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Wie beschreibt man das Chaos? – CC-BY 4.0 TheDigitalRoadtripWas haben Tassen mit Kaninchen, Feminismus und Urheberrecht gemeinsam? Sie kommen in der dritten Hackbibel vor, die frisch erschienen ist. Der Versuch einer Rezension, die keine ist.
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Muntaka Chasant, Agbogbloshie, Ghana - September 2019, CC BY-SA 4.0Rund 250.000 Tonnen Elektroschrott werden Jahr für Jahr illegal nach Ghana verschifft. Klimaanlagen, Drucker, Kabel, Computer aus einer weit entfernten, digitalisierten Welt. Unser Elektrozeug, das nicht mehr funktioniert und weggeschmissen wird. Oder vielleicht doch. Aber veraltet ist es. Reparieren lohnt sich nicht. Neues muss her, Neues muss verkauft werden. Die Elektrogeräte, die wir heute kaufen, landen irgendwann vielleicht auf einer Müllhalde in Ghana. Auf Deponien für Elektroschrott ohne jegliche Struktur, geschweige denn Sicherheits- oder Gesundheitsrichtlinien, ohne einen Ansatz zum Recycling.Eine der größten dieser Deponien weltweit befindet sich in der ghanaischen Hauptstadt Accra - die Elektroschrottmüllhalde Agbogbloshie. Rund 6000 Frauen, Kinder und Männer leben in diesem, vom Müll überfluteten Stadtteil. Vor nicht allzu langer Zeit war hier noch unberührtes Sumpfland. Heute gilt es als eines der giftigsten Gebiete der Welt."Sodom" nennen sie das Areal. Wie die Stadt, die nach Erzählungen aus der Bibel und dem Koran, von Gott wegen ihrer Sündhaftigkeit zerstört wurde. Der Dokumentarfilm "Welcome to Sodom" bietet einen erschütternden Einblick in das Leben der Menschen, die versuchen, aus unserem Schrott ein bisschen Geld zum Überleben zu machen. "Für die Europäer ist es nur Müll, aber ich kann noch ein paar Dollar damit verdienen", sagt ein Mann in dem Film, der auf der Deponie lebt und arbeitet. Amerigo heißt er. Seine Mutter hat ihn nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten benannt. "Je mehr Müll sie uns bringen, umso besser ist das für mein Geschäft", sagt er. "Sie sollten noch viel mehr schicken". Was für mich zynisch klingt und mir beim Hören richtig weh tut, meint er ernst. Im giftigen Rauch verbrennenden Elektroschrotts, zwischen Ziegen, Rindern und abgemagerten Kindern im Müll nach Kupfer und Zink zu suchen, stellt für ihn die einzige Möglichkeit dar, ein bisschen Geld zu verdienen. Jeden Morgen leiht er sich einen Wagen, den er durch die Müllberge und Rauchschwaden zieht, um neuen Elektroschrott aus Europa zu suchen. Er bezahlt für kaputte Monitore und Kabel, um an die verbauten Edelmetalle zu kommen und sie weiterzuverkaufen. Er setzt sich auf einen alten Röhrenbildschirm, bindet die Kabel zu einem großen Knoten zusammen und zündet ihn an. Indem er alles Überflüssige verbrennt, kommt er an das wertvolle Kupfer. Von pechschwarzem Rauch umhüllt, schlägt er mit einer Metallstange auf den brennenden Kabelhaufen ein. Für ihn sei das Feuer eine gute Sache. Es helfe ihm, die Metalle vom Plastik zu trennen. "Aber das Feuer lässt meinen Körper heiß werden. Es gelangt in deinen Körper und macht dich verrückt – macht dich krank", sagt Amerigo. Ist alles Plastik drumherum verbrannt, gehen die Metalle die übrig bleiben wieder zurück nach Europa oder wo auch immer. Dort werden sie dann in neue Handys und Computer verbaut, die bald wieder weggeschmissen werden können. Ist das nicht Recycling? "Von dort kommt es und dorthin geht es auch wieder zurück. Und eines Tages landet es wieder bei uns", weiß Amerigo.
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In diesem Beitrag stellt Fiona Hamann folgenden Aufsatz vor:Bauer, Christian (2019): Heimat im Offenen? - Rechtspopulismus als theologische Herausforderung; in: International Journal of Practical Theology, 23 (1), S. 78-97, online unter: https://doi.org/10.1515/ijpt-2018-0031.Der vorliegende Habilitationsvortrag von Christian Bauer thematisiert zu Beginn den Begriff und das Gefühl von "Heimat". Es ist ein "schwer zu definierender" (S. 79) Ort der Sehnsucht, der Erinnerung, der vor allem im Blick zurück zu finden ist und nicht im Unmittelbaren erlebbar zu sein scheint. Einige Menschen verlieren heute das Gefühl von Heimat. Sie sind "auf der Suche nach identitätsstiftenden Narrativen des Eigenen im Gegenüber zum herandrängenden Fremden" (S. 80). Rechtspopulisten können mit ihren Ideologien einfach an dieses Gefühl anknüpfen. Da Heimat die Sehnsucht aller Menschen sei, kommt "die Frage nach entsprechenden Ressourcen einer nichtexkludierenden, aber dennoch heimatgebenden Identität im offenen Raum unserer Gesellschaft auf" (S. 80).Nach diesem Einstieg hat Bauer seinen Vortrag in vier Teile gegliedert. Er beginnt mit dem Blick in das "gesellschaftliche Praxisfeld", berichtet anschließend über "Recherchen im kulturwissenschaftlichen Diskursarchiv" und dem "praxistheologischen Diskursarchiv" bevor er sein "Resümee" zieht. Unter der Überschrift "Spurensuche im gesellschaftlichen Praxisfeld" fasst Bauer sowohl Beobachtungen der heutigen Zeit als auch der Vergangenheit zusammen und gibt erste Hinweise, wie sich eine Gesellschaft verhalten sollte.Es werden unterschiedliche Möglichkeiten aufgezeigt, auf Rechtspopulismus, der "heimatliches Brauchtum" (S. 83) vereinnahmt, zu reagieren. Man könnte dem Verhalten etwas entgegensetzen indem man auf den "kompromittierten Heimatbegriff" (S. 83) verzichtet. Bauer beobachtet allerdings, dass die meisten Menschen einen anderen Weg wählen. Sie wollen nach Vorfällen möglichst schnell zum "business as usual" (S. 83) zurückkehren, indem sie die Umstände akzeptieren und sich in ihr "heimatliches Nest" (S. 83) zurückziehen. Von SoziologInnen wird dieses Verhalten als "Cocooning" bezeichnet. Menschen machen sich ihr Leben möglichst behaglich, ohne die Schwierigkeiten der Zeit zu betrachten.In der Zeit zwischen den Kriegen konnte in Frankreich Ähnliches beobachtet werden. Das "Collége de Sociologie" versuchte, eine 'Sakralsoziologie' entstehen zu lassen, um dem Faschismus "mit Hilfe von gemeinschaftsbildenden Mythen" (S. 84) entgegenzutreten. Diese Art des Umgangs wurde damals wie heute auch kritisiert. Man sollte "nicht das politische Framing eines totalitären oder faschistoiden Denkens übernehmen, sondern […] den 'Diskursrahmen wechseln" (S. 84). Das bedeutet im theologischen Zusammenhang, "für die unteilbare Würde aller Menschen in einer offenen Welt" (S. 84) einzutreten.Der Auftrag geht weiter mit den "Recherchen im kulturwissenschaftlichen Diskursarchiv". Bauer untersucht, inwiefern die Untersuchungen der Gesundheit von Holocaustüberlebenden des Medizinsoziologen Aaron Antonovsky auf den heutigen Zuwachs des Rechtspopulismus zu übertragen sind. Dieser hielt fest, dass es ein 'Kohärenzgefühl' (S. 85) gibt. Er beschreibt es als 'eine globale Orientierung, die ausdrückt, in welchem Ausmaß man ein […] Gefühl des Vertrauens hat' (S. 85), dass Dinge verständlich, bedeutsam und handhabbar sind. Wenn in der heutigen Zeit der Alltag undurchsichtig wird, kann dieses Lebensgefühl verloren gehen.Es gibt unterschiedliche Reaktionen auf eine komplexe Welt. Entweder "im Aufbruch in den heterogenen Freiraum einer offenen Gesellschaft oder aber in der Flucht in den homogenen Schutzraum einer geschlossenen Gemeinschaft" (S. 86). Bauer beobachtet, dass sich die Gesellschaft momentan immer weiter in Richtung der zweiten Möglichkeit entwickelt. Gleichzeitig wird die Wichtigkeit betont, sich dem beispielsweise durch ein "alternatives 'Framing' der politischen Debatte" (S. 86) entgegenzustellen.Thematisiert wird daraufhin der Begriff 'Narrativ' (S. 86). Bauer widerspricht teilweise dem französischem Philosophen Jean-François Lyotard, der behauptet, dass es heutzutage zu einer 'Dekomposition der großen Erzählungen' (S. 87) kommt. Aufkommender "religiöser Fundamentalismus und politischer Populismus" (S. 88) sprechen zwar gegen diese These, jedoch gibt es tatsächlich viele 'kleine Erzählungen', die sich stets erneuern und dem Wunsch nach der einen Erzählung entgegenstehen (vgl. S. 87 f.).Problematisch ist, dass diese "großen Erzählungen" (S. 88) für einige Menschen immer noch wichtig sind. "Es gibt ein Grundbedürfnis nach narrativen Deutungsrahmen" (S. 88). Solange diese eine "freiheitliche Form" (S. 88) aufweisen, sind sie weniger gefährlich, als wenn sie eine "geschlossene, potentiell totalitäre" (S. 88) Form aufweisen. Nach dem Soziologen Bruno Latour "gibt es eine narrative Konstruktion von Heimat, deren nie voll auserzählte Geschichten diachron Geschichte und synchron Gesellschaft formieren" (S. 88). Armin Nassehi spricht von einer "'Unmöglichkeit einer gemeinsamen Welt' für alle Menschen" (S. 89). Erzählungen, die Gemeinsamkeiten erzeugen, sind daher ausschließlich "mit einem lokal begrenzten Geltungsanspruch möglich" (S. 89).Rechtspopulisten versuchen, die aufgekommene Komplexität auf ein möglichst verständliches und haltgebendes Narrativ zu beschränken. Um die offene Gesellschaft zu erhalten, muss es deshalb in einschließender Weise gelingen, "wieder Geschichten zu erzählen, die Identität stiften und Heimat geben" (S. 89). Das erreichen könnten Frames, die die Möglichkeit einer 'Weltoffenheit ohne Selbstverneinung' (S. 89) darstellen. Es muss also eine 'Erfahrungswelt' geschaffen werden, deren Bewohnbarkeit in offener Weise gesichert werden kann (vgl. S. 90).Bauer zitiert verschiedene Politiker und Historiker, die alle der Meinung sind, dass das aufgezeigt werden muss, was alle Menschen verbindet. Eine "'mitreißende Gegenerzählung' weltoffener Heimatlichkeit" (S. 90 f.) kann aber nur dann erfolgreich erzählt werden, wenn Menschen respektvoll aufeinander zugehen, sich austauschen und ein positiver Begriff von Heimat nicht tabuisiert wird (vgl. S. 90 f.).Im nächsten Abschnitt beschreibt Bauer "Erkundungen im praxistheologischen Diskursarchiv". Die Theologie und Kirche muss rechtspopulistischen Frames mit "eigene(n) Narrative(n) einer gelingenden Existenz im Offenen" (S. 91) entgegenwirken. Warum das gerade dem Christentum gut gelingen kann, beschreibt Lieven Boeve. "Durch die eigene Struktur ist [das christliche Narrativ] dazu bestimmt, sich selbst als einen offenen Diskurs zu rekontextualisieren" (S. 91).Das Zweite Vatikanische Konzil bietet für die Rekonstruktion eine gute Grundlage, weil die Texte "aus den heilsgeschichtlichen Erzählungen der Bibel gespeist sind und daher über weite Strecken auch selbst "den Charakter von Gottesgeschichten" tragen" (S. 92). Gewollt wurde "die 'Corporate identity' der Kirche in dieser Weise narrativ als eine heiluniversal entgrenzte, pastoral weltoffene Identität zu bestimmen" (S. 92). Nach der transzendentalen Anthropologie von Karl Rahner "ist ein Mensch durch seine 'Transzendenz ins Offene gesetzt' und führt folglich eine 'Existenz in das Unvorhergesehene hinein', sich selbst in die unendliche Offenheit der Zukunft entwerfend" (S. 92), was natürlich auch den 'Mut zum Wagnis ins Offene' (S. 92) erfordert.Dieser Mut ist vor allem heutzutage wichtig, weil das "Weltganze" (S. 93) laut Jean-Luc Nancy nur noch als 'in sich selbst offen' (S. 93) denkbar ist. Das Christentum beschreibt er 'als Öffnung – Selbst-Öffnung und Selbst als Öffnung' (S. 93). Die Kirche hat daher die Aufgabe, das, was in der Welt passiert, bewusst wahrzunehmen. Damit dies gelingen kann, muss sie eigene Schutzvorrichtungen abbauen und dann in ihrer Verletzlichkeit allen den Dialog anbieten (vgl. S. 93 f.).Pastorale Orte können aber auch "Orte eines 'hearing of speech'" (S. 94) werden. Hier könnte ein offener, gesellschaftlicher Austausch stattfinden, der die "milieuspezifische Selbstbeschränkung" (S. 94) auflöst und stattdessen verständnisvolle Gespräche auf Augenhöhe ermöglicht. Es geht darum, die eigene Geschichte zu erzählen, anderen zuzuhören und Gefühle mit in das Gespräch miteinzubeziehen, anstatt nur mit "Kopfargumenten" (S. 94) zu entgegnen (vgl. S. 94).Es können Orte entstehen, an denen Menschen die "Abenteuer des existenziell Offenen angstfrei erprob(en)" (S. 95) können, ohne Angst haben zu müssen, für Fehler verurteilt zu werden. Ohne die Homogenisierung vieler kleiner Geschichten kann ein "offenes Narrativ von Solidarität und Freiheit (entstehen, was) so etwas wie Heimat ermöglichen" (S. 95) kann. Bauer ermutigt "mehr Demokratie (zu) wagen" (S. 94), "denn man kann eine offene Gesellschaft nicht mit einem geschlossenen Geist verteidigen" (S. 94).Zum Abschluss des Vortrages zieht Bauer noch ein Resümee. Er definiert Heimat als "ein 'Horizont intersubjektiver Erzählungen' im Kontext einer 'offenen Gesellschaft', in der heterogene Elemente 'ineinander greifen und sich vermischen'" (S. 95 f.). Da sich das Leben und die Lebensumstände ständig verändern, müssen alle lernen, in diesem Wandel Heimat zu finden (vgl. S. 96). Christen sollten damit keine Schwierigkeiten haben und sich für die Offenheit einsetzen, da sie ihrem Glauben nach selbst "Heimatlose" (S. 96) und Gäste auf Erden sind.Heimat wird von Rolf Zerfaß als "Ausdruck für das Paradies" (S. 96) beschrieben, das es momentan nur verloren gibt. Da Heimat also etwas "prinzipiell Entzogenes" (S. 97) ist, ist sie sowohl "Sehnsucht" als auch "Vorgeschmack" auf "die Vollendung der Schöpfung" (S. 97). "Pastoraler Auftrag von Kirche" ist es, daran zu erinnern, dass auch schon "hier und heute situativ erfahrbare Heimat im Offenen einer noch nicht vollendeten guten Zukunft" (S. 97) erfahrbar werden kann (vgl. S. 97).
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Im diesem Beitrag stellt Bella Grosman folgenden Text vor:Cornejo-Valle, Monica; Ramme, Jennifer (2022): "We Don't Want Rainbow Terror": Religious and Far-Right Sexual Politics in Poland and Spain. In: Paradoxical Right-Wing Sexual Politics in Europe: Palgrave Macmillan, Cham, S. 25–60. Online verfügbar unter https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-030-81341-3_2.Dieser Aufsatz untersucht, wie in der Ideologie der extremen und radikalen Rechte (im Folgenden als Rechtsaußen bezeichnet) "Regenbogenterrorismus" als Bedrohung erschaffen wird und warum sie in Polen existiert, aber nicht in Spanien. Framing paradoxer PanikDieser Abschnitt beschäftigt sich mit den Mechanismen, die durch eine Politik kognitiver Dissonanz moralische Panik auslösen. Es handelt sich um eine moralische Panik, wenn eine Gefahr wahrgenommen wird, die die Ordnung der Gesellschaft oder eines idealisierten Teils der Gesellschaft bedroht. Polen und Spanien bilden hier ein Beispiel der "Sex Panik" als eine moralische Panik. Bestandteil sind reproduktive und sexuelle Rechte sowie alle, die für sie einstehen.Diese Panik wird zu einer moralischen Panik im Kontext von Religion und Nationalismus. Die Darstellung als Gefahr benötigt einen Prozess, bei dem Realität sozial konstruiert wird, was mit Paradoxa einhergeht. Ein typisches Paradoxon der Rechtsaußen (Sexual-)Politik ist das Einnehmen der Opferrolle unter Anwendung der "DARVO"-Taktik. Diese besteht aus dem Leugnen der Beschuldigungen, Zurückangreifen und Umkehren des Opfers in den Täter. Die moralischen Paniken der Rechtsaußen sind das Ergebnis von frames, die verschiedene Themen im gleichen framework in Verbindung bringen und zusätzlicher Untersuchung verschiedener politischer Chancen (in Polen und Spanien). (vgl. Cornejo-Valle und Ramme 2022, S. 28–29)Akteure der Rechtsaußen SexualpolitikDie katholische Kirche spielt in beiden Staaten eine wichtige, aber unterschiedliche Rolle in der Leitung des ideologischen Diskurses über kulturelle Fragen, Werte und nationaler Identität. In Polen propagiert sie vor allem Patriotismus. Durch die Wahl eines polnischen Papstes wurde das weiter gestärkt. Außerdem war sie die führende moralische Autorität während des politischen Systemwandels in den 90ern und danach.Eine Studie aus dem Jahr 2017 zeigte einen deutlich höheren Anteil an Katholiken in der Bevölkerung als in Spanien. Die sinkende Zustimmung und Unterstützung der katholischen Kirche in Polen ist eine neue Entwicklung der letzten Jahre. Die Kirche ist in Spanien weniger beliebt und wird wegen ihrer Zusammenarbeit mit den Faschisten im Zweiten Weltkrieg nicht als politischer Akteur gewertet. (vgl. Cornejo-Valle und Ramme 2022, S. 30)Obwohl in beiden Staaten die Kirche nicht sehr streng in Bezug auf außerehelichen Sex, Scheidung und Verhütung ist, ist sie in Polen gegen gleichgeschlechtliche Ehe und Adoption, während sie in Spanien dafür ist. Dennoch haben "anti-gender" Aktivist*innen in beiden Staaten einen katholischen Hintergrund, dogmatische Sprache, Anti-LGBTQ* Agenda, nationalistische familienorientierte "pro-life" Rhetorik und rechtspopulistische Zugehörigkeit. (vgl. Cornejo-Valle und Ramme 2022, S. 30)Bereits vorhandene Vereinigungen gegen Abtreibungen wandelten sich oft zu Anti-LGBTQ* Parteien. In Spanien drängten sich kleine Gruppen auf Plattformen zusammen. Alle davon mit direktem oder indirektem religiösem Hintergrund, der in deren Argumentationslinien und Rhetorik deutlich wird. Daraus bildete sich CitizenGo als einflussreichster Verband heraus und war Teil des globalen anti-gender Netzwerks 2012. Mit anderen Organisationen verbunden, verfolgen sie entsprechende Ziele als Teil der EU-weiten Anti-Abtreibungslobby. Hauptmitglieder dieser Organisationen sind oft auch in der spanischen Volkspartei (Partido Popular). (vgl. Cornejo-Valle und Ramme 2022, S. 31)In Polen ist die Anti-LGBTQ* Agenda hinzugekommen, steht aber immer noch der Lebensrechtsbewegung (gegen Abtreibung) nach. Die polnischen Gruppen "Jeden z Nas" (Einer von Uns) und die Polish Association of Human Life Defenders gehören ebenfalls zur europäischen Lobby. Außerdem haben beide Verbindungen zur Kirche (über Stiftungen). Radikale anti-feministische und -LGBTQ* Aktionen wurden durch rechtspopulistische Fraktionen, wie die 2019 Teil des Parlaments werdende Partei Konfederacja, organisiert.Sie vertreten ein Weltbild aus einer Zeit vor dem National-Katholizismus und Faschismus des Zweiten Weltkriegs. Es werden Vereinigungen mit Organisationen und Aktivist*innen, die gegen Abtreibung sind, sowie Rechtsaußen veranlagte Repräsentanten der katholischen Kirche eingegangen. Sexualpolitik wird hierbei an Ideen weißer Vorherrschaft, Rassismus, Antisemitismus und Islamophobie geknüpft. Ihre Konkurrenzpartei PiS wurde 2015 zur Regierungspartei. Das hatte zur Folge, dass Mitglieder der bereits benannten Organisationen höhergestellte Positionen in Ministerien und staatlichen Rollen einnahmen, so auch Sitze im Obersten Gericht. (vgl. Cornejo-Valle und Ramme 2022, S. 31–33)Rhetorik von welcher Krise? "Kultur des Todes", "Gender Ideologie" und die dogmatische Sprache der AngstAnalysen von Sprache und einem transnationalem ideologischen framework zeigten die weltweite Rolle der katholischen Kirche in der Systematisierung von Argumenten. Besonders wichtig war das Zusammenbringen und die Ausrichtung von Stammzellforschung, gleichgeschlechtlicher Ehe, Euthanasie, Transgender-Themen, Abtreibungen, künstlicher Befruchtung und Marxismus. Aus dieser Ausrichtung heraus sind alle diese Themen ein Irrglaube der "Gender-Ideologie", die durch marxistischen Feminismus inspiriert wurde.Gleichzeitig spiegelt der frame "Kultur des Todes" den Versuch wider, menschliches Leben auf der Erde auszulöschen, was gegen das Gebot der Vermehrung in der Bibel ist. Somit wird die "Kultur des Todes" zur einem "master frame", der erlaubt, über kirchliche Belange hinauszugehen und einen ideologischen Zusammenschluss mit anderen pro-nationalistischen Agenden einzugehen. Außerdem können dadurch Ideen, Fakten und Gefühle in einem frame untergebracht werden, der Schuldzuweisung zu marxistischen Feminist*innen, der "gay lobby" und Machiavellismus beinhaltet. Des Weiteren ist eine lokale Anpassung der Krisen an kollektive Emotionen und Erinnerungen möglich, sodass die moralischen Paniken lokal Sinn ergeben. (vgl. Cornejo-Valle und Ramme 2022, S. 33–34)Während in Polen ein offen homophobes und misogynes Vokabular von Politiker*innen, Aktivist*innen etc. verwendet wird, wollen diese in Spanien nicht als homophob wahrgenommen werden. Obwohl sich die frames dadurch unterschiedlich darstellen, ist dennoch auch in Spanien von einer "LGBT-Doktrin" und einem "falschen Recht auf Homosexualität" die Rede. Auch transphobe Kampagnen werden trotzdem umgesetzt. (vgl. Cornejo-Valle und Ramme 2022, S. 34)Insgesamt folgen einzelne Akteure in beiden Staaten dem Skript der globalen Rechtsaußen. In Polen kommt jedoch hinzu, dass Repräsentanten der katholischen Kirche Ideologien der Rechtsaußen offen ausdrücken, indem sie zum Beispiel vom "Tod der Zivilisation" primär als Bedrohung des Überlebens der "Weißen Rasse" formulieren. Außerdem sind Kommunismus und Staatssozialismus als wichtiger meta frame einzigartig für Polen. Somit werden egalitäre Werte als totalitär gewertet, sexuelle und Geschlechter-Diversität zu Staatssozialismus und Rechtsaußen-Positionen die einzige unschuldige und native Alternative dazu. Das wird durch das historische Verständnis von Nazismus als Deutscher Nationalsozialismus verstärkt und hat seinen Ursprung in Polens Geschichte als Satellitenstaat. (vgl. Cornejo-Valle und Ramme 2022, S. 36–38)Die Tradition des Diskurses wurzelt im Ersten Weltkrieg, als "das Judentum" und Marxismus die Feinde darstellten. Heute haben gender und LGBTQ*-Ideologien die Feindrolle abgelöst, werden jedoch immer noch an Judentum und Marxismus geknüpft. In Polen war das so erfolgreich, dass in einer Umfrage 31% der Männer die "LGBT Bewegung" als aktuell größte Gefahr für Polen angaben. Außerdem kam in Polen 2015 das frame der "muslimischen Invasion" hinzu, in dem Geflüchtete eine "sexuelle Bedrohung" für polnische Frauen und ein Anschlag auf das Christentum sind (vgl. Cornejo-Valle und Ramme 2022, S. 38)Verflechtung von Ideologien: Nationale Souveränität, Familismus und christliche VorherrschaftIm Vergleich fällt auf, dass obwohl spanische anti-gender und -LGBTQ* Akteure die gleichen Taktiken und Rhetoriken verwenden wie in Polen, der Diskurs nicht in die Mitte der Gesellschaft rückte und lange Zeit keinen Fortschritt machte. Schlüsselfaktor ist ein unterschiedliches Profil von Nationalismus. (vgl. Cornejo-Valle und Ramme 2022, S. 38)Nationalismus in Spanien wird als pluralistisches und säkulares Konzept in einem extrovertierten Stil beschrieben, den verschiedene Nationen gemeinsam haben. Im Gegensatz dazu hat der Nationalismus in Polen einen introvertierten Stil und ist auf Märtyrertum und einem Wiederbeleben nationaler Traumata aufgebaut. Sie werden politisch instrumentalisiert, um ein Gefühl nationaler Isolation und ethnischer Diskriminierung zu schüren.Die Rhetorik greift immer wieder auf, dass sich Polen in akuter Gefahr befindet und sich gegen diese "feindlichen Mächte von außen" verteidigen muss. Der einzige Unterschied dieser Rhetorik zu der im 20. Jahrhundert, ist, dass "der Jude" als Bedrohung durch "den Homosexuellen" ersetzt wurde und der "Jüdische Masterplan" (Weltverschwörung) durch eine "Lobby der Homosexuellen". Es ist also eine transnationale Wiederkehr und Fortführung antisemitischer Rhetorik zu beobachten. Jüdische Menschen bleiben weiterhin schuldig, denn sie stellen die überstehende Gefahr dar, zusammen mit Marxisten*innen, Feminist*innen und queeren Menschen.Eine Besonderheit der Rhetorik in Polen ist die Strategie der PiS, Polen als weiterhin unabhängiges Land darzustellen. Dadurch rechtfertigte die Partei während ihrer Regierungszeit ab 2015 "dobra zmiana" (gute Veränderungen) als Heilmittel für diese, zuvor durch sie etablierten, Krisen. Sie äußerten sich in Familismus bzw. der katholischen Familie als Grundbaustein der Nation, die die Souveränität von Polen aufrechterhält.Die katholische Kirche bietet zugunsten dieser strengen Sexualpolitik eine Unterstützung während des Wahlkampfes. Des Weiteren wurde 2020 die Pandemie und damit einhergehende mangelnde Protestmöglichkeiten genutzt, um demokratische Strukturen weiter zu schwächen. So wurde beispielsweise eine dreijährige Haftstrafe für sexuelle Aufklärung, die LGBTQ*-Themen enthält, eingeführt. (vgl. Cornejo-Valle und Ramme 2022, S. 38–40)Im Vergleich dazu wurden in Spanien durch einen Wertewandel Anti-Sexismus und sexuelle Diversität zu neuen Symbolen eines progressiven Spaniens. Zwar waren auch hier Nationalismus und Sexismus während der Diktatur bis 1975 miteinander verflochten, jedoch ist das heute nicht mehr der Fall. Dennoch rief das Gesetz zu gleichgeschlechtlicher Ehe eine nationalistisch motivierte anti-gender Antwort im Jahr 2005 hervor. Dieser ging zwischenzeitlich zurück und machte 2018 eine Rückkehr, die Nationalismus wieder mit sexuellen und reproduktiven Rechten verknüpfte. Viele Rechtsaußen Parteien erlebten dadurch ein schnelles Aufstreben.Die Zunahme der Diskussion um Kataloniens Unabhängigkeit im Jahr 2018 unterstützte das, da die Einigkeit Spaniens bedroht war. Davon profitierte die rechte Partei Vox. Sobald Vox im regionalen Parlament vertreten war, versuchte sie, die Forderung nach Souveränität wieder fallenzulassen und rückte Anti-Gender an erste Stelle. Vox gelang es innerhalb kürzester Zeit, ein nationaler Akteur zu werden und durch gewollt provokative Aussagen und Proteste eine starke mediale Aufmerksamkeit zu generieren. Elemente waren unter anderem Teil einer Wahlkampagne, und die Medienberichterstattung, die darauf einging, verstärkte den Einfluss von Vox in der Bevölkerung und verhalf ihnen zu 15% der Stimmen in der Wahl 2019.Auch Vox nutzte, wie die Volkspartei, die Covid-19 Pandemie als eine Chance, um xenophobe Argumente in Spanien weiterzuentwickeln. Im Gegensatz zu Polen diskutierte die katholische Kirche, das Wählen einer bestimmten Partei an ihre Anhänger zu empfehlen, kam jedoch zu keiner Einigung, da viele kritisierten, dass die Haltung gegen Geflüchtete und Migrant*innen unkatholisch sei. (vgl. Cornejo-Valle und Ramme 2022, S. 40–44)Schlussfolgerung: Paradoxe Paniken und transnationale frames für nationalistische AgendenObwohl polnische und spanische Konservative und Rechte versuchten, "moralische Paniken" herzustellen, gab es unterschiedliche Erfolgsraten. Um die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu beobachten, wurden drei Aspekte betrachtet: Totalitäre und autoritäre Vergangenheit, Katholizismus und Nationalismus. Sie setzen sich in Spanien und Polen auf unterschiedliche Art zusammen, dennoch wird auf der gleichen Rhetorik von Krisen gebaut.Solche Krisen und Gefahren sind Feminist*innen, Linke und Marxist*innen, die "gay-lobby", Nicht-Katholiken, Geflüchtete in Polen und Migrant*innen in Spanien. Diese globale Ansammlung nationalistischer und Rechtsaußen-Argumente sowie die Verwendung der DARVO-Taktik bilden die wichtigsten Paradoxa ihres Vorgehens. Das Ziel der Rechtsextremen, Einfluss über Staat und Bevölkerung zu gewinnen sowie eine Homogenität zu erringen, ist eindeutig. (vgl. Cornejo-Valle und Ramme 2022, S. 44–46)LiteraturCornejo-Valle, Monica; Ramme, Jennifer (2022): "We Don't Want Rainbow Terror": Religious and Far-Right Sexual Politics in Poland and Spain. In: Paradoxical Right-Wing Sexual Politics in Europe: Palgrave Macmillan, Cham, S. 25–60. Online verfügbar unter https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-030-81341-3_2.Möser, Cornelia; Ramme, Jennifer; Takács, Judit (Hg.) (2022): Paradoxical Right-Wing Sexual Politics in Europe. 1st ed. 2022. Cham: Springer International Publishing; Imprint Palgrave Macmillan (Springer eBook Collection). Online verfügbar unter https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/978-3-030-81341-3.pdf, zuletzt geprüft am 22.06.2022.