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RWI-Energieexperte Manuel Frondel plädiert dafür, die Wärmewende dem ab 2027 startenden zweiten EU-Emissionshandel und der kommunalen Wärmeplanung zu überlassen. Mit der Reform des Gebäudeenergiegesetzes würde … "So geht Wärmewende!Das dänische Beispiel" weiterlesen Der Beitrag So geht Wärmewende!<br><b>Das dänische Beispiel</b> erschien zuerst auf Wirtschaftliche Freiheit.
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Sommer, Sonne, Strand - Zypern ist eine Ferieninsel geworden, auf der viele Touristen Urlaub machen. In Nikosia können Tourist*innen in hippen Läden shoppen gehen, die schöne Altstadt genießen und lecker Essen gehen. Aber aufgepasst! Mitten in der Hauptstadt stehen Friedenstruppen der Vereinten Nationen und überwachen die grüne Linie. Der schöne Schein trügt und erinnert an die vergangenen blutigen Ereignisse zwischen den beiden Volkstruppen. Eine Reise nach Nikosia ist nicht nur mit Urlaub verbunden, sondern auch eine lebendige Geschichtsstunde, denn die Insel ist bis heute geteilt. Dennoch ist die Lage entspannter geworden, die Grenzen sind geöffnet und EU-Bürger*innen können mit ihrem Personalausweis problemlos den Südteil hin zum Nordteil überqueren. Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit der Friedenssicherung durch die Vereinten Nationen. Die Friedenssicherung hat sich zu einem zentralen Auftrag der Vereinten Nationen entwickelt und soll am Fallbeispiel Zypern erläutert werden. Dabei gliedert sich die Arbeit in fünf Teile. Zu Beginn wird auf den Kontext der UN-Friedenssicherung im allgemeinen eingegangen. Anschließend wird Bezug auf die Charta der Vereinten Nationen genommen und der Prozess und die Verantwortlichkeit der Friedensmissionen geklärt. Im Folgenden werden die ersten Friedensmissionen beleuchtet und reflektiert. Dabei wird der Zypernkonflikt historisch eingeordnet. Ob die Vereinten Nationen im Fall Zypern richtig gehandelt oder den Konflikt nur auf Eis gelegt haben, ist eine Kontroverse. Um diese zu verstehen, müssen die Hintergründe des Konfliktes beleuchtet werden, welches im nächsten Kapitel geschieht. Weiter wird auf die Mitwirkung der UNO an einer Lösung des Konfliktes eingegangen. Hier sollen die Schwierigkeiten und Erfolge beleuchtet werden. Zum Schluss wird anhand von ausgewählten Praxisbeispielen der UNFICYP gezeigt, wie die Friedensmission vor Ort ablief. Die Probleme und Erfolge der Friedenstruppen werden betrachtet, ebenso werden die Konzepte der Vereinten Nationen, die in die Praxis umgesetzt wurden, auf ihre Standhaftigkeit überprüft. Friedenssicherung durch die Vereinten NationenIm folgenden Abschnitt wird das Konzept der Friedenssicherung vorgestellt und in seinen einzelnen Stufen dargestellt. Die Friedenssicherung ist, zusammen mit der Durchsetzung der Menschenrechte, ein zentraler Auftrag der Vereinten Nationen. Diese Ziele hängen direkt miteinander zusammen (vgl. Mathis, 2013). Es gibt festgeschriebene Grundsätze, die von den Mitgliedern beachten werden sollten; die folgenden stehen in unmittelbarem Zusammenhang der Friedenssicherung der Vereinten Nationen: Die Pflicht zur friedlichen Streitbeilegung, das allgemeine Verbot der Androhung und Anwendung von Gewalt und das Interventionsverbot. Ausnahme beim Gewaltverbot ist die Selbstverteidigung und die vom Sicherheitsrat erlassenen militärischen Zwangsmaßnahmen. Der UN-Sicherheitsrat nimmt hier das Gewaltmonopol ein. Durch das Interventionsverbot dürfen souveräne Staaten sich nicht in innere Angelegenheiten einmischen. Der UN-Sicherheitsrat kann deshalb nicht in innerstaatliche Konflikte und Menschenrechtsverletzungen eingreifen (Ebbing 2012, vgl. S. 3f). Dabei trägt der UN-Sicherheitsrat die Verantwortung für die internationale Sicherheit und den Weltfrieden; dieser kann bindende Entscheidungen für Mitgliedsstaaten treffen (vgl. Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V.). Alle UNO-Missionen zur Friedenssicherung und die Entsendung von UN-Soldaten gingen auf die Entscheidung des Sicherheitsrates zurück. Zu betrachten ist, dass durch Menschenrechtsverletzungen Konflikte gestärkt werden und diese in bewaffneten Konflikten und Kriegen enden können. Außerdem kommt es in Kriegen zu Menschenrechtsverletzungen wie z.B. durch Folter, Ermordung von Zivilisten oder sogar Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wie Völkermord (vgl. Mathis, 2013). Ein zentrales Gremium für das UN- Konfliktmanagement, welches anhand der UN-Charta entscheidet, ob es sich um einen Friedensbruch oder um einen Bruch der internationalen Sicherheit handelt, ist etabliert. Hier werden Maßnahmen beschlossen, um die internationale Sicherheit und den Weltfrieden wieder herzustellen (vgl. Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V.). Mathis zeigt auf, dass die Friedenssicherung eine signifikante Anzahl an Aspekten aufweist und durch das Grundprinzip nicht direkt in bewaffnete Konflikte eingegriffen wird. Zu aller erst gibt es die Prävention, wirtschaftliche Hilfe, Sicherung von Menschenrechten, Verhandlung in Konflikten, Sanktionen gegen Staaten, die völkerrechtswidrig handeln oder völkerrechtliche Vereinbarungen nicht einhalten, wie die Ablehnung von ABC-Waffen. Der Sicherheitsrat kann hierbei Empfehlungen zur friedlichen Streitbeilegung nach Kapitel VI der Charta aussprechen. Darüber hinaus kann es zu Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII kommen. Dabei kann es sich um nicht-militärische, aber auch um militärische Maßnahmen handeln (Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V.). Hinzu kommt, dass der UN-Sicherheitsrat einen Krieg völkerrechtlich legitimieren kann (vgl. Mathis, 2013). Während eines Krieges werden Verhandlungen für einen Waffenstillstand geführt, es wird humanitäre Hilfe geleistet, und die Zivilbevölkerung wird durch UN-Soldaten zu schützen versucht. Selbst nach einem Krieg sorgen die UN-Soldaten für die Sicherung des Waffenstillstandes und die Einhaltung von Friedensvereinbarungen. Dabei steht der Schutz der Zivilbevölkerung permanent im Vordergrund. Ein Wiederaufbau, eine Entwaffnung und Abrüstung wird gefördert und schwere Kriegsverbrechen werden geahndet (vgl. ebd.). In einer Resolution wird vom Sicherheitsrat über die Größe und das Mandat einer Friedensmission entschieden, und anhand regelmäßiger Berichte durch den Generalsekretär kann das Mandat verlängert oder geändert werden (vgl. ebd.). Nun soll geklärt werden, wie genau eine Friedensmission abläuft und wer die Verantwortung trägt. Für die Friedensmissionen ist das Department of Peacekeeping Operations (DPKO) zuständig; dieses plant die Mission und führt diese durch. Dabei werden sie vom Department of Political Affairs (DPA) unterstützt, dieses beteiligt sich vor allem bei diplomatischen Bemühungen. Eine Einsatzleitung (Force Commander) vor Ort wird vom Generalsekretär bestimmt. Dieser verfügt ebenso auch über die ausführende Leitung der Friedensmission (vgl. Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V). Aus Kapitel VII der Charta geht eine starke Anteilnahme der Mitgliedstaaten hervor. Diese Staaten sollen auf Grundlage von Sonderabkommen Streitkräfte zu Verfügung stellen. Dabei sollte erwähnt werden, dass noch kein Sonderabkommen zustande gekommen ist. Festzustellen ist, dass die Anforderungen von den Vereinten Nationen zu hoch und den praktischen Möglichkeiten voraus sind (Gareis/Varwick 2014, vgl. S.117). Gareis analysiert, dass das kollektive Interesse der VN-Mitgliedstaaten oft zu gering ist, um ihre Streitkräfte aus der Hand zu geben und das Leben der Soldaten zu riskieren (vgl. ebd.). Daraus folgt, dass die Vereinten Nationen kein schnelles und effektives Sicherheitssystem besitzt. Die Vereinten Nationen sind "eine unvollkommene, reformbedürftige, aber doch in vielen Bereichen eminent wichtige internationale Organisation" (ebd. S. 356). Voraussetzung für den Erfolg der Vereinten Nationen ist, dass die Staaten multilaterale Strategien zur Problemlösung bevorzugen. Nur dann können die Vereinten Nationen eine Rolle in der internationalen Politik spielen. Die Mitgliedstaaten sind in der Praxis selten bereit, ihre Außenpolitik in die Hände der Vereinten Nationen zu legen. Die großen und mächtigen Staaten neigen dazu, unilateral vorzugehen. Staaten wollen alleine und, wenn notwendig, gegen andere Staaten handeln, um ihre eigenen Interessen zu verfolgen und zu maximieren. Auch wenn nur im Einzelfall unilateral gehandelt wird, entsteht dadurch trotzdem ein Bruch und gegenseitiges Vertrauen wird schwierig (vgl. ebd.). Aufgrund dessen haben sich alternative Formen der Friedenssicherung entwickelt. Diese müssen einerseits dem veränderten Kriegs- und Konfliktgeschehen standhalten und den Souveränitätsansprüchen der Mitgliedsstaaten. Eine eigene UN-Friedenssicherung sind beispielsweise die Blauhelme, welche durch Auslegung von Kapitel VII der Charta vom Sicherheitsrat seit den 1950er Jahren entsendet werden. Dabei bestehen die Blauhelme in der Regel aus unbewaffneten bis leicht bewaffneten Truppen und Beobachtern. Zu ihren Aufgaben gehört unter anderem die Überwachung der Einhaltung von Waffenstillständen oder dem Friedensvertrag. Die Neutralität steht dabei an oberster Stelle (vgl. Gareis 2015). Die ersten Friedensmissionen der Vereinten Nationen Im Mittelpunkt dieses Abschnittes stehen die Anfänge der Friedenssicherung. Dabei wird die Entwicklung beleuchtet und reflektiert. Weiterhin findet eine Einordnung der Friedenssicherung auf Zypern statt. Die Überwachung des Waffenstillstandes nach dem ersten arabisch-israelischen Krieg 1948 war der erste große Einsatz in der Entstehungsphase der Friedenssicherungen. Die nächste größere Mission bestand aus der Überprüfung des Waffenstillstandes zwischen Indien und Pakistan. Gareis stellt fest, dass es sich ebenfalls um eine zwischenstaatliche Auseinandersetzung handelte. Diese Mission wurde vom VN-Haushalt bezahlt und dauert bis heute an. Daraus entwickelte sich eine zweite Phase der Friedenssicherung, die Behauptungsphase von 1956-1967 mit neun Einsätzen (Gareis/Varwick 2014, vgl. S.127f). In die Behauptungsphase zählte der Einsatz der Friedenstruppen in Zypern, auf den im späteren Abschnitt des Blogbeitrages eingegangen wird. "Erstmals übernahmen die UN zeitweilige Autorität über ein Territorium auf dem Weg zur Unabhängigkeit, ergänzte zivile Polizei zu einer Friedensoperation, wurde in einen Bürgerkrieg verwickelt, führte einen Einsatz im größeren Ausmaß durch und erlaubte den Blauhelmen das Tragen von Waffen." (Jett 2000, S.23f), neue Aufgaben wurden erkannt. Die Vereinten Nationen bekamen zudem immer mehr Macht, aber hatten damals schon mit ersten Problemen zu kämpfen. Das klassische peacekeeping entstand durch die erste Notstandsgruppe der Vereinten Nationen, der United Nations Emergency Force (UNEFI) beim Einsatz in Ägypten. Hier kam es zu Schwierigkeiten, es konnte im Sicherheitsrat keine einstimme Verurteilung der israelischen Aggression und der ägyptischen Verstaatlichung erreicht werden. Durch das Veto von Großbritannien und Frankreich wurde der Sicherheitsrat lahmgelegt. Die Uniting for Peace-Resolution schaltete die Generalversammlung ein, welche auf den Einsatz von Friedenstruppen drängte. Eigentlich wäre laut Kapitel VII Artikel 24 Abs. 1 der UN-Charta der Sicherheitsrat zuständig gewesen, jedoch waren die Konfliktpartien freiwillig mit einem Einsatz einverstanden. Neben Frankreich und der UdSSR verweigerten einige Staaten die finanzielle Unterstützung. Dieses Problem vertiefte sich nochmal beim Einsatz im Kongo; hier wurde die Verantwortung für die Friedenserhaltung beim Sicherheitsrat gesehen. Folglich wurde der Internationale Gerichtshof eingeschaltet, welcher sowohl dem Sicherheitsrat als auch der Generalversammlung eine Zuständigkeit zusprach (vgl. Sucharipa-Behrmann 1999). Die Autoren stellten fest, dass sich aus der Kongo-Krise ein "akzeptiertes Miteinander dieser beiden Organe" (Gareis/Varwick 2014, S.129) entwickelte, wobei "der Sicherheitsrat die Initiative und Entscheidungsbefugnis stärker an sich gezogen hatte"(Gareis/Varwick 2014, S.129). Zu erkennen war außerdem eine zunehmende Bedeutung des Generalsekretärs, welcher über mehr Spielraum verfügte. Die UNEF-Mission ging durch wichtige Grundprinzipen der Notstandsgruppe durch den Generalsekretär in die Geschichte der internationalen Friedenssicherung ein. Hinzu kam der Konsens der Konfliktparteien, welcher beschlossen wurde und besagt, dass klassische Blauhelm-Soldaten nicht gegen den Willen eines Staates eingesetzt werden dürfen. Dadurch wurde eine Toleranz der Truppen gefördert und eine Bereitschaft für eine Zurverfügungstellung der Truppen, durch die Mitgliedstaaten, geschaffen. Dies waren die Grundlagen für das Modell des klassischen peacekeeping vom Generalsekretär Hammarskjöld (vgl. ebd.). Zu diesem Zeitpunkt wurde zudem die Verantwortlichkeit durch die Leitung des Generalsekretärs beschlossen. Aufgrund dessen entstand die DPKO im VN-Sekretariat. Außerdem wurde ein Budget für jede Friedensmission festgelegt, welches durch die Mitgliedstaaten gefüllt wird. Besonders wichtig ist die Unparteilichkeit der eingesetzten Truppen, welche mit dem Konsensprinzip einhergeht. Aus diesem Grund sollten die Truppen eine ausgewogene regionale Zusammenstellung haben (vgl. Auswärtiges Amt). Darüberhinaus wurde der Einsatz von Waffen zur Selbstverteidigung und zur Durchsetzung der Mission erlaubt. Hier besteht eine Problematik, die am folgenden Beispiel gezeigt werden soll: Bei der Kongo-Operation (1960-1964) sollte für den Rückzug belgischer Truppen aus der Republik Kongo gesorgt werden. Es kam zu einer Ausweitung des Mandats, wodurch ein Bürgerkrieg verhindert und die Regierung beim Aufbau ihres Amtes unterstützt werden sollte. Dafür gab es zum ersten Mal die Legitimation der Waffengewalt im Bezug auf das auszuführende Mandat (Gareis/Varwick 2014, vgl. S.131). Das führte dazu, dass die UNEF dadurch selbst zu Konfliktpartei wurde und sich in die innerstaatlichen Konflikte verwickelte. Der Einsatz wurde im Sommer 1964 beendet, aufgrund dessen, dass die Regierung Kongos einer Mandatsverlängerung nicht zustimmte. Dabei sollte man nicht außer Acht lassen, dass die Vereinten Nationen aus diesem Einsatz ihre Konsequenzen zogen. Zum einen wurden keine großen und komplexen Missionen die nächsten drei Jahrzehnte durchgeführt (vgl. ebd.). Zum anderen waren die Ziele der Friedenssicherung fortan bescheidener. Zudem kehrte man zu den Prinzipien von Hammarskjöld zurück und sicherte sich die Zustimmung der Konfliktparteien vor einem Einsatz. Zusätzlich wurden die Friedensmissionen vom Sicherheitsrat nun beobachtet (vgl. ebd.). An dieser Stelle wird nur kurz auf den Zypern-Einsatz eingegangen, um ihn in die Geschichte der Friedenssicherung der Vereinten Nationen einzuordnen. Der Zypern Einsatz gilt als klassisches peacekeeping und hält bis heute an. Nach Bellamy und Williams versteht sich unter klassischem peacekeeping die Phase zwischen einem Waffenstillstand und dem Abschluss einer politischen Konfliktlösung. Hier gibt es eine Unterstützung der zwischenstaatlichen Friedenssicherung (vgl. ebd. S. 127). Durch eine Resolution des Sicherheitsrats wurde im März 1964 die UNFICYP-Mission eingerichtet. Eine Kampfhandlung zwischen der griechisch-zypriotischen und der türkisch-zypriotischen Volksgruppe sollte verhindert werden. Trotz der Friedensmission kam es zur Teilung der Insel, es gab einen Waffenstillstand und zahlreiche Bemühungen zur Vermittlung durch den Generalsekretär. Seit 1974 wird die Pufferzone von der UNFICYP überwacht und das Mandat ab 1964 jedes halbe Jahr verlängert. Kritik an dem Einsatz gibt es durch die permanente Anwesenheit der Soldaten, wodurch der Eindruck erweckt wird, dass es keine Notwendigkeit einer Friedenslösung gibt.Durch den Einsatz der Bewachung des Waffenstillstandes zwischen dem Irak und Iran (UNIIMOG) und dem Abzug der UdSSR Truppen aus Afghanistan (UNGOMAP), wurde "eine Renaissance des peacekeeping eingeleitet" (vgl. ebd. S.132). Gareis verweist darauf, dass diese "Gute-Dienst-Missionen" vom Sicherheitsrat nur gebilligt und nicht mandatiert wurden. Alles in allem zeigt sich ein durchwachsenes Bild der Friedensmissionen in den ersten vier Jahrzehnten. Festzuhalten ist, dass jede Mission ein Einzelfall ist und separat betrachtet werden sollte. Hinzu kommen die Vorstellungen der UN-Charta, welche in der Realität nahezu utopisch umzusetzen sind. Die Blauhelme wurden zum innovativen Instrument. Ihre Aufgabe ist die Konfliktberuhigung und nicht die Konfliktlösung. Diese Aufgabe konnte in vielen Missionen erreicht werden. Bedenklich ist, dass diese häufig nur mit einer dauerpräsenten Lösung, wie in Zypern erreicht wurden (vgl. Mathis). Durch den Brahimi- Bericht von 2000 gab es neue Perspektiven in der Friedenssicherung der Vereinten Nationen. Diese beinhalten die folgenden drei Kategorien: die Konfliktvermeidung, Konfliktmanagement und die Konfliktnachsorge. Dabei gibt es erstens eine Neuorientierung für die politischen und strategischen Rahmenbedingungen. Zweitens muss das DPKO für eine personelle und strukturelle Voraussetzung der Friedensmission sorgen. Zudem gibt es für die Mitgliedstaaten konkrete geforderte Leistungen (vgl. Gareis/Varwick 2014, vgl. S.146). Hintergründe des ZypernkonfliktsUm den Zypernkonflikt verständlicher zu gestalten, werden zunächst die politischen Hintergründe beleuchtet. Der Zypernkonflikt ist die Folge der britischen Kolonialpolitik, denn bis 1960 war Zypern eine britische Kolonie (vgl. Gürbey 2014). Der Wunsch nach "Enosis", die Vereinigung mit Griechenland, wuchs unter den griechischen Zyprioten seit dem 19. Jahrhundert. Auf Grundlage der Tatsache, dass Großbritannien die Ionischen Inseln an Griechenland zurückgab, hofften die griechischen Zyprioten auf einen ähnlichen Ausgang. Dieser Wunsch wurde jedoch nicht erfüllt und deshalb gab es schon seit 1931 größere Unruhen, welche die diktatorische Führung unterdrückte (vgl. ebd.). Großbritannien nutzte Zypern geostrategisch. Zypern wurde zum Royal-Air-Force-Stützpunkt für Atombomber und Ansatzpunkt für Spionageflüge im Kalten Krieg (vgl. ebd.). Auf Grund dieser Entwicklung war Zypern für Großbritannien unverzichtbar. Deshalb begann der Unabhängigkeitskampf, bei dem die orthodoxe Kirche eine bedeutende Rolle einnahm. Der Erzbischof Makarios III. nötigte die griechische Regierung, den Zypern-Fall vor die UNO zu bringen (Gorgé 1986, vgl. S. 130). Der britische Premierminister Eden versuchte "die griechische Ambition [...] durch türkische zu neutralisieren" (Richter 2010), also die Türkei miteinzubeziehen und damit beide Länder gegeneinander auszuspielen (vgl. Gürbey 2014). Die türkische Position war glasklar; falls sich beim Status Zypern etwas ändern würde, wäre der Friedensvertrag von Lausanne ungültig und Zypern würde wieder der Türkei gehören. 1922 wurde Frieden mit den Briten geschlossen und sie erhielten die formelle Anerkennung ihrer Herrschaft über Zypern (vgl. Gründer). Richter beschrieb, dass das taktische Manöver Londons aufging und ein neuer griechisch-türkischer Konflikt ausgelöst wurde. Es kam dazu, dass die "divide et impera" Politik Großbritanniens auf die Volksgruppe ausgeweitet wurde. Daraus folge 1956 der griechisch-türkische Minoritäten Konflikt, wobei die Opfer die Istanbuler Griechen waren. Gleichzeitig misslang das Suez-Abenteuer der Briten und Zypern verlor für sie an strategischem Wert. Des Weiteren kam Druck aus den USA, welche die NATO durch die griechisch-türkischen Streitereien gefährdet sahen. Folglich einigten sich Griechenland und die Türkei 1959 zu einer "Scheinlösung" in Zürich. Gleichzeitig wurde der Konflikt nur zwischen den NATO-Verbündeten beigelegt. Wie schon erwähnt, gelang Zypern 1960 die Unabhängigkeit; der innerzypriotische Konflikt blieb jedoch bestehen und verschärfte sich in den nächsten Jahren noch mehr (vgl. Richter 2009). Im Folgenden wird die Position der Bevölkerung verdeutlicht. Die griechischen Zyprioten fordern "Enosis" und die türkischen Zyprioten "Taksim", die Teilung der Insel. Mit der Unabhängigkeit der Insel begann der griechische und türkische Nationalismus auf Zypern (vgl. ebd.). Problematisch waren die Mütterländer, welche den Zypern-Konflikt als nationale Frage ansahen und deshalb enormen Einfluss hatten. Dieser Einfluss wurde durch den Schutz der eigenen Volksgruppe legitimiert (Gorgé 1986, vgl. S. 130f). Zum einen gab es die Strategie von Griechenland; diese war eine Internationalisierung des Konfliktes, um den Druck gegen die Türkei aufzubauen. Dem gegenüber wollte die Türkei den Teilungsprozess forcieren und in seinem Bestand sichern. Ab 1963 gab es blutige Unruhen, weil die griechisch-zypriotische Führung die Verfassungsrechte der türkischen Zyprioten einschränken ließ. An diesem Punkt griffen die USA und die Vereinten Nationen ein und verhinderten eine Eskalation (vgl. Gürbey 2014). Mitwirkung der Vereinten Nationen an einer Lösung des KonfliktesAb 1964 gab es ein Friedensmandat der Vereinten Nationen, durch das eine Sicherung des Burgfriedens gewährleistet werden sollte. Das Wiederaufflammen von Kämpfen sollte verhindert werden, um die Kommunikation der beiden Volksgruppen zu ermöglichen. Die Friedenstruppe UNFICYP wurde vom Sicherheitsrat gesendet und sollte "nach besten Kräften eine Wiederaufnahme von Kämpfen zu verhindern und, soweit notwendig, zur Erhaltung und Wiederherstellung von Recht und Ordnung und zur Rückkehr normaler Lebensbedingungen [in Zypern] beizutragen" (Menning 1974, S.172). Dabei wurde für die Friedenstruppen die zypriotische Nationalgarde und die reguläre türkische Armee zum Konfliktpartner, nicht die bewaffneten Volksgruppen. Außerdem musste die UNFICYP aufpassen, dass lokale Befreiungsversuche nicht als Einmischungsversuche oder Provokation aufgefasst wurden.Festzuhalten ist, dass von 1964 bis Juni 1974 die UNFICYP ein erfolgreicher Vermittler der beiden Volksgruppen war, sodass 1973 eine Kürzung des Mandats stattfand. Auch weil Griechenland und die Türkei einwilligten, dass sie schlichtend auf ihre Volksgruppe einwirken (Menning 1974, vgl. S.172). Der Konflikt spitze sich jedoch wieder zu, im Halbjahresbericht von 1974 erklärte der Generalsekretär, dass weiterhin Misstrauen und Kampfbereitschaft herrscht. Ein Klima von trügerischer Sicherheit war entstanden, die Friedenstruppen wurden als Friedensersatz wahrgenommen, obwohl das Problem ungelöst blieb (Menning 1974, vgl. S.173). Dabei hatte Waldheim in seinem Jahresbericht 1973/74 darauf hingewiesen, dass Friedenseinsätze nicht als Selbstzweck der Vereinten Nationen dienen sollten und "daß eine Friedenssicherungsaktion nicht zu einem Nachlassen der Bemühungen, eine Lösung zu finden, führen dürfe, denn wenn die Konfliktursachen nicht beseitigt werden, könnten sie schließlich das Fundament, auf dem sich die Friedenssicherung aufbaue, zerstören." (Menning 1974, S.173). So kam es 1974 zu einem Putschversuch der Griechen, um die Insel an Griechenland anzubinden. Dieser wurde von dem griechischen Militär ausgelöst und richtete sich gegen die Regierung unter Präsident Makarios. Es gab Differenzen zwischen ihm und der Militärjunta, weil Makarios linksgerichtet war und einen individuellen Kurs mit Zypern vorhatte. Dabei reagierte die Türkei mit einer Invasion. Die Situation eskalierte und die Türkei eroberte fast 40 Prozent der Insel. Die UNFICYP konnte die Angriffe der türkischen Truppen nicht abwehren. Dennoch konnten einige lokale Angriffe auf die Bevölkerung verhindert werden. Außerdem blieb die "Green Line" bestehen und die Kontrolle der Hauptstadt aufrechterhalten. Zudem wurde auf die Forderung von Waldheim eingegangen, welcher in seinem halbjährlichen Bericht Verstärkung angefordert hatte. Im Jahr 1974 stockte die UNFICYP die Zahl der Soldaten von 2.188 auf 4.400 auf. Die Minimierung seit 1971 bis Mitte 1974 war im Nachhinein ein sicherheitspolitischer Fehler der Vereinten Nationen. Nach dem Krieg legte die UNFICYP zwei separate Waffenstillstandslinien fest. Eine UN-Pufferzone wurde von Morphou bis nach Famagusta eingerichtet (vgl. Lugert 2018). Aufgrund dieser Tatsachen war eine Konsolidierung einer Teilung der Inseln der einzige Ausweg. Von nun an gab es einen griechisch-zypriotischen Süden und einen türkisch-zypriotischen Norden. Die Türkei rief 1983 die Unabhängigkeit Nordzyperns aus, dieser Teil wird immer noch nur von der Türkei als Staat anerkannt und wirtschaftlich und politisch gefördert. Der UN-Sicherheitsrat erklärte die Unabhängigkeitserklärung für ungültig und rief andere Staaten dazu auf, dasselbe zu tun (vgl. Gürbey 2014). Faustmann brachte zum Ausdruck, dass Zypern der Ruf als "Friedhof der Diplomatie" (vgl. Faustmann 2009) zusteht. Wie er zu dieser Aussage kam, wird im Weiteren erklärt. Schon im November 1974 forderte die Vereinten Nationen eine Resolution, welche zunächst einen Rückzug der auswärtigen Truppen und die Rückkehr von Flüchtlingen beinhaltete. Darüber hinaus forderten beide Volksgruppen eine Verhandlung unter dem Schutz der Vereinten Nationen. Faustmann wies darauf hin, dass eine Rückkehr zur Verfassungsordnung von 1960 unmöglich für beide Parteien war (vgl. ebd.). Beide Parteien hatten klare Vorstellungen, so forderten die türkischen Zyprioten eine politische Gleichheit als Grundprinzip, allerdings wollte die griechische Seite auch eine Berücksichtigung ihrer prozentualen Bevölkerungsmehrheit von 82% Prozent (vgl. ebd.). In drei Verhandlungsrunden trafen sich die Konfliktparteien unter der Schutzherrschaft der Vereinten Nationen in New York. Nach zähen Verhandlungen kam es 1977 zu einem Abkommen und 1979 zur Erweiterung des Dokuments (vgl. Gürbey 2014). Das Abkommen umfasst die Grundprinzipien einer Wiedervereinigung, die High Level Agreements. Darin wird postuliert, das Zypern als bizonale, bikommunale Föderation wiedervereinigt und entmilitarisiert werden sollte. Außerdem wurden Grundfreiheiten, wie Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit und ein Recht auf Eigentum bestimmt. Das Abkommen gestand den türkischen Zyprioten dabei ein einheitliches Territorium zu, wobei die Größe strittig blieb (vgl. Faustmann 2009). Die Ergebnisse der Abkommen zusammengefasst, wird deutlich, dass eine Vereinigung mit Griechenland und eine Teilung ausgeschlossen wurde. Trotz der Unterzeichnung des High Level Agreements kam es zum Stillstand der Verhandlungen. Erst durch die Bemühungen der Vereinten Nationen fanden erneute Verhandlungen statt.Der griechisch-zypriotische Präsident Kyprianoú setzte auf die eigene Internationalisierungskampagne und die Vereinten Nationen. Denktaş forderte die Unabhängigkeit Nordzyperns, sein Streben wurde bestärkt, als eine Resolution der Vereinten Nationen zugunsten der griechischen Seite entschied (vgl. ebd.). Erkennbar wird, wie schwer es für die Vereinten Nationen ist, neutral zu bleiben und beiden Seiten gerecht zu werden. Denktaş führte die türkische Lira als Währung ein und errichtete eine Zentralbank, weiterhin blieb er bei seiner Forderung von einer Unabhängigkeit Nordzyperns. Es kam dazu, dass er am 15. November 1983 die Türkische Republik Nordzypern ausrief. Erst als sich die Beziehung zwischen Griechenland und der Türkei verbesserte, konnten 1988 neue Verhandlungen auf Basis der High Level Agreements beginnen (vgl. ebd.). Man erkannte die wichtige Rolle der beiden Mutterländer, die enormen Einfluss auf die Verhandlungen und die Situation nahmen. Außerdem ließ man eine zu große Einmischung der Vereinten Nationen auch nicht zu, mit den "Set of Ideas" von Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali war Denktaş nicht einverstanden. Er forderte Verhandlungen ohne die Vereinten Nationen, weil diese kein Recht für solch umfassende Lösungsvorschläge hätten. Jedoch kam es nie zu Verhandlungen ohne die Vereinten Nationen. Erneute Gespräche endeten 1990, weil die Republik Zypern der EU betreten wollte. Denktaş und die Türkei glaubten, dass die EU keine Konfrontation mit Ankara wollte und der Beitrittsantrag kein Erfolg haben würde, dennoch drohten sie mit einer Annexion des Nordens. Als klar war, die EU würde Zypern auch ohne Lösung des Konflikts aufnehmen, fanden 2002 erneute Verhandlungen unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen statt. Zugunsten kam diesen die neue AKP-Regierung unter dem linken Oppositionspolitiker Mehmet Ali Talat, welche von der status-quo-Politik abwich und auch Denktaş und seine Nachfolger verschwanden mehr und mehr. Auf türkischer-zypriotischer Seite entstand erstmalig eine moderate Politik. Die griechische Seite wählte mit Tassos Papadopoulos einen Hardliner zum Präsidenten (vgl. ebd.). Dennoch wurden erstmals umfassende Kernpunkte eines politischen Lösungsplans erarbeitet, welcher Anfang 2004 freigestellt wurden, der sogenannte Annan-Plan. Dieser beinhaltete folgendes: "Vom Parlament gewählte Regierung, bestehend aus vier griechischen und zwei türkischen Zyprioten; kollektive Führung mit Vetorechten für beide Volksgruppen; Zwei-Kammern-Parlament nach 1978er Modell; 27 Prozent des Territorium für den Norden; Ambivalenz: Gründung eines neuen Staates durch zwei gleichberechtigte Staaten (wie von der türkischen Seite gefordert, von der griechischen Seite aber als möglichen Ausgangspunkt für eine spätere Abspaltung abgelehnt) oder Umwandlung der bestehenden Republik Zypern in einen neuen Staat (wie von der griechischen Seite gefordert); Ambivalenz: Föderation oder Konföderation; Rückkehr von mehr als der Hälfte der Flüchtlinge unter griechisch-zypriotischer Verwaltung und Umsiedelung von mehreren zehntausend türkischen Zyprioten; Staatsangehörigkeit für mehr als 45 000 türkische Einwanderer, erhebliche und dauerhafte Beschränkungen bei der Rückkehr der griechischen Flüchtlinge und der Niederlassungsfreiheit im Norden; Dauerhafte griechische und türkische Militärpräsenz; Griechenland und die Türkei bleiben zusammen mit Großbritannien Garantiemächte mit Interventionsrecht." (ebd.). Im April 2004 stimmten beide Volksgruppen über den Wiedervereinigungsplan ab. Diese Gelegenheit wurde verpasst, denn 76 Prozent der griechischen Zyprioten stimmten dagegen, weil einige von ihnen hofften, durch den Beitritt in die EU ein besseres Abkommen zu erhalten (vgl. Gürbey 2014). Demgegenüber stand allerdings das türkisch zypriotische Ergebnis des Referendums, welches mit 65 Prozent für eine Wiedervereinigung stimmte. Die Vereinigung Zyperns scheiterte und damit auch der Annan-Plan. Trotzdem trat am 1.Mai 2004 der griechisch Zypriotische Teil der EU bei. Allerdings stellt völkerrechtlich gesehen ganz Zypern EU-Territorium dar, wobei der nördliche Teil ausgegrenzt ist (vgl. ebd.). Seitdem werden immer noch Verhandlungsprozesse unter Aufsicht der Vereinten Nationen geführt. Espen Barth Eide ist seit 2014 der Sonderbeauftragten für den Zypernkonflikt,. Durch ihn gab es eine Einigung, dass eine dritte entscheidende Verhandlungsphase geführt werden soll. Dennoch ging die letzte Verhandlungsrunde für eine Lösung des Zypernkonflikts am 07.07.2017 ohne Ergebnis zu Ende. Hier waren auch die Repräsentanten der sogenannten Garantiemächte Griechenland, Großbritanniens und der Türkei mit dabei. Nun sollen auf Empfehlung von VN-Generalskretär Guterres erstmals eigene Vorstellungen betreffend einer Fortführung des Verhandlungsprozesses gebildet werden (vgl. Auswärtiges Amt 2018). UNFICYP- Praxisbeispiel für die Leistungen und Probleme der Friedenssicherung Zypern wird durch eine 180 Kilometer lange grüne Line geteilt, welche auch durch die Hauptstadt Nikosia verläuft. Diese Pufferzone wird von den Friedenstruppen der UNFICYP überwacht. Die Waffenstillstandslinie wurde hart umkämpft, sodass sie vor allem in Nikosia nicht gerade verläuft, sondern vor- und zurückspringt. Dadurch ist die Überwachung des Status quo für die UN-Soldaten noch mehr erschwert (Ehrenberg 1991, vgl. S. 1). Seit dem Bürgerkrieg von 1963/64 gab es auf Zypern lange keinen dauerhaften Frieden. Wie schon beschrieben, haben die Sonderbeauftragten des UN-Generalsekretärs schon seit 1964 viele Verhandlungen gestartet, aber immer noch keinen dauerhaften Frieden erreicht. Dabei kam immer wieder der Vorwurf auf, die Vereinten Nationen würden den Kern des Problems nur auf Eis legen und damit könne kein Frieden entstehen (vgl. Gürbey 2014). Unter diesen Umständen versuchen die Friedenstruppen, der Bevölkerung so viel Normalität wie möglich zu gewährleisten. Die Hoffnung, dass durch einen Generationenwechsel sich das Problem von selbst lösen würde, trat nicht ein. Das zeigte sich gerade auf der griechisch-zypriotischen Seite; hier waren die Jugendlichen ernüchtert, weil sich der politische Stillstand nicht überwinden ließ (Ehrenberg 1991, vgl. S.1f). Ein Beispiel hierfür war die Versammlung von 3000 Schülern im November 1988 an der Pufferzone. Sie wollten gegen die türkischen Truppen demonstrieren. Dabei durchbrachen einige von ihnen die grüne Linie, konnten dann aber von UN-Truppen gestoppt werden, bevor sie die türkisch-zypriotischen Truppen erreichten (vgl. ebd. S. 2). Die Jugendlichen bewarfen die UN-Soldaten dabei mit Steinen, Flaschen, Holzstücken und Dachziegeln. Die griechisch-zypriotische Polizei griff erst nach Kommando der UNFICYP-Oberkommandanten ein und räumte mit den UN-Truppen den Platz. Hier ist kritisch anzumerken, dass in der Presse nicht die UN-Soldaten die Helden waren, sondern die Schüler, welche ihr Land zurückerobern wollten. Dabei sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass auch die türkisch-zypriotische Seite der UNFICYP die Schuld gab; diese hätten nicht rechtzeitig reagiert (vgl. ebd. S. 2). Demonstrationen wie diese waren kein Einzelfall zu dieser Zeit, ein halbes Jahr später kam es zu einer Frauendemonstration, bei der die UNFICYP noch machtloser war. Auch hier verhielt sich die griechisch-zypriotische Polizei sehr passiv. Die UN-Soldaten wurden von Männern, die am Rand standen, angegriffen. Zudem hatten sich griechisch-orthodoxe Kirchenmänner unter die Frauen gemischt (vgl. ebd. S. 2). Insgesamt zeigt sich, wie schwierig es die Friedenstruppen hatten. Sie mussten sowohl Blutvergießen verhindern und die Konfliktparteien auseinander halten als auch ihre eigene Akzeptanz aufrechterhalten. An diesem Beispiel wird auch deutlich, dass die Friedenstruppen ungerechtfertigte Kritik einstecken mussten. Im folgenden Beispiel wird auf den Waffengebrauch eingegangen. Wie kritisch dieser ist, zeigte sich anhand der Todesschüsse in Athienou Ende Mai 1988. Die Waffen dürfen nur zur Selbstverteidigung gebraucht werden, zum Schutz für das Leben anderer UN-Angehöriger oder Personen, die zu verteidigen sind. Dafür ist immer die Zustimmung des ranghöchsten Soldaten vor Ort nötig (Gareis/Varwick 2014, vgl. S. 117). Athienou gehörte zur griechisch-zypriotischen Seite, war zur damaligen Zeit aber ein umstrittenes Gebiet. Ein türkischer Soldat nahm eine Familie in ihrem Haus als Geiseln. Bevor die UN-Soldaten überhaupt eintrafen, bewegten sich zwei Nationalgardisten auf das Haus zu. Der Geiselnehmer schoss auf die beiden, sodass einer schwer verletzt liegen blieb. Die Nationalgardisten forderten Verstärkung an, ohne Rücksprache mit der UNFICYP. Währenddessen bargen die UN-Soldaten den Verletzten. Die türkischen Streitkräfte wurden nicht über die Geiselnahme informiert. Die UN-Soldaten räumten das Feld, als die griechisch-zypriotische Anti-Terror-Einheit eintraf. Diese stürmte das Haus und tötete den türkischen Soldaten gezielt, obwohl die Geiseln zu diesem Zeitpunkt schon geflohen und in Sicherheit waren (Ehrenberg 1991, vgl. S.3). Ehrenberg erklärte, die UNFICYP hätte eingreifen können. Ob es so klug gewesen wäre, die griechischen Zyprioten mit Androhung von Waffengewalt an der Verletzung der Pufferzone zu hindern, stellt er in Frage. Hieraus ergab sich die Konsequenz, dass die Erwartungen an die UNFICYP viel zu hoch waren, nur aufgrund der Tatsache, dass sie bewaffnet waren. Hier stellt sich die Frage, ob der Waffengebrauch die Sicherheit erhöht und dadurch die Funktion der UN-Soldaten entlastet. Außerdem konnte man beobachten, dass die UN-Friedenstruppen oftmals mindestens einer Konfliktpartei unterlegen waren. Dabei sollte kritisch hinterfragt werden, inwiefern militärische Überlegenheit die politischen und diplomatischen Absichten von Friedenstruppen fördern würde. Dies scheint fraglich, denn würde militärische Übermacht diese nicht eher zerstören (vgl. ebd. S.3ff)? FazitFestzuhalten bleibt, dass die Friedenssicherung als zentraler Auftrag der Vereinten Nationen gesehen werden kann. In direktem Zusammenhang mit der Durchsetzung der Menschenrechte, weil diese Ziele untrennbar sind und einander beeinflussen. Durch das Interventionsverbot wird eine Einmischung in innere Konflikte durch die Charta ausgeschlossen. Der Sicherheitsrat kann deshalb nicht in innerstaatliche Konflikte und Menschenrechtsverletzungen eingreifen. Daraus folgt, dass es zu aller erst zu Präventionsmaßnahmen kommt; daneben kann der Sicherheitsrat Empfehlungen zur friedlichen Streitbeilegung nach Kapitel VI der Charta geben. Es kann aber auch zu Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII kommen. Dementsprechend steht der Schutz der Zivilbevölkerung permanent im Vordergrund. Allgemein und in Bezug auf die Friedenssicherung gilt für die Vereinte Nationen, dass das Verhalten der Mitgliedstaaten entscheidend ist. Die Vereinten Nationen bieten zwar einen Rahmen, bei dem sich Staaten und ihre Interessen annähern können, aber die Staaten müssen diesen nutzen, um durch Lernprozesse Fortschritte zu machen. Darüber hinaus dürfen die Vereinten Nationen nicht zu viel versprechen; dies gilt gerade im Punkt der Friedenssicherung. Ihre Ankündigung ist oftmals höher als die Möglichkeiten und Aspiration der Mitgliedsstaaten. Andersherum dürfen die Erwartungen an die Vereinten Nationen nicht abwegig sein, sie sind keine Weltregierung. Dennoch bilden sie einen Rahmen für gemeinsame Lösungsansätze. Ziel der vorliegenden Arbeit war es ebenfalls zu erklären, wer für die Friedenssicherung zuständig ist. Dabei wurde festgestellt, dies geschieht durch das Department of Peacekeeping Operations (DPKO), welches die Missionen plant und durchführt. Unterstützt werden sie vom Department of Political Affairs (DPA), welches sich vor allem um diplomatische Bemühungen kümmert. Durch eine Einsatzleitung (Force Commander) vor Ort gibt es noch eine ausführende Leitung der Friedensmission. Deutlich wird die Problematik, dass die Vereinten Nationen keine eigenen Streitkräfte haben. Es kam noch nie zu einem Sonderabkommen in Bezug auf die Streitkräfte. Hier wird deutlich, dass die Anforderungen der Vereinten Nationen an ihre Mitgliedsstaaten zu hoch und den praktischen Möglichkeiten voraus sind. Dafür entwickelten die Vereinten Nationen alternative Formen, wie z.B. die Blauhelme. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es eine Entwicklung bei der Friedenssicherung der Vereinten Nationen gab. Eine Zuständigkeit für die Friedenserhaltung wurde durch den Internationalen Gerichtshof dem Sicherheitsrat und der Generalversammlung zugesprochen. Durch die vergangenen Einsätze wurde außerdem beschlossen, dass die Friedensmissionen vom Sicherheitsrat beobachtet werden. Und die Bedeutung und Verantwortung des Generalsekretärs nahm immer mehr zu. Durch Generalsekretär Hammarskjöld sind wichtige Grundprinzipen der Notstandsgruppe in die Friedenssicherung eingegangen. Daraus folgt der Konsens der Konfliktparteien, wodurch klassische Blauhelm-Soldaten nicht gegen den Willen eines Staates eingesetzt werden dürfen. Dieser Konsens führt dazu, dass die Mitgliedstaaten ihre Truppen eher bereitstellen und die Toleranz der Blauhelme gestärkt wird. Festgestellt wurde außerdem die Wichtigkeit von einer ausgewogenen regionalen Zusammenstellung der Truppen, damit die Unparteilichkeit gewahrt werden kann. Zielsetzung der vorliegenden Arbeit war es, die Friedenssicherung anhand vom Zypern-Konflikt zu schildern, dafür wurden die die politischen Hintergründe beleuchtet. Hier kann man festhalten, es gab unheimlich viele beteiligte Parteien. Zum einen Großbritannien, weil Zypern bis 1960 eine britische Kolonie war und geostrategisch genutzt wurde. Dann Griechenland, die Türkei und die griechischen und türkischen Zyprioten. Es ist zu erkennen, dass Großbritannien die beiden Mütterländer gegeneinander ausspielte. Sie sahen den Zypern-Konflikt als nationale Frage und übten deshalb enormen Einfluss aus, dieser wurde durch den Schutz der eigenen Volksgruppe legitimiert. Durch die Unabhängigkeit Zyperns ab 1960 wurde der innerzypriotische Konflikt nicht gelöst, sondern noch mehr verschärft; dieser endete in blutigen Unruhen. Seit 1964 gibt es ein Friedensmandat der Vereinten Nationen, wodurch das Wiederaufflammen von Kämpfen verhindert werden soll. Wie dieser Blogbeitrag gezeigt hat, musste die UNFICYP darauf achten, dass lokale Befreiungsversuche nicht als Einmischungsversuche oder Provokation aufgefasst wurden. Von 1964 bis Juni 1974 war die UNFICYP ein erfolgreicher Vermittler der beiden Volksgruppen, sodass es 1973 eine Kürzung des Mandats gab. Diese Kürzung erzeugte aber ein Klima von trügerischer Sicherheit, wobei die Friedenstruppen als Friedensersatz wahrgenommen wurden, obwohl das Problem ungelöst blieb. Hier wirft man den Vereinten Nationen vor, dass es zu einem Nachlass der Friedensbemühungen kam und die Friedenseinsätze als Selbstzweck genutzt wurden. Deshalb kam es für viele überraschend, als die Griechen 1974 durch einen Putschversuch die Insel an Griechenland anbinden wollten. Man stellte fest, dass die Minimierung der Blauhelme seit 1971 bis Mitte 1974 als sicherheitspolitischer Fehler der Vereinten Nationen gesehen werden kann. Offen bleibt die Frage, ob die Vereinten Nationen den Krieg 1974 hätten verhindern können. Nach dem Krieg war eine Konsolidierung, eine Teilung der Insel der einzige Ausweg.Von Faustmann bekommt Zypern den Titel "Friedhof der Diplomatie". Festhalten lässt sich, dass es etliche Verhandlungen durch die Vereinten Nationen gab und der Konflikt bis heute nicht gelöst wurde. Auch ein Grund dafür sind die klaren Vorstellungen der beiden Parteien, so forderten die türkischen Zyprioten eine politische Gleichheit als Grundprinzip und die griechische Seite eine Berücksichtigung ihrer prozentualen Bevölkerungsmehrheit. Ein Abkommen konnte im Jahre 1977 erreicht werden und eine Erweiterung 1979, hier wurden die Grundprinzipien einer Wiedervereinigung, die High Level Agreements festgehalten. Es kam immer wieder zum Stillstand der Verhandlungen, welcher meistens erst durch die Bemühungen der Vereinten Nationen unterbrochen wurde. Die Regierungen der beiden Volksgruppen trugen auch dazu bei, dass sich die Verhandlungen so schwierig gestalteten. Erkennbar wird, wie schwer es für die Vereinten Nationen war, neutral zu bleiben und beiden Seiten gerecht zu werden. Erneute Gespräche brachen 1990 ab, weil die Republik Zypern der EU beitreten wollte. Als klar war, die EU würde Zypern auch ohne Lösung des Konflikts aufnehmen, fanden 2002 erneute Verhandlung unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen statt. Es gab einen Erfolg, denn es wurden erstmals umfassende Kernpunkte eines politischen Lösungsplans erarbeitet, welcher Anfang 2004 fertiggestellt wurde, der sogenannte Annan-Plan. Im April 2004 wurde in den beiden Volksgruppen über den Wiedervereinigungsplan abgestimmt. Diese Gelegenheit verpasste man, weil die griechischen Zyprioten dagegen stimmten. Die Vereinigung Zyperns scheiterte und damit auch der Annan-Plan. Die stille Hoffnung, dass durch ein Generationenwechsel sich das Problem von selbst lösen würde, trat nicht ein. Festzuhalten ist, dass die Friedenstruppen den Zivilisten soviel Normalität wie möglich gewährleisten wollen. Die UN-Soldaten mussten in der Vergangenheit viel einstecken, sie wurden z.B. bei Demonstrationen attackiert oder in der Presse schlecht dargestellt. Insgesamt zeigt sich, wie schwierig es die Friedenstruppen haben. Sie müssen sowohl Blutvergießen verhindern als auch die Konfliktparteien auseinander halten und zum anderen ihre eigene Akzeptanz aufrechterhalten. Ebenso im Zypern-Konflikt wurde die Erlaubnis zum Gebrauch von Waffen zur Selbstverteidigung kontrovers diskutiert. Dadurch waren die Erwartungen an die UNFICYP teilweise zu hoch. Umstritten bleibt, ob der Waffengebrauch die Sicherheit erhöht und dadurch die Funktion der UN-Soldaten entlastet. Hinzu kam die Tatsache, dass die UN-Friedenstruppen oftmals mindestens einer Konfliktpartei unterlegen waren. Dabei stellt sich die Frage, inwiefern militärische Überlegenheit die politischen und diplomatischen Absichten von Friedenstruppen fördert. Die Vereinten Nationen geben den Konflikt nicht auf und führen immer noch Gespräche, nun auch mit der Beteiligung von den sogenannten Garantiemächten Griechenland, Großbritannien und der Türkei. Wünschenswert wäre eine Lösung des Konfliktes, hierfür reicht nicht allein das Engagement der Vereinten Nationen, sondern der Wille und ein Einsatz auf beiden Seiten ist notwendig. Dennoch gibt es eine Freizügigkeit trotz der Trennung. Die Trennungslinie ist keine Außengrenze, sondern hier wird die Freizügigkeit der Bürger*innen gewährleistet. Dadurch können EU-Bürger*innen und somit auch griechische und türkische Zyprioten*innen diese Linie an sieben Übergängen mit dem Personalausweis passieren. Literaturverzeichnis:Textquellen:Auswärtiges Amt: ABC der Vereinten Nationen. Edition Diplomatie, hg. Von Günther Unser, 7. Auflage, Berlin 2011, S. 57.Ehrenberg, Eckhart (1991): Die UNFICYP: Praxisbeispiel für Leistungen und Probleme der Eriedenssicherung vor Ort, In: Vereinte Nationen 1/1991, vgl. S.1-6.Gareis, Sven Bernhard/ Warwick, Johannes (2014): Die Vereinten Nationen, hg. Verlag Barbara Budrich Opladen & Toronto, 5.Auflage, vgl. S.111-148.Gorge, Remy (1986): Zypern und die Mutterländer, In: Vereinte Nationen 4/86, vgl. S.130-134.Jett, Dennis C. (2000): Why Peacekeeping Fails, In: New York, vol. S.23f.Menning, Gerhard (1974): Zypern-Mitwirkung der UNO an einer Lösung des Konflikts, In: Vereinte Nationen 6/74, vgl. S.172-176.Sucharipa-Behrmann, Lilly (1999): Die friedenserhaltende Operation der Vereinten Nationen, In: Cede/Sucharipa-Behrmann 1999, vgl. S. 232-239.Internetquellen:Auswärtiges Amt (2018): Aktuelle Lage im Zypernkonflikt, unter: https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/zypern-node/-/210292 (eingesehen am 26.09.2020).Auswärtiges Amt (2020): UN-Friedensmissionen und deutsches Engagement, unter: https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/internationale-organisationen/uno/04-friedensmissionen-un/205586 (eingesehen am 26.09.2020).Deutsche Gesellschaft für die Vereinte Nationen: Organe der UN-Friedenssicherung, unter: https://frieden-sichern.dgvn.de/friedenssicherung/organe/ (eingesehen am 26.09.2020).Faustmann, Hubert (2009): Die Verhandlungen zur Wiedervereinigung Zyperns: 1974 - 2008, unter: https://www.bpb.de/apuz/32118/die-verhandlungen-zur-wiedervereinigung-zyperns-1974-2008 (eingesehen am 26.09.2020).Gareis, Sven Bernhard (2015): UNO – Stärken und Schwächen einer Weltorganisation, unter: https://www.bpb.de/izpb/209686/uno-staerken-und-schwaechen-einer-weltorganisation?p=1 (eingesehen am 26.09.2020).Gürbey, Dr. Gülistan (2014): Der Zypernkonflikt, unter: https://www.bpb.de/internationales/europa/tuerkei/185876/der-zypernkonflikt (eingesehen am 26.09.2020).Lugert, Alfred (2018): Der Fall Zypern - Teil 3, unter: https://www.truppendienst.com/themen/beitraege/artikel/der-fall-zypern-teil-3/#page-1 (eingesehen am 26.09.2020).Mathis, Edeltraud: Friedenssicherung als zentraler UN Auftrag, unter: https://www.brgdomath.com/politik-wirtschaft/gerechtfertigter-krieg-tk19/uno-und-un-weltsicherheitsrat/ ( eingesehen am 26.09.2020).Mehr zu den Wiedervereinigungs-Verhandlungen (2010), unter: http://friedensbildung.de/inhalt-der-ausstellung/zypern/verhandlungen/ (eingesehen am 26.09.2020).Richter, Heinz (2009): Historische Hintergründe des Zypernkonflikts, unter: https://www.bpb.de/apuz/32116/historische-hintergruende-des-zypernkonflikts?p=all (eingesehen am 26.09.2020).
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Extremismus, Fundamentalismus, Islamismus, Islamophobie oder Islamkritik sind allesamt umstrittene Begriffe, die in öffentlichen und wissenschaftlichen Diskursen inhaltlich unterschiedlich ausgedeutet werden. Diskussionen über solche "Kernbegriffe" sind unerlässlich. Um gemeinsam wissenschaftlich arbeiten zu können, muss aber ein gemeinsames Verständnis über die verwendeten Begriffe und ihre Definition gefunden werden. Dieser Blogbeitrag plädiert für einen pragmatischen Umgang mit Begriffen und Definitionen und zeigt dies exemplarisch an dem Begriff "Islamismus". Author information
Martin Kahl
PD Dr. Martin Kahl ist Stellvertretender Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) und leitet dort den Forschungsbereich "Gesellschaftlicher Frieden und Innere Sicherheit". Er koordiniert das vom BMBF finanzierte Forschungsprojekt "KURI – Konfigurationen von gesellschaftlichen und politischen Praktiken im Umgang mit dem radikalen Islam". // PD Dr Martin Kahl is Deputy Director of the Institute for Peace Research and Security Policy at the University of Hamburg (IFSH), where he leads the research area "Societal Peace and Internal Security". He coordinates the BMBF-funded research project "Configurations of social and political practices in dealing with radical Islam (KURI)".
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Dieser Eintrag ist für menstruierende und nicht-menstruierende Personen geschrieben - das Thema Menstruation sollte nicht ausschließlich für Frauen interessant sein. Die entstehenden Müllprobleme (3) sowie Periodenarmut (1) sind Themen, die uns alle etwas angehen.Laut einer Umfrage der britischen Huffington Post geben Menstruierende umgerechnet 540 Euro jährlich für ihre Periode aus (2), dabei bestehen viele herkömmliche Periodenprodukte zum Großteil aus Plastik und sind nicht wiederverwendbar. In der EU werden jährlich schätzungsweise 49 Milliarden Periodenprodukte weggeworfen. Hersteller müssen auf der Verpackung nicht angeben, welche Inhaltsstoffe in ihren Periodenprodukten stecken. So kommt zusätzlich zur Müllproduktion noch der Einsatz synthetischer Stoffe, die das Wachstum toxischer Stoffe fördern und zum Toxischen Schocksyndrom (TSS) führen können (4).Nachdem 2017 ein US-amerikanisches Model beide Beine "wegen eines Tampons" verliert, gründet sich die Marke The Female Company, ein FemHealth-Unternehmen mit Sitz in Berlin-Friedrichshain. Angefangen mit Periodenprodukten aus Bio-Baumwolle, wie Tampons und Binden, produziert die Marke mittlerweile verschiedene nachhaltige Alternativen (4). Immer mehr menstruierende Personen nutzen zum Beispiel die Menstruationstasse. Allerdings erfordert diese etwas mehr Übung bei der Benutzung sowie sauberes Wasser und ist daher nicht für Jede (und jede Situation) geeignet (1). Aus diesem Grund möchte ich euch gerne Periodenunterwäsche am Beispiel von The Female Company vorstellen und mit ein paar Vorurteilen aufräumen.Bei Periodenunterwäsche handelt es sich um auslaufsichere Unterwäsche, in die die Binde praktisch integriert ist. Das funktioniert durch Tencel Modal, ein nachwachsender und wassersparender Rohstoff, der biologisch abbaubar ist und eine hohe Saugkraft besitzt. Die Stoffe der Unterwäsche stammen aus zertifizierter Bio-Baumwolle und sind nach OEKO-TEX STANDARD 100 zertifiziert und auf Schadstoffe geprüft. Ende 2022 hat es The Female Company geschafft, einige ihrer "Period Pantys" auf 75% biologisch abbaubaren Materialien umzustellen. Das Ziel der Marke ist es, bis Ende 2023 die erste kreislauffähige "Period Panty" herzustellen (4).Häufig wird den Produkten nachgesagt, dass sie ein unangenehmes oder nasses Gefühl hinterlassen, jedoch kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass dem nicht so ist. Die Unterwäsche besteht aus mehreren Schichten, diese saugen das Blut auf und schließen es gleichzeitig ein, so bleibt sie atmungsaktiv (5). Nach der Benutzung sollte man die Produkte kurz von Hand mit kaltem Wasser und danach bei 40 Grad in der Waschmaschine waschen (4).Am Ende ist es mir noch wichtig zu betonen, dass jede menstruierende Person anders mit ihrer Periode umgeht und sich nicht jedes Produkt für alle eignet. Die Tragedauer von Periodenunterwäsche hängt stark von der Menstruation der einzelnen Person ab. Wie bei Tampons und Binden ist es individuell, wie lange die Unterwäsche hält. Allerdings gibt es viele unterschiedliche Saugstärken der Unterwäsche (4).Auch bei diesen Produkten müssen die Preise erwähnt werden: Pro Unterhose bewegen sich die Preise zwischen 20 und 50 Euro. Das ist natürlich deutlich mehr als eine Packung Tampons oder Binden, jedoch spart man hier auf lange Sicht nicht nur Müll, sondern auch Geld (3). Für mich überwiegen die Vorteile, ich denke, dass Periodenunterwäsche die Kosten und den Versuch wert sind. Die wiederverwendbaren Produkte halten bei richtiger Pflege mehrere Jahre und wirken so nicht nur Periodenarmut entgegen, sondern tragen auch einen kleinen Teil zum Klimaschutz bei.Quellen(1) https://de.statista.com/themen/10351/periodenprodukte/ (01.12.23)(2) https://www.huffingtonpost.co.uk/2015/09/03/women-spend-thousands-on-periods-tampon-tax_n_8082526.html(01.12.23)(3) https://www.recyclist-magazin.de/post/muellvermeidung-menstruation (01.12.23)(4) https://buy.thefemalecompany.com/pages/sustainability (01.12.23)(5) https://buy.thefemalecompany.com/blogs/periodenunterwaesche-ratgeber/pantys-von-the-female-company(01.12.23)
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Stellen Sie sich folgende Situation vor: ein trans* Mann würde gerne eine Hormontherapie beginnen und braucht hierzu die Erlaubnis einer*s Psycholog*in [1]. Im Gespräch mit dieser*m ist er dazu...
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Die Corona-Warn-App so, wie sie jetzt ist, ist das Ergebnis einer sehr harten politischen Auseinandersetzung über offene vs. geschlossene Technologie. Die Bundesregierung wollte anfangs etwas ganz anderes. Jetzt erklärt sie begeistert, wie super das alles sei: Dezentral, freiwillig, open source, … Weiterlesen →
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1. EinleitungStädtereisen stehen derzeit hoch im Kurs. Dies wird unter anderem durch das schnelle Wachstum dieser Tourismusform deutlich. So verzeichneten die 33 wichtigsten städtetouristischen Destinationen zwischen den Jahren 2008 und 2017 in Bezug auf die Übernachtungsaufenthalte ein Wachstum von durchschnittlich 57 Prozent. Die große Beliebtheit spiegelt sich darüber hinaus in der Tatsache wider, dass gegenwärtig mehr als 45 Prozent der internationalen Reisen in Städte führen (vgl. Neumair/Schlesinger 2021: 210f.).Obwohl der Tourismus vielerorts ein willkommener Wachstumsmotor ist (vgl. Vogel 2020: 97f.), werden besonders große städtische Destinationen mit der Kehrseite des Tourismus, dem sogenannten Overtourism, konfrontiert (vgl. Neumair/Schlesinger 2021: 210). Die Folgen: Eine von Instagram-Touristen überschwemmte Wohnstraße in Paris, vermüllte Gassen in Florenz, picknickende Besucher in Rom, nächtlicher Partylärm in Barcelona, immer mehr Kreuzfahrtschiffe in Dubrovnik, lärmende Rollkoffer in Venedig, kiffende Touristen in Amsterdam, steigende Mieten in Lissabon, von Reisebussen verstopfte Plätze in Salzburg, Gefühle der touristischen Überfremdung auf Mallorca (Neumair/Schlesinger 2021: 201).Besonders deutlich werden die negativen Effekte des Besucherandrangs in der katalanischen Hauptstadt Barcelona, die neben Venedig als Aushängeschild des Overtourism gilt (vgl. ebd.: 211). So wendet sich die lokale Bevölkerung Barcelonas zunehmend gegen die Tourismusentwicklung und fordert im Rahmen von diversen Protestaktionen eine Regulierung und Begrenzung des Tourismus in der Stadt (vgl. Freytag/Glatter 2017: 165).Inwiefern eine solche Regulierung des Städtetourismus unvermeidbar ist, soll in der vorliegenden Arbeit untersucht werden. Hierfür wird im Anschluss an eine begriffliche Einführung (Kapitel 2) zunächst die Entwicklung Barcelonas zu einer führenden städtetouristischen Destination skizziert (Kapitel 3.1 und 3.2). Daraufhin werden die aus der starken touristischen Prägung Barcelonas resultierenden Effekte (Kapitel 3.3) und die damit einhergehende Kritik der Bewohner*innen (Kapitel 3.4) beschrieben. Inwieweit die Stadtverwaltung die von der Lokalbevölkerung geforderte Begrenzung des Tourismus realisiert und welche Herausforderungen hierbei bestehen, ist Thema des vierten Kapitels. Abschließend soll aufgezeigt werden, welche Problematik eine Begrenzung des Tourismus mit sich bringt (Kapitel 5).2. Begriffliche Grundlagen 2.1 StädtetourismusDie grundlegende Definition des Begriffs "Tourismus" (auch Fremdenverkehr, Reiseverkehr oder Touristik) stammt von der Welttourismusorganisation (UNWTO) aus dem Jahr 1993 (vgl. Freyer 2015: 2). Demnach umfasst Tourismus"die Aktivitäten von Personen, die an Orte außerhalb ihrer gewohnten Umgebung reisen und sich dort zu Freizeit-, Geschäfts- oder bestimmten anderen Zwecken nicht länger als ein Jahr ohne Unterbrechung aufhalten" (UNWTO 1993: 2).Je nach Reisedauer, Entfernung des Reiseziels und Motiv der Reise kann darüber hinaus zwischen diversen Tourismusformen differenziert werden (vgl. Freyer 2018: 2670). Eine Tourismusform, die in den letzten drei Jahrzehnten immer bedeutender wurde, ist der Städtetourismus (vgl. Krajewski 2022: 423). Sowohl neue Mobilitätsoptionen (z.B. Billigflüge) als auch die Veränderung des Reiseverhaltens begünstigen das städtetouristische Wachstum (vgl. Freytag/Popp 2009: 5; Gebhardt 2017: 226).So entscheiden sich immer mehr Reisende in Ergänzung zum Jahresurlaub für zusätzliche Kurzreisen, die häufig in Städte führen (vgl. Freytag/Propp 2009: 5). Weiterhin eröffnen Städtereisen die Möglichkeit, verschiedenste Reisemotive und Aktivitäten auf engem Raum miteinander zu verbinden (vgl. ebd.: 5–7). Somit kommt es zu einer Überlagerung von Urlaubs-, Vergnügungs-, Kultur- und Bildungsmotiven sowie geschäftlichen Motiven (vgl. Kagermeier 2008: 16).Aufgrund dieser Motiv-Gemengelage und Multioptionalität existiert keine allgemeingültige Definition für den Städtetourismus (vgl. Krajewski 2022: 426). Typisch ist jedoch die gleichzeitige Nutzung von städtischen Räumen durch die lokale Bewohnerschaft und Reisenden (vgl. Gebhardt 2017: 226). Grundlegend muss zwischen verschiedenen Formen des Städtetourismus unterschieden werden (vgl. ebd.: 427). In diesem Zusammenhang grenzt der Deutsche Tourismusverband (DTV) den primären vom sekundären Städtetourismus ab (vgl. Kagermeier 2008: 16). Beim primären oder kulturorientierten Städtetourismus"wird die Stadt aufgrund ihrer städtebaulichen Attraktivität ("Sightseeing") oder ihrer Kunst- und Kulturangebote besucht und besichtigt, was mit oder ohne Übernachtung erfolgen kann" (Krajewski 2022: 427).Hierbei ist der Besuch von kulturellen Veranstaltungen inkludiert (vgl. ebd.: 427). Das Hauptbesuchsmotiv bildet somit die Stadtbesichtigung bzw. das Stadterlebnis (vgl. Kagermeier 2008: 17). Demgegenüber ist beim sekundären Städtetourismus"nicht die Stadt selbst das Reisemotiv, sondern […] die dort verorteten Funktionen wie z.B. Einkaufs-, Veranstaltungs- oder Tagungsorte" (Krajewski 2022: 427).Zu den Hauptmotiven zählen in diesem Zusammenhang geschäftliche Gründe, Shopping oder der Besuch von Verwandten und Bekannten (vgl. Kagermeier 2008: 17). Allerdings ist hervorzuheben, dass aufgrund der hybriden Reisemotive in der Praxis keine klare Trennung zwischen diesen beiden Formen möglich ist (vgl. Freytag/Popp 2009: 7). 2.2 OvertourismIm Kontext der negativen Auswirkungen des Städtetourismus wird häufig von "Overtourism" (auch Overtourismus, Übertourismus) gesprochen (vgl. Krajewski 2022: 423). Paradigmatisch für dieses Phänomen stehen unter anderem die europäischen Städte Venedig und Barcelona, in denen wiederum bestimmte Bereiche, wie z.B. die Promenade La Rambla in Barcelona, besonders betroffen sind (vgl. Neumair/Schlesinger 2021: 210f.).Bevor der Begriff im Jahr 2017 in die breite Öffentlichkeit und Fachkreise gelang, war er primär unter dem Hashtag #overtourism auf dem Social-Media-Kanal Twitter präsent. Heute existieren zahlreiche Medienbeiträge, die die Problematik des Overtourism zum Gegenstand haben. Als exemplarisch gelten die folgenden Schlagzeilen: "Invasion der Touristen", "Tourist, du bist Terrorist", "Tourist go home! Proteste in Spanien werden aggressiver" (vgl. ebd.: 202). Trotz der vielfachen Thematisierung des Phänomens gibt es hinsichtlich des Begriffs Overtourism keine einheitlich anerkannte Definition. Eine vielfach geteilte Definition bezeichnet Overtourism jedoch als"the excessive growth of visitors leading to overcrowding in areas where residents suffer the consequences of temporary and seasonal tourism peaks, which have enforced permanent changes to their lifestyles, access to amenities and general well-being" (Milano et al. 2018).Hierbei ist allerdings nicht nur die negative Wahrnehmung von Besuchermengen und die Beeinträchtigung der Lebensqualität der Bereisten, sondern auch eine Schmälerung der Aufenthaltsqualität für die Reisenden prägend (vgl. Neumair/Schlesinger 2021: 203). Inwiefern die Lebensqualität der Einwohner*innen allerdings geschmälert wird, hängt von diversen stadtspezifischen Faktoren, wie der Größe der Stadt oder der Lage der Attraktionen, ab (vgl. Hospers 2019: 20).Ob das Stadium des Overtourism erreicht ist, wird von der Überschreitung ökonomischer, ökologischer, physischer, sozialer und psychischer Tragfähigkeiten bestimmt (vgl. Reif 2019: 264). Tragfähigkeit beschreibt in diesem Zusammenhang"the maximum number of people that may visit a tourist destination at the same time, without causing destruction of the physical, economic and sociocultural environment and an unacceptable decrease in the quality of visitors' satisfaction" (UNWTO 2018: 3).So ist die Unzufriedenheit der Einwohner*innen aufgrund von touristischer Aktivität ein Indiz für die Überschreitung der sozialen Tragfähigkeit, während steigende Miet- und Immobilienpreise und damit einhergehende Verdrängungsprozesse auf eine Überschreitung der ökonomischen Tragfähigkeit hinweisen (vgl. Reif 2019: 264). 3. Tourismusentwicklung in Barcelona 3.1 Die Anfänge des TourismusBarcelona befindet sich im Nordosten Spaniens und ist die Hauptstadt der Region Katalonien (Catalunya) (vgl. Goodwin 2019a: 126). Ausgangspunkt für die Entwicklung Barcelonas zu einer führenden städtetouristischen Destination ist die Ausrichtung der Olympischen Spiele im Jahr 1992 (vgl. Freytag/Glatter 2017: 165; Gebhardt 2017: 229). Im Rahmen der Vorbereitungen auf dieses Großereignis vollzog sich eine große Umgestaltung der ehemaligen Industriestadt mit dem Ziel, die Stadt für den Tourismus attraktiv zu machen (vgl. Gebhardt 2017: 229–232). Hierzu zählten die Verbesserung der Infrastruktur (z.B. Anlage der Ringstraßen), die Schaffung von Stränden und neuer Museen sowie die Erbauung des Olympischen Hafens (Port Olímpic) (vgl. ebd.: 229).Infolge der entstandenen Schulden und dem Wunsch, Barcelona zu einer Dienstleistungsmetropole zu transformieren, wurde im Anschluss an die Olympischen Spiele verstärkt mit privatwirtschaftlichen Akteuren kooperiert und diverse öffentliche Dienstleistungen wurden privatisiert. Die Olympischen Spiele markierten somit die Abkehr vom sogenannten "Modell Barcelona", das sich durch eine konsensorientierte Kooperation zwischen öffentlicher Verwaltung, Privatwirtschaft und Nachbarschaftsvereinigungen kennzeichnete (vgl. ebd.: 229f.). 3.2 Die Tourismus-Wachstumskoalition und externe BeschleunigungFür die Stadtverwaltung und privatwirtschaftlichen Akteure war der Tourismus ein willkommener Wachstumsmotor, der zur Wiederbelebung der Wirtschaft beitrug (vgl. Freytag/Glatter 2017: 165; Hospers 2019: 21). Im Zuge dessen kam es im postolympischen Zeitraum zur Entwicklung einer Tourismus-Wachstumskoalition, die sich primär aus Unternehmen der Hotellerie, Gastronomie sowie Reiseveranstaltern zusammensetzte. Gemeinsam mit der Stadtverwaltung teilte die Tourismus-Wachstumskoalition die Überzeugung, dass der Tourismus in Barcelona gefördert werden müsse (vgl. Gebhardt 2017: 230).Jene Wachstumskoalition wurde in den 1990er Jahren durch die Gründung der Organisation Turisme de Barcelona institutionell in den Organen der Stadt- und Tourismusentwicklung verankert, was eine unmittelbare Beteiligung dieser Akteursgruppe an der Steuerung des Tourismus implizierte (vgl. ebd.: 230–232). Die Aufgaben der Tourismussteuerung wurden somit aufgeteilt (vgl. Goodwin 2019b: 2). Während das Tourismusmanagement der Stadtverwaltung (Ajuntament de Barcelona) zugewiesen wurde, fiel das Marketing in das Aufgabengebiet von Turisme de Barcelona (vgl. ebd.). Somit erfolgte eine gemeinsame Förderung der touristischen Erschließung Barcelonas durch Politik und Privatwirtschaft, wobei die ökonomischen Akteure während dieser Zeit mit Leichtigkeit ihre Interessen durchsetzen konnten (vgl. Gebhardt 2017: 232).Das touristische Wachstum im postolympischen Barcelona, für das Turisme de Barcelona eine zentrale Rolle spielte, wurde im Laufe der Zeit durch zwei externe Faktoren verstärkt (vgl. Freytag/Glatter 2017: 165; Gebhardt 2017: 231). So erfolgte sowohl eine Zunahme internationaler Investitionen in Tourismusunterkünfte als auch eine Steigerung von Kurzzeitvermietungen von Wohnungen an Reisende, was vor allem auf Online-Plattformen wie Airbnb zurückzuführen ist (vgl. Gebhardt 2017: 235–237). 3.3 TourismuseffekteInfolge der starken Förderung durch politische und ökonomische Akteure verzeichnete der Tourismus in Barcelona ein spektakuläres Wachstum, wodurch Barcelona in Bezug auf die Hotelübernachtungen heute auf Platz sieben der europäischen Städte liegt (vgl. Goodwin 2019a: 125–126; Observatori del Turisme a Barcelona 2019: 139).So vollzog sich in den 1990er Jahren erstmals eine Verdoppelung der Hotelübernachtungen, wobei sich dieser Trend durch das kontinuierliche Wachstum im neuen Jahrzehnt fortsetzte (siehe Abbildung 1) (vgl. Gebhardt 2017: 232f.). Heute zählt Barcelona jährlich knapp 20 Millionen Hotelübernachtungen, was mehr als das Fünffache im Vergleich zum Jahr 1990 darstellt (vgl. Observatori del Turisme a Barcelona 2021: 48). In diesem Punkt unterscheidet sich die Tourismusentwicklung Barcelonas von der in anderen europäischen Städten (vgl. Goodwin 2019a: 126). Denn während bspw. der Tourismus in London zwischen 2005 und 2013 um 16 Prozent zunahm, wuchs der Tourismus in Barcelona in dieser Zeit um mehr als 54 Prozent (vgl. ebd.). Abbildung 1: Übernachtungen und Übernachtungsgäste in Hotels in BarcelonaQuelle: In Anlehnung an Observatori del Tourisme a Barcelona (2021: 48)Verschärft wird diese Problematik durch die geringe Größe der Stadt (vgl. ebd.). So kommen auf ca. 1,6 Millionen Einwohner*innen derzeit jährlich knapp 30 Millionen Reisende (vgl. Barcelona Activa o. D.), wovon ca. die Hälfte Tagesausflügler*innen sind, die vor allem über den Kreuzfahrttourismus Barcelona erreichen (vgl. Gebhardt 2017: 233).Das Wachstumstempo und die daraus resultierende starke touristische Prägung Barcelonas ziehen weitreichende Folgen nach sich, von denen die wichtigsten im Folgenden beschrieben werden. Während das Tourismusmarketing primär die positiven ökonomischen und strukturellen Synergieeffekte in den Vordergrund rückt, bekommen vor allem die Bewohner*innen Barcelonas die zahlreichen negativen Effekte des Overtourism zu spüren (vgl. Freytag/Glatter 2017: 163).So konstatiert Vogel (2020: 97f.), dass manche Städte durch ein zu hohes Touristenaufkommen schlicht überlaufen sind, wodurch in bestimmten Bereichen ein Durchkommen kaum möglich ist (siehe Abbildung 2). Die damit einhergehenden negativen "Crowding-Effekte" bekommen sowohl Reisende als auch Bereiste zu spüren (vgl. Neumair/Schlesinger 2021: 303). So vermindern bspw. das subjektive Gefühl von Enge sowie erhebliche Wartezeiten an touristischen Attraktionen die Aufenthaltsqualität für die Reisenden (vgl. Freytag/Popp 2009: 10).Auf der anderen Seite bedeutet die massive Präsenz von Reisenden für viele Einwohner*innen eine Einschränkung ihrer außerhäuslichen Mobilität (vgl. ebd.). Gekoppelt mit dem dadurch entstehenden Lärm und dem Fehlverhalten einiger Reisenden, kommt es im Extremfall dazu, dass sich die Bewohner*innen wie Statist*innen in einer Ferienlandschaft fühlen (vgl. Vogel 2020: 98). Dieses Gefühl der Überfremdung geht häufig mit einer zunehmenden Ablehnung der einheimischen Bevölkerung gegenüber dem Tourismus einher (vgl. Neumair/Schlesinger 2021: 206).Abbildung 2: Menschenmassen auf der La RamblaFoto: Lea KoppNeben das Gefühl der Überfremdung tritt die ökonomische Verdrängung der Bewohner*innen (vgl. Vogel 2020: 98). So vernachlässigt der Einzelhandel bspw. den Bedarf der Lokalbevölkerung, indem der Fokus auf die Bereitstellung tourismusspezifischer Angebote gerichtet wird (vgl. ebd.). Ein ausschlaggebender Punkt ist die Kurzzeitvermietung von Zimmern oder von ganzen Wohnungen an Reisende via Übernachtungsplattformen wie Airbnb (vgl. Gebhardt 2017: 237).Laut der aktivistischen Plattform "Inside Airbnb" betrifft dies derzeit knapp 9.500 Wohnungen und 6000 Zimmer in Barcelona, wobei 71,5 Prozent der Anbieter*innen mehrere Wohnungen gleichzeitig vermieten (vgl. Inside Airbnb 2022). Nach Angaben der Stadtverwaltung aus dem Jahr 2017 werden bis zu 40 Prozent aller Wohnungen legal an Reisende vermietet, wobei die Dunkelziffer an illegal genutzten Wohnungen die Lage noch weiter verschärft (vgl. Gebhardt 2017: 237f.).Die Folgen: Lärmbelästigung, sinkende Gewinne im Hotelgewerbe, Immobilienspekulation und vor allem Mietpreissteigerungen (vgl. Goodwin 2019a: 134). Durch die steigenden Mietpreise kommt es zur Verdrängung einkommensschwacher Bewohner*innen und somit zur Veränderung der soziodemografischen Zusammensetzung (vgl. ebd.). Ada Colau, einstige stadtpolitische Aktivistin und heutige Bürgermeisterin von Barcelona, thematisierte diesen Zusammenhang bereits 2014:Any city that sacrifices itself on the altar of mass tourism will be abandoned by its people when they can no longer afford the cost of housing, food, and basic everyday necessities. (Colau 2014)Des Weiteren kommt es durch den Tourismus und die Veränderung der Form und Intensität des Wohnens zu einer Erhöhung des Wasser- und Energieverbrauchs sowie der Abfallproduktion (vgl. Goodwin 2019a: 134). Jedoch beginnt die ökologische Belastung bereits mit der Anreise (vgl. Freytag/Popp 2009: 10), die im Fall von Barcelona zu ca. 80 Prozent mit dem Flugzeug erfolgt (vgl. Observatori del Turisme a Barcelona 2019: 75). Dabei trägt jede Flugreise mit ihrem CO2-Ausstoß zum Klimawandel und somit zur Zerstörung von Ökosystemen bei (vgl. Vogel 2020: 96f.).Es kann festgehalten werden, dass während der touristischen Entwicklung Barcelonas psychische, soziale, ökonomische und ökologische Tragfähigkeitsgrenzen überschritten wurden, was sich anhand der diversen negativen Effekte zeigt. Hierzu zählen unter anderem die Minderung der Aufenthaltsqualität für Reisende, die Schmälerung der Lebensqualität der Bewohner*innen, die Veränderung der Einzelhandelsstruktur, die Umnutzung von Wohnungen und die damit einhergehende ökonomische Verdrängung der Lokalbevölkerung sowie ökologische Belastungen durch die touristische Mobilität. Wie die Lokalbevölkerung Barcelonas auf die Effekte des Overtourism reagiert, wird im folgenden Kapitel näher beleuchtet. 3.4 TourismuskritikMit der Überschreitung der Tragfähigkeitsgrenzen änderte sich die Einstellung der ortsansässigen Bevölkerung gegenüber dem Tourismus (vgl. Neumair/Schlesinger 2021: 205). Diese veränderte Wahrnehmung lässt sich anhand des "irritation index" veranschaulichen. Hierbei handelt es sich um ein Modell, das die Entwicklung der lokalen Reaktionen auf den Tourismus anhand von vier aufeinanderfolgenden Stadien darstellt:Während anfangs vor allem über die ökonomischen Vorzüge des Tourismus Euphorie herrscht (Stadium 1: euphoria), gewöhnen sich die Einwohner*innen im Laufe der Zeit an die Reisenden und entwickeln eine gleichgültige Einstellung (Stadium 2: apathy). Diese Gleichgültigkeit schlägt jedoch in eine ablehnende Haltung um, falls die Tragfähigkeitsgrenzen überschritten werden (Stadium 3: irritation), was im schlimmsten Fall zu einer feindseligen Haltung gegenüber Reisenden führen kann (Stadium 4: antagonism) (vgl. Hospers 2019: 20).Eine Abkehr von der Begeisterung über den Tourismus zeigte sich in Barcelona erstmals im Jahr 2004, als tourismuskritische Kommentare während des Internationalen Forums der Kulturen geäußert wurden (vgl. Goodwin 2019a: 128). Ab dem Jahr 2005 kritisierten Nachbarschaftsvereinigungen zunehmend die "masificación", sprich die Überfüllung des öffentlichen Raums, die mit einer Einschränkung der außerhäuslichen Mobilität der Einwohner*innen einherging.Infolge der Vervielfachung neuer Hotelbauten und touristisch genutzter Wohnungen kam es zu einer Multiplizierung von Protestbündnissen. So traten neben die Nachbarschaftsvereinigungen tourismusspezifische lokale Bündnisse (z.B. "Barceloneta sagt es reicht!", "Die Altstadt ist nicht zu verkaufen") sowie Initiativen gegen spezifische Hotelprojekte (z.B. "kein Hotel am Rec Comtal") (vgl. Gebhardt 2017: 233–238).Eine von vielen Protestaktionen vollzog sich im Dezember 2009, als Einwohner*innen und Händler*innen aus dem Stadtteil El Raval über 500 Weihnachtskarten an die barcelonische Stadtverwaltung schickten. Auf diesen befanden sich Fotos von Prostituierten, Drogenhändler*innen sowie Reisenden, die in der Öffentlichkeit urinierten und Geschlechtsverkehr hatten. Zudem kam es im Jahr 2009 zu einem Anstieg der negativen Berichterstattung in den Medien (vgl. Goodwin 2019a: 128). Dies verwundert jedoch kaum, da die Tourismuskritik mit den Aufmerksamkeitsregeln der Medien besonders kompatibel ist (vgl. Gebhardt 2017: 240).Dass die Kritik den gesellschaftlichen Mainstream erreicht hat, zeigte sich ebenfalls in den städtischen Meinungsumfragen, die halbjährlich durchgeführt werden (vgl. ebd.: 238). So zählte die Bevölkerung erstmals im Juni 2013 den Tourismus zu den größten Problemen der Stadt, wobei sich die Lage aus Sicht der Einwohner*innen weiter verschärfte (vgl. Ajuntament de Barcelona 2013: 9). Denn während der Tourismus im Juni 2013 noch den zehnten Platz belegte, stellte er im Dezember 2016 aus Sicht der Bevölkerung das zweitgrößte Problem der Stadt dar (vgl. ebd.; Ajuntament de Barcelona 2016: 9).Zudem war im Jahr 2016 die Mehrheit der Bevölkerung Barcelonas erstmals der Meinung, dass die touristische Kapazitätsgrenze Barcelonas erreicht sei (siehe Abbildung 3, Seite 127 oben) (vgl. Observatori del Turisme a Barcelona 2019: 127). Abbildung 3 zeigt allerdings auch, dass die Bevölkerung Barcelonas nicht als homogene Gruppe betrachtet werden kann. So variiert die Meinung der Einheimischen in Bezug auf den Tourismus, was von diversen Faktoren, wie bspw. der Entfernung des Wohnorts vom Tourismusgebiet oder soziodemografischen Merkmalen, beeinflusst wird (vgl. Hospers 2019: 21f.). Neumair/Schlesinger (2021: 201) heben hervor, dass"sich die Kritik nicht nur gegen die Touristen, sondern vor allem die politischen Entscheidungsträger richtet, denen vielerorts vorgeworfen wird, […] zu spät und zu wenig energisch dagegen vorgegangen zu sein". Dies verdeutlichen die Proteste im August 2014, die als "Barceloneta Krise" bezeichnet werden. Im Rahmen dieser Demonstrationen forderten die Bewohner*innen ein neues Tourismusmodell, das strikter gegen die illegale Vermietung von Wohnungen an Reisende vorgehen sollte. Das daraufhin vom damaligen Bürgermeister getätigte Versprechen, stärker gegen die illegal genutzten Wohnungen im Stadtviertel La Barceloneta vorzugehen, wurde jedoch nicht eingehalten, weshalb der Tourismus bei den Kommunalwahlen im Jahr 2015 zum Thema wurde (vgl. Goodwin 2019a: 128).Mit dem Wahlsieg von "Barcelona en Comú" ("Barcelona gemeinsam") im Mai 2015 institutionalisierte sich der Widerstand gegen das bislang dominierende tourismusbasierte Wachstumsmodell im Stadtparlament. So griff das Programm von Barcelona en Comú diverse Forderungen der Nachbarschaftsverbände auf, wie z.B. ein Moratorium für Hotellizenzen, den Schutz des traditionellen Einzelhandels sowie die Regulierung touristisch genutzter Wohnungen (vgl. Gebhardt 2017: 239–241).Insgesamt reagieren die Einwohner*innen Barcelonas auf die Effekte des Overtourism (Kapitel 3.3) mit der Infragestellung des am Tourismus ausgerichteten Wachstums (vgl. Gebhardt 2017: 226). So wendet sich "die in den besonders stark touristifizierten Quartieren ansässige Bevölkerung und deren Nachbarschaftsinitiativen […] zunehmend gegen die fortschreitende Tourismusentwicklung" (Freytag/Glatter 2017: 165).Aus der Sicht des Großteils der Bewohnerschaft ist aufgrund der Erreichung der touristischen Kapazitätsgrenze Barcelonas und den damit einhergehenden Folgen eine Regulierung und Begrenzung des Tourismus in der Stadt unvermeidbar (vgl. Gebhardt 2017: 226; Freytag/Glatter 2017: 165). Nachfolgend werden einige der praktizierten Maßnahmen zur Regulierung des Tourismus in Barcelona vorgestellt. 4. Regulierung des Städtetourismus in Barcelona 4.1 Der strategische Tourismusplan 2010–2015Nachdem der Overtourism in Barcelona im Jahr 2004 offiziell als Problem erkannt wurde, entwickelte die Stadtverwaltung im Jahr 2008 erste Ansätze, um die Effekte des Overtourism einzudämmen (vgl. Goodwin 2019a: 125). Hierzu zählt vor allem der von der Stadtverwaltung und Turisme de Barcelona in den Jahren 2008 bis 2010 entwickelte strategische Tourismusplan (vgl. ebd.: 129). Im Fokus dieses im Jahr 2010 verabschiedeten Plans steht die Förderung eines Tourismusmodells, das "das Gleichgewicht zwischen Einheimischen und Touristen stärkt" (Ajuntament de Barcelona/Barcelona Turisme 2010: 5). Dazu solle der Tourismus in der Altstadt reguliert, das Wachstum auf Gebiete außerhalb des Stadtzentrums verlagert und die Bevölkerung stärker für den Nutzen des Tourismus sensibilisiert werden (vgl. Gebhardt 2017: 243).Allerdings wurde dieses Vorhaben bis zum Jahr 2015 nicht realisiert. Gebhardt (2017: 234) führt dies auf die Beteiligung von Turisme de Barcelona als eine Institution, die primär Vertreter*innen der Tourismusindustrie vereint, sowie das geringe Interesse an einer Regulierung aufgrund der Wirtschafts- und Finanzkrise zurück. 4.2 Strategie 2020Mit 30 Aktionslinien und 85 Maßnahmen verabschiedete die Stadtverwaltung im Jahr 2017 die Strategie 2020, die sich an die Hauptziele des strategischen Tourismusplans anlehnt. Im Zentrum der Tourismuspolitik stehen hierbei die folgenden fünf Kriterien: Nachhaltigkeit, Verantwortung, Umverteilung, Zusammenhalt und Innovation (vgl. Goodwin 2019a: 130f.).So zielen die Maßnahmen unter anderem auf die Stärkung des Tourismusmanagements sowie die Wissensgenerierung, die als Basis für eine effektive Entscheidungsfindung erachtet wird (vgl. ebd.: 133). Des Weiteren enthält die Strategie 2020 Überlegungen zur Besucherlenkung ("Visitor Management") (vgl. ebd.). Hierunter fallen "Maßnahmen zur Beeinflussung von Besuchern bezüglich ihrer räumlichen, zeitlichen oder quantitativen Verteilung sowie deren Verhaltensweisen" (Freyer 2018: 628). Auch in Bezug auf die illegale Vermietung von Wohnungen an Reisende werden Maßnahmen präsentiert (vgl. Goodwin 2019a: 133). Laut einer Evaluation aus dem Jahr 2022 wurden 67 der 85 Maßnahmen bis zum Jahr 2020 realisiert (vgl. Ajuntament de Barcelona 2022: 2). 4.3 Konkrete MaßnahmenAuf Basis der Strategie 2020 entwickelte die Stadtverwaltung Barcelonas diverse Maßnahmen zur Regulierung des Städtetourismus (vgl. Gebhardt 2017: 245). Vor allem die derzeitige Bürgermeisterin Barcelonas, Ada Colau, ist in diesem Kontext für Gegenmaßnahmen bekannt (vgl. Vogel 2020: 98). Im Folgenden werden exemplarisch einige der Maßnahmen vorgestellt, die die Stadtverwaltung Barcelonas zur Begrenzung des Tourismus ergriffen hat.Reduzierung der BesucherzahlEine häufig praktizierte Maßnahme, um die Besucherzahl zu reduzieren, ist die Beschränkung bzw. Kontingentierung des Zugangs zu touristischen Attraktionen (vgl. Neumair/Schlesinger 2021: 216). So wurde bspw. im Jahr 2013 der Zugang zum Park Güell, einer der berühmtesten Sehenswürdigkeiten Barcelonas, für Reisende eingeschränkt (vgl. Goodwin 2019b: 20). Während die gesamte Parkanlage für die Einwohner*innen Barcelonas frei zugänglich ist, erhalten demnach maximal 800 Besucher*innen pro Stunde Zugang zur sogenannten monumentalen Zone, die knapp acht Prozent der Gesamtfläche des Parks ausmacht (vgl. ebd.).Darüber hinaus können Reisende von bestimmten Attraktionen ausgeschlossen werden (vgl. Neumair/Schlesinger 2021: 216). Diesen Schritt vollzog die Stadtverwaltung im Jahr 2015 in Bezug auf die berühmte Markthalle La Boquería, indem an Freitagen und Samstagen Touristengruppen ab 15 Personen zeitweise der Zugang zum Markt untersagt wurde (vgl. ebd.: 216f.). Hierdurch sollte den Einwohner*innen Barcelonas wieder ein ungestörtes Einkaufen ermöglicht werden (vgl. ebd.).Zur Reduzierung der Besucherzahl sind weiterhin die Einführung bzw. die Erhöhung von Steuern auf touristische Leistungen (z.B. Übernachtungs- und Beherbergungsleistungen) sowie die Einführung von Eintrittspreisen auf touristische Attraktionen mögliche Maßnahmen (vgl. Neumair/Schlesinger 2021: 217). So wurde der Zugang zur monumentalen Zone im Park Güell nicht nur beschränkt, sondern auch an Eintrittstickets gebunden, wodurch die Zahl der Besucher*innen von neun auf ca. zwei Millionen sank (vgl. Goodwin 2019b: 20).Darüber hinaus besteht die Option, Übernachtungsmöglichkeiten in Hotels oder Privatunterkünften wie Airbnb zu limitieren (vgl. Neumair/Schlesinger 2021: 217). So reguliert die Stadtverwaltung Barcelonas touristische Unterkünfte durch den im Jahr 2017 eingeführten "Besonderen Stadtentwicklungsplan für touristische Unterkünfte" (Plan especial urbanístico de alojamientos turísticos, PEUAT) (vgl. Gebhardt 2017: 241).Dieser legt eine Beschränkung und Dekonzentration des Wachstums von touristischen Unterkünften sowie ein Nullwachstum für touristisch genutzte Wohnungen fest (vgl. ebd.). Eine Eröffnung von neuen Privatunterkünften ist somit nur möglich, wenn andere schließen (vgl. Goodwin 2019a: 135). Ob eine Wohnung über eine für die touristische Nutzung notwendige Lizenz verfügt, können Reisende sowie Einwohner*innen auf einer von der Stadtverwaltung geschaffenen Webseite überprüfen (vgl. ebd.).DispersionNeumair/Schlesinger (2021: 218) sehen allerdings in der Dispersion, "der räumlichen und zeitlichen Entzerrung der Touristenströme", die vielversprechendste Strategie im Umgang mit den Effekten des Overtourism. Auch Barcelona strebt eine Dezentralisierung der Touristenströme an (vgl. Maier-Albang 2022). Hierfür sollen Besucherströme auch in die benachbarten Gemeinden der Provinz Barcelona umgelenkt werden (vgl. Goodwin 2019b: 20).Des Weiteren sollen Touristenströme vor allem durch die Nutzung von Big Data entzerrt werden (vgl. ebd.: 19). Hierfür wurde bspw. die App "Check Barcelona" entwickelt, die unter anderem Informationen über aktuelle Besucherzahlen und Wartezeiten bei Sehenswürdigkeiten sowie Mobilitätsempfehlungen bereitstellt (vgl. Maier-Albang 2022; Barcelona Turisme o. D.).4.4 Schwierigkeiten bei der Regulierung des Städtetourismus in BarcelonaHäufig wird im Kampf gegen den Overtourism vorgeschlagen, an den touristischen Verkehrsmitteln anzusetzen (vgl. Neumair/Schlesinger 2021: 218). In diesem Zusammenhang stehen Maßnahmen wie bspw. Anlegestopps für Kreuzfahrtschiffe, die Erhöhung von Steuern auf Kerosin oder Landegebühren auf Flughäfen, die darauf zielen, Billigfluglinien abzuhalten (vgl. ebd.: 218; Vogel 2020: 101).Allerdings entziehen sich sowohl der Flughafen "El Prat" als auch der Hafen Barcelonas weitgehend dem Einfluss der Stadtverwaltung (vgl. Goodwin 2019a: 132f.). Dies gilt ebenfalls für die große Zahl an Reisenden, die im nahegelegenen Girona oder an der Costa Brava ihren Urlaub verbringen und Barcelona im Rahmen von Tagesausflügen besuchen (vgl. ebd.). Somit hat "die Stadtverwaltung von Barcelona praktisch keine Möglichkeit, die Zahl der Touristen und Tagesausflügler per Flugzeug, Bahn, Straße oder Schiff zu begrenzen" (Goodwin 2019a: 133).Insgesamt hat Barcelona jedoch ein umfassendes Programm zur Regulierung des Tourismus entwickelt, das weitaus mehr als die in diesem Kapitel vorgestellten Maßnahmen beinhaltet und als Inspirationsquelle für andere Städte dienen kann (vgl. Goodwin 2019a: 136). Hierbei gilt es allerdings zu beachten, dass es sich um keine allgemeingültigen Lösungen handelt und die Wirksamkeit der Maßnahmen stets kontextabhängig ist (vgl. UNWTO 2018: 7). 5. Problematik von RegulierungsmaßnahmenIn der Diskussion über die Regulierung des Tourismus wird häufig, vor allem von der Wachstumskoalition, auf die Abhängigkeit der lokalen Ökonomie vom Tourismus verwiesen und aus diesem Grund eine Regulierung abgelehnt (vgl. Gebhardt 2017: 234f.). In diesem Zusammenhang generiert der Tourismus in Barcelona knapp 150.000 Arbeitsplätze, was in etwa 14 Prozent der Gesamtbeschäftigung darstellt (vgl. Observatori del Turisme a Barcelona 2019: 154). Darüber hinaus macht der Tourismus rund 14 Prozent des Bruttoinlandprodukts von Barcelona aus (vgl. Barcelona Activa o. D.). Dass der Tourismus wirtschaftliche Vorteile mit sich bringt, steht somit außer Frage (vgl. Milano et al.).Allerdings müssen politische Entscheidungsträger erkennen, dass dem touristischen Wachstum Grenzen gesetzt sind und dass durch eine Überschreitung dieser Grenzen Overtourism entsteht, was diverse Effekte und Kritik nach sich zieht (Kapitel 3.3 und 3.4) (vgl. ebd.). Dass "mehr" immer "besser" bedeutet, ist in diesem Zusammenhang ein Trugschluss (vgl. Hospers 2019: 21). Ist eine Stadt bereits vom Overtourism betroffen, können die genannten Gegenmaßnahmen (Kapitel 4.3) die Lage entlasten. Allerdings wird dieses Programm das Fernweh der Reisenden insgesamt nicht bremsen können (vgl. Vogel 2020: 99).Außerdem bringt die Regulierung des Tourismus eine weitere Problematik mit sich, die Vogel (2020: 101f.) als "demokratisches Paradox" beschreibt. Auf der einen Seite würde demnach die Beschränkung des Tourismus mit dem demokratischen Anspruch, allen das Reisen zu ermöglichen, kollidieren. Die meist mit der Begrenzung des Tourismus einhergehende Verknappung und Verteuerung des Angebots würde demzufolge dazu führen, dass das Reisen erneut zu einem Privileg der Eliten werden würde.Auf der anderen Seite führt die fundamentale Demokratisierung des Reisens dazu, dass die Einheimischen aufgrund der diversen Tourismuseffekte (Kapitel 3.3) verdrängt werden, wodurch "der Anspruch, jedem das Reisen zu ermöglichen, mit einem mindestens ebenso […] demokratischen Bestreben, den […] Tourismus zu begrenzen" kollidiert. Insgesamt lässt sich dieses demokratische Paradox nur schwer auflösen, weshalb Vogel (2020: 102) dafür plädiert, weniger das Reisen an sich, sondern vielmehr das Reisen in seiner derzeitigen Form in Frage zu stellen. 6. FazitZusammenfassend entwickelte sich Barcelona seit der Ausrichtung der Olympischen Spiele im Jahr 1992 zu einer führenden städtetouristischen Destination, die heute knapp 30 Millionen Reisende pro Jahr anzieht. Einen erheblichen Beitrag hierzu leistete die Tourismus-Wachstumskoalition und die damaligen politischen Entscheidungsträger*innen, für die der Tourismus ein willkommener Wachstumsmotor darstellte. Zudem beschleunigten externe Faktoren wie die Zunahme an internationalen Investitionen und die Entstehung von Online-Vermietungsplattformen das Wachstumstempo.Im Rahmen dieser Entwicklung wurden jedoch psychische, soziale, ökonomische und ökologische Tragfähigkeitsgrenzen überschritten, was sich anhand der negativen Effekte des Overtourism äußert. Neben der Verminderung der Zufriedenheit von Gästen und Einwohner*innen zählen hierzu unter anderem tourismusinduzierte Gentrifizierungsprozesse sowie ökologische Belastungen durch die touristische Mobilität. Diese Überschreitung der Tragfähigkeitsgrenzen markierte für die Bewohner*innen entsprechend des irritation index den Wendepunkt von der anfänglichen Euphorie hin zur Irritation und Ablehnung des Tourismus. Exemplarisch steht hierfür die Aufforderung "Tourist go home", die durch zahlreiche Protestaktionen zum Ausdruck gebracht wurde.Für den Großteil der Bewohnerschaft Barcelonas ist demnach eine Regulierung des Städtetourismus notwendig. Nach einer zunächst zögerlichen Begrenzung präsentierte die Stadtverwaltung vor allem mit der Strategie 2020 ein Arsenal an Maßnahmen zur Steuerung des Tourismus, von denen der Großteil bereits realisiert wurde. Neben Maßnahmen, die auf eine Reduzierung der Besucherzahl zielen, gilt vor allem die räumliche und zeitliche Entzerrung der Touristenströme als ein vielversprechender Ansatz.Dass eine Regulierung des Tourismus aus Sicht der Bewohnerschaft und aktuellen Stadtverwaltung unvermeidbar ist, liegt somit auf der Hand. Allerdings kollidiert das demokratische Anliegen, den Tourismus zu begrenzen, mit dem ebenso demokratischen Anspruch, allen das Reisen zu ermöglichen. Somit ist eine Regulierung des Städtetourismus auf der einen Seite notwendig, auf der anderen Seite vertieft diese jedoch Ungleichheiten. Inwiefern eine neue Form des Reisens wie z.B. "Slow Travelling" eine Alternative zur Beschränkung des Tourismus darstellt, bleibt offen.LiteraturAjuntament de Barcelona (2013): Baròmetre semestral de Barcelona: Resum de Resultats, [online] https://bcnroc.ajuntament.barcelona.cat/jspui/bitstream/11703/86695/1/11539.pdf [abgerufen am 18.03.2023].Ajuntament de Barcelona (2016): Baròmetre semestral de Barcelona: Resum de Resultats, [online] https://bcnroc.ajuntament.barcelona.cat/jspui/bitstream/11703/99553/1/r_16037_Resum%20de%20resultats.pdf [abgerufen am 18.03.2023].Ajuntament de Barcelona (2022): Avaluació del Pla Estratègic de Turisme 2020, [online] https://ajuntament.barcelona.cat/turisme/sites/default/files/220208_avaluaciopet20_v2_0.pdf [abgerufen am 11.03.2023].Ajuntament de Barcelona/Barcelona Turisme (2010): City of Barcelona Strategic Tourism Plan: Diagnosis and strategic proposal, [online] https://bcnroc.ajuntament.barcelona.cat/jspui/bitstream/11703/86343/1/4064.pdf [abgerufen am 08.03.2023].Barcelona Activa (o. 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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat es wieder geschafft. Der konservative Islamist hat sich bei der Präsidentenwahl am Sonntag gegen seinen sozialdemokratisch orientierten Gegenkandidaten Kemal Kilicdaroglu mit gut vier Prozentpunkten Vorsprung durchgesetzt. Wieder einmal hat ein Despot gesiegt, wieder einmal hat die Linke versagt. Dieses erschreckende Muster ist nicht nur in der Türkei zu erkennen, es gilt in vielen... The post Erdogans Triumph – Beispiel für das Versagen der Linken – Gastbeitrag von Lutz Heuken first appeared on Blog der Republik.
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Ohne eine günstige und üppige Energieversorgung, die an Verlässlichkeit nichts vermissen lässt, ist der Wohlstand unserer Gesellschaft undenkbar. Seit der Zeit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert ist die Frage der Energieversorgung zunehmend in den Mittelpunkt unserer ökonomischen Interessen gerückt. Damit wurde das Thema Energieversorgung auch zum Gegenstand der Politik. Seit dieser Zeit haben alle deutschen Regierungen sich mit Priorität darum bemüht, dass Energie in Deutschland in ausreichendem Maße zur Verfügung steht und für breite Schichten der Gesellschaft und für möglichst alle Industrieanwendungen zu einem akzeptablen Preis angeboten werden kann.Hat es sich dabei zu Beginn dieses Prozesses vor allem darum gedreht, wie man möglichst günstig und in großen Mengen an primäre Energieträger kam, vornehmlich Kohle, später Öl und Gas, so hat sich in den letzten zwanzig Jahren vieles in Deutschland verändert. Seit die Naturwissenschaften uns immer eindrucksvoller vor Augen führen, dass fossile Energieträger durch den Ausstoß von Treibhausgasen den Klimawandel herbeigeführt haben und in zunehmendem Maße verschärfen, ist der Menschheit und damit auch Deutschland in großem Stil daran gelegen, Energiequellen zu erschließen, die der Umwelt keinen Schaden zufügen, uns gleichzeitig aber nicht in die Vormoderne zurückfallen lassen.Eine breite gesellschaftliche Debatte ist seitdem entstanden, mit welchen Methoden man am besten dieses Ziel erreichen kann und welche sich eher nicht eignen, um dem Klimawandel zu begegnen und gleichzeitig den Industriestandort Deutschland nicht zu gefährden. Insbesondere die Partei Bündnis90/Die Grünen und die ihr nachgeordneten Lobbyorganisationen hatten einen entscheidenden politischen Einfluss auf die deutsche Gesellschaft und Politik, sodass in den letzten zwei Dekaden ein Transformationsprozess in Gang gesetzt wurde, der es sich zum Ziel setzt, die deutsche Volkswirtschaft mit sauberen und erneuerbaren Energien zu versorgen. Dieser Prozess, der gemeinhin als Energiewende bezeichnet wird, ist extrem vielgestaltig und umfasst einen radikalen und durchgehenden Umbau unserer Art, Energie zu erzeugen und zu nutzen, und ist ein international einmaliges und vielbeachtetes Projekt.Energiewende in Deutschland – Begriffsklärung "Der Wohlstand unserer Gesellschaft hängt von einer funktionierenden Energieversorgung ab. Ohne Strom, Wärme und Mobilität ist unser Alltag nicht mehr denkbar. Das Ziel der Energiewende ist es deshalb, eine sichere, wirtschaftliche und umweltverträgliche Energieversorgung zu realisieren. Die Erforschung von Technologien und gesellschaftlichen Konzepten zur nachhaltigen Energieerzeugung, -umwandlung und -verteilung stehen daher im Fokus dieses Projekts." (BMBF 2023)Die Energiewende beschreibt nach dieser Definition also einen umfassenden, aber auch notwendigen Umbau unserer Energieversorgung. Dieser Umbau ist notwendig, da beim Verbrennen von fossilen Energieträgern wie Kohle, Öl oder Gas Treibhausgase entstehen (vgl. BMBF, 2023), welche den Klimawandel verursachen und zunehmend verschärfen. Die Energiewende fußt im Grunde auf zwei Säulen. Erstens geht es um die Versorgung der deutschen Volkswirtschaft und der deutschen Bevölkerung durch Erzeugung und Speicherung von Energie (hauptsächlich Strom), der aus erneuerbaren Quellen stammen soll. Vor allem Wind- und Wasserkraft, aber auch Solarenergie stehen dabei im Vordergrund. So sollen die erneuerbaren Energien bis 2050 rund 60% unseres Bruttoendenergieverbrauchs und sogar 80% unseres Bruttostromverbrauchs decken. (vgl. BMBF, 2023)Da Sonne und Wind ohne Speichertechnik aber nicht grundlastfähig sind, also nicht kontinuierlich zur Verfügung stehen, muss Deutschland neue Technologien entwickeln, um überschüssigen Strom langfristig speichern zu können, um ihn dann in das Netz einzuspeisen, wenn er benötigt wird, oder in anderer Form in nutzbare Energie umzuwandeln und an anderer Stelle zu einem späteren Zeitpunkt zur Verstromung zu nutzen oder für andere Anwendungen. Solche Arten der Umwandlung sind vor allem Power-to-Gas, also die Umwandlung von elektrischem Strom in Wasserstoffgas. Dieses durch Elektrolyseverfahren gewonnene Gas kann entweder durch Brennstoffzellen verstromt werden oder in das Erdgasnetz eingespeist werden. (vgl. BMBF, 2023)"Ebenso denkbar ist die Umwandlung von überschüssigem Wind- oder Solarstrom in Wärme (Power-to-Heat), in flüssige Kraftstoffe (Power-to-Fuel) oder in Basischemikalien (Power-to-Chemicals)." (BMBF, 2023)Die Speicherung von überschüssigem Strom aus erneuerbaren Energien soll also vielerlei Gestalt annehmen. Zweitens ist es notwendig, den Energieverbrauch im großen Stil zu reduzieren, dazu soll bis 2050 rund 50% weniger Primärenergie verbraucht werden als 2008. Erreicht werden soll dies durch verschiedene Innovationen in unterschiedlichen Bereichen. Von effizienteren Motoren und Kraftwerken über Gebäudesanierungen bis hin zu Einsparungen bei Industrieprozessen. Ein weiterer Schritt ist die Nutzung der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) bei der die entstandene Wärme aus der Stromgewinnung bei Industrieprozessen oder zum Heizen genutzt werden soll. (vgl. BMBF, 2023)Diese großflächige Speicherinfrastruktur befindet sich gerade erst im Aufbau und wird erst in der Zukunft eine große Rolle bei der Transformation weg von fossilen Energieträgern hin zu erneuerbaren Energien spielen. Ebenfalls Zukunftsmusik ist die notwendige Dezentralisierung unserer Energieversorgung. Große konventionelle Kraftwerke werden in Zukunft keine Rolle mehr bei der Energiegewinnung in Deutschland spielen, sondern ersetzt werden durch eine dezentrale Struktur mit zahlreichen kleinen Produktionsanlagen. Dafür müssen sich unsere Stromnetze massiv verändern hin zu intelligenten Stromnetzten, an denen alle relevanten Akteure wie Produzenten, Verteiler und Verbraucher beteiligt sein müssen (vgl. BMBF, 2023), wenn das Projekt gelingen soll.Die Energiewende beschreibt also einen massiven Transformationsprozess aller unserer Lebensbereiche, um unsere Gesellschaft und unsere Volkswirtschaft in eine nachhaltige Energieversorgung zu überführen, die auf erneuerbaren Energien fußen soll. Eine Form der erneuerbaren Energien hat hier bisher noch keine Erwähnung gefunden und ist in den Medien und der Forschung auch bei weitem nicht so stark präsent wie Wind- und Solarenergie, nämlich die Geothermie. Um diese Energieform soll es in diesem Beitrag gehen.Funktionsweise der Geothermie"99 % der Erde sind heißer als 1.000 °C – ein gewaltiges Energiepotenzial." (EnBW, 2023) Es ist nach diesem Zitat nicht verwunderlich, dass sich ausgerechnet ein Energiekonzern so sehr für eine erneuerbare Energiequelle einsetzt. Doch bevor man sich anschaut, welches Potenzial Geothermie für Deutschland hat, sollte man sich anschauen, wie diese Form der Energiegewinnung funktioniert, denn daraus leitet sich ab, ob und wo Geothermie genutzt werden kann."Geothermie bezeichnet die in der Erdkruste gespeicherte Wärmeenergie und die ingenieurtechnische Nutzung. Geothermie kann zum Heizen, Kühlen und zur Stromerzeugung eingesetzt werden. In Deutschland steigt die Temperatur in der Erdkruste durchschnittlich um 3 Kelvin pro 100 Meter an. Dementsprechend erschließen oberflächennahe und tiefe Geothermie Bereiche unterschiedliche Temperaturniveaus." (Umweltbundesamt, 2023)Geothermie nutzt also die natürliche Wärme des Erdinneren. Je tiefer man bohrt, desto wärmer wird es. Es werden daher auch grundsätzlich zwei Arten von Geothermie voneinander unterschieden: Die oberflächennahe Geothermie und die tiefe Geothermie. (vgl. UBA, 2023) Bei der oberflächennahen Geothermie handelt es sich um eine Variante dieser Energieerzeugung, die in geringer Tiefe und mit geringer Temperatur arbeitet. Bei tiefer Geothermie werden mehrere Kilometer tiefe Bohrlöcher benötigt, um Erdschichten mit hohen Temperaturen erreichen zu können."Die Oberflächennahe Geothermie nutzt den Untergrund bis zu einer Tiefe von ca. 400 m und Temperaturen von bis zu 25 °C für das Beheizen und Kühlen von Gebäuden, technischen Anlagen oder Infrastruktureinrichtungen. Hierzu wird die Wärme oder Kühlenergie aus den oberen Erd- und Gesteinsschichten oder aus dem Grundwasser gewonnen. Neben klassischen Anwendungsformen zur Bereitstellung von Raumwärme und Warmwasser wird die Oberflächennahe Geothermie auch zur Beheizung von Gewächshäusern sowie zur Enteisung von Weichen oder Parkplätzen eingesetzt." (Bundesverband Geothermie e.V., 2023)Sie ist damit die am häufigsten genutzte Form der Erdwärme, da sie für viele auch private Anwendungen in Frage kommt. In Deutschlands privaten Hauhalten und öffentlichen Gebäuden wie Krankenhäusern oder Schulen sind Stand 2020 über 440.000 Geothermieanlagen unterschiedlichster Machart verbaut. Jährlich kommen etwa 20.500 (vgl. Bundesverband Geothermie e.V., 2023) dieser Oberflächenanlagen dazu. In der folgenden Abbildung (siehe Link) sieht man eine der gängigsten Formen der oberflächennahen Geothermie, wie sie hauptsächlich in privaten Wohnhäusern verbaut wird: https://www.geothermie.de/fileadmin/_processed_/d/9/csm_Schema_Haus_WP_BV_20171024_final_deutsch_ed82c836bd.jpg Bei der oberflächennahen Geothermie werden einige Unterkategorien unterschieden (Abbildung siehe Link): https://www.geothermie.de/fileadmin/_processed_/5/3/csm_181122_Blockgrafik_Geothermie_003-02_bc7ad8b59a.jpg Von allen diesen Unterkategorien hat sich die Erdwärmesonde als die häufigste Variante durchgesetzt. Diese Sonden sind senkrechte Bohrungen, in die mit einer Art Zement befestigte Rohre eingelassen werden. Diese Rohre werden mit einer Trägerflüssigkeit befüllt. Dabei handelt es sich meist um Wasser, welches mit Frostschutzmittel versetzt wurde. Dieses Wasser nimmt die Wärme aus dem Inneren der Erde auf und transportiert sie zur Wärmepumpe an die Oberfläche.Für das Bahnnetz zum Beispiel zum Beheizen von Weichen kommen spezielle Anlagen zum Einsatz, die CO2 als Trägerflüssigkeit nutzen. Wenn mehrere oder größere Einheiten gleichzeitig durch dieselbe Anlage beheizt werden sollen, wird ein ganzes Sondenfeld in den Boden eingebracht. Dies ist aber aufwändiger und bedarf einer sehr genauen Planung, damit sich die einzelnen Sonden nicht gegenseitig die Wärme entziehen. (vgl. Bundesverband Geothermie e.V., 2023)Bei größeren Projekten wie z.B. Wohngebieten können auch Brunnenanlagen verbaut werden. Diese müssen aber mit Filteranlagen ausgestattet sein, um Verunreinigungen des Grundwassers zu verhindern. Daneben können auch Erdwärmekollektoren ins Erdreich eingelassen werden oder sogenannte Energiepfähle. Bei beiden ergibt sich ein finanzieller Vorteil durch die dafür nur in geringem Maße notwenigen Aushubarbeiten. (vgl. Bundesverband Geothermie e.V., 2023)Da die Temperaturen im Sommer an der Oberfläche höher sind als im Erdinneren kann Geothermie auch als Ersatz für herkömmliche Klimaanlagen verwendet werden. Grundsätzlich benötigen alle Arten von Geothermie eine Form von Wärmetauschung, die elektrischen Strom benötigt. In diesen Wärmepumpen befindet sich eine Chemikalie, die bereits bei geringer Temperatur verdampft. Das dabei entstehende Gas wird in einem Kompressor verdichtet. Der so erreichte Druck wird als Wärme an das Heizungssystem abgegeben. Wenn das Gas abkühlt, verflüssigt es sich wieder, der Druck wird durch ein Ventil abgebaut. (vgl. Bundesverband Geothermie e.V., 2023)"Die tiefe Geothermie stößt gegenüber der oberflächennahen Nutzung von Erdwärme in andere Dimensionen vor. Es werden nicht nur Wärmereservoire in größeren Tiefen erschlossen und dabei Bohrlöcher von bis zu fünf Kilometer Tiefe gebohrt. Auch die damit betriebenen Anlagen sind wesentlich größer und leistungsfähiger." (UBA, 2023)Grundsätzlich funktioniert tiefe Geothermie genauso wie oberflächennahe Geothermie. Es gibt aber einige technische Unterschiede, die das Potenzial dieser Variante verändern und Einfluss haben auf ihre Anwendungsmöglichkeiten. Tiefe Geothermie ist vollständig unabhängig von den Jahreszeiten und sehr leistungsstark. Ganze Stadtviertel können damit über Fernwärme versorgt werden. Bei entsprechender Tiefe und damit Temperatur kann mit tiefer Geothermie sogar Strom erzeugt werden. (vgl. UBA, 2023) Bei der tiefen Geothermie werden grundsätzlich drei Typen unterschieden.Bei tiefen Erdwärmesonden ist das Prinzip dasselbe wie bei oberflächennahen Sonden. Der Unterschied besteht neben der Tiefe des Bohrlochs aufgrund der hohen Temperaturen darin, dass keine Wärmepumpe benötigt wird. Die Wärme kann direkt durch das Heizungssystem verwendet werden. (vgl. Bundesverband Geothermie e.V., 2023) Der entscheidende Vorteil dieses Typs liegt darin, dass er nahezu überall genutzt werden kann, da es sich um einen geschlossenen Wasserkreislauf handelt, für den kein Austausch mit dem Grundwasser notwendig ist. Das System kann einfach mit Wasser befüllt werden, welches dann in die Tiefe geleitet wird und so die Wärme nach oben transportiert.Genau das ist bei der hydrothermalen Geothermie anders. Sie ist auf natürliche Grundwasserreservoirs angewiesen. Ohne Gesteinsschichten, die ausreichend Grundwasser führen, ist diese Variante also nicht nutzbar, da das Thermalwasser über eine Bohrung nach oben und über eine zweite Bohrung wieder nach unten geleitet werden muss. (Abbildung hier: https://www.geothermie.de/fileadmin/_processed_/e/7/csm_Geotherm_Energiebereitstellung_de_thumb_03_62a402241e.png)Sind keine natürlichen Thermalwasservorkommen vorhanden, gibt es noch die Möglichkeit, dieses künstlich in das Gestein zu pressen. Die sogenannte petrothermale Geothermie ist die Variante mit den größten Potenzial in Deutschland, da hier durch Stimulationsmaßnahen im Erdreich die Gegebenheiten, die es braucht, um tiefe Geothermie zu nutzen, künstlich hergestellt werden. Das Gestein wird durch Geoengineering so präpariert, dass man unter hohem Druck Wasser in die Gesteinsschicht presst, welches sich dann in der Tiefe aufwärmt. (vgl. Bundeverband Geothermie e.V., 2023) Dieses warme Wasser kann dann wie gewohnt zur Wärmegewinnung genutzt werden.Neben diesen gängigen Formen der Geothermie gibt es noch einige Sonderformen wie das Speichern saisonal anfallender Wärme z.B. beim Kühlen von Gebäuden oder die Nutzung von Erdwärme aus Tunneln und Bergbauanlagen. (vgl. Bundesverband Geothermie e.V., 2023)Potenzial der Geothermie in Deutschland"Die Erdwärme steht uns ganzjährig und verlässlich zur Verfügung, sie ist wetterunabhängig, krisensicher und nahezu unerschöpflich. Darum ist es richtig, die Nutzung der Erdwärme in Deutschland weiter voranzubringen. Wir haben daher einen Konzeptvorschlag mit acht konkreten Maßnahmen entwickelt, den wir in einem ersten Schritt zur Konsultation stellen wollen, um darauf aufbauend konkrete Geothermieprojekte an den Start zu bringen. Die Nutzung der Erdwärme muss nach unserer Einschätzung konsequent zusammen gedacht werden mit dem Ausbau und der Dekarbonisierung der Wärmenetze. Denn beides ist gerade für Kommunen und bei der Entwicklung einer klimaneutralen Wärmeversorgung wichtig." (Robert Habeck)Dieses Zitat des Bundesministers für Wirtschaft und Klimaschutz spricht Bände darüber, welche Bedeutung der Geothermie in Zukunft beigemessen werden wird. Das Potenzial der Geothermie hängt mit ihrer Funktionsweise zusammen, die ihre Anwendungsmöglichkeiten bedingt. Bis 2030 sollen fünfzig Prozent der Wärmeleistung in Deutschland klimaneutral erzeugt werden. Dazu soll unter anderem ein geothermisches Potenzial von 10 TWh erschlossen werden. (vgl. BMWK, 2023)Besonderes Potenzial wird der Geothermie, geographisch gesehen, in solchen Regionen beigemessen, in denen die Wärmeerzeugung auch ohne Wärmepumpen möglich ist. Diese Regionen sind vor allem die norddeutsche Tiefebene, der Oberrheingraben und das Alpenvorland (siehe Link unten für Kartenübersicht). Hier haben sich mehrere Projekte bereits etabliert, einige davon auch bereits mit großer Heizleistung (vgl. BMWK, 2022). Karte: https://www.stadtwerke-speyer.de/de/Ueber-uns/Engagement/Geothermie/Geothermie/Geothermie-temperaturkarte-3500-unter-nn-20220316__scaled__317_451.png Bayern ist bei der Nutzung der tiefen Geothermie Vorreiter in Deutschland und hat bereits konkrete Pläne für die zukünftige Nutzung in seinem Energiekonzept erarbeitet. So soll mittelfristig 1% des bayrischen Gesamtverbrauchs durch diese Technologie gedeckt werden und etwa 0,6% des Stromverbrauchs. Bei der oberflächennahen Geothermie gehen die Zahlen der zu verbauenden Anlagen in die zehntausende. (vgl. Bayrisches Energiekonzept, 2011)Hier zeigt sich aber bereits eine Begrenzung der Nutzung von Geothermie. Während oberflächennahe Geothermie nahezu überall genutzt und vor allem für das Heizen und Kühlen von kleinen bis mittleren Gebäudeeinheiten eingesetzt werden kann, ist die tiefe Geothermie auf einige Regionen in Deutschland beschränkt. Jedenfalls nach dem aktuellen Wissensstand.Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz will in den nächsten zwei Jahren eine großangelegte Datenkampagne fahren, um eine einheitliche Lagebeschreibung für die Nutzung der Geothermie in ganz Deutschland zu erstellen. In einer entsprechenden Explorationskampagne im Jahr 2023 an etwa hundert Standorten, an denen günstige Bedingungen zu erwarten sind, soll das Potenzial näher erforscht werden. (vgl. BMWK, 2022)Des Weiteren ist bisher die Nutzung von Geothermie für die Stromproduktion noch nahezu unerforscht. Forschungsprojekte wie z.B. der EnBW in Bruchsal oder im elsässischen Soultz-sous-Forêts sollen diese Wissenslücke schließen, befinden sich aber erst im Aufbau. Welches Potenzial sich hier für die deutsche Energiewende ergeben wird, lässt sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen. Die Stromproduktion mit Geothermie an einem Standort der Stadtwerke München ist zugunsten der Wärmegewinnung zum Heizen eingestellt worden. (vgl. Bundesverband Geothermie e.V., 2023)Die Frage bleibt also, welches Potenzial Geothermie denn nun tatsächlich hat. Klar ist, dass Geothermie nicht den gesamten Wärmebedarf in Deutschland decken kann. Während oberflächennahe Geothermie überall eingesetzt werden kann, um Gebäude zu beheizen, so gibt es in der Industrie Anwendungen mit über 200 Grad Celsius, die nicht durch Geothermie in Kombination mit einer großen Wärmepumpe bereitgestellt werden können. Trotzdem können in Deutschland 70 GW Leistung installiert werden und damit bis zu 300 TWh pro Jahr an Wärmeleistung. Dies entspricht in etwa der Hälfte des zukünftigen Wärmebedarfs aller Gebäude in Deutschland. (vgl. DW, 2023)Damit entfaltet die Geothermie eine Leistung, die zumindest für einen sehr großen Bereich der Energie- und Wärmewende ein großes Potenzial aufweist. Wenn man in Betracht zieht, wie stiefmütterlich dieses an und für sich gewaltige Energiepotenzial bisher genutzt wurde, kann hier von einer kleinen Wärmerevolution gesprochen werden, die unsere Art zu heizen und zu kühlen grundlegend verändern wird. Geothermie ist gerade auf dem besten Weg, in einigen Jahren ein fester Bestandteil unseres Alltags zu werden. Die große Unbekannte an dieser Stelle bleibt die Frage, ob Stromproduktion mit Geothermie in Deutschland in großem Umfang überhaupt möglich ist oder ob es nicht doch eher zugunsten der Wärmegewinnung ungenutzt bleiben sollte.Beispiel MünchenIn München erstreckt sich ein über 900 Kilometer langes Fernwärmenetz (vgl. SWM, 2023), das die meisten Münchner Haushalte mit Wärme zum Heizen versorgt. Um dieses riesige Netz klimaneutral zu bekommen, wird einiges an Anstrengung nötig sein. Doch die Stadt München sitzt auf ihrer eigenen nachhaltigen Wärmequelle.Wie bereits oben erwähnt, eignet sich das Alpenvorland, zu dem München gehört, besonders gut für alle Arten von Geothermie. Im Grunde ist ganz Bayern für diese Methode der Wärmegewinnung gut geeignet. Theoretisch könnten bis zu 40% des bayrischen Wärmebedarfs durch Geothermie gedeckt werden. 25% sind von der bayrischen Staatsregierung als Zielmarke ausgegeben worden. (vgl. SZ, 2022) In München sollen mehrere Standorte zusammenwirken, um zwischen 70% und 80% des Wärmebedarfs zu decken. (vgl. Münchner Merkur, 2022) Sechs Anlagen sind derzeit in Betrieb: Die Geothermieanlage Freiham ist seit 2016 in Betrieb und liefert Fernwärme an den Münchner Westen. In Dürrnhaar steht seit 2012 eine Anlage, die zur Stromproduktion verwendet wird. In Kirschstockach wurde ursprünglich Strom produziert. Dies wurde aber zugunsten von Fernwärme aufgegeben. Sie produziert seit 2013. In Sauerlach wird ebenfalls Strom und Fernwärme produziert. Sie ist eine der leistungsstärksten Anlagen in München. Die Anlage in Riem zur Wärmeerzeugung ist seit 2004 in Betrieb und hat damit die Vorreiterrolle inne. Sie ist für die Messestadt und die Neue Messe München zuständig. In München-Sendling steht Deutschlands leistungsstärkste Geothermieanlage. Sie wird in Zukunft Fernwärme für 80.000 Menschen liefern können. (vgl. SWM, 2023)Ziel der Stadt München ist es, bis 2040 durch Fernwärme ihren Wärmebedarf klimaneutral zu decken. (vgl. SWM, 2023) Damit ist München zu einer Art Modellstadt für die deutsche Energiewende und für Interessenten aus der ganzen Welt geworden, die in der Geothermie einen entscheidenden Beitrag zum Klimaschutz und zur Energiesicherheit sehen.In München und in ganz Südbayern hat sich jedenfalls ein Boom hinsichtlich der Geothermie entwickelt. Die Süddeutsche Zeitung spricht von einer Goldgräberstimmung. (vgl. SZ, 2022) Ein durchaus passender Ausdruck angesichts des bergbaulichen Charakters, den diese Technologie nun mal an sich hat. In jedem Falle sind Politik und Unternehmen auf die Region aufmerksam geworden und wollen dort zum Teil große Summen investieren. Allein die Stadt München will bis zu einer Milliarde Euro in den Ausbau der Geothermie investieren, um ihre Ziele bezüglich der Nutzung der Geothermie zu erreichen. (vgl. Münchner Merkur, 2022) Der Bund wird ebenfalls drei Milliarden Euro in den Ausbau dieser Technologie stecken und einige private Unternehmen haben große Investitionen angekündigt. (vgl. SZ, 2022)Es gibt aber auch einige Dinge, die man durchaus als Nachteile dieser Technologie ansehen könnte und die in München zu Herausforderungen führen. Wie bereits erwähnt, ist es notwendig, bergbauartige Maßnahmen zu ergreifen, um Geothermie nutzen zu können. Dies setzt einen hohen Aufwand voraus und hat hohe Einstandskosten zur Folge (vgl. SZ, 2022). Des Weiteren ist die Nutzung von Geothermie zur Wärme- und Stromproduktion gleichzeitig momentan nur bei Neubaugebieten profitabel. (vgl. Münchner Merkur, 2022)Es stehen also noch einige ungeklärte Fragen in München im Raum. Dennoch kann man sagen, dass dieses großangelegte Projekt den Charakter einer Blaupause für andere Ballungsgebiete haben wird, in denen Geothermie ebenfalls in diesem Umfang möglich wäre. Städte wie Hamburg, Bremen oder Mannheim liegen ebenfalls in Gebieten mit großem Potenzial für Geothermie, in einigen davon sind auch schon Projekte hierzu angelaufen. (vgl. Bundesverband Geothermie e.V., 2023)FazitEiner der wichtigsten Bestandteile der Energiewende ist die Dezentralisierung der Energieversorgung. Dies betrifft nicht nur Standorte, sondern auch die Formen der Energiegewinnung. Wenn man sich also von der Geothermie das Potenzial gewünscht hätte, dass diese Technologie die endgültige Lösung der Energiefrage ist, wird man enttäuscht werden. Der Bundesverband Geothermie e.V. selbst spricht von einem zwar großem, aber auch begrenzten Potenzial. Wir werden also in diese Technologie investieren, wahrscheinlich sogar sehr viel. Aber wir werden auch andere Formen der Energiegewinnung benötigen, um die Energiewende zu schaffen.Es hat durchaus etwas Befreiendes zu wissen, dass man hier auf etwas gestoßen ist, das Grenzen hat. In einer Zeit, in der die Dimensionen von Konsum und Produktion Ausmaße angenommen haben, die nach menschlichem Ermessen kaum noch erfassbar sind und eigentlich auch kaum noch zu kontrollieren, ist die Geothermie ein Stück weit eine Antithese zu dieser Grenzenlosigkeit. Das Umweltbundesamt sagt, dass die technologischen Herausforderungen der Geothermie beherrschbar und lokal begrenzt sind. Nicht jedes Land und nicht jede Region kann Geothermie in derselben Weise nutzen. Inwieweit Geothermie in der Zukunft eine Rolle spielen wird, bleibt auch in Deutschland damit noch offen und bedarf weiterer Forschung. QuellenBayerische Staatsregierung (2011). Bayerisches Energiekonzept "Energie innovativ" BMBF / Bundesministerium für Bildung und Forschung (2023). Geothermie. https://www.bmbf.de/bmbf/de/forschung/energiewende-und-nachhaltiges-wirtschaften/energiewende/energiewende_node.html Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (2023). 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Goldgräberstimmung im Münchner Süden. https://www.sueddeutsche.de/muenchen/landkreismuenchen/muenchen-stadtwerke-geothermie-erdwaerme-laufzorn-1.5722522 SWM / Stadtwerke München (2023). Geothermie: Den Schatz aus der Tiefe sinnvoll nutzen https://www.swm.de/magazin/energie/geothermie Stadtwerke Speyer (2023). Geothermie. https://www.stadtwerke-speyer.de/geothermie?ConsentReferrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F Umweltbundesamt (2023). Geothermie. https://www.umweltbundesamt.de/themen/klima-energie/erneuerbare-energien/geothermie#oberflachennahe-geothermie
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verfasst von Meta Cramer Was ist Fremdheit? Georg Simmels populäre Beschreibung des Fremden, als "der Wandernde, […] der heute kommt und morgen bleibt" (Simmel 1908: 685), gilt auch noch heute häufig als Ausgangspunkt soziologischer Überlegungen zu Fremdheit und Entfremdung. Aktuell findet eine breite theoretische wie empirische Auseinandersetzung mit dem Thema...
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Vortrag von Sina Marie Nietz bei Festo am 24.10.2019 (verschriftlichte Form)Der Titel dieses Vortrags beinhaltet mehrere "Riesenbegriffe": Globalisierung und Digitalisierung, zwei Begriffe, die heutzutage geradezu inflationär genutzt werden und dabei ganz unterschiedliche Prozesse und Entwicklungen beschreiben. Autonomer Individualverkehr, Pflege-Roboter, softwaregesteuerte Kundenkorrespondenz und Social Media, Big-Data-Ökonomie, Clever-Bots, Industrie 4.0. Die Digitalisierung hat ökonomische, kulturelle und politische Auswirkungen auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Die zunehmenden technischen Möglichkeiten vor allem durch KI zwingen uns auch zu einer Auseinandersetzung mit ethischen Fragen und unseren bisherigen Konzepten von Intelligenz. Was zeichnet menschliches Handeln aus? Wie unterscheidet sich menschliche, natürliche Intelligenz von Künstlicher? Die Frage, was menschliches Handeln und menschliche Intelligenz von Maschinen unterscheidet, wird aus einem Alltagsverständnis heraus häufig mit Emotionen wie Empathie, Mitgefühl, Einfühlungsvermögen, Mitmenschlichkeit beantwortet. All diese Begriffe wollen wir nun zunächst einmal unter "emotionaler Intelligenz" zusammenfassen, bevor wir uns zu einem späteren Zeitpunkt näher damit auseinandersetzen werden.Globalisierung – ein weiterer überaus komplexer Begriff, der genutzt wird, um ganz unterschiedliche Prozesse zu beschreiben. Globalisierung meint die Verflechtung von Handelsbeziehungen und Kommunikationstechnologien sowie den Anstieg von Mobilität. Globalisierung umfasst zunehmende transnationale Abhängigkeiten in Form von losen Abkommen, Verträgen und Gesetzen. Globalisierung bedeutet auch, dass Organisationen wie NGOs, transnationale Institutionen, Konzerne und Staaten über Ländergrenzen hinweg agieren und kooperieren. Globalisierung meint jedoch auch globale Herausforderungen wie internationalen Terrorismus und vor allem die Klimakatastrophe. In dieser Zeit zunehmender Verflechtungen und internationaler Abhängigkeiten lassen sich gleichzeitig nationalistische Tendenzen beobachten, die der zunehmenden Öffnung gesellschaftliche Abschottung entgegenzusetzen versuchen. Die Frage nach Öffnung oder Abschottung polarisiert und spaltet. In der Wissenschaft wird von einer neuen gesellschaftlichen Konfliktlinie, einer cleavage gesprochen. Die cleavage zwischen Öffnung und Abschottung, zwischen Kosmopoliten und Nationalisten, zwischen Rollkoffer und Rasenmäher.Die Ergebnisse der letzten Europawahlen im Mai 2019 haben jene cleavage eindeutig widergespiegelt. Die etablierten Parteien, allen voran CDU/CSU und SPD, haben erneut massiv Wählerstimmen eingebüßt. Wohingegen auf der einen Seite der neuen gesellschaftlichen Konfliktlinie die AfD mit ihrem Abschottungskurs und auf der anderen Seite die Grünen, die klare Kante für Kosmopolitismus verkörpern, Stimmenzuwächse verzeichnen konnten. Auch in anderen europäischen Ländern sahen die Wahlergebnisse programmatisch vergleichbarer Parteien ähnlich aus.Bereits seit der Wirtschafts- bzw. "Eurokrise" erhalten rechtspopulistische Parteien zunehmend Zuspruch in ganz Europa. Deutschland war mit der AfD in dieser Hinsicht ein Nachzügler. Der Begriff "Rechtspopulismus" ist dabei nicht ganz unproblematisch. Zum einen dient er als sogenannter "battle term", um gegnerische Parteien oder PolitikerInnen zu degradieren. Zum anderen findet er keine einheitliche Verwendung, sondern wird genutzt, um einen Politikstil, eine rhetorische Strategie, eine Mobilisierungsstrategie oder eine politische Ideologie zu bezeichnen. Des Weiteren bildet sich zunehmend der Konsens heraus, dass mit dem Begriff auch die Gefahr der Verharmlosung in Bezug auf Parteien oder Personen einhergeht, die ihrer politischen Gesinnung nach eigentlich als rechtsradikal bis rechtsextrem einzuordnen sind. Trotz dieser Schwierigkeiten hat sich in den vergangenen Jahren durch zahlreiche Publikationen ein wissenschaftlicher Konsens geformt. Im Folgenden soll die Definition von Rechtspopulismus nach Jan Werner Müller, einem der federführenden Populismusforscher in Deutschland, umrissen werden. Populismus leitet sich von dem lateinischen Wort "populus", zu deutsch "Volk", ab. Der Bezug auf das Volk ist für jede Form des Populismus essenziell. In der Logik des Populismus stehen "dem Volk" die "korrupten Eliten", das Establishment gegenüber ("Altparteien", "Eurokraten"…). Es ist prinzipiell variabel, wer zu den Eliten zählt. In diesem Zusammenhang wird häufig das vermeintliche Paradoxon Donald Trump angeführt. Dieser zählt aufgrund seines Vermögens definitiv zu einer finanziellen Elite, kann sich jedoch aufgrund seines Mangels an Politikerfahrung als Politikaußenseiter, als "Mann aus dem Volk" und Sprachrohr des Volkes darstellen.Jan Werner-Müller zufolge sind RechtspopulistInnen immer anti-elitär, doch nicht jeder, der Eliten kritisiert, ist auch automatisch ein Rechtspopulist. Es muss immer noch ein zweites Kriterium gegeben sein, nämlich das des Anti-Pluralismus. In einer pluralistischen Gesellschaft konkurrieren zahlreiche verschiedene Organisationen, gesellschaftliche Gruppierungen und Parteien um wirtschaftliche und politische Macht. Es herrscht außerdem Vielfalt in Form von Meinungen und unterschiedlichen Lebensentwürfen. Rechtspopulismus lehnt diese Vielfalt ab. Es findet demnach nicht nur eine Abgrenzung nach oben zu "den Eliten", sondern auch nach unten ("Sozialschmarotzer") bzw. außen ("der Fremde", "der Islam", "die Flüchtlinge", Homosexuelle) statt. Rechtspopulistische Repräsentanten behaupten, ein homogen gedachtes "wahres Volk" mit einem einheitlichen Volkswillen zu vertreten. So wird ein moralischer Alleinvertretungsanspruch postuliert. Da der homogen konstruierte Volkswille in der Logik des Rechtspopulismus a priori feststeht und RechtspopulistInnen diesen repräsentieren, bedarf es keiner anderen Parteien oder Vertreter. Daraus ergibt sich jedoch ein Logikproblem, wenn sie dann bei Wahlen nicht die Mehrheit der Stimmen auf sich vereinen können. So betrug der Stimmenanteil der AfD bei der Bundestagswahl 2017 12,6%. Um diese Differenz "erklären" zu können, werden verschwörungstheoretische Erklärungsmuster wie das einer "schweigenden Mehrheit" herangezogen. Es werden gezielt Zweifel am politischen System, an den Medien ("Lügenpresse") und der Wissenschaft gesät. Es wird auf vermeintliche Fehler im System und die angebliche Unterdrückung des "eigentlichen Volkswillens" verwiesen. So schaffen RechtspopulistInnen eine Parallelwelt der "alternativen Fakten" und tragen zur Spaltung der Gesellschaft bei.Betrachtet man die verschiedenen rechtspopulistischen Parteien und Bewegungen in Europa, stößt man auf Unterschiede in deren Inhalten und Strategien. So hat Geert Wilders in den Niederlanden beispielsweise immer eine sehr liberale Gesellschaftspolitik vertreten, etwa in Form liberaler Abtreibungsgesetze und der Befürwortung gleichgeschlechtlicher Ehen. In Polen fährt die PiS-Partei hingegen einen katholisch geprägten konservativen Kurs hinsichtlich gesellschaftspolitischer Themen, wie auch die FPÖ in Österreich. Als gemeinsame Klammer dient allen rechtspopulistischen Parteien ihre ablehnende bis feindliche Haltung gegenüber Migration und "dem Islam". Die ausgrenzende Gesinnung bildet demnach das Kernelement rechtspopulistischer Ideologien. Das bedeutet, dass es keinen Rechtspopulismus ohne Feindbilder gibt.Und damit wären wir bei der ersten These meines heutigen Vortrags: Feindbilder sind das Kernelement von Rechtspopulismus. Rechtspopulistische Parteien greifen gezielt xenophobe Vorurteile, Stereotype und Emotionen wie Angst und Hass auf, schüren diese und verbreiten sie so. Wir werden gleich noch darauf zu sprechen kommen, wie sie dies genau machen. Vorurteile sind eine effektive Strategie, um Ungleichheit oder die Entstehung von Ungleichheit zu legitimieren. Hier dockt der Populismus perfekt an die bereits vorhandene Ungleichheitsideologie unserer meritokratischen Leistungsgesellschaft an. Unsere freie Marktwirtschaft basiert auf der Annahme der Notwendigkeit von Ungleichheit und legitimiert diese durch unterschiedliche Mechanismen. Stichworte in diesem Kontext lauten: survival of the fittest, Leistungsprinzip, Konkurrenzdruck in Zeiten von Outsourcing von Arbeitsplätzen und Zeitarbeit, Selbstoptimierung, Humankapital.Ich würde Sie an dieser Stelle gerne zu einem kurzen Exkurs in die Kognitionswissenschaft einladen, um die Bedeutung von Vorurteilen und Stereotypen für das menschliche Denken und Handeln näher zu erläutern. Der menschliche Verstand benötigt Kategorien zum Denken, zum Einordnen und Verarbeiten von Sinneseindrücken und Informationen. Andernfalls würde der Prozess der Informationsverarbeitung viel zu viel Zeit beanspruchen und wir wären nicht handlungsfähig. Wir ordnen unsere Eindrücke also bestimmten, vorgefertigten Kategorien zu. Innerhalb einer Kategorie erhält nun alles dieselbe Vorstellungs- bzw. Gefühlstönung. Der Grad der Verallgemeinerung hängt mit dem Wissen über die einzuordnende Information zusammen. Auf die rechtspopulistischen Ausgrenzungsstrategien bezogen ergibt sich Folgendes: Es wird das Feindbild "Islam" konstruiert und mit Eigenschaften wie "Gewalt" und "Terror" verknüpft. Dabei wird nicht zwischen verschiedenen Strömungen und Glaubensrichtungen unterschieden, sondern alles zu einem homogenen Gebräu innerhalb derselben Kategorie umgerührt. Individuen, die aufgrund von Herkunft, Religionszugehörigkeit, Ethnie etc. dieser Gruppe zugezählt werden, werden als Teil der Feindgruppe gedacht, nicht als Individuen. Sie werden objektiviert und entmenschlicht. Das Leiden des Einzelnen geht in der Masse unter und Empathie wird verhindert. Einzelne Ausnahmen werden als solche anerkannt, um das Gesamtbild, bzw. die gebildeten Kategorien, aufrechterhalten zu können. Und damit sind wir bei der zweiten These angelangt: Die Verallgemeinerung rechtspopulistischer Ausgrenzungsstrategien verhindert Empathie.Die einfache Zweiteilung des Freund-Feind-Denkens geht mit einer enormen Reduktion von Komplexität einher - ein attraktives Angebot in Zeiten zunehmender Komplexität und Undurchschaubarkeit (Stichwort Globalisierung). Doch wie werden diese Feindbilder nun genau erzeugt und aufrechterhalten? Hierzu bedienen sich rechtspopulistische Akteure unterschiedlicher rhetorischen Strategien.Rechtspopulistische Sprache ist zumeist eine reduktionistische und sehr bildhafte Sprache. Es werden häufig Metaphern verwendet, die Träger einer Botschaft sind. So ist der im Kontext der Migrationsbewegungen ab 2015 oft verwendete Begriff "Flüchtlingswelle" kein neutraler Begriff. Die Zusammensetzung der beiden Worte "Flüchtlinge" und "Welle" impliziert eine unaufhaltsame Naturgewalt, gegenüber der es sich durch Bauen eines Dammes abzuschotten gilt. Zudem finden auch biologistische Metaphern wie "Flüchtlingsschwärme" ihren Einzug in rechtspopulistische Narrative. Die Entlehnung nationalsozialistisch geprägter Begriffe wie beispielsweise "völkisch" durch Akteure der AfD hat nicht nur einmal zu medialer Aufmerksamkeit geführt. Weitere häufig verwendete rhetorische Strategien und Stilmittel sind Wiederholungen, Wortneuschöpfungen, Tabubrüche, kalkulierte Ambivalenz und auch die eingangs erwähnten Verschwörungstheorien. Ich möchte diese Stilmittel nicht im Einzelnen näher ausführen. Aber ich möchte auf die Beziehung zwischen Rechtspopulismus und Medien aufmerksam machen. Es gab in den vergangenen Monaten zahlreiche Beispiele für Tabubrüche seitens der AfD, die nach und nach zu einer Diskursverschiebung geführt hat, die mit einer Normalisierung von Gewalt in der Sprache im öffentlichen Diskurs einhergeht.Medien und Populismus folgen ähnlichen Kommunikationsstrategien wie beispielsweise Personalisierung, Emotionalisierung, Dramatisierung und Komplexitätsreduktion. Trotz der grundlegend feindlichen Einstellung rechtspopulistischer Parteien gegenüber der "Lügenpresse" gehen Populismus und Massenmedien eine Art Symbiose ein. Die Massenmedien sind auf Schlagzeilen angewiesen und die PopulistInnen auf mediale Aufmerksamkeit. Eine besondere Rolle spielen insbesondere seit dem letzten US-Wahlkampf soziale Medien wie Twitter. Trump bezeichnete sich einmal selbst als den "Hemingway der 140 Zeichen". Durch seine kurzen Tweets in einer einfach gehaltenen Sprache vermittelt er Nahbarkeit und inszeniert sich als Sprachrohr des Volkes. Immer in Abgrenzung zu der abgehobenen, korrupten Politikelite mit ihrer "political correctness". Es scheint, als würden "gefühlte Wahrheiten" schwerer wiegen als Fakten, so wird häufig vom Anbruch des postfaktischen Zeitalters gesprochen. Das Leugnen wissenschaftlicher Erkenntnisse bei gleichzeitiger Fokussierung auf "alternative" und "gefühlte Wahrheiten" birgt die Gefahr einer zunehmenden Parallelwelt der Fakten.Durch Echokammern und Filterblasen verfestigen sich eigene Einstellungen und die politische Meinung. Die neue Rechte hat sich zudem die Funktionsweise von Algorithmen und Bots zunutze gemacht und wirkt dadurch in Sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter, aber auch in Foren und Blogs unheimlich präsent. Medien sind hier keine Einrichtungen im Sinne von Organisationseinheiten mit besonderen Rechten, Sach- und Personalmitteln, sondern Räume und Kanäle. Dialogroboter sind zugleich Werkzeug und Medium einer neuen Kommunikationswelt. In den Massenmedien kann man eine stetige Zunahme von dialogischer Kommunikation beobachten. Dialogroboter werden funktional wie Massenmedien eingesetzt, funktionieren strukturell aber nach den Prinzipien interpersoneller Kommunikation.Kehren wir zu den beiden Ausgangsthesen zurück. Erstens: Feindbilder sind ein Kernelement von Rechtspopulismus. Zweitens: Die Verallgemeinerung von Feindbildern verhindert Empathie. Nun stellt sich die Frage nach möglichen Lösungsansätzen. Wie kann der dargelegten Objektivierung von Menschen durch Feindbilder entgegengewirkt werden? Welche Gegenstrategien gibt es? Häufig werden sehr allgemeine Handlungsempfehlungen ausgesprochen oder die Ausführungen zu möglichen Lösungen sehr kurz gehalten, sodass der politikwissenschaftliche Diskurs bisweilen in Bezug auf die Gegenstrategien ungenau und schwammig bleibt.Ich möchte Ihnen heute einen spezifischen Ansatz vorstellen, der darauf abzielt, Empathie als Teil emotionaler Intelligenz zu stärken, um rechtspopulistischen Feindbildern präventiv zu begegnen. Die gezielte Schulung von Empathie als Teil emotionaler Intelligenz. Das Konzept der emotionalen Intelligenz (EQ) kam in den 1990er Jahren auf, federführend unter den Sozialpsychologen John D. Mayer und Peter Salovey. Das gleichnamige Buch veröffentlichte 1995 Daniel Goleman. Bereits damals wurde Empathie als eine "Schlüsselkompetenz" emotionaler Intelligenz gefasst. Hier wurde zum einen der Versuch unternommen, auf die Bedeutung von Gefühlen beim Erreichen beruflicher Ziele und des eigenen Lebensglücks zu verweisen, zum anderen EQ messbar zu machen, sodass bald darauf zahlreiche EQ-Tests folgten. Der Versuch, Intelligenz anhand von Testsituationen oder ähnlichen Verfahren messbar zu machen, geht jedoch mit einigen Aspekten einher, die es kritisch zu betrachten gilt. Vor allem stellt sich, wie auch bei den klassischen IQ-Tests (auf denen im Übrigen unser heutiges Verständnis von Intelligenz beruht) die Frage, ob tatsächlich das gemessen wird, was gemessen werden soll. In einer Leistungsgesellschaft, die dem Diktat der Transparenz und Messbarkeit (PISA, Evaluationen etc.) unterworfen ist, haben es schlecht messbare emotionale Kompetenzen wie Empathie schwer.Die zunehmenden Abhängigkeiten im Kontext der Globalisierung weisen eigentlich in Richtung Kooperation. Die vorherrschende Ideologie unserer Gesellschaft basiert jedoch nach wie vor auf dem Konkurrenzprinzip. Die meritokratische Leistungs- und Wettbewerbsideologie des freien Marktes hat ein empathiefeindliches Umfeld geschaffen. Zudem lässt die Hyperindividualisierung Empathie unwahrscheinlicher werden. Das Wachstum des "Ichs" als Instanz der Nicht-Ähnlichkeit führt zur Kultivierung eines Bewusstseins für Differenzen anstatt für Gemeinsamkeiten. Je mehr wir uns auf die Unterschiede konzentrieren, desto schwieriger werden empathische Empfindungen und Handlungen, da diese eine Identifikation mit dem Anderen voraussetzen. Des Weiteren hat insbesondere im Bildungsdiskurs viele Jahre lang eine einseitige Fokussierung auf Rationalität stattgefunden. Diese impliziert eine künstliche Trennung zwischen Emotionalität und Rationalität. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass verschiedene gesellschaftliche, politische, aber vor allem auch ökonomische Faktoren wie die neoliberale Konkurrenz- und Wettbewerbsideologie, das Diktat der Messbarkeit, die Hyperindividualisierung sowie die einseitige Fokussierung auf Rationalität der Etablierung von Empathie als Schlüsselkompetenz des 21. Jahrhunderts im Weg standen und noch immer stehen. Doch was bedeutet Empathie eigentlich konkret in einem wissenschaftlichen Verständnis? Empathie stammt von dem griechischen Wort "Pathos", zu deutsch "Leidenschaft". Umgangssprachlich ist mit Empathie die Fähigkeit des Sich-in-jemand-Einfühlens oder Hineinversetzens gemeint. Empathie hat eine kognitive (Wahrnehmung der Interessen des Anderen) und eine affektive (dabei entstehende Gefühle) Komponente. Die Entstehung von Empathie erfolgt in drei Schritten: Soziale Perspektivenübernahme, Identifikation, Empathie. Die Übernahme einer anderen Perspektive erlernen wir bereits im Kleinkindalter. Zunächst anhand der Übernahme räumlicher Perspektiven. Durch den zweiten Schritt, die Identifikation mit einer anderen Person oder einem anderen Lebewesen, entsteht das Potenzial für die empathische Einfühlung in jene Person oder jenes Lebewesen. Aus dieser empathischen Empfindung kann wiederum ein gewisses Aktionspotenzial entstehen, wenn beispielsweise eine Ungerechtigkeit Empörung auslöst und zur Aktion gegen jene Ungerechtigkeit führt.Wir kommen nun zu der dritten These meines Vortrags: Empathie kann gezielt gelehrt und gelernt werden. Jüngste wissenschaftliche Erkenntnisse belegen, dass Empathie eine erlernbare Fähigkeit ist. Die deutsche Neurowissenschaftlerin und Psychologin Tania Singer hat im Rahmen einer großangelegten Untersuchung, dem "ReSource-Projekt" am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften die Wirkung von Meditation auf das Verhalten und die damit verbundenen Veränderungen im Gehirn untersucht. Die Idee, die hinter diesem Forschungsprojekt steht, war die Suche nach einer Möglichkeit, gezielt soziale Fähigkeiten wie Mitgefühl, Empathie und die "Theory of Mind" zu fördern. Die Untersuchung ging über einen Zeitraum von elf Monaten und bestand aus unterschiedlichen Modulen. Im "Präsenzmodul" lag der Schwerpunkt vor allem auf der Achtsamkeit gegenüber geistigen und körperlichen Prozessen. Das Modul "Perspektive" konzentrierte sich auf sozio-kognitive Fähigkeiten, insbesondere die Perspektivenübernahme. Ein drittes Modul "Affekte" sollte den konstruktiven Umgang mit schwierigen Emotionen sowie die Kultivierung positiver Emotionen schulen. Die Probanden führten die entsprechenden Übungen täglich mit ihren zugeordneten Partnern durch Telefonate oder Videoanrufe aus.Das Team um Tania Singer konnte nach den drei Monaten mithilfe von Gehirnscans eine tatsächliche Verbesserung der Kompetenzen der TeilnehmerInnen feststellen, die mit struktureller Gehirnplastizität in den spezifischen neuronalen Netzwerken einhergingen. Das sozio-affektive Modul konnte so tatsächlich zur Verbesserung der Fähigkeit des Mitgefühls beitragen. Das sozio-kognitive Modul hingegen hat die Fähigkeit verbessert, sich gedanklich in die Perspektive eines anderen zu versetzen. Die Studie hat gezeigt, dass Empathie und Mitgefühl erlernbare Kompetenzen sind, die durch entsprechende Übungen gezielt gefördert werden können. Dazu bedarf es jedoch zunächst einer Anerkennung von Empathie als einer erlernbaren Kompetenz.Fassen wir zusammen: Rechtspopulismus agiert immer über Feindbilder. Diese Feindbilder basieren auf der Konstruktion einer homogenen Feindgruppe. Durch Verallgemeinerung werden den Individuen innerhalb dieser Feindgruppe Subjektivität und Individualität abgesprochen und so die Entstehung von Empathie verhindert. Die rechtspopulistische Ungleichheitslogik schließt an die Ungleichheitslogiken unserer kapitalistischen Gesellschaftsordnung an. Die Wettbewerbs- und Konkurrenzideologie hat ein empathiefeindliches Umfeld geschaffen. Zudem hat sich die Bildung zu lange einseitig auf Rationalität konzentriert. Daher gilt es, Empathie als eine soziale und emotionale Fähigkeit mit kognitiven Anteilen im bildungswissenschaftlichen Diskurs zu verankern. So können rechtspopulistische Differenzierungskategorien wie Nationalität oder Religion sowie die Verallgemeinerungen zugunsten einer Fokussierung auf Gemeinsamkeiten und Mitmenschlichkeit überwunden werden. Um in einer vernetzten, globalisierten Welt intelligent handeln zu können, nützt ein Rückzug in nationalistische Freund-Feind-Denkweisen nicht. Vielmehr gilt es, auf Kooperation und Empathie zu setzen, auch wenn diese nicht immer messbar ist. Vielen Dank.Literatur- und Quellenverzeichnis:Allport, Gordon W. (1971): Die Natur des Vorurteils. Köln: Kiepenheuer & Witsch. Bischof-Köhler, Doris (1989): Spiegelbild und Empathie. Die Anfänge der sozialen Kognition. Hans Huber: Berlin, Stuttgart, Toronto.Decker, Frank (2017): Populismus in Westeuropa. Theoretische Einordnung und vergleichende Perspektiven. In: Diendorfer, Gertraud u.a. (Hrsg.) (2017): Populismus – Gleichheit – Differenz. Herausforderungen für die politische Bildung. Schwalbach/Ts.: Wochenschau Wissenschaft, S. 11-28.Holtmann, Everhard (2018): Völkische Feindbilder, Ursprünge und Erscheinungsformen des Rechtspopulismus in Deutschland. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.Mudde, Cas / Kaltwasser, Cristóbal Rovira (2017): Populism. A Very Short Introduction. New York: Oxford University Press.Müller, Jan-Werner (2016): Was ist Populismus? Ein Essay. Berlin: Edition Suhrkamp.ReSource-Projekt: https://www.resource-project.org/ [10.09.2019]Wodak, Ruth (2016): Politik mit der Angst. Zur Wirkung rechtspopulistischer Diskurse. Wien/Hamburg: Edition Konturen.
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− von Svea Gockel Ziel des vorliegenden Artikels ist es, einen möglichen Zusammenhang von Hate Speech und Rechtspopulismus am Beispiel der AfD aufzudecken. Dabei soll der Frage nachgegangen werden, inwiefern Hate Speech ein agitatorisches Mittel rechtspopulistischer Parteien darstellt. Beispielhaft soll dies am Diskurs um die rot-grünen Bildungspläne "Sexuelle Vielfalt" der...
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