Die Kurden: ein Volk auf der Suche nach seiner Identität
In: Aus Politik und Zeitgeschichte: APuZ, Heft B 30/31, S. 21-30
ISSN: 0479-611X
"Die Kurden als drittgrößtes und ältestes Volk im Nahen Osten haben es über drei Jahrtausende hinweg nie zu einem anerkannten eigenen Staat gebracht. Die über 20 Millionen Kurden sind heute auf fünf Staaten verstreut und genießen den traurigen Ruhm eines von ständigen Verfolgungen bedrohten Volkes. Denn die jeweiligen Regierungen dieser Länder bestreiten die kulturelle und nationale Eigenständigkeit dieses Volkes, ganz zu schweigen von den immer wieder umkämpften autonomen Rechten. Leitfaden der Geschichte dieses Volkes ist das ständige und oft erfolglose Ringen um die eigenständige kurdische Identität und Nationalität - nicht zuletzt behindert durch die in der kurdischen Stammesgesellschaft herrschenden Rivalitäten der Stammesführer. Über eine Kette von Aufständen, die von den Feldzügen Alexanders des Großen über die Siegeszüge des Islams, der Seldschuken, Osmanen, Perser, Jungtürken bis zu den britischen Kolonialherren Anfang des 20. Jahrhunderts reichen, widersetzten sie sich einer Fremdherrschaft, ließen sich aber gleichzeitig von den jeweiligen Herrschern für deren Zwecke ausnutzen. Als das Osmanische Reich, dem der größte Teil des kurdischen Gebietes angegliedert war, nach dem Ersten Weltkrieg von den westlichen Alliierten neu aufgeteilt wurde, verpaßten die Kurden die wohl günstigste Gelegenheit zur Schaffung eines eigenen Staates. Obwohl ihnen dieser schon prinzipiell zugestanden war, verhinderte das Erstarken des türkischen Nationalstaates unter Kemal Pasha sowie die geschwächte Streitkraft der Alliierten nach dem Ersten Weltkrieg eine Verwirklichung dieses Planes. Vielmehr wurde de facto die kurdische Diaspora besiegelt. In unzähligen Rebellionswellen widersetzten sich die Kurden dem Schicksal eines von den Mächten des Nahen Ostens zerriebenen Volkes - mit dem Ergebnis, daß das einst die Wiege der Menschheit bildende Volk der Kurden heute existentiell bedroht ist." (Autorenreferat)