Waas, Bernd: Die Tariflandschaft im Umbruch - eine Betrachtung aus der Perspektive desArbeitsrechts. - S.137-144 Lesch, Hagen: Spartengewerkschaften - Droht eine Destabilisierung des Flächentarifvertrags? - S. 144-153 Bispinck, Reinhard ; Dribbusch, Heiner: Tarifkonkurrenz der Gewerkschaften zwischen Über- und Unterbietung. Zu aktuellen Veränderungen in der Tarif- und Gewerkschaftslandschaft. - S. 153-163 Keller, Berndt: Der aufhaltsame Aufstieg von Berufsverbänden. Bedingungen, Ziele und Folgen. - S. 163-173
Welche Determinanten sind für das »deutsche Jobwunder« verantwortlich? Dieter Hundt, Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, sieht hinter dem Erfolg das verantwortliche Handeln der Tarifpartner, die Nutzung von Arbeitszeitkonten und richtige politische Entscheidungen etwa beim Kurzarbeitergeld. Dies zeige, dass die Tarifautonomie in Deutschland selbst unter extremen Bedingungen gut funktioniert. Frank-Jürgen Weise, Bundesagentur für Arbeit, Nürnberg, geht davon aus, dass es auch 2012 noch eine positive Entwicklung am Arbeitsmarkt geben wird und die Arbeitslosenzahl unter der Marke von 3 Millionen bleibt. Die gute Arbeitsmarktentwicklung lässt sich nach Ansicht von Hagen Lesch, Institut der deutschen Wirtschaft Köln, auf drei Einflüsse zurückführen: auf das Horten von Arbeitskräften während der Krise, auf eine moderate Lohnpolitik und auf die Arbeitsmarktreformen der Jahre 2003 bis 2005. Wolfgang Lechthaler, Institut für Weltwirtschaft, und Christian Merkl, Universität Erlangen-Nürnberg, erwarten, unter der Bedingung einer glaubwürdigen Haushaltskonsolidierung in Südeuropa bei gleichzeitiger Reduktion der Leistungsbilanzdefizite, nur moderate rezessive Schocks für Deutschland. Der deutsche Arbeitsmarkt verfüge über die Voraussetzungen, um einen sanften Abschwung zu absorbieren.
Die IG Metall will in der kommenden Tarifrunde neben der Forderung nach einer Einkommenserhöhung um 6% die Arbeitszeit wieder zum zentralen Thema machen. Gefordert wird für alle Beschäftigten ein individueller Anspruch auf Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit auf bis zu 28 Stunden für einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren, verbunden mit dem Anspruch, anschließend auf die ursprüngliche Arbeitszeit zurückkehren zu können. Für Personen, die eine solche Arbeitszeitverkürzung nutzen möchten, um im Haushalt Familienangehörige zu pflegen oder Kinder unter 14 Jahren zu betreuen, und für Beschäftigte in Schichtarbeit »oder anderen gesundheitlich belastenden Arbeitszeitmodellen« soll diese Wahloption mit einem pauschalen Entgeltzuschuss durch den Arbeitgeber kombiniert werden. Ist dieser Vorschlag ein Fortschritt für unsere Arbeitswelt? Für Hagen Lesch, Institut der deutschen Wirtschaft, Köln, ist es unbestritten, dass die derzeitigen tarifvertraglichen wie gesetzlichen Arbeitszeitregelungen überholungsbedürftig sind. Dabei müssten die Bedarfe der Unternehmen nach mehr Arbeitsvolumen sowie mehr Flexibilität und die Wünsche der Arbeitnehmer nach mehr Selbstbestimmung neu austariert und die Arbeitszeiten in einem Betrieb so geregelt werden, dass die wirtschaftlichen Interessen des Betriebs mit den individuellen Arbeitszeitbedürfnissen der Beschäftigten möglichst im Einklang seien. Da sich diese von Betrieb zu Betrieb unterscheiden, sei die Betriebsebene hierfür die optimale Regelungsebene. Tarifverträge könnten dafür Rahmenbedingungen vorgeben, müssten aber ausreichenden Gestaltungsspielraum für die Betriebsparteien lassen. Thomas Haipeter und Steffen Lehndorff, Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen, dagegen wünschen sich eine Flexibilisierung, ohne den Arbeitgebern noch mehr die Möglichkeiten zur Arbeitszeitverlängerung zu geben. Rainer Dulger, Gesamtmetall, unterstreicht, dass die Tarifverhandlungen die Branche zwar in einer gesunden Verfassung, aber keineswegs in einer Boomphase treffen. Zudem hätten die Beschäftigten in den vergangenen Jahren besonders profitiert, so dass die Forderung von 6% Lohnerhöhung zu hoch sei. Änderungen in der Regelung der Arbeitszeit seien aber dringend erforderlich, wobei es um eine bedarfsgerechte und kostenneutrale Ausweitung des Arbeitszeitvolumens gehe. Alexander Spermann, Universität Freiburg, meint, dass das Arbeitszeitgesetz aus dem letzten Jahrhundert nicht mehr in die digitale Welt passe. Wenn die Nutzung von Smartphones zu dienstlichen Zwecken und der weltweite Zugang zum Firmenserver 24-7 möglich sei und dem Wunsch von Arbeitnehmern nach flexiblen Arbeitszeiten und -orten entspreche, dann müsse auch der Gesetzgeber über Weiterentwicklungen des Arbeitszeitgesetzes nachdenken. Sollte im nächsten Jahr auf tariflicher Ebene über Arbeitszeitflexibilisierung nach oben und unten sowie auf gesetzlicher Ebene über das anachronistische Arbeitszeitgesetz konstruktiv gestritten werden, dann sei eine überfällige Reformdiskussion zu wichtigen Arbeitsmarktinstitutionen auf den Weg gebracht. Nach Ansicht von Thorsten Schulten, WSI und Universität Tübingen, ist die Forderung nach einer Lohnerhöhung von 6% keineswegs übermäßig hoch. Den Gewerkschaften gehe es aber auch darum, einen neuen Flexibilitätskompromiss zu erlangen, in dem die Interessen der einzelnen Arbeitnehmer stärker berücksichtigt werden. Roman Zitzelsberger, IG Metall Baden-Württemberg, stellt die Position der IG Metall vor und unterstreicht, dass es im Gegensatz zu Arbeitszeit-Tarifrunden der vergangenen Jahrzehnte dabei nicht um eine neue Stufe einer kollektiven Arbeitszeitverkürzung gehe, sondern daru
Tarifautonomie und Flächentarifvertrag sind ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Es geht um die Frage, ob auch in Zukunft die zentralen Mindeststandards für Arbeits- und Einkommensbedingungen im Wesentlichen durch branchenbezogene, verbindliche Verbandstarifverträge festgelegt werden sollen oder ob der Betrieb zur wichtigsten Aushandlungsebene für Löhne, Arbeitszeiten und sonstige Arbeitsbedingungen werden soll. Dr. Hagen Lesch, Institut der deutschen Wirtschaft Köln, bezweifelt allerdings, dass dies vorteilhaft sei: »Mit einer Beseitigung des im Betriebsverfassungsgesetz verankerten Tarifvorrangs entstünde alternativ die Möglichkeit, mit dem Betriebsrat zu verhandeln. Ob dies den Unternehmen aber tatsächlich Vorteile bringen würde, ist umstritten.« Für Prof. Dr. Wernhard Möschel, Universität Tübingen, sollte in Zukunft nicht die Betriebsvereinbarung, sondern der individuelle Arbeitsvertrag funktionsfähig gemacht werden. Auch PD Dr. Friedhelm Pfeiffer, ZEW Mannheim, unterstreicht dies: »Um die Aggressivität der Lohnbildung in Deutschland abzumildern, wäre es wahrscheinlich hilfreicher, die Betriebsebene zu umgehen und die Privatautonomie zu stärken.« Prof. Dr. Claus Schnabel, Universität Erlangen-Nürnberg, betont, dass »da weder überbetrieblichen kollektiven noch betrieblichen oder individuellen Regelungen ein durchweg besseres Problemlösungspotential zugesprochen werden kann, . (die) Gesetzgeber und Rechtsprechung darauf achten (sollten), dass alle diese Möglichkeiten auch für die Vereinbarung von Löhnen und Arbeitsbedingungen zur Verfügung stehen«. Martin Kannegiesser, Arbeitgeberverband Gesamtmetall, fordert, dass die jeweils zuständigen Tarifparteien in ihren Branchentarifverträgen die konkreten betrieblichen Gestaltungsspielräume erweitern sollten, indem sie freiwillige Optionen eröffnen, die innerhalb bestimmter Bandbreiten von den Betriebsparteien ausgefüllt werden könnten. Dagegen vertreten Dr. Reinhard Bispinck und Dr. Hartmut Seifert, WSI, die Ansicht, das
Die Tarifautonomie steht immer wieder im Fokus politischer Debatten. Aus einer historischen Perspektive heraus wird untersucht, wie sie über die Zeit hinweg legitimiert und in den letzten 100 Jahren von Politik und Gesellschaft als legitime Institution angesehen wurde. Dabei wird eine juristische Perspektive mit einer ökonomisch-sozialwissenschaftlichen Sichtweise verbunden. Im Rückblick zeigt sich, dass lediglich Änderungen der Rahmenbedingungen, die die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie sichern und das Miteinander der Tarifvertragsparteien regeln, erfolgreich waren. Eingriffe, die nur die Symptome kurieren wollen, ohne die Problemursachen anzugehen, scheiterten. Das bestätigte sich zuletzt beim Tarifautonomiestärkungsgesetz, das eine zwangsweise Ausweitung der Tarifgeltung bezweckt, ohne am eigentlichen Problem der Organisationsschwäche anzusetzen. Will der Gesetzgeber die Tarifbindung stärken, sollte er die Attraktivität der Verbandsmitgliedschaft erhöhen und damit die Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie absichern. / »Collective Bargaining Autonomy and Collective Agreement Coverage. On the Legitimation and Legitimacy of Autonomous Collective Bargaining over the Course of Time«: The analysis examines how autonomous collective bargaining has been historically legitimized and to what extent it has been regarded as a legitimate institution by politics and society in Germany. Results show that state interventions in autonomous collective bargaining fail if such interventions seek to cure symptoms without addressing the causes of the problems beneath. Regards the current debate on strengthening collective bargaining in Germany, the analysis therefore concludes: If the legislator wants to strengthen the collective bargaining coverage, it should increase the attractiveness of membership in associations and thus safeguard autonomous collective bargaining as collectively exercised private autonomy.
Zugriffsoptionen:
Die folgenden Links führen aus den jeweiligen lokalen Bibliotheken zum Volltext:
Der Bundestag wird das Mindestlohngesetz voraussichtlich Anfang Juli 2014 verabschieden. Ab Januar 2015 soll eine Lohnuntergrenze von 8,50 Euro pro Stunde eingeführt werden und mit wenigen Ausnahmen fl ächendeckend gelten. Diskutiert wird, welche Folgen der Mindestlohn auf die Beschäftigung und die Lohnentwicklung haben wird. Der Anpassungsdruck in Ostdeutschland wird durch das niedrigere Lohnniveau viel höher ausfallen, so dass eine regionale Staffelung geboten sein kann. Europäische Nachbarländer haben zudem gute Erfahrungen mit niedrigeren Jugendmindestlöhnen gemacht, damit die Ausbildungsneigung nicht abnimmt. Die Evaluation des Gesetzes ist erst für 2020 vorgesehen, während damit nach Auffassung der Autoren besser gleich begonnen werden sollte. ; The German government plans to introduce a minimum wage from 2015. This must be understood as a response to the decline in collective bargaining coverage and the marked increase in employment in the low-wage sector. The authors discuss how many workers are affected by this new regulation and whether the minimum wage is too high in relation to the average wage of workers (Kaitz index). They assume that the introduction of a minimum wage in Germany can have a number of effects. It is not possible to forecast all the reactions and behaviour of market participants to handle higher wages and goods prices. Some authors warn that these measures are significant labour market interventions that could have adverse employment effects. They recommend allowing more exemptions from the minimum wage law than intended by the government, especially for young employees and student apprentices. Other authors hope that minimum wages would help to strengthen collective bargaining and stabilise wages. Some authors emphasise that there should be a careful evaluation of the economic effects by scientists.
Im Rahmen des vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales beauftragten Projektes "Entwicklung des Tarifgeschehens vor und nach Einführung des gesetzlichen Mindestlohns" wird die Tarifentwicklung in insgesamt neun Branchen untersucht. Hierzu gehören die Landwirtschaft, die Fleischverarbeitung, das Bäckerhandwerk, der Einzelhandel, die Post-, Kurier- und Expressdienste, Gastronomie und Beherbergung, die Privaten Wach- und Sicherheitsdienste, die Systemgastronomie sowie das Friseurhandwerk. Hierbei handelt es sich allesamt um Branchen, die eher im Niedriglohnsektor angesiedelt sind. Im Kern geht es bei dem Forschungsprojekt um die Frage ob, und wenn ja, welchen Einfluss die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns auf die Tarifpolitik in den genannten Branchen hat. Hierbei werden sowohl mögliche Veränderungen des Tarifvertragssystems als auch die Entwicklung der Tariflohnerhöhungen und Tariflohnstruktur analysiert. Methodisch beruht die Untersuchung dabei auf einem Mix von quantitativen und qualitativen Methoden, der vor allem drei Aspekte umfasst: Quantitative Analyse der Tarifverträge und der dazu gehörenden Entgelttabellen, leitfadengestützte Experteninterviews mit Vertretern der Dachverbände der jeweiligen Tarifparteien sowie Gruppeninterviews mit Mitgliedern der Tarifkommissionen in einzelnen Tarifgebieten. Durch die verschiedenen Methoden wird im Hinblick auf die Tarifentwicklung sowohl die objektive Faktenlage als auch die subjektive Wahrnehmung und Interpretation durch Tarifvertragsparteien erfasst. Auf diese Weise entsteht ein vielschichtiges und differenziertes Bild, das sehr genau ermöglicht, die verschiedenen Einflusskanäle des Mindestlohns auf die Tarifpolitik zu identifizieren. Auf die Bereitschaft, Tarifverhandlungen zu führen, hat sich der Mindestlohn kaum ausgewirkt. Unbeeinflusst blieb auch die Tarifbindung. Die Tarifentgelte sind hingegen im unteren Bereich der Tariftabellen oft stark beeinflusst worden und haben je nach Branchen entweder zu einer Stauchung der Lohnstruktur geführt oder dazu beigetragen, dass mehr oder weniger das gesamte Lohngitter nach oben geschoben wurde.