Der Übergang von der feudal-ständischen Gesellschaft zur bürgerlichen Gesellschaftsordnung als Rechtsproblem: die Entwährungslehre Lorenz von Steins
In: Staat und Gesellschaft: Studien über Lorenz von Stein, S. 337-371
Unter dem damals wie heute ungebräuchlichen Ausdruck "Entwährungslehre" behandelt Lorenz von Stein im 7. Band seiner Verwaltungslehre zwei große Rechtsbereiche des 19. Jahrhunderts: die Grundentlastung, die Ablösung der Gemeinheitsteilung und das Enteignungs- und Staatsnotrecht. Während Steins klassische Darstellung der Enteignungsgrundsätze immer wieder Beachtung fand, wurde die Darstellung der Rechtsreform und Sozialreform des 19. Jahrhunderts kaum gewürdigt. Dabei handelt es sich um eine grundlegende, vergleichende Darstellung der europäischen Verfassungs- und Rechtsgeschichte des Übergangs von der feudal-ständischen zur modernen Welt. Als PrÜfstein für Steins Gesellschaftstheorie wie als Begründung der bürgerlichen Gesellschaft ist Steins Entwährungslehre von besonderem Interesse; sie legitimiert den Übergang zur zur bürgerlichen Gesellschaft und widerlegt zugleich eine mögliche Bewegung über die bürgerliche Gesellschaft und das bürgerliche Eigentum hinaus. Es ging dabei um das rechts- und verfassungstheoretische Dilemma, daß die feudale Struktur des Eigentums zerstört und zugleich die Unverletzlichkeit des Eigentums als Grundsatz der bürgerlichen Gesellschaft aufrechterhalten werden mußte. Der Aufsatz behandelt die Grundgedanken der Steinschen Entwährungslehre und seine Auffassung der Entschädigungsproblematik. Das theoretische Modell der allgemeinen Rechtsreform wird dabei mit der tatsächlichen Entwicklung in Frankreich und Deutschland und mit Steins Interpretationen konfrontiert. Die Positionen, die sich aus der Ablehnung weitergehender Gesellschaftsveränderungen ergeben, verdeutlicht der Autor in der Konfrontation mit der sozialistischen Konzeption Ferdinand Lassalles. (KA)