Welche Vision(en) für die europäische Wirtschaft?: französische und deutsche Ansätze
In: Deutschland und Frankreich in der Europäischen Union: Partner auf dem Prüfstand, S. 133-147
Der Beitrag erörtert die unterschiedlichen Grundverständnisse der wirtschaftspolitischen Rolle Europas zwischen Frankreich und Deutschland: Soll die EU eine Markt- und Währungsordnung sein, die in erster Linie durch gemeinsame Regeln (Stabilitäts- und Wachstumspakt; Fusions- und Subventionskontrolle) durchgesetzt und am Leben erhalten wird, während sie sich einer interventionistischen Politik weitgehend enthalten sollte? Dies kennzeichnet die deutsche Auffassung. Oder soll sie ein handlungsfähiger wirtschaftspolitischer Akteur sein, der aktiv in das Wirtschaftsleben eingreift und entsprechende Kompetenzen und Instrumente besitzt? Frankreichs Politiker und zahlreiche Wirtschaftsexperten plädieren für diese Position. Wo liegen die Wurzeln für das unterschiedliche Verständnis des europäischen Wirtschaftsraums? In welchen Bereichen der europäischen Wirtschaftspolitik kommt dies zum Ausdruck? Was ergibt sich daraus für die europäische Politik; wo liegen Kompromissmöglichkeiten? Diese Fragen sind Thema der folgenden Ausführungen, wobei im ersten Schritt zunächst die Ansätze Frankreichs (Europa als wirtschaftspolitischer Akteur) und Deutschlands (Europa als ordnungspolitischer Rahmen) jeweils in ihren Grundzügen vorgestellt werden. Vor diesem Hintergrund werden im zweiten Schritt sodann exemplarisch zwei Aspekte betrachtet, die für Zündstoff zwischen den beiden EU-Staaten sorgen: Der Ruf Frankreichs (1) nach einer europäischen Wirtschaftsregierung und (2) nach einer europäischen Industriepolitik. Im dritten Schritt plädiert der Autor dennoch für ein mögliches gemeinsames Handeln in der Wirtschaftspolitik. Denn beide Länder sind in der wirtschaftspolitischen Praxis näher, als es die unterschiedlichen Diskurse vermuten lassen. Sarkozy und Merkel lehnen einen ungeregelten liberalen Marktkapitalismus ab und bevorzugen das Leitbild eines regulierten, sozial gesteuerten Kapitalismus gemeinsam, und diese Gemeinsamkeit ist gerade auch nach Ausbruch der Finanzkrise wieder deutlich geworden. (ICG2)