Die Forschung zu Einzeltätern setzte sich bisher insbesondere mit der Radikalisierung der Täter auseinander und wies in den letzten Jahren auf eine gestiegene Relevanz sozialer Medien hin. Die Anschläge selbst bleiben bis heute fast gänzlich unerforscht. Der vorliegende Beitrag widmet sich dieser Forschungslücke und untersucht den Anschlag auf die Synagoge in Halle aus mikrosoziologischer Perspektive. Mit einer detaillierten Analyse des Geschehens wird gezeigt, wie sich der Täter mit einem abwesenden Publikum in Beziehung setzt und wie dies den Verlauf des Anschlags beeinflusst. Die These ist, dass die Beziehung zwischen Täter und abwesendem Publikum einen Wendepunkt einleitet, infolgedessen sich der Täter von der Synagoge abwendet und an einem anderen Ort neue Opfer sucht. Online-Vergemeinschaftung kann, so das zentrale Ergebnis der Studie, auch für den situativen Verlauf von Anschlägen relevant sein. Jenseits der Einzeltäterforschung können mikrosoziologische Analysen auch für die Erforschung rechter Gewalt vielversprechend sein, denn auch hier wurden bisher nur vereinzelt die Gewaltsituationen untersucht.
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Philip spricht mit Peter Altmaier, Chef des Kanzleramts und engster Vertrauter von Angela Merkel, unter anderem über seinen Alltag, den Bundestrojaner, Geheimdienst-Kontrolle, Flüchtlinge und das CDU-Wahlprogramm.
Zu Beginn der Folge erklären wir aber noch mal unsere Idee mit diesen Interviews. Hier ein grobes Transkript von, dem was Philip sagt:
Wir hatten das letzte Sommerinterview ja zur Hälfte für alle rein gestellt und und das komplette Gespräch für Plus-Abonnenten. Das Feedback dazu war sehr gemischt. Einige fanden das völlig ok, nachvollziehbar und fair, andere von Euch waren aber ziemlich sauer und vor den Kopf gestoßen - zu Recht.
Wir haben uns zu diesen Sommerinterviews schon einiges überlegt, aber wir haben das maximal schlecht bis gar nicht erklärt und das tut uns wirklich leid.
Deswegen hier noch mal unsere Idee: Die "Lage der Nation" als wöchentlicher Rückblick auf das politische Gesehen wird komplett und für alle frei zugänglich bleiben - finanziert durch Spenden, Abos und demnächst ein bisschen Werbung.
Wir haben natürlich überlegt, was wir Abonnenten anbieten können, das über die wöchentliche Lage hinausgeht. Da gab es bisher manchmal ein bisschen Pre-Post-Show Geplänkel, den Livestream und demnächst kommt hinzu, dass ihr mit dem Abo die Werbung los seid, wenn sie Euch denn wirklich so nerven sollte.
Wir haben bei Einführung des Abos auch gesagt, dass wir überlegen, für Abonnenten auch mal Bonus-Inhalte anzubieten, die die wöchentliche Lage-Analyse ergänzen - zum Beispiel längere Interviews. Und als die Idee mit diesen drei Sommerinterviews aufkam, dachten wir, das ist doch mal eine gute Gelegenheit auszuprobieren.
Diese Sommer-Interviews sind also ein kleines Experiment: Wie können wir das mit den Bonus-Inhalten so gestalten, dass Hörer der wöchentlichen Lage sich nicht für blöd verkauft fühlen, sich vielleicht über zusätzliche Infos freuen und es aber auch okay finden, dass Abonnenten vielleicht noch ein bisschen mehr zu hören bekommen? Am Ende dieses kleinen Experiments nach der Sommerpause werden wir das dann auswerten: Wie war das für uns? Wie war das für Euch? Vielleicht machen wir eine kleine Umfrage. Und dann schauen wir, ob und wenn ja wie wir das in Zukunft weiter machen mit den Bonus-Inhalten.
Phase 1 dieses Experiments habt ihr letzte Woche gehört. In dem heutigen Interview, Phase 2, versuchen wir, Eure Kritik am letzten Interview zu berücksichtigen und ein paar Sachen besser machen: Wir versuchen, unser Konzept besser zu erklären und wir stellen nicht nur die Hälfte des Interviews für alle rein, sondern rund 38 Minuten und Abonnenten bekommen nur noch gut 10 Minuten mehr.
Das dritte und letzte Sommerinterview kommt dann demnächst. Viel hängt natürlich vom Eurem Feedback ab jetzt, aber der Plan ist, das letzte Interview komplett für alle reinzustellen. Viele von Euch haben ja auch angeregt, die kompletten Interviews mit Zeitverzug für alle rein zu stellen. Auch klingt nach einer guten Idee, da können sich ja mal die Plus-Abonnenten zu äußern.
Wir versuchen Eure Wir hoffen, dass unsere Idee jetzt etwas klarer wird und sind gespannt auf Euer Feedback.
Viel Spaß mit Peter Altmaier!
Schickt uns auch weiter Fotos von dem, was Ihr seht, wenn Ihr die Lage hört:
team (AT) lagedernation.org
Zu sehen sind die Bilder im Fotoalbum bzw. auf unserer LageKarte.
Philip und Ulf
Hausmitteilung
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Revolte gegen den Chaos-Brexit (Süddeutsche.de) Brexit: Theresa May bietet Abstimmung über Brexit-Aufschub an (m.spiegel.de)Labour to table amendment to make its credible alternative plan theUK's Brexit negotiating position (The Labour Party)Labour-Plan für Brexit-Referendum: Jeremy Corbyn und das taktische Manöver (m.spiegel.de) EU-Austritt Großbritanniens: Bloß kein zweites Referendum! (SPIEGEL ONLINE) Ein zweites Referendum würde die Gräben nur vertiefen (Süddeutsche.de) Von Anträgen und Aufschüben (Süddeutsche.de)
Niedriglohn-Sektor und Lohnquote
Der Niedriglohnsektor ist die größte Schwachstelle des Sozialstaats (DER SPIEGEL) Der Chefökonom: Die sinkende Lohnquote ist der blinde Fleck im Sozialstaat (handelsblatt.com) Folgen der Alterung: Bald 100 Milliarden Euro Steuerzuschuss für die Rente (FAZ.NET)
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Urteil des Bundesfinanzhofs: Attac ist nicht gemeinnützig (tagesschau.de) Attac-Kommentar: Parteien in Camouflage (FAZ.NET) Sven Giegold(twitter) Zu sehr Partei (Süddeutsche.de)Von Attac bis Pegida (Süddeutsche.de) "Die Politik will unliebsame Organisationen kleinhalten" (Süddeutsche.de) Bundesfinanzhof-Entscheidung: Attac verliert Status der Gemeinnützigkeit (FAZ.NET) DWT im Profil (dwt-sgw.de) Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft(lobbypedia.de)Die Ziele der Stiftung Familienunternehmen (familienunternehmen.de) § 52 AO - Einzelnorm (gesetze-im-internet.de)
Missbrauch-Konferenz der Katholische Kirche
"Missbrauch ist monströs" (Süddeutsche.de) Missbrauchsstudie der katholischen Kirche: "Als ob Dracula eine Blutbank erforscht" (m.spiegel.de)
Kindermissbrauchs-Verurteilung
Zum Schweigen verurteilt (Süddeutsche.de)
BGH zum Dieselskandal
BGH bewertet illegale Abschalteinrichtung als Mangel (m.heise.de) Trotz Last-Minute-Vergleich - BGH stärkt Rechte der VW-Kunden im Dieselskandal (WILDE BEUGER SOLMECKE Rechtsanwälte) Dieselskandal: Bundesgerichtshof stärkt Rechte von VW-Kunden (SPIEGEL ONLINE)Abgasskandal: Was der Beschluss des Bundesgerichtshofs für VW-Kunden bedeutet (SPIEGEL ONLINE) Beschluss des VIII. Zivilsenats vom 8.1.2019 - VIII ZR 225/17 - (juris.bundesgerichtshof.de) Der Bundesgerichtshof - Presse : Pressemitteilungen - Aufhebung des Verhandlungstermins vom 27. Februar 2019 – VIII ZR 225/17 (zur Frage des Anspruchs des Käufers eines mangelhaften Neufahrzeugs auf Ersatzlieferung bei einem Modellwechsel) (bundesgerichtshof.de)
Atommächte Pakistan und Indien
Lasst Indien und Pakistan nicht allein (Süddeutsche.de) Kaschmir (Wikipedia) Indien bombardiert pakistanischen Teil Kaschmirs (Süddeutsche.de) Hannes B. Mosler (geschkult.fu-berlin.de)
Gescheiterte Koreagipfel
Bitte nicht mit echter Politik verwechseln (Süddeutsche.de)
Trump und Cohen
Testimony of Michael D. Cohen Committee on Oversight and Reform U.S. House of Representatives (The New York Times) Cohen: "Trump ist ein Betrüger" (Süddeutsche.de)Lügen ohne Folgen (Süddeutsche.de) See Trump's Checks to Michael Cohen and Other Documents (The New York Times)
Urheberrechts-Richtline
Urheberrechtsreform: Digitalverbände rufen EU-Parlamentarier zum Widerstand gegen Upload-Filter auf (handelsblatt.com) Internetauftritt des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit - zu den Pressemitteilungen - Reform des Urheberrechts birgt auch datenschutzrechtliche Risiken (bfdi.bund.de) Bundesdatenschutzbeauftragter warnt vor Uploadfiltern (netzpolitik.org) Uploadfilter as a Service: Kelber warnt vor "erheblichen Problemen" für den Datenschutz (Golem.de) Streit über Artikel 13: Wer braucht schon Argumente?(m.spiegel.de)
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The author investigates the impact of COVID‑19 and macro-policy adjustment on China's economic development. The aim is to describe the situation and trend of China's economic development before and after COVID‑19. The research method is the comparative data analysis. The study shows that in response to COVID‑19, the Chinese government, on the one hand, has accelerated its opening-up, taken the opportunity of fighting against the pandemic to provide medical assistance to and cooperate with other countries, and actively promoted the building of a community with a shared future for mankind and the process of globalization. On the basis of the Belt and Road Initiative and multilateral, regional, and subregional cooperation mechanisms such as the United Nations, Shanghai Cooperation Organization, BRICS (Brazil, Russia, India, China, South Africa), G20 (Group of 20), and APEC (Asia-Pacific Economic Cooperation), China and the Eurasian Economic Union began to cooperate more frequently and the trade relations between Japan, South Korea, and European developed countries became closer. Meanwhile, committed to building a global interconnection partnership, China actively participates in global economic governance and provides various public products. The Chinese government has proposed "Six Guarantees" on the basis of "Six Stability". In order to achieve the purpose of stabilizing foreign trade and expanding imports, China has imposed various measures to accelerate the liberalization and facilitation of international trade and investment, such as implementing the new version of the "Foreign Investment Law", establishing free trade zones, and promoting its experience and organizing international import expositions. Additionally, the Chinese government also implemented targeted fiscal and monetary policies, increased support for enterprises, especially small and medium-sized enterprises, and promoted the construction of "new infrastructure" and innovation of business model, which have formed the driving forces for the transformation of the economic development model in China from traditional business to cloud business, from traditional marketing to live streaming marketing, from traditional sales to online sales. The author concluded thatChina's adjustment of macro policies in response to COVID‑19 was effective and played an important role in the resumption of production and life, stabilizing foreign trade activities, releasing domestic demand and promoting stable and sustained growth of the economy ; Автор исследует влияние COVID-19 на экономическое развитие Китая и изменения, которые произошли в связи с этим в макрополитике. Цель исследования — описать ситуацию и тенденции экономического развития Китая до и после COVID-19. Использован метод сравнительного анализа данных. Показано, что в ответ на COVID-19 правительство Китая, с одной стороны, ускорило процесс открытости экономики, воспользовалось возможностью борьбы с пандемией для оказания медицинской помощи другим странам и расширения сотрудничества с ними, а также активно содействовало созданию сообщества с общим будущим для человечества и процессу глобализации. На основе Инициативы «Один пояс и один путь» и многосторонних, региональных и субрегиональных механизмов сотрудничества (ООН, ШОС, БРИКС, G20, АТЭС) Китай и Евразийский экономический союз стали активнее взаимодействовать, а торговые отношения между Японией, Южной Кореей и европейскими развитыми странами стали более тесными. В то же время, будучи приверженным политике создания глобального взаимосвязанного партнерства, Китай активно участвует в глобальном экономическом управлении и выступает с различными общественными инициативами. Китайское правительство на основе программы «Шесть стабилизационных мер» претворяет в жизнь политику «Шесть гарантий». Для достижения цели стабилизации внешней торговли и расширения импорта Китай ввел различные меры по либерализации и содействию международной торговле и инвестициям, такие как введение в действие новой редакции «Закона об иностранных инвестициях», создание зон свободной торговли, пропаганда своего опыта и организация международных выставок. Кроме того, китайское правительство проводит целенаправленную фискальную и денежно-кредитную политику, увеличивает поддержку предприятий, особенно малых и средних. Оказывает содействие строительству новой инфраструктуры и инновационной бизнесмодели, которые сформировали движущие силы для трансформации модели экономического развития Китая: от традиционного бизнеса — к «облачному», от традиционного маркетинга — к «потоковому маркетингу» (livestream), от традиционных продаж — к продажам онлайн. Автор делает вывод, что корректировка макроэкономической политики Китая в ответ на COVID-19 была эффективной и сыграла важную роль в возобновлении производства, стабилизации внешнеторговой деятельности, высвобождении внутреннего спроса, содействии торговле и в устойчивом росте экономики.
Wäre die Gegenwart eine andere, hätte im Mai 2020 die achte Ausgabe der Konferenz "Theater und Netz", einer Initiative von nachtkritik.de und der Heinrich-Böll-Stiftung, stattgefunden. Stattdessen ergab sich für Theaterschaffende, Kritiker*innen und Publikum reichlich Gelegenheit, das Verhältnis von Theater und Netz in actu auszuloten: Durch die Ausgangsbeschränkungen befeuert, verlagerte sich das Theatergeschehen in die digitale Experimentierstube. Im Oktober erschien nun der Band Netztheater, der in 21 Beiträgen die Erfahrungen der vergangenen sechs Monate reflektiert –fundiert durch die Expertise der im Format "Theater und Netz" seit 2013 geleisteten Pionierarbeit. Die Kürze der zwei- bis siebenseitigen Beiträge, gepaart mit der Erfahrungsdiversität aus Herstellung, Rezeption und wissenschaftlicher Auseinandersetzung, hat entscheidende Vorteile: Hier wird nicht lange umständlich unter Ausrufung irgendeines "Post-" herumgeredet oder die beliebte Formel strapaziert, Theater müsse "neu gedacht" werden. Die Beitragenden verbindet die gemeinsame Sache und so kommen sie rasch zum Punkt. Als Hybrid aus theoretischen Positionen und reflektierender Praxis bündelt die Publikation praktisch verwertbares und weiterentwickelbares Wissen kompakt und beinahe in Echtzeit. Daher verhandelt diese Rezension die Beiträge nicht chronologisch, sondern führt einander ergänzende Perspektiven zu zentralen Aspekten wie Dramaturgie, Community, Interaktion etc. kommentierend zusammen: Der Band eröffnet mit einem Praxisbericht des geglückten Burgtheater-on-Twitter-Experiments #vorstellungsänderung, das tausende Mittweeter*innen auch abseits des Abopublikums rekrutierte. Projekte wie dieses geben Hoffnung, dass die Theater, die sich im Netz oft als singuläre kulturelle Leuchttürme gebärden, durchaus von den Praktiken der Sozialen Medien profitieren können: Like, share, comment, retweet sind schließlich nichts anderes als digitale Kürzel für gemeinschaftsstiftende Interaktionen, basierend auf Emotion, Zuspruch, Diskussion und Multiplikation. Vielleicht sind in Zukunft ja auch vermehrt offen und öffentlich geführte Dialoge zwischen Theaterhäusern zu erwarten? Netztheater geht davon aus, dass die Suche nach digitalen künstlerischen Ausdrucksformen sich nicht erst daraus ergibt, dass Hygieneregeln und Distanzierungsvorgaben die Modi des Zuschauens kurzfristig verändert haben. Auch tradierte Annahmen über das Publikum sind zu überprüfen. In ihrem kollaborativen Text "Das Theater der Digital Natives" beobachten Irina-Simona Barca, Katja Grawinkel-Claassen und Kathrin Tiedemann, dass die Digitalisierung längst "in Form von Alltagstätigkeiten und Wahrnehmungsweisen" (S.16) im Theater angekommen sei. Das Theater ist kein geschützter Ort, an dem die Zeit stehen geblieben ist. Vielmehr tragen die Zuschauer*innen die Welt, in der sie leben, unweigerlich in ihn hinein. Das betrifft auch Praktiken des Multitaskings bzw. des 'Second Screen', also die Gleichzeitigkeit mehrerer Interfaces und Informationsquellen. Jahrhundertelang war der zentralperspektivische Blick der Barockbühne prägend für die Organisation einer exklusiven Aufmerksamkeit im Theater. Wiewohl es also eine neue Erfahrung für die Theaterhäuser ist, "Nebenbeimedium zu sein" (S. 20), wie Judith Ackermann betont, ist es höchste Zeit, diese 'verstreute' Aufmerksamkeit im Inszenierungsprozess aktiv mitzudenken und gezielt einzusetzen. Dabei ist die Diversität des Publikums inklusive der unterschiedlich ausgeprägten Media Literacy zu beachten, denn nicht alle Zuschauer*innen werden sich augenblicklich z. B. in einer gamifizierten virtuellen Umgebung zurechtfinden: "Indem ich im digitalen Raum Zusatzinformationen – Hintergrundinfos zum Stück, zur Produktion – zu meinen Inszenierungen streue, kann ich zum Beispiel auch dem 'analogen Publikum' einen Mehrwert bieten, der es aber nicht verschreckt." (S. 22) Für eine Dramaturgie des Digitalen ist Aristoteles allenfalls partiell ein guter Ratgeber. Zu viele Komponenten sind neben 'der Story an sich' an der Architektur der Erzählung beteiligt. Einige Elemente des 'klassischen' Storytellings lassen sich psychologisch für den digitalen Raum begründen: Das Überschreiten der 'Schwelle' etwa wird als zentraler Moment markiert, zumal die Spielregeln für das Dahinterliegende noch nicht festgelegt sind – die Verständigung auf "Floskeln, Rollen und Situationen" (S. 71) hat erst zu erfolgen. Friedrich Kirschner, Professor für digitale Medien an der Ernst Busch Berlin, schlägt vor, die zur Vermittlung von "Rollen- und Erlebnissicherheit" (ebd.) dringend nötigen Ausverhandlungsprozesse im Rahmen der jeweiligen Inszenierung ästhetisch zu gestalten. Dabei setzt er auf ein Miteinander, "das im Gegensatz zu den treibenden Kräften der Plattformhalter auf Erkenntnis gerichtet ist; das Handlungsfähigkeit vermittelt anstelle von Determinismus" (S. 73). In diesem Sinne schlägt Ackermann überdies vor, "modular" zu denken, also "leichte Ein- und Ausstiegsmöglichkeiten" zu schaffen, "indem man immer wieder die Möglichkeit gibt dazuzustoßen" (S. 21). Wiederholt wird das Serielle als Chance für neue Theaterformen ausgewiesen, beispielsweise um "durch gemeinsames, geteiltes Wissen über einen langen Zeitraum […] eine Beziehung zu Figuren auf[zu]bauen, sie mit der eigenen Lebensrealität ab[zu]gleichen und mit Freund/innen [zu] diskutieren" (S. 72), wie Kirschner in "Teilhabe als Notwendigkeit: Theater als Raum pluraler Gemeinschaften" schreibt. Um diese Gemeinschaftsbildung ist es auch Christiane Hütter zu tun: Die Community ist das Herzstück des Theaters, weshalb die künstlerische Energie aktuell vor allem darauf zu verwenden sei, "dass Leute wiederkommen, dass sich Routinen und Rituale entwickeln, dass serielle Formate entstehen" (S. 45). Diese Community aufzubauen, "das ist ein Handwerk, das eine Strategie, Zeit und Inhalte benötigt" (S. 30), weiß auch Christian Römer, Referent für Kulturpolitik und Neue Medien der Heinrich-Böll-Stiftung, in seinem Plädoyer "Für ein Theater @home!". Essentieller Bestandteil dieser Strategie, die vorerst noch strategisch auf eine Gemeinschaft "vor der Bezahlschranke" setzen müsse, sei die "Arbeit an der eigenen Identität als Theater im Netz" (ebd.). "Ein Schaufenster in die eigene Vergangenheit stärkt die Bindung des Publikums an 'sein' Theater." (S. 29) Man möchte hinzufügen, dass die "Verbindung zur [eigenen] Geschichte" (ebd.) auch nach Innen identitäts- und strukturbildend wirken und so womöglich die ein oder andere Erschütterung abfangen kann, die die Theaterschaffenden gegenwärtig persönlich und als Gemeinschaft erleben. Wie zugkräftig Selbstmarketing bzw. 'Branding' in Sachen Follower*innenschaft ist, lässt sich beispielsweise bei erfolgreichen Influencer*innen beobachten. Der Dramatiker und Dramaturg Konstantin Küspert zeigt in "Sozialmediale Theaterräume: Die performative Parallelwelt von TikTok" überaus schlüssig auf, welche "Grundelemente theatraler Praxis" in Social-Media-Formaten zu finden sind: "TikToks müssen, um erfolgreich zu sein, praktisch immer eine Pointe haben, meistens überraschend und lustig, und damit grundsätzliche Elemente einer Narration – teilweise regelrechte Fünf-Akt-Strukturen oder Rekontextualisierungen im Miniformat – nachbauen." (S. 26) Auffällig sind auch Praktiken des Samplings, wie sie schon in Hans-Thies Lehmanns Postdramatische[m] Theater, das jüngst seinen zwanzigsten Geburtstag feierte, zu finden sind: Denn auch bei TikToks wird "reinszeniert, kontextualisiert und koproduziert" (ebd.). Aber manchmal ist es gerade das Ähnliche, das trennt. Man stelle sich etwa einen Burgschauspieler auf der Bühne eines Kölner Karnevalsvereines vor. So verlockend wasserdicht die von Küspert angestrengte Gleichung auch anmutet, lässt sich eigentlich nur in der konkreten Anwendung überprüfen, "was vom eigenen Formenrepertoire übersetzbar ist" (S. 84). Der schmerzliche Verlust öffentlicher Orte, zu denen auch das Theater als Raum der gesellschaftlichen Verständigung gehört, zieht sich leitmotivisch durch die Texte des Sammelbandes. "Die Corona-Krise ist eine Krise der Versammlung" (S. 35), bringt Dramaturg Cornelius Puschke diesen Umstand zu Beginn seines "Plädoyer[s] für 1000 neue Theater" auf den Punkt. Dass es sehr wohl auch im Internet Formen von Gemeinschaftsbildung gibt, die sich auf dezentrale Weise organisieren, beobachtet Christiane Hütter mit kritischem Interesse: "QAnon und Konsorten glänzen mit orchestriertem Storytelling, outgesourced an viele, mit einem übergeordneten World-building-Framework, das Inkonsistenzen erlaubt" (S. 41). Eine Aufgabe des Theaters könnte es sein, positive Gegenangebote zu entwerfen, die dieser Sehnsucht nach Gemeinschaft, Austausch und gemeinsamer Erzählung entsprechen. Wie aber können solche Dialog und Austausch befördernden Formate aussehen? Die interdisziplinäre Künstlerin und Game Designerin Christiane Hütter, aus deren Feder insgesamt drei Texte des Bandes und zwei Interviews stammen, entwirft zu diesem Zweck eine "Typologie von Interaktion, Kollaboration und Partizipation" in übersichtlich tabellarischer Form, denn häufig enttäuschten 'interaktive Stücke' durch "Pseudo-Interaktions-Möglichkeiten" oder "asymmetrische Interaktion" (S. 44). Angesichts der pandemiebedingten Einschnitte in die Möglichkeit, durch Handlungen 'stattzufinden', ist es eine der wichtigsten Herausforderungen an Inszenierungsprozesse, die Agency der Zuschauer*innen sinnvoll zu integrieren. Die Nachtkritikerin Esther Slevogt plädiert explizit dafür, die Webseiten der Theater als "Portale in den digitalen Raum" und "Interfaces" (S. 109) zu behandeln. Diese verstehen sich gegenwärtig eher als Sende- denn als Empfangskanäle; die einstigen Gästebücher sind längst in selbstverwaltete Facebook-Gruppen migriert und bilden hier den kulturkritischen Versammlungsort einer recht spezifischen Theaterklientel. Eine Brücke zwischen analog und virtuell, Inszenierungs- und Alltagsgeschehen könnten hybride Formate herstellen. Der Theaterregisseur Christopher Rüping beschreibt Hybridität durchaus als Challenge, weil "sich die kulturellen Praktiken des einen und des anderen so beißen". Eine Inszenierung, die so divergente Rezeptionsbedingungen berücksichtigt, sei entsprechend komplex im Herstellungsprozess und müsste "auf achtzehn Ebenen gleichzeitig" funktionieren: "Interaktivität, die nur im digitalen Raum stattfindet, während ich analog zuschaue und davon ausgeschlossen bin, ist merkwürdig." (S. 94) Zudem ist es auch für Darsteller*innen eine neue Erfahrung, auf die weder Ausbildung noch bisherige Praxis sie angemessen vorbereitet haben. So stellt Ackermann die berechtigte Frage: "Wie kann den Schauspieler/innen das Gefühl vermittelt werden, dass sie keinen Film machen, sondern dass sie mit Personen interagieren, die nicht Teil der performenden Gruppe sind – auch wenn diese Personen nicht physisch kopräsent sind?" (S. 21) 'Gemeinsames Erzählen' prägt die Entstehungsgeschichte unserer Kultur, Gesellschaft und Sozialisation. Keine Entwicklung ohne Kooperation, keine Innovation ohne Vorstellungsvermögen. Netztheater könnte ein System der jahrhundertelangen Professionalisierung von Theater neu in Bewegung bringen, weil es Expertisen unterschiedlicher Provenienz bedarf und den Grundgedanken von Crowdsourcing in Schaffensprozesse integriert. Aber sind wir wirklich bereit für künstlerische Formate mit offenem Ausgang? Widerspricht das nicht dem Prinzip von Inszenierung? Müsste man das Profil der Regie – der ja gerade im deutschen Sprachraum besondere Deutungshoheit zukommt – womöglich neu definieren? Aktionen von Zuschauer*innen, die aktiv am Handlungsverlauf mitschreiben, sind schwer zu antizipieren; die Interventionen von Trollen und Bots brechen unerwartet in den Handlungsverlauf ein. Aber vielleicht ist es angesichts der Erschütterungen von 2020 gar keine dumme Idee, statt vorgefertigter Handlungsbögen flexibel adaptierbare Aktionsmodelle zu entwerfen, mit denen auf den Einbruch des Unvorhergesehen reagiert werden kann. Frank Rieger vom Chaos Computer Club beforscht Mixed-Reality-Projekte bereits seit den 1990er-Jahren. "Hybride Räume, digitale und interaktive Formate" hätten bereits eine lange Geschichte, allerdings gäbe es immer wieder "unrealistische Annahmen über das, was die Technik am Ende leisten können wird" (S. 61). Mitunter behindere aber gerade die entgegengesetzte Annahme die Umsetzung: "Man kriegt ein staatliches Theater für eine große Produktion nur dazu, das auch im digitalen Raum zu machen, wenn die das gleiche Gefühl von ernsthafter Technik haben" (S. 94), weiß Regisseur Christopher Rüping aus eigener Erfahrung. Andere Internetformate bewiesen, dass es nicht immer schweres Gerät erfordert, denn "im digitalen Raum dieses Erlebnis [von Gemeinschaft] zu stiften" sei etwas, das "jedem mittelmäßigen Streamer gelingt" (ebd.). Die Ursache für solche Trugschlüsse sieht Rieger in der Inselexistenz, die viele Theater fristen. Der Branche fehle noch immer eine "breite Kultur des ehrlichen Erfahrungsaustausches, der Diskussion von technischen, inhaltlichen und Projektmanagement-Fehlern" (S. 62), sodass das Rad immer wieder neu erfunden werden müsse. Dem entgegenzuarbeiten beabsichtigt die im vergangenen Jahr gegründete Dortmunder Akademie für Digitalität und Theater. Gemäß ihrer Open-Source-Strategie will sie "Nerdkultur […] ins Theater reinbekommen" (S. 67) und die Erkenntnisse ihrer prototypischen Arbeit in Tutorials, Talks und Wikis zugänglich dokumentieren. In ihrer Auswertung der Netztheaterexperimente des ersten Pandemie-Halbjahres bemerken die Bandredakteur*innen Sophie Diesselhorst und Christian Rakow, dass "das Gros […] piratischen Charakter" hatte. "Es entstammte der Freien Szene oder ging auf Initiativen von Einzel-Künstler/innen zurück, die sich ihre eigene Infrastruktur bauten und einfache technische Lösungen jenseits des Stadttheater-Apparats fanden." (S. 89) Man kann annehmen, dass dieser Innovationsgeist zumindest teilweise der Not geschuldet war. Denn selbst Projekte an etablierten Häusern sind häufig von externen Zusatzförderungen abhängig. Um über den eigenen Guckkasten hinauszudenken, haben einige Theater bereits Kontakt zu freien Künstler*innen und Kollektiven aufgenommen. "Es gibt viele kleine Aufträge von Theatern, die sagen: 'Wir wissen nicht, wie es weitergeht. Wollen Sie etwas ausprobieren?'" (S. 97), schreibt die britische Kritikerin Alice Saville. Diese vorsichtige Kontaktaufnahme birgt die Chance, das Gespräch darüber zu beginnen, wie sich festgefahrene Strukturen künstlerisch und wirtschaftlich öffnen lassen. Eine Möglichkeit wäre, Theater künftig als "Agenturen für das Dramatische" zu denken, wie am 13.11.2020 bei der Onlinetagung "Postpandemisches Theater" vorgeschlagen wurde, die ebenfalls auf die Initiator*innen des Sammelbandes zurückgeht. Für die Pluralität und Interdisziplinarität der Branche steht übrigens auch, dass keine der Autor*innenbiographien einen linearen Verlauf aufweist, geschweige denn sich auf eine einzige Berufsbezeichnung zurückführen ließe. Eine der aktuellen Herausforderungen besteht darin, Jobprofile zu überdenken. In Christiane Hütters Entwurf für ein "Theater der Gegenwart" ändert sich die Organisationsstruktur auch auf der Leitungsebene: "Es geht in Zukunft vor allem auch darum, die Gesamtprozesse zu koordinieren, Projektmanagement zu machen, Herstellungsleitung für Situationen, Care-Arbeit fürs Team." (S.45) Ein Kernanliegen der Publikation ist das Plädoyer für eine 'vierte', digitale Sparte – wobei zu bemerken ist, dass das digitale Theater sich diesen vierten Platz vielerorts mit dem Theater für junges Publikum teilt. Dieser Befund ist symptomatisch, werden doch Digitalität und Jugend oft zusammengedacht. Berücksichtigt man die zeitliche Dimension –"in naher Zukunft wird es nur noch Digital Natives geben" (S. 16) – wird rasch klar, dass es sich um eine voreilige Schlussfolgerung handelt. Die sich andeutende Marginalisierung verheißt wenig Gutes für die so dringend nötigen Finanzierungsstrukturen und Fördermodelle, zumal auch die Verantwortung, diese 'vierte Sparte' zu gestalten, damit demselben Personenkreis zugesprochen wird. Folgerichtig wird immer wieder sachlich bemerkt, dass zum Aufbau einer künstlerischen Infrastruktur tatsächliche Ressourcen in Form von Zeit, Geld und neuen Stellenprofilen am Theater benötigt werden. Einige Häuser haben bereits erste Schritte gesetzt und beschäftigen neben Positionen wie Social Media oder – neudeutsch – Community Management nun auch Programmierer*innen. Das Staatstheater Augsburg, das sich bereits im Frühjahr "einen Namen als VR-Hochburg mit einem umfangreichen Spielplan an Virtual-Reality-Produktionen" (S. 99) machte, hat mit Beginn der Spielzeit 2020/21 Tina Lorenz als "Projektleitung für Digitale Entwicklung" eingestellt; das Schauspielhaus Zürich holte für seine Webserie Dekalog den Designer für Virtuelle Interaktion, Timo Raddatz, ins Boot. Für eine "Digitale Sparte" argumentiert auch Elena Philipp, die die Münchner Kammerspiele, das Staatstheater Augsburg und das Hebbel am Ufer als Case Studies ins Feld führt. Die Nutzung digitaler Technologien beschränkt sich aber naturgemäß nicht nur auf die künstlerische Außenwirkung, sondern bietet auch ganz praktische Lösungen: Produktionsvorgänge –und sogar der ökologische Fußabdruck –können beispielsweise durch 'virtuelle Bauproben', 3D-Modelle und die Nutzung von Extended Reality (XR) wesentlich erleichtert werden. Mit der routinemäßigen Nutzung digitaler Technologien stehen auch neue Inhalte in Aussicht. Derzeit erfahre die Form zu große Aufmerksamkeit, zitiert Philipp Tina Lorenz, die konkrete Vorschläge für inhaltliche Schwerpunkte abseits der tausendsten Neuauflage von Goethe und Schiller macht: "Noch ist das Medium die Message, aber wir müssen Geschichten für das digitale Zeitalter entwickeln, über die Gig Economy, Smart Cities oder darüber, wie Kommunikation, Aktivismus und soziale Bewegungen im 21. Jahrhundert funktionieren." (S. 102) Der Blick der Herausgeber*innen inkludiert auch Länder, deren staatliche Subventionsstrukturen weit weniger privilegiert beschaffen sind als im deutschsprachigen Raum. Alice Saville stellt in ihrem Beitrag "Keine Show ohne Publikum" einige Beispiele aus "Großbritanniens immersive[r] Theaterszene im Lockdown" vor, die ja aufgrund ihrer Organisationsform –weit mehr Touring Companies als feste Ensembletheater –ein gewisses Training in innovativer Raumgestaltung besitzt. Der Stadtplaner und Theaterleiter Trevor Davies berichtet von seinen Erfahrungen mit der hybriden Performancereihe "Wa(l)king Copenhagen", für die 100 Künstler*innen eingeladen wurden "ab dem 1. Mai 2020 über 100 Tage lang 100 kuratierte zwölfstündige Walks […] über stündliche Livestreams digital [zu] übertragen" (S. 54). Und die Kuratorin und Kritikerin Madly Pesti erzählt am Beispiel Estlands, bei dem sich die Einwohnerzahl und die Summe der jährlichen Theaterbesuche entsprechen, von der gelungenen Kooperation von Theaterhäusern und Rundfunk, die auf ein über Jahrzehnte gepflegtes Verhältnis zurückgeht: Da die Rechte der beteiligten Künstler*innen vom Estnischen Schauspielerverband vertreten wurden, konnte eine Sonderregelung für die Dauer des Ausnahmezustands verhandelt werden, um die künstlerischen Arbeiten im kulturellen Webportal des Nationalrundfunks kostenlos zugänglich zu machen. Angesichts des vergleichsweise neuen Terrains muss das Theater sich fragen, was es aus den Erfahrungen anderer Branchen lernen kann. Denkt man beispielsweise an die wirtschaftlichen Nöte des Onlinejournalismus und die mühsame Etablierung von Paywalls, ist es sinnvoll, frühzeitig über Verwertungsmodelle bzw. den Preis von 'gratis' nachzudenken. Es gilt zu prüfen, inwiefern Limitation (zeitlich, kapazitär, Ticketing), Exklusivität (Sonderformate, Blicke hinter die Kulissen, Stichwort Onlyfans) oder Partizipations- und Mitgestaltungsoptionen als wertsteigernde Maßnahmen praktikabel und tragfähig sind. Im Kontext von Big Data ist zudem branchenweit zu diskutieren, wie sich Theaterhäuser zu privatisierten Plattformen, die ja den digitalen Raum dominieren, verhalten sollen. Erschwerend kommt hinzu, dass die ungeklärte Rechtesituation im deutschsprachigen Raum auf Netztheaterexperimente nachgerade innovationsfeindlich wirkt. "Man kann nicht Theater im Internet machen und dann aber straight die Copyright-Gepflogenheiten des Analogen anwenden wollen" (S. 93), spricht die Dramaturgin Katinka Deecke im Interview ein Feld mit raschem Klärungsbedarf an. Wiewohl alle Texte von den Lehren aus spezifischen Best Practices leben – schließlich werden die neuen Ausdrucksformate von Pionieren "des Ausprobierens, Aneignens und Entdeckens" (S. 76) entwickelt – versammelt die Publikation in einem eigenen "Produktionen"-Kapitel gezielt Besprechungen einzelner Projekte. Sinnigerweise stammen diese Texte mehrheitlich von Menschen, die berufsbedingt einen größeren Überblick über die Rezeption der Szene besitzen: Kritiker*innen und Redakteur*innen. So kommt Elena Philipps Untersuchung des "Aufbau[s] von Online-Programmen an Theatern" beispielsweise zu dem Schluss, dass "begleitend zu einer Theaterästhetik" – beispielsweise "für Virtual-Reality-Umgebungen" – auch "das Publikum dafür entwickelt" (S. 101) werden müsse. Der Umgang mit neuer Technologie ist schließlich für alle Beteiligten zunächst eine Terra incognita. Sophie Diesselhorst berichtet vom Online-Zusammenspiel der "Netztheater-Experimente aus Schauspielschulen", etwa der vielbeachteten Produktion Wir sind noch einmal davongekommen der Münchner Theaterakademie August Everding, die sich das Artifizielle des Mediums spielerisch überhöht zunutze machte und vermittels kluger Discord-Regie die Videokästchen in Bewegung setzte. Schade, dass die zitierten Experimente nicht zur Nachschau verlinkt bzw. verfügbar sind. Ein Grund hierfür könnte neben der prinzipiellen Unverfügbarkeit einmalig ausgestrahlter Livestreams sein, dass auch andere Quellen knapp einen Monat nach Erscheinen der Publikation bereits der 'Transitorik' des Internets zum Opfer gefallen sind. "Virtuelle[n] Festivalauftritte[n]" widmet sich Esther Slevogt, allen voran dem Berliner Theatertreffen mit seinen streambegleitenden Sonderformaten, die mittels Chat und Videotelefonie erstmals Fachdiskurse, die sonst wenigen Eingeweihten vorbehalten sind, mitsamt den dazugehörigen Gesichtern im Internet teilten. Für das Festival Radar Ost entwarf das Künstlerduo CyberRäuber ein weboptimiertes 360-Grad-3D-Modell des Deutschen Theaters, innerhalb dessen in verschiedenen 'Räumen', inklusive der Unterbühne, Veranstaltungen im Videoformat eingesehen werden konnten. Rückgriffe auf analoge Formate – die Berliner Volksbühne entschied sich etwa für eine Magazinanmutung bei der Gestaltung ihres Festivals Postwest – können laut Slevogt durchaus inspirierend sein: Als "Transfererleichterung für das Denken immaterieller Räume" genüge mitunter eine simple Lageplanskizze, wie es schon 1995 die Association for Theatre in Higher Education der Universität Hawai'i bewies. Wenn es gilt "Übergangsschleusen von der analogen in die digitale Welt benutzer/innenfreundlich zu gestalten", votiert Slevogt ganz klar für "Pragmatismus" (S. 109). Netztheater räumt mit dem weitverbreiteten Missverständnis auf, dass das Digitale allenfalls ein Substitut für 'das Echte' sei. Es ist an der Zeit, sich von falsch verstandenen Authentizitätsdiskursen und einer Überbetonung der 'leiblichen Ko-Präsenz', die die Theaterwissenschaft – die ja damit eine ganz eigene Agenda vertrat – an das Theater herangetragen hat, zu verabschieden. Netztheater will niemandem etwas wegnehmen. Es will das tradierte Theater keineswegs abschaffen, nicht den intimen Moment der Begegnung zweier Menschen ersetzen. Es sucht vielmehr nach technologisch unterstützten Erzähl- und Interaktionsformaten, in denen solche Begegnungen ebenfalls möglich sind. Das Digitale hat unser Denken bis in seine neurologischen Strukturen hinein verändert, die Art, wie wir kommunizieren und interagieren, wie wir uns organisieren, uns in der Welt verorten. Es hat sich in unser Verhältnis zu unseren Körpern eingeschrieben, unseren Zugang zu Wissen erleichtert und auf Herrschaftswissen basierende Hierarchien abgeschafft oder zumindest verschoben. Die Fülle an Information ist nahezu unnavigierbar geworden, Fake News haben unser Vertrauen in glaubwürdige Quellen erschüttert. Das Internet hat eine Vielzahl von alternativen Wahrheiten und alternativen Realitäten geschaffen. Das ist beängstigend, zumal in Zeiten einer Pandemie. Das 18. Jahrhundert hat das Theater als Laboratorium gedacht und die Bühne als Ort, an dem Probehandeln möglich ist, um etwas über unser Menschsein zu erfahren. Auch das Netztheater ist ein solches Laboratorium, ausgestattet mit den Gerätschaften der Gegenwart, die etwa Aufschluss darüber geben können, wie unsere Wahrnehmung beschaffen ist oder wie sich Aufmerksamkeit organisieren lässt. "Theater ist die Institution mit dem ältesten Wissen über die gesellschaftliche Kraft des Spielens." (S. 15) Philosophie und Soziologie veranschlagen im Spiel die Grundlage unseres Menschseins. Es wäre fatal, die verfügbaren virtuellen Spielzeuge und technischen Gadgets jenen Player*innen zu überlassen, deren Interessen wirtschaftlich, militärisch oder politisch getrieben sind. Indem wir unser über die Jahrtausende gewachsenes Wissen über Theatralität und Inszenierungsformen einsetzen, um spielerisch zu experimentieren, erlernen wir den Umgang damit und finden heraus, welche Weltgestaltung mit ihnen möglich ist. Die Lektüre der Beiträge zeigt deutlich: Die vielfach beschworene Minimaldefinition des Theaters – A geht durch einen Raum während B zuschaut – beinhaltet keinerlei Spezifikation, dass B sich dabei im selben Zimmer befinden muss.
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Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger präsentierte den WissZeitVG-Referentenentwurf. Letzte Bemühungen, bei der Frage der Postdoc-Höchstbefristungsdauer eine Einigung mit den Ampel-Koalitionspartnern zu erreichen, waren zuvor gescheitert.
Ministerin Bettina Stark-Watzinger und Staatssekretär Jens Brandenburg während der Pressekonferenz. Foto: Screenshot/JMW.
MIT EINEM PROTESTSTURM in den sozialen Medien hatte es angefangen. 51 Stunden, nachdem Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) Mitte März den Koalitionsvorschlag zur Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) verkündet hatte, zog ihr parlamentarischer Staatssekretär Jens Brandenburg ihn per Twitter wieder zurück – mit Verweis auf die "Diskussion vor allem zur Höchstdauer der Postdoc-Qualifizierungsbefristung..., die wir sehr ernst nehmen." Seine Kollegin, die beamtete BMBF-Staatssekretärin Sabine Döring, schrieb Minuten später von einer "neuen geteilten Vision", die gebraucht werde, weshalb der Vorschlag "zurück in die Montagehalle" gehe.
Elf Wochen später ist der Vorschlag in Form des angekündigten Referentenentwurfs wieder raus aus der Montagehalle, am Dienstagmittag hat Ministerin Stark-Watzinger ihn in einer Pressekonferenz den Medien vorgestellt. Anders als bei der in Reaktion auf den Proteststurm angesetzten Diskussion gab es diesmal keinen öffentlichen Livestream, was vorab Irritationen in den sozialen Medien verursachte.
BMBF schwenkt auf die Linie der Wissenschaftsorganisationen ein
Dabei war das, was die BMBF-Chefin verkündete, inhaltlich bereits größtenteils erwartet worden. Trotzdem ist es ein bemerkenswerter Vorgang: Denn zumindest das Ziel einer "neuen geteilten Vision" wurde nicht nur verfehlt, beim inhaltlichen Knackpunkt Postdoc-Höchstbefristung ist sogar der bisherige, im März mühsam erreichte Konsens zwischen den Koalitionspartnern verloren gegangen.
Im am Dienstagmittag vorgelegten Referentenentwurf wird die Höchstdauer nun mit vier plus zwei Jahren beziffert. Was bedeutet, dass nach vier Jahren eine weitere Befristung nur mit einer Anschlusszusage verbunden werden kann, allerdings nicht zwangsläufig auf eine Professur. Dafür aber verpflichtend für den Fall, dass die vorher vereinbarten wissenschaftlichen Ziele erreicht wurden. Stark-Watzinger nannte dies in der Pressekonferenz "die Integration des Tenure-Track-Gedankens ins Wissenschaftszeitvertragsgesetz". Abgesehen davon blieb der Referentenentwurf gegenüber den Eckpunkten offenbar inhaltlich nahezu unverändert.
Die vier Jahre entsprechen Stark-Watzingers in Interviews bereits vorab geäußerter Präferenz. Und weitgehend dem "4-Plus-Modell", wie es die Allianz der Wissenschaftsorganisationen formuliert hatte. Allerdings ist es nun nur noch der Referentenentwurf des BMBF und nicht mehr der Ampel. Denn die parlamentarischen Berichterstatterinnen von SPD und Grüne versagten ihm an dieser Stelle ihre Zustimmung – man einigte sich, in der Frage uneinig zu sein.
Kein Wunder: Die Sozialdemokraten hatten sich nach dem März-Rückzug auf die Seite der "#IchbinHanna"-Initiatoren und weiteren Unterstützern gestellt, die mit viel Verve für eine zweijährige Höchstbefristungsdauer geworben hatten. Als "Kompromiss", wie sie es darstellten, zwischen "gar nicht mehr befristen nach dem Postdoc" (GEW, Mitarbeiterinitiativen) und den vier Jahren der Allianz. "Wenn die SPD-Bundestagsfraktion eine weitere Sonderbefristung nach der Promotion überhaupt mittragen kann, muss diese somit begründetermaßen so kurz und noch dazu in einer Form ausgestaltet sein, dass diese Phase kein Personalkarussell in Gang wirft", begründete die SPD-Politikerin Caroline Wagner hier im Blog die Positionierung. Schon die in den März-Eckpunkten vereinbarte dreijährige Befristung ohne Verstetigungsaussicht nach der Promotion sei "ein schmerzlicher Kompromiss gewesen".
Die Grünen hatten in der Debatte für eine Differenzierung geworben. Bei einer Zwei-Jahres-Lösung sei nicht sicher, ob sich nicht der Druck statt auf die Hochschulleitungen eher auf die Beschäftigten erhöhe, kommentierte die zuständige Berichterstatterin Laura Kraft. Und auch eine Verkürzung der Höchstbefristungsdauer auf vier Jahre könne statt einer Entfristung den negativen Effekt einer Verlagerung auf Drittmittel haben. Weshalb Kraft eine umfassendere Betrachtung der Befristungsproblematik forderte.
Das BMBF hält gute
Trümpfe in der Hand
Was aber sollte aus dieser Ampel-Gemengelage folgen? Bis zuletzt ging es zwischen BMBF und Abgeordneten hin und her, weshalb man die Veröffentlichung des Referentenentwurfs nochmal um einige Tage nach hinten schob. Grund war ein letzter Einigungsversuch des BMBF: der Vorschlag, die vier Jahre zu flankieren mit einer weiteren Lockerung der bereits in den Eckpunkten diskutierten teilweisen Aufhebung der Tarifsperre – so dass wissenschaftliche Arbeitgeber und Arbeitnehmer selbst alternative Lösungen bei der Frage der Höchstbefristungsdauer hätten aushandeln können. Das BMBF hatte dem Vernehmen nach einen Korridor zwischen mindestens drei und höchstens sechs Jahren vorstellen können – was für SPD und Grüne jedoch jeweils aus den oben genannten Gründen nicht in Frage kam – und aus ihrer Sicht faktisch sogar ein Rückschritt gegenüber März gewesen wäre.
Die Option, parallel zur Höchstbefristungsdauer eine Höchstbefristungsquote pro Einrichtung einzuführen, war schon vorher aus den Verhandlungen gekippt. Am Ende lief den Koalitionären dann die Zeit davon, denn Stark-Watzinger selbst hatte öffentlich "bis Ende Mai" als Zeitpunkt der Veröffentlichung des Referentenentwurfs genannt. Außerdem war alles gesagt, und ein weiteres Hin und Her glaubte man sich nach den Ereignissen im März nicht mehr leisten zu können. Dass das BMBF nun auf die Linie der Allianz eingeschwenkt ist, bedeutet dreierlei.
Erstens einen großen Lobbyerfolg für die Wissenschaftsorganisationen, die hinter und vor den Kulissen Druck in Richtung vier Jahre gemacht hatten. Zuletzt mit einem Gastbeitrag in der FAZ, in dem die Chefs der Max-Planck-Gesellschaft, Martin Stratmann, und der Helmholtz-Gemeinschaft, Otmar D. Wiestler, gemeinsam vor dem "großen Schaden" gewarnt hatten, den eine schlecht gemachte WissZeitVG-Reform ihres Erachtens anrichten würde. Deutschland dürfe nicht seine internationale Anschlussfähigkeit aufs Spiel setzen. Der drohende Zeigefinger hat offenbar Wirkung gezeigt.
Wobei Staatssekretär Brandenburg noch einmal betonte, dass es sich bei dem Entwurf durchaus um einen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Positionen handle, so sei zum Beispiel die Anschlusszusage deutlich verpflichtender formuliert als von der Allianz vorgeschlagen.
Zweitens bedeutet der BMBF-Referentenentwurf, dass der kleinste Koalitionspartner sich in einer zentralen wissenschaftspolitischen Frage anschickt, ohne Unterstützung der größeren Fraktionen ins Parlament zu gehen. Kurzfristig können SPD und Grüne sagen, sie wären sich treu geblieben, und die Verantwortung für den Referentenentwurf der FDP zuschieben. Allerdings wird sich der Druck auf sie in den nächsten Monaten maximal erhöhen, doch noch eine Korrektur zu erreichen. Sie bedaure, dass man sich am Ende nicht einig werden konnte, sagte Stark-Watzinger in der Pressekonferenz. Nun gelte es, die "letzten Details", wie sie es nannte, im parlamentarischen Verfahren zu klären.
Wo das BMBF jetzt tatsächlich gute Trümpfe auch gegenüber SPD und Grünen in der Hand hält: Egal, wie man die Regelung zur Postdoc-Höchstbefristungsdauer bewertet, steht in dem Gesetzentwurf ja sonst auch noch eine Menge, das die Lage der wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen durchaus verbessern wird – was würde daraus, wenn das Gesetz jetzt komplett im Parlament durchfiele? Und würde ein solches Debakel nicht wiederum auf alle Koalitionspartner abstrahlen?
Proteste von "#IchbinHanna", Ruhe an der Professorenfront?
Rhetorisch könnte sich dieses Dilemma von SPD und Grüne schon heute daran zeigen, dass sie trotz ihrer Nicht-Zustimmung lobend auf die Neuerung verweisen werden, dass im Gegensatz zu den März-Eckpunkten nun das Instrument der Anschlusszusage im Referentenentwurf enthalten sei. Was tatsächlich ja auch unter anderem "#IchbinHanna" gefordert hat – aber eben nicht erst nach vier Jahren.
Apropos "#IchbinHanna": Drittens wird deutlich, dass der überraschende Eckpunkte-Rückzug im März zumindest auf Seiten des BMBF wenig mit dem – damals ja ebenfalls erwarteten – Druck aus dem Postdoc-Lager zu tun hatte. Und umso mehr mit der offenbar vorher nicht einkalkulierten Aufruhr in der Professorenschaft: Innerhalb weniger Stunden hatten sich mehr als 400 Professorinnen und Professoren per Offenen Brief unter dem Hashtag "#ProfsfürHanna" mit den Protesten solidarisiert.
Einig, so schon damals die Lesart im BMBF, waren sich die Profs allerdings nur, dass sie die drei Jahre Höchstbefristungsdauer ablehnten. Aber viele offenbar nicht, weil sie diese wie "#IchbinHanna" für zu lang hielten– sondern für zu kurz. Explizit heißt es in dem Offenen Brief: "Besonders erschreckend sind die nur noch 3 Jahre, die den Post-Docs bleiben, um sich weiterzuqualifizieren. Dies kommt einer Nivellierung der Weiterqualifikation nach der Promotion gleich."
Offenbar erkannte man im BMBF hier einen gedanklichen Schulterschluss zu den Forderungen der Allianz – ob viel der damaligen Unterzeichner des Offenen Briefs dies auch so sehen würden, bleibt dahingestellt. Sicherlich ist man sich im BMBF bewusst, dass es jetzt zwar zu weiteren Protesten von "#IchbinHanna", GEW & Co kommen dürfte – geht aber, so scheint es, zugleich davon aus, die Front der Wissenschaftsorganisationen und Professorenmehrheit befriedet zu haben. Ob man damit richtig liegt?
Jetzt gehe der Entwurf in die übliche Ressortabstimmung, in die Anhörungen mit Ländern und Verbänden, dann folge der Kabinettsbeschluss nach der Sommerpause. Nach dem parlamentarischen Verfahren könne das Gesetz dann im Frühjahr 2024 beschlossen werden, sagte Ministerin Stark-Watzinger. Und sie wolle noch einmal unterstreichen: Das Gesetz per se schaffe keine Dauerstellen und "keine moderne Führungskultur". Womit sie den Ball Richtung Hochschulen und Wissenschaft spielte.
Bleibt am Ende noch eine andere Frage: Haben sich die elf Wochen Nachsitzen in der Montagehalle gelohnt? Eins ist sicher: Für die Wissenschaftsorganisationen auf jeden Fall.
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Koalitionsvertrag erfüllt – oder verfehlt?
Was sagen Politik und Wissenschaftsszene über den WissZeitVG-Entwurf aus dem BMBF? Eine erste Übersicht von Kommentaren und Reaktionen. (06. Juni 2023) >>>
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Die 22. Sozialerhebung zeigt, wie die Studierenden im Jahr 2021 sozial und wirtschaftlich klarkamen. Die wichtigsten Ergebnisse – und was sich über die studentische Lage im Jahr 2023 sagen lässt.
Foto: Cover des Berichts zur 22. Sozialerhebung (Ausschnitt).
WIE GEHT ES DEN STUDIERENDEN? Nein, diese Frage kann die 22. Sozialerhebung nicht beantworten, die gestern von BMBF, Deutschem Studierendenwerk (DSW) und dem Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZWH) veröffentlicht wurde. Weil die Befragung von fast 188.000 Studierenden aus ganz Deutschland zu ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage von 2021 stammt. Ein solcher (leider bei so großen Studien nicht ungewöhnlicher) Timelag würde schon in normalen Zeiten den Gegenwartsbezug der Ergebnisse erschweren, diesmal kommen zwei gewichtige Einschränkungen hinzu.
Erstens: Die Studierenden antworteten mitten im Corona-Sommersemester 2021, das weitgehend digital stattfand. Als auch Restaurants, Kneipen oder Kinos teilweise noch bis weit in den Mai hinein geschlossen waren – mit entsprechenden Auswirkungen etwa auf Studienjobs. Zweitens: Zwar liefen auch 2021 in vielen Hochschulstädten die Mietmärkte bereits heiß, doch kam erst danach der allgemeine große Inflationsschub: angefangen bei der Energie und damit bei den Wohn-Nebenkosten, die sich bei Niedrigverdienern (und zu denen zählt ein Großteil der Studierenden) besonders stark auswirken, und etwas später bei Lebensmittelpreisen & Co.
Wie ging es den Studierenden 2021?
Wie ging es den Studierenden 2021, das ist also die Frage, auf die sich in der Sozialerhebung Antworten finden, und diese sind dann wiederum so spannend, dass sie auch zwei Jahre später zum Nachdenken anregen. Vor allem weil sie differenziertes Denken erfordern. Ein paar Beispiele:
o Die Interpretation, dass es den Studierenden im Schnitt wirtschaftlich immer schlechter geht, findet keine Bestätigung in den Daten. Real, also nach Berücksichtigung der Inflation, stiegen die Gesamteinnahmen pro Studierendem um knapp vier Prozent gegenüber 2016. In Preisen von 2021 betrug das arithmetische Mittel 1.106 Euro pro Monat. 77 Prozent der Studierenden gaben an, die Finanzierung ihres Lebensunterhalts sei "voll und ganz" sichergestellt.
o Allerdings scheint die Einkommensschere weiter aufzugehen, was schon daran zu sehen ist, dass der Median mit 965 Euro deutlich niedriger lag. Mehr Studierende, berichten die Wissenschaftler vom DZHW, die die Befragung durchgeführt haben, erzielten 2021 hohe Einahmen. Ein Viertel hatte mehr als 1.300 Euro zur Verfügung. Gleichzeitig wuchs der Anteil der Geringverdiener. 37 Prozent der Studierenden, mahnte der DSW-Vorstandsvorsitzende Matthias Anbuhl gestern, "verfügen im Monat über weniger als 800 Euro – das sind nochmal 60 Euro weniger, als die Düsseldorfer Tabelle zum Erhebungszeitpunkt im Sommer 2021 für den Elternunterhalt für auswärts wohnende Studierende vorgab".
o Interessanterweise beziehen Studierende aus nicht-akademischen Elternhäusern im Schnitt etwas höhere Bareinnahmen. Laut DZHW liegt dies daran, dass sie nicht nur häufiger, sondern auch in einem größeren Stundenumfang arbeiten (mit, das nur nebenbei gesagt, entsprechenden Auswirkungen auf ihren Studienerfolg). Und sie erhalten vergleichsweise häufiger BAföG – wobei die Gruppe der BAföG-Empfänger mit einem Anteil von 13 Prozent besorgniserregend gering bleibt. Um die 37-Prozent-Gruppe der Geringverdiener zu verkleinern, müsste man also die Gruppe der BAföG-Berechtigten deutlich vergrößern.
o Dass Studierende neben dem Studium arbeiten, und das in einem hohen Umfang, bleibt mit 63 Prozent der Befragten der Normalfall. Doch gegenüber 2016 ging die Erwerbstätigenquote um beachtliche fünf Prozentpunkte zurück. Wahrscheinlich vor allem eine Folge der Corona-Beschränkungen. Dass aber gleichzeitig das reale Durchschnittseinkommen gestiegen ist, deutet darauf hin: Die Corona-Überbrückungshilfe des BMBF hat funktioniert.
o 410 Euro ihres Einkommens mussten die Studierenden im Sommersemester 2021 im Schnitt für die Miete ausgeben, ein Fünftel musste sogar mehr als 500 Euro pro Monat zahlen. Und hier zeigte sich schon vor der Inflationskrise ihre große finanzielle Verwundbarkeit: Wenn man ein Drittel, teilweise die Hälfte oder mehr seines Geldes für das Wohnen inklusive Nebenkosten ausgeben muss, trifft einen die Explosion dieser Kosten besonders heftig.
o Im Vergleich zu 2016 wandten die Studierenden im Schnitt 2,5 Stunden mehr pro Woche für ihr Studium auf. Von den insgesamt 34 Stunden entfielen etwa 17 auf Lehrveranstaltungen und etwa 17 auf das Selbststudium. Dass das Studieren mehr Zeit einnimmt, ist insofern bemerkenswert, weil, siehe oben, im Sommersemester 2021 meist digital studiert wurde. Die Befragten haben sich also im Onlinesemester stark mit dem Lernstoff auseinandergesetzt – wie effektiv, das ist eine Frage, die die Sozialerhebung logischerweise nicht klären kann.
o Atemberaubend ist, dass im Schnitt pro Studierendem noch einmal 15 Stunden Erwerbstätigkeit oben draufkommen. Wenn das der Schnitt ist, aber etliche auch wenig bis gar nicht arbeiten, zeigt das Umfang, in dem andere in ihrem Job eingespannt sind. Kommentar der DZHW-Forscher: " Je höher der Erwerbsaufwand von Studierenden, desto geringer ist ihr wöchentlicher studienbezogener Zeitaufwand."
o Den Studierenden ging es 2021 gesundheitlich deutlich schlechter als 2016. 16 Prozent hatten eine oder mehrere gesundheitliche Beeinträchtigungen, ein Anstieg um fünf Prozentpunkte und damit um fast die Hälfte. Innerhalb der wachsenden Gruppe der studienrelevant Beeinträchtigten hat der Anteil der Studierenden mit psychischen Erkrankungen zudem noch zugenommen: um zehn Prozentpunkte auf 65 Prozent. DSW-Vorstandsvorsitzender Anbuhl spricht von einer "Mental-Health-Krise der Studierenden", die nun durch die 22. Sozialerhebung belegt sei. Hier stellt sich natürlich wieder die Corona-Frage: Wie sähen die diesbezüglichen Daten wohl in diesem Jahr aus? Wir wissen es nicht.
o Zum Schluss unter den vielen spannenden Ergebnissen (insgesamt ist der Bericht ohne Literaturverzeichnis 138 Seiten lang!) noch der Blick auf die große Vielfalt der Studierenden: 42 Prozent leben in einer festen Partnerschaft, acht Prozent haben Kinder, zwölf Prozent übernehmen Pflegeaufgaben in ihrem privaten Umfeld, 17 Prozent stammen aus einer Einwandererfamilie, knapp 15 Prozent sind internationale Studierende. Was eine schon ältere Erkenntnis unterstreicht: den Normstudierenden gibt es immer weniger. Worauf sich die Hochschulen und die Wissenschaftspolitik noch stärker als bislang einstellen sollten.
Auffällig verhaltene Öffentlichkeitsarbeit
Dass die umfangreichen Befragungsergebnisse gestern zunächst vergleichsweise wenig Beachtung fanden, hatte übrigens weniger mit der berechtigterweise zu stellenden Frage nach ihrer Aktualität zu tun. Sondern vor allem mit der im Vergleich zu vorigen Sozialerhebungsrunden auffällig verhaltenen Öffentlichkeitsarbeit des BMBF, das zwar einen Livestream der Pressekonferenz bereitstellte, aber keine Pressemitteilung und kein Statement von Ministerin Bettina-Stark-Watzinger (FDP) veröffentlichte.
Was war da los? Dabei hätte man gerade bei dieser Ausgabe mit Recht laut trommeln können, war doch die Sozialerhebung erstmals Teil der "Studierendenbefragung in Deutschland", die drei bislang unabhängige Langzeiterhebungen miteinander verknüpft: neben der Sozialerhebung den Studierendensurvey und die Befragung "best – Studieren mit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung".
BMBF-Staatssekretär Brandenburg, der bei der Pressekonferenz dabei war, stellte am Abend einen Kommentar bei Twitter online: "Die 22. Sozialerhebung zeigt: Studierende sind überwiegend zufrieden mit persönlicher, finanzieller und Situation an Hochschulen. Aber das Bild der Unterschiede ist groß."
Vollkommen unverständlich ist, warum weder BMBF noch (zunächst) DZHW aktiver auf eine weitere Studie hinwiesen, mit der sie versucht haben, den Time Lag bei den Ergebnissen der Sozialerhebung zur wirtschaftlichen Lage der Studierenden zu kompensieren. So haben Forscher eine "Abschätzung" vorgenommen, welche Bedeutung die "Inflation für die wirtschaftliche Situation von Studierenden in Deutschland im Zeitraum 2021 bis 2024" hatte. Methodisch angeknüpft an die Sozialerhebung und über die Ermittlung aktueller "Warenkörbe" für verschiedene Studierendengruppen, die den besonders hohen Anteil von Wohnkosten berücksichtigen.
Demzufolge müssen Studierende in den fünf teuersten Hochschulstädten fast zwei Drittel ihres Budgets allein für Wohnen und Essen ausgeben. Insgesamt stieg die Inflation für Studierende 2022 immerhin nicht wesentlich stärker als für den Schnitt der Bevölkerung: jeweils um die sieben Prozent. Nur dass es sich eben um einen insgesamt kaum tragbaren Wert handelt – erst recht nicht bei einem Durchschnittseinkommen von je nach Studierendengruppe deutlich unter 1000 Euro. Und für Mieten mussten Studierende 2022 im Schnitt 10,4 Prozent mehr berappen als im Jahr davor.
Allerdings hätten die temporären Entlastungszahlen (2022 nur für Erwerbstätige und nicht bei den Eltern wohnende BAföG-Empfänger) die tatsächliche Inflationsrate der profitierenden Studiernden deutlich verringert, betonen die DZHW-Forscher. Erfreulich. Was wiederum zeigt: Den Studierenden kann geholfen werden. Wenn der politische Wille da ist.