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World Affairs Online
Eine Vision für das ganze Europa: Rede des Bundesministers des Auswärtigen auf der Tagung des "World Economic Forum" in Davos am 3. Februar 1991
In: Bulletin / Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Heft 14, S. 89-95
ISSN: 0342-5754
Rede von Bundesaußenminister H.-D.Genscher auf der Tagung des "World Economic Forum", Davos, 3. Februar 1991 (Wortlaut). Das Ende der kommunistischen Diktaturen in Europa und die deutsche Einigung im Jahr 1990 eröffnen die Vision eines geeinten und freien Europa, das geprägt ist von freiheitlichen Demokratien und prosperierenden Volkswirtschaften (KSZE-Gipfelkonferenz in Paris, November 1990). Vor diesem Hintergrund werden die Entwicklung in der Sowjetunion angesprochen ebenso wie die Aufgaben von EG und NATO sowie die Problematik einer gesamteuropäischen Friedensordnung und damit verbunden die Rolle des vereinten Deutschland. (AuD-Hng)
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Ost-Unis ohne ostdeutsche Führung: Die Herkunft ist noch nicht egal
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An den Hochschulen ist das Führungspersonal aus Ostdeutschland immer noch unterrepräsentiert – wie kam es dazu? Und ändert sich das bald?
Die Bibliothek der BTU Cottbus-Senftenberg, der einzigen Hochschule in Brandenburg mit ostdeutscher Chefin. Foto: Michal
Rudziak, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons.
DAS ERSTE MAL, dass Nadine Spörer sich als Wissenschaftlerin besonders ihrer ostdeutschen Herkunft bewusst wurde, war, als man sie zur Dekanin wählte. Spörer ist Professorin für Psychologische
Grundschulpädagogik an der Universität Potsdam. Als sie vor zwei Jahren an die Spitze der Humanwissenschaftlichen Fakultät rückte, schaute sie sich an ihrer Hochschule und anderen um und fragte
sich: Wo sind die anderen Dekan:innen und Unipräsident:innen mit Ost-Biographie? Warum sind wir so wenige? "Und da merkte ich: Die ‘Gläserne Decke’ kommt offenbar, sobald es um Führungspositionen
geht."
34 Jahre sind vergangen seit der Wende, das entspricht anderthalb Professorengenerationen. Als die Mauer fiel, war Spörer 14 Jahre alt. Ihre gesamte wissenschaftliche Sozialisation fand also im
wiedervereinten Deutschland statt.
Wer in irgendeiner Form in der DDR Führungsverantwortung trug, in Politik, Wissenschaft oder anderswo, ist längst in Rente oder kurz davor. Und doch ist die Macht an den Hochschulen in
Deutschland immer noch so verteilt, als seien ostdeutsche Wissenschaftlerbiographien mit einem Makel behaftet.
Ostdeutsche sind statistisch unterrepräsentiert
Eine regelmäßige Auswertung des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) zeigte im Mai, dass von 163 betrachteten staatlichen Hochschulen
bundesweit zuletzt nur 15 von gebürtigen Ostdeutschen, inklusive Berlinern, geleitet wurden. Vom Einwohneranteil her müssten es mehr als doppelt so viele sein.
Noch extremer ist das Bild in Brandenburg. Von den vier staatlichen Universitäten, inklusive der Filmuniversität Konrad Wolf, hat nur die Brandenburgische Technische Universität
Cottbus-Senftenberg (BTU) mit Gesine Grande eine Ostdeutsche als Chefin. Von den vier staatlichen Fachhochschulen in der Mark keine einzige. Wie kann das sein?
Axel-Wolfgang Kahl ist Historiker und promoviert an der Universität Potsdam in einem Forschungsprojekt zur "Transformation ostdeutscher Hochschulen in den 1980/90er Jahren". Er sagt, dass nach
der Wiedervereinigung tatsächlich zahlreiche Chefposten auch in der Wissenschaft neu besetzt worden seien, aber längst nicht in allen Fächern und Bundesländern gleichermaßen. "Hochschulen, die
als DDR-Kaderschmieden galten, waren naturgemäß stärker betroffen, genauso wie Disziplinen mit starkem politischem Bezug wie die Juristerei, Ökonomie oder Politikwissenschaft, vormals
Marxismus-Leninismus."
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Umgekehrt sei der personelle Wechsel in den ersten Jahren vielfach nicht so radikal gewesen wie vermutet. "Unser Forschungsteam stellt fest, dass bis Mitte der neunziger Jahre noch viele
ostdeutsche Hochschulen und Universitäten von Ostdeutschen geleitet wurden." Das waren engagierte und politisch nicht oder kaum vorbelastete DDR-Wissenschaftler.
"Bis sie ins Pensionsalter kamen oder den Platz frei machten für die nächste Generation. Doch jüngere Ostdeutsche waren vielfach in den Westen abgewandert, verfügten nicht über die notwendigen
akademischen Netzwerke und Positionen – oder hatten schlichtweg Positionen außerhalb der Wissenschaft übernommen."
Westlastig nach dem ersten Generationswechsel
Auch Gesine Grande, Jahrgang 1964 und seit 2020 Hochschulchefin an der BTU, ging nach der Wende zuerst in den Westen. Sie war 27 und in der DDR diplomierte Psychologin, als sie nach Bielefeld kam
und dort, wie sie sagt, ihre wissenschaftliche Karriere ein zweites Mal startete. „Hätte ich damals den Osten nicht verlassen, wäre meine Karriere anders verlaufen“, vermutet sie. Erst nach 13
Jahren kehrte sie zurück und übernahm eine Professur an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) Leipzig, deren Präsidentin sie 2014 wurde.
Nadine Spörer fing Mitte der Neunziger Jahre ein Psychologie-Studium in Potsdam an. "Es hätte aber auch irgendwo in Westdeutschland sein können", sagt sie. "Fast alle meine Professoren, meine
Mentoren, meine Vorbilder hatten einen westdeutschen oder internationalen Hintergrund."
Die Hochschulen, sagt Gesine Grande, hätten nach der Wende erstmal alle Stellen neu ausgeschrieben, die alten Professorinnen und Professoren konnten sich wieder bewerben – aber in Konkurrenz mit
Forschenden aus den alten Bundesländern. "Das hatte erhebliche Auswirkungen auf die Personalstruktur, insbesondere in den gesellschaftswissenschaftlichen Fächern."
Doch auch an dieser Stelle, sagt Historiker Kahl, dürfe man es sich nicht zu leicht machen. Die meisten Westdeutschen seien nach der Wende aktiv von ihren ostdeutschen Kollegen hergebeten wurde,
als Unterstützung bei der Entwicklung neuer Curricula oder weil sie die Erfahrung hatten mit der Beantragung von Forschungsprojekten. "Die halfen mit viel Idealismus, es gab nur wenige, die sich
wie die vielzitierten Besserwisser und Kolonialherren aufgeführt haben."
Wie auch immer: Viele von denen, die bis 2000 aus dem Westen kamen, stehen nun wiederum kurz vor dem Ruhestand. Bedeutet das, dass jetzt doch bald die demografische Normalisierung auch in den
Führungspositionen eintritt?
Nadine Spörer ist sich da nicht so sicher. Laut "Elitenmonitor" der Universität Leipzig seien zwischen 2018 und 2022 die Hälfte der
Top-Führungspositionen neu besetzt worden, doch die Repräsentanz Ostdeutscher habe sich dadurch nur von 10,9 auf 12,3 Prozent verbessert. "Es gibt Netzwerke, die sich über lange Zeit gebildet
haben, und vielen Ostdeutschen gelingt es offenbar bis heute nicht gut, Teil solcher Netzwerke zu werden. Vielleicht wollen sie es auch nicht.“
Es gibt Unterschiede im Kommunikationsstil
Menschen, die im Osten sozialisiert wurden, hätten bis heute einen anderen Kommunikationsstil, sagt Gesine Grande – "sachorientierter, eher aus der zweiten Reihe agierend, weniger auf
Selbstvermarktung aus". In Bezug auf Führungspositionen komme es so zu einer Mischung aus Fremd- und Selbstselektion.
In letzter Zeit frage sie sich häufiger, sagt Nadine Spörer, wie lange es noch dauert, bis die Herkunft Ost oder West egal ist. Vielleicht, sagt die Bildungsforscherin, sei das wie beim Label
"Migrationshintergrund": "Da betrachten wir auch, wo die Person selbst oder die Elterngeneration geboren wurde und aufgewachsen ist."
Doch dann müsse sie wiederum an ihre Tochter denken, die ist jetzt bald 14 – so alt, wie Spörer war, als die Mauer fiel. "Natürlich sprechen wir hin und wieder darüber, wie das in der DDR war.
Aber über ein Leben ohne Digitalisierung wundert sie sich ehrlicherweise viel mehr."
Dieser Artikel erschien zuerst im Tagesspiegel.
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Herbert Schwaab: Erfahrung des Gewöhnlichen. Stanley Cavells Filmphilosophie als Theorie der Populärkultur.: Münster/Hamburg/Berlin/London: Lit 2010. ISBN 978-3-643-10985-9. 464 S. Preis: € 39,90
Als der US-amerikanische Philosoph Stanley Cavell 1972 sein erstes Filmbuch veröffentlicht, gibt er als Beweggrund ein Erlebnis der Frustration an. Im Vorwort der ersten Auflage von The World Viewed berichtet er von einem Ästhetikkurs anno 1963, in dem er und seine Studierenden daran gescheitert seien, ihre scheinbar so vertrauten Filmerfahrungen in adäquate Worte zu kleiden. Das neun Jahre später Publizierte versteht sich als angestoßen von diesem ursprünglichen Scheitern. Dass Cavells Filmphilosophie nach wie vor auf Irritationen und Frustrationen zu antworten vermag, ist die zentrale These von Herbert Schwaabs 2010 veröffentlichter Dissertation Erfahrung des Gewöhnlichen. Durchaus im Sinne von Cavells anekdotischer Erinnerung interessieren Schwaab dabei jene Irritationen, die populäre Medientexte kraft ihrer alltäglichen Nähe und scheinbaren Selbstverständlichkeit auslösen können. Seine Frustrationen wiederum werden genährt von einer Medien- und Kulturwissenschaft, die solche Verstörung entweder ignorieren oder durch schematische, distanzierte Lektüren abwehren würde. Der emeritierte Harvardprofessor Cavell (*1926), mit dessen Überlegungen zum Film sich etwa Elisabeth Bronfen, D. N. Rodowick und William Rothman eingehend auseinandergesetzt haben, ist ganz sicher kein Paria der Medienwissenschaft. Dennoch stehen seine Arbeiten zum Verhältnis zwischen Philosophie und Film – zuvorderst die Bände The World Viewed, Pursuits of Happiness (1981) und Contesting Tears (1996) – quer zu den meisten Paradigmen der sich in ihrem Erscheinungszeitraum entfaltenden akademischen Beschäftigung mit Film. Mit ihrem unorthodoxen Konversationstonfall, ihrem apolitisch-universalistisch tönenden Vokabular (das sich einer eigensinnigen Zusammenlese unter anderem Immanuel Kants, Ludwig Wittgensteins und Ralph Waldo Emersons verdankt) und ihren verästelten Lektüren und Relektüren der immer gleichen paar Filme strahlen Cavells Texte zumindest für den Verfasser des Textes selbst etwas von jener Fremdheit aus, die sie dem Alltäglichen konstatieren. Insofern ist es ein großes Verdienst von Erfahrung des Gewöhnlichen, nicht nur luzid und durchwegs verständlich in Cavells filmbezogenes Schaffen einzuführen, sondern aus diesem auch überzeugend eine Forschungsperspektive zu extrapolieren, die für andere mediale Zusammenhänge als Cavells Steckenpferd des klassischen Hollywoodkinos der 1930er und 40er-Jahre offen ist. Diesen Erkenntniskern von Cavells Filmphilosophie ortet Schwaab weder in deren Vorschlägen zu einer Ontologie des Films in The World Viewed, noch in den thematischen Vorgaben von Cavells erkenntnis- und moralphilosophischen Lektüren von Screwball Comedies (Pursuits of Happiness) und Melodramen (Contesting Tears), sondern grundlegender im Verhältnis, das er zu den untersuchten Filmen einnimmt. Gegenstand und Maßstab von Cavells Lektüren sind nicht so sehr die Filme selbst, sondern die eigene Erfahrung mit und von ihnen, wie Schwaab betont: "Die Konzentration auf den Begriff der Erfahrung versucht eine spezifische Interaktion zwischen Text und Leser herstellen" (S. 16). Diese Interaktion nimmt in Cavells Filmbüchern ihren Anfang im Vergnügen an Filmen, das er noch Jahrzehnte nach der ersten Begegnung im Kino intensiv erinnert. Erst die Erfahrung dieses Vergnügens, die sowohl zur Mitteilung als auch zur Erforschung ihrer Ursachen drängt, autorisiert für Cavell – und für Schwaab – die Auseinandersetzung mit einem Film. Darin impliziert ist eine Forschungshaltung, die mediale Texte nicht primär durchschaut und dekonstruiert, sondern ihnen ein nuanciertes Denken zugesteht, dem es in der eigenen Textarbeit gerecht zu werden gilt. "Die Filme selbst sagen uns, wie sie gelesen werden wollen, welches Verhältnis zu unserem Erlebnis von diesen Filmen die Beschäftigung mit ihnen erfordert" (S. 140). Methodisch setzt eine solche Empfänglichkeit für die "Stimme des Textes" (S. 252) eine Lust am Treffen nuancierter ästhetischer Unterscheidungen voraus, die Schwaab in vielen ideologiekritischen, aber auch formalistischen oder symptomatologisch nach vorgegebenen Themen verfahrenden Film- und Fernsehlektüren der aktuellen Medien- und Kulturwissenschaft vermisst. Als wiederholte Stichwortgeber und Wegbegleiter seiner Argumentation wählt sich Schwaab folgerichtig Film- und Kulturkritiker wie Serge Daney, V. F. Perkins oder Robert Warshow. Die Möglichkeit, im Ästhetischen irritierende, das Denken anstoßende und entsubjektivierende Alterität zu erfahren, sieht Cavell (im Gegensatz etwa zu Gilles Deleuze) für das Kino vor allem im Populären verwirklicht: Erstens, weil am ehesten auf diesem Terrain andere Autoritäten als die selbst gemachte Erfahrung – etwa die Instanz des Autors oder die Institutionen der Kunst – wegfallen: "Populäre Gegenstände bestimmen sich […] darüber, dass es keine Bedeutung hat, woher deren Kunst kommt: Diese Kunst ist einfach da" (S. 84). Und zweitens ortet Cavell, analog zu seinem Interesse am Skeptizismus und an einer Philosophie der Alltagssprache, das Denkwürdige am Kino gerade dort, wo es den Blick auf eine alltägliche Welt erschließt – und damit, fast automatisch, die Beziehung des Betrachters zu dieser thematisiert. Die weitgehende Geschlossenheit der Diegese und das Verwischen ihrer formalen Gemachtheit im 'continuity style', worin Semiotiker wie Peter Wollen um 1970 Todsünden des Hollywoodkinos sahen, ermöglichen für Cavell erst die Reflexion auf das durchaus komplexe "Verhältnis von Distanz und Immersion" (S. 72), das er bei der Teilhabe an einer von ihm unabhängig existierenden Filmwelt erfahren kann. Aufdringlich selbstreflexive Stilmittel würden vom Bewusstsein, einer 'succession of automatic world projections' beizuwohnen (so die handlichste filmontologische Definition in The World Viewed), bloß ablenken. Diese Position Cavells differenziert Schwaab einleuchtend von jenem Realismus des indexikalischen Abbilds, mit dem sie häufig verwechselt wird und öffnet sie auf die Forschungsinteressen der Cultural Studies hin. Der Alltag, der für Cavell im Kino seinen Ort findet, ist wesentlich der soziale eines bestimmten Rezeptionszusammenhangs. Was für Cavell das Kino der 1930er und 40er war – ein Ort, wo sich aus einer beiläufigen Sehhaltung heraus und ohne den Erwartungsdruck von Event oder Kunstwerk überraschende Erfahrungen machen ließen –, das ist für Schwaab heute (noch) der 'flow' des Fernsehens im Wohnzimmer. Den autobiographischen Impetus in Cavells Filmbüchern, wenn dieser beispielsweise erinnert, wie seine Mutter das Melodram Stella Dallas in ihre Lebenswelt übersetzte, assoziiert Schwaab mit jener Neugier auf Rezeptions- und Interpretationsgemeinschaften populärer Texte, die seit ihrer Konstituierung einen wesentlichen Antrieb der Cultural Studies darstellt. Gegen deren "dualistisches Verständnis von der negativen Macht des Textes und den positiv besetzten Möglichkeiten seiner Aneignung" (S. 252) beharrt Schwaab freilich mit Cavell darauf, den Texten selbst – ihrer Erzählung, Adressierung und affektiven Struktur – jene keineswegs ideologisch überdeterminierte Vielschichtigkeit zuzutrauen, die häufig auf die Seite der Rezeption verschoben werde. Im letzten Viertel des Buchs untersucht Schwaab dementsprechend fünf US-Fernsehserien, denen man in der letzten Dekade nachmittags oder abends auf zahlreichen deutschsprachigen Fernsehsendern begegnen konnte. Und ohne auf diesem engen Raum pedantisch alles ein- und aufzulösen, was auf den vorangegangenen 300 Seiten an Theorie durchgearbeitet wurde, beweisen seine Lektüren durchwegs die Produktivität des zuvor entwickelten Ansatzes. Vor allem in den Studien zur Sitcom King of Queens und der erzkonservativen Familienserie 7th Heaven gewinnt die Vorstellung von der ästhetischen Potenz des Gewöhnlichen schärfere Kontur. Es geht dabei nicht um ein generelles Ideal des wohltuend Unauffälligen, das manchmal in Schwaabs Seitenhieben gegen "Fetischisten der Filmkunst" (S. 120) durchklingt und bloß ein formalistischer Dogmatismus unter umgekehrten Vorzeichen wäre. Das ostentativ Gewöhnliche an Rezeptionszusammenhang wie ästhetischer Anmutung einer Multiple-Camera-Sitcom wie King of Queens erweist sich vor allem deshalb als reizvoll, weil auf seinem Grund mit minimalen Verschiebungen Denkwürdiges erzeugt werden kann: Es geschehen Momente und Tableaus, die "aus dem Grund in Erinnerung bleiben, weil sie den Alltag nur so wenig modifizieren müssen, weil sie nur ein wenig von der Trennlinie zwischen Fantasie und Realität abweichen müssen, um die Transgressivität zu erreichen, die uns vorführt, wie stark unsere Wirklichkeit von Imagination und unsere Imagination von Wirklichkeit bestimmt ist" (S. 369). Dass der Begriff des Transgressiven hier eher für eine Kippfigur der Wahrnehmung einsteht als für ein triumphales Sich-Entfalten von Sinnlichkeit, verweist auf eine der überzeugendsten Pointen von Schwaabs Text: Mit Cavells Sprachphilosophie argumentiert er gegen den verbreiteten Dualismus, der Affekt und exzessive Expressivität nur als Konkurrenz zu und Unterbrechung der Ebene von Repräsentation und Sinnstiftung verstehen will. Solche Eingriffe ins kulturwissenschaftliche Begriffsbesteck lesen sich ungleich schlüssiger als gelegentliche Breitseiten gegen "Filmtheorie allgemein" (S. 221) oder den textualistischen "Sündenfall" (S. 226) der Cultural Studies. Die offenkundigste Provokation von Erfahrung des Gewöhnlichen besteht allerdings in den wiederholten Ausführungen zu einem Konzept des "Unreading" (S. 31). Diese Haltung eines vorsätzlich naiven, Theoriewissen ausblendenden 'Gelesen-Werdens' vom Text spitzt Schwaab mit bewusster terminologischer Chuzpe als "kindlichen Blick" (S. 85) und "natürliche Beziehung" (S. 69) zum Text zu. Solche voraussetzungslose Rezeptivität ist für ihn notwendig eine Fantasie, als Fantasie aber methodisch notwendig. Weniger melodramatisch ließe sich das auch ein Stück weit mit dem phänomenologischen Begriff der 'epoché' als bewusstes Ausklammern kulturellen Wissens beschreiben. Dringlicher wirkt die Frage, mit welchem Erkenntnisinteresse Filme solchermaßen erfahren und in ihrem Erfahrungsgehalt untersucht werden. Hier deutet Schwaab drei unterschiedliche Perspektiven an, die entlang des Begriffs der "Lebensform" (S. 105) ineinander verwoben scheinen. In der ersten Lesart fungiert die mediale Erfahrung als Therapie, die uns "Bedingungen des Menschseins" (S. 157) vorführt und mit der Begrenztheit unseres Zugriffs auf die Welt auszukommen lehrt, in der zweiten als moralphilosophischer Reflexionsraum, welcher im Unterhalten-Werden "die Schönheit einer ethischen Lebensform" (S. 134) vermittelt. Eng mit dieser Perspektive verbunden zeichnet sich eine dritte, im engeren Sinne politische Spur dort ab, wo die Irritation am Gewöhnlichen sich auch auf Aspekte der medial beschriebenen Lebensform ausweitet und "alarmierende Fragen an uns selbst und unsere Beziehung zur Welt stellt" (S. 400). Nicht nur an dieser Stelle weckt Erfahrung des Gewöhnlichen den Wunsch, die Konversation fortzuführen: mit Filmen und Serien, mit Cavell und mit der eindringlichen, originellen Stimme dieses Buchs.
BASE
Vom Aufbruch zum Umbruch?: Zur jüngsten Entwicklung in der Sowjetunion und in Osteuropa ; Bericht über die erweiterte Redaktionskonferenz 1989
In: Osteuropa, Band 39, Heft 9, S. 824-845
ISSN: 0030-6428
Der Autor gibt einen komprimierten, thematisch gegliederten Überblick über die wichtigsten Diskussionsbeiträge der Teilnehmer an der diesjährigen erweiterten Redaktionskonferenz der Zeitschrift "Osteuropa" (Hennef, 2./3. März 1989). Die Diskussion konzentrierte sich auf sechs Themenkomplexe: 1. die Verschiebung der Macht von der Partei zu den Staatsorganen, 2. zunehmende Probleme der Sowjetideologie festzulegen, was "Sozialismus" bedeutet, 3. fortbestehende Ratlosigkeit in der sowjetischen Wirtschaftspolitik, 4. die ungelöste Nationalitätenfrage in der UdSSR, 5. Implikationen der Perestrojka für den Fortbestand des sozialistischen Lagers und die innenpolitische Entwicklung der einzelnen sozialistischen Staaten sowie 6. Fragen der Gorbacevschen Außenpolitik. (BIOst-Klk)
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Der Aufstieg der Man-Fluencer
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Von "degradierten Pussys" und "ehrenhafte Typen": Wie toxische Vorstellungen von Männlichkeit über die sozialen Medien die gesamte junge Generation erreichen – und was das für Schulen,
Hochschulen und die Zivilgesellschaft bedeutet. Ein Gastbeitrag zum Internationalen Frauentag von Nina Kolleck und Johanna Maria Pangritz.
Nina Kolleck ist Professorin für Erziehungs- und Sozialisationstheorie an der Universität Potsdam. Johanna Maria Pangritz ist
Postdoktorandin am dortigen Arbeitsbereich. Fotos: Thomas Roese, Uni Potsdam/privat.
FEMINISMUS ERSCHEINT OMNIPRÄSENT. Influencerinnen wie Nancy Basile und Kinofilme wie "Barbie" oder "Poor things" setzen neue Standards für weibliche Figuren, brechen mit traditionellen
Rollenklischees und tragen dazu bei, die Debatte über Feminismus auch in der Popkultur voranzutreiben.
Doch hinter den Leinwänden florieren die traditionellen Vorstellungen von Männlichkeit. Repräsentative Studien zeigen einen Anstieg sexistischer und antifeministischer Meinungen, besonders bei
jungen Menschen. So ergab die Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, dass rund zwölf Prozent der Befragten (Frauen und Männer) glauben, Gleichberechtigung bedeute eine Machtübernahme der
Frauen. Der Anteil derjenigen, die der Aussage zustimmten, dass Frauen sich mehr auf die Rolle der Ehefrau und Mutter besinnen sollten, stieg von 7,6 Prozent im Jahr 2020/21 auf 10,6 Prozent im
Jahr 2022/23.
Aktuelle Forschungsarbeiten belegen zugleich, dass die gesellschaftlichen Vorstellungen von Männlichkeit in Deutschland stark variieren. Eine Untersuchung des Bundesforums Männer ergab, dass mittlerweile 84 Prozent der Männer die Gleichstellung der
Geschlechter als wichtig für den gesellschaftlichen Zusammenhalt erachten. Im Jahr 2015 waren es noch 79 Prozent. Umfragen des Survey Centers on American Life in Deutschland wiederum zeigen, dass
sich die politischen Ansichten von jungen Männern und Frauen zunehmend unterscheiden. Während junge Frauen in den vergangenen Jahren liberaler wurden, halten junge Männer oft an konservativen
Werten fest oder bewegen sich politisch nach rechts.
Die Vorstellungen von Männlichkeit schwanken zwischen modernen Ansätzen (beispielsweise fürsorgliche, sich aktiv an der Kinderbetreuung beteiligende Väter) und traditionellen, bis ins rechte
Spektrum reichenden Vorstellungen, die Gleichstellung ablehnen. Auf Social-Media-Plattformen wie TikTok oder Instagram finden letztere viele Anhänger. Einige Kanäle propagieren die Rückkehr zu
einer patriarchalen Männlichkeit, erkennen Frauen und queere Menschen nicht als gleichgestellt an. Onlinetrends wie "#TradWife" oder "#cottagecore" stellen Frauen als unterlegen dar oder betonen
ihre traditionellen Aufgaben als Hausfrauen – ein Leben allein zu den Diensten des Mannes.
Immer wieder auf Platz 1
der Spotify Podcast Charts
Einige mögen denken: Solche Einflüsse betreffen nur einen kleinen Teil unserer Gesellschaft. Leider ist das falsch. Toxische Vorstellungen von Männlichkeit erreichen die gesamte junge Generation.
Influencer wie die Podcaster Hoss und Hopf haben mit ausgefeilten Social-Media-Strategien das Vertrauen der jungen Generation gewonnen und verbreiten erfolgreich ihre frauenfeindlichen
Botschaften. Der Podcast befand sich immer wieder auf Platz 1 der Spotify Podcast Charts.
Auf TikTok nutzen Hoss und Hopf eine besonders ausgefeilte Vorgehensweise: Wer ihre Video weiterverbreitet und dafür die meisten "Likes" erhält, dem versprechen die beiden Podcaster regelmäßig
einen hohen Gewinn. Wahrscheinlich kennen mittlerweile alle Jugendlichen Personen im Umfeld, die durch die Verbreitung der Videos bereits Geld von Hoss und Hopf erhalten haben. Die Videos werden
selbst von TikTok-Nutzer:innen geteilt, die sich sonst kritisch gegenüber Verschwörungstheorien äußern und demokratiefreundliche Ansichten vertreten. Trotz behaupteter Löschung ihrer Videos durch
TikTok sind die meisten immer noch online. Das zeigt: Kanäle wie TikTok haben die Verbreitung von Falschinformationen nicht mehr im Griff.
Hoss und Hopf behaupten, dass die Geschlechterrollen evolutionsbiologisch begründet und festgefahren sind. Frauen sollen demnach in Höhlen für den Nachwuchs sorgen, während Männer als Jäger
draußen ihre Rolle als Versorger übernehmen. Sie vertreten die Ansicht, dass Kinder auch heute möglichst lange in dieser traditionellen Struktur verbleiben sollten, um nicht zu früh in Kita oder
Schule zur Frühsexualisierung verführt zu werden. Männer, die diesen Rollen nicht entsprechen, werden von Hopf als "degradierte Pussys" bezeichnet, da sie nicht eindeutig männlich seien. Im
Gegensatz dazu stehen die "ehrenhaften Typen", die den Respekt der Frauen verdienten.
Ein anderer einflussreicher Influencer ist der ehemalige Kickbox-Weltmeister und heutige Unternehmer Andrew Tate. Tate bezeichnet sich selbst als "Frauenhasser" und verbreitet seine
frauenverachtenden Botschaften über Plattformen wie TikTok und YouTube. Er wird von Bildungsforschenden als eine der einflussreichsten Personen in Fragen der Erziehung, Sozialisation und
Persönlichkeitsentwicklung betrachtet. Hoss und Hopf widmen Tate zwei Folgen ihres Podcasts und beschreiben ihn als bedeutenden Einfluss auf die heutige Jugend.
Tate steht derzeit in Rumänien vor Gericht wegen Vorwürfen wie Menschenhandel, der Bildung einer kriminellen Organisation und Vergewaltigung. Seine Strategie, Frauen zu verführen und sie als
„Webgirls“ arbeiten zu lassen, war lange Zeit öffentlich auf seiner Homepage und in YouTube-Videos zu sehen. Viele dieser Inhalte wurden mittlerweile gelöscht, vermutlich aufgrund des laufenden
Gerichtsverfahrens. Seine Männlichkeit, die Frauen unterwirft, ist geprägt von finanziellem Erfolg, physischer und mentaler Stärke sowie der Ansicht, dass er und seine Männlichkeit in der
heutigen Gesellschaft benachteiligt sind.
Schulen spielen eine Schlüsselrolle im Kampf
gegen diese gesellschaftliche Spaltung
Obwohl Tates Kanal teils ebenfalls auf verschiedenen Plattformen gesperrt wurde, verbreiten sich seine Botschaften weiterhin. Für viele Menschen weltweit ist Tate eine Ikone und ein
Orientierungspunkt im Leben. Die Diskussion über diese Person ist in Schulen, Familien, Hochschulen und der Bildungsforschung weltweit präsent und nicht mehr wegzudenken. So zeigen Studien etwa
von Wissenschaftler:innen der Monash University, dass Lehrerinnen in Australien vermehrt Misogynie erfahren, da Jungen durch Tates Ideen beeinflusst und radikalisiert werden.
Ebenso konnten Wissenschaftler:innen von der University Liverpool und dem University College London den Einfluss von Tate auf männliche Jugendliche feststellen.
Hinter der Weltanschauung, die Tate, Hoss und Hopf und andere vertreten, liegt die Annahme, dass die westliche Männlichkeit bedroht ist und in der Krise steckt. Diese Veränderung der
Geschlechterverhältnisse wird mit dem Verlust patriarchaler Männlichkeit gleichgesetzt und die wahre Männlichkeit als benachteiligt dargestellt.
Es ist höchste Zeit, dieser gesellschaftlichen Spaltung aktiv entgegenzutreten. Bildungspolitik, Schulen und Hochschulen spielen dabei eine Schlüsselrolle. Sie sollten den Mut haben, einen
offenen Dialog über Geschlechterbilder und die Spaltungen in unserer Gesellschaft zu führen. Schulen müssen zu diesem Zweck die Medienbildung, die digitale und politische Bildung stärken, um den
Schüler:innen zu helfen, Informationen kritisch zu hinterfragen, Quellen zu überprüfen und verschiedene Perspektiven zu berücksichtigen. Gleichzeitig müssen Schulen Medienkompetenz vermitteln,
damit Schüler:innen manipulative Inhalte in sozialen Medien erkennen und für Geschlechtergleichstellung eintreten können. Dafür müssen auch die Lehrkräfte entsprechend aus- und fortgebildet
werden, wichtig sind zudem gezielte Programme zur Förderung von Geschlechtergleichstellung und -diversität für Lehrkräfte sowie Schüler:innen.
Es braucht aber noch mehr. Wer sich für Gleichstellung und Menschenrechte einsetzt, muss deren Gegner:innen dort schlagen, wo sie besonders erfolgreich sind: in den sozialen Medien. Parteien,
Zivilgesellschaft, soziale Bewegungen, NGOs, Vereine und Bildungseinrichtungen müssen daher dringend ihrerseits aktiver und kreativer bei TikTok, Instagram und YouTube werden und ansprechende
Videos produzieren. Es darf keine Alternative sein, diese Plattformen den Gegner:innen von Demokratie und Aufklärung zu überlassen. Der Trend zu Falschinformationen und Menschenfeindlichkeit
lässt sich nicht nur mit dem Zeigefinger bekämpfen, sondern mit Rollenvorbildern, die zeigen, was wirklich cool ist: eine gerechte und inklusivere Gesellschaft.
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Was der deutsche 'Transfer' vom britischen 'Impact' lernen kann
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An Hochschulen in Großbritannien zählt die gesellschaftliche Wirkung von Wissenschaft wie selbstverständlich zur Bewertung guter Forschung. Was bedeutet das? Ein Gastbeitrag von Albert Kümmel-Schnur.
Albert
Kümmel-Schnur ist Literatur- und Medienwissenschaftler und Mitarbeiter im Team "Transfer Lehre" der Universität Konstanz. Bild: Arek Socha / Pixabay.
DEUTSCHE HOCHSCHULEN TUN SICH SCHWER damit, ihre Beziehungen zum außerakademischen Umfeld zu definieren. Vor ungefähr einem Jahrzehnt hat man sich darauf geeinigt, den gut in den Natur- und
Ingenieurswissenschaften etablierten Begriff des "Transfers" auszuweiten auf alle Bereiche der Kooperation und Interaktion zwischen außerakademischen und akademischen Akteuren.
Der Vorteil eines bereits eingeführten Begriffs wurde zum Nachteil eines erhöhten Erläuterungsbedarfs. Sollte damit ein allgemeines gesellschaftliches Engagement gemeint sein wie etwa im "service
learning"? Suchte man eine größere Nähe zu realen Problemfeldern wie im "problem based learning"? Oder war jetzt jede Übertragung wissenschaftlichen Wissens in nicht-wissenschaftliche Kontexte –
etwa ein Vortrag vor einem nichtwissenschaftlichem Publikum – bereits "Transfer"? Transfer als mitlaufende Querschnittsaufgabe oder als zusätzliche dritte Mission neben Forschung und Lehre?
Die Universität Konstanz lud im März den Botaniker und Forschungsdirektor beim DFG-Pendant Research England, Steven Hill, als Keynote Speaker auf eine Klausurtagung ein, die genau solche Fragen beantworten sollte. In Großbritannien ist das, was wir "Transfer" nennen,
unter dem Begriff "Impact" seit vielen Jahrzehnten eine völlig selbstverständliche Praxis. Im britischen "Research Excellence Framework" wird "impact" beschrieben als "an effect on, change or benefit to the
economy, society, culture, public policy or services, health, the environment or quality of life, beyond academia." Wie dieser Effekt genau erzielt wird, ist zweitrangig.
Wo die gesellschaftliche Wirkung
von Wissenschaft anfängt
Hill benutzte zur Erläuterung das Beispiel der britischen Covid-Warn-App. Eine App sei einfach nur eine App. "It's just a thing that sits on your phone." Ihr Vorhandensein bedeute daher noch
keine gesellschaftliche Wirkung von Wissenschaft. Die komme erst, wenn "people (to) continue their lives, not catch Covid, isolate themselves when they have Covid. That's the impact, the
change, the effect."
Während eine solche Perspektive in Deutschland eher die Sorge um die Unabhängigkeit von Grundlagenforschung triggert, profitiert, Steven Hill zufolge, gerade exzellente Forschung von einer so
definierten Impact-Orientierung. Diesen Schluss ermöglicht die spezifische Förder- und Reviewpraxis von Research England. Während die DFG festhält, dass sie keine transferbezogene Agenda
verfolge, ist es bei Förderanträgen bei Research England Pflicht, den intendierten Impact im Antrag zu beschreiben. Auch der Forschungshaushalt der Hochschulen wird anhand eines
Indikatorensystems, das seit 2014 im Rahmen des Research Excellence Frameworks erhoben wird, bestimmt. Impact Case Studies werden in diesem Kontext zu 25 Prozent gewichtet. Die Fallstudien werden veröffentlicht und
stehen so der akademischen Community als Forschungsdaten, Informations- und Inspirationsquelle zur Verfügung.
Steven Hill betont, dass es wichtig sei, in offenen Zeit- und Raumbezügen zu denken, wolle man den Effekt wissenschaftlicher Forschung auf die gesellschaftliche Entwicklung korrekt verstehen.
Nicht jede Forschung zeige unmittelbar eine Wirkung ‑ manchmal brauche es viel Zeit, bis eine Idee zu einer greifbaren gesellschaftlichen Veränderung heranreift. Und natürlich verändere sich
diese Idee auf dem Weg.
Keine Sorge vor
kurzatmigen Anwendungsbezügen
Damit wird das britische Impact-Konzept dann doch gut anschlussfähig auch für diejenigen unter den deutschen Wissenschaftler:innen, die sich Sorgen um allzu kurzatmige Anwendungsbezüge machen.
"Impact" meint nicht angewandte Forschung. "Impact" zeigt die gesellschaftsverändernde Rolle von Forschung auf, kann der Forschung aber auch eine gesellschaftsgestaltende Richtung geben.
Auch wenn ein solcher Satz in Deutschland Ängste vor Fremdbestimmung und politischer Einflussnahme mobilisieren dürfte: Man kann ihn auch ganz angstfrei als Angebot verstehen, sich stärker
gesellschaftlichen Fragen zu öffnen oder Fragen nach möglichen Bedeutungen der eigenen Arbeit jenseits rein akademischer Diskussionen mitlaufen zu lassen.
Es ist gut, wenn sich Forschung ihre Themen nicht von außerakademischen Akteuren vorgeben lässt. Gleichzeitig stellt es noch keinen Angriff auf die wissenschaftliche Freiheit dar,
gesellschaftlich relevanten Themen einen größeren Raum bei Entscheidungen für Forschungs- oder Lehrprojekte zuzumessen. Ein Transfer, der sich nicht an seinem "Impact" bemessen will, bleibt
letztlich symbolisch wie eine ausgestreckte Hand, der es gleichgültig ist, ob eine andere sie ergreift.
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Novelle des Tierschutzgesetzes verunsichert Wissenschaftler
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Das Landwirtschaftsministerium will das Tierschutzgesetz verschärfen – mit Folgen für die Wissenschaft. Die Forschungsministerin muss ein "Stopp"-Zeichen setzen.
"GEFÄNGNIS FÜR TIERVERSUCHE?", fragte Research Table vergangene Woche, als der Newsletter
über den Referentenentwurf zur Tierschutzgesetz-Novelle berichtete. Und in der Tat: Was notorischen Tierquälern das Handwerk legen soll, würde, wenn die Reform so durchkäme, zugleich eine massive
Abschreckungswirkung für die biomedizinische Forschung verursachen.
Dabei ist gar nicht neu, dass Haftstrafen möglich sind für das Töten eines Wirbeltieres "ohne vernünftigen Grund", und zwar bis zu drei Jahre, genauso für das Zufügen erheblicher Schmerzen oder
Leiden "aus Rohheit" oder über einen länger anhaltenden oder sich wiederholenden Zeitraum. Jetzt aber will das federführende Bundeslandwirtschaftsministerium Cem Özdemir (Grüne) den
diesbezüglichen Artikel 17 im Tierschutzgesetz verschärfen durch die Bestimmung: "Wer eine in Absatz 1 bezeichnete Handlung beharrlich wiederholt oder aus Gewinnsucht oder in Bezug auf eine große Zahl
von Wirbeltieren begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft."
Was hat das mit der
Forschung zu tun?
Das Zusammenspiel schwammiger Begrifflichkeiten – was ist ein vernünftiger Grund, was ist Rohheit, was ist ein länger anhaltender Zeitraum, und neu, was eine große Zahl von Wirbeltieren und was
eine beharrliche Wiederholung – erzeugt zusammen mit der Verschärfung des Strafrahmens ein Gesamtszenario, das noch stärker einschüchternder auch auf Forschende wirken wird (und soll?) als die
bisherigen Bestimmungen. Der unbestimmteste und damit an Forschungsverhinderung grenzende Begriff folgt aber im ebenfalls neuen Absatz 4: "Handelt der Täter… leichtfertig, so ist die
Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe."
So ethisch gerechtfertigt und professionell die Nutzung von Tieren auch liefe, bliebe immer ein kaum einschätzbares juristisches Risiko für die Forschenden. Was Özdemirs Ministerium in Kauf nimmt
– und so eine Geringschätzung für die biomedizinische Forschung und ihre gesellschaftliche Bedeutung offenbart, die gerade angesichts der ohne Tierversuche undenkbaren Entwicklung von
Corona-Impfstoffen (um nur ein Beispiel zu nennen) schwer erträglich ist.
Doch leider passt der Referentenentwurf der Novelle damit in den Zeitgeist. Die Universität Bremen etwa hat gerade Beschwerde eingereicht beim Bundesverfassungsgericht gegen die Anfang 2023 beschlossene Neufassung
des Landeshochschulgesetzes. Demzufolge soll nicht nur auf die Tötung von Tieren für die Lehre verzichtet werden, sondern auch "auf die mit Belastungen verbundene Verwendung von lebenden
Tieren zur Einübung von Fertigkeiten und zur Veranschaulichung von biologischen, chemischen und physikalischen Vorgängen“. Mit sehr eng gefassten Ausnahmen.
Und noch gravierender: Mit der grundsätzlichen Angemessenheit von Tierversuchen in Lehre und in Forschung müssen sich jetzt in Bremen Kommissionen an den Hochschulen beschäftigen, die laut Gesetz
"paritätisch" mit Wissenschaftlern und von Tierschutzorganisationen benannten Personen besetzt werden sollen – und mit deren Votum sich dann Dekanate, Senate, Rektorate und Behörden
auseinandersetzen müssen. Eindeutiger kann man gegen die Wissenschaftsfreiheit im Grundgesetz nicht verstoßen, sollte man denken – und wundert sich, wie solch eine Regelung überhaupt beschlossen
werden konnte.
Zweimal Schiffbruch in Bremen,
trotzdem der nächste Versuch
Übrigens haben in der Vergangenheit bereits zwei Bremer Landesregierungen Schiffbruch erlitten mit ihren jeweils sehr eigenwilligen Interpretationen des Kampfes gegen Tierversuche, als sie
stümperhaft – und beide Male am Ende gerichtlich bescheinigt rechtswidrig – versuchten, die über viele Jahre laufenden Experimente mit Affen am Institut für Hirnforschung zu beenden.
Zurück zur Bundesebene. Bis vergangenen Freitag mussten die Wissenschaftsverbände ihre Stellungnahmen einreichen. Diese dürften in allen Fällen sehr deutlich ausgefallen sein. Umso wichtiger,
dass Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) in der Ressortabstimmung ein Stoppzeichen setzt.
Ja, auch der Tierschutz hat seit seiner Einfügung in den Grundgesetzartikel 20a im Jahr 2002 Verfassungsrang. Doch im Gegensatz zum Recht der Menschen auf Leben und körperliche Unversehrtheit
(Artikel 2) und zur Wissenschaftsfreiheit (Artikel 5) gehört der Tierschutz nicht zu den noch einmal besonders geschützten Grundrechten.
Differenzierte, nicht plakative Formen der Abwägung sind gefragt. Im Notfall erledigen das am Ende Verfassungsrichter. Doch bis es soweit ist, ist der Schaden schon geschehen. Für die
Wissenschaftsfreiheit, für das gesamtgesellschaftliche Wohl – und für das Vertrauen in die Qualität politischer Entscheidungen.
Dieser Kommentar erschien heute zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's
wissen" im Tagesspiegel.
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Mannheimer Scheidungsstudie 1996
Angaben über Verlauf der ersten Ehe und ehenachträgliche Beurteilung.
Themen: Ehestand des Befragten; Geschlecht; Datum der standesamtlichen
Trauung; Land der Eheschließung; kirchliche Trauung; Geburtsdaten beider
Ehepartner; Zeitpunkt des Kennenlernens; Beginn der festen Beziehung;
Gründungszeitpunkt des gemeinsamen Haushaltes; eventuelles Todesdatum
des Partners; Scheidungszeitpunkt; Land der Scheidung; Ortsgröße des
Wohnortes zum Zeitpunkt des Beziehungsbeginns; gleicher Wohnort beider
Partner; Ortsgröße des Herkunftsorts des Ehepartners;
Staatsangehörigkeit, Religionszugehörigkeit und Kirchgangshäufigkeit
beider Partner zum Beziehungsbeginn; gleicher Geschmack hinsichtlich
Wohnungseinrichtung und Kleidung zum Beziehungsbeginn; gleiche
politische Einstellungen zum Beziehungsbeginn; störende Eigenschaften
des Partners zum Beziehungsbeginn und deren Verbesserung im
Beziehungsverlauf; Widerstand von Freunden und Familien gegen Heirat;
Kinderwunsch und Elternschaft beider Partner; beiderseitig freiwillige
Kinderlosigkeit; detaillierte Angaben über alle Kinder hinsichtlich
Geburtsmonat, Geburtsjahr, Geschlecht, Sterbejahr, Anzahl gemeinsamer
Kinder, geplante Geburt, legale bzw. verwandtschaftliche Beziehung zu
den einzelnen Kindern (gemeinsames Kind, leibliches Kind aus anderer
Beziehung, Adoptivkind, Pflegekind, leibliches Kind des Partners aus
anderer Beziehung), Leben der Kinder in der gemeinsamen Wohnung,
Auszugszeitpunkt, Kinderbetreuung durch Dritte; Fehlgeburten,
Totgeburten oder Schwangerschaftsabbrüche während der Ehe;
Arbeitsteilung im Haushalt zu Beginn der Haushaltsgründung sowie damit
verbundene Auseinandersetzungen und Veränderungen in den Folgejahren;
Häufigkeit gemeinsamer Freizeitunternehmungen und deren Veränderungen in
den Folgejahren; gemeinsame Mitgliedschaft in Organisationen; Bewertung
der ersten fünf Ehejahre und Veränderungen im weiteren Verlauf;
Bedeutung von Verlässlichkeit, Leidenschaft, Liebe, Romantik, Vertrauen,
sexuelle Attraktivität, Vertrautheit und Verbundenheit in der Ehe;
Unzufriedenheiten und Konflikte aufgrund von Zeitmangel, Unverständnis
oder mangelndem sexuellem Verständnis eines Partners für den anderen;
dauerhafte Beeinträchtigung der Ehe aufgrund von körperlichen oder
psychischen Erkrankungen, Unfällen, chronischen Leiden oder Behinderung
des Partners oder eines Kindes; Pflegefälle in der Familie; vertragliche
Vereinbarungen vor oder während der Ehe für den Fall einer Scheidung;
Empfindung von Schwierigkeiten in der Ehe; Zeitpunkt des erstmaligen
Denkens an das Scheitern der Ehe und des Gedankens an Scheidung aus der
Sicht des Befragten und seines ersten Ehepartners; zeitlicher Ablauf von
Gesprächen des Befragten und des Ehepartners mit Freunden und mit einem
Anwalt über die Scheidung; Zeitpunkt der Empfindung des endgültigen
Scheiterns der Ehe; Zeitpunkt der Trennung von Tisch und Bett und des
Verlassens der gemeinsamen Wohnung; Auszug des Befragten oder des
Partners; Einreicher der Scheidung; Zeitpunkt der Einreichung und
Scheidungstermin; Initiator der Scheidung; Verantwortlicher für die
Scheidung aus der Sicht des Befragten; Beendigung des
Scheidungsverfahrens; vermutlicher Zeitpunkt der Scheidung; wichtigster
Scheidungsgrund; detaillierte Angaben über die Ehen der Eltern beider
Ehepartner: Ehesituation, Ehebewertung und Scheidung der leiblichen
Eltern, Scheidung der leiblichen Eltern vor Scheidung der eigenen Ehe
oder vor persönlicher Volljährigkeit des Befragten, finanzielle
Einschränkungen aufgrund der Scheidung der leiblichen Eltern;
aufgewachsen bei den leiblichen oder sozialen Eltern und Größe des
damaligen Wohnorts; Ehesituation, Ehebewertung und Scheidung der
sozialen Eltern; Scheidung der sozialen Eltern vor Scheidung der eigenen
Ehe oder vor persönlicher Volljährigkeit; finanzielle Einschränkungen
aufgrund von Scheidung der sozialen Eltern; wirtschaftliche Verhältnisse
der leiblichen und der sozialen Eltern im Alter von 16 Jahren;
Geschwisterzahl; Scheidungen bei den Geschwistern; Scheidungen im
persönlichen und gemeinsamen Freundeskreis; Angaben des Befragten und
seines Ehepartners bezüglich: Anzahl der vorausgegangenen festen
Beziehungen, eigene Haushaltsführung vor gemeinsamen Zusammenleben,
vorausgegangenes Zusammenleben mit einem anderen Partner,
Selbsteinschätzung der Möglichkeiten einen Partner zu finden zum
Zeitpunkt des Beziehungsbeginns; vorangehende Ehe und Scheidung des
Ehepartners; Wohnortgröße und Land der gemeinsamen Haushaltsgründung;
Anzahl gemeinsamer Umzüge sowie Anzahl und Reichweite der Umzüge;
Wohnortgröße und Land zum Zeitpunkt des Eheendes; räumliche Nähe zu
Eltern und Schwiegereltern; Alleinbesitz bzw. gemeinsamer Hausbesitz
sowie Zeitpunkt des Hauserwerbs; Hilfe und Unterstützung von Freunden
und Verwandten beider Ehepartner während der Ehe; eheliche
Auseinandersetzungen aufgrund der Beziehungen zu den Eltern und
Freunden; Drängen zur Beendigung persönlicher Freundschaften; gemeinsame
Freunde der Ehepartner vor der Scheidung; derzeitige Kontakthäufigkeit
zu Eltern und Schwiegereltern sowie kurz vor der Scheidung; Angaben zu
den besten Freunden und nächststehenden Personen beider Ehepartner;
Verhältnis zum besten Freund des Ehepartners; Beziehung der Ehepartner
und der besten Freunde zu Eltern und Schwiegereltern; Beziehung zwischen
Eltern und Schwiegereltern; Angaben zu Bildung und Beruf beider
Ehepartner: Land und Zeitpunkt des höchsten erreichten Schulabschlusses,
höchster Schulabschluss bei Beziehungsbeginn, Ehe, Eheende, nachgeholter
Schulabschluss; Zeitpunkt eines eventuellen Hochschulabschlusses,
Abschluss der Berufsausbildung vor der Heirat oder vor der Scheidung;
Ausmaß, Dauer und Zeitraum der Berufstätigkeit; berufliche Position,
Berufsgruppe, Betriebsgröße; Belastung der Ehe durch lange
Arbeitszeiten, Schichtdienst und berufsbedingte Abwesenheit; Probleme am
Arbeitsplatz; Arbeitslosigkeit; Beschäftigung bis zu Beginn des
Ruhestands; gemeinsamer und persönlicher Firmenbesitz oder Besitz eines
Geschäfts; wirtschaftliche Verhältnisse im ersten Ehejahr und
Veränderungen im Zeitverlauf; Ehepartner mit dem höheren Nettoeinkommen
in der Ehe; gemeinsame Kasse während der Ehe; gegenseitige Kontrollen
der Geldausgaben; Entscheidungsbefugter über die finanziellen Mittel;
Streit wegen finanzieller Angelegenheiten; ernsthafte finanzielle
Probleme; Finanzstütze von den Eltern und andererseits;
Unterhaltszahlungen an die Eltern; Wiederheirat des Befragten und des
ehemaligen Partners; Drogenprobleme oder Alkoholprobleme während der Ehe
von Seiten des Befragten oder der Kinder; Haftstrafen des Befragten oder
des Partners; außereheliche Beziehungen; häusliche Gewalt in der Ehe;
Drogenprobleme bei Kindern; Kindererziehungsprobleme; körperliche Gewalt
gegen die Kindern; andere erhebliche Störungen des Alltags;
Telefonsperrung im letzten Jahr; Einrichtungsjahr des
Telefonanschlusses.
Interviewerrating: Kooperationsbereitschaft und Zuverlässigkeit des
Befragten.
Interviewabbruch bei der Kinderfrage; Stellung im Beruf beider
Ehepartner vor und während der Ehe.
Zusätzlich verkodet wurden: Interviewdatum; Intervieweridentifikation;
Brief bei Screeninginterview erwünscht; Anzahl der im Haushalt lebenden
Personen über 18 Jahren; Interviewdauer; Datenverlust bei offenen
Angaben; Erreichbarkeit bei Nacherhebung; Variablen zur Ortsbestimmung;
Interviewergeschlecht; Intervieweralter; Familienstand des Interviewers;
Scheidungserfahrung des Interviewers; Bundesland; Regierungsbezirk;
Gemeindetyp.
GESIS
El Premio Nacional de Literatura en Chile: de la Construcción de una Importancia
Die vorliegende Arbeit untersucht den Nationalpreis für Literatur ("Premio Nacional de Literatura") in Chile, der 1942 ins Leben gerufen wurde und mit welchem bis 2014 48 männliche und 4 weibliche Autoren prämiert wurden. Sein Bestehen über mehr als sieben Jahrzehnte und seine offizielle feierliche Verleihung hat durchgehend die Aufmerksamkeit des chilenischen literarischen Feldes erregt und bot im gleichen Zuge einen öffentlicher Anlass, den Wert der Literatur auf verschiedenen Ebenen neu zu denken und zu diskutieren. Ziel der vorliegenden Arbeit ist, ausgehend von dieser vielseitigen Diskussion eine Analyse der Inhalte und Grundlagen der Debatte über den Stellenwert von Literatur und von SchriftstellerInnen sowie deren Veränderungen in Chile vorzunehmen. Die Arbeit ist diachronisch angelegt und basiert auf der Sammlung und Kategorisierung offizieller Berichte, individueller Aussagen und öffentlicher Debatten, die alljährlich rund um die Vergabe des Nationalpreises publik werden. Die Ergebnisse der Forschungsarbeit zeigen, dass seit den 1940er Jahren in Chile Literatur tendenziell anhand der politisch-ethischen Position der AutorInnen astatt der Ästhetik der Texte bewertet wurde. Das heißt, in den meisten Fällen wurde ein Autor anhand seines gesellschaftlichen Engagements anstatt der Qualität seiner Texte ausgewählt. Dieser Sachverhalt erklärt sich durch die große Bedeutung, die der chilenische Staat bis heute als Plattform für Finanzierung, Ausbildung und Förderung künstlerischer Werdegänge, inne hat. ; The present dissertation investigates the Chilean National Prize for Literature ("Premio Nacional de Literatura"), founded in 1942, which has been awarded to 48 male and 4 female authors to date. Its existence for more than seven decades and the solemnity of the official award ceremonies has attracted the attention of the Chilean literary field, offering a public occasion and forum to rethink and discuss the value of literature on different levels. The main objective of this research is to present and analyze the arguments that were used in this context to explain why writers and literature are important. The dissertation is diachronic and based on the collection and categorization of official reports, individual statements, and public debates, which were held annually around the awarding of the national prize between 1942 and 2014. The results of this investigation show that, since the 1940s, the arguments used to talk about the importance and value of literature tended to give more importance to the political-ethical profile of the writers, rather than an esthetic dimension. This means that in most of the cases writers were valued for their social engagement rather than the quality of their books. This has happened because of the State's importance both as financial source for Chilean writers and as network for the development of their intellectual and artistic careers. ; La presente investigación está dedicada al Premio Nacional de Literatura en Chile, fundado el año 1942 y que, hasta el año 2014, condecoró a 48 escritores y 4 escritoras. Su fundación hace más de 7 décadas, y su entrega y ceremonia oficiales han logrado concentrar año a año la atención del medio literario chileno, ofreciendo de paso una instancia pública y periódica donde discutir y reflexionar en torno al valor de la literatura y los escritores. El objetivo de esta investigación es, a partir de la organización y análisis de estas discusiones, presentar los argumentos que han fundado un discurso sobre la importancia de la literatura en Chile, y explicar cómo es que esos fundamentos se han transformado. La estructura de este trabajo es diacrónica y se basa en la exposición y categorización de los motivos recogidos en reportes oficiales, declaraciones de los escritores y la diversidad de artículos de prensa surgidos a propósito de la entrega del Premio Nacional. Los resultados de esta pesquisa informan que en el medio cultural chileno desde los años '40 en adelante los criterios de valoración de lo literario tendieron a privilegiar la dimensión político-ética de los escritores, antes que la estética; es decir, que en la mayoría de los casos se les valoró por su compromiso social, antes que por la calidad de sus obras. Esto, a su vez, se ha explicado por la importancia que el Estado ha tenido hasta el día de hoy como plataforma de financiamiento, formación y acción para las carreras artísticas y literarias en Chile.
BASE
Shintaro Miyazaki: Algorhythmisiert. Eine Medienarchäologie digitaler Signale und (un)erhörter Zeiteffekte.: Berlin: Kadmos 2013. ISBN 978-3-86599-187-4. 282 S. Preis: € 14,99
Shintaro Miyazaki präsentiert in seiner veröffentlichten Dissertation in Form der Monografie Algorhythmisiert eine umfassende und neue Perspektive auf die bisher an technische und ästhetische Belange gebundene Medienarchäologie. Gleichsam liefert er damit eine Synthese des in der Mathematik und Informatik verwurzelten Begriffs Algorithmus und des musikalisch-klanglichen Begriffs Rhythmus. Er verbindet dabei gekonnt seine Studien der Medien-, Musikwissenschaft und Philosophie, die er an der Universität Basel abgeschlossen hat. Seit Friedrich Kittlers technologisch-materialistischem Blick auf die Medienwissenschaften in den 1980er Jahren, bildete sich ein klassischer Topos der Verwendung von rein medientheoretischen Analysemodellen heraus. Miyazaki fordert deswegen in seiner Einführung von den Geisteswissenschaften profunde Analysen der epistemologischen und archäologischen Bedingungen von Medien, präzise Kenntnisse der blinden Flecken neuer Technologien und Erklärungsmodelle, die sich auch mit sozialen, kulturellen und politischen Konsequenzen beschäftigen. Der Autor liefert in seiner Kernthese, nämlich der Verbindung von Algorithmus und Rhythmus, einen Ansatzpunkt für zukunftsgewandte und historisch fundierte Medienanalysen. Diese Analysen vertreiben dabei nicht die Geisteswissenschaften, sondern beziehen sie bewusst mit ein. Der Aufbau des Buches erscheint zu Beginn verwirrend. Die beschriebenen Phänomene in den in sich geschlossenen Teilkapiteln, die trotz ihrer diskontinuierlichen Zusammenstellung besondere Einblicke in die Medienarchäologie erlauben, überzeugen erst bei der genaueren Untersuchung. In Kombination mit sprachlicher Genauigkeit, verständlichen Zusammenfassungen und einem gut zu lesender Schreibstil ergibt dies eine spannende Lektüre. Miyazakis Erkundungen auf der Suche nach den blinden Flecken, vor allem im klanglichen Bereich der Medienwissenschaft, betreffen die "Konfigurationen von avancierten Technologien, die Informationen speichern, übertragen und verarbeiten beziehungsweise berechnen und damit den Alltag, das Denken und die Wahrnehmung der Benutzer maßgeblich mit-konstituieren […]." (S. 8). In der Einleitung nimmt der Autor Bezug auf technologische Entwicklungen, die von der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts in die Vergangenheit zurückblicken und so zur methodischen Orientierung für den Aufbau und die Gliederung seiner Publikation herangezogen werden. Im ersten Kapitel Ping arbeitet Miyazaki mittels einer detaillierten Darstellung der technomathematischen Bedeutungen von Algorithmus in Verbindung mit medientheoretischen Implikationen von Rhythmus erstmals den Begriff des 'Algorhythmus' heraus. Ausgangspunkte für diese Beobachtung finden sich in Gesellschaft, Kultur, Politik und Wissenschaft. So werden sonische Methoden, die "auf den medialen Bereich der semantischen Kultivierung unmusikalischer Geräusche" (S. 16) referieren, zeitlich eingeordnet. Es wird die Geschichte, Entwicklung und der Stellenwert von Algorithmen dargestellt. An anderer Stelle werden Unterscheidungskriterien zwischen Takt und Rhythmus besprochen. Ein Algorithmus ist in der Mathematik eine endliche Folge von Schritt-für-Schritt-Anleitungen und somit ein Verfahren für die Lösung eines Problems und findet Anwendung im Gebrauch von Computern. Rhythmus, auf der anderen Seite, ist seit Platon als zeitbasierte Ordnung von Bewegung definiert. Ein Algorhythmus – Miyazakis Neuschöpfung aus beiden Worten –, tritt dann in Erscheinung, wenn wirkliche Substanz durch symbolische Strukturen wie Anweisungen und Codes, kontrolliert werden. Die Algorhythmik – so die Hauptthese von Miyazaki – begleitet Ereignisse unserer medial gesteuerten Welt, weil sie den integralen Bestandteil dessen bildet, was wir als medieninduzierte Phänomene oder Katastrophen wahrnehmen. Im zweiten Kapitel 1936–1962 bezieht sich Miyazaki auf den Begriff 'Agencement', der als Gefüge übersetzt werden kann und in seiner kulturtheoretischen Verwendung durch Gilles Deleuze und Félix Guattari geprägt wurde. Auf dieser Grundlage wird eine Archäologie digitaler Medien- beziehungsweise Maschinengefüge hinsichtlich ihrer Algorhythmik aufbereitet. Technische Entwicklungen, wie die ersten Relais- und Großrechner, werden dabei nicht nur medienarchäologisch, sondern auch sonisch eingeordnet. Das dritte Kapitel springt weit in der Zeit zurück und bietet unter dem Titel 1300 | 1800 medienarchäologische Rückblicke, die vom späten Mittelalter in das 18. und frühe 19. Jahrhundert reichen. Die Eskalation des Algorhythmischen, die Miyazaki im vierten Kapitel 1977–2001 beschreibt, begleitet die Ausprägung eines digitalen Alltags und ermöglicht somit eine Medienarchäologie digitaler Gefüge der Gegenwart. Dieser zeitliche Abschnitt wird durch die Bell Laboratories und deren Entwicklung digitaler Signalprozessoren eingeleitet, die auf einen einzigen integrierten Schaltkreis passten. Wahrnehmungsarchäologisch betrachtet, wurden diese digitalen Gefüge im ausgehenden 20. Jahrhundert zu Medien der perfekten Sinnestäuschung. Vorläufer für diese Medien war nach Miyazaki die Entwicklung der elektronischen Netzwerke, vor allem des internationalen Telefonnetzwerks, "das sich fast explosionsartig vergrößerte und die Grundlage für die Vernetzung digitaler Agencements durch Formate wie Time-Sharing, Arpanet, Usenet und schließlich Internet bildete" (S. 171). Miyazaki versucht sich abschließend an einer medienarchäologisch inspirierten Epistomologie unserer Gegenwart und wagt einen Ausblick in die Zukunft. Medieninduzierte Katastrophen – wie der Zusammenbruch des US-Telefonnetzwerks am 15. Januar 1990 oder der algorhythmisch erzeugte Einbruch des Finanzmarkts am 6. Mai 2010 – würden verdeutlichen, wie das Zusammenspiel von Algorithmen, Rechenmaschinen, Netzwerken und ihrer 'Agencements' von statten geht. Inhaltlich bietet Miyazaki einen Einblick in bisher 'unerhörte' Zeiteffekte. Die stark auf Visualität, Ästhetik und Technik konzentrierte Medienwissenschaft erhält dadurch einen Vorschlag zur Erweiterung ihrer kulturtheoretischen Analytik, die es möglich macht, die spezifische Dynamik und Zeitlichkeit neuer Medientechnologien mit einzuschließen. Vor allem hinsichtlich der Auseinandersetzung mit neuen algorhythmisierten Archiven und Netzwerken kann dies hilfreich sein. In der poststrukturalistisch geprägten deutschsprachigen Medientheorie ist es mittlerweile eine Selbstverständlichkeit geworden, dass man Medien als ständig im Wandel oder im Werden befindliche Gefüge bestimmt. Miyazaki bemüht sich darum, differenzielle Feinheiten und rekursive Rekonfigurationen aufzuzeigen, die sich an der Grenze der medientheoretischen Grundlage befinden. Die Zeitnotation in der Musik, die Miyazaki auf die Medienwissenschaft überträgt, ermöglicht eine präzise Analyse von Prozessen, vor allem wenn es um Netzwerke geht. Dies macht auch den Unterschied zu einer visuellen Analyse aus. Netzwerke, Programme und Computer werden im Allgemeinen in Strukturen und Codes analysiert und nicht als Prozesse, wie es Miyazaki versucht. Algorhythmen zeigen uns, dass unsere digitale Kultur nicht immateriell, aber in Zeiteinheiten geteilt ist. Zeit und musikalisch-klangliche Aspekte werden somit wichtig für das Verständnis der Medien. Mit genügend wissenschaftlichen Anstrengungen werden die unsichtbaren und bisher 'unerhörten' elektronischen oder elektromagnetischen und somit drahtlosen Signale hörbar gemacht.
BASE
Agency and social structure in human factors : A critical realist approach ; Handlungsmächtigkeit und soziale Strukturen in der Human Factors Wissenschaft : ein kritisch-realistischer Ansatz
Human Factors als interdisziplinäre Wissenschaft untersucht die Interaktion von Mensch und Technologie. Sicherheit, Zuverlässigkeit und Produktivität sind ihre wichtigsten Anliegen. Heutige Arbeitsumgebungen werden immer stärker informatisiert, virtualisiert, anpassungsfähig und dynamisch. Die zugrundeliegenden vernetzten Technologien sind hoch komplex und verteilt. Dadurch entstehen sowohl für die theoretischen Fundamente als auch für die methodologischen Ansätze von Human Factors einige Herausforderungen. Durch Bezugnahme auf das Anwendungsfeld der Produktionsplanung und –steuerung (PPS) und Enterprise Resource Planning (ERP) Systeme als ein Beispiel für eine solche Arbeitsumgebung macht diese Dissertation explizit, wie Human Factors daran scheitert wesentliche Fragen und Probleme aus diesem Typ von Umgebung zu beantworten. In einer Übersicht über die Human Factors Forschung in PPS werden diese offenen Fragen summarisch dargestellt. Als Konsequenz dieser Beobachtungen schlage ich eine philosophische Umorientierung, basierend auf der Denkschule des kritischen Realismus, und eine Erweiterung der philosophischen Annahmen von Human Factors als Disziplin vor. Dabei fokussiere ich mich auf Handlungsmacht (Engl.: agency) und soziale Strukturen als zentrale Konzepte für das Verständnis von menschlichem Verhalten. Dieses meta-theoretische, ontologische Fundament ermöglicht dann eine vertiefte Diskussion der existierenden methodologischen Ansätze im Feld der PPS. Diese Überlegungen führen zur Formulierung eines kritisch-realistischen Theorie/Methoden-Pakets für Human Factors, mit welchem die identifizierten Forschungsfragen im Feld der PPS angegangen werden können. Um meine Reflexionen über eine so entwickelte kritische Human Factors Perspektive zu illustrieren, wende ich das vorgeschlagene Paket von ausgewählten Methoden retrospektiv auf empirisches Material aus zwei Fallstudien in mittelgrossen Industrieunternehmen an. In der ersten Fallstudie verwende ich die sozio-kognitive Diskursanalyse um Praxis-Positionen, Intentionalität und Spannungsfelder im Zusammenhang mit ERP-Einführungen und der Benützung dieser Systeme aufzuzeigen. Die zweite Fallstudie ergänzt die erste durch die Verwendung einer erweiterten Form der Cognitive Work Analysis und Archer's morphogenetischem Ansatz zur Analyse des Arbeitsumfeldes. Ich schliesse mit Implikationen die sich aus der Diskussion der Anwendbarkeit und der Erklärungskraft des vorgeschlagenen Theorie/Methoden Paketes ergeben. Vom hier eingenommenen Standpunkt her wird eine politisch bewusstere und selbst-kritischere Positionierung von Human Factors befürwortet. Durch die Integration von Handlungsmacht und sozialen Strukturen in unser Denken über Technologien werden unsere Gestaltungs- und Entwicklungs-Interventionen besser auf die vernetzten Arbeitsplätze und die globalisierten Arbeitskräfte, mit denen wir uns zunehmend beschäftigen, abgestimmt werden. ; Human Factors as an interdisciplinary science investigates the interaction of humans and technology. Safety, reliability and productivity are its primary concerns. Today's work contexts are getting ever more informatized, virtual, adaptive and dynamic. The underlying networked technologies are highly complex and distributed. As a consequence, both the theoretical fundaments and the methodological toolbox of Human Factors become somewhat challenged. By drawing on the field of production planning and scheduling (PPS) and enterprise resource planning (ERP) systems as an example of such a work context, this thesis is making explicit how Human Factors fails to fully account for many problems and questions related to this type of environment. An overview of Human Factors research in PPS is leading to a list of unresolved issues and open questions. As a consequence of these observations, I am proposing a philosophical reorientation based on critical realist thought leading to an elaboration of the philosophical assumptions behind Human Factors as a discipline. Hereby, I focus on agency and social structures as central concepts for the understanding and explanation of human behavior. The meta-theoretical, ontological fundament that I put forward then allows for a through discussion of existing methodological approaches to the field of PPS. These considerations lead to the formulation of a critical realist theory/methods package for Human Factors to address the research issues identified in the PPS domain. To illustrate my reflections on a critical Human Factors perspective developed as such, I am retrospectively testing the proposed package of selected methods with empirical material from two case studies of medium sized industrial companies. The first case study employs socio-cognitive discourse analysis to describe position-practices, intentionality and fields of tension related to ERP implementation and use. The second case study complements the first one by using an extended form of Cognitive Work Analysis and Archer's morphogenetic approach to analyze the work environment. I conclude with implications resulting from the discussion of the applicability and explanatory power of the theory/methods package. From the point of view adopted here, a more politically conscious and self-critical positioning of Human Factors is advocated. Through the integration of agency and social structure into our thinking about technology, our design and development interventions will become more tuned to the networked workplaces and globalized workforce we are increasingly engaged with.
BASE
Soviet Third World policy in a changing society: Afghanistan to the Gulf war
In: Occasional Paper, 4
World Affairs Online
World Affairs Online
Le nouvel ordre sud-africain en gestation
In: Politique étrangère: PE ; revue trimestrielle publiée par l'Institut Français des Relations Internationales, Band 55, Heft 2, S. 369-387
ISSN: 0032-342X
World Affairs Online