Von Bismarck zu Hitler: Kontinuität und Kontinuitätsbegehren in der deutschen Geschichte
In: Aus Politik und Zeitgeschichte: APuZ, Heft B 51, S. 3-10
ISSN: 0479-611X
"Zu den Verwüstungen, die der Nationalsozialismus in der deutschen Geschichte angerichtet hat, zählt fraglos auch die Zerstörung einer vom Bürgertum und seinen Denk- und Wertkategorien geprägten politischen Kultur. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs - im Angesicht der 'deutschen Katastrophe'. (Friedrich Meinecke) - fiel es freilich schwer, von einer Mithaftung der ideellen und moralischen Substanz des deutschen Bürgertums für das, was zwischen 1933 und 1945 geschehen war, abzusehen. Es wurde nach Traditionen gefahndet, die Hitler den Weg zur Macht geebnet und das von ihm errichtete Regime getragen und im Inneren gefestigt hatten. Was Ian Kershaw in seiner kürzlich erschienenen Hitler-Biographie zum Fokus der Interpretation gemacht hat - die Korrespondenz zwischen dem Willen des Diktators und der Bereitschaft großer Teile der deutschen Gesellschaft, sich auf die NS-Diktatur einzulassen -, ist der Kern des deutschen Kontinuitätsproblems. In dieser Abhandlung, die nach den verbindenden Linien zwischen Bismarck und Hitler, zwischen zweitem und 'Drittem Reich' fragt, wird zunächst ein Blick auf die unterschiedlichen Ansätze der Kontinuitätshistorie geworfen. Diese hat viel zuwenig beachtet, wie die braunen Machthaber es verstanden, sich über Kontinuitätsinszenierungen in den Gang der deutschen Geschichte einzuschleichen. Über das Versprechen von Kontinuität mit den Traditionen und Werten der politischen Kultur des Kaiserreichs gelang es dem NS-Regime, die deutsche Gesellschaft und besonders die für seine Vorhaben so wichtigen alten Führungsgruppen in Militär, Bürokratie, Wirtschaft und Kultur zu gewinnen. Carl Schmitt hat in seinen historisch-politischen Schriften am suggestivsten die affektiven Kontinuitätsbedürfnisse des gebildeten Deutschland zu formulieren und zu zentrieren verstanden. Er ist eine exemplarische Figur für den Anteil, den ein fehlgeleitetes Kontinuitätsbewußtsein an der Ermöglichung und am Vollzug der NS-Herrschaft hatte." (Autorenreferat)