Leistungsgrenzen politischer Institutionen in Deutschland
In: Aus Politik und Zeitgeschichte: APuZ, Heft B 50, S. 15-24
ISSN: 0479-611X
"Ob es eine Krise der politischen Institutionen in Deutschland gibt, ist immer wieder Gegenstand heftigen Streits - meist zwischen kritischen Publizisten und Wissenschaftlern (die das behaupten) und betroffenen Politikern (die das leugnen). Ob man von Krise spricht oder nicht - eines scheint gewiß: daß es gesellschaftliche Problembereiche gibt, die die politischen Institutionen in Deutschland offensichtlich nicht in den Griff bekommen. Die Staatsverschuldung, die Arbeitslosigkeit, der Verkehrsinfarkt, die Asylfrage, das sich verschlimmernde Siechtum des Kranken- und Rentenversicherungssystems - - alles große gesellschaftliche Probleme, denen von keiner politischen Richtung in Deutschland wirksam begegnet wird, gleich, welche Konzepte auf welcher weltanschaulichen Grundlage zur Anwendung kommen. In diesem Beitrag geht es daher auch nicht um Kritik an einer bestimmten Politik, sondern darum, was Politik prinzipiell leisten kann, und was offensichtlich nicht. Es geht damit nicht zuletzt um die Leistungsgrenzen politischer Institutionen in Deutschland. Einer Bestandsaufnahme zur verfassungsrechtlich-politischen Systematik der Institutionen folgt die Analyse der Konsequenzen, die aus den Defiziten der politischen Institutionen entstehen. Vor allem ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, daß die Gestaltung des politischen Lebens, die gesellschaftlichen Weichenstellungen, die notwendige Anpassung der Strukturen des Gemeinwesens an die sich stetig verändernde Umwelt zunehmend anderswo stattfinden als in den dafür primär vorgesehenen politischen Institutionen - sei es beispielsweise in der Justiz, in der Wirtschaft, in der Bürokratie oder in den Medien. Mit dieser Entwicklung ist nicht mehr sichergestellt, daß die Einflußnahme außerhalb der politischen Institutionen des Grundgesetzes demokratisch und pluralistisch verläuft. Schließlich stellt sich die Frage, wie mit diesem Auseinanderklaffen von Verfassungstheorie und Verfassungswirklichkeit umgegangen wird. Wenn die politischen Institutionen in Deutschland funktionieren wie ein Regelkreis, der zwar regelt, aber nicht steuert, wenn andererseits immer deutlicher Probleme zutage treten, die die Regelkreiskapazität überfordern und wirkliche Steuerung nötig machen - dann entsteht das Problem, ob man besser die Wirklichkeit der Verfassungstheorie anzupassen versucht, oder für die Realität einen neuen, adäquaten Verfassungsrahmen finden sollte." (Autorenreferat)