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"From 2017 to 2021, poaching and other unlawful human activities drastically decreased in Cameroon, with the number of instances falling from 18 to 0."
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Die Debatte um die internen RKI-Protokolle zeigt: Die Aufarbeitung der Pandemiepolitik hat sich noch längst nicht erledigt. Sonst überlässt man den Rechtspopulisten das Feld.
Illustration: Gerd Altmann / Pixabay.
WAS BLEIBT nach der teilweise erregten Debatte über die vom rechten Onlinemagazin Multipolar herausgeklagten Protokolle des Corona-Krisenstabs am Robert-Koch-Institut (RKI)? Bei mir als einer, der sich in der Corona-Zeit teilweise sehr kritisch mit den Bekämpfungsstrategien von Bund und Ländern auseinandergesetzt hat, mit deren empirischen Grundlagen und ebenso mit der Rolle der Medien, vor allem dieses: ein ungutes Gefühl, viel Nachdenklichkeit und ein paar Fragen.
Ein ungutes Gefühl: Die juristische Auseinandersetzung um die Veröffentlichung, die zahlreichen Schwärzungen in den dann herausgegebenen Unterlagen wie auch die zunächst sehr defensive Reaktion vor allem aus Reihen der SPD und der Grünen haben einer publizistisch bislang eher unbedeutenden Website zum großen Auftritt verholfen, die in ihren Beiträgen immer wieder zwischen Rechtspopulismus und Verschwörungstheorien changiert, aber schon in einer solchen Beschreibung durch andere Medien eine "Anordnung" von wo auch immer vermutet.
Warum, müssen sich die klassischen Medien fragen lassen, haben sie nicht selbst eine solche Hartnäckigkeit an den Tag gelegt, um mehr über das Krisen-Handling im RKI zu erfahren und über seine Wechselwirkungen mit der Politik? Für die Erkenntnis, dass das Institut offensichtlich über weite Strecken der Pandemie überfordert war, brauchte man nicht erst die Kenntnis der internen Protokolle.
"Das RKI muss reformiert werden", schrieb ich etwa im Oktober 2021 im Freitag: "Es braucht eine neue, unabhängigere Führung, die liefert, was gebraucht wird – und nicht das, was die Politik anfordert. Es braucht eine wissenschaftsnähere Struktur und schnellere Entscheidungswege." Das Problem war nie die Qualität der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am RKI oder die Vielfalt ihrer Perspektiven – wie übrigens auch die Protokolle belegen, wenn sie die lebendige Debatte um die Einordnung der Pandemie und der angemessenen Gegenmaßnahmen widerspiegeln.
Für eine Jahrhundert-Gesundheitskrise ungeeignete Zwitterstruktur
Das Problem war die für eine Gesundheitskrise maximaler Dimensionen ungeeignete Zwitterstruktur aus nachgeordneter Behörde eines Bundesministeriums und einer Forschungseinrichtung, die für die Produktion und die Kommunikation hochwertiger wissenschaftlicher Erkenntnisse ausreichend Freiraum benötigt. Die in ihrem Umfang übertrieben erscheinenden und neue Verschwörungsnarrative auslösenden Schwärzungen begründen sich, so meine Annahme, durch dieses Spannungsfeld – ganz sicher aber nicht durch eine vermeintlich bedingungslose Hörigkeit des RKI gegenüber der Politik, die es jetzt zu vertuschen gelte.
Doch weil weder die Politik noch die Medien (ich nach Ende der Pandemie auch nicht mehr) konsequent genug in der Beschreibung dieses konstruktionsbedingten Konflikts waren, müssen wir uns jetzt alle in unserer Berichterstattung auf die Recherche-Vorarbeit von Multipolar beziehen. Zugleich, und damit sind wir beim Punkt der Nachdenklichkeit, kann die nötige kritische Berichterstattung weder in der Übernahme rechter Deutungen (und Verzerrungen) bestehen noch in einer Vermeidung neuralgischer Themen und Schlussfolgerungen aus Sorge, damit doch dann doch wieder rechte Narrative zu bedienen. Aber worin denn dann?
Meines Erachtens nur im immer wieder aufs Neue Stellen derselben Fragen. Es sind massive Fehler in der Pandemiebewältigung gemacht worden, wichtige habe ich über die Jahre hinweg immer wieder hier im Blog benannt. Meine persönlichen Top 5: Erstens die über einen längeren Zeitraum anhaltende Überhöhung der Virologie und ihrer Positionen als "die Wissenschaft", die einherging mit der Abwertung der Erkenntnisse anderer Wissenschaften, so dass Bund und Länder sich zu lange nicht zu einer angemessen interdisziplinären Kosten-Nutzen-Abwägung von Maßnahmen gezwungen sahen. Damit zusammenhängend zweitens die zu lange unsystematisch, ja willkürlich erscheinende Auswahl von Wissenschaftlern für die Politikberatung, anstatt frühzeitig und wissenschaftsgeleitet etwa einen Pandemierat einzurichten.
Drittens das aus nicht nachvollziehbaren Gründen mangelhafte Pochen der Politik auf besseren – das heißt: repräsentativen und in kurzen Abständen stichprobenartig erhobenen – Daten zum Infektionsgeschehen, die Bereitstellung der dafür nötigen Finanzierung und spätestens an dieser Stelle die Erkenntnis, dass es nicht nur, aber eben auch mit dem RKI in seiner bestehenden Form ein echtes Performance-Problem gab. Viertens die auf einer solchen Grundlage nicht mehr empirisch zu begründende, sondern machtpolitisch entschiedene Frage, vor allem die junge Generation, die Kinder und Jugendlichen, über Gebühr für die Pandemiebekämpfung in Anspruch zu nehmen.
Das früheste Versäumnis der Politik
Warum, müssen wir immer wieder fragen, war das so? Hätte es anders laufen können und wenn ja, was hätte das bedingt? Welche Rückschlüsse auf nicht geeignete Entscheidungsabläufe, Institutionen und Strukturen in Gesellschaft, Wissenschaft und Politik lassen sich ziehen? Auch viele Medien müssen sich fragen lassen, wie Tagesspiegel-Chefredakteur Christian Tretbar es neulich formulierte, warum in der Öffentlichkeit "der Eindruck oder das Gefühl entstehen konnte, man dürfe die Maßnahmen nicht kritisieren". Der Gegenwind, wenn man sie doch immer wieder hinterfragte, war – aus eigener Erfahrung gesprochen – auch von Seiten eigener Journalistenkollegen groß.
Das fünfte und – zugleich früheste – Versäumnis der Politik aber war, genau diese so nötige Evaluation der Corona-Bekämpfung nicht von Anfang an in den Ministerien mitzudenken und vorzubereiten. Ende März 2020 schrieb ich, eine Begleitforschung wäre "ja nicht dafür bestimmt, im Nachhinein alles besser zu wissen und die Regierung für Entscheidungen zu kritisieren, die in der aktuellen Situation richtig erscheinen, sich aber später als nicht geeignet erweisen".
Die Gefahr, sich später solchen unfairen Vorwürfen ausgesetzt zu sehen, müssten Bund und Länder eingehen, fügte ich hinzu: "aus der Verantwortung vor künftigen Generationen. Der gegenwärtige Kampf gegen das Virus ist ein Jahrhundertereignis, von der Dokumentation heutiger politischer Entscheidungen und ihren Konsequenzen werden Regierungen in 50 oder 100 Jahren profitieren, wenn sie erneut vor einer ähnlichen Situation stünden. Dieser Verpflichtung muss sich die Politik stellen. Und zwar jetzt. Die Ausrede, dafür sei in der Krise keine Zeit, ist billig und hält nicht stand vor den nachfolgenden Generationen."
Mir scheint, als könnte ich meine damaligen Worte jetzt eins zu eins wiederholen in der wieder einsetzenden Debatte über die Einrichtung einer Enquete-Kommission. Sie abzulehnen, stärkt nur die Narrative von Corona-Leugnern und Verschwörungstheoretikern. Und ja, auch sie zuzulassen, wäre eine Gefahr für die Reputation der Demokratie. Weil eine schonungslose Aufarbeitung nicht ohne die ernsthafte Bearbeitung unter anderem meiner Top 5 auskäme. Doch könnte zugleich Vertrauen in die Demokratie zurückgewonnen werden, wenn die Entscheidungsträger aus ihrer Abwehrhaltung herauskämen, anstatt weitere Öffentlichkeitsdesaster a la "RKI Files" zu produzieren (deren Inhalte die Aufregung dann erwartungsgemäß gar nicht rechtfertigen).
Das Raunen von juristischer Konsequenzen
Ob Enquete-Kommission oder nicht, es ist richtig, dass die von der Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) eingerichtete Pandemiekommission in ihrem gerade veröffentlichten Abschlussbericht eine systematische und wissenschaftsgeleitete Aufarbeitung der Pandemie und Pandemiemaßnahmen und damit der Rolle der Wissenschaft für nötig hält.
Eines muss aber auch klar sein: Wer jetzt von einer "juristischen Aufarbeitung" der Pandemiezeit raunt und damit offenbar einer Bestrafung der damals Verantwortlichen das Wort redet, ist nicht wirklich an Erkenntnisgewinn interessiert, sondern an einer populistischen Show. Und nimmt in Kauf, dass die nächste Krisenbewältigung noch schlechter liefe. Hätte die Realisierung solcher Forderungen doch die fatale Folge, dass in künftigen Krisen noch ängstlicher und mit noch weniger Weitsicht und Transparenz agiert werden könnte. Das kann, das darf es nicht sein. Der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte 2020 seinen seitdem vielzitierten Satz: "Wir werden in ein paar Monaten wahrscheinlich viel einander verzeihen müssen." Das gilt weiterhin. So unabdingbar das Verzeihen ist, so wichtig ist allerdings die genaue Bearbeitung der Frage, wofür eigentlich.
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Wer wünscht sich nicht "weniger Bürokratie"? Doch muss auch die Wissenschaft bei solchen Forderungen ehrlich auf die Gründe schauen.
Foto: Ro Ma / Pixabay.
ES IST EINE KLAGE, die immer berechtigt ist. Sie geht so: Wissenschaft floriert am besten, wenn sie frei ist. Und zwar auch möglichst frei von unsinnigen bürokratischen Auflagen und kleinteiligen Berichtspflichten. Denn, wie etwa die bekannte Soziologin Jutta Allmendinger neulich im Tagesspiegel in Bezug auf Berlin schrieb: "Neue Prüfungsauflagen verschlingen immer mehr Zeit und Personal." Und: "Bewährte interne Prüfverfahren werden quasi entwertet durch externe Kontrolle und die Kontrolle dieser Kontrolle."
Entsprechend stark sind die Begehrlichkeiten, die das vor seiner Finalisierung stehende SPRIND-Freiheitsgesetz, speziell zugeschnitten auf eine neuartige Bundesagentur zur Förderung von Sprunginnovationen, jetzt auch anderswo weckt. In der Tat sollte die erhoffte SPRIND-Befreiung nicht verpasst werden als Gelegenheit, auch im traditionellen Forschungs(förder)betrieb die real existierende Antrags-, Verwendungsnachweis- und Compliance-Praxis kritisch zu hinterfragen – und zwar genau da, wo sie in die Erbsenzählerei abgleitet. Einerseits.
Andererseits sollten sich die Chefetagen deutscher Hochschulen und Forschungsinstitute fragen, welchen Beitrag die Wissenschaft selbst zum Auftrieb der Kontrollitis leistet. Welchen Eindruck einer wissenschaftsinternen Projektsteuerung wird es etwa bei Rechnungshöfen und Haushaltspolitikern hinterlassen haben, wenn der Bau einer Forschungsanlage mindestens anderthalb Jahrzehnte länger dauert, die Kosten in die Milliarden und damit auf das Vielfache des einst Veranschlagten steigen, wie beim geplanten Teilchenbeschleuniger FAIR in Darmstadt?
Wo war die Forderung der Wissenschaftsorganisationen nach Aufklärung?
Und welches Bild entsteht in der Öffentlichkeit, wenn die Staatsanwaltschaft gegen den Ex-Präsidenten einer der führenden deutschen Forschungsorganisationen wegen des Verdachts auf Untreue im Zusammenhang mit Spesen und Steuergeldern ermittelt – und schon der lange Zeitraum, um den es geht, nahelegt, dass die internen Kontrollmechanismen eben nicht funktioniert haben?
Einzelfälle? Ja, wahrscheinlich. Zumal auch die Politik lange viel zu passiv agiert hat – was zeigt, dass Bürokratie nicht zwangsläufig zu einer besseren externen Kontrolle führt.
Warum jedoch waren die Wissenschaftsorganisationen nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen den damaligen Fraunhofer-Vorstand über viele Monate hinweg so still: die Hochschulen, die Wissenschaftsorganisationen und die Allianz, zu der sie sich zusammengeschlossen haben? Wo war da die Kritik, wo die öffentliche Forderung nach Aufklärung?
Am Ende zahlen die normalen Forscher die Zeche – weil sich plötzlich die Anschaffung jeder Keksdose zur Bewirtung von Gästen zum potenziellen Politikum entwickelt.
Bürokratisierung bekämpft man nicht nur mit Forderungen an die Politik. Bürokratisierung bekämpft man auch, indem man Missstände klar und offen als solche benennt. Auch wenn sie aus den eigenen Reihen kommen.
Dieser Kommentar erschien zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.
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Die Regierung kürzt bei der jungen Generation? Ja, stimmt. Umso mehr wundert, dass sich die öffentliche Empörung auf die geplanten Einsparungen beim Elterngeld konzentriert.
AN DIESEM MITTWOCH soll das Bundeskabinett den Haushaltsentwurf für 2024 beschließen. Was das für Bildung und Forschung bedeutet, habe ich bereits aufgeschrieben. Die Kernaussage: BMBF-Chefin Bettina Stark-Watzinger hat sich in den Verhandlungen insgesamt gut geschlagen. Vielleicht weil sie wie Finanzminister Christian Lindner FDP ist, vielleicht weil die Ampel das mit der Prioritätensetzung für Bildung und Forschung ernst meint. Wobei letztere Vermutung zumindest bei der Bildung nur mit Blick auf die eingeplante zusätzliche ( in 2024 zunächst halbe) Bildungsmilliarde aufrechtzuerhalten ist.
Nicht aber mit Blick auf das BAföG: Die Ausbildungsförderung soll rechnerisch den gesamten Sparbeitrag des Ministeriums erbringen (rund 500 Millionen Euro) und sogar noch mehr. Vor dem Hintergrund, dass vor allem das Studierenden-BAföG schon jetzt faktisch kaputt ist, ist das bitter. Nicht bitter, aber nachdenklich stimmt mich, dass darüber bislang kaum diskutiert wird, es dafür aber eine massive öffentliche Debatte über die geplante Kürzung beim Elterngeld gibt. Gestern Abend der Aufmacher in der Tagesschau, heute Morgen allein beim Spiegel dazu drei Top-Meldungen. Die Aufregung ist so groß, dass sich FDP und Grüne inzwischen gegenseitig vorhalten, wer die Kürzung (nicht) erfunden hat.
Um einmal die Dimensionen zu vergleichen: Nur etwas mehr als elf Prozent der Studierenden bezogen zuletzt BAföG, obwohl je nach Statistik ein Drittel und mehr als armutsgefährdet gilt. Umgekehrt wären von der Elterngeldkürzung, so kritikwürdig sie aus gleichstellungspolitischer Perspektive ist, nach Schätzungen maximal fünf Prozent der potenziellen Eltern betroffen. Die mit dem höchsten Einkommen – während 95 Prozent die Leistung weiter bekämen. Können Sie verstehen, warum ich die Verteilung der öffentlichen Aufmerksamkeit schräg finde?
Natürlich wäre es am besten, wenn gar nicht bei der jungen Generation oder den Familien gespart würde. Aber jene, die sich nach eigener Aussage genau deshalb über die Elterngeld-Kürzung erregen, müssten sich dann mit gleicher Verve fürs BAföG einsetzen –und erst recht dafür, dass die versprochene Kindergrundsicherung bald kommt, und zwar in einer vernünftig ausgestatteten, nicht um Milliarden gekürzten Version.
So bleibt der Eindruck, dass Gesellschaft und Medien auch den Ampel-Sparhaushalt durch die Brille der gut verdienenden Mittelschicht betrachten – und das Wohlergehen von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus ärmeren Familien in der Debatte bestenfalls eine Außenseiterrolle spielt.
Dieser Kommentar erschien heute zuerst in meinem Newsletter.
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Ministerium darf Sparbeitrag von 200 Millionen Euro über Globale Minderausgabe leisten, muss jetzt aber alle drei Monate über seine gesamten Ausgaben penibel berichten. Die Kürzungen bei der Batterieforschung werden leicht abgeschwächt.
DER HAUSHALTSAUSSCHUSS des Bundestages hat am Donnerstagnachmittag seinen Haken an die Haushaltspläne fürs BMBF gemacht – und gleichzeitig einige Änderungen und Duftmarken gesetzt.
Eigentlich hatten die Haushaltspolitiker ihre jährliche Bereinigungssitzung bereits Mitte November gehabt, doch konnten sie diese damals nicht offiziell abschließen. Grund war die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, den 2. Nachtragshaushalt 2021für verfassungswidrig zu erklären – mit weitreichenden Folgen für den Klima- und Transformationsfonds (KTF), aber auch für die künftige Haushaltsaufstellung insgesamt. Inzwischen hat die Bundesregierung einen stark veränderten Haushaltsentwurf für 2024 vorgelegt, auf dessen Grundlage der Haushaltsausschuss seine Sitzung am Donnerstag fortsetzen und abschließen wollte.
Das wichtigste Ergebnis für das Budget von Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP): Die Haushälter akzeptierten ihren Plan, den ihrem Ministerium auferlegten Sparbeitrag von 200 Millionen Euro über eine Erhöhung der Globalen Minderausgabe (GMA) umzusetzen – obwohl dadurch weiter unklar bleibt, wo genau gespart werden wird.
Der Ausschuss flankierte die Erhöhung allerdings mit einem weitreichenden Maßgabebeschluss: Alle vom Haushaltsausschuss dem 2024er BMBF-Haushalt hinzugefügten Einzelmaßnahmen müssten "im vollen finanziellen sowie inhaltlichen Umfang umgesetzt werden", dürfen also nicht in der GMA verschwinden. Dies beziehe sich sowohl auf die Einzelplanberatung vom 11. Oktober als auch auf die Bereinigungssitzung am 16. November.
Extrem engmaschige Ausgabenkontrolle
Hinzu kommt eine extrem engmaschige Kontrolle aller BMBF-Ausgaben: Alle drei Monate muss das Ministerium künftig "qualitativ und quantitativ" Bericht erstatten zum Mittelabfluss aus allen seinen Haushaltstiteln. Das ist schon eine Ansage der Haushälter an Stark-Watzinger.
Der grüne Haushaltspolitiker Bruno Hönel sagte, zwar gebe der Ausschuss dem Ministerium "zunächst weitreichende Flexibilität bei der Erbringung des Konsolidierungsbeitrags". Allerdings bekräftigten die Haushälter durch den gefassten Maßgabebeschluss, dass sie "sehr genau hinschauen" würden, wie das BMBF diesen Beitrag erbringe. "Wir bedauern, dass das Ministerium nicht die Kraft hatte, konkrete Vorschläge zu machen", kommentierte die zuständige SPD-Haushaltspolitikerin Wiebke Esdar.
Zu den vom Haushaltsausschuss hinzugefügten Maßnahmen gehörten unter anderem mehr Geld für die Leseförderung, für den Deutschen Akademischen Austauschdienst, für die Friedensforschung, zur Bekämpfung des Antisemitismus oder auch für die Frauengesundheitsforschung. Nicht zu vergessen, sagt Grünenpolitiker Hönel, sei auch die im November vom Parlament angestoßene weitere BAföG-Reform, "die nun in der Ausarbeitung ist". Hierfür hatte der Haushaltsausschuss 150 Millionen Euro für 2024 zusätzlich in Aussicht gestellt.
Pikant ist freilich, dass das BMBF, das kürzlich einen Referentenentwurf für die BAFöG-Novelle vorlegte, darin nur 62 von den 150 Millionen Euro verplant hatte – unter anderem, weil es keine weitere Erhöhung der Bedarfssätze vorsieht. Von einer "blutleeren Novelle" und einer "herben Enttäuschung" sprach daraufhin das Deutsche Studierendenwerk, der Studierendenverband fzs warf dem BMBF vor, es wolle einen großen Teil der auferlegten Sparmaßnahmen "von den Studierenden nehmen". Am Donnerstagabend soll der Bundestag über den jüngsten BAföG-Bericht debattieren.
Haushaltsausschuss stellt sich vor BAföG- und DATI-Millionen
"Es war uns wichtig, gegenüber dem Ministerium zu betonen, dass alle Projekte, die auf Beschluss des Parlaments in den Haushalt gekommen sind, in vollem Umfang umgesetzt werden sollen. Das gilt auch für den BAFöG Beschluss", sagte SPD-Haushälterin Esdar. "Für uns gehört dazu auch eine Erhöhung der Fördersätze für diejenigen, die jetzt studieren. Ohne das werden wir keine Mittel freigeben – aber sie fließen dann natürlich auch nicht in die GMA."
Die bereits beschlossene erneute Sperre von Teilen der Mittel, die für die geplante Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (DATI) vorgesehen sind, verschärfte der Haushaltsausschuss derweil am Donnerstag noch. Als Voraussetzung für die Entsperrung der 35,4 Millionen Euro verlangten die Abgeordneten zusätzlich zu einem "schlüssigen Konzeptes" nun auch die Vorlage eines "detaillierten Finanzplanes". Das Konzept war das BMBF für 2023 schuldig geblieben, weshalb die vergangenes Jahr gesperrten Mittel verfallen waren.
Nachdem sich die Gründung der DATI verzögert, soll der Finanzplan sicherstellen, dass die DATI wegen des Spardrucks nicht unter die Räder gerät, "weil es einfacher sein könnte dort zu sparen, wo bisher auch kein Geld ausgegeben wurde", wie Esdar sagte. "Mit den beschlossenen Änderungen unterstreichen wir die uns gegebene Verantwortung der parlamentarischen Kontrolle der Regierung", betonte Bruno Hönel.
Kürzungen bei der Batterieforschung sollen geringer ausfallen
Am Abend schwächte der Haushaltsausschuss die in den vergangenen Tagen bekannt gewordenen Kürzungen im KTF bei der Batteriezellforschung ab. So soll das BMBF in diesem Jahr statt 135 wieder rund 155 Millionen Euro für "Maßnahmen zur Weiterentwicklung der Elektromobilität" ausgeben können. Für die Jahre 2025 bis 2028 schraubten die Abgeordneten das Minus um weitere insgesamt 50 Millionen zurück.
Gegen die Kürzungen hatte es heftige Proteste von Forschern und Unternehmern gegeben, ein Brandbrief des "Kompetenznetzwerks Lithium-Ionen-Batterien" (KLiB) warnte vor dem "Ende der deutschen Energieforschung". Der forschungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Thomas Jarzombek, sprach im Handelsblatt von einem "riesigen Fehler", Batterien seien eine kritische Komponente in vielen Industrieprodukten.
Baden-Württembergs grüne Wissenschaftsministerin Petra Olschowski wiederum schrieb am Mittwoch in einem Brief an Stark-Watzinger, die Umsetzung der Kürzungen hätte "massive Auswirkungen auf den Forschungsstandort Baden-Württemberg und damit auf die gesamte Batterieforschung in Deutschland und die dort tätigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler". Schon ein kurzfristiger Förderstopp könne zu einem "im internationalen Wettbewerb nicht mehr aufholbaren Forschungsrückstand in einer für Deutschland zentralen Zukunftstechnologie führen".
Eine BMBF-Sprecherin hatte vor der Bereinigungssitzung auf Anfrage gegenüber Research.Table versichert, Kürzungen bei laufenden Projekten solle es nicht geben. Allerdings könnten nach aktuellem Stand 2024 Neubewilligungen in Höhe von rund 180 Millionen Euro nicht durchgeführt werden. Das wird nun mit insgesamt 70 Millionen Euro weniger Einsparungen teilweise wieder möglich.
Im Bereich des Verkehrsministeriums beschloss der Haushaltsausschuss zusätzliche Mittel für die Forschungs- und Demonstrationsplattform in Leuna, deren KTF-Finanzierung ebenfalls bedroht war. Für den Start von "Power-to-Liquid-Kraftstoffe" gibt es jetzt 2024 zunächst 30 Millionen Euro. Bis 2027 sollen insgesamt weitere 100 Millionen Euro fließen.
Final soll der Bundeshaushalt 2024 voraussichtlich am 2. Februar vom Bundestag beschlossen werden und wenige Stunden später auch den Bundesrat passieren.
Dieser Artikel wurde am 18. Januar um 19.30 Uhr und erneut am 19. Januar um 10 Uhr aktualisiert.
Nachtrag am 19. Januar, 11.45
Stark-Watzinger: Neubewilligungen in der Batterieforschung jetzt wieder möglich
Jetzt meldet sich auch Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger zu Wort. Es sei erfreulich, dass der Haushaltsausschuss zusätzliches Geld für die Batterieforschung im KTF bereitgestellt habe", sagt die FDP-Politikerin. "Dafür haben wir uns als Bundesforschungsministerium stark gemacht. Nun wird es möglich sein, über die bereits bewilligten und laufenden Projekte hinaus Neubewilligungen von insgesamt bis zu 70 Millionen Euro vorzunehmen." Für 2025 und die Folgejahre sollte das noch nicht das letzte Wort gewesen sein, fügte Stark-Watzinger hinzu: "Die Batterietechnologie ist eine wichtige Schlüssel- und Zukunftstechnologie, die wir weiter fördern wollen und auch werden."
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Der wiedergewählte DAAD-Präsident Joybrato Mukherjee über die neue Nationale Sicherheitsstrategie, das Streiten für eigene Ziele und Werte – und die Frage, was vom alten Austausch-Idealismus noch übrig ist.
Joybrato Mukherjee, 49, ist seit 2020 Präsident des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Am Dienstag wurde er von den DAAD-Mitgliedshochschulen für eine zweite Amtszeit wiedergewählt. Außerdem ist Mukherjee seit 2009 Präsident der Universität Gießen und designierter Rektor der Universität zu Köln. Foto: Jonas Ratermann.
Herr Mukherjee, heute Vormittag sind Sie als DAAD-Präsident wiedergewählt worden, Ihre zweite Amtszeit beginnt am 1. Januar 2024. Herzlichen Glückwunsch! In Hochstimmung schienen Sie schon vergangene Woche zu sein, als die Bundesregierung ihre – von Ihnen hochgelobte – Nationale Sicherheitsstrategie vorgestellt hat. Die Strategie zeige, so lautete Ihr Kommentar, dass Wissenschaft heute eine "harte Währung" in der Außen- und Sicherheitspolitik sei. War sie das denn früher nicht?
Der Unterschied ist, dass die Außenwissenschaftspolitik früher als eigenständige "dritte Säule" der Außenpolitik gedacht wurde – und damit getrennt von der Sicherheitspolitik. Jetzt hat sich ein integriertes Verständnis von Außen-, Sicherheits- und Geopolitik etabliert, was bedeutet, dass Wissenschaft nicht als irgendeine Folklore gesehen wird, sondern als robuster Teil der außenpolitischen Beziehungen unseres Landes.
Weil wir in einer Zeit der Krisen leben?
Sicherlich gibt es da einen Zusammenhang. Stärker als vor fünf oder zehn Jahren gelten Wissenschaft und Außenwissenschaftspolitik als relevante Größen für Europas Sicherheit und für die Stabilisierung einer multilateralen Weltordnung. Wir werden auch die Folgen des Klimawandels nur wissenschaftlich fundiert und über Grenzen hinweg kooperierend in den Griff bekommen. Dies sind Erkenntnisse, die sich nicht von einem auf den anderen Tag entwickelt haben, aber natürlich hat hier die Pandemie wie in vielen anderen Bereichen als Beschleuniger gewirkt.
"Die Ukraine will in den Westen, und wir bahnen ihr über unsere Austauschprogramme wissenschaftspolitisch den Weg."
Eine neue Rolle auch für den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD)?
Keine neue Rolle. Wir haben immer schon neue außen- und geopolitische Herausforderungen mit neuen Initiativen und Programmvorschlägen beantwortet. Aber jetzt spüren wir eine andere Resonanz auf Seiten der Politik: Bundesregierung und Bundestag sehen den DAAD als größte und leistungsstärkste Mittlerorganisation in einer besonderen Verantwortung. Die neue Nationale Sicherheitsstrategie formuliert diese Erwartung an uns ganz explizit. Wenn in Afghanistan die staatliche Ordnung zusammenbricht und Frauen vom öffentlichen Raum und vom Bildungssektor immer stärker ausgeschlossen werden, starten wir mit Unterstützung des Entwicklungshilfeministeriums ein Stipendienprogramm für 5000 Afghaninnen, damit sie in einem der Nachbarländer studieren können. Oder nehmen Sie die Ukraine: Es war kein Zufall, dass Präsident Selenskyj sich jeweils anderthalb Stunden Zeit genommen hat für ein digitales Treffen mit Wissenschaftler:innen und Studierenden der Humboldt-Universität zu Berlin und der Universität zu Köln. Die Ukraine will in den Westen, und wir bahnen ihr über unsere Austauschprogramme wissenschaftspolitisch den Weg.
Ganz so generisch wirkt die Entwicklung von außen nicht. Es ist nicht lange her, da herrschte in der deutschen Wissenschaft und auch beim DAAD die Auffassung vor, dass wissenschaftlicher Austausch und Internationalisierung immer und unter allen Umständen gut seien. Fragen nach Kosten, Nutzen und Grenzen wurden schon mal mit einem Stirnrunzeln beantwortet. Wurde dieser Idealismus der Realpolitik geopfert?
Das ist mir zu einfach. Die Welt ist geopolitisch in Unordnung geraten, darüber machen wir uns alle berechtigte Sorgen. Ja, es ist wichtig, sich gerade in einer solchen Welt den Idealismus und die Hoffnung zu bewahren. Denn es bleibt richtig: Der Austausch von Menschen über Kulturgrenzen hinweg ist ein Wert an sich, das Stiften interkultureller Erfahrungen und wissenschaftlicher Kooperationen zu Fragen, die uns auf diesem Planeten alle gemeinsam betreffen, ist ohne Alternative. Umgekehrt müssen wir aber anerkennen, dass anderswo Staaten, Regierungen und Regime erstarkt sind, deren Werte sich von unseren unterscheiden, und die ihre eigenen außenpolitischen Ziele verfolgen, und zwar mit großer Entschlossenheit. Auch diese Länder wollen wissenschaftliche Kooperation, aber aus Motiven, die nicht immer die unsrigen sind. Das müssen wir im Jahr 2023 bei allem, was wir als DAAD tun, im Hinterkopf haben. Sonst wären wir naiv.
"Wir kommen aus einer Zeit, in der Deutschland, Europa und der Westen insgesamt aus einer Position der Stärke heraus agieren konnten. Nun sehen wir uns konfrontiert mit einer veränderten Welt."
Sie sprechen von China?
China ist ein Beispiel. Wir haben ein großes Eigeninteresse daran, die Beziehungen zu einem der großen Hochschulmärkte nicht abbrechen zu lassen, zu einer der dynamischsten Wirtschaftsregionen überhaupt, die auch in vielen Forschungsfeldern sehr leistungsfähig geworden ist. Wir können und werden uns nicht abschotten, wollen aber gleichzeitig für unsere eigenen Interessen und Werte einstehen. Beides übereinzubringen, ist das große Kunststück. Das gilt für die Wissenschaft und genauso für die Wirtschaft oder die allgemeine Politik, wie wir gerade an den gemeinsamen Regierungskonsultationen sehen. Das neudeutsche Wort in dem Zusammenhang lautet "De-Risking", also ein Maximieren des Nutzens von Kooperationen bei gleichzeitiger Minimierung ihres wirtschaftlichen und politischen Risikos: Wir kommen aus einer Zeit, in der Deutschland, Europa und der Westen insgesamt aus einer Position der Stärke heraus agieren konnten. Nun sehen wir uns konfrontiert mit einer veränderten Welt, in der wir unsere Interessen, Ziele und Wertvorstellungen abwägen müssen mit denen der anderen, durchaus auch stärker auftretenden Seite.
Wie schafft man dieses Abwägen?
Bleiben wir bei China. Wenn wir für unser gemeinsames Stipendienprogramm die Bewerber:innen interviewen, wollen wir beim DAAD diese Gespräche aus grundsätzlichen Erwägungen nicht aufzeichnen. Die Chinesen aber wollen das. Also was tun, damit wir unsere Zusammenarbeit nicht beerdigen müssen? Wir haben uns verständigt, dass der DAAD das Auswahlverfahren nach seinen Standards durchführt und die Chinesen nach ihren. Und am Ende werden diejenigen gefördert, die auf beiden Ergebnislisten stehen.
Das hört sich so an, als hätten die chinesischen Bewerber in der Praxis wenig davon, wenn Sie demonstrativ demokratische Werte beschwören.
Das sehe ich anders. Wir haben das Ziel, das gemeinsame Förderprogramm fortzuführen – unter vertretbaren Bedingungen, ohne von unseren Standards abzulassen. Wir müssen aber anerkennen, dass die andere Seite auch ihre Grundsätze hat.
Bevor Sie demnächst in Ihre zweite Amtszeit gehen, die Frage: Ist irgendetwas von dem, was Sie sich Ende 2019 für Ihre erste Amtszeit vorgestellt hatten, nicht von der Realität überholt worden?
Ich habe damals drei inhaltliche Schwerpunkte benannt, und ich finde, alle drei haben in den vier Jahren an Bedeutung gewonnen. Als ich Ende 2019 von einem digitalen Erasmussemester sprach, wurde ich von vielen belächelt; seit der Pandemie ist dies anders. Wie wichtig zweitens die Festigung des europäischen Hochschulraums war und ist, muss ich angesichts mancher Verwerfungen zwischen EU-Mitgliedsstaaten nicht erläutern. Das dritte Thema, das ich aufrief, war das Einstehen für unsere Werte. "Im Schlafwagen werden wir die Wissenschaftsfreiheit nicht verteidigen", habe ich damals gesagt. Seitdem mussten wir beobachten, was in Afghanistan geschehen ist oder im Iran. Der größte sicherheitspolitische Schock aber war der 24. Februar 2022, der russische Angriff auf die Ukraine. Er hat uns gezeigt, dass viele der Voraussetzungen, unter denen wir akademischen Austausch betrieben haben, nicht so gottgegeben waren, wie wir annahmen in den Jahrzehnten des Friedens und der relativen Stabilität in Europa. Insofern kann ich meinen Schlafwagen-Satz heute nur wiederholen.
"Die Digitalisierung kam schneller und anders als erwartet, aber sie kam nicht unerwartet."
Bei der Digitalisierung ging es Ihnen damals um Nachhaltigkeit und die klimapolitischen Folgen des akademischen Austauschs.
In der Tat: Kein halbes Jahr, nachdem ich das gesagt habe, brach die Corona-Pandemie aus, die Studierenden konnten nicht mehr an ihre Gastuniversität reisen. Stattdessen nahmen sie an der Online-Lehre teil und erhielten trotzdem ihre Erasmus-Förderung oder ihr DAAD-Stipendium. Die Digitalisierung kam also schneller und anders als erwartet, aber sie kam nicht unerwartet. Diese Erfahrung können wir jetzt nutzen: Wenn die Hochschulen aus Nachhaltigkeitsgründen die physische Mobilität verringern wollen, können sie auf die bereits vorhandenen Konzepte zurückgreifen.
Allerdings gab es in der Corona-Zeit auch viel zusätzliches Geld. Jetzt fordern Pandemie und Ukraine-Krieg ihren haushaltspolitischen Tribut. Vergangenes Jahr haben Sie sich noch erfolgreich gegen Kürzungen beim DAAD gewehrt, gelingt Ihnen das auch dieses und nächstes Jahr?
Meine Universität in Gießen etwa bekommt wie alle hessischen Hochschulen von der Landesregierung eine für fünf Jahre feste Finanzierung und jährliche Steigerungsraten zugesichert. Vergleichbares kennen wir auf Bundesebene leider nicht. Der DAAD muss immer von Jahr zu Jahr wirtschaften und jedes Jahr um eine auskömmliche Finanzierung kämpfen. Zum Glück haben wir die guten Argumente auf unserer Seite, und wir sind hartnäckig darin, sie vorzubringen. Dadurch konnten wir 2022 den Bundestag dazu veranlassen, uns für 2023 ein Rekordbudget zu bewilligen. Für 2024 bin ich daher auch nicht hoffnungslos. Vor wenigen Wochen erst hat das BMBF die Förderung für unser Kompetenzzentrum Internationale Wissenschaftskooperationen (KIWi) verdoppelt. Die Wahrheit ist aber: All das bietet keinerlei Garantien für 2024.
Was haben Sie den DAAD-Mitgliedshochschulen für Ihre zweite Amtszeit als Schwerpunkte genannt?
Was ich jetzt sage, ist der Plan. Ob die Realität dann eine große Planungstreue zeigt, muss man sehen. Aus heutiger Sicht aber ist ein Fokus der nächsten vier Jahre die Erstellung einer neuen DAAD-Strategie, von der wir noch klären müssen, ob sie als Horizont das Jahr 2030 oder das Jahr 2035 hat. In jedem Fall wird sie sich dezidiert mit den geopolitischen Verwerfungen befassen, aber auch mit Fragen der Wissenschaftskommunikation und mit dem Beitrag, den wir bei der Bekämpfung des Fachkräftemangels leisten können. Sie soll pünktlich zum 100-jährigen Jubiläum fertig sein, das der DAAD 2025 feiert. Ein guter Zeitpunkt, um zurückzublicken, aber eben auch nach vorn – mit den Erfahrungen von einem Jahrhundert Austausch im Gepäck und mit einer neuen Strategie für die Welt der 20er und 30er Jahre.
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Auch Wissenschaftsstiftungen und Hochschulen ziehen sich zurück von der Plattform X. Warum dort gerade jetzt ihre Stimmen so wichtig wären.
Abschiedsbotschaft auf "X": Screenshot des Posts der Volkswagen-Stiftung.
ES WAR der letzte Post der Volkswagen-Stiftung, Deutschlands größtem privaten Forschungsförderer, auf "X". "Wir treten ein für eine demokratische Gesellschaft, für Menschenwürde, faktenbasierte Information und konstruktiven Dialog. Da dies aus unserer Sicht hier nicht mehr möglich ist, werden wir unseren Account bis auf weiteres stilllegen."
Ihren Rückzug von dem Netzwerk, das früher Twitter hieß, verkündeten am vergangenen Mittwoch zeitgleich auch die Robert-Bosch-Stiftung, die Stiftung Mercator, die ZEIT-Stiftung und der Bundesverband Deutscher Stiftungen – mit Verweis auf den ethisch-moralischen Absturz der Plattform seit ihrer Übernahme durch Elon Musk. "Hate Speech und Falschinformation, die Verbreitung extremistischer Propaganda und die Hetze gegen Minderheiten können wir nicht tolerieren", hieß es in einer Pressemitteilung des Bundesverbands. "Mit unserer konzertierten Aktion laden wir andere Stiftungen ein, unserem Beispiel zu folgen." Was prompt passierte: Am Donnerstag teilte die Stiftung Innovation in der Hochschullehre mit, dass sie ihren X-Auftritt stilllegt.
In den Wochen und Monaten zuvor hatten bereits mehrere Hochschulen "X" den Rücken gekehrt, die Hochschule Darmstadt etwa oder Uni Bremen, die ihre Accounts jeweils sogar ganz abschalteten. Sie befanden sich im Geleitzug vieler nichtwissenschaftlicher Institutionen, der Stadt Bremen zum Beispiel, dem Deutschlandfunk oder dem Otto-Versand. Auch zahlreiche Forschende, die auf Twitter/X lange sehr aktiv gewesen waren, befanden: Jetzt ist es genug.
Ist es insofern nichts Besonderes, wenn auch Wissenschaftsorganisationen und Wissenschaftsförderer gehen? Ich glaube: doch.
Twitter war einmal ein wichtiger Ort der politischen Meinungsbildung auch in Deutschland, gerade des Austauschs zwischen Wissenschaft, Politik und Medien. Viel, vielleicht zu viel davon ist bereits unwiederbringlich zerstört. Wenn sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als Einzelpersonen nicht mehr dem Treiben auf der Plattform aussetzen wollen, ist das völlig in Ordnung und verständlich.
Nicht über jedes Diskursstöckchen springen, aber die Fahne hochhalten
Und doch: So frustrierend die Kommunikation auf "X" mitunter geworden ist und so nachvollziehbar die Erschöpfung angesichts des ätzenden Trommelfeuers menschlicher und maschineller Hassproduzenten, so wichtig ist es, die institutionellen Stimmen von Aufklärung und Wissenschaft gerade dort nicht verstummen zu lassen, wo sie am stärksten bekämpft werden. Das Bekenntnis zu unseren Werten, die Weitergabe wissenschaftlicher Erkenntnisse, das Absetzen von Botschaften der Vielfalt und der Toleranz sind dort am meisten wert, wo sie am wenigsten gehört werden mögen.
Das heißt nicht, dass man über jedes zur Provokation hingehaltene Diskursstöckchen springen muss, man darf ignorieren, es ist in Ordnung, die Antwortfunktion unter eigenen Posts zu beschränken. Auch ist es gut, die Präsenz in alternativen Netzwerken aufzubauen und damit deren Entwicklung zu fördern. Solange die Flagge demokratischer Werte und Institutionen hochgehalten wird – und denen ein Dorn im Auge ist, die sie aus den Diskursräumen bei "X" und anderswo vertreiben wollen.
Denn genau das gehört zu den Grundstrategien von Antidemokraten und Freiheitsgegnern: die Macht über das erlangen, was wie gesagt werden kann – und wo. Auch für die Wissenschaft ist jetzt die Zeit zum Kämpfen, nicht zum Weichen.
Dieser Kommentar erschien in kürzerer Fassung zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.
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Der Haushaltsausschuss des Bundestages reagiert auf die monatelange Kritik und stockt in seiner Bereinigungssitzung die Ausbildungsförderung deutlich auf. Welche Änderungen die Haushälter sonst noch beschlossen: ein erster Überblick.
DASS DIE AMPEL-KOALITION beim BAföG für Studierende nachlegen würde, hatte sich angesichts monatelanger Kritik unter anderem von Studierendenwerken, Hochschulen, Studierendenverbänden, Kirchen und Gewerkschaften bereits abgezeichnet, doch dass die Haushälter in der Bereinigungssitzung zusätzlich 150 Millionen Euro auf den Tisch legten, war dann doch eine Überraschung – eine positive.
In der Nacht zum Freitag beschloss der Haushaltsausschuss des Bundestages, den BAföG-Etat für 2024 von 1,37 auf 1,52 Milliarden Euro aufzustocken. Verbunden mit einem unmissverständlichen Auftrag an Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP): Die 150 Millionen sollen die Vorbereitung der weiteren BAföG-Novelle ermöglichen, die die Ampel für diese Legislaturperiode versprochen hatte, deren Finanzierung aber bislang in den Sternen stand. Und erst wenn Stark-Watzinger geliefert hat, gibt es das Geld. Bis dahin haben die Haushälter es gesperrt.
Laut Haushaltsvermerk hat die Novelle zum Wintersemester 2024/25 zu starten, "damit die Förderung den stark gewachsenen Lebenshaltungskosten der Studierenden sowie ihrer veränderten Lebens- und Studienrealität gerecht wird." Gleichzeitig soll mit dem Geld die Anpassung des BAföG-Bedarfssatzes an das Existenzminimum und "der Sätze für Unterhaltszahlung infolge der zu erwartenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts" finanziert werden. Nebenbei sorgt der Sperrvermerk auch dafür, dass die 150 Millionen Euro nicht wieder im Rahmen einer sogenannten Globalen Minderausgabe verschwinden können.
"Mittlerer Wurf scheint möglich"
Zuletzt hatte der Geschäftsführer des Deutschen Studierendenwerks, Matthias Anbuhl, hier im Blog einen Nachschlag beim BAföG als "Nagelprobe" dafür bezeichnet, "ob die Ampel für die junge Generation außer warmen Worten auch harte Währung übrighat". Nach dem Beschluss zeigte sich Anbuhl angetan: "In Zeiten leerer Kassen und auch vor dem Hintergrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum Nachtragshaushalt 2021" könnten sich die 150 Millionen zusätzlich "durchaus sehen lassen": "Das ist eine Summe, mit der man Bedarfssätze und Freibeträge sowie Wohnkostenpauschale deutlich erhöhen kann. Ein mittlerer Wurf scheint möglich, die BAföG-Nullrunde 2024 kann abgewendet werden."
Die für den BMBF-Etat zuständige SPD-Haushaltspolitikerin Wiebke Esdar sagte: "Für uns als SPD hat insbesondere diese BAFöG-Erhöhung oberste Priorität gehabt. Darum freue ich mich, dass das gelungen ist. Jetzt gilt es, den Prozess weiter intensiv zu begleiten, damit die Bafög-Erhöhung und die Strukturreform zeitnah kommen."
"Wir brauchen diese Strukturreform", sagte auch der grüne Bundestagsabgeordnete Bruno Hönel, "um eine höhere Zahl an armutsbedrohten Studierenden ins BAföG zu holen und die finanziellen Bedingungen für BAföG-Beziehende langfristig zu verbessern". Alle Voraussetzungen seien da, der Bundestag habe bereits vor über einem Jahr einen Entschließungsantrag verabschiedet, in dem zentrale Bestandteile einer Reform beschrieben würden. "Jetzt ist das Ministerium am Zug, hierfür zügig ein Konzept vorzulegen. Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger wird sich am Ende auch daran messen lassen müssen, ob sie sich in Krisenzeiten ernsthaft für die Belange von Studierenden eingesetzt hat."
Die Ministerin begrüßte die Entscheidung am Morgen auf "X": "Aufstieg durch Bildung ist unser zentrales Anliegen", postete Stark-Watzinger. "Mit dem Beschluss des HH-Ausschuss können wir den nächsten Schritt der BAföG-Reform jetzt umsetzen."
Endgültig verabschieden soll der Bundestag den Bundeshaushalt voraussichtlich am 1. Dezember. Wegen des Verfassungsgerichtsurteils vom Mittwoch werden außerdem nächste Woche noch Sachverständige angehört, doch Auswirkungen auf die Ausschussbeschlüsse zum BMBF-Etat erwarten die zuständigen Haushälter nicht.
Mehr Geld für die Zusammenarbeit mit Israel
Die 150 Millionen zusätzlich fürs BAföG waren die mit Abstand höchste Veränderung am BMBF-Etat, den die Haushälter in ihrer Bereinigungssitzung vornahmen. Doch änderten sie den Regierungsentwurf an zahlreichen weiteren Stellen ab.
Ein Augenmerk lag dabei auf der veränderten politischen Situation seit dem Hamas-Terrorangriff. Als "Soforthilfe Israel" wurden für 2024 zwei Millionen und für die Folgejahre eine weitere Million zusätzlich in den Titel "Wissenschaftliche Zusammenarbeit mit ausländischen Forschungseinrichtungen und Unternehmen" eingestellt, wobei der Großteil der Förderung der Minerva-Stiftung dienen soll. Die Stiftung, deren Anteile von der Max-Planck-Gesellschaft gehalten werden, unterstützt seit 1964 den Wissenschaftsaustausch zwischen Deutschland und Israel. Das Berliner Tikvah-Institut zur Bekämpfung des Antisemitismus erhält ebenfalls mehr Geld.
Insgesamt fünf Millionen Euro zusätzlich für 2024 und in den Folgejahren weitere 21 Millionen mehr als bislang geplant fließen in den Titel für Geistes- und Sozialwissenschaftliche Forschung, der damit eine beträchtliche Aufstockung erfährt. Davon profitieren neben dem Tikvah-Institut weitere zivilgesellschaftliche Einrichtungen, darunter der Verfassungsblog. Der größte Teil aber geht an die Deutsche Stiftung Friedensforschung (DSF), deren bessere finanzielle Ausstattung, auch durch eine Erhöhung ihres Stiftungskapitals, der Wissenschaftsrat im Sommer angemahnt hatte. Zwei Millionen mehr in 2024 und weitere zehn Millionen zusätzlich für die Folgejahre sahen die Haushälter für die DSF vor – wobei zur Wahrheit gehört, dass ein großer Teil davon für die Kompensation gekürzter Zuschüsse aus dem Auswärtigen Amt draufgeht.
Einen eigenen Haushaltstitel, laut Vermerk explizit um dem Thema "eine größere Bedeutung zukommen zu lassen", erhält die Forschung zur Frauengesundheit und die Bearbeitung des sogenannten Gender Data Gaps in der Medizin. Das neue Forschungsprogramm unter anderem zur Edometriose wird 2024 mit 12,5 Millionen gefüllt und in den Folgejahren zudem mit 43 Millionen an sogenannten Verpflichtungsermächtigungen.
Was die Haushälter noch beschlossen
o Drei Millionen für 2024 und sechs Millionen für 2025 werden für den deutschen Anteil zu Planungskosten und insbesondere für eine Machbarkeitsstudie für das in der Europäischen Union geplante Einstein-Teleskop eingestellt.
o Fünf Millionen für 2024 und 35 Millionen für die Folgejahre sind jetzt neu für den Einstieg in den Bau des Röntgenmikroskops PETRA IV am DESY in Hamburg vorgesehen.
o Die Grundfinanzierung der United Nations University (UNU) in Bonn wird 2024 um 1,3 Millionen Euro aufgestockt, in den Folgejahren jeweils um 1,8 Millionen Euro.
o Dass die Haushälter acht Millionen Euro zusätzlich für Forschung zu Long-Covid und ME/CFS bereitstellten, hob der Grünen-Politiker Hönel hervor. So werde die Nationale Klinische Studiengruppe nun für die Jahre 2025 und 2026 abgesichert. "Das bringt Planungssicherheit und hoffentlich bald auch effektive Medikamente." Im Zusammenspiel mit den Haushälterinnen des Gesundheitsetats, die zusätzliche 112 Millionen beschlossen, werde die Förderung des Bundes im Bereich Long-Covid / ME/CFS nun auf insgesamt über 200 Millionen erhöht.
o Verhindern will der Haushaltsausschuss, dass das langjährige Programm "JOBSTARTER plus" zur Ausbildungsförderung wie bislang vorgesehen einfach ausläuft. Die Abgeordneten forderten das BMBF per Maßgabebeschluss auf, ein Nachfolgeprogramm im Rahmen der "Exzellenzintiative Berufliche Bildung" zu prüfen, damit die "positive Wirkung" von "JOBSTARTER plus" erhalten bleibe. Bis Mitte 2024 muss das Ministerium dazu berichten.
o Wie in den vergangenen Jahren beschloss der Haushaltsausschuss, angesichts der hohen Anteile nicht ausgegebener Selbstbewirtschaftungsmittel einen Teil der Helmholtz-Zuschüsse zu sperren, und zwar sowohl für den Betrieb als auch für Investitionen, bis an den jeweiligen Zentren ein ausreichender Ausgabenstand vom Haushaltsausschuss festgestellt wird. Ähnlich verfuhr man nun erstmals mit der Leibniz-Gemeinschaft, allerdings nur bezogen auf ihre Investitionsmittel, von denen zunächst zehn Prozent gesperrt wurden.
o Dass der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) nächstes Jahr drei Millionen Euro zusätzlich aus dem BMBF-Haushalt für seine Fachkräfteprogramme erhält, hatte der Haushaltausschuss bereits im Oktober festgelegt. Im Etat des Auswärtigen Amts nahm der Haushaltsausschuss in seiner Bereinigungssitzung ebenfalls Änderungen vor. 2,8 Millionen Euro zusätzlich gehen an den DAAD für Investitionen (IT, digitale Infrastruktur), während der Alexander-von-Humboldt-Stiftung (AvH) trotz dringender Appelle keine Budget-Aufstockung gewährt wurde. Für das Goethe-Institut, das aus Budgetnot die Schließung mehrerer Dependancen plant, sahen die Haushälter rund fünf Millionen mehr vor, allerdings unter strengen Auflagen und vor allem zur Begleitung der Schließungen, etwa für Abfindungen.
o Die im Etat des Bundesinnenministeriums vorgesehene 20-Millionen-Kürzung für die Bundeszentrale für politische Bildung wurde in der Bereinigungssitzung formal rückgängig gemacht, nachdem Ministerin Nancy Faeser (SPD) die komplette Rücknahme bereits Anfang November angekündigt hatte.
o Insgesamt 68,6 Millionen Euro sollen bis 2028 über den Etat des Bauministeriums für den Aufbau eines Bundesbauforschungszentrums aufgewendet werden, beschloss der Haushaltsausschuss, die ersten 3,6 Millionen davon im Jahr 2024. Das "LAB – Living Art of Building" soll am ressourcenschonenden und klimaneutralen Bauen der Zukunft forschen und seinen Hauptsitz in Bautzen haben. Der Freistaat Sachsen hatte bereits die Übernahme von Investitionskosten zugesagt.
Was den Mitte 2024 auslaufenden Digitalpakt Schule angeht, bleibt es dagegen dabei: Für 2024 wird es im Bundeshaushalt keinen Euro für eine Fortsetzung geben, obwohl zuletzt sogar die Ministerpräsidenten der Länder dies gefordert hatten. Doch die Ampel-Haushälter winkten ab.
Dieser Beitrag wurde im Laufe des Freitags mehrfach ergänzt.
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Dass der Haushaltsausschuss des Bundestages 150 Millionen Euro zusätzlich für eine BAföG-Strukturreform bewilligt hat, ist ein großartiges Signal. Jetzt darf das Erreichte auf keinen Fall wieder zur Disposition gestellt werden. Ein Gastbeitrag von Lina Seitzl.
Lina Seitzl ist SPD-Politikerin und seit 2021 Mitglied des Deutschen Bundestages. Sie ist Berichterstatterin ihrer Fraktion für das BAföG. Foto: privat.
WENIGER GELD im Haushalt des Bundesbildungsministeriums für das BAföG und exorbitant hohe Zinssätze beim KfW-Studienkredit: In den vergangenen Monaten rückte die Studienfinanzierung wieder stärker in den Blick öffentlicher Debatten. Gut so, denn allzu oft werden gerade Studierende und ihre Bedürfnisse in unserer Gesellschaft übersehen.
Dass der Haushaltsausschuss des Bundestages in seiner Bereinigungssitzung die dringend erforderlichen Mittel in Höhe von 150 Millionen Euro für die BAföG-Strukturreform bereitgestellt hat, zeigt den klaren parlamentarischen Willen für diese Reform. Jetzt kommt es darauf an, dass in der akuten Haushaltskrise das Erreichte nicht erneut zur Disposition gestellt wird. Die Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger ist jetzt gefordert, Vorschläge für diese Reform schnell ins Kabinett einzubringen. Es kann und darf nicht jedes Mal die junge Generation sein, deren Interessen hintenanstehen müssen. Im Gegenteil: Dass die BAföG-Strukturreform pünktlich zum Wintersemester 2024/2025 an den Start geht, wäre ein wichtiges Signal für unsere Studierenden sowie für den Bildungsstandort Deutschland.
Denn die wirtschaftliche und soziale Lage von Studierenden bleibt in Teilen prekär, wie die aktuelle Studierendenbefragung belegt. So zeichnet sich bei der Studienfinanzierung eine zunehmende Polarisierung ab: Während ein Viertel der Befragten über eine sehr auskömmliche Finanzierung verfügt, muss mehr als ein Drittel mit weniger als 800 Euro monatlich auskommen, 60 Euro unterhalb der für sie vorgesehenen Unterhaltstabelle. Darüber hinaus schlägt die Inflation vor allem bei Menschen mit geringem Einkommen zu Buche, die einen überproportional hohen Anteil ihres Lebensunterhalts für Wohnen und Lebensmittel ausgeben. Das betrifft gerade auch Studierende. Die dramatisch gestiegenen Mietpreise in den Hochschulstädten tragen zusätzlich zu einer erheblichen finanziellen Mehrbelastung bei.
In Zeiten des Fachkräftemangels und der Transformation können wir es uns nicht leisten, wenn junge Menschen aus wirtschaftlichen Gründen ihr Studium nicht beenden oder gar davon Abstand nehmen ein Studium zu beginnen, weil sie es nicht finanzieren können. Für den Erfolg des Standorts Deutschland brauchen wir kluge Köpfe, die Innovationen voranbringen. Diese Menschen werden auch an unseren Hochschulen ausgebildet. Deshalb muss die Politik jetzt handeln.
Nicht von Krise zu Krise denken
Die Koalition hat in diesem Jahr bereits wirksame Maßnahmen zugunsten Studierender auf den Weg gebracht. Mit der 200-Euro-Einmalzahlung, den Heizkostenzuschüssen und der Ausweitung der Energiepreispauschale auf Minijobs konnten wir spürbar zu ihrer Entlastung beitragen. Doch dürfen wir nicht nur von Krise zu Krise, von Hilfspaket zu Hilfspaket denken. Um studentische Armut wirkungsvoll zu bekämpfen, braucht es strukturelle Antworten.
Das wirkungsvollste Instrument, das uns zur Verfügung steht, ist das BAföG. Hier haben wir gleich zu Beginn der neuen Legislatur eine Novelle auf den Weg gebracht, die Bedarfssätze und Elternfreibeträge erhöht und die Altersgrenzen ausgeweitet. Dennoch dreht sich die Welt seither in rasanter Geschwindigkeit weiter.
Gern werden Studierende mit Ratschlägen abgespeist: Sie "sollen sie halt mehr Nudeln mit Ketchup essen" oder neben einem Vollzeitstudium zu jobben. Aber das verkennt die soziale Lage. Wenn die derzeitige BAföG-Wohnkostenpauschale in nur noch zwei Hochschulstädten zum Leben ausreicht, kann die Antwort nicht sein, dass eben für jene Betroffene nur noch Chemnitz oder Magdeburg in Frage kommt - während die Zulassung zum Medizinstudienplatz in Freiburg vorliegt. Und trotz der teils existentiellen Finanzierungssorgen wird von Studierenden aber gleichzeitig erwartet, ihr Studium in Regelzeit abzuschließen, ihren Lebensunterhalt mit Nebentätigkeiten aufzustocken und nicht zuletzt zur Fachkräftesicherung von morgen beizutragen. Hier gerät die externe Anspruchshaltung mit den derzeitig vorherrschenden Rahmenbedingungen in eine immer stärkere Schieflage.
Was zu einer gleichberechtigten Teilhabe gehört
Darum sehe ich es als eine vordringliche politische Aufgabe an, jene Rahmenbedingungen zu schaffen, die die BAföG-Förderung wieder zurück in die Mitte der Gesellschaft rückt. Warum das Existenzminimum analog zum Bürgergeld für Studierende nicht zählen sollte oder warum das BAföG nicht analog zu anderen Sozialleistungen einen regelmäßigen Anpassungsmechanismus erhält, widerspricht einer gleichberechtigen Teilhabe junger Menschen. Das BAföG braucht auch sein strukturelles Update, damit wieder mehr junge Menschen darauf Anspruch haben. Dazu gehört unter anderem die Ausweitung der Förderhöchstdauer ebenso wie die einfachere Möglichkeit das Studienfach zu wechseln zu können – ohne den BAföG-Anspruch zu verlieren.
Wir brauchen die Investitionen in die klugen Köpfe unseres Landes genauso wie die Investitionen in neue Technologien, in den Klimaschutz und in die Infrastruktur. Denn die klugen Köpfe sind die Software, ohne die uns alle Hardware materieller Investitionen wenig nützt. Jeder Euro, den wir jetzt bei ihnen einsparen, wird uns später teuer zu stehen kommen.
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Deutschland braucht mehr internationale Fachkräfte. Leisten die Hochschulen bereits, was sie können? Ein Interview mit Muriel Helbig und Andreas Zaby über politische Rahmenbedingungen, die öffentliche Willkommenskultur und die gesellschaftliche Verantwortung der HAWs.
Muriel Helbig ist seit 2014 Präsidentin der Technischen Hochschule Lübeck und ist seit 2020 Vizepräsidentin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Andreas Zaby ist seit 2016 Präsident der HWR Berlin und ebenso lange Vorsitzender des HAW-Verbunds UAS7. Ende März verlässt er die HWR und wechselt zur Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND). Fotos: TH Lübeck/Oana Popa-Costea.
Frau Helbig, Herr Zaby, Deutschland zieht mehr internationale Studierende an denn je, die Zahl der Wissenschaftler aus dem Ausland liegt ebenfalls auf Rekordniveau. Die Hochschulen der Bundesrepublik sind also weltweit beliebt und offen wie nie?
Muriel Helbig: Natürlich bin ich als Vizepräsidentin des Deutschen Akademischen Austauschdiensts (DAAD) hocherfreut, dass Deutschland bei den Gastländern für internationale Studierende erstmals auf Platz drei liegt und mit Australien sogar ein englischsprachiges Land hinter sich gelassen hat.
Andreas Zaby: Angesichts der herausragend guten rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen für internationale Studierende ist es umgekehrt fast schon erstaunlich, dass nicht längst noch viel mehr zu uns kommen – und anschließend bei uns als Fachkräfte bleiben.
Wie meinen Sie das?
Zaby: Für Studierende aus Nicht-EU-Staaten gelten bei uns sehr liberale Regeln für den Arbeitsmarkt, und sie werden zum 1. März noch liberaler. Künftig dürfen internationale Studierende 140 Tage im Jahr arbeiten, was 50 Prozent Teilzeit entspricht, die Studierenden-Jobs an Hochschulen werden nicht einmal angerechnet. Und schon während sie einen Studienplatz suchen, dürfen sie sich für neun Monate in Deutschland aufhalten und bis zu 20 Stunden die Woche jobben. Nach dem Studienabschluss dürfen sie weitere 18 Monate in Deutschland bleiben, um sich um eine Festanstellung zu bewerben. Vergleichen Sie das einmal mit den rigorosen Bestimmungen in den USA oder anderswo! Und da haben wir noch gar nicht darüber gesprochen, dass bei uns keinerlei Studiengebühren anfallen, während Sie in Amerika, in Australien oder dem Vereinigten Königreich enorme Summen zahlen müssen.
"Wir erliegen der Illusion, dass unsere Hochschulen inzwischen so kosmopolitisch seien, dass man überall mit Englisch durchkommen könne."
Vielleicht bieten die Hochschulen in diesen Ländern dafür den Studierenden mehr?
Zaby: Das Studium ist bei uns qualitativ auch sehr hochwertig. Doch wir vergessen manchmal, dass die Sprachbarriere immer noch eine große Rolle spielt. Wir erliegen der Illusion, dass unsere Hochschulen inzwischen so kosmopolitisch seien, dass man überall mit Englisch durchkommen könne. Tatsächlich aber ist es so, dass sie Ihren Alltag in Deutschland nur dann auf Dauer bewältigen, erfolgreich studieren und anschließend auf Jobsuche gehen, wenn Sie halbwegs Deutsch sprechen.
Handelt es sich nur um eine Sprachbarriere, die verhindert, dass noch mehr junge hochqualifizierte Menschen nach Deutschland kommen? Bei Umfragen unter Expats landet die Bundesrepublik immer wieder auf den hinteren Plätzen. Besonders schlecht werden Willkommenskultur, Wohnen, digitale Infrastruktur, aber auch die Verwaltung bewertet.
Helbig: Wir müssen hier differenzieren. Die deutsche Wissenschaft, die deutschen Hochschulen haben einen enorm guten Ruf, und dass das Studium hier gebührenfrei ist, wollen viele, wenn sie es zum ersten Mal hören, gar nicht glauben. Außerdem gilt Deutschland als sicheres Land, ein Vorteil, den man nicht unterschätzen darf. Auch die fairen Arbeitsbedingungen und guten Löhne werden gelobt, da kommt ein ganzes Konglomerat an positiven Anziehungspunkten zusammen.
Aber?
Helbig: Es gibt einige Themen, die es uns schwer machen. Das Eine ist die Sprache. Das Andere ist, dass wir zwar rechtlich Vieles liberalisiert und sehr gute Voraussetzungen geschaffen haben, damit Menschen aus dem Ausland bei uns studieren können, dass wir bei der Umsetzung aber nicht überall hinterherkommen. Der Zeitraum der Visavergabe ist oftmals ein Thema, viele Ausländerbehörden sind personell unterbesetzt, und unsere Wirtschaftsstruktur besteht aus vielen kleinen und mittleren Unternehmen, die sich schwertun, internationale Studierende für Praktika zu betreuen oder später als Absolventen einzustellen. Erst recht, wenn sie nicht fließend Deutsch sprechen. Ich würde das aber nicht vorrangig als kulturelles Problem oder mangelnde Offenheit der Gesellschaft sehen.
Tatsächlich nicht? Studierende berichten online von frustrierenden und diskriminierenden Erfahrungen mit den Behörden, und dass in Deutschland Rechtsradikalismus und Antisemitismus im Aufstieg begriffen sind, wird international aufmerksam wahrgenommen.
Zaby: Natürlich haben solche Entwicklungen Auswirkungen, das gilt in Frankreich und anderswo genauso, wenn dort rechtsextreme Parteien Wahlerfolge einfahren. Wir hören von deutschen Studierenden, die ins Ausland wollen, dass sie ihrerseits genau auf die politische Situation schauen.
"Es frustriert mich sehr, dass bestimmte Wahlergebnisse und politische Äußerungen all die harte Arbeit, die wir leisten, wieder kaputt machen."
Helbig: Aber gerade in Deutschland mit unserer Geschichte haben wir die Aufgabe, jeden Tag für gesellschaftliche Offenheit einzutreten. Zudem, und jetzt rede ich als Präsidentin einer Technischen Hochschule: Es frustriert mich sehr, dass bestimmte Wahlergebnisse und politische Äußerungen all die harte Arbeit, die wir leisten, wieder kaputt machen. Da müssen wir uns dagegenstemmen. Die Hochschulen, Wirtschaftsverbände und viele andere tun das jetzt, und überall in Deutschland gehen die Menschen auf die Straße. Auch das, da bin ich mir sicher, wird im Ausland wahrgenommen.
Zaby: Wir müssen aber feststellen, dass wir im Vergleich zu klassischen Einwanderungsländern wie den USA oder Australien längst nicht so gut aufgestellt sind, wo die Einwanderung von Hochqualifizierten ganz klar priorisiert und gefördert wird. Unsere Konsulate und Ausländerbehörden müssen viel aktiver unterstützen, auch die Hochschulen müssen noch offener werden, ich möchte uns da gar nicht ausnehmen. Allerdings ist die Motivationslage einer amerikanischen Hochschulleitung schon deshalb eine andere, weil dort jeder Student und jede Studentin aus dem Ausland 30.000, 40.000 oder 50.000 Dollar pro Jahr bringt.
Bei der Tagung der Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW) in der Hochschulrektorenkonferenz haben Sie neulich zusammen in einem Workshop die These aufgestellt, dass HAWs besonders gut geeignet seien, um mehr internationale Fachkräfte nach Deutschland zu holen. Außer dass Sie beide eine HAW leiten, was macht Sie da so sicher? In Wirklichkeit gehen die allermeisten Studierenden aus dem Ausland an Universitäten.
Helbig: Der Abstand ist nicht groß. An den HAWs sind es neun Prozent internationale Studierende mit Abschlussabsicht, an den Universitäten knapp 13 Prozent.
Zaby: Und die Lücke schließt sich weiter. Der Fachkräftemangel ist in MINT-Berufen am größten. Gleichzeitig wollen internationale Studierende besonders häufig MINT-Fächer studieren, und HAWs bieten abseits der Naturwissenschaften besonders viele solcher Studiengänge an, vor allem in den Ingenieurwissenschaften und in der Informatik. Das können wir nutzen, indem wir noch deutlicher machen: An HAWs brechen weniger Menschen ihr Studium ab als an Universitäten, und gerade bei internationalen Studierenden sind die viel zu hohen Abbruchquoten ein drängendes Problem.
Ist die Abbrecherquote unter den internationalen Studierenden wirklich nachweislich geringer an den HAWs?
Zaby: Diese Daten liegen mir nicht vor. Ich denke aber, dass es eine valide Hypothese für eine empirische Untersuchung wäre, denn es gibt aus wissenschaftlichen Studien Hinweise darauf, dass einzelne Vorteile des typischen HAW-Studienmodells sich positiv auf den Studienerfolg bei deutschen und ausländischen Studierenden auswirken.
Woran liegt das?
Zaby: Besonders internationale Studierende stehen immer in der Gefahr, in den Massen unterzugehen. Da hilft es, dass wir an den HAWs das Kleingruppen-Prinzip verfolgen und eine erhöhte Interaktion der Studierenden mit den Lehrenden ermöglichen. Hinzu kommt, dass HAWs in ihren Regionen oft sehr nah dran sind an den örtlichen Arbeitgebern, was den Übergang ihrer Absolventen in den Arbeitsmarkt erleichtert. Gerade duale Studiengänge sind sehr geeignet, mit den zwei Lernorten Hochschule und Betrieb vom ersten Tag an, diese können und sollten wir im Ausland stärker bewerben. Erste solche Initiativen der deutschen Wirtschaft und der Hochschulen gibt es bereits.
"Die Schnittstelle zum Arbeitsmarkt müssen wir gerade für internationale Studierende weiter ausbauen."
Helbig: Unsere gesellschaftliche Verantwortung als Hochschulen besteht ja nicht nur darin, die Leute zu immatrikulieren, sondern ihnen dabei zu helfen, das für sie richtige Studium zu wählen und es dann auch zum Abschluss zu bringen. Und auch wenn sie ihr Abschlusszeugnis in der Hand halten, ist noch nicht Schluss. Die Schnittstelle zum Arbeitsmarkt, von der Andreas Zaby spricht, müssen wir gerade für internationale Studierende weiter ausbauen.
Zaby: Dabei helfen uns zum Glück neue Programme des DAAD, indem sie die Karriereservices der Hochschulen speziell für internationale Studierende unterstützen, intensive Sprachtrainings finanzieren, solche Dinge, um sie für den Arbeitsmarkt fitzumachen.
Helbig: Was mich sehr freut, ist die hohe Beteiligung an der DAAD "Campus-Initiative Internationale Fachkräfte", die offen ist für alle Hochschultypen. Ob Sie das neue Programm "FIT" – Förderung internationaler Talente zur Integration in Studium und Arbeitsmarkt nehmen oder "Profi plus“ – Akademische Anpassungsqualifizierung für den deutschen Arbeitsmarkt" – bei beiden Ausschreibungen haben die HAWs überproportional häufig mitgemacht. Und dann gibt es noch das Programm "HAW.International", das beispielsweise Auslandsaufenthalte von HAW-Studierenden finanziert und Hochschulen beim Ausbau ihrer Kooperationen mit ausländischen Partnern unterstützt, genau zugeschnitten auf die typische Praxisorientierung an HAWs. Dadurch werden die HAW insgesamt verändert, ihre Atmosphäre wird internationaler.
Sie sprechen von der gesellschaftlichen Verantwortung der Hochschulen, vom Wohlergehen der Studierenden und dem Schließen der Fachkräftelücke. Hand aufs Herz: Ganz so selbstlos ist das alles nicht, oder? Dass viele Hochschulen verschärft auf internationale Studierende schielen, liegt auch daran, dass die inländischen Studienanfänger weniger werden.
Zaby: Ich glaube schon, dass die Hochschulleitungen aus Überzeugung handeln. Das Hochschulbarometer von Stifterverband und Heinz-Nixdorf-Stiftung zeigt, dass überwältigende 99 Prozent der Rektorate und Präsidien über alle Hochschultypen hinweg sagen, dass sie die Bekämpfung des Fachkräftemangels als ihre Aufgabe ansehen. Als HAWs hören wir ja jeden Tag aus den KMUs, wie groß deren Not ist. Der limitierende Faktor fürs Wirtschaftswachstum sind die Menschen. Es gibt zu wenige, ob in der Industrie, in der Verwaltung oder in der Pflege. Auch wenn wir als Hochschule eine Professur ausschreiben, bekommen wir mitunter kaum noch Bewerbungen. Was ich aber nicht sehen kann: dass die Hochschulen jetzt einfach anfangen, blind ihre Studiengänge in den MINT-Fächern mit Menschen aus Nicht-EU-Ländern aufzufüllen. Sondern sie bemühen sich, ihre Studienangebote attraktiver zu gestalten, damit sich mehr junge Leute für sie entscheiden. Aus dem Inland und aus dem Ausland.
Helbig: Alles Andere wäre überhaupt nicht zu verantworten. Das sind Individuen, junge und kompetente Menschen, über die wir hier sprechen. Wenn sie sich entscheiden, nach Deutschland zu kommen und nach dem Studium zu bleiben, ist das wunderbar. Sie sind eine Bereicherung für unseren Campus und für unsere Gesellschaft – und kein Mittel zum Zweck.
Zugleich ist ihr Bleiben bei uns ein Verlust für ihre Heimatländer. Eine Frage, die in Zeiten des Fachkräftemangels kaum noch gestellt wird: Haben wir überhaupt das Recht, anderen Staaten ihre jungen Talente wegzufischen?
Zaby: Das ist eine uralte Frage. Wir sollten ihre Antwort nicht moralisieren, sondern eine utilitaristische Perspektive einnehmen: Wir machen Angebote zur Bildungsmigration, über die wir hier reden. Wir freuen uns, wenn sie von Studienanfängern aus dem Ausland angenommen werden und wenn diese nach ihrem Abschluss bleiben. Umgekehrt entscheiden sich viele Menschen auch zu einer Rückkehr, vielleicht nicht sofort, aber nach ein paar Jahren Berufserfahrung. Diese nehmen sie mit und werden zu wertvollen Brückenbauern zwischen Deutschland und ihren Heimatländern.
Helbig: Es gibt Regionen und Länder auf der Welt, da haben selbst sehr gut Qualifizierte – beispielsweise aus den Bereichen Medizin oder Ingenieurswissenschaften – keine Aussicht auf einen Arbeitsplatz. Deren Regierungen sagen uns oftmals: Wir sind froh, wenn unsere jungen Leute für zehn oder 20 Jahre bei euch arbeiten können, und dann können wir sie wieder gut in unseren Arbeitsmarkt integrieren.
"Die Menschen müssen sich bei uns innerhalb und außerhalb ihres Studiums wohl, angenommen und integriert fühlen."
Zaby: Bitter finde ich, wenn junge Menschen zu uns kommen, ihr gesamtes Studium bei uns absolvieren und dann in die USA gehen und dort einen Job annehmen. Das sollten wir als Lerngelegenheit verstehen, womit wir wieder am Anfang sind: Die Menschen müssen sich bei uns innerhalb und außerhalb ihres Studiums wohl, angenommen und integriert fühlen.
Was wünschen Sie sich von der Politik?
Zaby: Die Integration von internationalen Studierenden ist eine Daueraufgabe. Wenn wir die Bildungsmigration stärken wollen als Weg, um den Fachkräftemangel zu lindern, dann können die Unterstützungsprogramme für die Hochschulen, so gut sie sind, nicht befristet sein. Sonst entstehen daraus in den Welcome Offices und Karriereservices keine nachhaltigen Strukturen. Zumal die neuen DAAD-Programme nicht so gut finanziert wurden seitens der Politik, wie die Hochschulen das gebraucht hätten – was schon die große Zahl der Förderanträge zeigt.
Helbig: Für einen gewichtigen Hinderungsgrund halte ich das studentische Wohnen. In Lübeck haben wir jetzt zum ersten Mal erlebt, dass Studierende aus dem Ausland, die bereits immatrikuliert waren, wieder gehen, weil sie keinen Platz zum Wohnen finden. Hier haben Hochschulen in anderen Ländern einen großen Wettbewerbsvorteil, wenn sie den Studienplatz gleich zusammen mit einem Wohnheimplatz anbieten können. Wenn wir Vergleichbares hätten, wäre das ein Game Changer.
Zaby: In Berlin haben wir die geringste Wohnheimquote aller Bundesländer und einen Riesenzustrom ausländischer Studierender. Selbst die 5000 Wohnheimplätze, die der ehemalige Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit einst versprach, sind noch nicht gebaut worden, und ich sehe keine Besserung, wenn der eigentlich auf unserem Campus vorgesehene Wohnheimbau gerade aus dem Landesinvestitionsplan gestrichen wurde. Dafür entstehen umso mehr privatfinanzierte und entsprechend teure Studentenapartments.
Helbig: Wir dürfen auch innerhalb der Hochschulen bestimmte Diskussionen nicht länger scheuen. Jetzt spreche ich wieder als TH-Präsidentin. Wir haben an den Hochschulen viele englischsprachige Studiengänge eingeführt, das ist gut so. Aber wenn wir es mit der Integration und der Begleitung in den Arbeitsmarkt ernst meinen, müssen wir das Erlernen der deutschen Sprache in den Curricula verbindlicher machen. Da drücken wir uns derzeit an vielen Stellen drumherum.
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Fachgesellschaften und Wissenschaftler aus aller Welt schreiben Protestbriefe an die Max-Planck-Gesellschaft, nachdem diese sich von dem australischen Ethnologen getrennt hatte.
NACH ANTISEMITISMUS-VORWÜRFEN hatte sich die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) Anfang Februar von dem australischen Gastprofessor Ghassan Hage getrennt, laut MPG-Pressemitteilung im Einvernehmen. Seitdem ist es ruhiger geworden um Hage, zumindest in den deutschen Medien. In der internationalen Wissenschaftsszene verursacht der Fall dagegen weiter Aufregung. Zahlreiche Unterstützungsbekundungen für Hage in den vergangenen Wochen zeigen eine Dimension der internationalen Debatte über Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit, die im deutschen Kontext gelegentlich weniger wahrgenommen wird.
So hat die Provost der Universität von Melbourne, Hages Heimathochschule, dem forschungsstarken Ethnologen gerade erst in einem Schreiben an seine gesamte Fakultät der universitären Rückendeckung versichert. "Akademische Freiheit ist grundlegend für unsere Werte und Regeln", schrieb Nicola Phillips. "So, wie wir sie in der Vergangenheit aktiv verteidigt haben unter anderen Umständen, so tun wir es jetzt wieder in diesem Fall." Hage sei ein respektierter Kollege und Gelehrter mit internationaler Reputation.
Phillips‘ Schreiben ist auch deshalb bemerkenswert, weil die Max-Planck-Gesellschaft die Beendigung von Hages Aufenthalt am Max-Planck-Institut in Halle ebenfalls mit Verweis auf die "Grundwerte der MPG" begründet hatte, mit denen viele der "von Ghassan Hage in jüngerer Zeit über soziale Medien verbreiteten Ansichten" unvereinbar seien.
Unter anderem hatte der in Beirut geborene Wissenschaftler Israel als "sich überlegen fühlender Schläger" bezeichnet, dessen Ende als jüdischer Staat prognostiziert und laut WELT am Sonntag in einem inzwischen gelöschten Post geschrieben, "die Zionisten mit ihrer Siedlergewalt" würden zu "den wilden Bestien des Westens". Laut Zeitstempel noch am Tag des Hamas-Überfalls auf Israel schrieb Hage in seinem Blog ein Gedicht, das in der Feststellung kulminierte: "Die Palästinenser, wie alle kolonisierten Völker, beweisen noch immer, dass ihre Fähigkeit zum Widerstand endlos ist. Sie graben nicht nur Tunnel. Sie können über Mauern fliegen."
Die Erklärung der Max-Planck-Gesellschaft
Der inzwischen nach Australien zurückgekehrte Forscher bestritt, während er in Deutschland war, ein Antisemit zu sein, und betonte auf "X", die Autoren, von denen er am meisten gelernt habe, seien fast alle Juden gewesen. "Und hier lebe ich nun inmitten der Kulturen, die den Judenhass, das Verbrennen jüdischer Bücher und Geschäfte, das Einsperren von Juden in Konzentrationslager und deren massenhafte Ermordung zu einer makabren Kunstform erhöht haben, und muss mir moralische Vorträge anhören, wie man sich nicht antisemitisch verhält."
Nachdem zuerst die WELT am Sonntag über Hages Posts berichtet hatte, geriet die MPG zunehmend unter Druck. Nach tagelangem Schweigen veröffentlichte die MPG schließlich eine Mitteilung, in der sie den Abschied von Hage verkündete. "Rassismus, Islamophobie, Antisemitismus, Diskriminierung, Hass und Hetze haben in der Max-Planck-Gesellschaft keinen Platz."
Derweil hat eine vor drei Wochen gestartete Online-Petition zu Hages Unterstützung inzwischen über 3.500 Unterzeichner gefunden, viele davon aus englischsprachigen Ländern und nicht wenige, die nach eigenen Angaben Juden und sogar Verwandte von Holocaust-Überlebenden sind.
Briefe von Fachgesellschaften und Wissenschaftlern aus aller Welt
Fachgesellschaften und Wissenschaftler aus aller Welt haben sich in öffentlichen Briefen an MPG-Präsident Patrick Cramer gegen Hages "Entlassung" bzw. deren Begründung gewandt, darunter die Australische Anthropologischen Gesellschaft, die Britische Gesellschaft für Nahost-Studien und die Europäische Gesellschaft für Sozialantrophologie.
Auch der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie sprang Hage in einer Erklärung zur Seite und betonte die "unbedingte Notwendigkeit, Antisemitismus, Rassismus, und Islamophobie in Deutschland und weltweit zu bekämpfen". Dies lasse sich jedoch nicht durch "die Überwachung von Wissenschaftler:innen, ihrer wissenschaftlichen Arbeit und ihrer persönlichen Stellungnahmen erreichen". Auseinandersetzungen um den Israel-/Palästina-Konflikt ließen sich nicht ausschließlich mit den Mitteln der Antisemitismustheorie oder -kritik einordnen.
Über 50 israelisch-jüdische Wissenschaftler von Wissenschaftseinrichtungen in aller Welt, auch einige, die an deutschen Hochschulen und Forschungsinstituten arbeiten, schrieben ebenfalls an Cramer "in Unterstützung" Hages und "in Protest gegen die Anschuldigungen gegen ihn". Es sei bekannt, dass Hage ein Unterstützer des Boykotts israelischer akademischer Institutionen und Teil der BDS sei. "Obwohl viele von uns nicht einverstanden sind mit den Methoden dieser Bewegung, erkennen wir an, dass sie nicht die Diskriminierung individueller Juden oder Israelis vorgibt, und wir können versichern, dass Professor Hage auch nicht diese Form der Diskriminierung praktiziert."
Mehrere israelisch-jüdische Wissenschaftler hätten das "Privileg des Austausches und der Debatte" mit ihm gehabt, "und uns ist immer mit Respekt, Freundlichkeit und einer professionellen Antwort begegnet worden." Weiter schrieben die Unterzeichner an MPG-Präsident Cramer: Inmitten einer Zeit der Polarisierung, des tiefen Misstrauens, nationalistischer Radikalisierung und der Verfolgung kritischer Stimmen "appellieren wir an Sie, sich nicht auf das brutale Mundtotmachen kritischer Stimmen einzulassen und die akademischen Werte unvoreingenommener Evaluation und des fairen Umgangs aufrechtzuerhalten".
MPG-Präsident Cramer will die Diskussion in den Max-Planck-Sektionen abwarten
Die Liste an Stellungnahmen zugunsten Hages ließe sich fortsetzen, er selbst hat sie auf seinem X-Account dokumentiert. Nicht weniger lang ist – vor allem in Deutschland – die Liste seiner Kritiker und all derjenigen, die eine weitere Aufklärung von der MPG fordern, etwa seit wann sie von Hages Äußerungen gewusst habe und warum sie nicht früher eingeschritten sei. In jedem Fall aber zeigen die internationalen Wortmeldungen zu seiner Unterstützung, warum die international so stark vernetzte MPG sich so schwertut, einen kommunikativ geradlinigen Umgang mit Fällen wie dem Hages zu finden.
Entsprechend hat die MPG auch auf alle Briefe und Erklärungen zur Unterstützung Hages bislang nicht reagiert. Auf Anfrage sagte eine Sprecherin, Präsident Cramer werde erst die Diskussion in den Fächer-Sektionen der Forschungsgesellschaft in der neuen Woche abwarten "und dann entscheiden, wie wir antworten". Unterdessen kündigte Hage vor dem Wochenende an, gerichtlich gegen die MPG vorgehen zu wollen, "hier geht es um viel mehr als mich“.
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Antisemitismus-Streit in Halle: Max-Planck-Gesellschaft trennt sich von Gastprofessor Ghassan Hage
Nach mutmaßlich antisemitischen Äußerungen eines Wissenschaftlers geriet die Max-Planck-Gesellschaft seit dem Wochenende unter Druck, klar Stellung zu beziehen. Der Forscher selbst betonte, er sei kein Antisemit. Jetzt reagiert die Forschungsorganisation. (07. Februar 2024) >>>
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Jakob von Weizsäcker wird im Juli der erste Vorsitzende der neuen Wissenschaftsministerkonferenz. Außerdem ist er der einzige Wissenschaftsminister, der auch Finanzminister ist. Eine glückliche Kombination aus Sicht der Hochschulen? Ein Interview über die Machbarkeit der nötigen Zukunftsinvestitionen, den Umbau des wissenschaftlichen Karrieresystems und einen Besuch in Israel.
Jakob von Weizsäcker (SPD) ist seit April 2022 Minister der Finanzen und für Wissenschaft im Saarland. Von 2014 bis 2019 war der Ökonom Mitglied des Europäischen Parlaments und anschließend Abteilungsleiter für Grundsatzfragen und internationale Wirtschaftspolitik im Bundesfinanzministerium. Foto: Oliver Dietze.
Herr von Weizsäcker, wenn am 1. Juli die neue Wissenschaftsministerkonferenz startet, sind Sie dann der Präsident aller Wissenschaftsminister in Deutschland?
Tatsächlich macht sich der Wissenschaftsbereich eigenständig, aber mit schlanken Strukturen, also ohne großes Präsidium und Präsidententitel, aber weiter unter dem Dach der KMK. Insofern dürfte ich schlicht der erste Vorsitzender der neuen WissenschaftsMK werden. Das alles ist keine schmerzhafte Scheidung von den Bildungsministerinnen und Bildungsministern, sondern eine freudvolle Weiterentwicklung, die den veränderten Ressortzuständigkeiten Rechnung trägt.
Was meinen Sie damit?
Im klassischen Kultus waren die Zuständigkeiten für Schule, Wissenschaft und Kultur vereint. Dieser Logik entsprechend war die Kultusministerkonferenz sinnvoll strukturiert. Heute gibt es aber nur noch in einem Bundesland, nämlich in Schleswig-Holstein, solch ein klassisches Kultusministerium. Überall sonst gibt es eine stärkere Aufteilung der Zuständigkeit auf zwei oder sogar drei Ressorts. Das führte dazu, dass die für Teilbereiche verantwortlichen Ministerinnen und Minister in den Sitzungen der KMK gelegentlich das Gefühl hatten, nur eine Minderzahl der Themen gehe sie wirklich etwas an.
Mit dem Ergebnis, dass etwa die Wissenschaftsminister kaum noch zu den Treffen der Kultusministerkonferenz gekommen sind.
Mit dem Ergebnis, dass die für Kultur zuständigen Minister schon 2018 ihre eigene Kulturministerkonferenz innerhalb der KMK gegründet haben. Diesen Schritt holen wir für die Wissenschaft jetzt nach. Form follows function. Daher werden wir die Sitzungen der neuen WissenschaftsMK an Terminen stattfinden lassen, die wir ohnehin haben: einmal im Jahr parallel zum Wissenschaftsrat, einmal am Tag der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) und das dritte Mal anlässlich der KMK. Es gibt ja weiterhin thematische Schnittmengen mit den Bildungsressorts, zu denen wir uns selbstverständlich weiter abstimmen.
Es geht also nur um eine Arbeitserleichterung für die Wissenschaftsminister, weil sie sich unnötige Sitzungen sparen können? Ich hatte gedacht, die WissenschaftsMK stehe für einen neuen föderalen Gestaltungsanspruch.
Das ist keine Frage der Annehmlichkeit für die Wissenschaftsministerinnen und -minister, sondern der Arbeitsökonomie, der Effizienz und, wie Sie sagen, der Schlagkraft.
"Ohne eine entsprechende Kompensation im Gesundheitssystem droht dies zu Lasten der Medizinstudienplätze zu gehen, von denen wir ja eigentlich mehr statt weniger benötigen."
Geben Sie bitte ein paar Beispiele, wo wir diese neue Schlagkraft demnächst merken werden.
Erst einmal müssen wir die neue Konferenz ins Leben rufen. Wir sind da gut vorangekommen, aber ein paar Details müssen noch geklärt werden. Das erledigen wir bis zum KMK-Treffen im Juni. Inhaltlich geht es zum Beispiel um Finanzierungsfragen der Universitätsklinika, die einen riesigen Posten in den Budgets unserer Ressorts ausmachen. Die Klinika leisten einen entscheidenden Beitrag zu unseren Gesundheitssystem, arbeiten aber derzeit überwiegend mit hohen Defiziten. Das geht zulasten der übrigen Wissenschaftsfinanzierung. Wir müssen im Rahmen der Krankenhausreform zu einer fairen Vergütung der Unikliniken kommen.
Den Versuch, mehr Geld von der Gesundheitsseite zu bekommen, unternehmen die Wissenschaftsminister seit Jahren.
Es geht ganz konkret um die Krankenhausreform. Es geht auch ganz konkret um das Thema der neuen Approbationsordnung, die die Ausbildung von Ärzten nicht nur besser, sondern auch teurer machen würde. Ohne eine entsprechende Kompensation im Gesundheitssystem droht dies zu Lasten der Medizinstudienplätze zu gehen, von denen wir angesichts des Ärztemangels ja eigentlich mehr statt weniger benötigen. Ich möchte aber noch einen weiteren Schwerpunkt in diesem Jahr nennen. Deutschland ist inzwischen das drittbeliebteste Ziel für internationale Studierende weltweit. Das ist ein großartiger Erfolg, auch wenn ins Verhältnis zur eigenen Bevölkerungszahl gesetzt eine Reihe anderer europäischer Länder noch erfolgreicher sind. Aber der Wettbewerb um Studierende wird sich vor dem Hintergrund des demographischen Wandels und des Fachkräftemangels weiter intensivieren. Deshalb bereiten wir eine Internationalisierungsstrategie für die deutschen Hochschulen vor, die noch in diesem Jahr beschlossen werden soll. Nur ein Detail, aber für mich ein wichtiges, ist, dass wir die für ein Studium in Deutschland vorausgesetzten Deutschkenntnisse künftig stärker vom Studienfach abhängig machen. Es kann nicht sein, dass wir die international talentiertesten Leute für ein MINT-Studium nicht erreichen, weil sie hier in Deutschland erst ein oder zwei Jahre einen Deutschkurs belegen müssten, während sie anderenorts gleich fachlich losstudieren können. Da müssen wir flexibler werden, wenn wir international wettbewerbsfähig sein wollen.
Dass Ihnen als eines der ersten Themen die Krankenhausfinanzierung eingefallen ist, mag auch daran liegen, dass Sie nicht nur Wissenschafts-, sondern auch Finanzminister sind im Saarland. Eine ungewöhnliche, dafür aber glückliche Kombination aus Sicht der Wissenschaft?
Natürlich muss ich als Finanzminister gegenüber allen Ressorts fair sei, darf mich als Wissenschaftsminister also nicht bevorzugen. Trotzdem birgt diese ungewöhnliche Ressortkombination erhebliche Chancen. Nehmen Sie das Thema der Transformation, von dem das Saarland besonders betroffen ist: Kein Bundesland hat eine höhere Beschäftigungskonzentration in der Automobilindustrie und der Stahlindustrie als das Saarland. Wir haben deshalb im Saarland einen Transformationsfonds geschaffen, damit der durch den Ukrainekrieg und den Energiepreischock beschleunigte Strukturwandel im Saarland gelingen kann. Das erfordert neben klassischer Industriepolitik massive Investitionen in Infrastruktur und in unser Innovationssystem: in Startups, in Technologietransfer, in Forschung und Wissenschaft. Wenn der Finanzminister inhaltlich sensibilisiert ist für diese innovationspolitischen Zukunftsfragen, dann hilft das auch dem Wissenschaftsressort.
"Kürzungen im Zukunftsfeld Hochschulen wären der falsche Weg. Denn wie sollen wir die Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft schaffen, wie den Fachkräftemangel bekämpfen ohne Investitionen in die Hochschulen?"
Und über das Saarland hinaus? Verschaffen Sie dem Thema Wissenschaft mehr Sichtbarkeit und Problembewusstsein im Kreise Ihrer Finanzministerkollegen aus den anderen Bundesländern?
Man sollte seine eigene Bedeutung nicht überschätzen. Ich glaube nicht, dass meine Doppelfunktion da einen großen qualitativen Unterschied macht. Aber ich kann vielleicht an der einen oder anderen Stelle als Dolmetscher fungieren zwischen den zwei recht unterschiedlichen Politikfeldern. Wie hilfreich das letztlich ist, müssen andere beurteilen.
Machen wir auch das konkret. In praktisch allen Bundesländern sind die öffentlichen Haushalte unter Druck. Müssen die Hochschule auch im Saarland mit Einschnitten rechnen?
Wir bewegen uns in der Wissenschaft dank Hochschulverträgen oder Ziel- und Leistungsvereinbarungen in einem mehrjährigen Rahmen. Das gibt den Hochschulen finanzielle Planungssicherheit. Im Saarland soll die nächste Ziel- und Leistungsvereinbarung am 1. Januar 2026 in Kraft treten. Die verhandeln wir also nächstes Jahr. Kürzungen in diesem Zukunftsfeld wären der falsche Weg. Denn wie sollen wir die Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft schaffen, wie den Fachkräftemangel bekämpfen ohne Investitionen in die Hochschulen? Gleichzeitig gehört das Saarland zu den finanzschwächsten Ländern. Deshalb ist es besonders wichtig, dass wir dank des Transformationsfonds auch jenseits des Kernhaushalts Impulse für unser Innovationssystem setzen können.
Warum fällt es der Haushaltspolitik wider besseres Wissen so schwer, in der Krise mutig auf Zukunftshemen wie Bildung und Wissenschaft zu setzen – anstatt gerade da auch noch einzusparen?
Unsere Schuldenbremse ist relativ gut darin, überbordende Staatsverschuldung zu verhindern. Deshalb sollte man sie nicht abschaffen. Leider hilft die Schuldenbremse derzeit aber überhaupt nicht dabei, das Auftürmen von Bildungsschulden, Infrastrukturschulden, Digitalisierungs- und Dekarbonisierungsschulden zu verhindern. In einer Zeit, in der wir einen enormen Investitionsschub benötigen, damit die Transformation gelingt, wird das zu einem echten Problem. Deshalb wäre ich dafür, dass wir uns endlich ehrlich machen, wie groß die öffentlichen und privaten Investitionsbedarfe für die Transformation in den kommenden 20 Jahren in etwa sind. Dabei könnte eine hochrangige Expertenkommission der Politik helfen. Und auf dieser Basis ist dann zu überlegen, wieviel der erforderlichen öffentlichen Investitionen realistischerweise aus dem laufenden Haushalt bezahlt werden können – und wieviel darüber hinaus mit Schulden, die man dann später mit der gesteigerten Finanzkraft einer gelingenden Transformation bedient. Im Ergebnis wird man dann die Schuldenbremse reformieren müssen.
Wenn Sie vom Fachkräftemangel sprechen: Wie wollen Sie verhindern, dass die nächste Generation junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Hochschulen abwandert, weil ihre Karriereperspektiven so unklar und unsicher sind?
Das Karrieresystem an deutschen Hochschulen befindet sich in einem Zwischenzustand irgendwo zwischen dem traditionellen Weg zur Professur, mit Lehrstühlen, mit Habilitationen und Berufungsverfahren auf der einen Seite und dem angelsächsischen Tenure-Track-Modell auf der anderen Seite. Aus diesem Zwischenzustand müssen wir endlich raus. Er macht auch die Diskussionen gerade im Postdoc-Bereich so schwierig und auch emotional. Was wir daher meines Erachtens bräuchten, ist eine von möglichst vielen Akteuren gemeinsam getragene Grundsatzentscheidung, in welche Richtung wir gehen wollen als Hochschulsystem.
"Wir sollten so rasch und so komplett wie möglich umstellen auf ein stimmiges System aus Tenure Track als Standard und der flächendeckenden Etablierung von Department-Strukturen."
Und wie sollte diese Grundsatzentscheidung aussehen, wenn es nach Ihnen geht?
Für mich gibt es mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit eine klare Präferenz: Wir sollten so rasch und so komplett wie möglich umstellen auf ein stimmiges System aus Tenure Track als Standard und der flächendeckenden Etablierung von Department-Strukturen – was einhergehen würde mit einer deutlichen Reduktion des abhängig arbeitenden Personals.
Darüber können wir jetzt lange diskutieren, oder Sie machen es einfach wie die hessische Landesregierung und beschließen, dort als Teil des Tarifabschlusses für den öffentlichen Dienst, dass die Hochschulen bis 2030 eine verpflichtende Anzahl zusätzlicher Wissenschaftlerstellen entfristen müssen.
Wir gehen im Saarland einen anderen Weg. In der Novelle unseres Hochschulgesetzes wollen wir eine Promovierendenvertretung einführen. Diese Art der hochschulinternen Demokratie wird dafür sorgen, dass Themen, die den wissenschaftlichen Nachwuchs betreffen, mit einer neuen Dringlichkeit innerhalb der Hochschulen artikuliert werden – und Niederschlag finden in den diesbezüglichen Entscheidungen.
Ist das eine elegant formulierte Ausrede, um nicht das nötige Geld für mehr Dauerstellen in die Hand nehmen zu müssen?
Wenn die Hochschulen den Wechsel zu einem echten Tenure Track- und Department-System machen, wird sich der Stellenmix automatisch verschieben. Und ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass die Hochschulfinanzierung dadurch viel teurer würde. Nochmal: Ich will die Übergangsprobleme von einem ins andere System nicht kleinreden, aber unsere Hochschulen stehen in einem Wettbewerb mit den Hochschulen weltweit und genauso mit der Privatwirtschaft. Wie will man denn die Leute halten, wenn man sie noch zehn Jahre nach ihrem Hochschulabschluss völlig im Ungewissen über ihre berufliche Zukunft lässt? Dafür müssen Sie ein attraktives Gesamtpaket anbieten können.
Ihr Ministerkollege Markus Blume aus Bayern kritisiert die Bundesbildungsministerin für ihre BAföG-Reform. Die sei enttäuschend: "Auf der einen Seite beim Bürgergeld großzügig sein, aber den Studierenden mit einer Nullrunde kommen. Das passt nicht zusammen und verfehlt die Lebensrealität der Studierenden." Argumentativ ein bisschen einfach, wenn man bedenkt, dass die Länder den Bund seit 2016 das BAföG allein zahlen lassen?
Als Finanzminister weiß ich: Weder für den Staat, der Steuereinnahmen braucht, noch für die jungen Menschen ist es eine gute Idee, wenn sie länger studieren, weil sie nebenher viel jobben müssen. Das BAföG muss so bemessen sein, dass sich junge Menschen auf ihr Studium konzentrieren können, und zwar unabhängig davon, wieviel Geld ihre Eltern haben. Dann kommen die Studierenden besser und schneller durchs Studium, treten früher gut bezahlte Jobs an und zahlen mehr Steuern.
"Wir wollen nicht nur unsere Zusammenarbeit mit der herausragenden israelischen Wissenschafts- und Hochschulszene fortsetzen, wir wollen sie ausbauen."
Ärger gab es zwischen Landeswissenschaftsministern und Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger in den vergangenen zwei Jahren an vielen Stellen. Geht vor der nächsten Bundestagswahl überhaupt noch etwas in der föderalen Wissenschaftspolitik?
Die Bundesregierung kämpft ressortübergreifend mit einem massiven Spardruck, obwohl man eigentlich deutlich mehr in die Zukunft investieren müsste. Darunter leidet auch das BMBF. Diese Situation verkompliziert tatsächlich die Zusammenarbeit, wenn der Bund versucht, diesen Spardruck zu Lasten der Länder weiterzureichen. Das sollte man allerdings nicht der Bundesbildungsministerin zum Vorwurf machen, die ich sehr schätze.
Was genau erwarten Sie denn vom Bund noch in dieser Legislaturperiode?
Vor allem erwarte ich ein Signal, dass es perspektivisch gelingt, das notwendige Geld für die unverzichtbaren wissenschafts- und forschungsgetriebenen Zukunftsinvestitionen zu mobilisieren. Der 2025er Haushalt wird dafür ganz entscheidend sein.
Vor wenigen Tagen sind Sie von einer Delegationsreise mit Wissenschaftsministern und Hochschulrektoren aus Israel zurückgekehrt. Mussten Sie dort viel Erklärungsarbeit leisten angesichts der antisemitischen Vorfälle an deutschen Hochschulen?
Die Hamas-Terrorattacken vom 7. Oktober sind ein Trauma für das Land, denn Israel wurde nicht zuletzt als sicherer Zufluchtsort für Juden aus aller Welt gegründet. Es ist klar, dass sich Israel gegen diese Attacke verteidigen muss. Gleichzeitig droht inzwischen in Gaza der Zivilbevölkerung eine fürchterliche Hungersnot, die abgewendet werden muss. Die Situation ist also alles andere als einfach. Vor diesem Hintergrund war es uns wichtig, Solidarität mit Israel und der dortigen Wissenschaft zu zeigen. Die Universitäten stehen für die offene Gesellschaft. Besonders beeindruckt hat es mich, wie es den Universitäten gelingt, das friedliche Miteinander von jüdischen und palestinensischen Studierenden zu organisieren. Das macht Hoffnung für eine bessere Zukunft. Aber natürlich wurden wir auch nach der Sicherheit der jüdischen Studierenden in Deutschland gefragt. Leider nehmen in der aktuellen Lage die antisemitischen Vorfälle in Deutschland zu. Dieser Entwicklung müssen wir uns mit aller Entschiedenheit entgegenstellen. Das war der Grund, warum wir als Wissenschaftsminister einen Aktionsplan gegen Antisemitismus und Israelfeindlichkeit an den Hochschulen beschlossen haben. Dabei geht es um Prävention und Sensibilierung, um feste Anlaufstellen für Betroffene und um die Überprüfung von Sicherheitskonzepten. Was wir glücklicherweise nicht wahrgenommen haben: dass israelische Forschende nicht mehr nach Deutschland kommen wollen oder dass der Studierendenaustausch nach Deutschland leidet. Umgekehrt gibt es stellenweise derzeit eine gewisse Zurückhaltung auf deutscher Seite, nach Israel zu reisen. Auch deshalb war unsere Reise ein wichtiges Signal: Wir wollen nicht nur unsere über Jahrzehnte gewachsene Zusammenarbeit mit der herausragenden israelischen Wissenschafts- und Hochschulszene fortsetzen, wir wollen sie ausbauen.
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Von "degradierten Pussys" und "ehrenhafte Typen": Wie toxische Vorstellungen von Männlichkeit über die sozialen Medien die gesamte junge Generation erreichen – und was das für Schulen, Hochschulen und die Zivilgesellschaft bedeutet. Ein Gastbeitrag zum Internationalen Frauentag von Nina Kolleck und Johanna Maria Pangritz.
Nina Kolleck ist Professorin für Erziehungs- und Sozialisationstheorie an der Universität Potsdam. Johanna Maria Pangritz ist Postdoktorandin am dortigen Arbeitsbereich. Fotos: Thomas Roese, Uni Potsdam/privat.
FEMINISMUS ERSCHEINT OMNIPRÄSENT. Influencerinnen wie Nancy Basile und Kinofilme wie "Barbie" oder "Poor things" setzen neue Standards für weibliche Figuren, brechen mit traditionellen Rollenklischees und tragen dazu bei, die Debatte über Feminismus auch in der Popkultur voranzutreiben.
Doch hinter den Leinwänden florieren die traditionellen Vorstellungen von Männlichkeit. Repräsentative Studien zeigen einen Anstieg sexistischer und antifeministischer Meinungen, besonders bei jungen Menschen. So ergab die Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, dass rund zwölf Prozent der Befragten (Frauen und Männer) glauben, Gleichberechtigung bedeute eine Machtübernahme der Frauen. Der Anteil derjenigen, die der Aussage zustimmten, dass Frauen sich mehr auf die Rolle der Ehefrau und Mutter besinnen sollten, stieg von 7,6 Prozent im Jahr 2020/21 auf 10,6 Prozent im Jahr 2022/23.
Aktuelle Forschungsarbeiten belegen zugleich, dass die gesellschaftlichen Vorstellungen von Männlichkeit in Deutschland stark variieren. Eine Untersuchung des Bundesforums Männer ergab, dass mittlerweile 84 Prozent der Männer die Gleichstellung der Geschlechter als wichtig für den gesellschaftlichen Zusammenhalt erachten. Im Jahr 2015 waren es noch 79 Prozent. Umfragen des Survey Centers on American Life in Deutschland wiederum zeigen, dass sich die politischen Ansichten von jungen Männern und Frauen zunehmend unterscheiden. Während junge Frauen in den vergangenen Jahren liberaler wurden, halten junge Männer oft an konservativen Werten fest oder bewegen sich politisch nach rechts.
Die Vorstellungen von Männlichkeit schwanken zwischen modernen Ansätzen (beispielsweise fürsorgliche, sich aktiv an der Kinderbetreuung beteiligende Väter) und traditionellen, bis ins rechte Spektrum reichenden Vorstellungen, die Gleichstellung ablehnen. Auf Social-Media-Plattformen wie TikTok oder Instagram finden letztere viele Anhänger. Einige Kanäle propagieren die Rückkehr zu einer patriarchalen Männlichkeit, erkennen Frauen und queere Menschen nicht als gleichgestellt an. Onlinetrends wie "#TradWife" oder "#cottagecore" stellen Frauen als unterlegen dar oder betonen ihre traditionellen Aufgaben als Hausfrauen – ein Leben allein zu den Diensten des Mannes.
Immer wieder auf Platz 1 der Spotify Podcast Charts
Einige mögen denken: Solche Einflüsse betreffen nur einen kleinen Teil unserer Gesellschaft. Leider ist das falsch. Toxische Vorstellungen von Männlichkeit erreichen die gesamte junge Generation. Influencer wie die Podcaster Hoss und Hopf haben mit ausgefeilten Social-Media-Strategien das Vertrauen der jungen Generation gewonnen und verbreiten erfolgreich ihre frauenfeindlichen Botschaften. Der Podcast befand sich immer wieder auf Platz 1 der Spotify Podcast Charts.
Auf TikTok nutzen Hoss und Hopf eine besonders ausgefeilte Vorgehensweise: Wer ihre Video weiterverbreitet und dafür die meisten "Likes" erhält, dem versprechen die beiden Podcaster regelmäßig einen hohen Gewinn. Wahrscheinlich kennen mittlerweile alle Jugendlichen Personen im Umfeld, die durch die Verbreitung der Videos bereits Geld von Hoss und Hopf erhalten haben. Die Videos werden selbst von TikTok-Nutzer:innen geteilt, die sich sonst kritisch gegenüber Verschwörungstheorien äußern und demokratiefreundliche Ansichten vertreten. Trotz behaupteter Löschung ihrer Videos durch TikTok sind die meisten immer noch online. Das zeigt: Kanäle wie TikTok haben die Verbreitung von Falschinformationen nicht mehr im Griff.
Hoss und Hopf behaupten, dass die Geschlechterrollen evolutionsbiologisch begründet und festgefahren sind. Frauen sollen demnach in Höhlen für den Nachwuchs sorgen, während Männer als Jäger draußen ihre Rolle als Versorger übernehmen. Sie vertreten die Ansicht, dass Kinder auch heute möglichst lange in dieser traditionellen Struktur verbleiben sollten, um nicht zu früh in Kita oder Schule zur Frühsexualisierung verführt zu werden. Männer, die diesen Rollen nicht entsprechen, werden von Hopf als "degradierte Pussys" bezeichnet, da sie nicht eindeutig männlich seien. Im Gegensatz dazu stehen die "ehrenhaften Typen", die den Respekt der Frauen verdienten.
Ein anderer einflussreicher Influencer ist der ehemalige Kickbox-Weltmeister und heutige Unternehmer Andrew Tate. Tate bezeichnet sich selbst als "Frauenhasser" und verbreitet seine frauenverachtenden Botschaften über Plattformen wie TikTok und YouTube. Er wird von Bildungsforschenden als eine der einflussreichsten Personen in Fragen der Erziehung, Sozialisation und Persönlichkeitsentwicklung betrachtet. Hoss und Hopf widmen Tate zwei Folgen ihres Podcasts und beschreiben ihn als bedeutenden Einfluss auf die heutige Jugend.
Tate steht derzeit in Rumänien vor Gericht wegen Vorwürfen wie Menschenhandel, der Bildung einer kriminellen Organisation und Vergewaltigung. Seine Strategie, Frauen zu verführen und sie als „Webgirls“ arbeiten zu lassen, war lange Zeit öffentlich auf seiner Homepage und in YouTube-Videos zu sehen. Viele dieser Inhalte wurden mittlerweile gelöscht, vermutlich aufgrund des laufenden Gerichtsverfahrens. Seine Männlichkeit, die Frauen unterwirft, ist geprägt von finanziellem Erfolg, physischer und mentaler Stärke sowie der Ansicht, dass er und seine Männlichkeit in der heutigen Gesellschaft benachteiligt sind.
Schulen spielen eine Schlüsselrolle im Kampf gegen diese gesellschaftliche Spaltung
Obwohl Tates Kanal teils ebenfalls auf verschiedenen Plattformen gesperrt wurde, verbreiten sich seine Botschaften weiterhin. Für viele Menschen weltweit ist Tate eine Ikone und ein Orientierungspunkt im Leben. Die Diskussion über diese Person ist in Schulen, Familien, Hochschulen und der Bildungsforschung weltweit präsent und nicht mehr wegzudenken. So zeigen Studien etwa von Wissenschaftler:innen der Monash University, dass Lehrerinnen in Australien vermehrt Misogynie erfahren, da Jungen durch Tates Ideen beeinflusst und radikalisiert werden. Ebenso konnten Wissenschaftler:innen von der University Liverpool und dem University College London den Einfluss von Tate auf männliche Jugendliche feststellen.
Hinter der Weltanschauung, die Tate, Hoss und Hopf und andere vertreten, liegt die Annahme, dass die westliche Männlichkeit bedroht ist und in der Krise steckt. Diese Veränderung der Geschlechterverhältnisse wird mit dem Verlust patriarchaler Männlichkeit gleichgesetzt und die wahre Männlichkeit als benachteiligt dargestellt.
Es ist höchste Zeit, dieser gesellschaftlichen Spaltung aktiv entgegenzutreten. Bildungspolitik, Schulen und Hochschulen spielen dabei eine Schlüsselrolle. Sie sollten den Mut haben, einen offenen Dialog über Geschlechterbilder und die Spaltungen in unserer Gesellschaft zu führen. Schulen müssen zu diesem Zweck die Medienbildung, die digitale und politische Bildung stärken, um den Schüler:innen zu helfen, Informationen kritisch zu hinterfragen, Quellen zu überprüfen und verschiedene Perspektiven zu berücksichtigen. Gleichzeitig müssen Schulen Medienkompetenz vermitteln, damit Schüler:innen manipulative Inhalte in sozialen Medien erkennen und für Geschlechtergleichstellung eintreten können. Dafür müssen auch die Lehrkräfte entsprechend aus- und fortgebildet werden, wichtig sind zudem gezielte Programme zur Förderung von Geschlechtergleichstellung und -diversität für Lehrkräfte sowie Schüler:innen.
Es braucht aber noch mehr. Wer sich für Gleichstellung und Menschenrechte einsetzt, muss deren Gegner:innen dort schlagen, wo sie besonders erfolgreich sind: in den sozialen Medien. Parteien, Zivilgesellschaft, soziale Bewegungen, NGOs, Vereine und Bildungseinrichtungen müssen daher dringend ihrerseits aktiver und kreativer bei TikTok, Instagram und YouTube werden und ansprechende Videos produzieren. Es darf keine Alternative sein, diese Plattformen den Gegner:innen von Demokratie und Aufklärung zu überlassen. Der Trend zu Falschinformationen und Menschenfeindlichkeit lässt sich nicht nur mit dem Zeigefinger bekämpfen, sondern mit Rollenvorbildern, die zeigen, was wirklich cool ist: eine gerechte und inklusivere Gesellschaft.
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Am Mittwochnachmittag überreichen die EFI-Wissenschaftsweisen ihr Jahresgutachten an Bundeskanzler Scholz. Der EFI-Vorsitzende Uwe Cantner spricht im Interview über den transformationspolitischen "Schlingerkurs" der Ampel, Deutschlands Bildungskrise und den Rückstand bei der KI-Entwicklung, die Öffnung zur Militärforschung – und was die Regierung trotz allem richtig macht.
Uwe Cantner, 63, ist seit Mai 2019 Vorsitzender der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI). An der Universität Jena hat er eine Professur für VWL/Mikroökonomie, seit 2014 ist er Vizepräsident seiner Universität. Foto: David Ausserhofer.
Herr Cantner, wenn Sie nach der Überreichung des neuen EFI-Jahresgutachtens eine Minute allein hätten mit Olaf Scholz, was würden Sie ihm raten?
Meine wichtigste Botschaft an den Bundeskanzler wäre: Trotz aller Riesenaufgaben von der Verteidigungs- über die Sicherheits- bis hin zur Klimapolitik dürfen Forschung und Innovation auf keinen Fall unter die Räder der immer schärferen Budgetkonkurrenz geraten. Und dann würde ich ihm ein paar Vorschläge machen, wie sich die Bearbeitung der unterschiedlichen Herausforderungen geschickt mit einer gut ausfinanzierten F&E-Politik kombinieren ließe.
Alle wissen doch, dass sich die großen Probleme von heute und morgen nur mithilfe der Wissenschaft lösen lassen. Warum glauben Sie trotzdem, dass so eine Warnung nötig ist?
Weil wir die Transformation unserer Gesellschaft und unserer Wirtschaft hin zur Klimaneutralität und damit auch die nötige Forschung und Entwicklung jetzt durchführen und finanzieren müssen, die Erträge aber erst weit nach den nächsten Wahlen sichtbar werden. Da ist es politisch opportuner, große Investitionsprogramme für die Bundeswehr zu beschließen oder Konjunkturstimuli, die schnell wirken. Wir dürfen über dem kurzfristig Drängendem nicht das langfristig Erforderliche aus den Augen verlieren.
Sie sagen es selbst: Politiker wollen Wahlen gewinnen, anstatt sie jetzt zu verlieren und in 15 Jahren Recht gehabt zu haben.
Dieser Gegensatz ist nicht zwangsläufig. Es ist durchaus möglich, Verantwortung für heute und für die Zukunft zu übernehmen. Also Strategien und Maßnahmen zu entwickeln, die schnell helfen, mit ihren Auswirkungen aber der nächste Generation zu Gute kommen. Natürlich muss ich so einen langfristigen Plan den Wählerinnen und Wählern unbedingt erklären, sie dafür gewinnen. Die Grünen versuchen das meiner Meinung nach zurzeit am ehesten.
Und bekommen entsprechend Gegenwind. Sagen Sie mir bitte, wann eine Regierung das zuletzt so gehandhabt hat und dann erfolgreich bei Wahlen war.
(lange Pause) Bei der Wiedervereinigung, beim Aufbau Ost, da hat es funktioniert.
Den Eindruck hatte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl vermutlich nicht, als er von Demonstranten mit Eiern beworfen wurde.
Proteste wird es immer geben, wenn sich Dinge ändern. Aber Kohl ist 1994 wiedergewählt worden. Und er hat das sehr geschickt angestellt mit seinem Versprechen, in zehn Jahren werde es im Osten "blühende Landschaften" geben. Bis die da waren, hat es zwar – im Nachhinein betrachtet – deutlich länger gedauert, aber er hat es mit diesem Narrativ geschafft, die Leute hinter sich zu bringen. Mehr noch: Er hat einen parteiübergreifenden Konsens in der Politik hergestellt, der ziemlich lange gehalten hat. Man hat das zusammen durchgezogen. So lange, bis wichtige Weichen gestellt waren. Ein bisschen von diesem Geist würde ich mir heute wünschen. Zuerst hatte ich den Eindruck, der Ampel-Koalitionsvertrag, der sehr ambitioniert war, wäre ein Signal für einen solchen gemeinsamen Aufbruch. Aber in der Praxis der drei Parteien prallen die Ideologien aufeinander. Und in der Wahrnehmung der Wähler verlieren alle Koalitionspartner – und extreme Kräfte bekommen Aufwind.
"Jeden Tag wird eine andere Technologie durchs Dorf getrieben, die abgelöst oder besonders gefördert werden soll. Die Politik generiert keine Ziele, sondern Unsicherheit."
Ist es nicht erwartbar, dass bei einer Transformationsaufgabe dieser Größe die Fetzen fliegen?
Ich habe nichts dagegen, wenn über die Maßnahmen gestritten wird: Steuererhöhung, Steuersenkung, Subventionsabbau, Gebote und Verbote, solche Dinge. Das Problem ist, wenn darüber die gemeinsamen Ziele verloren gehen. Die Regierung braucht einen Zielkorridor, wo sie hinwill, und dieser Zielkorridor muss über eine Legislaturperiode und die jetzige Parteienkonstellation hinaus Bestand haben. Die Unternehmen haben hunderte Milliarden auf der hohen Kante, aber sie geben sie nicht aus, weil sie nicht wissen, in was sie investieren sollen. Jeden Tag wird eine andere Technologie durchs Dorf getrieben, die abgelöst oder besonders gefördert werden soll. Die Politik generiert keine Ziele, sondern Unsicherheit.
Bekommen andere Länder das besser hin mit dem Zielesetzen?
Bei allen politischen Schwierigkeiten würde ich sagen, dass die USA besser sind im Ansagenmachen in Richtung ihrer Wirtschaft, im Setzen von Rahmenbedingungen. Oder nehmen Sie Österreich: Da hat die Bundesregierung einen nationalen Energie- und Klimaplan aufgestellt, auf den sich alle politischen Akteure verständigt haben, und unterlegt ihn strategisch-langfristig mit Maßnahmen wie der "Klimaneutralen Stadt". Natürlich ist es von Vorteil, wenn wie dort alle Zuständigkeiten in einem Ministerium konzentriert sind, das auch die operative Umsetzung übernimmt, das schafft Konstanz –während bei uns immer wieder irgendein Ressort oder eine Partei die Grundsatzfrage neu stellen will.
Vielleicht wird das Thema bei uns zu sehr überhöht? Anstatt die Transformation als Teil des politischen Tagesgeschäfts zu begreifen und unaufgeregt voranzutreiben, wird in Deutschland immer die große Umwälzung beschworen. In einer Vorversion des EFI-Gutachtens stand, es handle sich um eine "Herkulesaufgabe" ohne Vorbild, die von den finanziellen Dimensionen vergleichbar sei mit dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg.
Den Satz haben wir gestrichen, obwohl ich persönlich ihn angemessen fand. Entscheidend ist: Für diese Transformation gibt es keine Blaupause, keine Erfahrungswerte. Unserer deutschen Mentalität entspricht es, dass wir erstmal stehen bleiben und alles haarklein vorab besprechen und regeln wollen. Am besten juristisch wasserdicht. Anstatt wie andere Länder erstmal loszulaufen, auszuprobieren, und wenn etwas nicht funktioniert, unaufgeregt nachzusteuern.
Die deutsche Politik fördert diese Mentalität, wenn sie so tut, als ließen sich im Voraus alle Härten ausschließen. Schon in der Corona-Pandemie hat sie Milliarden und Abermilliarden ausgegeben, um auch denen die Verluste auszugleichen, denen sie gar nicht wehgetan haben.
Die Politik weiß genau, dass sie solche Versprechen nicht halten kann. Die Transformation kostet fürchterlich viel Geld, es wird Gewinner und Verlierer geben, das kann man nicht alles abfangen. Doch aus Angst vor den Protesten entstehen solche politischen Lebenslügen. Und in der Not nimmt man dann Gelder, die für die Bekämpfung der Coronakrise vorgesehen waren, und will sie für die Transformation einsetzen – bis das Bundesverfassungsgericht einem einen Strich durch die Rechnung macht.
Im EFI-Gutachten sprechen Sie von einem "Schlingerkurs".
Nehmen Sie das Gebäude-Energie-Gesetz. Wie konnte man auf die Idee kommen, den Einbau von Gasheizungen kurzfristig verbieten zu wollen, obwohl man weiß, dass der Einbau von Wärmepumpen pro Haushalt 30.000 Euro kosten wird, wahrscheinlich sogar mehr? Und warum hat man die soziale Abfederung erst später nachgeliefert?
"Die Streichung der Subvention von Agrardiesel ist transformationspolitisch richtig. Ich darf aber bei der Umsetzung nicht gleich zwei Fehler machen."
Jetzt hat man die Pflicht aufgeweicht, und die staatliche Förderung bekommen alle, nicht nur die sozial Bedürftigen. Da ist sie wieder, die Beschwichtigungsstrategie auch denen gegenüber, die es sich leisten könnten.
Das ist wie bei der Subvention von Agrardiesel. Deren Streichung ist transformationspolitisch richtig. Ich darf aber bei der Umsetzung nicht gleich zwei Fehler machen. Erstens: Ich nehme die Streichung der Subvention für Flugbenzin raus, obwohl es die Reichen sind, die fliegen und Kerosin verbrennen. Und zweitens verzichte ich beim Agrardiesel auf eine soziale Kompensation, eine Staffelung abhängig von der Betriebsgröße etwa. Da sind Proteste vorprogrammiert. Um diese Unausgewogenheit auszugleichen wäre es wohl besser gewesen, alle Subventionen um einen einheitlichen Prozentsatz zu kürzen.
Sie widmen sich als EFI-Kommission diesmal ausführlich dem Bildungssystem. Die internationale Schulvergleichsstudie PISA hat gezeigt, dass deutsche Neuntklässler so schlecht lesen, schreiben und rechnen wie seit mindestens 20 Jahren nicht. Woraus Sie die Prognose ableiten, dass die Bundesrepublik über die nächsten Jahrzehnte eine unterdurchschnittliche wirtschaftliche Entwicklung nehmen wird. Steckt da nicht ein Denkfehler drin? Wenn sich die Schülerleistungen ein, zwei Jahrzehnte später in der Innovationsdynamik widerspiegeln, müssten wir gerade einen Boom erleben, denn vor 15, 20 Jahren befand sich unser Bildungssystem nach dem ersten PISA-Schock kräftig im Aufwind.
Natürlich kann man die Ergebnisse von Bildungsstudien nicht eins zu eins auf das künftige Wirtschaftswachstum übertragen, da gibt es noch weitere Faktoren. Aber wir sollten die Entwicklung sehr ernstnehmen. Unsere künftige Innovationsfähigkeit als Gesellschaft entscheidet sich heute daran, wie gut wir den jungen Menschen die Grundkompetenzen vermitteln.
Dann machen Sie ein paar Vorschläge, was helfen würde.
Als EFI wollen wir vor allem eine nachdrückliche Warnung in Richtung Politik senden. Wir sind aber keine Bildungsforscher. Deren Botschaft ist allerdings überwiegend recht deutlich: weg vom Frontalunterricht, stattdessen eine interaktivere Unterrichtsgestaltung, ein Einsatz digitaler Medien und die Nutzung der neuen Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz, wo sie Sinn ergibt. Aber ohne zu überziehen – wir sehen, dass beispielsweise Schweden und Finnland den Grad der Digitalisierung in der Bildungsvermittlung zurückfahren. Wir müssen auch über die Prüfungsformate sprechen. Und ich kann nicht nachvollziehen, dass Deutschland zwar mit die höchsten Lehrergehälter weltweit hat, aber die Lehrerfortbildung wenig systematisch betreibt und zu wenig in sie investiert. Übrigens brauchen wir an den Hochschulen ebenfalls dringend wieder einen Diskurs über die Modernisierung der Studiengänge. Der ist leider zum Erliegen gekommen. Und die Lehrerbildung muss ins Zentrum der universitären Strategie rücken.
Unterdessen fallen Deutschland und Europa bei der nächsten Schlüsseltechnologie zurück, der Künstlichen Intelligenz, die viele Experten für die entscheidende für die kommenden Jahrzehnte halten. Bis vor einer Weile tröstete die Wissenschaft sich damit, wenn schon nicht in der Umsetzung in Anwendungen und Produkte, dann wenigsten in der KI-Entwicklung an der Weltspitze zu sein. Das, sagt Ihre Kommission, ist jetzt auch vorbei.
Nicht vorbei, aber wir drohen nach den Patenten auch bei den wissenschaftlichen Publikationen den Anschluss zu verlieren. Allerdings handelt es sich um eine sehr junge Technologie, die Entwicklungspfade sind nicht festgelegt, noch ist das Spiel nicht vorbei. Nehmen wir die großen KI-Sprachmodelle, da hat Open AI mit ChatGPT einen deutlichen Vorsprung, aber Aleph Alpha aus Deutschland und Mistral aus Frankreich sind in einer guten Position für eine Aufholjagd, um bei den Modellen der dritten Generation – vor allem in der Anwendung – die Augenhöhe zu erreichen.
Allein mir fehlt der Glaube. Es sind die US-Konzerne von Google über Facebook bis hin zu Microsoft und Apple, die seit Jahren die weltweiten Standards vorgeben und einen Innovationssprung nach dem anderen abliefern. Und wir Deutschen und Europäer setzen diese Technologien ein, diskutieren über Datenschutz, europäische Lösungen und das Erringen technologischer Souveränität, und während wir noch diskutieren und politische Pläne schmieden, stellen die Amerikaner oder Chinesen uns mit dem nächsten Game Changer vor vollendete Tatsachen.
Das muss nicht jedes Mal so laufen. Wir können uns immer noch auf eine starke Grundlagenforschung stützen, wir bilden hervorragende Leute aus. Die großflächige Einrichtung von KI-Professuren und Nachwuchsgruppen, die wir als EFI zunächst kritisiert haben, hat sich doch bewährt. Wenn Sie im Silicon Valley durch die Entwicklungsabteilungen der großen Tech-Konzerne laufen, stammt da gefühlt jeder dritte aus Deutschland.
"Wenn wir das attraktiv genug machen, gehen die Leute nach Dresden oder Tübingen anstatt nach Stanford oder Palo Alto."
Was nicht wirklich eine Beruhigung ist, wenn unsere KI-Talente keine Perspektiven für sich in Deutschland sehen.
Wenn sie keine Chance haben, mit ihrem Know How bei uns wirtschaftlich erfolgreich zu sein, gehen sie weg, das ist richtig. Der Vorteil der amerikanischen Konzerne ist deren Größe und ein schier unerschöpfliches Finanzvolumen. Deutschland und Europa kann da nur mit KI-Ökosystemen gegenhalten. Diese können sich um Forschungszentren herum entwickeln, mit kleinen und größeren Laboren, Unternehmen und Start-ups. In Deutschland versuchen wir, mit den KI-Zentren Ähnliches zu entwickeln: Kerne der Grundlagenforschung, Hochschulen und Forschungsinstitute, und um sie herum eine geschickt aufgesetzte Startup-Förderung. Wenn wir das attraktiv genug machen, gehen die Leute nach Dresden oder Tübingen anstatt nach Stanford oder Palo Alto.
Sie können nicht mit ein bisschen staatlicher Gründerförderung den weltweiten Kapitalzustrom in die US-Tech-Community kompensieren. Die jungen Leute gehen nach Kalifornien, weil sie dort das Risikokapital erhalten, das ihnen in Europa keiner gibt.
Das kommt darauf an. Von einem bestimmten Punkt an entwickeln die Ökosysteme eine Eigendynamik, dann kommt das Geld, und die Investitionen folgen. Schauen Sie auf Intel oder Microsoft und ihre Pläne in Deutschland. Richtig ist, dass wir mehr mutige Unternehmer und Mäzene brauchen wie Dieter Schwarz, der massiv in Wissenschaft und Künstliche Intelligenz investiert und speziell in Aleph Alpha. Fest steht: Wenn wir es jetzt nicht mit aller Kraft versuchen, ist das Spiel wirklich entschieden zugunsten der USA oder von China. Innovationsfinanzierung, insbesondere im Start-up Bereich, ist ja ein deutsches Dauerproblem. Das lässt sich nicht nur mit deutscher Risikoaversion erklären, sondern auch mit dem Fehlen großer Pensionsfonds, die beispielsweise in den USA eine wichtige Rolle bei der Start-up-Finanzierung spielen. Aber das ist, wie gesagt, kein KI-spezifisches Problem.
Jetzt loben Sie die Politik bitte einmal.
Nur einmal? In unserem Gutachten sehen wir für Lob gleich mehrfachen Grund. Der wichtigste: Die Bundesregierung ist bei ihrer Forschungs- und Innovationspolitik an sich auf dem richtigen Weg. Sie ist sich der Aufgabe bewusst. Und sie beginnt bei allen erwähnten Inkonsistenzen mit der Umsetzung, sei es bei der Ausgestaltung der "Zukunftsstrategie Forschung und Innovation", bei der Weiterentwicklung der Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND) oder dem Aufbau der Deutschen Agentur für Transfer und Innovation (DATI). Natürlich würden wir uns bei der SPRIND wünschen, dass man ihr noch mehr rechtliche und finanzielle Freiräume gibt, dass die Bundesregierung zum Beispiel ganz auf ein Aufsichtsgremium verzichtet. Wir sehen aber ein, dass die Politik vermutlich so weit gegangen ist, wie sie kann. Bei der Zukunftsstrategie wiederum sind die Strukturen jetzt da, die Missionsteams zwischen den Ministerien wurden aufgestellt, die Beiräte installiert. Natürlich wäre es besser, wenn die Steuerung der Strategie nicht auf Ebene der Staatssekretäre angesiedelt wäre, sondern weiter oben. Und wenn sie einen eigenen Etat hätte, anstatt dass die Mitglieder der Missionsteams für jede Maßnahme Geld aus ihren Häusern mitbringen müssen. Aber jetzt sollten wir sie mal laufen lassen. Zu hoffen ist, dass der lange Atem da ist, in die eingeschlagene Richtung weiterzulaufen, falls es nächstes Jahr zu einem Regierungswechsel kommt. Bis eine Mission umgesetzt ist, wird es viele Jahre dauern. Womit ich wieder beim langfristigen Zielkorridor bin: Wir brauchen eine grundsätzliche Übereinkunft, die über die Ampel hinausreicht.
Eine Übereinkunft von wem? Sehen Sie nicht die Gefahr, dass die Ministerien am Ende doch zu stark die Richtung vorgeben und die Wissenschaftsfreiheit unter die Räder kommt?
Die Politik muss ihre Rolle genau definieren. Eine Mission vorgeben heißt: Wir wollen das Alte durch etwas Neues, Anderes ablösen. Aber was dieses Neue ist, geben wir nicht vor. Alles, was anders ist, kann erforscht und ausprobiert werden. Ein Beispiel: Wir wollen beim Automobilantrieb raus aus den fossilen Energien, aber in Hinblick auf die Alternativen fördern wir technologieoffen. Wir lassen die Akteure loslaufen und nutzen die Kreativität der Wissenschaft und des Marktes.
Dann hat die FDP also Recht mit ihren Mahnungen, bloß nicht einseitig auf Batterieantriebe zu setzen?
Richtig ist, dass der Markt entscheiden muss, welche Technologien überleben und sich durchsetzen und welche nicht. Das heißt nicht, dass ich als Politik nicht verschiedene Innovationsansätze zeitweise mit Subventionen unterstützen darf, aber es muss von Anfang an klar kommuniziert werden, dass diese Subventionen befristet sind. Wenn eine Innovation nicht von der Mehrheit der Bevölkerung angenommen wird, dann muss die Politik irgendwann aufhören, sie zu fördern. Wobei der Zeitpunkt, wann Subventionen beendet werden, mitunter sehr schwer zu bestimmen ist. Bei neuen, genmodifizierten Ansätzen in der Landwirtschaft ist das genauso. Wir sollten die Erforschung in jedem Fall ermöglichen und vom Ergebnis abhängig machen, was langfristig erlaubt ist und was nicht. Aber wir dürfen nicht schon die Entwicklung verhindern!
"Der geopolitischen Lage können auch wir Wissenschaftler uns nicht verschließen. Studien aus den USA zeigen, dass jeder Dollar, der in Militärforschung gesteckt wird, weitere 50 Cent an ziviler Forschung stimuliert."
Am Anfang haben Sie gesagt, in Zeiten der Budgetkonkurrenz komme es darauf an, die Finanzierung der aktuell drängenden Herausforderungen geschickt mit den nötigen Ausgaben für Forschung und Entwicklung zu kombinieren. Aber was genau meinen Sie damit? Die Budgetkonkurrenz auflösen, indem die Wissenschaft in den Dienst der Aufrüstung gestellt wird?
So drastisch würde ich das nicht formulieren. Richtig ist aber: Das 100-Milliarden-Sondervermögen fließt nicht allein in militärisches Gerät. Ein Teil davon kann neue Forschungsansätze finanzieren, die einen Dual-Use-Charakter haben, also Richtung ziviler und militärischer Nutzung gehen. Was bei der Forschung zu Künstlicher Intelligenz eigentlich immer und grundsätzlich der Fall ist. Und noch ein Beispiel, das gar nichts mit Verteidigung zu tun hat: Wenn die Bundesregierung demnächst, über das Wachstumschancengesetz etwa, Maßnahmen zur Konjunkturstimulation ergreifen sollte, gehört da eine sogenannte Strukturkomponente rein. Also Investitionen, um den langfristig notwendigen Umbau der Industrie jetzt voranzutreiben. Das geht wiederum nur mit zusätzlichen F&E-Ausgaben.
Was Sie da beschreiben, würde bedeuten, dass sich Forscher auch an Ihrer Hochschule, der Universität Jena, darauf einstellen müssten, sich demnächst häufiger um Drittmittelaufträge der Bundeswehr zu bewerben.
Das erfordert ein Umdenken, ja. Aber der geopolitischen Lage, in der wir uns befinden, können auch wir Wissenschaftler uns nicht verschließen. Studien aus den USA zeigen, dass jeder Dollar, der in Militärforschung gesteckt wird, weitere 50 Cent an ziviler Forschung stimuliert. Ich sehe die Schwierigkeit für die Universitäten eher anderswo. Wenn Sie einen Auftrag der Bundeswehr annehmen, kann es sein, dass die Wissenschaftler anschließend ihre Erkenntnisse nicht publizieren dürfen. Aktuell höre ich, dass es bereits bei einzelnen Drittmittelprojekten, die von der Cyberagentur finanziert werden, solche Probleme gibt. Publizieren ist aber die Voraussetzung, um in der Wissenschaft Karriere zu machen. Insofern glaube ich nicht, dass wir viele rein militärische Forschungsaufträge an Universitäten sehen werden.
Sie loben die Bundesregierung auch dafür, dass Sie bei der DATI in die Umsetzung gekommen ist. Ist sie das? Das Gründungskonzept steht weiter aus, und die ersten Pilot-Förderlinien waren Kritikern zufolge so vage ausgeschrieben, dass es eine kaum zu handelbare Bewerbungsflut gab.
Das mit den vielen Bewerbungen finde ich überhaupt nicht schlimm. Das Ausschreibungsverfahren war bewusst experimentell aufgelegt, es musste breit sein, um den Transferbegriff möglichst offenzuhalten. Zum Glück ist man von der ursprünglichen Kanalisierung auf Hochschulen für Angewandte Wissenschaften weg. Was das Konzept angeht: Es gibt jetzt die Gründungskommission, und zu deren Aufgaben gehört neben der Auswahl von Ort und Leitung die Formulierung des finalen Konzepts.
Was ursprünglich anders gedacht war. Sonst hätte das BMBF die Kommission viel früher berufen.
Jetzt ist sie am Arbeiten, das zählt.
Wird die DATI wenigstens gleich die Freiheitsgrade bekommen, um die die SPRIND über Jahre kämpfen musste?
Vielleicht ja, vielleicht wird sich der Kampf auch wiederholen. Wichtig ist, dass die Agentur bald loslegt und ins Ausprobieren kommt. Dann werden wir sehen.
"Wenn von oben, von der Ministeriumsspitze, kein Druck gemacht wird, es anders zu machen, dann sind all die Beschwörungen und Ambitionen nichts wert. Es ist ein Drama."
Apropos: Evaluationen neuer Einrichtungen, Projekte und Förderlinien gehören inzwischen nicht nur in der Innovationspolitik zum Alltag. Nur dass sie laut Ihrem Gutachten oft nicht richtig aufgesetzt sind.
Wir haben uns die Evaluationspraxis in zwei Ministerien angeschaut, dem BMWK und dem BMBF. In beiden Häusern existieren eigene Referate für Evaluation mit hochkompetenten Mitarbeitern, die wissen, wie es geht. Das BMWK hat im Jahr 2013 bereits eine Richtlinie zur Durchführung von Evaluationen erstellen lassen, die stimmt Punkt für Punkt. Trotzdem sehen wir viele Evaluationen, die nach dem Prinzip laufen: Ich gebe Geld, um zum Beispiel ein bestimmtes Technologiefeld zu fördern. Und wenn dieses Technologiefeld sich in ein paar Jahren positiv entwickelt hat, sage ich: Bingo, hat funktioniert. Obwohl das 1000 Gründe haben kann und überhaupt nicht an der Förderung liegen muss. Aber man weiß es nicht besser, weil man die Erfolgskriterien vorher nicht richtig bestimmt, keine Kontrollgruppe eingerichtet hat und nicht methodisch sauber misst.
Wie kann das sein?
Die Expertise im eigenen Haus wird nicht ausreichend genutzt, man hört nicht auf das, was die Fachleute im Evalutionsreferat sagen. Und den Einrichtungen und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die extern mit der Evaluation beauftragt werden, verweigert man in der Regel die Herausgabe der notwendigen Daten, selbst wenn man sie hat. Das ist paradox. Offenbar herrscht in vielen Referaten immer noch Angst vor zu viel Transparenz – vielleicht aus Furcht, bei einer negativen Evaluation Budget einzubüßen. Weswegen das, was ein Ministerium anstößt, per definitionem positiv wirken muss. Wenn von oben, von der Ministeriumsspitze, kein Druck gemacht wird, es anders zu machen, dann sind all die Beschwörungen und Ambitionen nichts wert. Es ist ein Drama.
Am Ende bekommen Sie noch eine zweite Minute mit Olaf Scholz. Ihr Rat an den Bundeskanzler?
Bei der Forschungs- und Innovationspolitik unbedingt Kurs beibehalten. Die Innovationspolitik der Bundesregierung ist nicht konturenscharf, aber die prinzipielle Richtung stimmt. Sich über die Ziele einigen, und wenn dann über den Weg und die Instrumente gestritten wird, ist das nicht schlimm. Entscheidend ist, nicht bei jeder Protestaktion zurückzuschrecken, sondern beharrlich zu erklären und auch mal klare Ansagen zu machen. Zu Beginn des Ukrainekriegs, als Deutschland eine Energiekrise abwenden musste, hat Robert Habeck das gemacht. Er hat jeden Abend erklärt, worum es geht und worauf es jetzt ankommt. Mittlerweile hat er das eingestellt. Wirklich schade.
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Kommt der Ein-Fach-Lehrer? Die Berliner Universitäten wollen das schon bald anbieten – und auch sonst das Lehramtsstudium verändern, um es attraktiver zu machen.
Foto: Katerina Holmes, Pexels, CCO.
ES FEHLEN bundesweit 68.000 Lehrkräfte in den kommenden zehn Jahren: Davon geht die Kultusministerkonferenz (KMK) aus. In Berlin reichen inzwischen selbst tausende Quer- und Seiteneinsteiger nicht mehr aus. Helfen soll eine Reform des Lehramtsstudiums, hofft die KMK – um den Mangel an Fachkräften zu mindern und gleichzeitig die Qualität der Ausbildung zu erhöhen. In Berlin macht jetzt Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) Tempo. Sie will zusammen mit den Hochschulen in den ersten sechs Monaten des neuen Jahres Eckpunkte fertigstellen, die das Studium erneuern sollen.
Schon vor einem Jahr hatten die Kultusminister ein Gremium von Wissenschaftlern, die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK), beauftragt, ein Gutachten mit Reform-Empfehlungen auszuarbeiten. Anfang Dezember hat die SWK geliefert – zwei Tage, nachdem die jüngste Pisastudie den deutschen Neuntklässlern die schlechtesten Leistungen seit zwei Jahrzehnten bescheinigt hatte.
Wie gut sind die vier Berliner Universitäten, die künftige Lehrer ausbilden, nun auf tiefgreifende Veränderungen vorbereitet? Und wie finden sie, was die SWK-Experten vorschlagen? Die Rückmeldungen fallen überraschend einheitlich und selbstbewusst aus. "Das Gutachten zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind", sagt der für die Lehrerbildung zuständige Vizepräsident der Technischen Universität (TU), Christian Schröder. Sein Kollege von der Freien Universität (FU), Sven Chojnacki, findet, die meisten SWK-Vorschläge stünden "im Einklang, was wir als Hochschulleitung seit langem verfolgen, nämlich ein qualitativ hochwertiges System wissenschaftlicher, forschungsbasierter Qualifizierung der Lehrerbildung zu schaffen". Der Direktor der Professional School of Education an der Humboldt-Universität (HU), Stephan Breidbach, kommentiert, die Kommission lege den Finger "an den richtigen Stellen in die Wunde". Rebekka Hüttmann, Vizepräsidentin der Universität der Künste, sieht viele Reformforderungen an der UdK bereits erfüllt.
Berliner Universitäten als Positiv-Beispiele
Verschiedene Reformen, die auch die SWK vorschlägt, stehen dabei aktuell im Mittelpunkt, vor allem diese: die Einführung eines Studiums für sogenannte Ein-Fach-Lehrer.
Die Idee: Nach einem Fach-Bachelor oder Fach-Master wechseln Studierende in einen Master of Education und bekommen dort das pädagogische und fachdidaktische Rüstzeug für den Lehrerberuf. Das geht auch mit einem älteren Diplom oder Magister. Anschließend gehen sie voll ausgebildet ins Referendariat und an die Schulen – aber eben mit einem Fach. Die Lehrerbildung würde so flexibler, offener auch für Spätentschlossene und bliebe trotzdem komplett wissenschaftsbasiert.
Lehrkräftemangel
Die Kultusministerkonferenz (KMK) erwartet laut ihrer jüngsten Prognose 68.000 fehlende Lehrkräfte bundesweit bis 2035, Bildungsforscher wie der Erziehungswissenschaftler Klaus Klemm
taxieren die Lücke gar auf 85.000 Pädagogen. Schon in den kommenden Jahren fehlen Zehntausende. Allein in Berliner Schulen waren im Herbst über 700 Vollzeit-Stellen unbesetzt.
"Vor allem für Quereinsteiger kann das ein spannendes Modell sein", sagt Stephan Breidbach von der HU. Dort gibt es schon einen – ähnlich gestrickten – Quereinstiegs-Master (Q-Master) für Grundschulen, die FU hat das Pendant für die weiterführenden Schulen, die TU für die beruflichen Schulen. Allerdings laufen sie alle noch auf zwei, in der Grundschule auf drei Fächer hinaus. Anders an der UdK: Da haben sie schon einen Ein-Fach-Master in den Fächern Kunst und Musik. "Bislang nur für den Quereinstieg", sagt Vizepräsidentin Hüttmann. "Aber das könnte man auch grundständig denken" – also für Studienanfänger, die von Anfang nur Lehrer für ein Fach werden wollen.
"Der Ein-Fach-Lehrer wäre für uns in Berlin die große Revolution", sagt Ina Czyborra. Und während die SWK solche Modelle vor allem für Mangelfächer wie Mathematik oder Informatik empfiehlt und auch an den Berliner Universitäten die Präferenz besteht, zumindest mit denen anzufangen, hält die Wissenschaftssenatorin derartige Studiengänge für alle Schulfächer denkbar. "Wenn jemand nur für Geografie oder Geschichte brennt, warum denn nicht?" Etwas zurückhaltender klingt es aus der Senatsverwaltung für Bildung. Es heißt dort zwar, dass auch Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) den Ein-Fach-Lehrer "möglichst bald" einführen wolle. Allerdings beschränkt auf Mangelfächer.
Warnungen, dass Schulen nur mit Zwei-Fach-Lehrern ihre komplexen Stundenpläne organisiert bekämen oder Ein-Fach-Lehrer schneller ausbrennen könnten, kontern einige Lehrerbildungs-Reformer mit dem Hinweis, dass die Lehrerbildung in großen Teilen der Welt immer schon nur auf ein Fach abhebe. Weshalb Christian Schröder von der TU gerade auch für internationale Bewerber, die mit nur einem Fach kämen, nach Einführung größere Chancen sieht. "Wenn wir grünes Licht bekommen, wollen wir schon zum Wintersemester 2025/26 loslegen."
Weitgehend Einigkeit mit der SWK herrscht auch bei der Ablehnung eines dualen Studiums vom ersten Semester an. Dabei würden Studierende von Anfang an unterrichten und parallel zur Uni gehen. "Für die HU kann ich sagen, dass so etwas indiskutabel wäre", sagt Stephan Breidbach. Allerdings, fügt er hinzu, sei man sich mit der SWK ebenfalls einig, dass Praxis und Theorie im Studium durch Beratung und Reflexionsangebote noch besser verzahnt werden müssten.
Auch der "Flex-Master" soll kommen
Das Zauberwort, das sie deshalb zwischen den Berliner Universitäten und der Politik diskutieren, lautet "Flex-Master". Die Initiative dafür, sagt Sven Chojnacki, sei von der FU ausgegangen. Alle Universitäten hätten sich bereits dazu bereit erklärt, "wir entwickeln das jetzt in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe weiter".
Der Flex-Master soll ermöglichen, dass Studierende im Master of Education selbst über ihr Studienmodell entscheiden. Sie könnten dann entweder wie bisher ein volles Praxissemester an einer Schule verbringen, mit vier Tagen Unterrichtspraxis und einem Tag an der Uni zur Begleitung. Oder sie könnten mehrere Semester hindurch unterrichten, inklusive universitärer Betreuung, und dabei parallel studieren.
Das wäre zugleich eine Anerkennung der Realität, wie sie ist, sagt Senatorin Czyborra: "die Realität der sogenannten PKB-Kräfte", wobei die Abkürzung für "Personalkostenbudget" steht. "Wir wissen, dass sehr viele Studierende bereits vertretungsweise an Schulen unterrichten. Damit müssen wir umgehen." Ohne Praxisanleitung sei das aber nicht mehr als Lückenstopfen auf Kosten der Studierenden, "und das geht auf Dauer gar nicht".
Die Unis wollen genauer wissen, wer das Studium abbricht
Ein weiterer Vorteil laut TU-Vize Schröder: Statt erstmal für wenige Studierende einen aufwändigen Modellversuch zu starten, könnte man hier gleich alle Studierende einbeziehen, ohne große Verwerfungen und aufbauend auf dem, was schon da sei. "Das wäre sicher sinnvoller als ein duales Studium komplett neu parallel aufzubauen."
Und sonst? Wollen die Berliner Universitäten wie von der SWK gefordert ihre Datenlage verbessern. Genauer wissen, wer wo und warum den Studiengang wechselt oder abbricht. Alle klappern sie längst mit Werbevideos, Flyern und Social-Media-Kampagnen, um zusätzliche Studienbewerber anzulocken. Die UdK zum Beispiel schickt Scouts in die Schulen, die FU will ihr Einführungsstudium EinS@FU fürs Lehramt öffnen, die Senatsverwaltung für Bildung lobt unterdessen Extra-Stipendien aus.
Alles in allem mit bislang mäßigem Erfolg. Derzeit schafften alle Universitäten zusammen etwa die Hälfte der laut neuen Hochschulverträgen geforderten 2500 Absolventen pro Jahr, sagt Christian Schröder, "in den MINT-Fächern bisher leider sogar noch ein paar weniger" – weshalb die TU jetzt den direkten Zugang für Techniker und Meister für ihren Q-Master erlaubt bekommen möchte. Sven Chojnacki sagt, es werde schwierig, eine solche Kopfzahl zu erreichen. "Alle lehrerbildenden Hochschulen haben schon viel getan, um die Lehrerbildung in den Mittelpunkt zu stellen, aber wir wissen auch, es gibt weiteren Nachholbedarf."
Die SWK fordert deshalb, die Schools of Education "wirkmächtiger" zu machen – aber wie? Sollten sie am Ende, was die SWK so nicht ausbuchstabiert, wie die medizinischen Fakultäten ihre Studiengänge überwiegend selbst bespielen? Mit weitreichenden Folgen für die Mittelverteilung in den Universitäten? Eine Frage, bei der die sonst so gesprächigen Vertreter der Berliner Universitäten wortkarg werden. Dieses Brett wäre wohl sogar ihnen noch zu dick.
Dieser Artikel erschien zuerst im Tagesspiegel.
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