Das deutsche Ertragsteuerrecht: die Verlustausgleichsbeschränkung gem. § 2a EStG im Lichte der europäischen Rechtsprechung
In: Diplomarbeit
Inhaltsangabe: Einleitung: Als das Statistische Bundesamt unlängst im Mai 2009 in einer Pressemitteilung mitteilte, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im ersten Quartal 2009 um 3,8 vH. niedriger war als im vierten Quartal 2008, hatte man es Schwarz auf Weiß. Bei dieser düsteren Feststellung handelt es sich jedoch nicht um ein singuläres Ereignis. Schon seit dem zweiten Quartal 2008 ist das BIP ständig weiter zurückgegangen, wie es in der Pressemitteilung heißt. In Zeiten einer solchen Wirtschaftsrezession spielen Verluste immer mehr eine entscheidende Rolle – auch für das Steuerrecht. Der Absatz von Unternehmen bricht ein, woraufhin weniger Umsatz vereinnahmt wird, während die Kosten weiterhin indifferent sind. In Folge dessen werden rote Zahlen geschrieben, Verbindlichkeiten können nicht mehr beglichen werden und es droht nicht nur die Zahlungsunfähigkeit für den Schuldner, sondern auch für den Gläubiger, weil dieser durch den Ausfall der Forderung ebenfalls Umsatzeinbußen zu verzeichnen hat. Womöglich muss sogar ein Insolvenzantrag gestellt werden. Ein Teufelskreislauf! Ein kleiner Trost für die Steuerpflichtigen in solchen Zeiten, ist die steuerliche Nutzung der angefallenen Verluste. Dies ist auch grds. möglich. Allerdings sieht der Gesetzgeber in bestimmten Fällen eine Einschränkung der steuerlichen Verlustnutzungsmöglichkeit vor, weil er entweder gewisse Gestaltungen unterbinden zu ersucht, oder aber weil er den Steuerpflichtigen einen Anreiz zu einem bestimmten Verhalten verschaffen möchte. Im Zeitalter der Globalisierung gewinnen internationale Sachverhalte zunehmend an Bedeutung. Große Unternehmen haben Standorte überall auf der Welt verteilt und die Komplexität internationaler Zusammenhänge nimmt folglich von Tag zu Tag zu. Fallen in ausländischen Betriebsstätten oder Tochtergesellschaften sonach Verluste an, kommt wie auch auf nationaler Ebene, der Ruf nach einer steuerlichen Nutzung ebendieser Verluste auf. Für negative ausländische Einkünfte sieht § 2a Abs. 1 EStG jedoch eine Einschränkung in der Verlustverrechnung vor. Dies wurde im Laufe der Zeit auf verfassungs- und europarechtlicher Sicht als Bedenklich angesehen. Letzteres hat schließlich zu einer Neuregelung in § 2a EStG geführt, die mit dem Jahressteuergesetz 2009 durchgesetzt wurde. Im Rahmen dieser Untersuchung sollen zunächst die beschrieben Novellierungen in § 2a EStG aufgezeigt und sodann einige essenzielle Grundbegriffe kurz verdeutlicht werden, deren Verständnis im Laufe der Untersuchung von Bedeutung ist. In einem weiteren Kapitel wird dann im Wesentlichen die Problematik des § 2a EStG auf nationaler Ebene ausführlich dargestellt. Hierbei werden insb. auf die Verfassungsmäßigkeit und Funktion der Vorschrift sowie auf eine Kritik an § 2a EStG eingegangen. Diese Darstellung ist für das Grundverständnis des Hauptteils dieser Diplomarbeit Voraussetzung, damit der Leser die späteren Konflikte mit dem Europarecht logisch nachvollziehen kann. Schwerpunktmäßig soll § 2a EStG im Rahmen dieser Untersuchung nämlich in das Licht der europäischen Rechtsprechung gestellt werden. Dafür werden im vierten Kapitel zunächst allgemein die Rechtsquellen des Europarechts, die einzelnen Grundfreiheiten, Diskriminierungen und Beschränkungen ebendieser sowie das Rangverhältnis der Grundfreiheiten zueinander dargestellt. Damit der Bezug zu § 2a EStG hierbei nicht verloren geht, werden an diversen Stellen Verknüpfungen zu der Norm hergestellt. Dies bestätigt die Notwendigkeit dieser Ausführungen. Sodann folgt eine genaue Prüfung des § 2a EStG auf seine Europatauglichkeit. Dazu werden die einzelnen Gründe ausgeführt, die zu der besagten Novellierung durch das Jahressteuergesetz 2009 geführt haben sowie die wichtige und interessante Frage analysiert, ob § 2a EStG in seiner jetzigen Fassung weiterhin mit dem Europarecht unvereinbar ist. Dabei kommt der Kapitalverkehrsfreiheit in Bezug zu Drittstaaten eine wichtige Bedeutung zu. Die Schlussbetrachtung soll die Kernpunkte dieser Arbeit nochmals zusammenfassend darstellen und dem Gang der Untersuchung ein gelungenes Ende verleihen.Inhaltsverzeichnis:Inhaltsverzeichnis: InhaltsverzeichnisI AbkürzungsverzeichnisV 1.Einleitung1 1.1Einleitung und Problemstellung1 1.2Relevante Änderungen durch das JStG 20092 1.2.1Negative Einkünfte in Bezug zu Drittstaaten (§ 2a EStG)3 1.2.2Der Progressionsvorbehalt (§ 32b EStG)4 2.Grundlagen und Begriffsdefinitionen6 2.1Prinzipien der Besteuerung6 2.1.1Leistungsfähigkeitsprinzip6 2.1.1.1Objektives Nettoprinzip7 2.1.1.2Subjektives Nettoprinzip7 2.1.2Welteinkommenprinzip8 2.2Maßnahmen zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung9 2.2.1Anrechnungsmethode9 2.2.2Freistellungsmethode10 2.3Verluste11 2.3.1Verluste und ihre steuerliche Bedeutung11 2.3.2Verlustausgleichsbeschränkungen im EStG12 3.Die Verlustausgleichsbeschränkung gem. § 2a EStG15 3.1Vorbemerkung15 3.2Geschichte, systematische Einordnung und Zielsetzung der Norm15 3.3Verfassungsmäßigkeit des § 2a Abs. 1 EStG18 3.3.1Durchbrechung des Leistungsfähigkeitsprinzips19 3.3.2Durchbrechung des Welteinkommenprinzips20 3.3.3Ergebnis20 3.4Der § 2a EStG im Einzelnen21 3.4.1Katalog schädlicher negativer Einkünfte21 3.4.2Rechtsfolgen und Funktion der eingeschränkten Verlustverrechnung23 3.4.2.1eingeschränkter Verlustausgleich24 3.4.2.2eingeschränkter Verlustvortrag24 3.4.3Die Aktivitäts- bzw. Produktivitätsklausel (§ 2a Abs. 2 EStG)25 3.4.4Der Begriff des Drittstaats (§ 2a Abs. 2a EStG)27 3.4.5Anwendungsbereich des § 2a Abs. 1 EStG28 3.4.5.1In Bezug zu Drittstaaten28 3.4.5.1.1Nicht DBA-Staaten28 3.4.5.1.2DBA-Staaten29 3.4.5.1.2.1Mit Anrechnungsmethode29 3.4.5.1.2.2Mit Freistellungsmethode29 3.4.5.2Innerhalb der EU bzw. des EWR30 3.4.6Wahlrecht zur grenzüberschreitenden Verlustverrechnung von Betriebsstättenverlusten mit Nachversteuerung31 3.4.7Besondere Tatbestände (§ 2a Abs. 4 EStG)34 3.5Verhältnis zu anderen Vorschriften35 3.6Kritik an der Vorschrift38 4.Die Rechtsprechung des EuGH im Bereich der direkten Steuern41 4.1Harmonisierung der direkten Steuern innerhalb der EU41 4.2Rechtsquellen des europäischen Rechts42 4.2.1primäres Gemeinschaftsrecht42 4.2.2sekundäres Gemeinschaftsrecht43 4.3Die europäischen Grundfreiheiten im EGV43 4.3.1Die einzelnen Grundfreiheiten45 4.3.1.1Warenverkehrsfreiheit (Art. 23 ff. EGV)45 4.3.1.2Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 39 EGV)45 4.3.1.3Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EGV)46 4.3.1.4Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EGV)47 4.3.1.5Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 56 EGV)48 4.3.2Diskriminierungen und Beschränkungen der Grundfreiheiten49 4.3.3Rechtfertigung einer etwaigen Beschränkung51 4.3.4Rangverhältnis der Grundfreiheiten zueinander – Parallelität oder Exklusivität?52 4.3.5Exkurs: Die Kapitalverkehrsfreiheit in Bezug zu Drittstaaten54 4.4Die Europatauglichkeit des § 2a EStG57 4.4.1Die Vereinbarkeit des § 2a Abs. 1 und 2 EStG a. F. mit EG-Recht57 4.4.1.1Rechtlage bis einschließlich VZ 200857 4.4.1.2Notwendigkeit einer Neuregelung58 4.4.1.2.1Der Fall 'Ritter-Coulais'61 4.4.1.2.1.1Sachverhalt61 4.4.1.2.1.2Urteil des EuGH62 4.4.1.2.1.3Reaktion der Finanzverwaltung63 4.4.1.2.2Der Fall 'Rewe-Zentralfinanz'64 4.4.1.2.2.1Sachverhalt65 4.4.1.2.2.2Urteil des EuGH65 4.4.1.2.2.3Reaktion der Finanzverwaltung67 4.4.1.2.2.4Anschluss des BFH an 'Rewe-Zentralfinanz'68 4.4.1.2.3Vertragsverletzungsverfahren68 4.4.1.3EU-Konforme Anpassungdes § 2a Abs. 1 und 2 EStG n. F. – praktische Relevanz70 4.4.1.4Verstößt der neue § 2a Abs. 1 EStG gegen EU-Recht?71 4.4.2Die grenzüberschreitende Verlustverrechnung von Betriebsstättenverlusten innerhalb der EU – Neue Rechtsprechung des EuGH76 4.4.2.1Problemstellung76 4.4.2.2Die EuGH-Urteile 'Marks Spencer', 'Lidl-Belgium' und 'KR Wannsee' sowie der Definitivbegriff der Verluste78 4.4.2.3Fazit86 5.Schlussbetrachtung87 5.1Auswirkungen der Neuregelung auf das deutsche Steueraufkommen87 5.2Die Zukunft des § 2a EStG n. F.88 5.3Zusammenfassung und Gesamtfazit89 Literaturverzeichnis92 Lehrbücher, Kommentare und wissenschaftliche Monographien92 Aufsätze und Zeitschriftenbeiträge98 Urteile und Beschlüsse des Bundesfinanzhofs (BFH)106 Urteile und Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG)107 Urteile und Beschlüsse des Europäischen Gerichtshofs (EuGH)108 Amtliche Veröffentlichungen109 Sonstige Quellen110Textprobe:Textprobe: Kapitel 4.1, Harmonisierung der direkten Steuern innerhalb der EU: Vorab ist festzustellen, dass spätestens seit dem legendären Schumacker-Urteil vom 14. Februar 1995 die Rechtsprechung des EuGH breite Beachtung bei den FG, dem BFH und im Schrifttum findet. Zu den Aufgaben der EU zählen nach Art. 2 EGV unter anderem die Errichtung einer harmonischen, ausgewogenen und nachhaltigen Entwicklung des Wirtschaftslebens. Dabei ist diese Errichtung eines gemeinsamen Binnenmarktes gem. Art. 14 EGV die Grundvoraussetzung für die Verwirklichung der in Art. 2 EGV verankerten EU-Aufgaben. Nachfolgend wird auf diese 'harmonische Entwicklung' in Bezug auf das Steuerrecht näher eingegangen. Während Art. 93 EGV eine Rechtsgrundlage für die Harmonisierung der indirekten Steuern (z.B. Umsatzsteuer) enthält, ist eine solche für den Bereich der direkten Steuern (z.B. Einkommensteuer) nicht aus dem EGV ersichtlich. Eine Harmonisierung könnte hierbei lediglich auf die 'allgemeine Ermächtigung' gem. Art. 94 EGV gestützt werden. Danach sieht die EU eine Kompetenz für die Harmonisierung der direkten Steuern allerdings nur vor, wenn sie sich unmittelbar auf das Funktionieren des Binnenmarktes auswirken. Wenngleich sich die Regelungen im EGV zur Harmonisierung der direkten Steuern stark zurückhalten, weist der EuGH in seiner st. Rspr. darauf hin, dass die direkten Steuern zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, dass diese 'ihre Befugnisse in diesem Bereich jedoch unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts ausüben und deshalb jede offensichtliche oder versteckte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit unterlassen müssen'. Gleichwohl wird die Harmonisierung im Bereich der direkten Steuern auch kritisch gesehen. In seinem Plädoyer für eine Nichtanwendung der EuGH-Rechtsprechung im Bereich der direkten Steuernkritisiert Mitschke insb., dass durch das Fehlen einer expliziten Harmonisierungsregel im EGV zahlreiche nationale Normen und gar ganze System aufgrund der EuGH-Rechtsprechung ersetzt werden mussten. Aufgrund der Tatsache, dass immer mehr Teile des deutschen Ertragsteuerrechts aus EU-rechtlicher Sicht in Frage gestellt werden, schlägt er - statt einer EU-konformen Anpassung nationaler Normen - eine 'Änderung des EU-Primärrechts' vor. Rechtsquellen des europäischen Rechts: Bei der Auswirkung der europäischen Rechtsprechung auf den Bereich der direkten Steuern sind folgende Rechtsquellen zu unterscheiden. Primäres Gemeinschaftsrecht: Als primäres Gemeinschaftsrecht werden die Gründungsverträge (insb. der EGV) der Europäischen Union verstanden, die die heutige Grundlage der Europäischen Gemeinschaft bilden. Zum primären Gemeinschaftsrecht zählen auch die im EGV verankerten Grundfreiheiten, welche die Voraussetzung für die Errichtung eines gemeinsamen Marktes sind. Das primäre Gemeinschaftsrecht entfaltet unmittelbare Anwendung, d.h. es ist ohne weitere Konkretisierung anwendbar. Verstößt eine nationale Norm sonach gegen europäisches Recht, verdrängt das Gemeinschaftsrecht das jeweilige nationale Recht. Das Primärrecht kann gemeinhin auch als 'Verfassung' der Gemeinschaften angesehen werden. Neben den Grundfreiheiten lassen sich aus dem primären Gemeinschaftsrecht folgende Grundsätze für den Bereich der Steuern ableiten: - Schaffung einer Zollunion; - Grundsätzliches Verbot der nationalen Subventionen, d.h. keine Begünstigung von Steuerinländern sowie kein Anreiz an Steuerausländer; - Harmonisierung der indirekten Steuern; - Harmonisierungsermächtigung der direkten Steuern durch Einstimmigkeit, was allerdings regelmäßig nicht erreichbar ist; Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Beseitigung einer Doppelbesteuerung durch bilaterale Abkommen (DBA); - sekundäres Gemeinschaftsrecht. Das sekundäre Gemeinschaftsrecht bezeichnet die aufgrund des EGV erlassenen Rechtsakte, wozu insbesondere Verordnungen gem. Art. 249 Abs. 2 EGV und Richtlinien gem. Art. 249 Abs. 3 EGV zählen. De facto wird das primäre Gemeinschaftsrecht durch das Sekundärrecht notwendig 'ergänzt'. Verordnungen besitzen dabei allgemeine Geltung und sind so in allen Teilen unmittelbar verbindlich, wohingegen Richtlinien nur hinsichtlich ihres Zieles verbindlich sind, die Umsetzung den einzelnen Mitgliedstaaten allerdings frei steht. Da § 2a Abs. 1 EStG a. F. in erster Linie gegen das primäre Gemeinschaftsrecht – in concreto gegen die Grundfreiheiten – verstößt, sollen die Ausführungen zum sekundären Gemeinschaftsrecht bis hierhin ausreichen.