Eliten
In: Politische Theorie und Regierungslehre: eine Einführung in die politikwissenschaftliche Institutionenforschung, S. 239-266
Der Artikel bietet einen Überblick über die Fragestellungen der Elitetheorie. Er zeigt, dass es sich dabei um ein eigenständiges Forschungsobjekt der Politikwissenschaft handelt. Dabei geht es nur vordergründig um individuelle Merkmale von Personen. Denn die Elitetheorie konzeptualisiert Eliten in erster Linie als Repräsentanten wichtiger Institutionen und Organisationen, in deren Namen sie Einfluss auf politische Willensbildungsprozesse nehmen. Die Karrieremuster und politischen Orientierungen von Eliten sowie ihre Vernetzung mit anderen Eliten werden dabei als Resultate organisatorischer Selektionsprozesse, nicht als quasi-natürliche Auslese der Besten betrachtet. Der sozialwissenschaftliche Elitebegriff ist daher kein normativer Begriff, der Elitestatus an positiv bewertete Merkmale wie herausragende Leistungen oder Verantwortungsbewusstsein knüpft, wie dies der Begriff der Wertelite impliziert. Vielmehr ist die Beziehung zwischen Elitestatus und Leistung eine empirische Frage, wobei normative Konzepte wie Leistung oder Verantwortungsbewusstsein allerdings kaum in intersubjektiver Weise zu definieren, geschweige denn zu messen sind. Im Interesse analytischer Stringenz kann sich diese Forderung allerdings nicht auf die Begriffsdefinition selbst, sondern lediglich auf die Berücksichtigung der damit verbundenen Forschungsfragen beziehen. Die Fruchtbarkeit elitetheoretischer Überlegungen erweist sich unter politisch stabilen Verhältnissen vor allem bei der Analyse von Strukturmerkmalen politischer Willensbildungsprozesse, bei der das Forschungsinteresse der Elitetheorie auf die Muster von Konflikt und Konsens zwischen den verschiedenen kollektiven Akteuren und auf deren unterschiedliche politische Einflusschancen gerichtet ist. Das Elitekonzept spielt aber auch bei der Analyse von Prozessen des Regimewandels und der damit verbundenen institutionellen und personellen (Dis-) Kontinuitäten eine wichtige Rolle. Allerdings gilt dies nur unter der Voraussetzung einer eindeutigen Begriffsdefinition. Wird der Elitebegriff zu stark ausgeweitet, besteht die Gefahr seiner Reifizierung. Die Bindung des Elitestatus an eine eindeutig bestimmbare organisatorische Basis für politische Einflusschancen ist daher eine zwingende Voraussetzung für seine sinnvolle Anwendung. Die empirische Eliteforschung ist gerade dieser zweiten Fragestellung nicht immer im wünschenswerten Umfang nachgegangen, da sie sich primär auf die Untersuchung von Strukturmerkmalen von Eliten unter stabilen politischen Bedingungen konzentriert hat, d.h. auf die Analyse von Karrieremustern, politischen Einstellungen und Elitennetzwerken. Langfristige Studien des Elitenwandels sind bisher selten und beschränken sich zumeist auf parlamentarische Eliten. Wünschenswert wären Studien, die sowohl für politisch stabile Perioden als auch für Zeiten sozialen und politischen Wandels Kontinuitäten und Diskontinuitäten in den Eliten untersuchen. Dies wäre auch die Voraussetzung dafür, die bestehende Kluft zwischen Elitetheorie und empirischer Eliteforschung zu schließen. (ICG)