Weltweit wird über Reformen der sozialen Sicherung diskutiert. Eines der zentralen Themen dabei ist, welche Aufgaben der Staat übernehmen und was privaten Akteuren überlassen bleiben soll. Dabei geht es nicht nur um den Umfang, sondern auch um die Art staatlicher Tätigkeit, z. B. durch Finanzierung sowie eigene Leistungsbereitstellung oder durch Regulierung. -- Damit verbundene grundsätzliche und bereichsübergreifende sowie bereichsspezifische und aktuelle Fragen werden in diesem Band behandelt, u. a. zum Gesundheitswesen (Krankenhaussektor, Pflegeversicherung), zur Alterssicherung, Familienpolitik und betrieblichen Sozialpolitik. Dabei sind bisherige Erfahrungen wie auch Reformoptionen Gegenstand kritischer Analysen, die anläßlich mehrerer Tagungen des Ausschusses für Sozialpolitik (im Verein für Socialpolitik) vorgelegt wurden
SUMMARYIn periods of demographic change, pay‐as‐you‐go financed social security systems imply transfers of lifetime income not only among generational cohorts, but also between families of different size and generational composition. Whereas previous models of voting on social security in democratic societies focused on the first type of transfer and assumed homogeneity of interests within each generation, we treat the family as the relevant decision‐making unit. It is then analyzed how the results of majority voting on public pension and sickness funds depend on the rate of time preference, the overall rate of population growth and the distribution of children across families. Not surprisingly, opposition to mandatory social security turns out to be greatest when children are most unevenly distributed.
Mit der Wahl des Generalthemas "Die Zukunft des Sozialstaats" hat sich der Vorstand des Vereins für Socialpolitik für die Jahrestagung 1998 in Rostock ein Programm vorgegeben, das nicht nur beziehungsreich für den Verein, sondern auch europaweit von besonderer Aktualität ist. Die Frage nach der Zukunft des Sozialstaats würde sich nicht stellen, wenn keine Krisensymptome diagnostiziert werden könnten. Die Diagnose über das Ausmaß einer möglichen Krise hängt auch von unterschiedlichen Werturteilspositionen über die vom deutschen Sozialstaat zu erreichenden Ziele und der mit der Vorausschauperiode zunehmenden Unsicherheit über die künftige Entwicklung ab. Dennoch sind immer mehr Beobachter in Wissenschaft und Politik davon überzeugt, daß ernsthafte Probleme drohen. Dabei geht es um zweierlei: Zum einen handelt es sich um demographische, ökonomische und gesellschaftliche Trends, die - wenn auch mit Unsicherheit - vorhersehbar sind. Sie werden zu Funktionsstörungen des Systems der sozialen Sicherung führen und nur noch einen unbefriedigenden Zielerreichungsgrad zulassen, weil die vorhandenen Institutionen nicht auf die sich ändernden Rahmenbedingungen ausgerichtet sind und sich ihnen ohne Umgestaltung auch nicht anpassen können. Zum anderen geht es um die grundlegende Akzeptanz der mit einem Sozialstaat verbundenen Solidaritätserfordernisse; denn nur wenn diese Voraussetzung gegeben ist, können soziale Sicherungseinrichtungen ihre zweite Funktion als wesentliches Stabilisierungselement eines demokratischen Staates erfüllen. Dabei sind beide Aspekte eng verknüpft: Eine ungenügende Erreichung der sozialen Schutzziele gefährdet auch die Akzeptanz. -- In diesem Band werden die auf Einladung gehaltenen Vorträge der Kerntagung zur Zukunft des Sozialstaats publiziert. Außerdem wird der Vortrag des diesjährigen Thünen-Preisträgers, Prof. Dr. Erich W. Streissler, damit der Fachöffentlichkeit zugänglich gemacht
Der Altenquotient steigt deutlich an, das Rentenniveau sinkt. Dies fordert politisches Handeln heraus. Noch in diesem Herbst will Sozialministerin Andrea Nahles Eckpunkte einer Reform der Alterssicherung vorstellen. Stellschrauben gibt es genug: Die betriebliche Altersvorsorge kann besser gesichert, die private Rentenversicherung ausgebaut, die Beitragsbasis in der gesetzlichen Rentenversicherung erweitert, das Renteneintrittsalter angehoben und staatliche Zuschüsse können erhöht werden. Die Autoren sind sich durchaus nicht darüber einig, wo der dringendste Handlungsbedarf besteht und ob nicht gar das ganze System zurückgedreht werden sollte. ; The demographic imbalance is aggravating, and by 2060 the old-age dependency ratio will double to approximately 70%. This development has consequences for the state pension system: growing contribution rates to social security coupled with lower pension levels, but at the same time a higher retirement age. The German pension scheme is mandatory for all wage and salary earners, but since 2001, no reasonable indicator for measuring the pension level exists any more. As a consequence of this, old-age pension has lost its traditional function as a replacement for earnings. The recent pension reforms have dropped the pension level sharply. Further reductions have been announced with the consequence of increasing old age poverty. Against this background it is proposed to raise the pension level so that the pensioners can maintain their standard of living. But any pension reform involves issues of distribution between and often also within generations, which cannot be addressed without explicit equity criteria. Some authors consider the past reforms as a mistake, others suggest adjustments.
Im Herbst soll im Bundestag eine Reform der GKV verabschiedet werden und zum 1. Januar 2011 in Kraft treten. Philipp Rösler, Bundesgesundheitsminister, unterstreicht, dass die Reform den Einstieg in den Systemwechsel bedeutet: Denn mit der Festschreibung des prozentualen Beitragssatzes und der Weiterentwicklung der Zusatzbeiträge werden die Einkommensabhängigkeit der Finanzierung des Gesundheitssystems vermindert und ein transparentes Preissignal geboten, die Krankenkassen erhalten Beitragsautonomie. Jochen Pimpertz, Institut der deutschen Wirtschaft Köln, ist nicht so optimistisch. Seiner Ansicht nach ist das Reformmodell enttäuschend. Statt einer Abkehr von der einkommensabhängigen Beitragsfinanzierung steige zunächst nur der Beitragssatz. Mit dieser Anhebung des Beitragssatzes werden sowohl die Fehlanreize als auch die Fehlverteilungen infolge der Beitragsfinanzierung ausgedehnt. Friedrich Breyer, Universität Konstanz, vermisst ebenfalls die angekündigte weitreichende Reform des Finanzierungsmodells. Es gehe stattdessen in der Hauptsache um die Abwendung eines Defizits der Krankenkassen. Auch kehre nicht mehr Wettbewerb ins deutsche Gesundheitssystem ein. Wolfgang Greiner, Universität Bielefeld, sieht weiterhin Reformbedarf: »Wie in den vergangenen Jahren ist nach der Reform vor der Reform und man kann der Gesundheitspolitik nur raten, die Ausgabendynamik nicht nur durch dirigistische Eingriffe in die Preisstruktur, sondern auch durch sich selbst regulierende wettbewerbliche Findungsprozesse ablaufen zu lassen.« Gebhard Kirchgässner, Universität St. Gallen, kritisiert u.a. den Anstieg des Arbeitnehmerbeitrags. Damit werden die Krankenkassenprämien nicht von den Löhnen abgekoppelt, sondern die Differenz zwischen Brutto- und Nettolohn steige noch. Und auch Jürgen Wasem, Universität Duisburg-Essen, sieht vor allem eine »triste Kostendämpfung statt struktureller Reformen«.
Am 2. Juli 2018 hat der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen sein aktuelles Gutachten 'Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung' an das Bundesgesundheitsministerium übergeben. Die ausgeprägte Trennung von ambulanter und stationärer Versorgung, aber auch zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung ist typisch für das deutsche System. Die Gutachter empfehlen unter anderem eine bessere Koordinierung der ambulanten und stationären Leistungen, eine monistische Krankenhausfi nanzierung und eine hausarztzentrierte Patientenversorgung. An dem Gutachten wird vor allem kritisiert, dass ihm ein ordnungspolitisches Konzept mit wettbewerblichen Steuerungsstrukturen fehlt. ; On 2 July 2018, the German Council of Health Experts handed over its current report entitled, 'Demand-oriented health care management' to the Federal Ministry of Health. The pronounced separation of outpatient and inpatient care, and distinction between private and public health insurance, is typical of the German system. Experts' recommendations include improved coordination of outpatient and inpatient services, monistic hospital fi nancing and family doctor-centred patient care. The main criticism of the report is that it lacks a regulatory concept with competitive management structures.
Wohnen wird – zumindest in einigen Städten – zum Luxusgut, bezahlbarer Wohnraum zur Mangelware. Die Wohnungsbaupolitik muss drastisch verändert werden. Sollte der soziale Wohnungsbau ausgebaut, die Mietpreisbremse verschärft werden oder – im Gegenteil – auf beides weitgehend verzichtet werden? Sollten stattdessen die Bauvorschriften gelockert und das Wohngeld reformiert und ausgebaut werden? Friedrich Breyer, Universität Konstanz, stellt das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie zur derzeit herrschenden Wohnungspolitik vor. Demnach sind die zuletzt beschlossenen Maßnahmen nicht geeignet, die diagnostizierte »Wohnungsnot« nachhaltig und sozial zu beseitigen. Sinnvoller wäre es, in Ballungsgebieten mehr Bauland auszuweisen und den Haushalten, denen es an Kaufkraft fehlt, durch ein Wohngeld zu ermöglichen, sich eine Wohnung zur Marktmiete zu leisten. Nicole Hoffmeister-Kraut, Ministerin für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau des Landes Baden-Württemberg, fasst die Wohnungsbaupolitik des Landes Baden-Württemberg zusammen, die unter anderem aus der Förderung des sozialen Wohnraums und der Förderung des frei finanzierten Wohnungsbaus besteht. Matthias Wrede, Universität Erlangen-Nürnberg, sieht eine soziale Wohnungspolitik in einer Sicherung der Grundversorgung, einer effizienteren Nutzung der Flächen und einer Reduktion der Transaktionen. Hohe Mieten betreffen, nach Harald Simons, empirica, weniger als die Hälfte der regionalen Wohnungsmärkte in Deutschland. Hohe Mieten an einem Ort seien Folge der niedrigen Mieten an anderen Orten und umgekehrt. Ursache davon sei das »Schwarmverhalten«. Die Differenz zwischen Schwarmstädten und ausblutenden Regionen könnte vermindert werden, wenn es gelänge, die Abwanderung junger Menschen in die Schwarmstädte abzuschwächen. Nach Ansicht von Lars Vandrei, ifo Niederlassung Dresden, kann die Mietpreisbremse Preisanstiege zwar zumindest in der kurzen und mittleren Frist verringern. Damit werde aber kein bezahlbarer Wohnraum geschaffen, sondern lediglich vorhandener Wohnraum für einige Mieter bezahlbarer gemacht. Ohne eine tatsächliche Angebotsausweitung dürften von der Regelung vor allem relativ gutverdienende Nachfrager profitieren. Theresia Theurl, Universität Münster, unterstreicht die Bedeutung der Wohnungsgenossenschaften für die Beschaffung bezahlbaren Wohnraums. Ralph Henger, Institut der deutschen Wirtschaft, sieht die Lösung des Wohnungsnotproblems bei der Ausweitung des Angebots und dem richtigen Mix flankierender Maßnahmen. Vor allem die Städte und Gemeinden in den Ballungszentren müssten hierbei einen Politikwechsel vollziehen. Das zentrale Problem sei das fehlende Angebot an Flächen zur Bebauung in den wachsenden Städten und Gemeinden. Konstantin Kholodilin, DIW, Berlin, und Sebastian Kohl, Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Köln, zeigen, dass Mietregulierungen nicht zwangsläufig zum Ende der Neubautätigkeit führen müssen und dass eine Deregulierung des Mietmarkts nicht unbedingt die Neubautätigkeit stimuliert.