Säuglingssterblichkeit in Deutschland im 19. Jahrhundert
In: Comparative population studies: CPoS ; open acess journal of the Federal Institute for Population Research = Zeitschrift für Bevölkerungsforschung, Band 36, Heft 4, S. 807-838
ISSN: 1869-8999
Die Entwicklung der Säuglingssterblichkeit in Deutschland ist bisher für das 19. Jahrhundert
insgesamt nur mangelhaft und für den Zeitraum vor 1871 lediglich kleinräumig dokumentiert.
Mit der Aufbereitung der von den Behörden der damaligen deutschen Staaten zusammengestellten
Zahlen wird hier zunächst eine neue statistische Grundlage geschaffen. Die rekonstruierte
nationale Zahlenreihe (ab 1826) belegt eine vergleichsweise hohe Säuglingssterblichkeit
mit geringen Fortschritten bis zur Wende des 20. Jahrhunderts. Der Einfluss der Faktoren
Urbanisierung und Industrialisierung wird nicht bestritten, die Auswertung der unterschiedlichen
regionalen Muster und Entwicklungstrends führt aber zu einer neuen Gewichtung. Demnach
waren die Lebens- und Arbeitsverhältnisse auf dem Lande von erheblicher Bedeutung.
Die Logik des Zusammenhangs von Fertilität und Säuglingssterblichkeit wird für die
Epoche des nachhaltigen Fertilitätsrückgangs anders eingeschätzt als für die vorausgehende.
Insgesamt werden die vorherrschenden Gewohnheiten und Einstellungen als ausschlaggebend
für die Überlebenschancen von Kleinkindern angesehen. Deshalb wird der Blick auf die
aufgeklärte Öffentlichkeit und auf die Behörden gelenkt. Bemühungen dieser Kreise
um einen Wandel waren insbesondere im Südwesten zu verzeichnen, wo angesichts der
teilweise dramatischen Verhältnisse relativ früh ein Problembewusstsein entstand.
Zu einer abschließenden Bewertung dieser Vorgänge bedarf es weiterer historischer
Forschungen auf regionaler Ebene.