist und nicht entkoppelt von der zukünftigen Energieversorgung in den Städten betrachtet werden kann (vgl. Koch/Krellenberg 2021, S. 11).Durch die Festlegung dieser Ziele ist Nachhaltigkeit ein zentraler Aspekt der Städteplanung und -entwicklung. Städte stehen somit spätestens seit der Agenda 2030 auch formell vor großen Herausforderungen und Transformationsprozessen. Die Zuspitzung von Umweltkatastrophen und Extremwetterereignissen zeigt, dass Städte darüber hinaus dazu gezwungen sind, Klimaanpassungsmaßnahmen und eine nachhaltige Stadtentwicklung zügig umzusetzen.Klimaschutz in der Europäischen Union, in Deutschland und in DänemarkWas haben diese internationalen Abkommen bewirkt? Da München und Kopenhagen im Fokus dieser Ausarbeitung stehen, müssen diese Städte betreffende Beschlüsse bezüglich der gesetzten Ziele einer nachhaltigen Stadtentwicklung auf weiteren Ebenen betrachtet werden. Trotz der Ähnlichkeit der festgelegten Klimaschutzprogramme in der EU, in Dänemark und in Deutschland, werden diese separat zusammengefasst. Im Jahr 2007 betrug der Anteil der EU an globalen CO2-Emissionen ein Sechstel und der Anteil der Treibhausgasemissionen der Industrieländer ein Fünftel (vgl. Dröge 2007, S. 2). Dies untermauert den Handlungsbedarf.Das Klimaschutzprogramm der aktuellen Fassung des deutschen Klimaschutzgesetzes hat an den ehrgeizigen Zielen nichts geändert. Nach wie vor soll Deutschland bis 2045 treibhausgasneutral sein und den Ausstoß von Treibhausgasen bereits bis 2030 um 65 Prozent gesenkt haben (vgl. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung 2023, o.S.).Dänemark hat eine Klimastrategie vorgelegt und sich das Ziel gesetzt, eine Vorreiterrolle einzunehmen. Bis 2030 will Dänemark seine Treibhausgasemissionen um 70 Prozent senken. Klimaneutralität soll bis 2050 erreicht sein (vgl. Außenministerium Dänemark 2020, S. 27). Ebenso will Dänemark dazu beitragen, die globalen Anstrengungen voranzutreiben. Hierfür soll mit anderen Ländern und mit nichtstaatlichen Akteur:innen zusammengearbeitet werden (vgl. Außenministerium Dänemark 2020, S. 6).Auf EU-Ebene sind die Zielsetzungen ähnlich, was sich durch den "Green Deal" der EU zeigt. Demzufolge sollen die Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent reduziert werden, bis 2050 soll Treibhausgasneutralität herrschen (vgl. Europäische Kommission 2023, o.S.). Ziel ist es, durch diesen europäischen "Grünen Deal" der erste klimaneutrale Kontinent zu werden und dementsprechend die Verpflichtungen umzusetzen, die sich aus dem Pariser Klimaabkommen ergeben (vgl. Europarat 2023, o.S.). Folglich sind die Ziele von Deutschland und Dänemark bezüglich der Erreichung und der Höhe der Einsparungen teilweise höher angesetzt, als auf EU-Ebene beschlossen.Nachhaltige StadtentwicklungEs stellt sich die Frage, aus welchen Gründen gerade der urbane Raum eine zentrale Größe für Nachhaltigkeitsziele einnimmt. Aktuelle Berichte, Daten und Prognosen können dabei helfen, diese Frage zu beantworten.Relevanz einer nachhaltigen StadtentwicklungDer jüngste SDG-Fortschrittsbericht wurde im Mai 2023 veröffentlicht. Die Vereinten Nationen kommen darin zu dem Ergebnis, dass über die Hälfte der Weltbevölkerung momentan in städtischen Gebieten lebt. Dieser Anteil könnte bis 2050 auf etwa 70 Prozent steigen (vgl. Vereinte Nationen 2023a, S. 34). Verglichen mit dem Jahr 2020 wird die urbane Bevölkerung in Mitteleuropa und somit auch in Deutschland und Dänemark im Jahr 2050 um acht Prozent steigen (vgl. Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 2023b, S. 4).Im Vergleich zu anderen Kontinenten stellt dies einen geringen Anstieg dar. So wird die städtische Bevölkerung in Nordafrika im gleichen Referenzzeitraum voraussichtlich um 79 Prozent steigen (vgl. ebd. 2023b, S. 4). Zwei Aspekte dürfen jedoch nicht unbeachtet bleiben: Zum einem ist es eine globale Herausforderung, diesem Anstieg gerecht zu werden. Die Auswirkungen werden für viele mittelbar und unmittelbar spürbar sein. Weiterhin stehen bei einem Bevölkerungsanstieg von acht Prozent auch dicht besiedelte mitteleuropäische Städte vor einer Vielzahl an Aufgaben, was sich auch für Städte wie München und Kopenhagen bemerkbar machen wird. Beispielsweise lebten bereits im Jahr 2017 drei von vier Menschen in Deutschland innerhalb von Städten (vgl. Dütz 2017, S. 14). Dementsprechend sind auch europäische Städte zentral, was die Implementierung der Klimaschutzziele angeht (vgl. ebd., S. 13).Städte verbrauchen mit knapp 80 Prozent bereits heute einen Großteil der weltweiten Energie und Ressourcen, beispielsweise durch die großen Abfallmengen, das Heizen und den Schadstoßausstoß der vielen Fahrzeuge (vgl. Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 2023d, o.S.). Gleichzeitig sind Städte für bis zu 76 Prozent der CO2-Emissionen weltweit verantwortlich (vgl. Climate Service Center Germany 2015, S. 1). Städte gehören somit zu den Hauptverursachern des Klimawandels, was durch folgende Worte deutlich wird:"Der Klimanotstand ist auch ein Notstand der Stadt" (Chatterton 2019, S. 275).Durch den prognostizierten Bevölkerungsanstieg wird die Relevanz von Städten bezogen auf die Realisierung von Klimaschutzzielen weiter steigen. Nicht zuletzt, da Städte bereits heute für den Großteil der CO2-Emissionen und des Energieverbrauchs verantwortlich sind. Städte nehmen eine zentrale Rolle in der Verwirklichung einer nachhaltigen Zukunft ein. Gleichzeitig sind gerade Städte durch den Klimawandel in erhöhtem Maße gefährdet (vgl. Climate Service Center Germany 2015, S. 1f.). Auch aus Gründen des Selbstschutzes sind Städte daher gezwungen, Strategien und Maßnahmen zur Klimaanpassung zu entwickeln. Nur so kann der urbane Raum dem Klimanotstand gerecht werden. Entwicklung einer nachhaltigen und klimaneutralen Stadt"Wie lässt sich die Entwicklung der Städte so steuern, dass diese den notwendigen Beitrag zu einer globalen nachhaltigen Entwicklung leisten können?" (Koch & Krellenberg 2021, S. 2).Diese zentrale Frage stellt sich in diesem Kapitel. Konkret wird der Frage nachgegangen, wie eine Stadtentwicklung aussehen muss, um notwendige Nachhaltigkeitsziele hinreichend zu erfüllen und den Erfordernissen einer nachhaltigen Stadt gerecht zu werden.Der aktuelle SDG-Fortschrittsbericht bilanziert die Hälfte der Zeit seit Inkrafttreten der SDG-Ziele. Die Halbzeitbilanz der Agenda 2030 liest sich bezogen auf die Fortschritte einer städtischen Nachhaltigkeitsentwicklung insgesamt ernüchternd: Lediglich die Hälfte der städtischen Bevölkerung hatte im Jahr 2022 annehmbaren Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln, auch die Luftverschmutzung und der Mangel an Freiflächen sind anhaltende Probleme in Städten (vgl. Vereinte Nationen 2023a, S. 34).Gleichzeitig hält der Bericht fest, dass in Ländern mit hohem Einkommen viel für die Bekämpfung der Luftverschmutzung getan wurde, was dennoch nicht ausreichend ist. Darüber hinaus wird angemerkt, dass es sich bei der Luftverschmutzung um kein rein städtisches Problem handelt (vgl. ebd., S. 35). Allerdings muss sich gerade der Autoverkehr in der Stadt ändern. Paul Chatterton spielt dabei auf ein neues Mobilitätsparadigma an und fordert eine autofreie Stadt, da nur dies dem Klima wirklich gerecht werden und soziale Ungleichheit reduzieren kann (vgl. Chatterton 2019, S. 278).Ebenso muss der Aspekt berücksichtigt werden, dass Menschen in Großstädten häufig verschiedene Verkehrsmittel nutzen, um an ihr Ziel zu kommen (vgl. Kallenbach 2021, S. 33). Selbst wenn klimafreundliche Mobilität zur Verfügung steht, wird diese somit nicht ausschließlich genutzt. Hieran anknüpfend stellt sich die Frage, wie sich dies ändern lässt. Hierfür besteht bereits eine Vielzahl an Lösungsvorschlägen, unter anderem die Abkehr von der Vorstellung einer autogerechten Stadt, die effizientere Nutzung der vorhandenen Infrastruktur, die Verbesserung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) zur Schaffung einer wirklichen Alternative oder eine kilometerabhängige Gebühr für die Nutzung von Straßen (vgl. Edenhofer/Jakob 2017, S. 101f. ).Ein Großteil des Energiebedarfs in Städten kommt durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe, den Transport und die Heizung beziehungsweise Kühlung von Gebäuden zustande (vgl. Climate Service Center Germany 2015, S. 2). Sollen die Einsparziele gelingen, so ist eine Verkehrswende unumgänglich (vgl. Jakob 2023, S. 1). Gleichzeitig stehen durch den Klimawandel auch städtische Verkehrssysteme vor enormen Herausforderungen. Gerade in urbanen Gebieten hängen viele Infrastrukturnetze, die zum Funktionieren des städtischen Systems beitragen, mit dem Verkehrssystem zusammen (vgl. Climate Service Center Germany 2015, S. 6).Dabei bestehen mehrere Möglichkeiten, städtische Verkehrsnetze zu verbessern und gleichzeitig zukunftsfähig und nachhaltig zu gestalten: Die Fokussierung auf Fußgänger und nicht-motorisierten Verkehr sowie auf den ÖPNV kann einige Vorteile, wie zum Beispiel eine Reduzierung von Emissionen und wirtschaftlichen Wohlstand, bieten (vgl. ebd. 2015, S. 6). Die Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs und anderer emissionsarmer Infrastrukturen kann darüber hinaus zu Energieeinsparungen, Zeitersparnis und einer besseren Luftqualität beitragen (vgl. ebd., S. 6). Die Zukunftsgestaltung der städtischen Verkehrsinfrastruktur spielt daher in mehrfacher Hinsicht eine zentrale Rolle. Neben dem Verkehrsbereich sind weitere Sektoren, unter anderem das Abfallsystem und der Umgang mit Gebäuden entscheidend (vgl. ebd. 2015, S. 2).Der Energiesektor ist enorm wichtig, da hier das größte Potential für eine Reduzierung von Emissionen liegt. Parallel mit einer steigenden Energienachfrage, beispielsweise in Strom oder Brennstoffen, werden Treibhausgasemissionen ansteigen. Gerade Städte sind dazu gezwungen, den Energiebedarf zu senken, die Energieerzeugung sowie den -verbrauch effizienter zu gestalten, auf erneuerbare Energiequellen umzusteigen und gleichzeitig eine sichere Versorgung zu gewährleisten (vgl. Climate Service Center Germany 2015, S. 6).Im weiteren Verlauf werden nun die Städte Kopenhagen und München in Bezug auf ihre Anstrengungen untersucht. Fokus dabei bleibt der Bereich Verkehr und Mobilität. Ebenso wird exemplarisch der Bereich der Extremwetteranpassung sowie, für den Bereich der Energieversorgung, die kommunale Wärmeplanung untersucht.KopenhagenKopenhagen ist Sitz des dänischen Königshauses (vgl. Heidenreich 2019, o.S.). Die Stadt liegt auf der Insel Seeland (vgl. Britannica 2023, o.S.) und ist an der Meerenge Öresund gelegen, welche die Ost- und die Nordsee miteinander verbindet (vgl. Heidenreich 2019, o.S.). Gegründet wurde die Stadt im frühen zehnten Jahrhundert, seit 1445 ist Kopenhagen Dänemarks Hauptstadt (vgl. Britannica 2023, o.S.). Die Einwohnerzahl Kopenhagens ist in den letzten zehn Jahren um knapp 100.000 Einwohner:innen gewachsen Mit aktuell etwa 653.000 Einwohner:innen ist Kopenhagen die größte Stadt Dänemarks (vgl. Dyvik 2023, o.S.). Sie hat eine Fläche von ungefähr 88 Quadratkilometern, ist damit vergleichsweise klein und liegt 24 Meter über dem Meeresspiegel (vgl. Kallenbach 2021, S. 34).Grundlegende Informationen und BesonderheitenDie Stadt Kopenhagen hat eine bewegte Geschichte. Beispielsweise wurde die Stadt im Laufe der Jahrhunderte mehrmals von Großfeuern zerstört, war sehr umkämpft und im Zweiten Weltkrieg von deutschen Soldaten besetzt (vgl. Findeisen/Husum 2008, S. 146ff.). Damals blieb die Stadt jedoch überwiegend unbeschädigt, was sich auch heute im Stadtbild bemerkbar macht. Ein Beispiel hierfür ist Schloss Rosenborg (vgl. Heidenreich 2019, o.S.). Im Jahr 1996 wurde die Stadt zur Kulturhauptstadt ernannt (vgl. Findeisen/Husum 2008, S. 149).Das Klima in Kopenhagen ist mild und gemäßigt. Die durchschnittliche Jahrestemperatur beträgt 8,9 Grad Celsius (vgl. climate-data.org 2023, o.S.). In Kopenhagen fällt insgesamt viel Regen. Selbst in den trockenen Monaten ist die Niederschlagsmenge erheblich (vgl. ebd. 2023, o.S.). Aufgrund der Lage am Meer können Sturmfluten zu Überschwemmungen mit gravierenden Auswirkungen führen. Dieser Gefahr und der sich daraus ergebenden Notwendigkeit zu handeln, ist sich auch die Stadtverwaltung Kopenhagens bewusst (vgl. Stadtverwaltung Kopenhagen 2023, o.S.).Verkehr und MobilitätBetrachtet man die Verkehrsplanung Kopenhagens, so muss zwingend auf die Fahrradinfrastruktur eingegangen werden. Der Autoverkehr sowie der ÖPNV dürfen dennoch nicht außer Acht gelassen werden. Ziel dieser Betrachtung ist es, Aufschlüsse über die Beweggründe und konkreten Vorgehensweisen der Verkehrsplanung und -infrastruktur in Kopenhagen zu erhalten. Dabei soll eine Bestandsaufnahme der aktuellen Situation erfolgen.Regelmäßig liegt Kopenhagen auf dem ersten Platz der weltweit besten Fahrradstädte und dennoch wurden im Jahr 2021 knapp ein Drittel aller Fahrten mit dem Auto bewältigt (vgl. Kallenbach 2021, S. 5). In den 1950er und 1960er Jahren war die Verkehrsplanung auf das Auto ausgerichtet, was zu einer deutlichen Verringerung der Radfahrenden in den darauffolgenden Jahrzehnten führte. Während 1949 an der Nørrebrogade, einer zentralen Hauptstraße in Kopenhagen, an einem Tag durchschnittlich mehr als 62.000 Radfahrende gezählt wurden, waren es im Jahr 1978 nur etwa 8.000 (vgl. ebd. 2021, S. 5f.).In den 1970er Jahren kam es zu umfangreichen Fahrradprotesten und Forderungen nach mehr Fahrradwegen. Trotz der damals bereits vorhandenen Relevanz war der Umweltaspekt jedoch nicht ausschlaggebend. Vielmehr stand die Verkehrssicherheit für die Radfahrenden im Fokus der Fahrradproteste (vgl. ebd., S. 30f.). Im Jahr 2019 gab die deutliche Mehrheit aller Fahradfahrenden in Kopenhagen an, aufgrund der Zeitersparnis gegenüber anderen Verkehrsmitteln (46 Prozent) und aus praktischen Aspekten (55 Prozent) mit dem Fahrrad zu fahren. Ein deutlich geringerer Anteil von 16 Prozent gab Umweltschutzaspekte als Beweggrund an (vgl. ebd., S. 31). Ein weiterer Faktor war die Ölkrise in den 1970er Jahren, welche die Notwendigkeit alternativer Verkehrsmittel untermauerte und in der Folge die Anzahl der Fahrradfahrenden in Kopenhagen stark anstiegen ließ (vgl. Kallenbach 2021, S. 35).Trotz dieser Faktoren sind gerade die nicht-diskursiven, also die bereits vorhandenen Faktoren wesentlich für den Weg Kopenhagens zur Fahrradmetropole und für die Umsetzung entsprechender Maßnahmen. Zum einem sind es geographisch vorteilhafte Gegebenheiten, die Kopenhagen vorteilhaft für den Fahrradverkehr machen, was durch die geringe Größe und die flache Lage der Stadt sichtbar wird (vgl. Kallenbach 2021, S. 34). Dadurch bedingt ist auch die Geschichte Kopenhagens, in welcher der Radverkehr einen relevanten Teil einnimmt (vgl. ebd. 2021, S. 36). Der Sicherheitsaspekt beim Fahrradfahren ist sehr relevant. In Kopenhagen setzte man dementsprechend bereits früh auf vom Autoverkehr separierte Fahrradwege, was parallel zu einem Anstieg der Fahrradfahrenden führte (vgl. Søholt 2014, S. 1f.).Ein weiterer Faktor ist die ununterbrochene politische Richtung hinsichtlich der Mobilität in Kopenhagen, die durch Sozialdemokrat:innen und linke Parteien seit den 1970er Jahren besteht. Diese Kontinuität wirkte sich ebenso auf Investitionen für den Fahrradverkehr und die Fahrradinfrastruktur aus (vgl. Kallenbach 2021, S. 36f.). Zusammengesetzt aus solchen Faktoren konnte sich in Kopenhagen eine Kultur des Fahrradfahrens herausbilden. Neben den Umweltschutzaspekten ist Kopenhagen dadurch attraktiver für Menschen, aber auch für Unternehmen geworden (vgl. Søholt 2014, S. 1).Auch negative Effekte können auftreten. Beispielsweise kommt es vermehrt zu Staus auf den stark befahrenen Fahrradwegen. Die Stadt reagiert darauf mit dem Ausbau der Fahrradspuren und dementsprechend der Verkleinerung von Fahrbahnen für Autos (vgl. Søholt 2014, S. 2). Auch das Sperren von Straßen für den Autoverkehr wird in Erwägung gezogen. Ziel dabei ist es, mehr Platz für die Radfahrenden und den ÖPNV zu schaffen (vgl. ebd., S. 2). Kopenhagen versucht weiterhin umweltfreundliche Kraftstoffe und den Anteil von Elektroautos, auch unter den Taxen der Stadt, voranzutreiben (vgl. Stadt Kopenhagen 2020, S. 41).Der Klimaschutzplan der Stadt benennt den Bereich der Mobilität als eine von vier zentralen Säulen (vgl. Stadt Kopenhagen 2020, S. 13). Im Bericht aus dem Jahr 2020 wird festgestellt, dass CO2-Emissionen nach wie vor deutlich reduziert werden müssen. So sind trotz der Bemühungen und einiger Erfolge die Kohlenstoffemissionen im PKW-Bereich zwischen 2012 und 2018 um zehn Prozent gestiegen (vgl. ebd. 2020, S. 39f.). Parallel mit dem Bevölkerungsanstieg ist die Zahl der Autobesitzer:innen gestiegen. Dennoch sind die Pro-Kopf Emissionen im Straßenverkehr von 2010 bis 2018 um 16 Prozent gesunken (vgl. ebd. 2020, S. 41).Kopenhagen eröffnete im Herbst 2019 den "Cityring" und baut diesen nach und nach aus. Der damit verbundene Ausbau der U-Bahn soll die verschiedenen Stadteile an den öffentlichen Nahverkehr anbinden und effiziente öffentliche Verkehrsmittel gewährleisten (vgl. Stadt Kopenhagen 2019, S. 26). Langfristig soll der Ausbau immer weiter vorangetrieben werden, um auch während der Rushhour eine attraktive Alternative zum Autoverkehr darzustellen (vgl. ebd., S. 26).Die Stadt Kopenhagen zeigt, wie Mobilität in einer nachhaltigen Stadt der Zukunft aussehen kann. Im gleichen Zug müssen dabei jedoch die vorteilhaften Gegebenheiten berücksichtigt werden, beispielsweise die flache Lage und die geringe Größe der Stadt. Aus diesem Grund muss in größeren und hügligeren Städten beispielsweise der ÖPNV als Alternative gedacht werden und mit ähnlicher Entschlossenheit verbessert werden.Dennoch gibt es Faktoren aus Kopenhagen, die eine grüne Mobilität begünstigen und theoretisch in jeder Stadt umsetzbar sind. Ein Beispiel ist die politische Kontinuität bezogen auf die Förderung des Fahrradverkehrs. Umwelt- und Klimaschutz muss nicht zwingend die ausschlaggebende Motivation für den Beginn einer Verkehrswende sein. Trotz aller positiven Aspekte und der Vorreiterrolle der Fahrradstadt Kopenhagen wurden auch im Jahr 2021 noch einige Fahrten mit dem Auto zurückgelegt.Die dauerhafte Förderung der Alternative Fahrrad konnte das enorme Wachstum des Autoverkehrs jedoch eindämmen. Es liegt auf der Hand, dass durch die Verkleinerung beziehungsweise Sperrung von Fahrbahnen und Straßen für den Autoverkehr auch strittige Debatten entstehen können. Die Stadt Kopenhagen verfolgt jedoch den klaren Plan, das Rad und den ÖPNV als Mobilitätsmittel der Wahl weiter voranzutreiben. Bereits zur Mitte des vergangenen Jahrzehnts nutzen 45 Prozent der Einwohner:innen Kopenhagens das Fahrrad für den Schul- beziehungsweise Arbeitsweg (vgl. Diehn 2015, o.S.). Dennoch halten aktuelle Ergebnisse fest, dass die Anstrengungen bei weitem nicht genügen.Weitere Maßnahmen und HerausforderungenZiel dieses Kapitels ist es, weitere Maßnahmen in Kopenhagen zu untersuchen. Aufgrund des Umfangs handelt es sich dabei jedoch um Beispiele, die kompakt dargestellt werden. Dabei werden Beispiele aus dem Bereich der Extremwetteranpassung und der kommunalen Wärmeplanung untersucht. Mit der Stadt München wird ähnlich vorgegangen, die Kategorien werden gleich gewählt. Ziel dabei ist festzustellen, welche Anstrengungen in der jeweiligen Kommune unternommen werden, um Nachhaltigkeitsziele voranzubringen.Durch die örtlichen Gegebenheiten muss Kopenhagen Extremwetterereignisse bewältigen, die sich durch den Klimawandel verstärken. So gab es in der dänischen Hauptstadt allein zwischen 2010 und 2015 sechs Starkregenereignisse, die Straßen und Gebäudekeller überfluteten und für einen enormen finanziellen Schaden sorgten (vgl. Kruse 2016, S. 669). Dementsprechend ist vor allem die Anpassung der Stadt an solche Starkregenereignisse ein wichtiger Bestandteil, der im Klimaanpassungsplan festgehalten ist.Um das Überflutungsrisiko zu verringern und dieser Herausforderung gerecht zu werden, arbeitet die Stadt an der Verwirklichung fünf zentraler Aspekte. Dazu zählen Maßnahmen, die einen Beitrag zur Verringerung des Überflutungsrisikos leisten können, zum Beispiel eine qualitative und quantitative Erhöhung des städtischen Grünflächenbereichs (vgl. ebd. 2016, S. 669f.).Ein konkretes Beispiel ist der Kopenhagener Ortsteil Skt. Kjelds Kvarter, der nach und nach in einen klimagerechten Stadtraum der Zukunft umgewandelt werden soll. Zum einem soll sich die Natur in diesem Quartier weiter ausbreiten, gleichzeitig wird die Regulierung von Regenwasser verbessert (vgl. Technik- und Umweltverwaltung Kopenhagen 2023, o.S.). Konkret dienen die Grünflächen als Versickerungsbecken, wodurch das Wasser unabhängig von der Kanalisation zum Hafenbecken geleitet wird. Hierfür wurde auch die Straßenführung angepasst (vgl. Kruse 2016, S. 270). Neben der Risikoreduzierung durch Extremwetterereignisse wird die Stadt durch solche Projekte nachhaltiger. Zugunsten von Grünflächen wird die Verkehrsinfrastruktur verändert und der Natur wird mehr Raum innerhalb der Stadt gegeben.Die Gefährdung der Stadt durch Extremwetterereignisse soll durch weitere Maßnahamen reduziert werden. Dazu zählen beispielsweise die Bereitstellung von Pumpen und die Ausrüstung von Kellern, um gegen Überschwemmungen vorbereitet zu sein. Gleichzeitig macht der Klimaanpassungsplan deutlich, dass die Entwicklung eines grünen Wachstums gewünscht ist und parallel zur Klimaanpassung vollzogen wird (vgl. Stadtverwaltung Kopenhagen 2011, S. 5). So sollen Grün- und Freiflächen verbessert und ergänzt werden. Dort wo gebaut wird, ist dies entsprechend zu berücksichtigen (vgl. ebd. 2011, S. 12).Neben dem Schutz vor Extremwetterereignissen sollen diese grünen Maßnahmen dazu führen, den Energieverbrauch der Stadt zu senken, die Luftqualität zu verbessern und die Lärmbelästigung zu bekämpfen. Durch die Schaffung von Freiflächen kann beispielsweise die Temperatur gemäßigt und für Luftzirkulation gesorgt werden (vgl. ebd. 2011, S. 12).Kopenhagen benennt in seinem aktuellen Klimaschutzplan neben der Mobilität drei weitere Bereiche: Den Energieverbrauch, die Energieproduktion und Initiativen der Stadtverwaltung (vgl. Stadt Kopenhagen 2020, S. 13). Laut eigenen Worten will sich Kopenhagen, neben der Konzentration auf den öffentlichen Verkehr, auf den Energieausstoß, die kohlenstoffneutrale Fernwärme und Maßnahmen zur Verringerung von Kohlenstoffemissionen fokussieren (vgl. Stadt Kopenhagen 2019, S. 25).2014 wurde Kopenhagen von einem unabhängigen und internationalen Expertenteam zur Umwelthauptstadt ernannt. Es gibt eine Reihe von Kriterien, die hierfür erfüllt sein müssen. Neben dem Nahverkehr wird die Luftqualität, der Anteil sowie die Qualität des grünen Stadtgebietes und der Umgang mit dem Klimawandel berücksichtigt (vgl. Diehn 2015, o.S.).Dementsprechend wurden früh weitere Anstrengungen unternommen. Gerade das weit ausgebaute Fernwärmenetz Kopenhagens muss hierbei erwähnt werden. Dieses versorgt den Großteil der Gebäude und trägt damit maßgeblich zur Einsparung von C02-Emissionen in Kopenhagen bei (vgl. Burckhardt/Tappe/Rehrmann 2022, o.S.). Gleichzeitig bieten sich auch Vorteile für die dortigen Bewohner:innen: Die Preise werden staatlich kontrolliert und die Infrastruktur der Fernwärme ermöglicht einen einfachen und für Verbraucher:innen kostengünstigen Umstieg auf erneuerbare Energien, was ermöglicht, dass Kopenhagens Fernwärme bereits zu 80 Prozent aus erneuerbaren Energien erzeugt wird (vgl. ebd. 2022, o.S.).Das Fernwärmenetz der Stadt hat unter anderem mehrere Müllverbrennungsanlagen und Blockheizkraftwerke, die von verschiedenen Versorgungsunternehmen betrieben werden (vgl. Harrestrup/Svendsen 2014, S. 296). Dies gewährleistet die Nutzung von Abwärme als Heizquelle. Eine dieser Müllverbrennungsanliegen liegt nah am Zentrum Kopenhagens und trägt den Namen Amager Bakke. Das Dach der Müllverbrennungsanlage dient der Bevölkerung gleichzeitig als Skigebiet und steht somit sinnbildlich für die Innovation und entsprechende Nachhaltigkeitsbestrebungen innerhalb der Stadt (vgl. Kafsack 2023, o.S.).Um im Bereich Energie die gesetzten Ziele zu erreichen, setzt Kopenhagen auf eine Vielzahl weiterer Maßnahmen. Dazu zählt neben der Fernwärme der Einsatz erneuerbarer Energietechnologien und die entsprechende Förderung von Heizungspumpen, Erdwärme, Sonnenkollektoren und Windkraftanlagen. Auch Biomasse als Übergangstechnologie wird von der Stadt befürwortet (vgl. Stadt Kopenhagen 2019, S. 54).Kopenhagen wird häufig als grüne Stadt bezeichnet. Viele Maßnahmen der Stadt wurden bereits vor langer Zeit getroffen. Die Pläne der Stadt Kopenhagen sind weit vorangeschritten, äußerst detailliert und durchdacht. Um sich zukünftig besser vor Extremwetterereignissen schützen zu können, arbeitet die Stadt an verschiedenen Lösungen und setzt beispielsweise auf den Ausbau und die Entlastung der Kanalisation. Dass hierbei ebenfalls freie Grünflächen entstehen, ist nicht nur ein nützlicher Nebeneffekt, sondern gewolltes Ziel.Im Bereich der Energieversorgung muss vor allem die Fernwärme genannt werden. Diese wurde in Kopenhagen bereits sehr früh ausgebaut und versorgt dementsprechend fast alle Gebäude. Somit ist dies der wohl wichtigste Bereich der Energieversorgung und gleichzeitig das Hauptaugenmerk des Kopenhagener Klimaplans. Dennoch gibt es auch hier Verbesserungs- und Optimierungspotential. Auch Kritikpunkte sind berechtigt. Beispielsweise ist der Einsatz von Biomasse fraglich. Einen weiteren Rückschlag musste Kopenhagen kürzlich einstecken: Die Stadt gab bekannt, dass sie das Ziel der Klimaneutralität bis 2025 deutlich verfehlen wird (vgl. Wolff 2022, o.S.).MünchenMünchen wurde im Jahr 1158 erstmals urkundlich erwähnt und liegt am Fluss Isar, der im Stadtgebiet eine Länge von 13,7 Kilometern einnimmt (vgl. Stadt München 2023, o.S.). Die Stadt ist bereits seit Beginn des 16. Jahrhunderts die bayrische Landeshauptstadt (vgl. Stahleder 2023, o.S.). Heute hat München mehr als 1,5 Millionen Einwohner und kann damit einen deutlichen Bevölkerungsanstieg verbuchen (vgl. Statistisches Amt München 2023, o.S.). Verglichen mit dem Jahr 2004 stieg die Anzahl der Einwohner:innen um 300.000 Menschen (vgl. Münchner Stadtmuseum 2004, S. 155). München liegt etwa 519 Meter über dem Meeresspiegel und hat eine Fläche von mehr als 310 Quadratkilometern, wodurch die Stadt flächenmäßig zu den größten Städten Deutschlands gehört (vgl. Stadt München 2023, o.S.).Grundlegende Informationen und BesonderheitenAnlass der Gründung Münchens war ein Konflikt zwischen Herzog Heinrich dem Löwen und Bischof Otto I. von Freising (vgl. Scholz 2004, S. 20). Das Bevölkerungswachstum stieg rasch an, was bereits zur Mitte des 13. Jahrhunderts eine deutliche Vergrößerung der Stadt nötig machte (vgl. Scholz 2004, S. 22). Die Isar wurde in München bereits vor mehreren Jahrhunderten als Transportmittel für Waren genutzt und prägte daher die Entwicklung der Stadt maßgeblich (vgl. Scholz 2004, S. 31f.).Im Jahr 1795 begann eine neue Entwicklung. Die bisher genutzten Festigungsanlagen wurden aufgegeben und die dynamische, unbegrenzte Weiterentwicklung der Stadt konnte gelingen (vgl. Lehmbruch 2004, S. 38). Im Laufe der Jahrhunderte kam es zu mehreren Eingemeindungen (vgl. Münchner Stadtmuseum 2004, S. 155). Während des Zweiten Weltkriegs wurden 90 Prozent der historischen Altstadt Münchens zerstört und die Stadt verlor bis zum Ende des Krieges mehr als die Hälfte seiner Einwohner:innen (vgl. Stahleder 2023, o.S.).Münchens Grünanlagen nehmen etwa 13,4 Prozent der gesamten Stadtfläche ein. Den größten zusammenhängenden Teil bildet dabei der Englische Garten mit einer Größe von 374,13 Hektar (vgl. Stadt München 2023, o.S.). Die Jahresmitteltemperatur in München liegt im Durchschnitt bei 8,7 Grad Celsius und der Niederschlag beträgt circa 834 Millimeter im Jahr (vgl. Deutscher Wetterdienst 2023, o.S.). In jüngster Zeit hat München mit einigen Extremwetterereignissen zu kämpfen gehabt, unter anderem mit Starkregen (vgl. Handel 2023, o.S.) und Rekord-Hitzewellen (vgl. Harter 2023, o.S.). Verkehr und MobilitätMünchen arbeitet seit vielen Jahren an seiner Verkehrsstrategie. Der ursprüngliche Verkehrsentwicklungsplan wurde bereits im Jahr 2006 veröffentlicht. Im Sommer 2021 wurde ein neuer Entwurf bezüglich der zukünftigen Mobilitätsplanung beschlossen. Der Stadtrat setzte sich dabei ambitionierte Ziele: Der Verkehr im Stadtgebiet sollte demnach innerhalb von vier Jahren zu mindestens 80 Prozent durch abgasfreie Fahrzeuge beziehungsweise den ÖPNV oder den Fuß- und Radverkehr realisiert werden. Weiterhin soll der Verkehr in München bis 2035 vollständig klimaneutral sein (vgl. Landeshauptstadt München 2023c, o.S.). Der neue Mobilitätsplan der Stadt soll den zukünftigen Herausforderungen gerecht werden. Dazu zählt unter anderem die steigende Bevölkerungszahl und der somit zunehmende Mobilitätsbedarf sowie der Umwelt- und Gesundheitsschutz (vgl. Landeshauptstadt München 2023b, o.S.).Der motorisierte Individualverkehr nimmt in der bayrischen Landeshauptstadt nach wie vor einen hohen Stellenwert ein und wurde 2017 von rund 24 Prozent der Münchner:innen in Anspruch genommen. Die Anzahl der täglich bewältigten Personenkilometer nahm ebenfalls zu, was durch den Anstieg der Bevölkerung und die Zunahme der täglichen Strecken erklärt wird (vgl. Landeshauptstadt München 2022, S. 107f.).Der ÖPNV wurde im Jahr 2017 von 24 Prozent der Münchner:innen genutzt, was verglichen mit dem Jahr 2008 ein leichter Anstieg ist. Verglichen mit dem Jahr 2008 wird das Fahrrad mit 18 Prozent von weniger Münchner:innen genutzt (vgl. ebd. 2022, S. 107f.). Die Stadt kommt in ihrem Nachhaltigkeitsbericht zu dem Ergebnis, dass die Entwicklung in Richtung ÖPNV und des Radverkehrs geht. Durch das starke Wachstum der Stadt und des Umlands kommt es jedoch zu einem Anstieg des Verkehrs insgesamt, was die eigentlich positive Entwicklung aufhebt (vgl. ebd. 2022, S. 107f.). Die Stadt München beschäftigt sich seit einiger Zeit mit sogenannten Radschnellverbindungen."Radschnellverbindungen sind hochwertige Verbindungen im Radverkehrsnetz (von Kommunen oder StadtUmlandRegionen), die wichtige Zielbereiche (zum Beispiel Stadtteilzentren, Wohn und Arbeitsplatzschwerpunkte, (Hoch)Schulen) mit hohen Potenzialen über größere Entfernungen verknüpfen und durchgängig ein sicheres und attraktives Befahren mit hohen Reisegeschwindigkeiten […] ermöglichen" (Landeshauptstadt München 2022, S. 109).Solche Strecken haben somit das Potential, einen nicht zu unterschätzenden Beitrag hin zur grünen Mobilität zu leisten. Radschnellwege können nicht nur für die Freizeit, sondern auch von Berufspendler:innen genutzt werden und sind daher eine Alternative zum Auto. Die Landeshauptstadt München hat bereits mehrere Machbarkeitsstudien in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse belegen, dass viele dieser Strecken, beispielsweise die Strecke zwischen der Innenstadt Münchens und Starnberg, technisch machbar und wirtschaftlich gewinnbringend sind (vgl. Landeshauptstadt München/Landratsamt München/Landratsamt Starnberg 2020, S. 29).Die lange Planung der Radschnellwege ist seit diesem Jahr in einer neuen Phase. Im Juni 2023 wurde mit dem Bau der ersten von insgesamt fünf Strecken begonnen, welche die Stadt München mit Unterschleißheim und Garching verbinden soll (vgl. Heudorfer 2023, o.S.). Gleichzeitig müssen die enorm hohen Kosten für den Bau solcher Strecken berücksichtigt werden. Dies ist der Grund, weshalb beispielsweise die Strecke zwischen München und Starnberg nicht realisiert wird (vgl. ebd. 2023, o.S.).München plant die Reduzierung des Autoverkehrs in seiner Altstadt. So soll mehr Platz für Fußgänger:innen, Radfahrende und den ÖPNV geschaffen werden. Die Stadt nennt eine Reihe an Maßnahmen, die das Ziel einer autofreien Altstadt realisieren sollen. Dazu zählen unter anderem das Errichten und die Erweiterung von Fußgängerzonen, die Neuregelung des Parkens, was auch das Erhöhen der Parkgebühren beinhaltet, die Verbesserung des Liefer- und Ladeverkehrs sowie das Erbauen eines breiten Radrings in der Altstadt (vgl. Landeshauptstadt München 2023a, o.S.).Ein Pilotprojekt diesbezüglich befindet sich in der zentral gelegenen Kolumbusstraße. Die Straße wurde für Fahrzeuge gesperrt und mit Rollrasen, Sitzmöglichkeiten und Hochbeeten ausgestattet (vgl. Stäbler 2023, o.S.). Das Projekt hat jedoch nicht nur Befürworter:innen. Der Verlust von knapp 40 Parkplätzen sowie der Lärm durch spielende Kinder wird kritisiert (vgl. ebd. 2023, o.S.).Der ÖPNV hat in München einen hohen Stellenwert. Bereits im Jahr 2010 lag München im Vergleich unter den besten deutschen Städten. Berücksichtigt wurde damals unter anderem die Fahrtdauer, die Informationslage und die Preise (vgl. Wagner 2010, o.S.). Eine ADAC-Studie zeigt, dass München im Jahr 2021 die teuerste Einzelfahrkarte unter 21 deutschen Großstädten mit mehr als 300.000 Einwohner:innen hatte. Die Münchner Monatskarte sowie die Wochenkarte hingegen war mit Abstand am günstigsten. Die Monatskarte kostete im Vergleich zu Hamburg knapp die Hälfte (vgl. ADAC 2021, o.S.). Dieser Aspekt muss hinsichtlich der Einführung des Deutschlandtickets und der damit verbundenen Preisentwicklung des ÖPNV neu bewertet werden, ist jedoch aufgrund der damals fehlenden Alternative des Deutschlandtickets nicht zu vernachlässigen.Langfristig plant München eine Bahnstrecke, die Stadt und Umland miteinander verbindet und das bereits vorhandene Schienennetz ergänzt. Dieses Projekt ist zuletzt aus finanziellen Gründen gescheitert, soll jedoch durch spezielle Buslinien kompensiert und nach Möglichkeit neu geprüft werden (vgl. Landeshauptstadt München 2023d, o.S.). Um die Kapazität des ÖPNV in München und Umland zu erhöhen, werden im Rahmen eines Programms verschiedene Maßnahmen umgesetzt. Dazu zählt unter anderem die Anbindung an den Flughafen und der Ausbau der Schieneninfrastruktur im Nordosten Münchens (vgl. Landeshauptstadt München 2023d, o.S.).Auch das U-Bahn- und Tramnetz soll durch die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) ausgebaut werden. Vorgesehen ist die Verlängerung beziehungsweise der Neubau verschiedener Strecken (vgl. ebd. 2023d, o.S.). Gleichzeitig wird auf die Problematik verwiesen, dass die Kapazitätsgrenze des Schienenverkehrs in München und der Region bereits erreicht ist (vgl. ebd., o.S.).Die bayrische Landeshauptstadt setzt sich selbst ambitionierte Ziele, was den Verkehr und die Mobilität betreffen. Bereits seit vielen Jahren wurde mit entsprechenden Planungen begonnen. Auf der Webseite der Landeshauptstadt finden sich viele Informationen und Vorhaben bezüglich der Verkehrsplanung. Der Ausbau des Fahrradverkehrs, vor allem die Planungen von Radschnellstrecken sind vielsprechend. Die Machbarkeitsstudien belegen das große Potential. Da jedoch erst vor einigen Monaten mit dem Bau der ersten Strecke begonnen wurde, muss München hier in relativ kurzer Zeit viel erreichen.Gleichzeitig kann somit nicht abschließend festgestellt werden, wie groß das Potential der Radschnellverbindungen in der Praxis ist. Der Zuwachs der Stadt München und des Umlands stellt die Landeshauptstadt vor Herausforderungen in doppelter Hinsicht. Obwohl der Anteil der Radfahrenden und der ÖPNV-Fahrenden deutlich zugenommen hat, steigt der Verkehr insgesamt. Gleichzeitig stellt die Stadt fest, dass der ÖPNV an der Kapazitätsgrenze ist. Dennoch müssen die positiven Aspekte betrachtet werden. Hierzu zählt unter anderem das Potential des Münchner ÖPNV und der verschiedenen Projekte. Auch wenn es von der Planung bis zur Umsetzung viele Jahre dauert, ist München sicherlich vielen Städten, vor allem im deutschen Städtevergleich, voraus, da die Planungen früh begonnen haben.Weitere Maßnahmen und HerausforderungenHier werden nun weitere Maßnahmen untersucht. Dabei wird, wie bei Kopenhagen, in exemplarischer Weise auf den Bereich der Extremwetter- beziehungsweise Klimawandelanpassung und den Bereich der kommunalen Wärmeplanung eingegangen. Gleichzeitig werden Herausforderungen, Chancen und Schwierigkeiten beleuchtet, die sich daraus ergeben.Die bayrische Landeshauptstadt hat im Jahr 2019 den Klimanotstand ausgerufen. Damit verbunden ist das Ziel der Klimaneutralität bis 2035 (vgl. Landeshauptstadt München 2023e, o.S.). Das Klima in der Stadt München weist aufgrund der dichten Bebauung spezifische Besonderheiten auf. Dazu zählt der sogenannte "Wärmeinseleffekt", der dazu führt, dass ein Temperaturunterschied im Vergleich zum Münchner Umland besteht (vgl. Landeshauptstadt München u. a. 2016, S. 8).Im Stadtgebiet ist es deshalb im Durchschnitt zwei bis drei Grad wärmer, wobei der Temperaturunterschied in der Nacht deutlich höher ausfällt: Im Vergleich zum Münchner Umland ist es nachts im Stadtgebiet Münchens bis zu zehn Grad wärmer, was durch den Klimawandel und den damit verbundenen Anstieg der Durchschnittstemperatur noch deutlich ansteigen wird (vgl. ebd. 2016, S. 8).Dementsprechend sieht das Klimaanpassungskonzept verschiedene Maßnahmen vor. Dazu zählt zum Beispiel der Ausbau der Dachbegrünung und Photovoltaikanlagen auf Gebäuden, die Verbesserung des Wärmeschutzes in der Gebäudeplanung und Förderprogramme für Klimaanpassungsmaßnahmen auf privaten Grundstücken (vgl. ebd. 2016, S. 40). In München gründeten sich einige Bewegungen, die sich für mehr Nachhaltigkeit einsetzen. Die Münchner Initiative Nachhaltigkeit (MIN) ist ein Beispiel dafür und setzt sich aus mehrheitlich zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammen. Die Ziele der MIN orientieren sich an den SDGs (vgl. Münchner Initiative Nachhaltigkeit 2023, o.S.).Der Münchner Nachhaltigkeitsbericht liefert interessante Aufschlüsse. Der Anteil der erneuerbaren Energien im Gebiet der Stadtwerke München lag 2019 bei insgesamt 6,4 Prozent. Den größten Anteil hat dabei die Wasserkraft, gefolgt von Solar (vgl. Landeshauptstadt München 2022, S. 85). Ökostrom soll in den eigenen Stadtwerken langfristig betrachtet in ausreichender Menge erzeugt werden, um damit die Stadt München selbst versorgen zu können.Daraus ergibt sich für den Leiter der Stadtwerke die politische Aufgabe, die Energiewende voranzubringen (vgl. Hutter 2019, o.S.). Gerade die lokale Erzeugung von Ökostrom kann sich in einer dicht bebauten Stadt als schwierig herausstellen. Hier stellt sich die Frage, wie viel Potential München und das direkte Umland hat. Dabei kann es sich zum Beispiel um den Auf- und Ausbau umliegender Windräder oder Biomassekraftwerke handeln (vgl. ebd., o.S.).München setzt auf Tiefengeothermie und kann einen Anstieg in der Erzeugung und den Anteil der Tiefengeothermie am Fernwärmeverbrauch verbuchen. Jedoch lag der Anteil der Geothermie am Fernwärmeverbrauch im Jahr 2019 lediglich bei 3,8 Prozent (vgl. Landeshauptstadt München 2022, S. 86f.). Aktuell wird in München das größte Geothermiekraftwerk Europas erbaut. Somit ist davon auszugehen, dass der Anteil der Geothermie innerhalb der Fernwärmeversorgung in München weiter zunimmt und diese in der Konsequenz Schritt für Schritt nachhaltiger und regenerativ gestalten (vgl. Schneider 2022, o.S.). In München befinden sich momentan sechs Geothermieanlagen. Durch die Erweiterungen soll das Fernwärmenetz den Wärmebedarf Münchens bis 2040 klimaneutral abdecken (vgl. Stadtwerke München 2023a, o.S.).Die Methode der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK), also die gleichzeitige Gewinnung von mechanischer Energie und nutzbarer Wärme (vgl. Umweltbundesamt 2022, o.S.), wird von den Stadtwerken München genutzt und dient als eine Art Zwischenlösung, die intensiver genutzt wird, bis der Ausbau der Geothermieanlagen abgeschlossen ist (vgl. Stadtwerke München 2023b, o.S.). Die durch die Stromerzeugung der KWK-Methode gewonnene Abwärme wird in das Fernwärmenetz der Stadt München eingespeist. Die so erzeugte Fernwärme kann dementsprechend schon heute in einem beträchtlichen Maß umweltschonend bereitgestellt werden und ersetzt laut den Stadtwerken München bereits etwa 400 Millionen Liter Heizöl und spart pro Jahr eine Millionen Tonnen CO2 ein (vgl. ebd. 2023b, o.S.).Die Stromerzeugung selbst funktioniert mit Brennstoffen. Neben erneuerbaren Energien können dabei auch fossile Energieträger zum Einsatz kommen. Die Stadtwerke München selbst setzen sich das langfristige Ziel, fossile Brennstoffe abzulösen (vgl. ebd. 2023b, o.S.). Das Heizkraftwerk Süd der Stadtwerke München arbeitet beispielsweise mit der KWK-Methode. Die Stromerzeugung wird durch Erdgas gewährleistet (vgl. Stadtwerke München 2022, o.S.). Somit wird ein fossiler Brennstoff verwendet.Im deutschen Städtevergleich gilt München oft als Vorreiter, was Nachhaltigkeitsbemühungen betrifft. München hat 2019 den Klimanotstand ausgerufen und sich das Ziel gesetzt, bis 2035 klimaneutral zu werden. Das Ausrufen des Klimanotstands hat eher symbolischen Charakter. Dennoch wird die Dringlichkeit der Sache damit auch auf kommunaler Ebene betont.Bezüglich der Anpassung an Extremwetterereignisse finden sich viele Informationen der Stadt München. Dabei werden auch viele Maßnahmen genannt, die nach und nach umgesetzt werden sollen. Die Stadt ist sich der Relevanz des Themas bewusst. Durch das veränderte Stadtklima wird deutlich, wie wichtig die Anpassung an Extremwetterereignisse ist, um das Leben in der Stadt auch zukünftig zu sichern.Im Fall von München sind die Maßnahmen gegen Hitze besonders relevant. Hier hat München bereits Pilotprojekte und verschiedene Fördermaßnahmen in die Wege geleitet. Im Bereich der Energieversorgung muss vor allem die Tiefengeothermie benannt werden. München setzt verstärkt darauf und erkennt das große Potential. Gleichzeitig müssen die hohen Kosten und der damit verbundene Aufwand berücksichtigt werden.Aktuell kommen auch KWK-Werke zum Einsatz. Dies ermöglicht die umweltschonende Bereitstellung von Fernwärme. Der Einsatz mehrerer Geothermieanlagen kann dieses Potential jedoch beträchtlich steigern. Erdgas wird zur Erzeugung von Strom in München auch aktuell eingesetzt. Langfristig wollen die Stadtwerke jedoch ohne den Einsatz fossiler Brennstoffe arbeiten. Die Fernwärme Münchens ist weit ausgebaut und bietet hohes Potential. Dennoch zeigen erst die nächsten Jahre, wie nachhaltig und flächendeckend das Fernwärmenetz konkret ausgebaut werden kann.ErkenntnisseDie Einwohnerzahl Kopenhagens ist in den letzten Jahren gestiegen. Auch zukünftig muss die Stadt mit einem Bevölkerungswachstum rechnen. In München ist ebenso von einem Bevölkerungsanstieg auszugehen, was auch in den letzten Jahren der Fall war. Der Anstieg der Bevölkerung in Zahlen ist deutlich höher, was sich durch die größere Fläche der bayrischen Landeshauptstadt zumindest teilweise relativieren lässt. Im direkten Vergleich ist München mehr als drei Mal so groß wie Kopenhagen.Kopenhagen gilt als eine der besten Fahrradstädte weltweit. Dies führt neben den positiven Aspekten auch zu vollen Fahrradwegen. Die Stadt reagiert mit der Verbreiterung von Fahrradwegen und der Sperrung beziehungsweise Verkleinerung von Autofahrbahnen und ganzen Straßen. München geht diesbezüglich nicht so konsequent vor, hat jedoch ein vergleichbares Pilotprojekt gestartet, welches eine zentrale Straße zeitweise für den Autoverkehr gesperrt hat.Das Fahrrad als Verkehrsmittel konnte sich in Kopenhagen bereits früh etablieren. Ein zentraler Faktor, der für das Fahrrad in Kopenhagen spricht, ist unter anderem die Zeitersparnis. Eine Reihe nicht-diskursiver Faktoren spielen eine wichtige Rolle für die bedeutsame Rolle des Fahrrads in der dänischen Hauptstadt. Neben der flachen Lage und der geringen Größe zählt dazu auch der politische Wille und die Bereitschaft, das Fahrrad als Verkehrsmittel kontinuierlich zu fördern.In München wurde die Relevanz des Fahrrads ebenfalls erkannt. München kann im Vergleich jedoch auf keine derart ausgeprägte Fahrradkultur zurückblicken. Dennoch stellt sich heraus, dass das Fahrrad in München nicht unterschätzt wird. Die aktuellen Planungen und erste bauliche Maßnahmen der Radschnellverbindungen belegen, dass die Stadt den Radverkehr als Alternative zum Auto etablieren möchte.Dabei sollen, wie es in Kopenhagen bereits der Fall ist, nicht nur Freizeitradler:innen, sondern auch Berufspendler:innen angesprochen werden. Das Münchner Umland soll in den Bau der Radschnellverbindungen zu weiten Teilen integriert werden. Theoretisch könnte München auf diese Weise trotz der deutlich weiteren Distanzen die optimale Infrastruktur für das Fahrrad als grüne Alternative etablieren.Der Autoverkehr spielt in Kopenhagen nach wie vor eine Rolle. Trotz einiger Maßnahmen müssen die CO2-Emissionen weiter reduziert werden. Die Emissionen im PKW-Bereich sind bis vor fünf Jahren noch angestiegen. Auch in München ist der Autoverkehr relevant und wurde im Jahr 2017 von fast einem Viertel der Münchner:innen genutzt. Von der Stadt München werden verschiedene Maßnahmen benannt, die zu einer autofreien Altstadt führen sollen. Dabei soll ähnlich wie in Kopenhagen vorgegangen werden, unter anderem mit der Erweiterung von Fußgängerzonen. Kopenhagen scheint diesbezüglich jedoch weiter fortgeschritten zu sein. Bei der Verkleinerung von Fahrbahnen im Bereich des Autoverkehrs handelt es sich dort um dauerhafte Maßnahmen. In München beschränkt sich dies bislang auf Pilotprojekte und Vorhaben.Beide Städte haben ein gut ausgebautes ÖPNV-Netz. In München ist sich die Stadt der Tatsache bewusst, dass die aktuelle ÖPNV-Infrastruktur an seiner Kapazitätsgrenze angekommen ist. Aus diesem Grund plant München den Ausbau und setzt bereits einige Großprojekte, unter anderem die Erweiterung der Schieneninfrastruktur, in verschiedenen Stadteilen, um. Vor allem das Tramnetz hat sicherlich das Potential, für Münchner:innen eine dauerhafte Alternative zum Auto zu sein. Da das Hauptproblem augenscheinlich die Kapazitätsgrenze des bestehenden Schienennetzes ist, kommt es auf den zügigen und konsequenten Ausbau in den nächsten Jahren an.Kopenhagen hat im Vergleich bereits im Jahr 2019 eine Stadtlinie eröffnet, die immer weiter ausgebaut wird. Kopenhagen will die Attraktivität des ÖPNVs auch während der Rushhour gewährleisten. Dies lässt darauf schließen, dass einer der Hauptfaktoren auch hier die aktuelle Auslastung der vorhandenen öffentlichen Verkehrsmittel ist. In diesem Bereich haben beide Städte somit ähnliche Herausforderungen zu bewältigen. Beide Städte sind aktiv und scheinen den ÖPNV als dauerhaftes Verkehrsmittel fördern zu wollen.Kopenhagen liegt direkt am Meer und 24 Meter über dem Meeresspiegel. Ähnlich wie München sieht sich Kopenhagen mit Extremwetterereignissen konfrontiert. In Kopenhagen regnet es sehr häufig und durch die Lage am Meer und die geringe Höhe über dem Meeresspiegel sind Sturmfluten und Überschwemmungen keine Seltenheit. München hat ebenso mit Starkregen zu kämpfen, wobei Hitzewellen hier auch nicht zu unterschätzen sind. Beide Städte stellen verschiedene Maßnahmen vor, die zur Vermeidung negativer Folgen führen sollen. In der Umsetzung hat Kopenhagen bereits Erstaunliches erreicht, um sich vor Starkregen zu schützen. Beide Städte nehmen die durch den Klimawandel entstehenden Extremwetterereignisse und deren mögliche Folgen ernst und arbeiten an spezifischen Lösungen.Die Energieversorgung ist in beiden Städten ein zentraler Aspekt. Beide Städte nehmen hier in gewisser Weise Vorreiterrollen ein. Sowohl Kopenhagen als auch München fördern den Einsatz erneuerbarer Technologien in verschiedener Hinsicht. Das Fernwärmenetz in Kopenhagen ist bereits sehr gut ausgebaut. Gleichzeitig kann die Fernwärme Kopenhagens bereits zu 80 Prozent aus erneuerbaren Energien gewonnen werden. Die dänische Hauptstadt hat hier einige Vorzeigeprojekte, unter anderem die Müllverbrennungsanlage Amager Bakke.Die Stadt München setzt vermehrt auf Tiefengeothermie und treibt den Ausbau voran. Dies soll die Fernwärme nach und nach nachhaltiger machen. Bis 2040 soll das Fernwärmenetz in München somit klimaneutral arbeiten können. Die KWK-Methode wird in München eingesetzt und spart nennenswerte Mengen an CO2 ein. Fossile Brennstoffe kommen hier aber nach wie vor zum Einsatz. Dennoch hat auch München ein ausgefeiltes Konzept und ist vor allem im deutschen Vergleich weit vorangeschritten und hat bereits früh nach alternativen Wegen gesucht. Daher sind die Fortschritte Münchens in der Wärmeversorgung beachtlich. Im direkten Vergleich kann Kopenhagen jedoch mit noch mehr Innovation und aktuell größeren Fortschritten punkten.FazitEs wurde untersucht, wie eine nachhaltige Stadt gestaltet werden kann. Eine aktuelle Bestandsaufnahme zeigt, dass die Entwicklungen in Städten sehr unterschiedlich sind. Die Abkehr von der Vorstellung einer autogerechten Stadt scheint sinnvoll. Bereits vorhandene ÖPNV-Strukturen und weitere Alternativen zum motorisierten Individualverkehr müssen effizienter genutzt oder geschaffen werden. Der Energiesektor ist besonders relevant, da hier die größten Möglichkeiten hinsichtlich einer Reduzierung von Emissionen bestehen. Städte sollten daher Maßnahmen etablieren, um den Energiebedarf zu senken und auf regenerative Energien umsteigen zu können. In dieser Arbeit wurde bezogen auf den Bereich der Energie die kommunale Wärmeplanung berücksichtigt.Untersucht wurden die Bereiche des Verkehrs und der Mobilität, der Extremwetteranpassung und der kommunalen Wärmeplanung. München und Kopenhagen haben in den untersuchten Bereichen bereits eine Vielzahl an Maßnahmen und Vorhaben vorgestellt und initiiert. Dabei stellt sich heraus, dass die spezifischen Gegebenheiten in Städten stets berücksichtigt werden müssen. Diese unterschiedlichen Gegebenheiten führen dazu, dass ein Städtevergleich nicht in jedem Aspekt einer nachhaltigen Stadtentwicklung zielführend ist. München zeigt jedoch am Beispiel der geplanten Radschnellverbindungen, dass es auch Lösungen für suboptimale Gegebenheiten gibt, in diesem Fall für größere Distanzen beim Radverkehr.Beide Städte sind fortgeschritten, was den Bereich der nachhaltigen Mobilität betrifft. Hier stellt vor allem der erwartete Bevölkerungsanstieg eine Herausforderung dar, da dies zur weiteren Be- beziehungsweise Überlastung der bestehenden Verkehrsinfrastruktur und zur Zunahme des Verkehrs generell führen wird. Dementsprechend finden sich in beiden Städten Projekte, die auch teils in der Umsetzung und bezogen auf die Zukunft der nachhaltigen Mobilität vielversprechend sind. Hier bleiben jedoch die konkreten Fortschritte in den nächsten Jahren abzuwarten, was eine erneute Untersuchung zu einem späteren Zeitpunkt interessant macht. Die Vision beziehungsweise Utopie einer autofreien Stadt scheint für Kopenhagen einen Schritt näher zu sein. München zeigt jedoch, dass zumindest eine autofreie Altstadt in naher Zukunft nicht undenkbar ist.Die Anpassung an die Folgen des Klimawandels ist für beide Städte relevant. Kopenhagen hat hier eine Reihe innovativer Projekte bereits umgesetzt. München stellt viele Maßnahmen vor, die im Detail jedoch noch weiter vorangetrieben werden müssen.Bezogen auf die kommunale Wärmeplanung gehen beide Städte verschiedene Wege und haben bestimmte Visionen. Einen Beitrag zur Energiewende wollen beide Städte und deren ansässige Stadtwerke leisten. Die Fernwärme ist sowohl in Kopenhagen als auch in München der zentrale Faktor. Kopenhagen ist bezogen auf den Anteil erneuerbarer Energien und den Ausbau des Fernwärmenetzes weiter fortgeschritten als München. Ebenso bestehen in Kopenhagen innovative Ideen zur nachhaltigen Erzeugung von Fernwärme und zur Einbettung verschiedener Anlagen in die Kopenhagener Stadt und das Umland. München setzt auf die Nutzung von Geothermie, was zu einer sehr guten CO-2-Bilanz beitragen kann.In den untersuchten Bereichen weisen beide Städte Fortschritte auf. Kopenhagen hat zeitlich betrachtet deutlich früher mit dem Ausbau einer nachhaltigen Stadtentwicklung begonnen. Dementsprechend sind einige Pläne ausgereifter und es finden sich hinsichtlich der untersuchten Bereiche mehr konkrete Umsetzungen. München könnte hier jedoch in den nächsten Jahren ähnlich weit voranschreiten, was unter anderem hinsichtlich des Maßnahmenkatalogs deutlich wird. Auch aus diesem Grund wäre die Betrachtung zu einem späteren Zeitpunkt interessant und würde weitere Aufschlüsse liefern.Durch die Untersuchung der Verkehrsinfrastruktur und der kommunalen Wärmeplanung beider Städte wurden Schlüsselaspekte einer nachhaltigen Stadtentwicklung berücksichtigt. Dennoch muss betont werden, dass bei weitem nicht alle Aspekte einer nachhaltigen Stadt berücksichtigt und untersucht werden konnten. Dies würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Eine Untersuchung in weiteren Bereichen würde daher eine sinnvolle Ergänzung darstellen.LiteraturverzeichnisAachener Stiftung Kathy Beys (2015): Nachhaltiger Lebensstil (Aachener Stiftung Kathy Beys vom 16.12.2015) < https://www.nachhaltigkeit.info/artikel/nachhaltiger_lebensstil_1978.htm > (11.11.2023).ADAC (2021). 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Overview and introduction "Which organizational forms produce science? Expansion, diversity, and cooperation in Germany's higher education and science system embedded within the global context, 1900-2010". Already the title of my dissertation manifests an approach that examines the topic of the development of scientific productivity in the German higher education and science landscape from different perspectives: levels, dimensions, and an extensive timeframe. Deriving from and contributing to the international research project "Science Productivity, Higher Education, Research and Development, and the Knowledge Society" (SPHERE), my research focuses on the investigation of the influence of higher education development and science capacity-building on scientific knowledge production, globally, comparatively, and considerable depth for Germany, a key science producer for well over a century. Focusing mainly on the different structures and institutional settings of the German higher education and science system, the dissertations shows how these affected and contributed to the long-term development of scientific productivity worldwide. The historical, comparative, and in-depth analyses are especially important in light of advancing globalization and internationalization of science, stronger networks of scientists worldwide, and the emergence of the "knowledge society". The research design combines macro- and meso-level analyses: the institutionalized and organizational settings in which science is produced. Since information about single authors was limited in availability, extensive micro-level analyses were not possible here, yet the research articles analyzed were all written and published by individuals working in organizations, which are in the center of analysis here. By reference to the dimensions expansion, diversity, and cooperation, I elaborated the frame of my investigation, and sorted my research questions, including country, organizational field and form, and organizational levels. The structure of this work (see outline) addresses these themes and the observed timeframe spans the years from 1900 to 2010 – more than a century (see section 1.2). My main goal was to investigate how and why scientists publish their research results in peer-reviewed journal articles. The point is to emphasize the importance of scientific findings/discoveries, because non-published results are non-existent for the scientific community. From the ways and in which formats scientists publish their work, we can deduce how science is organized (within and across disciplines). My dissertation analyzes publications in peer-reviewed journals, because they are the most important format – alongside patents in applied fields – to disseminate new knowledge in science, technology, engineering, mathematics, and health (hereafter STEM+ fields). Articles not only record new knowledge, but also contribute to the reputation of researchers and their organizations. Journal publications in reputable journals with peer-review have become the "gold standard" measure of scientific productivity. Within the last several decades, the scientization of many dimensions of societal life proceeded, and the generation of new knowledge increasingly became the focus of political, economic, and social interests – and research policymaking. Therefore, it is important to identify the institutionalized settings (organizations/organizational forms) in which science can best be produced. Here, the diverse types of organizations that produce science – mainly universities, research institutes, companies, government agencies and hospitals – were identified and differences and similarities of these organizational forms were analyzed on the basis of their character, goals, tasks, and the kinds of research their members produce. In a first step, I show why I structured my work at the interface of higher education research, science studies, and bibliometrics (see chapters 2 and 5). Analyzing publications is still the key task of bibliometrics, but the results are used by many other actors as well: higher education managers, politicians, and scientists themselves to make claims about the quality of science, to compare each other, or to influence the structure, organization, and output of the higher education and science system. While it is difficult to make direct statements about the quality of research on the basis of simply counting the number of research articles a scientist publishes, the quality of journals is used as a proxy to compare across disciplines. To measure quality, other parameters are necessary. Thus, here statements focus on the quantity of science produced, not on the intrinsic quality of the analyzed research articles, the specific research achievements of individual scholars, organizations or organizational forms, or even countries. Nevertheless, output indicators elaborated here definitely show the huge expansion of scientific production and productivity, the stability of the research university over time as the most important science producer in Germany, but also rising differentiation and diversification of the organizational forms contributing to overall scientific output. Furthermore, the start of a considerable and on-going rise in national and international collaborations can be dated to the early 1990s. The chapter about the multidisciplinary context (see chapter 2) discusses the relationship between higher education research and science studies in Germany as well as the special position of scientific knowledge in comparison to other forms of knowledge. Scientific knowledge is generated, distributed, and consumed by the scientific community. To get an overview about the most important studies in the field, and to contextualize my work within the already existing empirical studies, I describe the current state of research in chapter 3. Research questions Section 1.2 provides a detailed description of my research questions: Which organizational forms produce science? 1. How has worldwide and European scientific productivity developed between 1900 and 2010 in comparison? 2. How has the German higher education and science system been embedded in the global developments of higher education and science over time? 3. How has scientific productivity in Germany developed between 1900 and 2010? 4. Among all science-producing organizational forms, what do the key organizational forms contribute to scientific productivity? 5. Which organizational forms provide the best conditions for scientific productivity? 6. Which single organizations produce the most research in Germany? 7. What is the impact of increasing internationalization of research on national and international cooperation, measured in publications in scientific journals? Theoretical framework Theoretically (see chapter 4), I apply a neo-institutional (NI) framework to explore and explain both the tremendous expansion of higher education and science across the world and considerable differences across time and space in the institutional settings, organizational forms, and organizations that produce scientific research in Germany. Sociological NI focuses on understanding institutions as important in guiding social action and shaping processes of social development. Such an approach emphasizes the development, functioning, and principles of institutions. Milestones in NI describe the nexus of organization and society supposing that organizational structures express myths and reflect ideals institutionalized in their environment. While capturing, copying, and asserting these, structural similarity (institutional isomorphism) between organizations in society will be established. The concept of "organizational field" emphasizes relationships between organizations within an environment. Organizational fields (communities) consist of all relevant organizations. In section 4.1.2 I discuss the differences between institutions and organizations and the difficulty of a distinction of the terms, especially in German-speaking sociology, which does not distinguish clearly between these terms. Fundamentally, NI approaches differ in the dimensions or pillars and levels of analysis they privilege (see figure 5, p. 80), but they share fundamental principles and the theoretical framework. Thus NI is particularly suitable for a multi-level analysis of scientific productivity across time and space. The historical development of the German higher education and science system must analyzed considering also global developments, because on the one hand it had an enormous impact on the development of other systems worldwide, and, on the other hand, global trends affect the on-going institutionalization and organization(s) of science in Germany. Intersectoral and international cooperation is growing and becoming increasingly important, leading to diverse networks within and between higher education and science systems worldwide. The classical, national case study is hardly longer possible, because macro units like countries are highly interdependent, embedded in global, regional and local relationships, such that borders between the global and the national dimension are increasingly blurred. Nevertheless, countries are units with clearly defined boundaries and structures, thus they can be handled as units to compare. The theoretical perspectives and different levels of analysis addressed here are displayed in Figure 5. I apply the "world polity" approach as a broader lense with which to make sense of the truly global arena of higher education and science (macro level). The focus of this perspective is on global and international structures and processes, which developed over time. Through this perspective, I explore global diffusion and formal structures of formal principles and practical applications. Combining historical and sociological institutionalism helps to focus on developments and processes over time on the meso level, to explain how institutions have developed and change(d). The concepts of "critical junctures" and path dependencies are useful to explain these processes over time. To describe the transformation of knowledge production over the entire twentieth century, and to analyze different organizational forms that produce science in Germany, two prevalent theoretical concepts are discussed: Mode 1 versus Mode 2 science, and the Triple-Helix model to describe the relationship between science, industry and state. In "The New Production of Knowledge" Michael Gibbons and his colleagues describe the transformation of knowledge from an academic, disciplinary, and autonomous – "traditional" – organization of science (Mode 1) with a focus on universities as the key organizational form, to a more applied, transdisciplinary, diverse, and reflexive organization of science (Mode 2) that features a more diverse organization of science, relying on a broader set of organizations producing knowledge. Within the literature, debates center on whether this new model has replaced the old, and which of these models best describes the contemporary organization of science (here: the STEM+ fields). In turn, the Triple-Helix model preserves the historical importance of the universities. This approach assumes that future innovations emerge from a relationship between universities (production of new knowledge), industry (generation of wealth), and state (control). Data and methods In these analyses, only peer reviewed journal publications were used – as the best indicator for measuring the most legitimated, authoritative produced science. This focus enabled an investigation of publications in-depth and over a 110 year timeframe. Research articles in the most reputable, peer-reviewed, and internationally reputable journals are the gold standard of scientific output in STEM+. The data I used is based on a stratified representative sample of published research articles in journals in STEM+-fields. My measure relies on the key global source for such data, the raw data from Thomson Reuters' Web of Science Science Citation Index Expanded (SCIE) (the other global database is Elsevier's Scopus, which also indexes tens of thousands of journals), which was extensively recoded. Methodologically, my approach is based on a combination of comparative institutional analysis across selected countries and historically of the German higher education and science system, and the systematic global evaluation of bibliometric publication data (see chapter 6). The SCIE includes more than 90 million entries (all types of research), mainly from STEM+-fields. I focus on original research articles, because this type of publication contains certified new knowledge. The SPHERE dataset covers published research articles from 1900 to 2010. From 1900 to 1970, we selected data in 5-year-steps in the form of a stratified representative sample. From 1975 onwards full data is available for every year. Depending on the research question, either five or ten-year steps were analyzed. A detailed description of the sampling and weighting of the data can be found in chapter 6. In consideration of the criteria above, I analyzed 17,568 different journals (42,963 journals were included into the database if we count the same journals in different years), and a total of 5,089,233 research articles. To prepare the data for this research, it had to be extensively cleaned and coded. Very often our international research team found missing information on the country level and/or on the level of organizations/organizational forms. From June 2013 to December 2015, research in the archives of university libraries was necessary to manually add missing information, particularly organization location and author affiliations. In the field of bibliometrics, we find different methods to count publications. In this work, I mainly apply the "whole count" approach (see table 1, p. 126). This decision is based on the assumption that every author, organization, or country contributed equally to a publication. An overestimation of publications can't be precluded, because research articles are counted multiple times, if a paper is produced in co-authorship, which has been rising worldwide over the past several decades. The absolute number of publications (worldwide, Europe, Germany) is based on a simple counting of research articles (without duplicates, in cases of co-authored articles). Summary of the most important results The empirical part of my work is divided into three parts. In the following sections, I will present the most important findings. The global picture – higher education and science systems in comparison The central question of my research project was "which organizational forms produce science"? For a better understanding and classification of the results of my case study, I embedded the German higher education and science system into the European and global context. I answered the questions "how did the worldwide and European scientific productivity developed between 1900 and 2010 in comparison", and "how was/is the German higher education and science system embedded in global developments of higher education and science over time" as follows: First, I show that the worldwide scientific growth followed a pure exponential curve between 1900 and 2010 (see figures 3 and 10; pp. 50, 147) – and we can assume that this strong upward trend continues today. The massive expansion of scientific production had and still has a tremendous influence on societal developments, beyond simply economic and technical developments, but rather transforming society. I show that higher education and science systems worldwide exhibit communalities, which have led to similar developments and expansion of scientific productivity. The comparison of important European countries (Germany in comparison with Great Britain, France, Belgium and Luxembourg) uncovered the contribution of the development and spread of modern research universities and the extraordinary and continued rise in publication output (see section 7.2; Powell, Dusdal 2016, 2017a, 2017b in press). Within the global field of science, three geographical centers of scientific productivity have emerged over the twentieth century: Europe, North America, and Asia. Their relative importance fluctuates over time, but today all three centers continue to be the key regions in the production of scientific research in STEM+ journals. Especially in Asia, the growth rates have risen massively in recent years (Powell et al. 2017 in press). Second, I investigated that all countries worldwide invest more into research and development (R&D) (figure 9, p. 140). These investments have a clear impact on the scientific productivity of nations, yet there are important differences between countries in absolute production and productivity rates. Alongside direct investments in R&D or the application of patents in STEM+-fields that influence the expansion of science, the capacity for producing more knowledge fundamentally depends on rising student enrolments, a growing number of researchers, the widening of research activities into various arenas of society, the development of products, and the (re-)foundation of universities (Powell, Baker, Fernandez 2017 in press). As part of the higher education expansion and massification during the 1960s and 70s, the numbers of researchers and students rose tremendously. The growth of scientific publications thus results from the on-going institutionalization of higher education and science systems worldwide. The growth of publications is also explained by the steady growth in the number of researchers working within these growing – and increasingly interconnected – systems. Third, I could reject the argument of Derek J. de Solla Price that the pure exponential growth of scientific literature has to flatten or would slow-down several decades after the advent of "big science" (see paragraph 2.4; figure 4 and 10; p. 53, 147). Although radical historical, political, economical, and technical events (see figure 11, p. 150) led to punctual short-term decreases in publication outputs, the long-term development of universities and other organizational forms producing science led to sustained growth of scientific publications, with the numbers of publications rising unchecked over the long twentieth century. In 2010, the worldwide scientific productivity in leading STEM+ journals was about one million articles annually. Fourth, I could show that the absolute numbers have to be put into perspective and standardized in relation to the investments in R&D, the size of the higher education and science systems, the number of inhabitants (see figure 12, p. 159), and the number of researchers (table 3, p. 162; figure 13, p. 164). The initial expansion of scientific publications in STEM+-fields is based on a general growth of higher education and science systems. The different institutional settings and organizational forms that produce science have an impact on scientific productivity. The selected country case studies – Germany, Great Britain, France, Belgium and Luxembourg – demonstrate that systems with strong research universities are highly productive; they seem to provide conditions necessary for science. As a result, not only the number and quality of researchers is important, but also the institutional and organizational settings in which they are employed. Fifth, in international comparison, Germany continues to contribute significantly to scientific productivity in STEM+ fields. With an annual growth rate of 3.35%, Germany follows the United States and Japan. In 2014, German governments invested €84.5 billion in R&D – 2.9% of overall GDP. The EU-target of 3% by 2020 was barely missed. In 2010, Germany produced 55,009 research articles (see table A5). In comparison to Great Britain, France, Belgium and Luxemburg, Germany still leads in scientific output in Europe –comparing just the absolute numbers. The size of the country itself and the institutionalization of the higher education and science systems influence publication outputs, of course, with these absolute numbers in relation to other key indicators showing a different picture. Standardized by the number of inhabitants, Germany published less articles per capita than Belgium and Great Britain. The number of researchers amounted to 327,997 (FTE) in 2010. The ratio of inhabitants to scientists was 1,000:4. Among these countries studied in-depth, Luxembourg and Great Britain had more researchers per capita than did Germany. The interplay of the organizational forms of science in Germany between 1900 and 2010 On the basis of the analysis of the global and European contexts, and development of worldwide scientific productivity over time in chapter 7, I started the in-depth case study of Germany. Bridging this overview and the following in-depth analyses is a chapter on the institutionalization of the German higher education and science system (see chapter 8). Here, I described the most important institutions and organizations and the organizational field – universities, extra-university research institutes and universities of applied sciences. Furthermore, I discussed the differences between West and East Germany during their division (1945–1990). Summarizing the most important results shows that the development of publications in Germany follows global and European trends (on a lower scale) (see figure 16, p. 208). Over time, Germany experienced pure exponential growth of scientific publications and a rising diversity of organizational forms that contribute to scientific productivity (see sections 9.1 and 9.3). I answered the following three research questions: "how has the scientific productivity in Germany developed between 1900 and 2010", "among all science producing organizational forms, what do the key organizational forms contribute to scientific productivity", "which organizational forms provide the best conditions for scientific productivity", and "which single organizations are the most research intense in Germany"? First, the growth curve of scientific publications in Germany turns out as expected – it shows pure exponential graph, comparable with the worldwide and European development of scientific productivity between 1900 and 2010. Here, too, cataclysmic events such as the two world wars and the Great Depression as well as reunification had only short-term (negative) impact (figure 11, p. 150) on scientific productivity, without even a medium-term slow-down or flattening of the curve. By 2010, the total number of publications in STEM+ fields by researchers in German organizations topped 55,000 in one year alone. Second, a detailed examination and comparison of the development of scientific productivity in West Germany and East Germany between 1950 and 1990 showed that the growth rate of Germany (altogether) was based mainly on steady growth of scientific publications in West Germany (see figure 17, p. 211). The growth curve of the former GDR was quite flat and proceeded on a very low level. As a result, I conclude that the GDR's higher education and science system, based on its academy model, did not provide conditions for scientific productivity as optimally as did the BRD. Third, a detailed analysis of the "key classical" organizational forms of science – universities and extra-university research institutes – show that universities were and are the main producers of scientific publications in STEM+ from 1975 to 2010 (see figure 18, p. 217). On average, university-based researchers produced 60% of all articles and defended their status against other organizational forms, which leads to the rejection of the Mode 2 hypothesis. Non-university publications reached an average of 40%. But that does not mean that other organizational forms were not producing science as well. The percentage share of articles is ultrastable and shows only marginal variations. The thesis that the proportion of university publications should decrease over time can be rejected for the period from 1975 to 2010. This suggests that scientific productivity of universities is actually rising, since despite decreasing financial support (R&D) in favor of extra-university research institutes, the universities produced more research articles with less resources over time. Fourth, although not only scientists within universities and research institutes publish their research in scientific journals, jointly these organizational forms have produced more than three-quarters of all research articles since 1980. Already in the earlier years, they produced a large number of scientific articles. Other organizational forms also generate scientific knowledge (for an extensive description of the organizational form matrix, see table 4, pp. 222f.). Especially scientists in firms, government agencies, and hospitals publish articles in peer-reviewed journals in STEM+ (see figures 19 and 20; pp. 220, 246). Indeed, the universities have been the driving force of scientific productivity for more than a century. With their specific orientation to basic research and their linkage of research and teaching, they provide conditions that facilitate the production of science. Universities are among the oldest institutions with a high degree of institutionalization. All other organizational forms (academies, associations, infrastructures, laboratories, military, museums and non-university education) were identified in the dataset played only a minor role and were summarized in the category "further types". Fifth, the analysis of the ten most research-intensive single organizations in Germany in the year 2010 confirmed the results. Only universities and institutes were part of this group. A summary of publications of single institutes under their umbrella organizations shows that the institutes of the Max Planck Society and of the Helmholtz Association are the leading science producers in Germany, outpacing the scientific productivity of universities, but only when aggregating the contributions of dozens of individual institutes (see table 5, p. 259f). An analysis of single institutes shows that these research institutes cannot compete with universities, because of their size and the number of researchers. The Charite – Universitätsmedizin Berlin, a hybrid organization, is another leading science producer in Germany. National and international cooperation of scientific research Finally, increasing internationalization of research has impacted on national and international cooperation. leading to collaboratively-written publications in scientific journals. Through advancing globalization, national and international scientific cooperation increased in volume and importance. International cooperation in STEM+ is facilitated by the reputation of the research organization and of the co-authors, higher visibility within the scientific community and more possibilities for interdisciplinary research as well as better or more specialized facilities. Today, more than a third of all research articles worldwide are produced in scientific collaboration; only around a quarter are single-authored articles. In contrast to Humboldt's principle "in Einsamkeit und Freiheit" (in loneliness and freedom), research is no longer done by one scientist, but is much more likely the result of collaboration. Research networks are increasingly important, and researchers share their common interests on a research question, publishing their results in joint publications. Researchers, organizations, and indeed countries differ in the ways they organize their research and thus how they enable research and collaboration. This depends on location, size, higher education and science system, the organizational field and organizations. Here, varying patterns of scientific cooperation were presented, showing a massive increase in scientific collaboration in (inter)national co-authorships over time. Until the 1990s, researchers in all investigated countries (France, Germany, Great Britain, USA, Japan, China, Belgium, Luxembourg) published their research articles mainly as single-authored papers. Only since the 1990s have co- and multi-authored publications risen (considerably): In 2000, only a third of all publications were published by one author. In 2010, the proportion reached its lowest level with only one-fifth of all papers single-authored (see table 6, pp. 279f). Countries differ considerably in their amount of collaboratively-written research articles. 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Expansion, Vielfalt und Kooperation im deutschen Hochschul- und Wissenschaftssystem im globalen Kontext, 1900-2010" verspricht, dass sich dem Thema der Entwicklung wissenschaftlicher Produktivität in Deutschland aus verschiedenen Perspektiven (Analyseebenen, Dimensionen und Zeitrahmen) genähert werden soll. Eingebettet in das international vergleichende Forschungsprojekt Science Productivity, Higher Education, Research and Development, and the Knowledge Society (SPHERE) rückt meine Dissertation die Analyse des Einflusses der Hochschulentwicklung und der wissenschaftlichen Kapazitätsbildung auf die wissenschaftliche Wissensproduktion in den Vordergrund. Es interessiert mich, wie die im deutschen Hochschul- und Wissenschaftssystem vorherrschenden Strukturen und institutionellen Settings die langfristige Entwicklung wissenschaftlicher Produktivität beeinflusst und verändert haben. Besonders vor dem Hintergrund einer voranschreitenden Globalisierung und Internationalisierung der Wissenschaft, einer weltweiten Vernetzung von Wissenschaftlern und der Herausbildung einer Wissensgesellschaft. Die Annäherung an den Forschungsgegentand erfolgt auf der Makro- und Mesoebene: den institutionalisierten und organisationalen Settings, in denen Wissenschaft produziert wurde und wird. Da Informationen zu einzelnen Autoren nicht zur Verfügung standen, können keine Aussagen auf der Mikroebene getroffen werden, wenngleich Publikationen natürlich immer von Individuen verfasst werden und nicht von den hier untersuchten Ländern oder Organisationsformen und Einzelorganisationen. Anhand der Dimensionen Expansion, Vielfalt und Kooperation wird der Untersuchungsrahmen abgesteckt und eine Ordnung der Fragestellung vorgenommen, an denen die Struktur der Arbeit ausgerichtet ist. Der Zeitrahmen der Arbeit umfasst die Jahre 1900 bis 2010, also mehr als ein Jahrhundert (siehe Abschnitt 1.2). Ziel dieser Arbeit ist es darzulegen, warum Wissenschaftler ihre Ergebnisse in Form von Zeitschriftenartikeln publizieren. Es geht unter anderem darum, die Wichtigkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse hervorzuheben, da nicht publizierte Ergebnisse für die Wissenschaft nicht existieren und sich aus der Art und Weise, wie publiziert wird, die Organisation der Forschung innerhalb und übergreifend einer Disziplin oder eines Fachs ableiten lässt. In den in dieser Arbeit untersuchten Fächergruppen Mathematik, Ingenieur-, Natur- und Technikwissenschaften sowie Medizin (im Folgenden angelehnt an die englische Abkürzung STEM (Science, Technology, Engineering and Mathematics) plus Medicine als STEM+ bezeichnet) spielen Publikationen in peer reviewed Zeitschriften eine wichtige Rolle – neben Patenten in den angewandteren Fächergruppen sind sie heutzutage das wichtigste Publikationsformat. Sie dienen nicht nur der Dokumentation generierten Wissens, sondern sind auch ein Anzeiger für die Reputation eines Forschers und dienen der Messung wissenschaftlicher Produktivität. Zeitschriftenpublikationen in hochklassigen Zeitschriften, die einem peer review Verfahren unterliegen, können als gold standard zur Messung wissenschaftlicher Produktivität herangezogen werden. In den letzten Jahrzehnten kam es zu einer zunehmenden Verwissenschaftlichung vieler gesellschaftlichen Teilbereiche und die Generierung wissenschaftlichen Wissens rückte immer weiter ins Zentrum des politischen und wirtschaftlichen Interesses, unabhängig davon, wo es produziert wurde. Aus diesem Grund werden die Orte und institutionellen Settings (Organisationen, Organisationsformen) wissenschaftlicher Produktivität (hauptsächlich Universitäten, außeruniversitäre Forschungsinstitute, Unternehmen, Behörden und Ressortforschungseinrichtungen und Krankenhäuser) identifiziert und voneinander abgegrenzt. Indem ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede anhand ihrer Aufgaben und Ziele sowie der Art der Forschung diskutiert werden. In einem ersten Schritt lege ich dar, warum ich diese Arbeit an der Schnittstelle zwischen Hochschul- und Wissenschaftsforschung und der Bibliometrie angelegt habe (siehe Kapitel 2 und 5). Publikationsanalysen werden zwar immer noch als Hauptaufgabe der Bibliometrie gesehen, aber ihre Ergebnisse werden auch von anderen Akteuren wie Hochschulmanagern, Politikern und Wissenschaftlern genutzt, um einerseits Aussagen über die Qualität der Wissenschaft zu treffen, aber auch um sich miteinander zu vergleichen oder steuernd in die Struktur und Organisation einzugreifen und Aussagen über den Output des Hochschul- und Wissenschaftssystems zu treffen. Direkte Aussagen über die Qualität der Forschung auf Basis der Anzahl an Zeitschriftenartikeln, die ein Wissenschaftler publiziert, können nicht getroffen werden, es kann aber über die Qualität einer Zeitschrift (Impactfactor) ein Proxi gebildet werden, mit dessen Hilfe Vergleiche zwischen Disziplinen getroffen werden können. Um wissenschaftliche Produktivität zu messen, müssten ergänzende Parameter hinzugezogen werden. Aus diesem Grund werden in dieser Arbeit lediglich Aussagen über die Quantität wissenschaftlicher Produktivität getroffen, nicht aber über die Qualität der untersuchten Zeitschriftenartikel, die Forschungsleistung einzelner Wissenschaftler, Organisationen oder Organisationsformen und einzelner Länder. Nichtdestotrotz zeigen Indikatoren zur Messung wissenschaftlichen Outputs eine große Expansion wissenschaftlicher Produktivität, eine Stabilität der Universitäten im Zeitverlauf und die Wichtigkeit Deutschlands als Wissensschaftsproduzent sowie eine steigende Differenzierung und Diversifizierung der Organisationsformen. Zudem können die 1990er Jahre als Startpunkt steigender nationaler und internationaler Kooperationen gesehen werden. In Kapitel 2 zum multidisziplinären Kontext der Arbeit zeige ich, in welcher Beziehung sich die Hochschul- und Wissenschaftsforschung in Deutschland zueinander befinden. Wissenschaftliches Wissen nimmt eine Sonderstellung im Vergleich zu anderen Wissensformen ein, da es unter bestimmten Bedingungen, die von der wissenschaftlichen Gemeinschaft selbst bestimmt werden, generiert und verbreitet wird. Um einen Überblick über die wichtigsten Studien innerhalb meines Feldes zu bekommen, und um meine Arbeit in den empirischen Kontext zu rücken, beschreibe ich in Kapitel 3 dieser Arbeit den aktuellen Forschungsstand. Forschungsfragen Abschnitt 1.2 stellt einen detaillierten Überblick über die dieser Arbeit zugrunde liegenden Forschungsfragen bereit: Welche Organisationsformen produzieren Wissenschaft? 1. Wie hat sich die wissenschaftliche Produktivität weltweit und im europäischen Vergleich zwischen 1900 und 2010 entwickelt? 2. Wie war/ist das deutsche Hochschul- und Wissenschaftssystem in die globalen Entwicklungen der Hochschulbildung und Wissenschaft im Zeitverlauf eingebettet? 3. Wie hat sich die wissenschaftliche Produktivität in Deutschland zwischen 1900 und 2010 entwickelt? 4. Unter allen Wissenschaft produzierenden Organisationsformen, was tragen die "klassischen" Formen zur wissenschaftlichen Produktivität bei? 5. Welche Organisationsformen stellen die besten Bedingungen für wissenschaftliche Produktivität bereit? 6. Welche Einzelorganisationen gehören zu den forschungsstärksten in Deutschland? 7. Welchen Einfluss hat die zunehmende Internationalisierung der Forschung auf nationale und internationale Kooperationen in Form von Publikationen in Zeitschriftenartikeln? Theoretischer Rahmen Theoretisch (siehe Kapitel 4) basiert meine Arbeit auf einem neu-institutionellen (NI) Ansatz zur Untersuchung und Erklärung der Expansion des Hochschulwesens und der Wissenschaft weltweit. Trotz des allgemeinen Wachstums wissenschaftlicher Produktivität bestehen beträchtliche Unterschiede zwischen den institutionellen Settings, Organisationsformen und einzelner Organisationen, die maßgeblich zur wissenschaftlichen Produktivität beitragen. Der soziologische NI konzentriert sich auf das Verständnis von Institutionen und Organisationen. Institutionen sind ein wichtiger Baustein, um soziales Handeln und Prozesse der Gesellschaftsentwicklung zu verstehen. Organisationen und Institutionen stehen in einer wechselseitigen Beziehung zueinander. Die zentralen Annahmen des NI wurden von Walter Powell, Paul DiMaggio und Richard Scott formuliert. Meilensteine: der Zusammenhang von Organisation und Gesellschaft und die Annahme, dass formale Organisationsstrukturen Mythen zum Ausdruck bringen, die in ihrer gesellschaftlichen Umwelt institutionalisiert sind. Indem Organisationen diese Mythen erfassen, kopieren und zeremoniell zur Geltung bringen, werden Strukturähnlichkeiten (Isomorphien) zwischen Organisationen und der Gesellschaft hergestellt. Das Konzept der "organisationalen Felder" dient der Beschreibung der Beziehung zwischen verschiedenen Organisationen und beinhaltet alle relevanten Organisationen, die sich mit ihrer gesellschaftlichen Umwelt auseinander setzen. In Abschnitt 4.1.2 werden die Unterschiede zwischen den Begriffen Institutionen und Organisationen diskutiert, da diese besonders in der deutschsprachigen Soziologie nicht trennscharf genutzt werden. Grundsätzlich unterscheiden sich Ansätze institutioneller Theorie in ihrer Anwendungsebene, sie sind aber durch ihren Überbau miteinander verschränkt. Folglich ist der NI als theoretische Basis besonders gut geeignet, um eine Mehrebenenanalyse der wissenschaftlichen Produktivität zeit- und ortsübergreifend durchzuführen. Die historische Entwicklung des deutschen Hochschul- und Wissenschaftssystems kann nicht ohne eine Berücksichtigung der globalen Entwicklungen durchgeführt werden, da es einerseits einen enormen Einfluss auf die Entwicklung anderer Systeme weltweit hatte/hat und andererseits globale Entwicklungen die Institutionalisierung und Organisation der Wissenschaft in Deutschland beeinflussen. Intersektorale und internationale Kooperationen sind im Zeitverlauf angewachsen, werden immer wichtiger und führen zu ausgeprägten Netzwerken innerhalb und zwischen Hochschul- und Wissenschaftssystemen weltweit. Aufgrund einer zunehmenden Verzahnung einzelner Länder und den damit einhergehenden Wechselwirkungen zwischen den unterschiedlichen Analyseebenen (makro, meso, mikro) ist eine klassische, nationalstaatliche Analyse nicht mehr zielführend. Nichtsdestotrotz können Länder als vergleichbare Einheiten gesehen werden, da sie über klar definierte Grenzen und Strukturen verfügen. Die unterschiedlichen theoretischen Perspektiven und Analyseebenen werden in Abbildung 5 genauer beschrieben. Der theoretische Ansatz der "Weltkultur" bietet eine breitere Linse des soziologischen NI auf die globale Arena. Der Fokus liegt auf globalen und internationalen Strukturen und Prozessen, die sich über lange Zeit entwickelt haben. Mit Hilfe dieser Perspektive können globale Diffusion und formale Strukturen der Entkopplung von formalen Grundsätzen und praktischer Anwendung erklärt werden. Zusammen nehmen der historische und soziologische Institutionalismus zeitliche Entwicklungen und Prozesse in den Blick, die erklären, wie Institutionen entstehen und sich verändern. Die Konzepte critical junctures und Pfadabhängigkeit sollen helfen diese Prozesse auf der Mesoebene zu verstehen. Um die Transformation der Wissensproduktion im Zeitverlauf des 20. Jahrhunderts zu verstehen und um zu analysieren, welche Organisationsformen an der Produktion wissenschaftlichen Wissens beteiligt waren, werden zwei theoretische Konzepte herangezogen: Modus 1 versus Modus 2 Wissenschaft und das Triple-Helix Modell zur Beschreibung der Beziehung zwischen Wissenschaft, Industrie und Staat. In The New Production of Knowledge beschreiben Michael Gibbons und seine Kollegen den Wandel der Wissenschaft von einer akademischen, disziplinären und autonomen, traditionellen, Organisation der Wissenschaft (Modus 1) mit einem Schwerpunkt auf Universitäten als wichtigste Organisationsform, hin zu einer anwendungsorientierteren, transdisziplinären, diversen und reflexiven Organisation der Wissenschaft (Modus 2), die eine diversere Organisation der Wissenschaft unterstützt und auf einem breiteren organisationalen Setting der Wissensproduktion beruht. Innerhalb der Literatur wird diskutiert, ob das neue Modell das alte ersetzen soll und welches der Modelle die gegenwärtige Organisation der Wissenschaft am besten beschreibt. Im Gegensatz hierzu bleibt beim Triple-Helix Modell die historische Rolle der Universitäten erhalten. Der Ansatz geht davon aus, dass zukünftige Innovationen aus einer Beziehung von Universitäten (Wissensproduktion), Industrie (Generierung von Wohlstand) und dem Staat (Kontrolle) resultieren. Daten und Methoden In dieser Arbeit werden ausschließlich Publikationen in peer reviewed Zeitschriften als Kennzeichen wissenschaftlicher Produktivität herangezogen. Dieser Schwerpunkt ermöglicht mir eine tiefgreifende Analyse von Publikationen über einen Zeitraum von mehr als einem Jahrhundert. Zeitschriftenartikel in hochklassigen und möglichst internationalen Journalen bilden den gold standard wissenschaftlichen Outputs in den hier untersuchten Mathematik, Ingenieur-, Natur- und Technikwissenschaften sowie der Medizin (STEM+). Meine Daten basieren auf einem stratifizierten, repräsentativen Sample (siehe ausführlich Kapitel 6) publizierter Zeitschriften, die als Rohdaten aus Thomson Reuters Web of Science Science Citation Index Expanded (SCIE) zur Analyse zur Verfügung stehen (eine vergleichbare Datenbank stellt Elseviers Scopus bereit). Methodologisch wird eine Kombination aus einer vergleichenden institutionelle Analyse ausgewählter Länder, eine historische Untersuchung des deutschen Hochschul- und Wissenschaftssystems und eine systematische, globale Auswertung bibliometrischer Publikationsdaten angestrebt. Der SCIE umfasst mehr als 90 Millionen Einträge (gespeichert werden nahezu alle Typen wissenschaftlichen Outputs), hauptsächlich aus den oben genannten Fächergruppen. Diese Arbeit beschränkt sich auf originale Zeitschriftenartikel (Originalmitteilungen), da lediglich dieser Publikationstyp zertifiziertes und neues Wissen enthält. Der SPHERE Datensatz umfasst publizierte Zeitschriftenartikel aus den Jahren 1900 bis 2010. Von 1900 bis 1970 wurden die Daten in 5-Jahres-Schritten mittels einer geschichteten Zufallsstichprobe ausgewählt. Ab 1975 stehen die Daten vollständig und ab 1980 in Jahresschritten zur Verfügung. Abhängig von der untersuchten Fragestellung werden die Daten in 5-Jahres- oder 10-Jahres-Schritten analysiert. Eine detaillierte Beschreibung des Samplings und der Gewichtung der Daten kann den Abschnitten 6.2.2 und 6.8 entnommen werden. Unter Berücksichtigung dieser Kriterien werden 17.568 unterschiedliche Zeitschriften (42.963 Zeitschriften, wenn dieselbe Zeitschrift in unterschiedlichen Jahren mehrfach berücksichtigt wird) und 5.089.233 Forschungsartikel untersucht. Um die Daten für die Analyse aufzubereiten muss eine intensive Vorarbeit geleistet werden. Sie werden umfassend (nach-)kodiert und bereinigt. Besonders häufig sind Fehler oder fehlende Informationen auf Ebene der Länder und/oder der Organisationen/Organisationsformen, in denen die Forschung betrieben wurde. Im Zeitraum von Juni 2013 bis Dezember 2015 habe ich die Originalzeitschriften und -artikel in Online-Zeitschriftendatenbanken oder Archiven verschiedener Universitätsbibliotheken eingesehen, begutachtet und mit Hilfe einer Excel-Tabelle katalogisiert und fehlende Informationen, wenn vorhanden, ergänzt. In der Bibliometrie werden verschiedene Vorgehensweisen diskutiert, wie Publikationen gezählt werden können. Die Analysen dieser Arbeit basieren hauptsächlich auf der whole count Methode (siehe Tabelle 1). Die Entscheidung basiert auf der Annahme, dass jeder Autor, jede Organisation, oder jedes Land gleichermaßen zu einer Publikation beigetragen hat. Folglich kann es zu einer Verzerrung bzw. Überschätzung der Ergebnisse kommen, da Zeitschriftenartikel mehrfach gezählt werden, wenn sie in Form von Forschungskooperationen publiziert wurden. Um die absolute Anzahl an Publikationen (weltweit, Europa, Deutschland) zu ermitteln, wird die Gesamtzahl an Artikeln pro Jahr (ohne Duplikate) berechnet. Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse Der empirische Teil meiner Arbeit ist in drei Teile untergliedert. Die folgenden Abschnitte fassen die jeweils wichtigsten Ergebnisse zusammen. The Global Picture – Hochschul- und Wissenschaftssysteme im Vergleich Im Mittelpunkt meiner Dissertation steht die Frage, welche Organisationsformen Wissenschaft produzieren. Um die Ergebnisse der detaillierten Fallstudie einordnen und bewerten zu können, erfolgt zunächst eine Einbettung in den globalen und europäischen Kontext. Die forschungsleitenden Fragen, wie hat sich die wissenschaftliche Produktivität weltweit und im europäischen Vergleich zwischen 1900 und 2010 entwickelt und wie war/ist das deutsche Hochschul- und Wissenschaftssystem in die globalen Entwicklungen der Hochschulbildung und Wissenschaft im zeitverlauf eingebettet, wird folgendermaßen beantwortet: In einem ersten Schritt wird gezeigt, dass das weltweite wissenschaftliche Wachstum zwischen 1900 und 2010 exponentiell verlief und dieser Trend vermutlich bis heute anhält (siehe Abbildungen 3 und 10, S. 50, 147). Die massive Ausdehnung wissenschaftlichen Wissens hatte und hat auch heute noch einen großen Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen, die nicht auf den wirtschaftlichen und technischen Fortschritt beschränkt sind. Ich werde darstellen, dass Hochschul- und Wissenschaftssysteme weltweite Gemeinsamkeiten aufweisen, die zu einer ähnlichen Entwicklung und Ausweitung wissenschaftlicher Produktivität geführt haben. Im Vergleich wichtiger europäischer Länder (Deutschland im Vergleich mit Großbritannien, Frankreich, Belgien und Luxemburg), kann gezeigt werden, dass zwischen der weltweiten Ausweitung der Wissenschaft, dem Anstieg an Publikationen und der Expansion von modernen Forschungsuniversitäten ein Zusammenhang besteht (siehe Abschnitt 7.2; Powell, Dusdal 2016, 2017a; 2017b im Druck). So wurde ein globales Feld der Wissenschaft aufgespannt, das als übergeordneter Rahmen fungiert. Drei geografische Zentren wissenschaftlicher Produktivität werden im Zeitverlauf identifiziert: Europa, Nordamerika und Asien. Sie haben zu unterschiedlichen Zeitpunkten an Bedeutung gewonnen oder verloren, doch zum heutigen Zeitpunkt tragen sie alle zur wissenschaftlichen Produktivität in den untersuchten Fächergruppen bei. Allerdings sind besonders in Asien die Wachstumsraten massiv angestiegen (Powell et al 2017 im Druck). Zweitens investieren alle Länder weltweit in Forschung und Entwicklung (FuE) (siehe Abbildung 9, S. 140). Diese Investitionen haben einen Einfluss auf ihre wissenschaftliche Produktivität. Zwischen einzelnen Ländern sind zum Teil große Unterschiede in der absoluten Publikationszahl und der relativen wissenschaftlichen Produktivität feststellbar. Nicht nur Investitionen in FuE tragen zur Expansion der Wissenschaft bei, sondern auch die Anmeldung von Patenten, höhere Studierendenzahlen, eine gestiegene Anzahl an Forschern, die Ausweitung von Forschungsaktivitäten in viele gesellschaftliche Teilbereiche, die Entwicklung von Forschungsprodukten und Neugründungen von Universitäten (Powell, Baker, Fernandez 2017 im Druck). Im Zuge der Hochschulexpansion und der Massifizierung der Hochschulbildung in den 1960er und 70er Jahren sind besonders die Studierendenzahlen und die Anzahl der Wissenschaftler extrem angestiegen. Es kam also zur Ausweitung des kompletten Hochschul- und Wissenschaftssystems und nicht nur zu einer Erhöhung der Anzahl an Publikationen. Im Umkehrschluss kann ein Teil des Anstiegs wissenschaftlicher Publikationen auf eine steigende Anzahl an Wissenschaftlern zurückgeführt werden. Drittens kann die von Derek J. de Solla Price aufgestellte These, dass das exponentielle Wachstum wissenschaftlicher Literatur irgendwann abflachen müsse, wiederlegt werden (siehe Abschnitt 2.4; Abbildungen 4 und 10, S. 53, 147). Obwohl einschneidende historische, politische, wirtschaftliche und technologische Ereignisse sowie Ereignisse bezogen auf die Hochschulen und Wissenschaft (siehe Abbildung 11, S. 150) kurzfristig zu einer Verringerung der Publikationszahlen geführt haben, wurde die Wachstumskurve nicht nachhaltig beeinflusst. Im Jahr 2010 wurden weltweit fast eine Million Zeitschriftenartikel in den Natur- und Technikwissenschaften sowie der Medizin publiziert. In Abschnitt 7.2.2 zeige ich, dass die Anzahl der publizierten Zeitschriftenartikel im Verhältnis zu den Ausgaben für FuE, der Größe der Hochschul- und Wissenschaftssysteme und der Anzahl der Einwohner (siehe Abbildung 12, S. 159) und Wissenschaftler (siehe Tabelle 3, S. 162; Abbildung 13, S. 164) relativiert werden müssen. Die anfängliche extreme Expansion der wissenschaftlichen Publikationen in den Mathematik, Ingenieur-, Natur- und Technikwissenschaften sowie der Medizin basiert auf einem allgemeinen Wachstum der Hochschul- und Wissenschaftssysteme (siehe oben). Unterschiedliche institutionelle Settings und Organisationsformen, in denen Wissenschaft produziert wird, haben einen Einfluss auf die wissenschaftliche Produktivität. Anhand der ausgewählten Fallbeispiele (Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Belgien und Luxemburg) werde ich darlegen, dass Hochschul- und Wissenschaftssysteme, die über forschungsstarke Universitäten verfügen, höchst produktiv sind. Es kommt also nicht nur darauf an, wie viele Wissenschaftler innerhalb eines Systems beschäftigt werden, sondern auch darauf, in welchen institutionellen Settings sie arbeiten. Fünftens, im internationalen Vergleich trägt Deutschland immer noch erheblich zur wissenschaftlichen Produktivität in den untersuchten Fächern bei. Mit einer Wachstumsrate von 3,35% Prozent folgt Deutschland den USA und Japan. Im Jahr 2014 wurden in Deutschland 84,5 Mrd./€ für FuE von der Regierung bereitgestellt. Dies entspricht einem Anteil von 2,9 Prozent des BIP. Somit wurde der EU-Richtwert von 2020 von 3 Prozent lediglich knapp verfehlt. Im Jahr 2010 wurden in Deutschland insgesamt 55.009 Zeitschriftenartikel in den STEM+-Fächern publiziert (siehe Tabelle A5 im Anhang). Im Vergleich der absoluten Zahlen mit Großbritannien, Frankreich, Belgien und Luxemburg nimmt das Land die Spitzenposition ein. Die Größe des Hochschul- und Wissenschaftssystems hat somit einen Einfluss auf die Publikationsleistung. Werden die Zahlen in einem nächsten Schritt mit anderen Schlüsselindikatoren in Beziehung gesetzt, verändert sich die Leistung der miteinander verglichenen Systeme zum Teil erheblich. Gemessen an der Einwohnerzahl werden in Deutschland weniger Zeitschriftenartikel publiziert als in Belgien oder Großbritannien. Die Anzahl der beschäftigten Wissenschaftler betrug in Deutschland im selben Jahr 1000:4. Nur in Luxemburg und Großbritannien ist das Verhältnis von Wissenschaftlern zur Einwohnerzahl größer. Das Zusammenspiel der Organisationsformen der Wissenschaft in Deutschland von 1900 bis 2010 Auf Basis der Analysen zum globalen und europäischen Kontext der Entwicklung wissenschaftlicher Produktivität im Zeitverlauf (siehe Kapitel 7) folgt eine tiefgreifende, institutionelle Analyse des deutschen Hochschul- und Wissenschaftssystems (siehe Kapitel 8). Sie dient als Ein- und Überleitung zur detaillierten empirischen Auswertung der Daten zum deutschen Hochschul- und Wissenschaftssystem. Hier werden die wichtigsten Institutionen und Organisationen sowie das organisationale Feld der Wissenschaft (Universitäten, Fachhochschulen, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen) vorgestellt. Zudem diskutiere ich die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland zur Zeit des geteilten Deutschlands (1945-1990). Eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse zeigt, dass die Entwicklung der Publikationszahlen in Deutschland dem weltweiten und europäischen Trend (im kleineren Umfang) folgt (siehe Abbildung 16, S. 208). Es kam sowohl zu einer Expansion des wissenschaftlichen Wissens in Form eines exponentiellen Anstiegs an Publikationen, als auch zu einer Erhöhung der Vielfalt wissenschaftlicher Produktivität im Zeitverlauf (siehe Abschnitte 9.1 und 9.3). Die folgenden vier Forschungsfragen werden beantwortet: Wie hat sich die wissenschaftliche Produktivität in Deutschland zwischen 1900 und 2010 entwickelt? Unter allen Wissenschaft produzierenden Organisationsformen, was tragen die "klassischen" Formen zur wissenschaftlichen Produktivität bei? Welche Organisationsformen stellen die besten Bedingungen für wissenschaftliche Produktivität bereit? Welche Einzelorganisationen gehören zu den forschungsstärksten in Deutschland? Wie oben beschrieben, verläuft das Wachstum wissenschaftlicher Produktivität in Deutschland zwischen den Jahren 1900 und 2010 exponentiell. Die Kurve ist vergleichbar mit der weltweiten und europäischen Entwicklung, wenn auch in kleinerem Umfang. Zwar hatten auch hier verschiedene Ereignisse, wie der Zweite Weltkrieg, die Weltwirtschaftskrise oder die Wiedervereinigung, einen kurzfristigen Einfluss, allerdings kam es zu keiner Verlangsamung oder Abflachung des Wachstums (siehe Abbildung 11, S. 150). Bis ins Jahr 2010 wuchs die Anzahl der publizierten Zeitschriftenartikel in Deutschland auf 55.009 an. Zweitens, zeigt eine detaillierte Betrachtung der wissenschaftlichen Produktivität Westdeutschlands im Vergleich zu Ostdeutschland, dass der Anstieg der gesamtdeutschen Publikationszahlen auf einem Anstieg der Zahlen in Westdeutschland basiert (siehe Abbildung 17, S. 211). Zwischen 1950 und 1990 verlief die Kurve der wissenschaftlichen Produktivität in der DDR flach und auf einem niedrigen Niveau. Hieraus kann geschlossen werden, dass das Hochschul- und Wissenschaftssystem der DDR, aufbauend auf seinem Akademiemodell, keine guten Bedingungen für wissenschaftliche Forschung bereitgestellt hat. Drittens, zeigt die detaillierte Analyse der "klassischen" Organisationsformen der Wissenschaft, Universitäten und außeruniversitäre Forschungsinstitute, dass Universitäten im Zeitraum von 1975 bis 2010 in den STEM+-Fächern die Hauptproduzenten wissenschaftlicher Zeitschriftenartikel waren und sind (siehe Abbildung 18, S. 217). Im Untersuchungszeitraum beträgt der prozentuale Anteil der universitätsbasierten Forschung im Mittel 60 Prozent. Somit verteidigen sie ihren Status als wichtigste Organisationsform gegenüber anderen. Die Modus 2 Hypothese, dass es im Zeitverlauf zu einem Absinken des prozentualen Anteils der Universitäten kommen muss, wird verworfen. Der Anteil der Nicht-Universitäten liegt hingegen im Durchschnitt bei 40 Prozent. Obwohl die Richtigkeit der folgenden Aussage nicht empirisch überprüft werden kann, wird davon ausgegangen, dass es sich tatsächlich sogar um einen Anstieg wissenschaftlicher Produktivität der Universitäten im Zeitverlauf handelt. Unter Berücksichtigung einer Verschiebung der zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel für FuE zugunsten der außeruniversitären Forschungsinstitute haben die Universitäten im Zeitverlauf mit weniger Forschungsgeldern immer mehr wissenschaftliche Zeitschriftenartikel publiziert. Viertens, obwohl nicht nur Wissenschaftler innerhalb von Universitäten und Forschungsinstituten Zeitschriftenartikel veröffentlichen, haben diese beiden Organisationsformen zusammen mehr als drei Viertel aller Publikationen seit den 1980er Jahren verfasst. Aber auch schon in den Jahren zuvor ist ihr gemeinsamer Anteil sehr hoch. Zu den wichtigsten Wissenschaftsproduzenten gehören neben ihnen die (Industrie-)Unternehmen, Behörden und Ressortforschungseinrichtungen und Krankenhäuser (für eine ausführliche Beschreibung der Matrix der Organisationsformen siehe Tabelle 4, S. 222f und Abbildungen 19 und 20, S. 220, 246). Dennoch sind die Universitäten die treibende Kraft wissenschaftlicher Produktivität seit mehr als einem Jahrhundert. Mit ihrer speziellen Ausrichtung auf Grundlagenforschung stellen sie die besten Bedingungen für wissenschaftliche Forschung bereit und gehören zu den ältesten Institutionen mit einem hohen Institutionalisierungsgrad. Universitäten sind widerstandsfähig gegenüber Veränderungen und critical junctures haben keinen negativen Einfluss auf ihre wissenschaftliche Produktivität. Alle anderen im Datensatz gefundenen oder aus der Theorie abgeleiteten Organisationsformen (Akademien, Vereine/Gesellschaften, wissenschaftliche Infrastrukturen, Laboratorien, Militär, Museen und nichtuniversitäre Bildungseinrichtungen) spielen nur eine untergeordnete Rolle und wurden in der Gruppe "sonstige" Organisationsformen zusammengefasst. Fünftens, eine Auswertung der zehn forschungsstärksten Einzelorganisationen Deutschlands im Jahr 2010 bestätigt die oben beschriebenen Ergebnisse, da lediglich Universitäten und außeruniversitäre Forschungsinstitute dieser Spitzengruppe zugehören. Eine Zusammenfassung der Publikationen der Institute unter ihrer Dachorganisation zeigt, dass die Institute der Max-Planck-Gesellschaft und der Helmholtz-Gemeinschaft maßgeblich zur Produktion wissenschaftlichen Wissens in Deutschland beitragen. Sie übertreffen zusammengezählt die Publikationstätigkeit einzelner Universitäten bei weitem (siehe Tabelle 5, S. 259f). Eine Einzelauswertung der Institute zeigt aber auch, dass sie allgemein genommen, aufgrund ihrer Größe und der Anzahl der Wissenschaftler, nicht mit den Universitäten konkurrieren können. Zudem gehört die hybride Organisation, die Charité – Universitätsmedizin Berlin zu den führenden zehn Wissenschaftsproduzenten im deutschen Hochschul- und Wissenschaftssystem. Nationale und internationale Kooperationen wissenschaftlicher Forschung Im letzten empirischen Kapitel der Arbeit wird auf der Makroebene die Frage beantwortet, welchen Einfluss die zunehmende Internationalisierung der Forschung auf nationale und internationale Kooperationen in Form von Publikationen in wissenschaftlichen Zeitschriften hat. Durch die voranschreitende Globalisierung und Internationalisierung haben nationale und internationale Kooperationen stark zugenommen. Zu den wichtigsten Gründen für (internationale) Kooperationen in den Mathematik, Ingenieur-, Natur- und Technikwissenschaften sowie der Medizin zählen unter anderen die Reputation der Forschungsorganisation und der Mitautoren, eine höhere Sichtbarkeit innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft, mehr Möglichkeiten für interdisziplinäre Forschung oder auch eine bessere Ausstattung der Labore. Heute sind bereits ein Drittel aller Forschungsartikel weltweit das Ergebnis wissenschaftlicher Kooperationen und lediglich ein Viertel wird von einem Autoren verfasst. Übertragen auf die Organisation der Forschung bedeutet der von Humboldt geprägte Leitsatz "in Einsamkeit und Freiheit", dass wissenschaftliche Forschung nicht mehr in alleiniger Verantwortung eines Wissenschaftlers durchgeführt wird, sondern das Ergebnis von Kooperationen ist. Netzwerke werden immer wichtiger, um gemeinsame Interessen zu teilen, an einer Fragestellung zu arbeiten sowie die aus der Forschung gewonnenen Erkenntnisse gemeinsam zu publizieren. Wissenschaftler, Organisationen und Länder unterscheiden sich dahingehend, wie sie ihre Forschung organisieren und folglich auch darin, wie sie ihre wissenschaftliche Zusammenarbeit gestalten. Diese Wege sind abhängig von der geografischen Lage und Größe des Hochschul- und Wissenschaftssystems, dem organisationalen Feld und den Einzelorganisationen. In dieser Arbeit werden unterschiedliche Muster wissenschaftlicher Zusammenarbeit präsentiert. Die Ergebnisse zeigen einen massiven Anstieg wissenschaftlicher Kooperationen in Form von gemeinsamen Publikationen im Zeitverlauf. Bis in die 1990er Jahre hinein publizierten die Wissenschaftler in den hier untersuchten Länder (Frankreich, Deutschland, Großbritannien, USA, Japan, China, Belgien und Luxemburg) hauptsächlich in Alleinautorenschaft. Erst danach kam es zu einem Anstieg an Kooperationen: Im Jahr 2000 wurden lediglich 37 Prozent aller Artikel von einem Autor verfasst. Im Jahr 2010 erreichte der Anteil einen Tiefststand von lediglich einem Fünftel Alleinautorenschaften (siehe Tabelle 6, S. 279f). Allerdings unterschieden sich die Länder hinsichtlich ihres Anteils an Ko-Autorenschaften zum Teil deutlich voneinander. Literatur Powell, J. J. W. & Dusdal, J. (2016). Europe's Center of Science: Science Productivity in Belgium, France, Germany, and Luxembourg. EuropeNow, 1(1). http://www.europenowjournal.org/2016/11/30/europes-center-of-science-science-productivity-in-belgium-france-germany-and-luxembourg/. Zugriff: 13.12.2016. Powell, J. J. W. & Dusdal, J. (2017a): Measuring Research Organizations' Contributions to Science Productivity in Science, Technology, Engineering and Math in Germany, France, Belgium, and Luxembourg. Minerva, (). Online first. DOI:10.1007/s11024-017-9327-z. Powell, J. J. W. & Dusdal, J. (2017b im Druck). The European Center of Science Productivity: Research Universities and Institutes in France, Germany, and the United Kingdom. IN Powell, J. J. W., Baker, D. P. & Fernandez, F. (Hg.) The Century of Science: The Worldwide Triumph of the Research University, International Perspectives on Education and Society Series. Bingley, UK, Emerald Publishing. Powell, J. J. W., Baker, D. P. & Fernandez, F. (2017, im Druck). The Century of Science: The Worldwide Triumph of the Research University, International Perspectives on Education and Society Series. Bingley, UK, Emerald Publishing. Powell, J. J. W., Fernandez, F., Crist, J. T., Dusdal, J., Zhang, L. & Baker, D. P. (2017, im Druck). The Worldwide Triumph of the Research University and Globalizing Science. IN Powell, J. W., Baker, D. P. & Fernandez, F. (Hg.) The Century of Science: The Worldwide Triumph of the Research University, International Perspectives on Education and Society Series. Bingley, UK, Emerald Publishing.