Wie bei kaum einem anderen Delikt wird in Fällen von Korruption allein schon durch die Benennung des Sachverhaltes das moralische Urteil gleich mit ausgesprochen. Anders als ein trickreicher Kaufhauserpresser etwa kann ein der Korruption Verdächtigter in der Öffentlichkeit kaum auf wohlwollende Anteilnahme hoffen; der Täter gilt schlicht als gierig und charakterlos, und ist er erst einmal überführt, hat er seinen Ruf und seine Karriere ruiniert. Um so erstaunlicher scheint es, dass gerade Politiker und Wirtschaftsbosse, Personen also, deren Karrieremöglichkeiten in besonderem Maße von ihrem Ansehen oder ihrem Bild in der Öffentlichkeit abhängen, das Risiko der Korruption eingehen. Man weiß, dass es zur Durchführung korrupter Handlungen in großem Stil eines relativ hohen Aufwandes an Planung, konspirativer Kontaktaufnahme und riskanter finanzieller Transaktionen bedarf. "Corruption is a crime of calculation, not passion." Dieser beträchtliche Investitionsbedarf, der zudem auch meistens mit der Notwendigkeit des Innehabens von verantwortlichen Positionen in Organisationen einhergeht, sowie die permanente Gefahr einer Entdeckung und ihrer ruinösen Folgen passen nicht so recht zum Täterbild des habgierigen und skrupellosen Verbrechers. Es besteht also nicht nur ein Widerspruch zwischen dem hohen Risiko von Korruptionsdelinquenz und der gefestigten gesellschaftlichen Stellung der Täter, sondern auch einer zwischen dem Grad an klandestiner Kalkulation und der öffentlichen Darstellung korrupter Personen als kurzfristig profitorientierte Betrüger. Schon diese Widersprüche lassen erahnen, dass in Fällen von Korruption möglicherweise eine andere Art der Rationalität exekutiert wird, als allein diejenige des temporären Nutzenkalküls. Es soll in dieser Arbeit darum gehen, diese Form der Rationalität zu klären. Bei Korruption handelt es sich um ein besonders unangenehmes Kapitel der Kriminalität, denn sie ist eine Form des Verbrechens, "die die Bürger in Umfang und Stil schädigen kann, wie es kein Bankraub, kein Einbruch oder manch andere Straftat vermag". Korruption "erschüttert das Vertrauen in die Integrität der öffentlichen Verwaltung, führt zur Aushöhlung des Rechtsstaates und zu einem Verfall ethisch-moralischer Werte. (...) Sie untergräbt die staatliche Einnahmeerhebung. Preisabsprachen treiben die Kosten der Privatwirtschaft in die Höhe und führen zur Verschwendung von Steuergeldern." Dadurch, dass Korruption sich nicht gegen einzelne Opferpersonen richtet, sondern gegen die Allgemeinheit, dass sie auch immaterielle Schäden nach sich zieht, zum Beispiel die Untergrabung der "Geschäftsmoral", fühlt man sich anscheinend in besonderem Maße angegriffen. Émile Durkheims Feststellung von 1895, wonach das Verbrechen in einer Handlung besteht, die "gewisse Kollektivgefühle verletzt" bzw. sie "beleidigt", ist also auch im Fall von Korruption offensichtlich zutreffend. Es werden hierbei anscheinend Normen übertreten, deren Geltung außerordentlich hohe Bedeutung zukommt: "Mit der Korruption wird eine gewaltige kulturelle Eroberung rückgängig gemacht, nämlich die Versachlichung der Beziehungen zwischen Amtsinhabern, Kollegen und Klienten.". In dieser besonders ausgeprägten negativen moralischen Konnotation von Korruption liegt vielleicht mit ein Grund für die im wissenschaftlichen Bereich vorherrschende Dominanz von individuums- und handlungszentrierten Erklärungsansätzen. Wenn Korruptionsfälle analysiert werden, kommen zumeist Motive, Rechtfertigungen und Einstellungen der Täter und Tätergruppen zur Sprache, es wird nach situativen Gelegenheitsstrukturen gefragt, nach Mustern strafrechtlicher Reaktionen oder nach Präventions- und Bekämpfungsstrategien, bestenfalls werden ökonomische oder politische Rahmenbedingungen verglichen. Verursacher der korruptiven moralischen Verfehlung und Adressat einer bessernden Intervention kann, so die offensichtlich vorherrschende Auffassung, nur das selbstverantwortliche Individuum sein. Selten jedoch kommt es zu einer systematischen Analyse des jeweiligen gesellschaftsstrukturellen Kontextes. Um dies im Hinblick auf Korruption leisten zu können, wäre die Soziologie gefragt, bisher hat sich jedoch kaum ein Korruptionsforscher ihrer Instrumente, Methoden oder Theorien bedient. So äußerte der Soziologe Mc Mullan diesbezüglich schon 1961: "Corruption still awaits its Kinsey report" und Smelser konstatierte gegen Ende der 1960er Jahre: "In den letzten zehn oder zwanzig Jahren haben sich Soziologen überhaupt nicht mit Korruption befasst." Dies ist bis heute weitgehend so geblieben, und nach wie vor besitzt die Feststellung von Christian Höffling Gültigkeit, wonach sich die bisherige Korruptionsforschung als "Domäne einer nahezu konkurrenzlos agierenden täterzentrierten und anwendungsorientierten Kriminologie" darstellt. Auch Britta Bannenberg, die 2002 die Ergebnisse einer erstmalig bundesweit durchgeführten empirischen Analyse von Korruptionsfällen veröffentlichte, stellt sich in diese Tradition. Sie wendet sich explizit gegen "rein soziologische Erklärungen" korrupten Verhaltens, weil diese als "unrealistisch" zu gelten hätten und plädiert für einen multifaktoriellen Ansatz. Man habe vom "Wechselspiel der Täterpersönlichkeit mit Gelegenheitsstrukturen" auszugehen, möchte man Korruption adäquat erklären. Sie dementiert sich auf diese Weise zum Teil selbst, denn eines ihrer Forschungsergebnisse besteht in der Erkenntnis, dass der typische Korruptionstäter "auffällig unauffällig" ist, sozial integriert und mit konventionellen Wertvorstellungen ausgestattet, die Täterpersönlichkeit also eher kaum Erklärungskraft für Korruption besitzt. Zwar werden Wirtschaftsstraftäter in der kriminologischen Forschung als überdurchschnittlich stark karriere- und erfolgsorientierte Persönlichkeiten beschrieben. Aber gerade weil Manager zwangsläufig kreativ und flexibel zu agieren haben, sind diese Eigenschaften nicht per se kriminogen, sondern auch für "normale", in legalen Geschäften engagierte Entscheidungsträger üblich. In dieser Arbeit soll daher Korruption weitgehend unter Absehung vom konkreten Täter, seiner Motive und Einstellungen analysiert werden. Der Fokus wird demgegenüber auf Tatumstände und strukturelle Bedingungen für Korruption gerichtet. Die Soziologie, die sich dieses Themas bisher "nur sporadisch" angenommen hat, soll zu ihrem Recht kommen. Mit Hilfe der von ihr zur Verfügung gestellten Begrifflichkeit soll an einem konkreten Korruptionsfall versucht werden, soziale Bedingungen, transpersonale Muster oder auch systemische Eigenrationalitäten von Korruption zu identifizieren, denn vieles spricht dafür, dass es sich bei Korruption nicht immer um abweichendes Verhalten handelt, sondern um eine rationale Anpassungsreaktion unter ganz bestimmten sozialstrukturellen Bedingungen. Um es mit Merton auszudrücken: "Socially deviant behaviour (is) as much a product of social structure as conformist behaviour.". Eine solche These versucht auf keinen Fall, um dies vorab eindeutig zu klären, die Existenz von Korruption in irgendeiner Weise billigend zu rechtfertigen oder die Korruptionstäter von der Verantwortung für ihr Handeln zu entlasten. Es soll hier keine Verharmlosung oder Entschuldigung von Korruption betrieben werden, vielmehr ist von einer Unterscheidung zwischen gesellschaftlicher Verursachung und Schuld auszugehen. Korruptionstäter sind keineswegs fremdgesteuerte 'Reaktionsdeppen', die quasi bewusstlos- strukturdeterminiert irgendwelchen Sachzwängen folgen, sondern sie verletzen gezielt geltendes Recht, sie begehen ihre Taten absichtlich und berechnend und sind deshalb auch zur Verantwortung zu ziehen. Dennoch wird an dieser Stelle davon ausgegangen, dass erst eine Rekonstruktion korruptiven Verhaltens aus seinen politischen und ökonomischen Bedingungen heraus kollektive Zwangslagen und Interessenkonflikte verstehbar machen sowie abweichendes Verhalten und die für den Täter riskante sanktionsbedrohte Normverletzung erklären kann. Gang der Untersuchung: Da Korruption zumeist im sogenannten "Korruptionsdreieck" von Wirtschaft, Verwaltung und Politik auftritt, liegt es nahe, diese Gebiete näher zu betrachten. Unter soziologischen Gesichtspunkten ist also zunächst danach zu fragen, wie diese Bereiche normalerweise funktionieren und was 'schief läuft', wenn es zur Korruption kommt: "Corruption is a symptom that something has gone wrong in the management of the state." Mit der soziologischen Systemtheorie Niklas Luhmanns liegt derzeit ein Theorieangebot vor, das versucht, diese Gebiete von Politik und Wirtschaft systematisch im Kontext einer Gesellschaftstheorie zu analysieren. Sie soll daher zur Anwendung kommen, um darzustellen, welche Strukturen das ausmachen, was gemeinhin unter Wirtschaft und Politik verstanden wird und welche gesellschaftlichen Funktionen diese Bereiche normalerweise erfüllen (Kapitel 2). Erst wenn dies geklärt ist, kann auch Korruption unter strukturell-gesellschaftstheoretischen Aspekten bestimmt werden (Kapitel 2.3). Da die Systemtheorie Politik und Wirtschaft als autonome gesellschaftliche Subsysteme begreift, die einer je eigenen systemischen Logik folgen, soll die Korruption vor allem im Kontext dieser systemischen Rationalitäten betrachtet werden. Es wird danach gefragt, inwieweit die Korruption der Rationalität sozialer Systeme entspricht. Zunächst wird jedoch der Gegenstand der Korruption in der Forschung verortet (Kapitel 1), das heißt, es wird dargestellt, was gemeinhin unter Korruption verstanden wird bzw. wie sie definiert wird (Kapitel 1.1), und welche empirischen Erkenntnisse über Korruption in Deutschland vorhanden sind (Kapitel 1.2). Sodann soll die Frage beantwortet werden, welche kriminologischen Erklärungsansätze zur Korruptionsanalyse in Frage kommen (Kapitel 1.3). Es wird sich dabei zeigen, dass diese theoretischen Ansätze nur sehr bedingt dazu im Stande sind, die strukturellen Aspekte von Korruption zu erfassen. Um die in den ersten beiden Kapiteln erarbeiteten theoretischen Grundlagen anzuwenden, wird schließlich im dritten Kapitel ein konkreter Korruptionsfall aus der jüngsten bundesrepublikanischen Geschichte aufgerollt. Der sogenannte Müllskandal, der Anfang 2002 beträchtliches öffentliches Interesse gefunden hat, bietet sich hierfür an, weil er im Nachhinein durch eine relativ detaillierte journalistische Aufarbeitung gewürdigt wurde. Es steht also, entgegen der üblichen Informationslage bei bekannt gewordenen Korruptionsfällen,20 einiges an Informationsmaterial zur Verfügung, um die Vorgeschichte beziehungsweise den ökonomischen (Kapitel 3.1) und politischen Kontext (Kapitel 3.2) des Skandals aufzurollen. Mit Hilfe einer kurzen Rekonstruktion der korruptiven Ereignisse selbst (Kapitel 3.3) sollen schließlich Selbstverständnisse, Alltagsplausibilitäten sowie die Handlungsmuster der am Müllskandal beteiligten Akteure verdeutlicht werden. Hierdurch wird sich vielleicht zeigen, in welchem Ausmaß oder in welcher Form die Korruption bestimmten Systemrationalitäten entspricht oder ihnen zuwiderläuft. Um es salopp zu formulieren: Gefragt wird also in dieser Arbeit danach, was im Kölner Müllskandal schiefgelaufen ist und dies unter soziologischen, gesellschaftstheoretischen Aspekten. Korruption nicht allein als individuelles Fehlverhalten, sondern auch als Problem der Gesellschaft begreifbar zu machen, darum soll es gehen.
Vorbemerkung -- Bildungsreform und Sozialisationsforschung -- Hochschulpolitik und soziologische Forschung über Hochschulfragen — Situation und Perspektiven -- Zur Situation der Bildungspolitik und zu den Perspektiven bildungssoziologischer Forschung in der Weiterbildung -- Entwicklungssoziologie als Beruf — Bericht über ein FU — Forschungsprojekt zur Berufsfeldanalyse von Entwicklungssoziologen -- Soziologie in der VR China: Gegenwärtiger Stand und künftige Entwicklungstendenzen -- Soziokulturelle Implikationen technologischer Wandlungsprozesse: Bilanz und theoretische Ausblicke einer Sektionsdiskussion -- Die Suche nach Sicherheit — Kombinierte Produktions-formen im sogenannten informellen Sektor -- Geschlechtliche und internationale Arbeitsteilung -- Jugendsoziologie — Eine Forschungsübersicht -- Bildungserwartungen und Realisierungsmöglich-keiten bei Familien von un -und angelernten Arbeitern und Facharbeitern -Bericht über ein laufendes Forschungsvorhaben -- Jugend und Krise. Vorstellung eines anlaufenden Forschungsprojekts -- Video-Feedback in der Familienforschung: Chancen und Gefahren -- Herrschaft und Widerstand: Entwurf zu einer historischen und theoretischen Kritik des Patriarchats in der bürgerlichen Gesellschaft. (Zusammenfassung der vier kombinierten Referate) -- Forschung über Frauen -Die koloniale Situation -- Zur Problematik des Begriffs "Weibliche Sozialisation" -- Thesen zur somatischen Kultur von Frauen -- Struktur der Frauenerwerbstätigkeit und neue Technologien. Das Beispiel der Frauenarbeit im Einzelhandel -- 'Ungeschützte Beschäftigungsverhältnisse' Verstärkte Spaltung der abhängig Arbeitenden. Konsequenzen für die Frauenforschung und die Frauenbewegung -- Hausarbeit und Erwerbstätigkeit aus der Sicht amerikanischer Frauenforschung -- Rationalisierung als Krise der Arbeiteridentität -- Zukunft der Frauenerwerbsarbeit -- Gegenwart als Zukunft der Arbeit -- Leben mit einer chronischen Krankheit - Dargestellt am Beispiel der MS -- Makro- und mikrosoziologische Belastungsforschung bei berufstätigen Männern mit vorzeitigem Herzinfarkt -- Überlegungen zum Strukturwandel ärztlicher Tätigkeit unter dem Einfluß medizinischer Technik - Aspekte diagnostischen Handelns -- Not und Hilfe: Sozialer Wandel personenbezogener Dienste -- Aspekte des beruflichen Selbstbildes von Psychiatern -- Arbeitsplatz Kinderstation: Konflikte in der Interaktion von Kinderkrankenschwestern und Patienteneltern -- Die Bedeutung homogener Tätigkeitsgruppen in der Mikro-Epidemiologie des Betriebs -- Krankheit und arbeitsbedingte Belastungen: Grundlagen für ein ständiges Berichtswesen "Arbeitswelt und Gesundheit" -- Arbeitsbelastungen und psychische Gesundheit.Ergebnisse einer arbeits- und medizinsoziologischen Untersuchung und ihre Konsequenzen für die gewerkschaftliche Interessenvertretung -- Verlaufsbeobachtungen der Arbeitsunfähigkeit bei chronischer Krankheit -- Arbeit und Beruf im Alter aus medizin-soziolo-gischer Sicht -- Vorbemerkung -- Dynamische Modelle zur Beschreibung sozialer Prozesse -- Box/Jenkins-Methode als Instrument dynamischer Analyse -- Der Nutzen der Schwangerenvorsorge: Eine Lisrel-Anwendung zur Kausalanalyse -- Die Life Tree-Konzeption: Einige Gedanken und Thesen -- Einstellungsänderungen junger Juristen in Stu-dium, Referendarausbildung und Berufspraxis — Ergebnisse einer Repräsentativumfrage bei Juristen und Lehrern -- Karrieren in der Justiz des Kaiserreiches.Die Richter der Straf-und Zivilsenate des Reichsgerichts -- Über die Lebenswelt des Richters -- Neubesinnung in der Soziologie auf "Qualitäten und Lebensläufe" — Ein Gewinn für die Rechtssoziologie? -- Perspektiven der Justizforschung -- Alternativen zur Zwangsbeitreibung von Schulden -- Schuldbeitreibung im Konsumentenkredit -Ergebnisse einer empirischen Studie -- Schuldbeitreibung und soziale Kontrolle -- Befinden wir uns auf dem Weg zu einer Gesell -schaft ohne Arbeit? -- Von der beruflichen zur familialen Leistungsbe-reitschaft? Hypothesen zum sozialen Wandel von Familie und Beruf -- Haushaltsproduktion in der modernen Gesellschaft. Repräsentative Daten zum Lebensstil in der Bundesrepublik -- Krise und kompensatorische Politik. Eine Interventionsanalyse von Indikatoren der Arbeitswelt -- Beschäftigung und Arbeitslosigkeit in Österreich: Perspektiven für die achtziger Jahre -- Arbeitsorientierung in der Krise?Berufliche Perspektiven und Werte europäischer Studenten zwischen Unsicherheit und Engagement -- Subsidiare Informationsfunktion von Sozialbilanzen? Überlegungen zur strukturellen Koordination von gesellschaftsbezogener Berichterstattung und amtlicher Sozialstatistik am Beispiel des Indikators Arbeitszeit -- Die Entwicklungsmöglichkeiten des Konzepts der Arbeitszufriedenheit -- Arbeitszufriedenheit im Vergleich abhängig Erwerbstätiger in den Ländern der Europäischen Gemeinschaft -- Herrschaft und Gleichstellung -Auslöser von Devianz und Konformität Kontrolle und Duldung -- Vorwort -- Altstadtsanierung als Problemanalyse -- Zur Bedeutung städtischer Lebensbedingungen bei der Konstitution jugendlichen Protestverhaltens -- Zur Bedeutung städtischer Kontexte für die Konstituierung sozialer Probleme am Beispiel der Kriminalität -- Soziale Bewegung und ethnische Minderheit Sozialräumliche Bedingungen der Entstehung sozialer Bewegungen bei ethnischen Minderheiten. -- Zur Einführung -- Thesen zu Problemfeldern, Entwicklungsperspek-tiven und Forschungsorientierungen im Bereich "Arbeitswelt und Sozialpolitik" -- Sozialpolitik und Gesundheitswesen -- Kommunale Sozialpolitik -Thesen und Anmerkungen -- Verfassungstheoretische Aspekte der Verrechtli-chung von Sozialisation. 15 Thesen -- Selbstaktive Felder im kommunalen Raum -- Der informelle Sektor – Produktivitätsreserve des Wohlfahrtsstaates? -- Produktion von Fürsorglichkeit -- Thesen zum Verhältnis von Theorien sozialer Un-gleichheit und postindustrieller Gesellschaft -- "Alte" und "Neue" Ungleichheiten in der Weltgesellschaft -- Auflösung der Klassenstruktur in der post-industriellen Gesellschaft? Evidenzen aus neueren internationalen Entwicklungsverläufen -- Postindustrial society and the new classes reassessed -- Analyst von Gegenwartsproblemen Arbeitsteilung als Stellvertretung -- Anomietheorie und Krisenanalyse -- Soziologie als Krisenwissenschaft? -- Einleitung: Hermeneutik -Interaktion -Text -- Zur Struktur gerichtlicher Interaktion – die forschungspraktische Relevanz der Koversations-analyse -- Der Einzelfall als Fokus interpretativer Sozial-forschung? Zu einigen Methodenproblemen bei Familienstudien -- Interaktion und Kommunikation in der Lebenswelt großstädtischer Vagabunden Wiens (unter besonderer Beachtung der "Gaunersprache") -- Lebensformen Nürnberger Metallarbeiter in den 20er Jahren. Rekonstruktion von Sozialmilieus anhand autobiographischer Erzähltexte -- Zur Ethnographie sozialer Ordnung -dargestellt am Beispiel einer Fallstudie -- S0prachliche Realisierung von hierarchischen Kon-texten -eine konversationsanalytische Untersuchung intensivmedizinischer Visitenkommunikation -- Soziale Probleme im Kontext von Stadt-und Land-gemeinden -- Wirtschaftlicher Strukturwandel und räumliche Entwicklung -- Städtische oder ländliche Herkunft – bestimmt als Wohnvergangenheit -in ihrem Einfluß auf das Einleben in eine Großstadt -- Gewaltverhältnisse und städtische Lebenswelt -- Wohnstandortverhalten von Haushalten auf den Miet-wohnungsmärkten im großstädtischen Verdichtungsraum -Formen struktureller Gewalt? -- Professionalisierung der Wissenschaft in der Krise -- Arbeitsbedingungen und Arbeitsmarktchancen von Wissenschaftlern -- Bemerkungen zur gesellschaftlichen Determination von Analysen über die gesellschaftliche Determination von Bewußtsein -- Projektforschung als Rationalisierung des wissen-schaftlichen Arbeitsprozesses -Das Projektpersonal als neue Sozialkategorie der Rationalisierung -- Zum Verhältnis von Wissenschafts-und Berufsso-ziologie -- Biographie, Arbeit und (Lebens-)Krise. Einige Über-legungen und Argumente zu unserem Forschungsprojekt "Arbeitslosigkeit und Handlungskompetenz" -- Arbeiteridentität und Krisenwahrnehmung -- Das Jugendbild der Erwachsenen als Funktion ihrer Arbeitsbiographie Ergebnisse einer explorativen Untersuchung -- Vorbemerkung -- Soziale Aufsteiger Die Verarbeitung von strukturellen Widersprüchen in herkunftsuntypischen Lebensläufen -- Funktion und Relevanz des Familienbezugs in der männlichen biographischen Erzählung -- Erinnerung, Erzählung, Erfahrung. Differenzen zwischen Lebensgeschichte und Zeitgeschichte in biographischen Interviews -- Frau und Mann in der Familienrehabilitation -- Kurzbericht über das Forschungsprojekt Sozialisa-tion der Bilderfahrung, unter dem Aspekt geschlechtsspezifischer Sozialisation -- Über den Rückzug der Soziologen auf die Gegenwart -- Die Erforschung von Zivilisationsprozessen -- Bemerkungen zur Zivilisationstheorie -- The common sociological objekt rationale and figurational sociology. On integrating sociological theory -- Untersuchungen zu Entwicklungsstrukturen sozialer Verhaltensstandarde: Zur Beziehungsdynamik zwischen mehr und weniger stigmatisierten Individuen -- Bemerkungen zur Zivilisationstheorie: Hat Horkheimer von Elias abgeschrieben? Ernsthafte Überlegungen zu einer nicht ganz ernst gemeinten Frage -- Anmerkungen zum Entstehen der Machtforschung. Entwicklungszüge der körperlichen Gewalt als Machtquelle -- Der Staat und die öffentliche Gewaltanwendung in den Niederlanden, 1960 – 1982 -- International Politics and the Nuclear Revolution -- Die etablierten Deutschen und ihre ausländischen Außenseiter -- Zur langfristigen Entwicklung von Büroarbeit und Büroarbeitsräumen -- "Vermögensbildung" als theoretischer Leitfaden einer soziologischen Familiengeschichte -- Wie männlich ist die Wissenschaft? -- Die Gemütsruhe des Wohlfahrtsstaates -- Langfris.
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Bereits ein erster Blick ins Inhaltsverzeichnis dieses Buchs verrät, dass man es hier nicht mit einem der lange Zeit üblichen Texte über die DDR zu tun hat, die sich entweder zu einem Verriss oder zur Apologie hin polarisierten: Die Einteilung in die Kapitel "feiern", "amüsieren", "unterhalten" und "entspannen" samt "Anmerkungen zum sozialistischen Gelächter", "Sex und Saufen" oder zur Freikörperkultur scheint statt dem Leben in einer, je nach Forschungslage, totalitären oder (gefälligkeits-)diktatorischen Gesellschaft eher das Programm einer AIDA-Kreuzfahrt abzubilden - und in der Tat: Auch ein Artikel über die DDR-Traumschiffe findet sich im Band. Gleichwohl geht es bei Vergnügen in der DDR nicht um die bloße Rekonstruktion von Idyllen, nicht nur um, wie das Magazin des Westfälischen Anzeigers in seiner Besprechung des Bandes kalauerte, "schnäpseln und schnackseln": Schon das Vorwort von Stefan Zahlmann macht deutlich, dass die Beiträge dieses Bandes das Spannungsfeld von "Alltagsleben und Totalitarismuserfahrung" ausmessen und antreten, das Vergnügen zur "spektakuläre[n] Kategorie [der] Gesellschaftsanalyse" (S. 11) zu machen. Das Vorwort verweigert sich auch dem nahe liegenden Argument des Eskapismus und damit dem Verdacht, dass das Vergnügen in der DDR den totalitären Eingriff in das Leben des Individuums lediglich kompensiert hätte: "Vergnügen in der DDR ist auch das Vergnügen in und an einer Diktatur" (S. 9), nicht per se Subversion oder Opposition. Ein bedenkenswerter Ansatz, der durch bewusst vielfältige Annäherungen an das Thema realisiert wird: Wissenschaftliche Texte stehen neben essayistischen und literarischen Beiträgen und einem Fotoessay. Das nimmt freilich in Kauf, dass die einzelnen Beiträge zwar allesamt auf das allgemeine Thema Vergnügen rekurrieren, sich aber nur selten aufeinander beziehen oder sich im Blick auf ein konkretes Forschungsinteresse operationalisieren lassen: Das Spektrum reicht vom Witz bis zum Hooligan, von der Freikörperkultur bis zum Zirkus, vom Camping bis zum privaten Glücksspiel und bildet eher ein lose geknüpftes Makramee (eine auch in der DDR zeitweilig florierende Knüpftechnik, auf die Harald Hauswald in seiner biographischen Topographie der Kneipenszene im Prenzlauer Berg hinweist) als ein über einzelne Beiträge hinausgehendes wissenschaftliches Narrativ. Das ist nicht notwendigerweise ein Problem, hätte aber durch die Herausgeber in der Einleitung vielleicht ausführlicher gewürdigt werden können – gerade was die verschiedenen methodischen Zugänge betrifft, die die einzelnen Autoren für ihre Annäherung an das Thema wählen. Davon abgesehen ist Vergnügen in der DDR eine oft vergnügliche und sehr erhellende Lektüre. Im ersten Text des Abschnitts "feiern" beschreibt Michael Hoffmann die "Selbstmobilisierungen des politisch-administrativen Systems durch Organisation von Massenevents und Massenfesten" (S. 22) mit dem Begriff der "Festivalisierung" und macht auf die eigentümlich antidionysische Qualität der offiziellen Festkultur aufmerksam, auf den rationalen Kern und die klare Zielvorstellung der Vielzahl ritualisierter Großveranstaltungen, die Massen ideologisch zu mobilisieren. Die komplizierte Frage, wie über die öffentliche Festkultur ein Zugang, eine Teilhabe am gesellschaftlichen System geschaffen werden kann, findet hier letztlich eine kurze Antwort: "Wer mitfeiert, stimmt zu." (S. 28). Ute Mohrmanns "Lust auf Feste" wählt einen eher historisch deskriptiven Zugang. Sie verweist auf die schiere Menge von 5000 Festen im Jahr, die der offizielle Volksfestkalender zum Ende der DDR ausweist, differenziert sie entlang ihrer unterschiedlichen Traditionslinien (rites de passage, traditionelle Feste wie Weihnachten und Ostern, Revitalisierung und Wandel von Erntebräuchen und Heimatfesten usw.) und beschreibt ihre Entwicklung entlang der einzelnen Jahrzehnte der DDR-Entwicklung, wobei der Übergang der Ulbricht- zur Honecker-Ära hier wie in anderen Beiträgen als Zäsur mit anschließender Aufwertung von Heimat und Regionalität gilt. Die Beiträge von Hans Schubert ("Altes Vergnügen im neuen Gewand") und Jeannette Madarász ("Vergnügen in der Kleinstadt") berichten über Karnevalsclubs und die Büttenrede als Kristallisationspunkt des kompensatorischen Witzes bzw. über Premnitz, das Chemiefaserwerk und seine Feste anhand der biographischen Notizen eines Hubert B., während Eckart Schörle die undankbare Aufgabe auf sich nimmt, den DDR-Witz zu erklären (was, wie man weiß, Witzen einiges von ihrem Witz nimmt) und auf die Parameter seiner Genese im östlichen Deutschland eingeht. Hervorzuheben ist im Kapitel "amüsieren" Marcus Merkels Beitrag über "Glücksspiel in der DDR", der, strenger wissenschaftlich als andere Texte im Band, kenntnisreich das offiziell sanktionierte Glücksspiel im Spannungsfeld von staatlicher Geldakquise und ideologischer Bedenken schildert und auf die Gesetzeslücke aufmerksam macht, mit der im Zuge der Strafrechtsreform 1968 das Verbot des privaten Glücksspiels de facto abgeschafft wird. Dem folgen mal essayistische, mal quasi-literarische Texte und ein bemerkenswerter Fotoessay von Harald Hauswald und Frank Willmann, sowie "Party totalitär" von Katharina Gajdukowa und Dirk Moldt. Dieser Text über "Punksein in der DDR" wirft - theoretisch mit dem Begriff der Zwischenöffentlichkeit operierend - ein Schlaglicht auf die Jugend am Ende der DDR, auf eine Generation, in der die verlorene Spannkraft der staatseigenen Ideologie zu einer "radikal distanzierte[n] Haltung gegenüber dem politischen System" (S. 186) führt. Den Abschnitt "unterhalten" führt Gerd Dietrichs theoriegeschichtlicher Aufriss von Vergnügen/Unterhaltung in der DDR an. Er unterscheidet drei Grundpositionen. Differenziert werden erstens traditionelle Positionen aus der Arbeiterbewegung, die vor allem die ersten beiden Jahrzehnte der DDR beherrschen und die die modernen Massenvergnügungen insgesamt eher ablehnten (und die im folgenden Beitrag Cornelia Kühns weiter aufgefächert werden). Diesen werden zweitens in den Jahren seit der Machtübernahme Honeckers Konzepte gegenübergestellt, "die die Unterhaltungs- und Massenkultur als konstitutives und legitimes Element der Lebensweise im Sozialismus ansahen." (S. 232) Dies wird drittens ergänzt um die wenngleich nie dominanten Positionen der reformkommunistischen Theoretiker Rudolf Bahro und Lothar Kühne. Die folgenden Beiträge - Michael Meyen zur Rezeptionsgeschichte des Fernsehens, Hanno Hochmuth über den Diskurs über das Westfernsehen an den DDR-Schulen und Ulrike Häußer zur Fernsehshow "Treff mit O.F." - widmen sich kenntnisreich dem "Medienvergnügen" in der DDR, wobei man sich über die Abwesenheit eines Beitrags über die Unterhaltung an fiktionalen Formen (sei es über das Leseland DDR, seien es Spielfilme in Kino oder im Fernsehen) wundert. Bemerkenswert in diesem Abschnitt ist auch der Beitrag Sylvia Klötzers über einen institutionalisierten Raum des subversiven Diskurses in der DDR – das Kabarett, das hier am Beispiel der DEFA-Kurzfilmserie Das Stacheltier und der Dresdner Ensembles und Kabaretttheaters Herkuleskeule besprochen wird. Schon anhand des Stacheltiers (eine deutliche Anspielung auf das erfolgreiche Westberliner Kabarett Die Stachelschweine) wird die prekäre Situation der Satire in der DDR deutlich: Als Vorfilme vor allem in den Kinos Ostberlins und Leipzigs nutzten sie den Spielraum, der durch "physische Erreichbarkeit von Alternativen zur SED-dominierten Öffentlichkeit" (S. 325) entstand. Sie waren eine kompensatorisch politische Notwendigkeit, die mit der Grenzziehung 1961 verschwand – und mit ihr 1963 das Stacheltier. Da das Fernsehen in der DDR ohne satirische Formate im engeren Sinn blieb, verlagerte sich das Kabarett, vor allem seit Honeckers Machtantritt, auf Berufsensembles in fast allen Bezirksstädten, die jedoch, wie Klötzer deutlich macht, insgesamt "lediglich kleine Öffentlichkeiten" (S. 327) erreichten. Abgerundet wird das Kapitel von Thomas Irmers Text ("Sozialistischer Boulevard") über das Theater Rudi Strahls und Edward Larkeys Beitrag über populäre Musik, ihre Institutionen in den DDR-Medien und die – im Rahmen eines einheitlichen Konzepts von Öffentlichkeit verständlichen – Schwierigkeiten bei der Herausbildung distinkter Fankulturen, die wiederum Symbol von Identitätsfindung und jugendkultureller Auseinandersetzung waren. Der letzte Abschnitt liefert Einsichten über das "Entspannen" in der Mangelgesellschaft, über "Laubenpiepervergnügen" (Isolde Dietrich), die Kleingärtner und ihre eigenartig privilegierte Situation angesichts der schwierigen Versorgungssituation, über die DDR als eine der führenden Campingnationen (Gerlinde Irmscher) und über einen bewussten Verzicht, nämlich den an der Badebekleidung (Lutz Thormann über die "Freikörperkultur" und die schwierige Durchsetzung des für die DDR als so typisch geltenden Vergnügens in den ersten sieben Jahren ihres Bestehens). Andreas Stirn berichtet, gestützt auf Zeitzeugenaussagen und eine extensive Archivrecherche, über eine Art der Entspannung, in deren Genuss nur die wenigsten DDR-Bürger gelangten – eine Fahrt auf einem der drei Kreuzfahrtschiffe Völkerfreundschaft, Fritz Heckert oder Arkona. Heike Wolters "DDR-Bürger auf Reisen" beschließt den Band mit einem Überblick über mögliche und unmögliche Reisen in einem abgeschlossenen Land und die gesellschaftliche Sprengkraft des Wunsches nach freier Bewegung. Insgesamt also bietet Vergnügen in der DDR die Zusammenschau eines bislang nicht eben zentralen Themas der DDR-Forschung, das in so vielen Zugängen präsentiert wird, wie es Facetten hat – das Ergebnis ist kein durchweg kohärenter Themenband, viel eher ein Sammelband, der es mit der Wissenschaft nicht immer so ernst nimmt, aber: ein guter.
Inhaltsangabe: Identität und Transformation' lautet das Thema der vorliegenden Arbeit. Dabei gilt es zu klären, welche integrative Wirkung eine kollektive Identität besitzt und welche Rolle der Idee der 'Nation' als integrierender Kraft in den neuformierten postsowjetischen Gesellschaften dabei zukommt. Die zugrundeliegende Fragestellung der in den Kapiteln über Identität, Nation und Transformation behandelten Thematik lässt sich in folgende Fragen fassen: Was ist Identität und welche Rolle spielt sie beim Transformationsprozess? Wie ist der Beitrag nationaler Identitätsangebote zur Herausbildung einer kollektiven Identität zu bewerten? Braucht eine erfolgreiche Transformationsgesellschaft eine nationale Identität? Gegenstand dieser Arbeit ist demnach eine analytische Darstellung des für den Transformationsprozess im postsowjetischen Raum relevanten Faktors 'Identität'. Die kollektive Identität, die in den Nationalbewegungen zum Ausdruck kam und der Idee der 'Nation' prinzipiell zu eigen ist, war ein wesentlicher Faktor für den Zusammenbruch der Sowjetunion und ist auch jetzt noch ein wesentlicher Parameter bei der Untersuchung, wie erfolgreich der Transformationsprozess in den einzelnen Ländern verlaufen ist. Bevor die zentralen Annahmen und Thesen dieser Arbeit vorgestellt werden, soll zunächst die Methodik, und anschließend die Vorgehensweise erläutert werden. Die Annahmen und Thesen sind in dieser Arbeit als das tragende Gerüst zu verstehen, an denen sich der Autor entlang hangelt, immer in dem Bewusstsein, dass die Arbeit zu zerfasern droht, wenn der einmal eingeschlagene Gedankengang nicht mit Disziplin weiterverfolgt wird. Da sie die gedankliche Essenz der Kapitelinhalte sind, werden sie auch entsprechend oft wiederholt. In dieser Arbeit wird ein kulturwissenschaftlich-hermeneutischer Ansatz verwendet, der bewusst versucht die Frage der 'Politischen Kultur' im Transformationsprozess nicht auszuklammern. Die Frage nach der Identität der Bevölkerung verlangt einen derartigen Ansatz. Die zentrale Frage der politischen Kulturforschung ist die nach der Stabilität und Konsolidierung der Demokratie. Deshalb ist zu fragen, in welchem Maße endogene Faktoren, resultierend aus der eigenen gewachsenen historischen Kultur eines Landes, in der Lage sind, zu dieser Konsolidierung im Transformationsprozess beizutragen. 'Die Untersuchung von Kultur besteht darin (oder sollte darin bestehen), Vermutungen über Bedeutungen anzustellen, diese Vermutungen zu bewerten und aus den besseren Vermutungen erklärende Schlüsse zu ziehen, nicht aber darin, den Kontinent Bedeutung zu entdecken und seine unkörperliche Landschaft zu kartographieren.' Stefan Garsztecki ist prinzipiell beizupflichten, wenn er feststellt, dass 'gut 10 Jahre nach dem Beginn der Transformation [...] der Faktor Kultur in vergleichenden Studien allmählich in den Mittelpunkt rückt'. Dies lässt sich vor allem darauf zurückführen, dass der Kulturbegriff und das Konzept der politischen Kultur im Rahmen der Transformationsforschung einzig und allein darüber entscheidet, welche Aussagen sich über die 'demokratische Ausgestaltung, die Konsolidierung einer demokratischen Zivilgesellschaft, [...] die Permanenz der Demokratie' treffen lassen. Der Siegeszug des rational-choice-Ansatzes scheint also zugunsten von kulturwissenschaftlich-hermeneutischen Ansätzen vorerst gestoppt zu sein. Gerade beim Vergleich der unterschiedlichen Transformationserfolge ist der kulturwissenschaftliche Ansatz von großer Bedeutung. Aus diesem Grund wurde auch der Faktor 'Identität' ausgewählt, um als Variable bei der Untersuchung des Transformationsprozesses zu fungieren. Dementsprechend zu dem weitgefassten Zugang zum Transformationsprozess ist die Literaturauswahl in dieser Arbeit auch interdisziplinär und versucht möglichst verschiedenen Aspekte und Sichtweisen des Transformationsprozesses zu berücksichtigen. Der Zeitschrift OSTEUROPA kommt dabei ein besonderer Stellenwert zu, denn sie versteht sich als eine 'interdisziplinäre Monatszeitschrift zur Analyse von Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur und Zeitgeschichte in Osteuropa, Ostmitteleuropa und Südosteuropa', entsprechend dem Ansatz dieser Arbeit. Klaus Mehnert, der Namensgeber des Kaliningrader Europa-Institutes, leitete die Zeitschrift zwischen 1951 und 1975. Sein interdisziplinärer Ansatz spiegelt sich im Europa-Institut Klaus Mehnert in Kaliningrad sowie in der Zeitschrift OSTEUROPA. Die Auswertung der Erscheinungen der letzten 15 Jahre in Bezug auf Artikel zum Thema 'Identität' nimmt einen großen Stellenwert in dieser Arbeit ein. Herauszuheben aus der verwendeten Literatur ist noch Georg Elwerts Beitrag zur Bildung von Wir-Gruppen und zur Entstehung von Nationalbewusstsein. Dadurch gelang es die Verbindung zwischen einer kollektiven Identität und dem in den postsowjetischen Staaten entstehenden Nationalbewusstsein zu ziehen. Im Kapitel zur 'Transformation' waren besonders das Lehrbuch von Wolfgang Merkel hilfreich, bei der Untersuchung der Transformation in Osteuropa sind Andreas Kappeler, Uwe Halbach und Peter W. Schulze als die wesentlichen Impulsgeber zu nennen. Ohne tiefer in die unterschiedlichen Ansätze zu Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie, zu normativ-ontologischer, historisch-dialektischer und empirisch-analytischer Schule eingehen zu wollen, muss beachtet werden, dass es sich bei Begriffen wie 'Transformation', 'Identität', 'Integration', 'Nation' oder anderen um gedankliche und sprachliche Konstrukte handelt, die keine Abbildung in der Realität haben. Es sollte also prinzipiell ein Gespür dafür vorhanden sein, dass das Medium Sprache Wirklichkeit konstruiert. In der modernen Nationalismustheorie spricht man inzwischen von der 'Erfindung der Nation' und spielt dabei auf die Rolle der Eliten als Geburtshelfer beim sogenannten 'nationalen Erwachen' von Nachzüglergesellschaften an. Grundsätzlich gilt, dass Wissenschaft stets nur ein Abbild der Realität ist. Sämtliche Klassifikationsversuche sind im Grunde Versuche der Welt eine Struktur zu geben; die Sprache erfüllt in der heutigen Welt ganz wesentlich eine Benennungs- und Klassifizierungsfunktion. Sprache strebt danach, die Ordnung aufrechtzuerhalten und Zufall und Kontingenz zu leugnen und zu unterdrücken. Ambivalenz ist ein Nebenprodukt der Arbeit der Klassifikation. Ambivalenzen sollen aber vermieden werden, um die Ordnung des Gedankengebäudes aufrecht zu erhalten und Unbehagen zu vermeiden. Nach Zygmunt Bauman besteht die typisch moderne Praxis, die Substanz moderner Politik, des modernen Intellekts, des modernen Lebens darin, 'Ambivalenz auszulöschen: eine Anstrengung genau zu definieren – und alles zu unterdrücken oder zu eliminieren, was nicht genau definiert werden konnte oder wollte'. Die vorliegende Arbeit möchte aber genau dieses vermeiden, und stattdessen Ungenauigkeiten in geringem Umfang zulassen, da es unmöglich ist sie auszuschließen. Mit diesem kurzen gedanklichen Ausflug sollte lediglich auf die Schwierigkeit des Themas 'Identität und Transformation' mit derartig abstrakten Begriffen hingewiesen werden, da sich hinter den Begriffen Vorstellungswelten verbergen, die nie vollständig zu fassen sind; entstehende Unschärfen sind daher nicht beabsichtigt, sondern einfach unvermeidbar und erfüllen auch einen gewissen Zweck, da es illusorisch ist, die Komplexität der Welt mit wenigen Worten fassbar zu machen. Mit diesem Ansatz soll der Tendenz in der Politikwissenschaft entgegengewirkt werden, Typologien zu entwickeln, dabei den Kontakt zum Gegenstand zu verlieren und am Ende nichts mehr erklären zu können. Naturgemäß stellen sich Unschärfen dadurch ein, dass die zitierten Autoren die Begriffe unterschiedlich definieren und verwenden, besonders schwierig wird es, wenn Begriffe aus dem Englischen übersetzt werden. Dennoch soll zu Beginn der Kapitel über 'Identität' und 'Transformation' versucht werden, die Spannweite dieser Begriffe darzustellen, sie zu definieren und damit ihren Bedeutungsgehalt zu begrenzen. Dennoch soll in einem ersten Schritt versucht werden, sich dem Phänomen 'Identität' zu nähern (Kapitel 1.1 1.2). Aus den individuellen Vorstellungen von Identität entsteht eine kollektive Identität, die das Bewusstsein einer Großgruppe bestimmt. In Kapitel 1.3 wird zu ergründen versucht, warum das Bedürfnis nach einer kollektiven Identität besteht. Demnach gilt es zu unterscheiden zwischen einer individuell-psychologischen und einer kollektiven Identität. Diese stehen jedoch in einem Wechselverhältnis zueinander, auf das später noch eingegangen wird. Im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelten sich aus zahlreichen Faktoren neue Wir-Gruppen, die einer kollektiven Identität bedurften (Kapitel 1.4). Eine kollektive Identität, so die erste zentrale These der vorliegenden Arbeit, ist eine der Voraussetzungen für ein funktionierendes Gemeinwesen, da durch sie die notwendige gesellschaftliche Integration und Mobilisierung geleistet werden kann. Sie liefert den Kitt für die gesellschaftliche Kohäsion, verhindert einen Zerfall des Staatswesens gleichermaßen wie seine Integration in andere Staaten und die damit verbundene Selbstauflösung. Eine gemeinsame Identität setzt eine gemeinsame Interpretation geschichtlicher Ereignisse, gemeinsame Zukunftserwartungen und als Grundlage dessen eine gemeinsame Sprache und gemeinsame Medien voraus, in denen eine Artikulation der gemeinsamen Vorstellungen stattfindet und kontroverse Aspekte entsprechend diskursiv abgebildet werden. Somit umfasst Identität im Sinne der vorliegenden Arbeit die drei Bereiche Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Eine kollektive Identität hat also gewisse Voraussetzungen, die entweder schon vorhanden sind oder erst konstruiert werden müssen. Nach der Implosion der Sowjetunion und dem Wegfall ihrer legitimitätsstiftenden Ideologie und ihrer integrierenden Faktoren (Kapitel 1.5) setzte in der postsowjetischen Phase die Suche nach einer neuen kollektiven Identität in den neuentstandenen Republiken ein (Kapitel 1.6). Die zweite These lautet, dass die zentrale Einheit, die kollektive Identität schafft, die Nation ist. Damit ist die Nation eine wesentliche Ressource im Transformationsprozess. Diesem Gedankengang wird im zweiten Kapitel nachgegangen. Nachdem zunächst erklärt werden soll, was unter dem Begriff der 'Nation' verstanden werden soll, soll das Konzept des Nationalstaates als politisches Ordnungsmuster (Kapitel 2.1) beschrieben werden. In Kapitel 2.2 wird darauf aufbauend auf die Integration dieses Konzeptes eingegangen. Negative Mobilisierung findet oftmals durch einen Rückgriff auf einen chauvinistisch ausgelegten Nationalstaatsgedanken statt. Bei der Literaturdurchsicht drängte sich fast der Eindruck auf, dass die beide Integrations- und Mobilisierungskonzepte so eng miteinander verbunden sind, das eine trennscharfe Unterscheidung fast unmöglich ist. Aus diesem Grund wird in Kapitel 2.3 das Konzept der negativen Mobilisierung in einem Exkurs behandelt. Der dadurch entstehende Nationalismus muss sicher als negativer Teilaspekt der positiven Integrationsleistung der Idee der 'Nation' gelten. Die anderen Voraussetzungen auf die der Nationalstaatsgedanke in Osteuropa mit seiner sehr viel heterogeneren Bevölkerungsstruktur als in Westeuropa trifft, sind unter anderem Gegenstand der Betrachtung im Kapitel 2.4. Den Abschluss des Kapitels zur Nation bilden darauf aufbauend Überlegungen zum Unterschied zwischen de westlichen und dem östlichen Nationenbegriff in Kapitel 2.5. Das relativ kurze dritte Kapitel ist der Nationalitätenpolitik in der Sowjetunion gewidmet. Diese Nationalitätenpolitik ist hauptverantwortlich für die 'Explosion des Ethnischen' ab Mitte der 80er Jahre. Nachdem erläutert wurde, worin der Ansatz dieser Politik grundsätzlich bestand, macht es sich Kapitel 3.1 zur Aufgabe den inoffiziellen Nationalitätenvertrag auszuführen, der die regionalen Eliten bewusst förderte. Gezielte Industrieansiedlungen durch die zentral koordinierte Planwirtschaft vergrößerten die Heterogenität in der Bevölkerungsstruktur (Kapitel 3.2). Auch diese Politik kann damit als ein Element der Nationalitätenpolitik gelten, da durch sie ortsfremde russischsprachige Kader auch an der Peripherie des Imperiums angesiedelt werden konnten. Dieses Gemisch aus den nationalisierenden lokalen Eliten und den ortsfremden sowjetisch sozialisierten Industriekadern, war die Grundlage für das Brodeln in der Perestrojka-Phase und das Hochkochen Anfang der 90er Jahre als der vermeintliche 'melting pot' Sowjetunion sich als Völkergefängnis entpuppte und durch die 'Explosion des Ethnischen' der Sowjetführung um die Ohren flog (Kapitel 3.3). Die territoriale Neuordnung nach der Implosion der Sowjetunion führte zur Schaffung von Nationalstaaten. Dies ist neben der politisch-institutionellen und ökonomischen Neuausrichtung der dritte Aspekt im Transformationsprozess. Deshalb wird auf die Neugliederung der ehemaligen Sowjetunion in Nationalstaaten als Teilaspekt postsowjetischer Transformation verstärkt in dieser Arbeit geachtet werden. Das Integrationskonzept über die Idee der 'Nation' die Gesellschaft zu integrieren, war zwar in Westeuropa sehr erfolgreich – auch wenn es für zwei Weltkriege mitverantwortlich war – trifft in Osteuropa aber auf ganz andere Voraussetzungen, da die Bevölkerungsstruktur viel heterogener ist. Stattdessen müssen in Osteuropa Integrationskonzepte zum Tragen kommen, die die kollektive Identität in einem größeren Zusammenhang sehen, in einer gemeinsamen politischen Vision, in der Menschenrechte und Demokratie fester Bestandteil sind. Die Untersuchung der Transformation in den ehemals realsozialistischen Staaten Osteuropas erfolgt im fünften Kapitel der Arbeit. Zuvor sollen im vierten Kapitel verschiedene Transformationstheorien vorgestellt werden und bezüglich ihrer Brauchbarkeit für die Analyse der Transformation in Osteuropa hinterfragt werden: Was können sie erklären und was nicht? Nach diesem eher allgemeineren Zugängen wird versucht, die Transformation in Osteuropa in wenigen Kapiteln fassbar zu machen. Eine empirische Darstellung des Transformationsprozesses der relevanten Länder kann nicht erfolgen, eher soll ein problemorientierter analytischer Aufriss einiger Faktoren erfolgen. Als erstes soll das Spezifische des Prozesses in den 90er Jahren in den osteuropäischen Ländern illustriert werden, danach prinzipielle Spannungsfelder, die sich aus historisch-kulturell-geografischen Daten ergeben, dargestellt werden, bevor in einem letzten Schritt der Ablaufprozess ebenso wie die verschiedenen Ebenen der Transformation schlaglichtartig beleuchtet werden. Der Teil der Arbeit der sich dem Phänomen der 'Transformation' widmet, wird grundsätzlich von folgenden Fragen strukturiert werden: Was soll unter Transformation verstanden werden? Gibt es überhaupt das große Paradigma 'Transformation' auf das sich alle Transformationsforscher als einheitlichen Untersuchungsgegenstand stützen können oder ist Transformation nicht ein konturloser Begriff unter dem sich alles und jedes fassen lässt, jegliche Systemwechsel in beliebigen politischen Systemen auf der ganzen Welt unbestimmt in Dauer, Intensität, Richtung und Ausgangssituation (Kapitel 4.1)? Welche theoretischen Zugänge wurden grundsätzlich entwickelt, um Transformationsprozesse besser analysieren und verstehen zu können? Vor welchem Hintergrund wurden sie entwickelt und was für ein Erklärungspotential bergen sie zum besseren Verständnis der Transformation in Osteuropa (Kapitel 4.2)? Auf Grundlage dieser Bestandsaufnahme erfolgte eine genauere Analyse des Transformationsprozesses in Osteuropa (Kapitel 5). Zunächst wurde das Hauptaugenmerk auf den Aspekt der Besonderheit dieses Transformationsprozesses gegenüber den vorherigen gelegt (Kapitel 5.1). Inwiefern war der Transformationsprozess in Osteuropa komplexer als die vorhergegangenen? Welche Ebenen umfasste er? Kapitel 5.2 ist der Darstellung der speziellen Gegebenheiten und Konstanten im postsowjetischen oder osteuropäischen Raum gewidmet. Transformation findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern hat gewisse Voraussetzungen und Vorbedingungen, die auch Einfluss auf den Transformationsverlauf nehmen und die gewisse Entwicklungswege erschweren. In Kapitel 5.3 und 5.4 steht die Empirie der Transformation im Vordergrund. Zu fragen ist grundsätzlich: Was ist in den postsowjetischen Ländern überhaupt passiert? Welche Transformationen durchliefen das politische und das ökonomische System? Gibt es zugrundeliegende Logiken und Handlungsmuster? Die zentralen Annahmen der gesamten vorliegenden Untersuchung lassen sich wie folgt zusammenfassen: Identität ist eine Kategorie, die sich zusammensetzt aus einem individuell-psychologischen Aspekt und einem kollektiven. Eine kollektive Identität setzt sich zwar zusammen aus der Summe der Einzelidentitäten, umfasst aber nur einen kleinen Teilbereich der Einzelidentität, nämlich den, der sich auf die Wahrnehmung einer Gruppe als Gesamtheit bezieht. Gesellschaftliche Integration ist einer der entscheidenden Faktoren zur staatlichen Konsolidierung und damit zum Gelingen des Transformationsprozesses. Da die Implosion der Sowjetunion auch eine staatliche Neuordnung auf ihrem Territorium nach sich zog, müssen die selbstständig gewordenen ehemaligen Sowjetrepubliken nach einer kollektiven Identität suchen mit Hilfe derer es gelingen kann, die heterogenen postsowjetischen Bevölkerungsschichten zu integrieren. Die Idee der Nation ist zum zentralen Moment der kollektiven Identität im Transformationsprozess in vielen osteuropäischen Staaten geworden. Nationale Ideen werden von politischen Akteuren genutzt, um Bevölkerungsgruppen zu integrieren. Den Nationalbewegungen in den Volksfronten kam eine entscheidende Rolle beim Zusammenbruch der sowjetischen Ordnung zu. Nationalismus ist nicht von vorneherein negativ zu bewerten. Er leistet einen wesentlichen Beitrag zur gesellschaftlichen Integration in diesen Ländern. Dennoch liegen auch die Gefahren von nationalen Ideen angesichts der heterogenen Siedlungsstruktur Osteuropas auf der Hand. Notwendige geschichtliche Aufarbeitungsprozesse werden zudem verhindert und Frustrationen durch Transformationsprozess auf externe Faktoren abgeschoben was zur Bildung von Feindbildern beiträgt. Die vor dem Zusammenbruch des realsozialistischen Blocks entwickelten Transformationstheorien sind zwar hilfreich bei der Erklärung bestimmter Prozesse, jedoch besteht nach wie vor ein Mangel an Theoriemodellen, um die postsowjetische Transformation zu erklären. Aus diesem Grund soll neben den klassischen theoretischen Erklärungsansätzen, anschließend die Besonderheiten der Transformationsbedingungen im postsowjetischen Raum dargestellt werden. Transformation im postsowjetischen Raum findet seit Mitte der achtziger Jahre auf mehreren Ebenen statt. Da die Transformation nicht nur das politische, sondern auch das ökonomische und gesellschaftliche System erfasst, ist eine Betrachtung der einzelnen Ebenen, die komplex miteinander verwoben sind, sinnvoll. Bei der Untersuchung der Transformationsprozesse soll auch ein besonderes Augenmerk auf die Kontinuitäten im postsowjetischen Raum gelegt werden, die für ein Stocken oder eine Richtungsentscheidung mitverantwortlich sind. Die grundlegenden Thesen dieser Arbeit lauten zusammengefasst: Eine kollektive Identität ist eine der Voraussetzungen für ein funktionierendes Gemeinwesen, da durch sie die notwendige gesellschaftliche Integration und Mobilisierung geleistet werden kann. Jede soziale Gruppe gibt sich eine kollektive Identität. Dabei wird sehr oft auf die gemeinsame ethnische Abstammung und die Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Nation verwiesen. Das Identitätsbewusstsein der gesellschaftlichen Eliten in Osteuropa war geprägt durch eine Renaissance des Nationalen und hatte entscheidenden Einfluss auf den Transformationsprozess und die Herausbildung von Nationalstaaten auf dem Territorium der Sowjetunion. Die zentrale Einheit, die kollektive Identität schafft, ist die Nation. Damit ist die Nation eine wesentliche Ressource im Transformationsprozess. Das Integrationskonzept über die Idee der 'Nation' war zwar in Westeuropa sehr erfolgreich – auch wenn es für zwei Weltkriege mitverantwortlich war – trifft in Osteuropa aber auf ganz andere Voraussetzungen, da die Bevölkerungsstruktur viel heterogener ist. Stattdessen müssen liberalere Integrationskonzepte in Osteuropa zum Tragen kommen, die die kollektive Identität in einem größeren Zusammenhang sehen, in einer gemeinsamen politischen Vision, in der Menschenrechte und Demokratie fester Bestandteil sind.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: Einleitung5 1.Identität15 1.1Relevanz des Faktors 'Identität'15 1.2Annäherung an den Begriff 'Identität'16 1.3Der Bedarf nach einer kollektiven Identität20 1.4Bildung von Wir-Gruppen21 1.5Identitätsstiftung in der Sowjetunion22 1.5.1Patriotische Sinnstiftung als Integrationsfaktor24 1.5.2Forcierte Industrialisierung als Integrationsfaktor26 1.5.3Der 'Große Vaterländische Krieg' als Integrationsfaktor27 1.6Identitätssuche nach dem Zerfall der Sowjetunion28 1.6.1Patriotischer Konsens in Russland32 1.6.2Orthodoxer Patriotismus als Element der russischen Identität37 1.6.3Identitätssuche in den postsowjetischen Republiken39 1.6.4Nationalstaatsbildung in der Ukraine41 1.6.5Schaffung einer neuen Regionalidentität am Beispiel Transnistriens44 2.Der Begriff der 'Nation'48 2.1Der Nationalstaat als politisches Ordnungsmuster51 2.2Positive Integration durch das Konzept des Nationalstaates54 2.3Chauvinistischer Nationalismus als Schattenseite der positiven Integrationskraft der Idee der 'Nation'56 2.4Exkurs: Negative gesellschaftliche Mobilisierung60 2.5Der Unterschied zwischen dem westlichen und dem östlichen Nationenbegriff64 3.Nationalitätenpolitik in der Sowjetunion67 3.1Inoffizieller Nationalitätenvertrag70 3.2Gezielte Industrieansiedlungen als Teil der Nationalitätenpolitik72 3.3Folgen der Nationalitätenpolitik: Nationale Identität als Aufbruchsmoment und Ursache für den Zerfall der Sowjetunion74 4,Transformation82 4.1Annäherung an den Begriff der 'Transformation'83 4.2Transformationstheorien89 4.2.1Systemtheorien91 4.2.2Strukturtheorien93 4.2.3Kulturtheorien95 4.2.4Akteurstheorien96 4.2.5Theoriesynthese97 5.Transformation in Osteuropa99 5.1Grundproblematik100 5.1.1Die Unvergleichlichkeit des Systemwechsels von 1989101 5.1.2Das Dilemma der Gleichzeitigkeit105 5.2Prinzipielle Problemfelder bei der Transformation im postsowjetischen Raum107 5.2.1Geographische Gegebenheiten108 5.2.2Mächtiger Staat und passive Gesellschaft110 5.2.3Privilegierte Eliten und geknechtete Unterschichten111 5.2.4Die Welt der Bauern und die Welt der Städte113 5.2.5Russen und Nichtrussen114 5.2.6Extensivität und verzögertes Wirtschaftswachstum115 5.2.7Heiliges Russland und orthodoxe Staatskirche117 5.2.8Hochkultur und Volkskultur118 5.2.9Europa und Asien120 5.3Transformation des politischen Systems121 5.3.1Transformation des Herrschaftsmodells121 5.3.2Transformation zu scheindemokratischen Herrschaftsmodellen122 5.3.3Die Handlungslogik der Ein-Mann-Regime123 5.3.4Die Zerstörung des gesellschaftlichen Pluralismus126 5.4Transformation der Ökonomie128 Schluss132 Literatur136Textprobe:Textprobe: Kapitel 1.6, Identitätssuche nach dem Zerfall der Sowjetunion: Dem 'homo sovieticus' hatte sich die Frage nach seiner Identität kaum gestellt. Der Begriff 'identicnost' war in keinem sowjetischen Wörterbuch zu finden. Die Einheitsideologie ließ keinen Platz für weitergehende Fragen. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion konnte die Suche nach neuen Identitäten schließlich beginnen. Nachdem im Kapitel 1.5 die identitäts- und integrationsstiftenden Mechanismen in der Sowjetunion beschrieben wurden, soll im Kapitel 1.6 die Suche nach neuen identitäts- und damit integrationsstiftenden Elementen beschrieben werden. Die Dekonstruktion sowjetischer Mythen ging Hand in Hand mit der Rekonstruktion von Mythen aus der Zarenzeit. Dazu gehörte ein stilisiertes und idealisiertes Bild des 'ancien régime': Die Verdienste der Romanovs wurden wiederentdeckt und alsbald in das neue kollektive Gedächtnis integriert. Adel, Großunternehmer und Industrielle, Kosaken, vor allem jedoch die Russisch Orthodoxe Kirche erlangten ihre historischen Rechte zurück. In diesen Konstruktionen ist immer auch die Sehnsucht nach einer heilen Vergangenheit erkennbar. In den Jahren der Transformation ist sich Russland seiner Identität unsicher geworden. Ende des Jahres 1997 stellte Christiane Uhlig das Fehlen einer kollektiven Identität fest, in deren Namen sich die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und sozialen Schichten zu gemeinsamem Handeln für den Aufbau der neuen Gesellschaft zusammenfinden könnten. Gerade in Zeiten der Krise gibt es ein Bedürfnis nach nationalen Identifikationsangeboten. Dass gerade in den schwierigen Transformationsjahren der Verlust der sowjetischen Identität besonders schwer wiegt, beklagte auch Boris El'cin: 'Jede Etappe hatte ihre Ideologie. Jetzt haben wir keine. Russland braucht eine gesamtnationale Idee, die die Nation zusammenschweißt, die Menschen eint und mobilisiert zur Wiedergeburt Russlands und die ein Gegengewicht ist zum politischen Gezänk.' Dies war auch der Grund dafür, dass die halbamtliche Zeitung Rossijskaja Gaseta, einen Wettbewerb nach der besten 'Idee für Russland' ausschrieb. Es bestand also in der Administration und unter den Eliten Konsens, dass es notwendig sei, eine im eigentlichen Sinne staatliche Ideologie auszuarbeiten. Dies kann nur vor dem Hintergrund der kommunistischen Tradition verstanden werden nach der eine Ideologie notwendiger Bestandteil von Herrschaft war, um die Bevölkerung zu integrieren. Jetzt wurde der Bedarf nach einer Zivilreligion festgestellt, einem Konzept, das jenseits der Gesetzestexte eine Regelungsinstanz für die gesellschaftlichen Mechanismen darstellt. In den westlichen Staaten speist sich das dem Staat zugrunde liegende normative Konzept im Wesentlichen aus den jüdisch-christlichen religiösen Vorstellungen, die noch mal durch den Protestantismus an die europäische Neuzeit angepasst wurden, der griechisch-römischen Antike und dem Humanismus der Aufklärung. Diese Elemente bilden in den westlichen Staaten das zugrundeliegende normative Konzept für die politische Ordnung. Diese Geistestraditionen sind nicht in gleichem Maße in der russischen Tradition vorhanden, was die Etablierung von Demokratie, Menschen- und Bürgerrechten mit Sicherheit nicht gerade vereinfacht. Als Konsequenz der anderen geistesgeschichtlichen Traditionen müssen die Konzepte der Demokratie im postsowjetischen Raum mehr von oben nach unten vermittelt werden, als dass sie Bestandteil einer gemeinsamen Vorstellungswelt sind, die als vorhanden vorausgesetzt werden kann. Damit kommt dem Staat und seinen Apparaten eine viel bedeutendere Rolle bei der Vermittlung von gesellschaftlichen Konzepten zu als dies in westlichen Gesellschaften der Fall ist. Innerhalb Russlands lässt sich die Suche nach einem neuen kollektiven Identifikationsangebot anhand von verschiedenen politischen Diskursen darstellen: zum einen dem liberalen Diskurs und zum anderen 'die Rückkehr zum Imperium'. Einmal geführt durch die neo-nationalistische Rechte, die die Zeit vor 1917 zum 'Goldenen Zeitalter' verklärt. In diesem Diskurs finden sich Vorstellungen der Slawophilen, die die russische Nation als eine eigenständige Welt betrachten, die mit den slawischen Gebieten und Russischer Muttererde eng assoziiert sein sollte. Der andere Diskurs lässt sich als neo-sowjetischer Diskurs bezeichnen, der die sowjetische Heimat wieder integrieren möchte in einem sozialistischen multiethnischen Imperium. Hier ist die Kommunistische Partei Russlands der Hauptträger, der sozialistische Rhetorik mit russischem Nationalismus verknüpft. Auch wenn dieser Diskurs eng mit Vorstellungen von Inklusion, Gleichheit, Universalismus und internationaler Solidarität verknüpft ist, so ist doch gleichzeitig offensichtlich, dass es in Wirklichkeit um die Reetablierung einer Hegemonie unter russischer Führung gehen soll. Der liberale Diskurs, der zu Beginn der 90er Jahre von den liberalen Reformern geführt wurde, bedeutete einen Bruch sowohl mit der zaristischen als auch der sowjetischen Vergangenheit. Russland ist demnach ein selbständiger Staat, der keine Ansprüche auf die Territorien der anderen selbständig gewordenen Republiken erhebt. Der Staatsaufbau in Russland genießt demnach absolute Priorität. Die Beziehungen zu den neuen Republiken sollten auf Kooperation, gegenseitigem Respekt und Partnerschaft bestehen. Seit 1993 gibt es noch einen dritten Diskurs, den der 'Gosudarstvenniki', die zwar einerseits die Grenzziehungen akzeptieren, aber gleichzeitig die Einmischung Russlands in die Politik der Staaten des 'Nahen Auslands' wünschen. Russland kommt nach dieser Lesart nach wie vor ein spezieller Status im postsowjetischen Raum zu, da in vielen dieser Staaten russische Minderheiten existieren, die in erster Linie Opfer der national konnotierten Identitätspolitik der Republiken sind (Vgl. besonders die in Kapitel 1.6.5 beschriebene Situation in der Republik Moldau, bzw. der PMR). Das Bewusstsein dieser großen ethnolinguistischen Gemeinschaft und die Art, in der die russischsprachigen Brüder und Schwestern in den Republiken behandelt wurden, hatte starken Einfluss auf den in Russland geführten Diskurs und spielt m. E. nach wie vor eine bedeutende Rolle. Die russophonen Minderheiten und ihre Rolle in den Baltischen Staaten, in Moldau, Georgien oder der Ukraine sind nach wie vor Gegenstand der politischen Aufmerksamkeit. Sie werden als Kolonisten und Besatzer durch die Mehrheitsbevölkerung in den Republiken wahrgenommen. Dies steht im Gegensatz zu der Wahrnehmung der russischsprachigen Bevölkerung durch die 'Gosudarstvenniki', die die Rechte der Russophonen verteidigen. Die Idee Russlands ist in diesem Diskurs also ganz wesentlich mit der Beziehung zu ihren Diasporagruppen entstanden. Bei der nationalen Identitätsdebatte fällt ganz generell auf, dass der Diskurs versucht, die Komplexität der neuen sozialen Wirklichkeit in kollektive Identitätsformen zu fassen. Insgesamt mutet die Debatte demzufolge als ein Versuch einer rückwärtsgewandten Identitätsgewinnung an. Christiane Uhlig zufolge beanspruchen die Codierungen, die in den Debatten verwendet werden, 'universale Relevanz, sind dichotomer Natur, basieren auf dem Prinzip von Inklusion und Exklusion und dienen der Charakterisierung russischer Identität' Bei diesen meist kulturologischen Arbeiten, die sich mit der Identitätsfrage befassen, wird versucht, Schlüsse über den russischen Nationalcharakter zu ziehen, die aber 'einer genaueren Analyse nicht standhalten'. Dennoch hat sich ein Konsens gebildet, der durch das informelle Zusammenrücken der Eliten entstanden ist und für die Kontinuität und Stabilität Russlands auch in den Wirren der Transformation verantwortlich ist.