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Mein Cousin Bernd hat mir das Buch von Reinhold Beckmann über seine Mutter "Aenne und ihre Brüder" mitgebracht – vermutend, dass es mich interessieren würde, da wir selbst die Geschichte unserer Familien erforschen,* auch über die Zeit die Beckmann behandelt. Seit ich angefangen habe das Buch zu lesen, beschäftigt es mich andauernd. Es ist viel... The post Reinhold Beckmanns Biographie seiner Mutter ist auch ein großartiges Zeitzeugnis first appeared on Blog der Republik.
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"Deutschlands wirtschaftliches und politisches Gewicht verpflichtet uns, im Verbund mit unseren europäischen und transatlantischen Partnern Verantwortung für die Sicherheit Europas zu übernehmen, um gemeinsam Menschenrechte, Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Völkerrecht zu verteidigen" (Angela Merkel: Bundesministerium der Verteidigung 2016, S. 6) Obwohl Angela Merkel nicht mehr Bundeskanzlerin ist, sind die Leitlinien, die im Weißbuch 2016 für die Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands festgelegt wurden, weiterhin elementar – oder nicht? Aber wie lässt sich ihre Aussage im Jahr 2022 verorten? Zeigt Deutschland Verantwortung für die EU, transnationale Partnerschaften und Völkerrecht? In diesem Beitrag soll das Verhältnis zwischen Deutschland und den Vereinten Nationen (VN) in den Blick genommen werden: Mit dem Wegfall des West-Ost-Konflikts, der Dekolonialisierung, dem Beitritt weiterer Staaten und der Veränderung des Krieges hin zu "Neuen Kriegen" (Hippler 2009, S. 3-8) ergeben sich neue Handlungsfelder und Herausforderungen, die die Vereinten Nationen in den Blick nehmen müssen.Je nach Ansicht fällt der größten Weltorganisation eine mehr oder weniger bedeutende Rolle in der internationalen Politik zu (vgl. Gareis & Varwick 2014, S. 295). Allerdings sind maßgeblich die Mitgliedsstaaten für das Gelingen der Vereinten Nationen und für die notwendigen Reformen zuständig, da sie als "klassische intergouvernementale Organisation" (ebd., S. 295) bezeichnet werden können.Die Forschungsfrage lautet daher, wie sich die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik international, im Rahmen der VN, verortet. Die deutsche Politik formuliert hierfür Ziele, die noch genauer zu untersuchen sind. Als eine Maßnahme, um die Zielerreichung zu gewährleisten, kann der MINUSMA-Einsatz in Mali angesehen werden, unter deutscher Beteiligung und von den Vereinten Nationen geführt. Es wird herausgearbeitet, inwiefern die deutsche Partizipation als Erfolg angesehen werden kann. Hierfür wird zuerst der theoretische Rahmen der Internationalen Beziehungen - der Grundzustand der Anarchie - erklärt und weitere Prämissen der VN, des VN-Peacekeepings, der historischen Rahmung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Einsatz selbst beschrieben, um am Ende zu einer elaborierten Aussage kommen zu können. 1. Theoretische Rahmung – Grundzustand AnarchieGareis und Varwick (2014, S. 67) konstatieren einen allgemeinen Anforderungswunsch an die VN, die eine 'Lücke' in der Ordnung der Internationalen Beziehungen füllen sollen. Aber von welcher 'Lücke' wird hier gesprochen? In der Politikwissenschaft gibt es verschiedene Ansätze, um die Beziehungen zwischen Staaten und das Wirken von internationalen Organisationen zu beschreiben. Die Prämisse bildet der Grundzustand von Anarchie, der wie folgt definiert werden kann: "Unter Anarchie wird in diesem Zusammenhang die für Kooperationschancen folgenreiche Struktur der Herrschaftslosigkeit bzw. der Nichtexistenz einer den Staaten übergeordneten, zentralen Autorität mit Handlungskompetenz verstanden" (Gareis & Varwick 2014, S. 67) Es gibt verschiedene Denkschulen, die den Grundzustand unterschiedlich gewichten und bewerten (vgl. Schimmelfennig, S. 63ff). Darunter sind zum Beispiel der Realismus, der Idealismus, der Institutionalismus und der Konstruktivismus zu nennen (vgl. Gareis & Varwick 2014, S. 71). Um das Verhältnis zwischen den VN und Deutschland erklären zu können, ist es hilfreich, zu überlegen, an welcher Denkschule sich die Sicherheits- und Außenpolitik Deutschlands (schwerpunkt- und situationsbezogen) orientiert. Die Ansätze sind in ihrer Gesamtheit in diesem Beitrag nicht zu würdigen, daher werden einzelne Hauptdifferenzen geklärt, um für die Beantwortung der Forschungsfrage eine Richtlinie geben zu können. Die Beschreibung erfolgt idealtypisch: Im Realismus ist der Grundzustand besonders präsent und hauptsächlich staatliche Akteure sind für die Internationalen Beziehungen verantwortlich. Die Staaten haben ein starkes Eigeninteresse, das sich aus der Unsicherheit des Grundzustandes speist, und handeln nach eigenen Machterhaltungsvorstellungen. "In dieser Sichtweise erfüllen internationale Organisationen lediglich aus der Souveränität und den Interessen ihrer Mitglieder abgeleitete Funktionen" (ebd., S. 68). Damit wären Handlungsfelder und Möglichkeiten eng an die Vorgaben der Staaten gekoppelt. Frieden wird als Sicherheit-Erhalten verstanden und bedeutet, dass die Nationalstaaten durch Machtsicherung ihre Souveränität gewährleisten können. (vgl. ebd., S. 68 & 71) Im Idealismus soll der anarchische Grundzustand durch "Kooperationsformen" (ebd., S. 68) geregelt werden. Die Friedenssicherung läuft über einen stetigen Prozess über eine "universelle Gemeinschaft" (ebd., S. 69), die für alle Vorteile bringen kann. Damit wäre das Ziel, Konflikte nicht mehr mit Gewalt lösen zu müssen, anders als im Realismus, wo Krieg als natürliche Form besteht, durch die normative Regelung des Grundzustandes möglich. Internationale Organisationen können mit ihren Regelungen die Realisierung von Frieden darstellen. Damit sind nicht nur Staaten als Akteure zu sehen und statt Machterhaltungsvorgaben ist das Handeln auf ein Gemeinwohl konzentriert. (vgl. ebd., S. 69 & 71) In der Tradition des Institutionalismus sind internationale Kooperationen deutlich wahrscheinlicher als im Realismus. Außerdem ist ihr Einfluss auf Staaten bedeutend höher einzuschätzen. Demnach helfen sie zum Beispiel, Informationen über andere Staaten zu sammeln und können so beim Aufbau von Vertrauen mitwirken. (vgl. ebd., S. 69f) Die "Interdependenz" (Schimmelfennig 2010, S. 93) zwischen den Staaten wird als hoch angesehen und bedarf internationaler Regelwerke, die die Kooperationsmöglichkeiten regulieren. In diesem Sinne sind Staaten an friedlichen Lösungen interessiert und halten Krieg für nicht gewinnbringend bzw. sehen Machtkonzentration als weniger produktiv an als das Streben nach Gewinnen. Dadurch ist der Grundzustand der Anarchie zwar nicht auflösbar, allerdings soll im Laufe der Zeit eine Zivilisierung stattfinden. (vgl. ebd., S. 90) Der Konstruktivismus sieht den Grundzustand der Anarchie nicht als gegeben, sondern als eine Konstruktion von Wirklichkeit an. Dadurch ist es möglich, diesen Zustand zu verändern / aufzuheben. Damit sind die Akteure selbst für den Grundzustand verantwortlich. (vgl. Gareis & Varwick 2014, S. 70) Damit lautet eine Kernhypothese des Konstruktivismus: "Je größer die Übereinstimmung der Ideen von internationalen Akteuren und je stärker damit Gemeinschaft zwischen ihnen ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit von Frieden und internationaler Kooperation" (Schimmelfennig 2010, S. 185) Es wären bspw. Staaten gemeint, die eine freundschaftliche Beziehung pflegen und unabhängig von Machtkonzentration Vertrauen aufbauen. (vgl. ebd., S. 184f) In den Denkschulen sind relativ konkrete Vorstellungen gegeben, wie eine internationale Organisation Einfluss und Machtkonzentration entwickeln kann oder sollte oder bereits beinhaltet. Die Vereinten Nationen können auf einen Blick als größte Organisation im internationalen Spektrum angesehen werden, denn sie haben aktuell 193 Mitgliedsstaaten (Stand 2022) (vgl. Die Vereinten Nationen im Überblick: Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e. V., o. J.).2. Die Vereinten Nationen Bevor über die VN auf manche Aspekte schwerpunktmäßig eingegangen werden kann, ist knapp zu klären, was eine internationale Organisation wie die VN darstellt. Hierbei orientiert sich dieser Beitrag an Gareis und Varwicks (2014, S. 295) Konstruktion von einer "klassische[n] intergouvernementale[n] Organisation", deren Reformfähigkeit und Erfolge maßgeblich von den Mitgliedsstaaten abhängen – also auch von Deutschland. Es werden prinzipiell keine Souveränitätsrechte an die Organisation abgegeben, mit der Ausnahme, dass der Sicherheitsrat Zwangsmaßnahmen zur Friedenswahrung durchsetzen kann (vgl. ebd., S. 72).2.1 Grundlegende Kennzeichen der Vereinten Nationen Die Grundlagen der Vereinten Nationen können an zwei Hauptfaktoren exemplarisch aufgezeigt werden: Erstens ist der Friedensbegriff nicht nur als Abwesenheit von Krieg definiert, er schließt vielmehr das Wohlergehen der Menschen in den Staaten ein und geht somit über das Nationalstaats-Denken hinaus (positiver Friedensbegriff). Das zweite Konzept ist das System kollektiver Sicherheit, dadurch soll der erhöhte Druck, von allen Staaten bei einer Aggression automatisch angegriffen oder anderweitig verurteilt zu werden, die Friedensbedrohung reduzieren. (vgl. Gareis & Varwick 2014, S. 19-22 & 87-92) Dass das System der kollektiven Sicherheit nicht bedingt greift oder einigen Herausforderungen unterworfen ist, liegt bspw. an den neuen Kriegsformen (vgl. Hippler 2009, S. 3f). Gleichzeitig kann die aktuelle Invasion Russlands in die Ukraine (vgl. u.a. Russlands Angriff auf die Ukraine: Beckmann 2022) herangezogen werden, dass die Mechanismen bspw. für Supermächte weitere Schwierigkeiten in der Praxis aufzeigen (vgl. Gareis & Varwick 2014, S. 89f). 2.2 Generalversammlung und Sicherheitsrat – wichtigste Gremien der VN Die Vereinten Nationen sind mittlerweile zu einer undurchsichtigen Ansammlung an offiziellen und inoffiziellen Strukturen geworden und sind unter dem Begriff VN-System sehr weit zu fassen (vgl. Gareis & Varwick 2014, S. 21f). Allerdings sind nach wie vor zwei von sechs Hauptorganen hervorzuheben:In der Generalversammlung (GV) sitzen alle Mitgliedsstaaten und sind nach dem Prinzip der Gleichberechtigung mit jeweils einer Stimme ausgestattet. Hauptcharakteristikum ist, dass die Generalversammlung ein Forum für Gespräche bietet und somit als größtes Austauschforum auf der Welt bezeichnet werden kann. In sechs Hauptausschüssen vollzieht sich die meiste Arbeit der Generalversammlung, auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll. Entscheidend ist der Unterschied zum Sicherheitsrat: Die GV hat keinen Sanktionskoffer parat und kann lediglich Empfehlungen aussprechen. (vgl. ebd., S. 45-47) Der Sicherheitsrat besteht aktuell aus 15 Mitgliedsstaaten, wobei zwischen ständigen und nichtständigen Mitgliedern differenziert werden muss. Die ständigen Mitglieder sind die sogenannten 'Big Five' und setzen sich aus Frankreich, Großbritannien, USA, Russland und China zusammen. Sie werden nicht wie die nichtständigen Mitgliedsstaaten von der Generalversammlung im Zwei-Jahres-Zyklus gewählt.Verkürzt dargestellt nimmt der Sicherheitsrat Aufgaben wie Friedensmissionen, Ausschüssen o. Ä. wahr. Die ständigen Mitgliedsstaaten haben historisch bedingt ein Veto-Recht, das eine große Rolle spielt und mehrfach zur Lähmung des SR führte. Der Sicherheitsrat ist das mächtigste Hauptorgan der Vereinten Nationen und ist berechtigt, zur Friedenssicherung weitreichende Sanktionen und militärische Maßnahmen zu ergreifen. (vgl. ebd., S. 47-49) 2.3 Das VN-Peacekeeping aus historischer Perspektive Die Geschichte der VN ist überaus vielschichtig und kann hier nur in den Grundzügen wiedergegeben werden. Im Jahr 1945 wurde die Charta von 51 Staaten unterzeichnet. In den ersten Jahren ihrer Arbeit (1945-1954) mussten organisatorische und strukturelle Systeme aufgebaut werden, die im West-Ost-Konflikt zugleich erste Einschränkungen erfuhren. Die erste große Herausforderung des kollektiven Sicherheitssystems betraf den Korea-Krieg: Nordkorea fiel 1950 in Südkorea ein und der Sicherheitsrat wurde durch Russland blockiert. Daraufhin entstand in der Generalversammlung die Uniting for Peace-Resolution, die Empfehlungen und militärische Interventionen beinhaltete, sollte der SR seiner Aufgabe, den Weltfrieden zu sichern, nicht nachkommen. Die erste inoffizielle Blauhelmmission stellt die UNTSO-Mission dar, die die Überwachung eines Waffenstillstandes 1948 zwischen Israel und arabischen Staaten beinhaltete. (vgl. ebd., S. 27-30 & 127) In den darauffolgenden 19 Jahren (1955-1974) verschob sich das Mächtegleichgewicht maßgeblich durch die Dekolonisation und die Entstehung unabhängiger Staaten im Süden. Hervorzuheben ist die Suez-Krise, in der der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser 1956 den Suez-Kanal verstaatlichte. Großbritannien, Israel und Frankreich gingen ungeachtet der Ablehnung des SR militärisch dagegen vor, verhinderten gleichzeitig mit ihren Vetos eine Deeskalation der Lage. Auf Grundlage der Uniting for Peace-Resolution wurde wieder versucht, den Konflikt auszusetzen und einen Waffenstillstand einzufordern. Die GV beschloss daraufhin die Etablierung der United Nations Emergency Force (UNEF I), um zwischen den Konfliktparteien eine neutrale Zone aufzubauen. Die Blauhelme nahmen hier ein erweitertes Aufgabenspektrum wahr und erhielten bspw. Kontrolle über Hoheitsgebiet. "Damit wurde das wohl bedeutendste Friedenssicherungsinstrument der Vereinten Nationen, die Blauhelmeinsätze, ins Leben gerufen" (ebd., S. 31). (vgl. ebd., S. 27-30 & 128) Im "Nord-Süd-Konflikt (1975-1984)" (ebd., S. 32) versuchten die VN weiterhin, in einigen Konflikten aktiv mit Blauhelmeinsätzen zu vermitteln und zeigten sich angesichts der Invasion der Sowjetunion in Afghanistan (1979) als handlungsunfähig. (vgl. ebd., S. 32f) Die letzte Phase reicht bis heute und beginnt ab dem Jahr 1985. Die Annäherung der beiden Großmächte USA und Sowjetunion und der Zerfall der Sowjetunion ergab Handlungsspielraum im SR. Allerdings entzündete sich auch eine Reihe an neuen Konfliktherden: "Innerhalb von rund 25 Jahren stieg die Zahl der Friedensmissionen von 14 auf nunmehr 68" (ebd., S. 33). Nötige Reformen rückten zuletzt durch den USA geführten Irakkrieg und die Terroranschläge am 11. September vermehrt in den Fokus. (vgl. ebd., S. 33-35) 2.4 Typologisierung und Reformansätze Wie in der historischen Rahmung aufgezeigt, entstand das Peacekeeping, weil das kollektive Sicherheitssystem nicht funktionsfähig war. Die Blauhelmeinsätze sind praxisnahe Formen zur Sicherung des Friedens, die sich zwischen dem Souveränitätsanspruch und den Zielen der VN bewegen. Die Ausgestaltung der Friedensmissionen sind vielfältig: Die VN typologisieren die Einsätze in vier Generationen:In der ersten Generation sind Einsätze hauptsächlich "zur Beobachtung und Überwachung von bereits beschlossenen Friedens- bzw. Waffenstillstandsabkommen […]" (Gareis & Varwick 2014, S. 126) gemeint. Missionen der zweiten Generationen sind durch "ein erweitertes Aufgabenspektrum" (ebd.) ausgezeichnet und meinen Einsätze nach 1988. In der dritten Generation liegt der Fokus nicht nur auf Friedenserhaltung sondern auch auf dessen Erzwingung. Zum Schluss kommen in der vierten Generation nicht-militärische administrative Funktionen hinzu.Jede Generation erforderte Anpassungen und ein mühsames Lernen, sodass die Bilanz des VN-Peacekeeping sehr gemischt ausfällt. Neuere Bestrebungen zielen daher darauf ab, aus den vergangenen Fehlern zu lernen. Zum Beispiel soll das Peacekeeping nur noch mit realistischem Mandat stattfinden und die individuelle, komplexe Konfliktsituation angemessen darstellen. Außerdem ist zu gewährleisten, dass die Blauhelme gut ausgerüstet sind und unter den Aspekten eines robusten Mandats alle neuen Perspektiven der Friedenssicherung wahrnehmen können. Diese beinhalten vereinfacht dargestellt die Konfliktvermeidung, das Konfliktmanagement und die Konfliktnachsorge. (vgl. ebd., S. 124-151) Nachfolgend ist zu klären, inwiefern sich der MINUSMA-Einsatz darin einfügt und welche Rolle Deutschland in dem Entwicklungsprozess des VN-Peacekeeping und des Einsatzes spielt.3. United Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali (MINUSMA) Der MINUSMA-Einsatz der Vereinten Nationen ist als Peacekeeping-Mission der vierten Generation zu charakterisieren. 3.1 Strukturelle Rahmung des MINUSMA-Einsatzes Das Departement of Peacekeeping Operations (DPKO) ist für die Umsetzung und Planung der Blauhelmmissionen verantwortlich. Mit Stand 2022 sind insgesamt 15 Einsätze zu verzeichnen (DPKO: Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V., o. J.). Die Mission in Mali gehört zu den jüngsten Einsätzen und begann im April 2013 (vgl. Gareis & Varwick 2014, S. 141).Sie gründet sich auf die Resolution 2100 (vgl. Security Council Establishes Peacekeeping Force for Mali Effective 1 July: United Nations 2013) vom 25. April und die Resolution 2164 (vgl. Security Council: United Nations 2014) des Sicherheitsrates und hat multidimensional den Schutz der Zivilisten, die Gewährleistung der Menschenrechte, die Etablierung einer Staatsmacht, die Stabilisierung der Region durch den Aufbau eines Sicherheitsapparates und die Aufrechterhaltung der politischen Dialogfähigkeit und Konsultation als Aufgabe formuliert (vgl. MINUSMA Fact Sheet: United Nations 2022).Damit stehen auch militärische Interventionen zur Verfügung und es kann von einem robusten Mandat gesprochen werden, das lediglich als Ausnahme die aktive Terroristenbekämpfung ausschließt (vgl. Mali: Konopka 2022). Stand November 2021 befinden sich insgesamt 18.108 Menschen im Einsatz und davon sind 13.289 dem militärischen Personal zuzuordnen (vgl. MINUSMA Fact Sheet: United Nations 2022). Dazu kommen zivile Einsatzkräfte und bspw. Polizeiausbildende (vgl. ebd.).Die größten teilnehmenden Länder mit militärischem Personal sind mit 1440 Chad, mit 1119 Bangladesch, Ägypten mit 1072 und auf Platz 10 folgt Deutschland mit 531 Angehörigen (vgl. ebd.). Die Verluste an Menschenleben werden bisher auf 260 (Stand 2021) beziffert (vgl. ebd.). Die Finanzierung wird über die Generalversammlung jährlich geregelt und betrug zwischen 2021 und 2022 1.262.194.200 Dollar (vgl. ebd.).Neuere Zahlen der Bundeswehr (Stand Februar 2022) geben an, dass Deutschland mit über tausend Soldatinnen und Soldaten in Mali im Einsatz ist (vgl. Personalzahlen der Bundeswehr: Bundeswehr 2022). Die Zahl stellt sich als irreführend heraus, weil die Bundeswehr alle Beteiligten zusammenzählt, auch die, die bspw. in Nachbarländern an Schlüsselstellen der Infrastruktur beschäftigt sind (vgl. Mali: Konopka 2022).Die aktuelle Resolution der VN (2584) trat am 29. Juni 2021 in Kraft und ist bis zum 30. Juni 2022 gültig (vgl. Mali – MINUSMA: Bundeswehr 2022). Durch das Ablaufen des Mandats in diesem Jahr ist die Forschungsfrage darauffolgend auszuweiten, inwiefern Deutschland sich weiterhin an der Mission beteiligen wird. Zuerst sollte aber kurz auf die Situation Malis eingegangen werden, um zu klären, warum Deutschland und viele weitere Staaten überhaupt intervenieren. 3.2 Mali – eine von Gewalt geplagte Region Die gesamte Komplexität dieser Krisenregion kann hier nicht dargestellt werden. Allerdings sind einige Aspekte zu nennen, um die Verortung und die Herausforderungen des Peacekeepings zu verdeutlichen. In Nordmali begann 2012, um die politische Unabhängigkeit zu gewährleisten, ein gewaltsames Vorgehen gegen die malische Regierung. Als fragiles Bündnis kamen dschihadistische Kämpfende hinzu, die jedoch nach den ersten Eroberungen der nordmalischen Städte 2013 die Oberhand gewannen.Der Süden Malis war ebenfalls von einem Militärputsch geschwächt und die malische Regierung bat um internationale Hilfe. Frankreich folgte der Bitte und eröffnete die Operation Serval. Afrikanische Länder griffen unter der Mission AFISMA ein. Den alliierten Kräften gelang schnell die Rückeroberung der Städte im Norden. Allerdings ging daraus eine asymmetrische Kriegsführung hervor, die die vom Sicherheitsrat legitimierten Einsatztruppen besonders in den Fokus der Attacken der Dschihadisten stellt.Ein Friedensvertrag von 2015 umfasste bspw. nicht alle Konfliktparteien. Im Allgemeinen ist eine Verschlechterung der Gesamtsituation zu verzeichnen, da Dschihadisten mittlerweile versuchen, auch die Nachbarländer Niger und Burkina Faso zu destabilisieren und sich die Gewalt besonders um Zivilisten zentriert. (vgl. Mali: Konopka 2022) Im Zentrum dieses Kapitels soll die asymmetrische Kriegsführung, auch unter dem Aspekt der 'Neuen Kriege' bekannt, und somit die problematische Lage der Mission im Mittelpunkt stehen. Die Kernfrage ist bereits auf das weitere Engagement Deutschlands ausgeweitet worden und ist realitätsnah zu prüfen: In Afghanistan gelang keine Stabilisierung eines afghanischen Staates. Hier kam nach jahrzehntelangen erfolglosen Gefechten die Terrorgruppe Taliban 2021 an die Macht, als allen voran die USA den Rückzug aus der Krisenregion vollzogen (vgl. Nach 20 Jahren: bpb 2021). 4. Die deutsche Außenpolitik – Schwerpunktsetzung VN Die deutsche Sicherheits- und Außenpolitik ist sehr komplex und selbst ein kursorischer Überblick kann hier nicht geleistet werden. Durch die Darstellung diverser Aspekte ist jedoch eine Verortung möglich. 4.1 Historische Perspektive der deutschen Sicherheits- und Außenpolitik Deutschland blickt auf eine bewegte Geschichte zurück. Ab 1945 wurde die Bundesrepublik enormen Veränderungen durch die Besatzungsmächte unterworfen. Während die DDR unter der UdSSR keine wirklich eigene Außenpolitik entwickelte, gelang es Westdeutschland allmählich, politische Spielräume zurückzugewinnen und eigene Ziele zu vertreten (vgl. Gareis 2021, S. 57). In der Zeit vor der Wiedervereinigung sind einige "konstante Handlungsmuster" (ebd., S. 58) zu erkennen, die bis heute ihre Wichtigkeit beibehalten haben. Darunter sind besonders vier Punkte zu nennen:"die Westintegration, durch welche die Bundesrepublik ihren Platz in den europäischen und transatlantischen Strukturen fand und einnahm die Entspannungs- und Ostpolitik, durch die sie ihre friedens- und stabilitätspolitische Handlungsspielräume erweitern konnte die Offenheit für einen breit angelegten, globalen Multilateralismus mit dem Ziel einer verlässlichen rechtlichen Verregelung und Institutionalisierung des Internationalen Systems die selbstgewählte Kultur der Zurückhaltung in machtpolitischen, insbesondere militärischen Angelegenheiten" (ebd., S. 58) Hervorzuheben sind die anfänglichen Bemühungen der deutschen Außenpolitik, um Frankreich von ihrer skeptischen Sichtweise auf die Wiederbewaffnung und Wiederaufnahme der deutschen Souveränität nach dem Zweiten Weltkrieg abzubringen. Die Bemühungen mündeten bspw. 1963 im Élysée-Vertrag, der die enge Partnerschaft merklich vorantrieb und als "deutlicher […] Motor der europäischen Integration" (ebd., S. 65) zu sehen ist.Eine Verankerung in Internationale Beziehungen vollzog sich somit bereits früh mit den Bemühungen Deutschlands, sich in Europa und in die NATO zu integrieren. In den Zeiten vor der Wiedervereinigung konnte Deutschland dennoch nicht gänzlich zu seinem Selbstvertretungsanspruch finden. Die Integration in internationale Organisationen, die die Machtkonzentration des teilnehmenden Landes einschränken können, wurde zwar innenpolitisch heftig diskutiert, kollidierte jedoch mit realen Erweiterungen der Souveränitätsansprüche Deutschlands und formte somit die Erfahrung dieser Ordnungen.Der Multilateralismus ist eine logische Konstante, weil der Wunsch nach Regeln im Internationalen System die eigene Sicherheit erhöhen soll und im Falle Deutschlands auch politische Freiheiten bedeutete. Das Engagement kann als ernsthaft beschrieben werden, weil die Bemühungen auch mit der Erreichung der eigenen Staatssouveränität bspw. in den Vereinten Nationen und dem europäischen Einigungsprozess nicht nachließ – im Gegenteil intensiviert stattfindet. (vgl. ebd., S. 57f & 61-65 & 70f) 4.2 Deutschlands Außen- und Sicherheitspolitik im 21. Jahrhundert - Verortung Im 21. Jahrhundert sind eine neue Vielzahl an nicht-staatlichen Akteuren, weitere Unwägbarkeiten und multidimensionale Problemfelder mit einer höheren Unsicherheit im Internationalen System verbunden, die die Zuverlässigkeit von internationalen Partnern einschränkt. Diese Problematik wird bspw. u. a. durch das Erstarken des Rechtspopulismus, dem Rückgang liberal-demokratischer Regierungen seit 2005, der neuen Risikobewertung und Qualität des transnationalen Terrorismus begründet. (vgl. Gareis 2021, S. 89f) Als aktuelle Referenz kann das Weißbuch 2016 die Sicherheitsinteressen Deutschlands aufzeigen. Darin sind, bedingt bspw. durch die russische Aggression gegenüber der Ukraine, wieder vermehrt nationale Interessen vertreten, die den Schutz der Bürger*innen und die Integrität der Souveränität Deutschlands ins Blickfeld nehmen. Allerdings sind auch internationale Bestrebungen zur vertiefenden Weiterarbeit in der Entwicklungspolitik, dem Völkerrecht und der partnerschaftlichen Zusammenarbeit in allen wichtigen Internationalen Organisationen wie NATO, EU und VN zu nennen. (vgl. Gareis 2021, S. 105)4.2 Deutschland und die Vereinten Nationen Ein ernsthafter Beitrag zur strategischen (Neu-)Kalibrierung der Sicherheits- und Außenpolitik, die in ihren anfänglichen vier Konstanten (s.o.) auch Diskontinuitäten erfuhr, ist die Münchner Sicherheitskonferenz im Jahr 2014 hervorzuheben, in der das Engagement für internationale Organisationsformen, die einen supranationalen Ordnungsrahmen darstellen können - wie die EU, NATO und VN - verstärkt in den Mittelpunkt gestellt worden. Die Konstante der 'Zurückhaltung' bricht also weiter auf und zeigt das "Leitmotiv der aktiven Übernahme größerer Verantwortung für Frieden und Internationale Sicherheit in einem umfassenden Ansatz […]" (Gareis 2021, S. 92) auf. (vgl. ebd., S. 91f) Für Deutschland stellen die Vereinten Nationen das Höchstmaß für Multilateralismus und Institutionalismus dar. Bestrebungen in den VN waren von der Gründung an ein wichtiges Anliegen der Bundesrepublik, um auf die internationale Bühne zurückkehren zu können. Insgesamt kann das Engagement Deutschlands in den VN als hoch angesehen werden: Aktuell ist Deutschland der viertgrößte Beitragszahler, unterhält über 30 VN-Organe im Land und ist um einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat bemüht und mindestens durch die häufige Wiederwahl (zuletzt 2019/20 – damit zum sechsten Mal) und eindeutigen Wahlergebnissen um einen nichtständigen Sitz als international anerkannt zu bezeichnen. Das Interesse beider Akteure ist als interdependent zu bezeichnen: Die VN brauchen in diesen schwierigen Zeiten einflussreiche Staaten und Deutschland hingegen internationale Kooperationsmöglichkeiten in vielfältigen Ressorts. (vgl. ebd., S. 193f) Deutschland beteiligte sich gleich nach der Wiedervereinigung an VN-Peacekeeping-Einsätzen – allerdings mit unbewaffneten Zivilkräften. Anfang des 21. Jahrhunderts stellte Deutschland nicht nur zivile sondern auch militärische Einheiten zur Verfügung. Das Engagement kann in ihren Anfängen als bescheiden beschrieben werden. Insgesamt bevorzugt Deutschland vom VN-mandatierte Einsätze, die anschließend von der EU oder NATO ausgeführt werden. Der MINUSMA-Einsatz ist somit eine Ausnahme und der zweitgrößte Auslandseinsatz der Bundeswehr. Der afrikanische Raum ist aufgrund seiner Fluchtbewegungen zu einem wichtigen sicherheitspolitischen Raum geworden. (vgl. ebd., S. 203f) Allerdings sind die Gründe für den Einsatz in Mali weiter auszuführen, da die Argumentation möglicher Fluchtbewegungen Lücken aufweist. (vgl. Mali: Konopka 2020) 5. Deutschland und der MINUSMA-Einsatz In den vorherigen Kapiteln sind die Bezüge der deutschen Sicherheits- und Außenpolitik zu den Vereinten Nationen bereits angeschnitten worden. Als Nächstes ist der MINUSMA-Einsatz aus einer politischen Perspektive unter Einbezug der Ziele Deutschlands zu charakterisieren und ein Ausblick auf das Ergebnis dieser Intervention zu geben. Die Bewertung des Einsatzes ist entscheidend, um den deutschen Einsatz nachzuvollziehen. 5.1 Motive für die Beteiligung am MINUSMA-Einsatz Die Intervention und Beteiligung Deutschlands am MINUSMA-Einsatz scheint sich nicht auf die Bekämpfung von Fluchtursachen zu beschränken (vgl. Mali: Konopka 2020 & Kaim 2021, S. 31). Weitere Motive sind aus Kapitel 4 abzuleiten und könnten, kombiniert aus dem Wunsch humanitäre Hilfe leisten zu wollen und die Position der Vereinten Nationen - und sich selbst im Internationalen System und den Multilateralismus - zu stärken, eine Begründungslage bieten. Sie wirkt jedoch unpräzise und bedarf genauerer Beschreibungen: Wie bereits beschrieben, ist Frankreich bereits 2013 dem Hilfegesuch der malischen Regierung gefolgt und musste anhand der realen Bedingungen ihre Ziele anpassen: Deutschland sollte dem engen Bündnis- und EU-Partner unter die Arme greifen. Die Bundesregierung gab zunächst lediglich unbewaffneten Kapazitäten Platz, ehe das Mandat langsam auf aktuell 1100 Soldat*innen aufgestockt wurde.Deutschland schien dabei die Vertiefung der Kooperation von EU-Staaten wie Frankreich und den Niederlanden als geeignete Gelegenheit. Ebenfalls ließ der Friedensvertrag auf weitere Stabilität im Land hoffen. Außerhalb der Bemühungen um die Partnerschaft ist für den Autor Konopka die Bewerbung Deutschlands für den nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat (2019/20) ausschlaggebend gewesen.Die anfängliche Konzentration auf die europäische Mission EUTM Mali ging mit einer deutlichen Ausweitung auf die VN-Peacekeeping-Mission über. Außerdem, so der Autor, wäre Deutschland in der Bringschuld gegenüber den Teilnehmenden gewesen, da die Bundesrepublik in weiteren Missionen kaum bis gar keine Präsenz vorzuweisen hatte (bspw. EUMAM RCA oder EUTM RCA). (vgl. Mali: Konopka 2020) Kaim (2021) von der Stiftung Wissenschaft und Politik spricht von einem typischen Muster der deutschen Auslandseinsatzbereitschaft, erst durch Bündnisanfragen Einsatzkräfte zu mobilisieren. Aus dieser Sicht ist primär der Versuch, einen "europäischen Fußabdruck" (ebd., S. 12) im internationalen System zu hinterlassen, anzusehen. Allerdings wird auch hervorgehoben, wie die Bewerbung um den nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat eine Intensivierung der deutschen Sicherheits- und Außenpolitik in den VN und besonders im afrikanischen Raum beinhaltete. (vgl. ebd., S. 12-20) Dadurch sind sechs Hauptmotive auszumachen, davon greifen manche weniger als andere: 1. Die Bündnistreue zu Frankreich 2. Die Ausgangslage durch die Münchner Sicherheitskonferenz (2014) 3. Das erweiterte Engagement Deutschlands in den VN 4. Der Versuch, eine europäische Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. 5. Die regionale Sicherheit in Mali zu gewährleisten 6. Terrorismusbekämpfung und die Eindämmung von Fluchtbewegungen (vgl. ebd., S. 27-31) Die Punkte 4, 5 und 6 sind als Hauptmotivlage nachrangig einzusortieren; Punkt 5 wird anhand der deutlichen Zunahme an Instabilität den MINUSMA-Einsatz generell und die deutsche Beteiligung gezielt infrage stellen. 5.2 Bewertung des Einsatzes Die bisherige Bewertung des Einsatzes ist auf Grundlage der festgestellten Motive zu leisten, die eine detaillierte Rahmengebung vorgeben. In die Bewertung fließen themenbedingt erste wichtige Aspekte für das Abschlusskapitel ein. 5.2.1 Die Bündnistreue zu Frankreich Die Unterschiede in der strategischen Bewertung des Einsatzes der beiden Länder zeigt deutlich auf: Während Frankreich mehr militärisches Engagement erwartet und die Terrorbekämpfung in den Fokus stellt, steht die Bundesregierung der Friedenssicherung unter VN-Mandat näher, die die Terroristenbekämpfung explizit ausschließt. Festzuhalten wäre, dass die unterschiedlichen Herangehensweisen in Mali zwischen Frankreich und Deutschland differente Zielvorstellungen aufweisen und das gemeinsame Handeln konterkarieren. (vgl. Kaim 2021, S. 27f) Daraus ist ebenso die Frage zu stellen, ob die Bundesregierung das auslaufende Mandat (vgl. Mali: Konopka 2020) ausweiten, beibehalten oder beenden wird. 5.2.2 Die Ausgangslage durch die Münchner Sicherheitskonferenz Deutschland ist bis heute im MINUSMA-Einsatz tätig (2013-2022) und ist dem Bündnis- und langjährigen EU-Partner Frankreich nachgekommen (vgl. Mali: Konopka 2020). Das Engagement ist bis jetzt ausgeweitet worden und von einer anfänglichen Symboltruppe stehen im direkten Einsatzgebiet in Mali ca. 500 (vgl. MINUSMA Fact Sheet: United Nations 2022) und im erweiterten Einsatz ca. 1000 Soldat*innen (vgl. Personalzahlen der Bundeswehr: Bundeswehr 2022).Die Steigerung der Fachkräfte im MINUSMA-Einsatz ist als Intensivierung zu werten (vgl. Kaim 2021, S. 28). Dies kann als Beleg für die vertiefende Arbeit international angesehen werden, wie es zuvor auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 skizziert wurde. Allerdings wären andere Erweiterungen der Tätigkeitsfelder im internationalen Raum und besonders in internationalen Organisationen denkbar und beinhalten nicht zwangsläufig die Intensivierung des MINUSMA-Einsatzes – gleichzeitig bietet das Einsatzgebiet ein robustes Mandat, also internationale Legitimierung, die für deutsche Auslandseinsätze mitentscheidend ist und einen multilateralen Raum, den die Sicherheits- und Außenpolitik favorisiert (vgl. ebd.).5.2.3 Das erweiterte Engagement Deutschlands in den VN Politisch und militärisch dürfte die Beteiligung Deutschlands am MINUSMA-Einsatz die Vereinten Nationen stärken (vgl. Kaim 2021, S. 28). Bei dieser Beteiligung ist mitunter auch deutlich, dass Deutschland nicht altruistisch, sondern auch im Sinne der im Kapitel 4.2 festgelegten Interdependenzen für den Erhalt der eigenen Sicherheit im Internationalen System handelt.Die Idee eines ständigen Sitzes im Sicherheitsrat gilt als unwahrscheinlich sowie der Reformvorschlag der 'Gruppe der Vier' (mit deutscher Beteiligung), der von den vielen Vorschlägen zur Veränderung des Sicherheitsrates zwar als angemessen erscheint, aber dennoch u. a. an den Veto-Mächten bisher scheiterte (vgl. Gareis & Varwick 2014, S. 308-311). Somit bleibt Deutschland lediglich die Kandidatur im SR als nichtständiges Mitglied, dem die Bundesregierung mit ähnlicher Argumentation und Engagement vermutlich in der nächstmöglichen Amtszeit nachkommen wird (vgl. Kaim 2021, S. 29). 5.2.4 Der Versuch, eine europäische Handlungsfähigkeit zu demonstrieren Die europäische Handlungsfähigkeit kann bereits unter Punkt 5.2.1 als inkonsequent bezeichnet werden. Außerdem sind europäische Kräfte an eigenen Missionen vor Ort gebunden und stellen im MINUSMA-Einsatz nicht die meisten Einsatzkräfte zur Verfügung (vgl. Kaim 2021, S. 29 & MINUSMA Fact Sheet: United Nations 2022). Von einer geschlossenen oder klaren europäischen Einheit kann nicht gesprochen werden, jedoch von einer klaren Beteiligung Deutschlands am Einsatz. 5.2.5 Die regionale Sicherheit in Mali zu gewährleisten Seit dem Friedensabkommen 2015 hat sich die Lage stetig verschlechtert und stellt die VN-Friedensmission insgesamt infrage. (vgl. Kaim 2021, S. 30) Weitere Problemfelder stellen gerade die Alleingänge der europäischen Länder an der MINUSMA-Mission dar, die bspw. auf die typischen Blauhelme und auf die VN-Farbgebung bei Fahrzeugen verzichten. Außerdem sind europäische Kräfte vornehmlich in als sicher geltende Einsätze gebunden und in anderen Stützpunkten als die restlichen Länder wie bspw. Ägypten untergebracht. (vgl. Mali: Konopka 2020) Das stellt die VN-geführte Friedensmission auch vor interne Probleme und kann die Handlungsfähigkeit sowie Moral der teilnehmenden Länder beeinträchtigen.5.2.6 Terrorismusbekämpfung und die Eindämmung von FluchtbewegungenDie Mission ist unter den Aspekten von Fluchtbewegungen bereits als vernachlässigbar (zumindest für Fluchtbewegungen nach Europa) klassifiziert worden (vgl. Kaim 2021, S. 30f). Außerdem wird wegen der Destabilisierung des Landes sogar mit weiteren Flüchtenden zu rechnen sein. Weiterhin ist die dynamische Situation in Mali undurchsichtig und schwer zu charakterisieren, inwiefern der Terrorismus Deutschland bedroht (vgl. ebd.) und inwiefern Dschihadisten mittlerweile als Hauptproblem angesehen werden können, wenn die malischen Sicherheitskräfte immer mehr in den Fokus von Korruption und Destabilisierung rücken (vgl. Mali: Konopka 2020). 5.3 Ausblick – Bleibt Deutschland im MINUSMA-Einsatz? Die Motive sowie deren Zielerreichung sind größtenteils als Fehlschlag zu werten und stellen als größten Erfolg die Arbeit in der internationalen Organisation, den Vereinten Nationen, heraus. (vgl. Kaim 2021, S. 31f) Dass nicht alle Ziele erreicht werden können, liegt mitunter an der multidimensionalen und dynamischen Situation vor Ort und an der Herausforderung, die den 'Neuen Kriegen' (vgl. Hippler 2009, S. 3-8) und das VN-Peacekeeping in der vierten Generation (vgl. Gareis & Varwick 2014, S. 119-127) kennzeichnen. Somit hängt das Engagement Deutschlands im MINUSMA-Einsatz von vielen Faktoren ab, die bspw. die öffentliche Meinung über Auslandseinsätze und die Beschaffenheit und Einsatzfähigkeit der Bundeswehr nach Etatkürzungen einschließen (vgl. Kaim 2021, S. 32). Wie die Einsatzkosten zeigen (s. Kapitel 3), sind das insgesamt beträchtliche Summen, die die Staatengemeinschaft – und anteilig Deutschland – aufbringen müssen.Während die Stiftung Wissenschaft und Politik noch von größeren Hürden diesbezüglich ausgeht (vgl. ebd.), ist durch den Einmarsch Russlands in die Ukraine ein Paradigmenwechsel mit ungeahnter Tragweite in der deutschen Sicherheits- und Außenpolitik möglich (vgl. Mehrheit unterstützt deutschen Ukraine-Kurs: Tagesschau 2022), der die Fortführung des VN-Peacekeepings neu bewerten wird. 6. Zusammenführung und Interpretation Unter dem Aspekt des VN-Peacekeeping wurden zuerst allgemeine Aspekte umrissen und die Forschungsfrage weiter ausgeweitet. Im Kern geht es um die Frage, wie Deutschland sich im 21. Jahrhundert mit seiner Sicherheits- und Außenpolitik im Internationalen System verortet und inwiefern dies als Erfolg angesehen werden kann. Letzteres ist nur unter bestimmten, einschränkenden Aspekten zu beantworten und ist mithilfe des MINUSMA-Einsatzes zu verorten. Deutschland positioniert sich offen und ernst zu den Vereinten Nationen und folgt dabei historisch gewachsenen Paradigmen und Erfahrungswerten (s. Unterkapitel 4.1): Daraus lassen sich die Bemühungen um einen ständigen oder nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat und weiteres internationales Engagement wie im VN-Peacekeeping und somit die Beteiligung in Mali (MINUSMA-Mission) folgerichtig begründen.Deutschland hat ein nationales sicherheitspolitisches Interesse an einer Verregelung des anarchischen Grundzustandes, um die eigene Position darin zu stärken – Unsicherheiten also abzubauen (vgl. Gareis 2021, S. 58). Damit folgt die Politik nicht einer uneingeschränkten Idealismus-Denkschule und zeigt auch zweckrationale Positionen auf. Dennoch ist der MINUSMA-Einsatz in diesem Sinne als Misserfolg zu werten und zeigt besonders in den Bemühungen um Multilateralismus und einer Institutionalisierung des Internationalen Systems, hier in Form der Vereinten Nationen zu interpretieren, erwähnenswerte Erfolge auf (s. Kapitel 5).Die deutsch-französischen Beziehungen hingegen könnten insgesamt unter dem Konstruktivismus Betrachtung finden: Obwohl die strategische Ausrichtung beider Länder nicht immer im selben Verständnis verläuft (s. Kapitel 5), ist sehr wohl ein ernstzunehmender Konflikt zwischen den beiden großen europäischen Staaten nicht anzunehmen und die außerordentliche internationale Kooperation als erwähnenswert anzusehen. Aus der Ausarbeitung tritt ein Dilemma zutage, das wie folgt zu charakterisieren ist: Deutschland als Nationalstaat hat nur begrenzt Ressourcen und Möglichkeiten, die auch interessengeleitet begründet werden müssen. Deswegen ist ein Problem für Deutschland darin zu skizzieren und zu fragen, in welche internationale Organisation sie ihren weiteren Fokus legen wird. VN-mandatierte aber von NATO und EU ausgeführte Friedensmissionen werden bspw. bevorzugt, gleichzeitig wird eine Stärkung der Vereinten Nationen als Ziel formuliert (s. Kapitel 4).Investitionen in allen internationalen Organisationen bringen Deutschland in eine prekäre Situation, wie die Motivlage und die Ausgestaltung des MINUSMA-Einsatzes aufzeigt (s. Unterkapitel 5.2.5). Als Fazit ist festzuhalten, dass der MINUSMA-Einsatz einer oftmals bloßen Rhetorik zur Stärkung multilateraler Beteiligung grundsätzlich entgegenläuft und Deutschland zukünftig als ernstzunehmenden internationalen Akteur kennzeichnen könnte (vgl. Gareis 2021, S. 216). Prinzipiell kann zudem bestätigt werden, dass Deutschland am ehesten seine Fähigkeiten einbringen kann, wenn internationale Legitimation besteht (mit Blick auf das Grundgesetz und der eigenen 'Zurückhaltungs-Konstante'), Bündnis- und beteiligte Partner mit ihren Interessen zumindest kollidieren (vgl. ebd., S. 112) und Multilateralismus als Merkmal auftritt. Daraus lässt sich die Intensivierung in internationale Organisationen ableiten, weil es nachhaltig die Souveränität Deutschlands positiv beeinflussen kann (vgl. ebd.). So kann Gareis (2021, S. 93) zugestimmt werden, wenn er schreibt: "Sicherlich kann auch im Jahr 2020 festgestellt werden, dass Deutschland an seinen Bemühungen um eine Zivilisierung der internationalen Politik durch Regime und Institutionen festhält. Auch ist es seiner Bevorzugung von friedlicher Konfliktbeilegung und Kooperation vor der Machtpolitik sowie schließlich auch seiner grundsätzlichen Bereitschaft zur Übertragung von Souveränitätsrechten weitestgehend treu geblieben – wenngleich die mit dem Zivilmachtkonzept gern verbundene 'Kultur der Zurückhaltung' Ergänzungen durch die Verfolgung stärker nationaler Interessen erfahren hat." Der Ausblick ist jedoch unter der aktuellen Prämisse (s. Unterkapitel 5.3) unter Vorbehalt zu stellen und zeigt deutlich die Unsicherheiten auf, die der Grundzustand der Anarchie treffend formuliert und exemplarisch die angerissene Reformbedürftigkeit der Vereinten Nationen sowie die Handlungsunfähigkeit des Sicherheitsrats hervorhebt. Deutschland wird in jeglichem denkbaren Szenario eine größere Rolle in den Internationalen Beziehungen spielen: "Die Anforderungen an die multilaterale deutsche Außen- und Sicherheitspolitik werden also steigen, und neben dem vielbeschworenen Willen zur Übernahme von 'Verantwortung' wird auch die Bereitschaft zum personellen und finanziellen Engagement wie auch zur Übernahme ungewohnter politischer Risiken wachsen müssen" (Gareis 2021, S. 216) 7. Literatur Beckmann, H. (26.02.2022): Russlands Angriff auf die Ukraine. Europa hat einen neuen Feind. Online: https://www.tagesschau.de/ausland/europa/russland-krieg-europa-101.html [09.03.2022]. Bundesministerium der Verteidigung (2016): Weissbuch 2016. Zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr. Online: https://www.bmvg.de/resource/blob/13708/015be272f8c0098f1537a491676bfc31/weissbuch2016-barrierefrei-data.pdf [09.03.2022].Bundeswehr (21.02.2022): Personalzahlen der Bundeswehr. Wie lauten die Einsatzzahlen. Online: https://www.bundeswehr.de/de/ueber-die-bundeswehr/zahlen-daten-fakten/personalzahlen-bundeswehr [09.03.2022].Bundeswehr (0. J.): Mali – MINUSMA. Online: https://www.bundeswehr.de/de/einsaetze-bundeswehr/mali-einsaetze/minusma-bundeswehr-un-einsatz-mali [09.03.2022]. Bundeszentrale für politische Bildung (07.06.2021): Nach 20 Jahren: NATO-Truppenabzug aus Afghanistan. Online: https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/334345/nach-20-jahren-nato-truppenabzug-aus-afghanistan/ [09.03.2022]. Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e. V. (o. J.): Die Vereinten Nationen im Überblick. Online: https://dgvn.de/un-im-ueberblick [09.03.22].Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e. V. (22.02.2022): Wie geht es weiter mit dem deutschen Engagement in Mali? Online: https://dgvn.de/meldung/wie-geht-es-weiter-mit-dem-deutschen-engagement-in-mali [09.03.22].Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e. V. (o. J.): Hauptabteilung Friedenssicherungseinsätze (DPKO). Online: https://frieden-sichern.dgvn.de/friedenssicherung/organe/un-sekretariat-dpko/ [09.03.22].Gareis, S. B. (2021): Deutschlands Außen- und Sicherheitspolitik: eine Einführung. Stuttgart: UTB. Gareis, S. B. & Varwick, J. (2014): Die Vereinten Nationen. Aufgaben, Instrumente und Reformen. 5. Auflage. Bonn: Barbara Budrich, Opladen & Toronto.Hippler, J. (2009): Wie "Neue Kriege" beenden? Aus: APuZ (46/2009): Neue Kriege. Bpb, S. 3-8. Kaim, M. (2021): Die deutsche Politik im VN-Peacekeeping: eine Dienerin vieler Herren. Berlin: SWP. Konopka, T. (22.02.2022): Mali: Rückzug oder mehr Risiko? Online: https://zeitschrift-vereinte-nationen.de/suche/zvn/artikel/mali-rueckzug-oder-mehr-risiko [09.03.22]. Schimmelfennig, F. (2017): Internationale Politik. 5. Auflage. Stuttgart und Paderborn: UTB.Tagesschau (03.03.2022): Mehrheit unterstützt deutschen Ukraine-Kurs. 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"Da die demokratischen Institutionen und Haltungen weiterhin existieren, merken wir nicht, dass die Demokratie geschwächt und die Macht innerhalb des politischen Systems auf eine kleine Elite aus Politikern und Konzernen übergegangen ist, die eine Politik nach den Wünschen Letzterer betreiben."Dieses drastische Zitat, welches eine dramatische Betrachtung der gegenwärtigen Lage der westlichen Demokratien darstellt, ist nicht etwa aus dem Wahlprogramm einer populistischen Partei entnommen. Ebenso wenig sind es Auszüge aus einer Wutrede von Alice Weidel oder Sarah Wagenknecht. Diese rigorosen Worte stammen vom britischen Sozialwissenschaftler Colin Crouch und fassen weite Teile seiner Postdemokratie-These pointiert zusammen (Crouch 2021, S. 21).Die vermeintliche Nähe zu rechten Verschwörungsmythen und populistischen Narrativen von korrupten Eliten in angeblichen Scheindemokratien rückt Crouch auf den ersten Blick in kein gutes Licht (vgl. Mudde 2020, S. 55 f.). Ist er durch seine Kritik am Zustand der westlichen Demokratien womöglich als latenter Komplize der aufsteigenden Kräfte des rechtsradikalen Spektrums auszumachen?Hinsichtlich der evidenten Defizite in der Entwicklungsrichtung etablierter Demokratien der westlichen Hemisphäre erscheint eine kritische Analyse als durchaus sinnvoll. So bestätigt die Realität durch Wahlergebnisse und zahlreiche Umfragen beispielsweise zunehmend das vielzitierte Phänomen der Politikverdrossenheit sowie das verbreitete Misstrauen der Bürger*innen in Politik und deren Institutionen (vgl. Best et al. 2023, S. 18-21). Daher möchte der vorliegende Beitrag folgenden Fragestellungen nachgehen:Ist die Postdemokratie-These notwendige Kritik an politischen Missständen oder Wasser auf die Mühlen des Rechtspopulismus?Sind die Ausführungen Crouchs damit als Chance oder Gefahr für die Demokratie zu bewerten? Aus Gründen des begrenzten Umfangs beziehen sich die folgenden Ausführungen explizit auf den Rechtspopulismus und klammern den durchaus existierenden Populismus des politisch linken Spektrums aus. Angesichts des fortwährend wachsenden Einflusses politischer Akteur*innen der Neuen Rechten sowie der Verbreitung einschlägiger rechtsradikaler Narrative im öffentlichen Diskurs scheint dieser Fokus aktuell von ungleich größerer Bedeutung zu sein (vgl. Mudde 2020, S. 13-17).Der inhaltliche Gedankengang des Beitrags sei an dieser Stelle knapp skizziert: Die Leitfrage soll aus verschiedenen Perspektiven bearbeitet werden, um den ambivalenten Potenzialen der These Colin Crouchs gerecht zu werden. Dabei wird der schmale Grat zwischen angebrachter Kritik, welche zu einer verbesserten Demokratie beitragen kann, und der Nähe zu rechtspopulistischen Narrativen mit gegenteiliger Wirkung thematisiert.Insbesondere die zentralen Unterscheidungsmerkmale zwischen Crouchs analytischen Ausführungen und rechtspopulistischer Eliten-Kritik sollen anschließend als sinnvolle Abgrenzung herausgearbeitet werden. Dies wird als Schlüssel zu einer gewinnbringenden praktischen Verwertung der Postdemokratie-These betrachtet, um sie als Chance im Sinne einer konstruktiven Kritik an negativen Entwicklungen der westlichen Demokratien fruchtbar werden zu lassen.Colin Crouch: "Postdemokratie"Der britische Politikwissenschaftler und Soziologe Colin Crouch sorgte bereits in den frühen 2000er Jahren mit Veröffentlichungen um seine These der Postdemokratie für internationales Aufsehen. Seine Gegenwartsanalyse beschreibt einige Tendenzen, die insbesondere in den etablierten Demokratien der westlichen Welt zu beobachten sind und durch komplexe Zusammenhänge eine zunehmende Schwächung der Demokratie bedeuten.Gemäß der Wortneuschöpfung mit der bedeutungsschweren Vorsilbe "post" charakterisiert er den aktuellen Zustand als Niedergang der lebhaften Demokratie nach der politischen und gesellschaftlichen Hochphase demokratischer Prozesse. Solch ein vergangener "Augenblick der Demokratie" (Crouch 2021, S. 22) zeichne sich in der Theorie durch die Verwirklichung sämtlicher demokratischer Ideale aus. Insbesondere eine lebendige Zivilgesellschaft partizipiert dabei öffentlich am politischen Prozess, wobei die aktive Beteiligung der gleichberechtigten Bürger*innen über den regelmäßigen Gebrauch des Wahlrechts hinausgeht. Eine angemessene und wirkungsvolle Verbindung zwischen dem Staat und seinen Bürger*innen gewährleistet eine funktionierende Repräsentation der Bevölkerung durch demokratisch legitimierte politische Amtsträger*innen (vgl. Crouch 2021, S. 22 f.).Die neoliberale Vorherrschaft in grundlegenden politischen Entscheidungen und Handlungen seit den 1980er Jahren führte zu wachsender Ungleichheit, die auch im politischen Diskurs spürbar wurde. So dominieren in Folge von ökonomischer Globalisierung und der Entstehung mächtiger Megakonzerne wirtschaftliche Eliten zunehmend den politischen Diskurs sowie durch gezielten Lobbyismus den Raum der politischen Entscheidungsfindung.Demokratische Prozesse werden subtil ausgehöhlt, indem Wirtschaftseliten den Platz von formal gleichberechtigten Bürger*innen als bedeutendste Instanz im demokratischen Raum einnehmen. Dies führe mitunter zu einer folgenschweren einseitigen Zuwendung politischer Akteur*innen hin zu wirtschaftlichen Eliten und deren Interessen der Profitsteigerung, was mit einer symptomatischen Entfremdung der Volksvertreter*innen von der zu repräsentierenden Bevölkerung einhergehe (vgl. Crouch 2021, S. 9 f.; S. 24-26). Der renommierte Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas fasst die Zusammenhänge der These bezüglich der vorherrschenden neoliberalen Ideologie pointiert zusammen:"Ich habe den Begriff 'Postdemokratie' nicht erfunden. Aber darunter lassen sich gut die politischen Auswirkungen der sozialen Folgen einer global durchgesetzten neoliberalen Politik bündeln." (Habermas 2022, S. 87)Ein weiterer einschneidender Umbruch ist in der Zivilgesellschaft selbst verortet. So nimmt die herkömmliche Bindung an soziale Klassen und Kirchen als gesellschaftliche und politische Verortung der kollektiven Milieus innerhalb einer Gesellschaft seit Jahrzehnten massiv ab. Damit gehe in vielen Fällen auch ein Raum der politischen Betätigung und Meinungsbildung verloren, was zuweilen zur politischen Orientierungslosigkeit der Bürger*innen führe. Dies erschwere das Aufrechterhalten der Bindung politischer Akteur*innen an deren Basis in vielerlei Hinsicht. Denn nicht zuletzt orientiert sich auch die etablierte Parteienlandschaft an den einst zentralen sozialen Zugehörigkeiten der Bürger*innen (vgl. Crouch 2021, S. 26-30).Rund 20 Jahre nach den ersten einschlägigen Veröffentlichungen erneuerte Crouch seine These mit einigen Ergänzungen und Korrekturen, welche vor dem Hintergrund zeitgeschichtlicher Entwicklungen durch den Abgleich mit der politischen Realität notwendig erschienen. Doch die Kernthese der Postdemokratie blieb grundlegend erhalten (vgl. Crouch 2021, S. 10-17):
Als knapper inhaltlicher Exkurs am Rande der Kernthematik sei an dieser Stelle ein kritischer Vermerk bezüglich relevanter politischer Entwicklungen seit 2020 eingefügt. Nach der Veröffentlichung der Originalausgabe des Buches "Postdemokratie revisited", welches die damals aktualisierte Version der Postdemokratie-These von Colin Crouch hinsichtlich veränderter politischer Umstände enthält, sind einschneidende weltpolitische Ereignisse zu bedeutenden Prägefaktoren der transnationalen und nationalen Politiken geworden.Die Corona-Pandemie und der anhaltende russische Angriffskrieg auf die Ukraine führten zu politischen Entscheidungen, welche mitunter unmittelbar spürbar für große Teile der Bürger*innen waren und dies noch immer sind. Damit einhergehend wurde eine zunehmende Politisierung der Bevölkerung einiger demokratischer Staaten beobachtet (vgl. Beckmann/Deutschlandfunk 2021). In der deutschen Gesellschaft sind zudem seit einigen Wochen zahlreiche Demonstrationen gegen Rechtsextremismus zu verzeichnen, welche vom Soziologen und Protestforscher Dieter Rucht bereits als "größte Protestwelle in der Geschichte der Bundesrepublik" bezeichnet wurden (Fuhr/FAZ.NET 2024).Crouch spricht in diesem Kontext aktuell von einer durchaus verbreiteten Abneigung gegenüber den rechtsextremen Strategien von Hass und Hetze in entwickelten demokratischen Gesellschaften. Diese müsse aktiviert und politisch mobilisiert werden im Sinne einer gestärkten Demokratie gegen rechtsextreme Bestrebungen. Doch könne dies lediglich einhergehend mit ökonomischen Lösungen der wachsenden sozialen Ungleichheit seitens der politischen Akteur*innen nachhaltig wirksam werden (vgl. Hesse/fr.de 2024). Nicht außer Acht zu lassen sind diese zuweilen folgenschweren Ereignisse in der politischen und zeitgeschichtlichen Gesamtschau, wenngleich die zahlreichen raschen politischen sowie demoskopischen Wendungen der vergangenen Jahre in den folgenden Ausführungen nicht umfänglich Berücksichtigung finden können.Relevanz der AnalyseWie bereits das zustimmende Zitat des namhaften zeitgenössischen Philosophen Habermas im vorausgehenden Abschnitt anklingen lässt, treffen Crouchs Ausführungen hinsichtlich zahlreicher analysierter Missstände politischer und gesellschaftlicher Art durchaus zu. So wird die Relevanz der kritischen Gegenwartsanalyse bezüglich einiger Aspekte in Teilen angesichts der Studienergebnisse zum Thema "Demokratievertrauen in Krisenzeiten" der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem Jahr 2023 deutlich.Unter Berücksichtigung der multiplen Krisen der Gegenwart wurden in einer repräsentativen Zufallsstichprobe volljährige wahlberechtigte Deutsche zu Themen befragt, welche die Funktionalität des repräsentativ-demokratischen Systems sowie den gesellschaftlichen Zusammenhalt betreffen (vgl. Best et al. 2023, S. 5 f.). Dabei konnte ermittelt werden, dass etwas mehr als die Hälfte der Befragten unzufrieden ist mit dem gegenwärtigen Funktionieren der Demokratie. Obgleich in der Gegenüberstellung mit der Vorgängerstudie aus dem Jahr 2019 ein leichter Rückgang dieses Prozentsatzes auszumachen ist, muss ein anhaltend hohes Niveau der generellen Unzufriedenheit bezüglich der Funktionalität unseres politischen Systems diagnostiziert werden (vgl. Best et al. 2023, S. 17 f.).Dass der soziale Status der befragten Bürger*innen als einflussreicher Parameter in dieser Frage herausgestellt werden konnte, lässt sich widerspruchsfrei in Crouchs Analyse der zunehmend elitär gestalteten Politik einfügen. Denn es erscheint folgerichtig, dass Menschen aus unteren sozialen Schichten mit vergleichsweise wenig Einkommen häufiger unzufrieden sind mit dem politischen System, in welchem vermehrt die Interessen höherer sozio-ökonomischer Gruppen begünstigt werden (vgl. Crouch 2021, S. 44-47).Außerdem beklagen deutliche Mehrheiten in der Befragung die Undurchschaubarkeit komplexer Politik sowie unzureichende Möglichkeiten der politischen Partizipation, was Crouchs Ausführungen zur Entpolitisierung der Mehrheitsgesellschaft im Zuge der zunehmenden Politikverdrossenheit bestärkt (vgl. Best et al. 2023, S. 18-20). Vor die Wahl verschiedener Regierungsmodelle gestellt, bevorzugt lediglich ein Drittel der Befragten die repräsentative Demokratie, während beinahe die Hälfte zur direkten Demokratie tendiert (vgl. Best et al. 2023, S. 21 f.).Passend dazu ist das Vertrauen in die politischen Institutionen lediglich hinsichtlich der Judikative, dem Bundesverfassungsgericht, bei der großen Mehrheit unter den befragten Bürger*innen in hohem Ausmaß vorhanden. Der eklatant angestiegene Anteil der Menschen ohne jegliches Vertrauen in das Parlament und die Bundesregierung könnte im Sinne Colin Crouchs als Folge der Entfremdung der politischen Akteur*innen vom Großteil der Bevölkerung gekennzeichnet werden (vgl. Best et al. 2023, S. 26-31; Crouch 2021, S. 216 f.).Ein weiterer zentraler Kritikpunkt Crouchs wird sinngemäß durch die Frage nach konkreten Problemen der deutschen Demokratie angesprochen. So sehen über 70 Prozent der Befragten den Einfluss von Lobbygruppen als problematisch an, wobei sich diese Ansicht in vergleichbarer Weise durch alle politischen Lager zieht. Colin Crouchs kritischer Blick bezüglich eines überbordenden Lobbyismus mit unverhältnismäßigem Einfluss im politischen Prozess wird somit durch diese Studie demoskopisch gestützt (vgl. Best et al. 2023, S. 32 f.; Crouch 2021, S. 68 f.).Auch andere wissenschaftliche Veröffentlichungen, wie der aktuelle "Transformationsindex BTI 2024" der Bertelsmann-Stiftung, analysieren einen ähnlichen Zustand der politischen und gesellschaftlichen Lage westlicher Demokratien im Sinne einer akuten Krise des Liberalismus vor dem Hintergrund der neoliberalen Vorherrschaft.Das positive Potential der Postdemokratie-These liegt angesichts der ernstzunehmenden Problematiken in einer möglichen Stärkung der Demokratie durch praktische Konsequenzen auf Grundlage dieser kritischen Befunde. Praktische Ansätze im Bereich der strenger regulierten Lobbyarbeit sowie neue Formen der Bürger*innenbeteiligung sind bereits Teil der politischen Agenda und werden erprobt. Ob diese den Zweck einer erstarkenden Demokratie real erfüllen werden, ist aktuell noch offen. Im besten Falle können gestärkte demokratische Strukturen nicht zuletzt demokratiegefährdende Akteur*innen aus dem rechtspopulistischen und rechtsextremen Spektrum zurückdrängen.Jedoch klingt an dieser Stelle ein Widerspruch an. Denn stärkt nicht gerade Crouchs Framing der Kritik an politischen Eliten und an der Entwicklung des politischen Systems die antidemokratischen radikalen Kräfte am rechten Rand angesichts der vermeintlichen narrativen Überschneidungen?Parallelen zu rechtspopulistischen NarrativenCrouch selbst schreibt in seinem Buch von neuen "Bewegungen […], die ähnliche Klagen über die heutigen Demokratien vorzubringen scheinen, wie ich sie in Postdemokratie geäußert habe, und insbesondere den Vorwurf äußern, dass die Politik von Eliten dominiert werde, während normale Bürger kein Gehör mehr fänden." (Crouch 2021, S. 136).Gemeint sind aufsteigende populistische Gruppierungen und Parteien, wovon jenen aus dem rechtsradikalen Lager aktuell die höchste politische Relevanz beigemessen wird. Um die Leitfrage des Beitrags angemessen multiperspektivisch zu beleuchten, sollen nun die vermeintlichen Gemeinsamkeiten zwischen den Erkenntnissen des britischen Sozialwissenschaftlers und rechtspopulistischen Narrativen herausgestellt sowie kritisch betrachtet werden.Die augenscheinlichste Parallele liegt im Bereich der Elitenkritik, wie Crouch es im angeführten Zitat selbst andeutet. Politische Entscheidungsträger*innen und wirtschaftliche Eliten handeln überwiegend im eigenen Interesse und entfernen sich dabei immer mehr von den Bürger*innen, insbesondere von jenen mit geringem sozialen Status, und deren Anliegen. Diese Analyse Crouchs erinnert an die rechtspopulistische Dichotomie, welche die abgehobene Elite dem normalen Volk gegenüberstellt. Der Wille des Volkes werde gemäß diesem Narrativ von der etablierten Politik bewusst übergangen (vgl. Crouch 2021, S. 41 f.; Mudde 2020, S. 55 f.).Doch bereits in der Formulierung wird ein zentraler Unterschied hinsichtlich der Vorstellung der regierten Bürger*innen deutlich. So wird im rechtspopulistischen Narrativ das Volk als homogene Masse mit einheitlichem Willen angesehen, während Crouch von Bürger*innen mit verschiedenen sozioökonomischen Hintergründen und pluralen Interessen spricht (vgl. Wodak/bpb 2023; Crouch 2021, S. 258 f.).Die Globalisierung als nach wie vor prägende Entwicklung mit Auswirkungen auf alle gesellschaftliche Sphären ist Anhaltspunkt einer weiteren vermeintlichen Schnittmenge. Als hintergründige Ursache für die zunehmende Entfremdung politischer Akteur*innen von weiten Teilen der Bevölkerung sowie für den unverhältnismäßig hohen Einfluss kapitalorientierter Großkonzerne konstatiert Crouch die Globalisierung der Wirtschaft.Des Weiteren führe die Tatsache, dass Wirtschaftspolitik vor diesem Hintergrund weitgehend auf transnationaler Ebene betrieben wird, zu einem Bedeutungsverlust der nationalstaatlichen Politik. Debatten im nationalen Kontext seien somit laut Crouch oftmals als politisch gegenstandslose Scheindebatten zu kennzeichnen (vgl. Crouch 2021, S. 25 f.). Diese Beschneidung des Nationalstaats durch eine zunehmende Globalisierung wird von Akteur*innen der Neuen Rechten im Sinne ihres charakteristischen Nationalismus massiv beklagt. Damit einher geht eine misstrauische bis konsequent ablehnende Haltung gegenüber transnationaler Politik insbesondere bezüglich einschlägiger Institutionen wie der Europäischen Union (vgl. Mudde 2020, S. 56-59; S. 132 f.).Populist*innen gerieren sich grundsätzlich als wahre Stimme des Volkes, welches exklusiv durch sie vertreten werde in einem von eigennützigen Eliten regierten System (vgl. Mudde 2020, S. 46). Hinsichtlich der Postdemokratie-These lässt dies vermuten, dass populistische Bewegungen als basisdemokratischer Stachel im Fleisch der Postdemokratie charakterisiert werden können. Mitunter würde das die massive Abneigung der etablierten Parteien ihnen gegenüber erklären (vgl. Crouch 2021, S. 139-141).An dieser Stelle könnte auf eine zumindest teilweise Zustimmung Colin Crouchs hinsichtlich rechtspopulistischer Narrative geschlossen werden. Im Vorgriff auf die Ausführungen der folgenden Abschnitte sei jedoch vor einer voreiligen Gleichsetzung ohne die notwendige politikwissenschaftliche Differenzierung gewarnt. So weist Crouch selbst deutlich auf die Diskrepanz hin, welche die antidemokratischen Tendenzen rechtspopulistischer Bewegungen zweifellos von einer zukunftsorientierten Kritik an postdemokratischen Problemen trennt (vgl. Crouch 2021, S. 139).GefahrenpotentialIst Crouchs These angesichts der verwandten Anklagen Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulist*innen? Trägt die Publizierung seiner massiven Kritikpunkte womöglich zur fortschreitenden Enttabuisierung radikaler Positionen im öffentlichen Diskurs bei?In der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Debatte lässt sich eine einflussreiche rechtspopulistische Strategie der Diskursverschiebung beobachten. Einschlägige illiberale Narrative werden hierbei im politischen Diskurs salonfähig durch schrittweises Verrücken der roten Linien, welche das legitime demokratische Meinungsspektrum umgrenzen. Das "Perpetuum mobile des Rechtspopulismus" (Wodak/bpb 2023) lässt in einem schleichenden Prozess xenophobe und diskriminierende Haltungen durch kalkulierte rhetorische Grenzüberschreitungen rechtspopulistischer Akteur*innen zunehmend vertretbar erscheinen.Des Weiteren wird so Einfluss auf die Themensetzung im demokratischen Diskurs genommen, was nicht zuletzt durch die partielle Übernahme seitens ursprünglich gemäßigter konservativer Parteien des politischen Establishments befördert wird. Die beobachtbare Diskursverschiebung stellt eine ernstzunehmende Gefahr für liberale Demokratien dar, wie bereits an autokratischen Entwicklungen in einigen Ländern mit Regierungen des äußerst rechten Spektrums abzulesen ist (vgl. Wodak/bpb 2023).Crouchs Ausführungen bezüglich postdemokratischer Tendenzen bergen insbesondere mit Blick auf die Elitenkritik das Gefahrenpotential einer narrativen Instrumentalisierung durch illiberale Akteur*innen. Doch hinsichtlich eines entscheidenden Aspekts eignet sich die Argumentation Colin Crouchs nur schwerlich als Hilfestellung zur Enttabuisierung rechtsradikaler Positionen. So sind vereinfachende Schuldzuweisungen mitnichten Teil der analytischen Ausführungen Crouchs, und es werden keine Feindbilder unter gesellschaftlichen Minderheiten ausgemacht, was der zentralen Ideologie der äußersten Rechten entgegensteht (vgl. Crouch 2021, S. 143 f.). Vortrag von Ruth Wodak über Rechtsruck und Normalisierung: Die von Crouch geforderte Politisierung der Zivilgesellschaft sollte in diesem Zusammenhang nicht mit der fortschreitenden Polarisierung der Öffentlichkeit einhergehen oder gar gleichgesetzt werden. Dies würde gefährliche aktuelle Tendenzen der gesellschaftlichen Spaltung verstärken und somit den gesellschaftlichen Zusammenhalt zusätzlich gefährden. In jener Hinsicht kann enorme politische und gesellschaftliche Polarisierung Demokratien destabilisieren, wie dies beispielsweise in der US-Amerikanischen Gesellschaft zu beobachten ist (vgl. Crouch 2021, S. 150-154). Unter Berücksichtigung dieses Gesichtspunktes können soziale Bewegungen der äußersten Rechten kaum als anerkennenswerte Belebung der Demokratie gewertet werden, ganz zu schweigen von der antidemokratischen Ideologie, welche dahintersteht (vgl. Mudde 2020, S. 152-155).Crouch selbst geht im Buch in einem eigenen Kapitel auf die "Politik des nostalgischen Pessimismus" (Crouch 2021, S. 136) ein und stellt durch eine eingehende Analyse der populistischen Strategien und Inhalte eine kritische Distanz zu einschlägigen Bewegungen heraus. Insbesondere den Rechtspopulismus heutiger Akteur*innen der Neuen Rechten ergründet der Soziologe als antipluralistisch, antiegalitär und im Kern antidemokratisch, wenngleich diese Ausrichtungen in vielfältiger Weise öffentlich verschleiert werden (vgl. Crouch 2021, S. 169-172).ZwischenfazitDie Postdemokratie-These hat Potenziale für beide politischen Stoßrichtungen, welche in der Leitfrage des Beitrags pointiert gegenübergestellt wurden. Entscheidend sind ein reflektierter Umgang mit den Analysen sowie die gebotene Einordnung der Schlussfolgerungen im jeweiligen politischen Kontext. Zweifelsfrei ist dabei die Maxime zu beachten, niemals den Populismus antidemokratischer Kräfte zu stärken. Gleichermaßen darf die mögliche Angst vor dem schmalen Grat zwischen reflektierter sozialwissenschaftlicher Kritik und rechtspopulistischer Aufwiegelung keinesfalls zur Ignoranz postdemokratischer Missstände führen. Denn im Sinne von Jan-Werner Müllers Definition von Populismus sind "[a]lle Populisten [..] gegen das »Establishment« – aber nicht jeder, der Eliten kritisiert, ist ein Populist." (Müller 2016, S. 18 f.).Um die missbräuchliche argumentative Übernahme von Crouchs These durch demokratiefeindliche Rechtspopulist*innen wirksam zu verhindern, ist eine differenzierte Klarstellung im Sinne der politischen Einordnung von Crouchs Analysen erforderlich.Lösungsansatz: DifferenzierungAls Schlüssel zur fruchtbaren Berücksichtigung von Crouchs These im politikwissenschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Diskurs kann die Differenzierung zur Abgrenzung von rechtspopulistischen Narrativen dienen. Eine deutliche Unterscheidung ist im Sinne Colin Crouchs herauszustellen und in der Argumentation im Kontext der öffentlichen Debatte stets zu beachten, um sich deutlich von rechtspopulistischen Parolen abzugrenzen. So kann einer drohenden Enttabuisierung radikaler Positionen vorgebeugt werden, um diese Gefahr für die liberale Demokratie nicht zusätzlich argumentativ zu stützen. Zentrale Unterscheidungsmerkmale sollen nachfolgend erläutert werden.Rechtspopulistische Bewegungen sind lediglich vordergründig für mehr Demokratie und Mitbestimmung des Volkes. Denn im Kern widersprechen ihre kennzeichnenden Ideologeme liberaldemokratischen Werten, wie insbesondere der Antipluralismus deutlich macht. Die antipluralistische Ideologie steht in enger Verbindung mit dem exklusivistischen Vertretungsanspruch des Volkes und deren homogenen Interessen. Alle Gruppen und Individuen, welche sich aus diversen Gründen nicht diesem normalen Volk zurechnen lassen, werden rhetorisch exkludiert und sind Feindbilder der Rechtspopulist*innen. Dieser xenophobe Antipluralismus veranlasst die grundlegende Einordnung jener Bewegungen als illiberal und antidemokratisch (vgl. Wodak/bpb 2023).Crouch dagegen plädiert für die plurale Interessensvertretung heterogener Gruppen und Individuen als gleichberechtigte Teile einer demokratischen Gesellschaft. Darüber hinaus wird die Emanzipation jeglicher unterdrückter Gruppen innerhalb Crouchs Theorie als erstrebenswerter Moment der Demokratie angesehen, was in diametralem Gegensatz zum ideologischen Antifeminismus und Rassismus sowie zur Queerfeindlichkeit der äußersten Rechten steht (vgl. Crouch 2021, S. 22 f.).Das Verhältnis zum neoliberalen Kapitalismus markiert ebenfalls eine signifikante Differenz zwischen Crouchs Thesen und vorherrschenden Denkweisen der äußersten Rechten. Akteur*innen rechtspopulistischer Politik weisen deutliche antiegalitäre Überzeugungen auf, was programmatisch beispielsweise im angestrebten faktischen Abbau des Sozialstaats ersichtlich wird. Politisch forcierte Umverteilung im Sinne stärkerer sozialer Gerechtigkeit und striktere Regulierung von Lobbyarbeit, wie es von Crouch gefordert wird, steht dieser antiegalitären Haltung entgegen. Der sozialpolitisch im linken Spektrum einzuordnende Soziologe Crouch zeigt sich deutlich kritisch gegenüber neoliberal dominierter Politik und der Macht von Wirtschaftseliten. Als grundlegender zentraler Angriffspunkt der politischen Entwicklungen seit mehreren Jahrzehnten gilt der Neoliberalismus innerhalb seiner gesamten Analyse (vgl. Crouch 2021, S. 143; S. 234-238).Die Art der Beschreibung von Ursachen hinter beklagten Problemen der aktuellen politischen Situation stellt ein weiteres Unterscheidungsmerkmal dar. So weisen rechtspopulistische Narrative zuvörderst liberale Eliten und Migrant*innen als schuldige Sündenböcke aus, wobei diesen Akteur*innen prinzipiell unlautere Absichten unterstellt werden. Die vereinfachende Personifizierung von Schuld fungiert als bedeutender Aspekt der rechtspopulistischen Kommunikationsstrategien (vgl. Mudde 2020, S. 49-56).Die kritische Auseinandersetzung Crouchs mit postdemokratischen Tendenzen hingegen ist geprägt von der Darstellung komplexer Zusammenhänge von multiplen Ursachen. Simple Schuldzuweisungen werden dabei vermieden (vgl. Crouch 2021, S. 9; S. 24-26). Generell unterscheiden sich die Ausführungen Colin Crouchs im Charakter diametral von rechtspopulistischen Narrativen. Die nüchterne sozialwissenschaftliche Analyse beinhaltet die Herausarbeitung komplexer Entwicklungen und Zusammenhänge, während der Rechtspopulismus von allgemeiner Vereinfachung mit personalisierten Schuldzuweisungen und Feindbildern geprägt ist, welche zentrale Bestandteile rechtspopulistischer Kommunikation sind (vgl. Wodak/bpb 2023).FazitZusammenfassend ist zunächst die Relevanz der kritischen Ausführungen Crouchs zu rekapitulieren. Um die Zukunftsvision einer verbesserten Demokratie mit konkreten Maßnahmen anzustreben, ist eine analytische Grundlage bezüglich gegenwärtiger Probleme von Nöten, welche in der Postdemokratie-These gefunden werden kann. Die Ambivalenz der These angesichts einer möglichen Instrumentalisierung durch Populist*innen wurde verdeutlicht, wenngleich keine konkreten Zusammenhänge zwischen Crouchs These und dem Aufstieg der neuen Rechten nachgewiesen werden konnten.Die anschließende Erläuterung der Unterscheidungsmerkmale stellt eine unzweifelhafte Abgrenzung der Postdemokratie-These von der polemischen Ideologie der Rechtspopulist*innen dar. Dies verdeutlicht die aktuelle Notwendigkeit, im gesellschaftlichen Diskurs auf differenzierte Weise Entwicklungen des politischen Systems zu kritisieren, ohne dabei Wasser auf die Mühlen des Rechtspopulismus zu geben. Denn die Gefahr, haltlose rechtspopulistische Parolen durch unangemessene Gleichsetzungen mit sachlichen Gegenwartsanalysen soziologisch aufzuladen und damit substantiell zu überhöhen, ist schließlich nicht zu missachten. Wenn jedoch die sozialwissenschaftlichen Analysen der Postdemokratie-These Crouchs wahrheitsgetreu Eingang in die politische Debatte finden, könnten sie der polemischen Argumentation vom rechten Rand die Substanz entziehen und diese als antidemokratisch entlarven, ohne dabei angezeigte Kritik am Status Quo der etablierten Demokratien auszuklammern.Die Fähigkeit zu einer solchen Differenzierung stellt insbesondere für angehende politische Bildner*innen eine bedeutende Kompetenz dar. Neben der stetigen Arbeit an den eigenen Fähigkeiten in diesem bedeutsamen Bereich kommt Lehrkräften die elementare Aufgabe zu, die Kompetenz der reflektierten Differenzierung an Schüler*innen zu vermitteln. Denn diese ist unerlässlich hinsichtlich der übergeordneten Zielperspektive, sie zu mündigen Bürger*innen als Teil einer lebendigen Demokratie werden zu lassen. Insbesondere angesichts der zunehmenden Polarisierung sämtlicher politischer und gesellschaftlicher Themen, die nicht zuletzt durch den Einfluss von Sozialen Medien und deren einschlägigen Mechanismen gefördert wird, ist dieser Ansatz nicht zu unterschätzen (vgl. Crouch 2021, S. 259 f.).Außerdem sind neue politische und gesellschaftliche Entwicklungen stets mitzudenken, was die Notwendigkeit einer fortwährenden Aktualisierung der sozialwissenschaftlichen Gegenwartsanalyse Colin Crouchs hervorhebt und eine stetige kritische Prüfung der Postdemokratie-These vor dem Hintergrund neuartiger Entwicklungen zweifellos miteinschließt.LiteraturBeckmann, Andreas (2021): Pandemie und Demokratie. Wurde der Kurs in der Corona-Politik ausreichend ausgehandelt? (Deutschlandfunk vom 02.09.2021), https://www.deutschlandfunk.de/pandemie-und-demokratie-wurde-der-kurs-in-der-corona-100.html [25.03.2024].Best, Volker; Decker, Frank; Fischer, Sandra et al. (2023): Demokratievertrauen in Krisenzeiten. Wie blicken die Menschen in Deutschland auf Politik, Institutionen und Gesellschaft? Friedrich-Ebert-Stiftung e.V. (Hrsg.), Bonn.Crouch, Colin (2021): Postdemokratie revisited, Suhrkamp: Berlin.Fuhr, Lukas (2024): Protestforscher Dieter Rucht: "Der Höhepunkt der Demowelle liegt wohl hinter uns" (FAZ.NET vom 16.02.2024), https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/demos-gegen-rechtsextremismus-werden-laut-protestforscher-nachlassen-19518795.html#void [20.03.2024].Habermas, Jürgen (2022): Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik, Suhrkamp: Berlin.Hesse, Michael (2024): "Im Westen hält die Brandmauer noch": Politologe Colin Crouch über Rechtsextremismus (Frankfurter Rundschau vom 12.02.2024), https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/rechtsextremismus-politologe-colin-crouch-im-westen-haelt-die-brandmauer-noch-populismus-92826654.html [20.03.2024].Mudde, Cas (2020): Rechtsaußen. Extreme und radikale Rechte in der heutigen Politik weltweit, Dietz: Bonn.Müller, Jan-Werner (2016): Was ist Populismus?, Suhrkamp: Berlin.Wodak, Ruth (2023): Rechtspopulistische Diskursverschiebungen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (bpb.de vom 20.10.2023), https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/diskurskultur-2023/541849/rechtspopulistische-diskursverschiebungen/ [26.03.2024].