Bildungssysteme im Ländervergleich: Rechtsgrundlagen - Strukturen - Pädagogische Innovationen, Teil 1
Nicht erst seit infolge der von deutschen Schülern bei internationalen Schulleis-tungsstudien erzielten Resultate der Stellenwert von Bildung und Unterricht für Individuum und Gesellschaft wieder stärker in das öffentliche Bewusstsein getreten ist, macht sich ein Mangel an empirisch abgesichertem Wissen über die Bildungs- und Wissenschaftssysteme in Deutschland bemerkbar. Dies gilt nicht nur für die Frage der Lerneffekte und -erfolge als Ergebnis schulischen Unterrichts, wie sie bei den Leistungsstudien im Mittelpunkt stand. Dies gilt zugleich mit Blick auf den Aufbau der Schul- und Bildungssysteme, die rechtlichen Grundlagen, die Strukturen und die pädagogischen Konzeptionen, die institutionalisierter Bildung, Erzie-hung, Aus- und Weiterbildung zugrunde liegen. Mit Heft 5 der »Hamburger Beiträge zur Erziehungs- und Sozialwissenschaft« wollen wir zur Schließung einer der bestehenden Lücken beitragen. Im hiermit vorliegenden Teil I des Heftes finden sich Länderberichte zu Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg und Hessen; die Darstellung der weiteren Länder wird in einem zweiten Teilheft folgen. Mit dem Heft soll zunächst ein in Forschung und akademischer Lehre an vielen Stellen sichtbar gewordenes Informationsbedürfnis befriedigt werden. Darüber hinaus ermöglicht die parallele Lektüre der nach einem einheitlichen Schema aufgebauten Länderberichte zugleich auch eine implizite vergleichende Analyse der Länderbildungssysteme, der rechtlich-administrativen Regelungen und der pädagogischen Konzeptionen von Bildung und Erziehung. - Was legitimiert den Blick auf die Länderebene? Ungeachtet der fortgesetzten Bemühungen seitens der Bundesebene, z.B. über die in Aussicht gestellte finanzielle Unterstützung beim Aufbau einer größeren Zahl von Ganztagsschulen Einfluss auf die Schulpolitik auszuüben, bleibt die Gestaltung von Bildung und Erziehung und der hiermit beauftragten Einrichtungen ein nach der Rechtsordnung des Grundgesetzes nach wie vor ausschließlich oder doch vorrangig den Ländern zur Regelung und Gestaltung zugewiesenes Politikfeld. Überdies zeigt sich, dass die überwiegende Zahl der Steuerungs- und Gestaltungsimpulse von der Länderebene ausgeht. - An den verschiedensten Stellen des Bildungswesens von der Vorschulerziehung bis zur Weiterbildung sind in den Ländern gegenwärtig Veränderungen zu beobachten, seien diese rechtlich-administrativer Natur, wie dies insbesondere für die Hochschulen gilt, oder struktureller und pädagogischer Art wie in der Vorschulerziehung und den Grundschulen. Gerade im letztgenannten Bereich wird derzeit in allen Ländern mit einer Vielzahl von Einzelmaßnahmen unterschiedlicher Reichweite auf diagnostizierte Probleme reagiert. So soll z.B. mit der zu beobachtenden Öffnung und Flexibilisierung der Eingangsstufe des Schulsystems einer bereits bei der Einschulung erkennbar heterogenen Lernausgangslage der Kinder Rechnung getragen werden. - Schon kurz nach Aufnahme der Arbeiten an diesem Heft zeigte sich die Notwen-digkeit, angesichts der Detailfülle Schwerpunkte in der Darstellung zu setzen. Wir haben uns dafür entschieden, das allgemein- und berufsbildende Schulwesen der Länder in den Mittelpunkt zu stellen – dies nicht zuletzt aus aktuellem Anlass. Die Ergebnisse der neueren Lernleistungsuntersuchungen, allen voran TIMSS und PISA, haben die Aufmerksamkeit auf diesen Bereich und die dort vorfindlichen De-fizite gelenkt, so dass es auch uns angemessen erschien, den Blick vor allem auf das Schulwesen und die aktuell in allen Ländern beobachtbaren – und vielfach bereits vor dem »PISA-Schock« einsetzenden – Schulreformbemühungen zu richten. Davon unabhängig stellt das pflichtgemäß von allen Kindern und Jugendlichen zu durchlaufende Schulwesen das Kernstück des Bildungssystems dar; die umfassende Betrachtung des Schulwesens ist daher bereits aus diesem Grunde geboten. - Je weiter man zu den rechtlichen, administrativen, strukturell-organisatorischen und inhaltlichen Details der Bildungssysteme in den Ländern vordringt, desto deutlicher wird, dass diese faktisch nur (noch) im begrenztem Maße über gemeinsam verantwortete Regelungen verbunden sind; das Hamburger Abkommen der KMK ist zwar nach wie vor in Kraft, jedoch in weiten Teilen obsolet. Der Eindruck, dass die Länder die ihnen überlassenen Freiräume zu einer bewusst individuellen Ges-taltung »ihrer« Bildungssysteme nutzen, täuscht nicht.