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Aus Anlass der erneuten Debatte über eine deutsche oder europäische Atombewaffnung wendet sich ein Kreis von Menschen aus Wissenschaft und […] The post Erklärung zum Thema Atomwaffen, Klimawandel und Energiesicherheit first appeared on Blog der Republik.
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Dass auch das Ministerium von Bettina Stark-Watzinger einen Beitrag zum Sparpaket wird leisten müssen, gilt in der Ampel als wahrscheinlich. Aber was heißt das praktisch? Eine Analyse.
Foto: 1646433/Pixabay, CCO.
NACHDEM BUNDESFINANZMINISTER Christian Lindner (FDP) vorgegangene Woche laut Handelsblatt seine Spar-Briefe an alle Ressorts verschickt hatte, sah es zunächst so aus, als könnte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) als eines der wenigen Häuser nahezu ungeschoren davonkommen. Es gebe keine Sparliste und es seien auch "keine sogenannten roten Briefe" verschickt worden, sagte die Sprecherin des Finanzministeriums, Nadine Kalwey, vor der Bundespressekonferenz. Die 2024er Budgetrahmen ("Plafonds") für die einzelnen Ministerien orientierten sich an der bisherigen Finanzplanung und an "den politischen Prioritäten der Koalition, die Ihnen ja auch bekannt sind. Besonders wichtig dabei sind Investitionen in Energiesicherheit, Bildung, Klimaschutz und Digitalisierung."
Dann jedoch verbreitete der SPIEGEL am Wochenende per Vorabmeldung, dass sich an dem von Lindner angestoßenen Sparpaket in Höhe von insgesamt 3,7 Milliarden Euro alle Ministerien bis auf das für Verteidigung beteiligen müssten – und das BMBF müsse mit einem Minus von 533 Millionen Euro gar den zweithöchsten Beitrag erbringen.
Aber in Vergleich zu was sollte dieses BMBF-Minus eigentlich sein? Zur bisherigen Planung für 2024? Oder zum 2023er Haushalt, der vor allem durch die 700-Millionen Euro schwere Energiepauschale für Studierende und Fachschüler auf Rekordniveau aufgebläht war?
Tatsächlich herrscht selbst unter den Haushältern der Regierungsfraktionen gerade maximale Verwirrung über die Pläne im Bundesfinanzministerium, es kursieren offenbar sogar mehrere Zahlensätze, von denen die Version des SPIEGEL nur eine ist. Absichtlich geworfene Nebelkerzen aus dem BMF, weil Lindners Entwurf anders als zunächst kolpotiert eben doch noch keine Rückendeckung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat? Lediglich das Vorgehen bis zur Haushaltsaufstellung sei bislang abgestimmt, betonte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann.
Die Extra-Bildungsmilliarde soll trotzdem kommen
Doch egal, welche der kursierenden Versionen des BMBF-Haushalts man nimmt: Sie alle sehen vor, dass Linders FDP-Ministerkollegin Bettina Stark-Watzinger 2024 mit weniger Geld als 2023 wird auskommen müssen. Allerdings wäre allein das noch keine Überraschung und kein Drama, weil schon die bisherige (aus dem August 2022 stammende) Finanzplanung für 2024 einen Betrag angibt, der um über 600 Millionen Euro unter dem jetzigen Planwert für 2023 (21,5 Milliarden) liegt. Wenn BMF-Sprecherin Kalwey also neulich in der Pressekonferenz angab, die Plafonds für 2024 "orientierten" sich an der bisherigen Finanzplanung, könnte das – großzügig interpretiert – für das BMBF sogar zutreffen.
Und was ist mit der von Lindner versprochenen zusätzlichen Bildungsmilliarde pro Jahr, die 2024 zum ersten Mal kommen soll? Sie werde auf keinen Fall kassiert, versichern die Ampel-Finanzpolitiker. Wenn sie aber Teil des normalen Haushalts wäre und der sich an der bisherigen mittelfristigen Finanzplanung orientierte, wäre die Bildungsmilliarde eine Mogelpackung. Das wissen sie auch im BMF. Daher, ist zu hören, könnte die Bildungsmilliarde "vor die Klammer" gezogen werden, wie das im Haushaltsjargon heißt – also außerhalb des BMBF-Kernhaushalts oben drauf kommen – was die behauptete Priorität für das Thema Bildung im Sparpaket zum Ausdruck brächte.
Für den BMBF-Kernhaushalt aber würde es in jedem Fall eng. Es drohen Kürzungen vor allem dort, wo das Ministerium nicht gesetzlich oder (nicht mehr) durch Vereinbarungen mit den Ländern gebunden ist. Einen Vorgeschmack, was das bedeuten könnte, hat die Aufregung um verschiedene Forschungsförderlinien im vergangenen Sommer gegeben.
Gebunden ist das BMBF zum Beispiel beim Zukunftsvertrag "Studium und Lehre stärken", da steht 2024 eine Erhöhung um 160 Millionen Euro an, was den Druck auf den Rest-Haushalt weiter erhöht. Unerbittlich weiter steigen auch die Kosten für internationale Kooperationen. So könnte der Beschluss, die finanziell aus dem Ruder gelaufene Beschleunigeranlage FAIR in Darmstadt weiterzubauen und dabei Russlands Anteil allein aus Deutschland vorzustrecken, im Rest der Wissenschaftslandschaft noch kräftige Schmerzen verursachen.
Wer sich fragt, warum Stark-Watzinger etwa die Forderungen der Länder nach einer Verlängerung der Qualitätsoffensive Lehrerbildung ablehnt, findet hier möglicherweise seine Antwort. Vor dem Hintergrund wird ebenfalls nachvollziehbar, warum es für Stark-Watzinger attraktiv sein könnte, 2024 noch möglichst wenig von der Bildungsmilliarde in die Startchancen zu stecken: Weil dann etwas mehr Luft im Gesamthaushalt bliebe? Die Frage ist aber, für welche Vorhaben sie die Extra-Milliarde überhaupt einsetzen dürfte.
Das Haushaltsjahr 2025 wird noch entscheidender
Noch entscheidender für die Bildungscommunity ist, wie es 2025 mit dem BMBF-Haushalt weitergeht. Es ist das Jahr der Bundestagswahl – die letzte Chance, weitere zentrale Ampel-Vorhaben zu starten, wenn die Koalition nicht wortbrüchig werden will. Etwa den Digitalpakt Schule 2.0, der sogar höher dotiert sein sollte als sein Vorgänger, der 2024 ausläuft. Die Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (DATI), ohnehin spät dran, würde ohne spürbar zusätzliches Geld mit einer Hypothek aus der Legislaturperiode gehen. Der zweite Teil der BAföG-Novelle steht auch noch aus, und es ist sogar der wichtigere: Neben einer weiteren Erhöhung der Fördersätze soll er eine grundlegende konzeptionelle Reform bringen, hin zu einer stärkeren Elternunabhängigkeit vor allem.
Nur: Die Signale aus dem Finanzministerium zeigen fürs BMBF nicht nach oben, sondern auch für 2025 nach unten – je nach Version noch dazu deutlich. Allerdings gibt es andere Stimmen in der Bundesregierung, die sagen, wenn man in 2024 ordentlich spare, habe man 2025, eben im Jahr der Bundestagswahl, schon wieder Luft nach oben.
Eine Anfrage ans BMBF, was Lindners Haushaltsplanungen für Bildung und Forschung bedeuten, hat derweil wenig Sinn – man hat in der Bundesregierung Stillschweigen vereinbart. Und so lautet die – erwartbare – Antwort einer Sprecherin von Bettina Stark-Watzinger: "Das regierungsinterne Haushaltsaufstellungsverfahren für das Jahr 2024 dauert noch an. Insofern bitten wir um Ihr Verständnis, dass wir uns zu dem laufenden Verfahren nicht äußern können."
Da ist ja auch, siehe oben, etwas dran: Es kann, aber es muss so nicht kommen. Vielleicht kann Stark-Watzinger die Kürzungsansagen noch etwas entschärfen. In den vorgesehenen Sechs-Augen-Gesprächen mit Lindner und Kanzler Scholz. Der größte Widerstand gegen das Sparpaket insgesamt soll aber von den Grünen kommen. Am 5. Juli sollte Lindners Haushaltsentwurf dann ins Kabinett gehen. Eigentlich. Denn auch das scheint nicht (mehr) sicher zu sein, vielleicht dauert es noch länger. Umgekehrt gilt in der Ampel als unstrittig, dass auch das BMBF einen Sparbeitrag wird leisten müssen. Vor dem Hintergrund des Narrativ der "Chancen"- und "Fortschritts"-Koalition, mit der SPD, Grüne und FDP Ende 2021 in ihre Zusammenarbeit gestartet sind, bleibt so oder so vor allem eines: Ernüchterung.
Dieser Beitrag erschien in kürzerer Fassung zunächst in meinem kostenfreien Newsletter.
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Die polnische Stadt Wieluń nach der Bombardierung der deutschen Luftwaffe am 1. September 1939 Am 1. September 1939, vor 81 Jahren, begann der Zweite Weltkrieg mit dem deutschen Überfall auf Polen. Dass der Beginn des Zweiten Weltkriegs sich nicht aus der Geschichte eines Tages heraus verstehen lässt und dass der Hinweis auf dieses historische Ereignis nur ein bescheidener Anfang sein kann, um sich mit der komplexen Geschichte dieses Krieges zu beschäftigen, ist eine Binsenweisheit. Doch dass es an der ursächlichen Täter-Opfer-Konstellation als solche, bei aller Sensibilität des Themas, Zweifel geben könne, mögen viele für ausgeschlossen halten. Doch seit einiger Zeit erreichen Beiträge die öffentliche Debatte, die anzeigen, dass über den Krieg ein Krieg tobt, ein in Kreisen von Fachhistoriker*innen länger bekannter sogenannter memory war. Der 1. September 2020 kann also Anlass bieten, in aller Kürze und mit Konzentration auf Polen zu erklären, wie sich dieser Streit seit dem Begehen des letzten Jahrestages entwickelt hat.Als Highlight im kurzen Wahlkampf, den er schlussendlich knapp für sich entscheiden sollte, reiste der polnische Präsident Andrzej Duda am 24. Juni 2020, wenige Tage vor der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen, nach Washington zu einem Treffen mit dem US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump. Die gemeinsame Erklärung beginnt wahltaktisch nachvollziehbar mit einem Bekenntnis zu erweiterter wirtschaftlicher Zusammenarbeit. Doch noch bevor die ebenfalls im nationalen Interesse äußerst hoch gehandelten Themen militärische Verbundenheit und Energiesicherheit angesprochen werden, heißt es unvermittelt am Ende des ersten Absatzes: "Ebenso werden wir uns im Kampf gegen Desinformation zusammenschließen, insbesondere im Hinblick auf historische Fakten über den Zweiten Weltkrieg."[1] Diese Betonung der Geschichte in den außenpolitischen Beziehungen ist in der polnischen Öffentlichkeit durchaus üblich. Seit Jahren wächst etwa in den Befragungen des Deutsch-Polnischen Barometers der Anteil derjenigen Pol*innen, die der Ansicht sind, man müsse sich vornehmlich der Vergangenheit widmen, weil man sich ohne deren Aufarbeitung gar nicht Gegenwarts- und Zukunftsthemen zuwenden könne.[2] Putin sucht die SchuldigenHintergrund für die Äußerung konkret an diesem Tag war die Nachholung der Militärparade zum 75jährigen Ende des Zweiten Weltkriegs in Moskau auf dem Roten Platz, die pandemiebedingt vom 9. Mai verlegt worden war. Kurz zuvor hatte ein Artikel des russischen Präsidenten Wladimir Putin höchstselbst umfangreich die russische Sicht auf die historische Kriegskonstellation erhellt, erschienen am 18. Juni online im konservativen US-Magazin "The National Interest" und am 19. Juni auf der Regierungsplattform kremlin.ru sowie im Amtsblatt "Rossijskaja gazeta".Der Beitrag Putins greift einige bereits länger kursierende Argumente im Streit um die Deutung der Schuld für den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs auf. Insgesamt verfestigt sich in der bereits bekannten Argumentation eine "Europäisierung" der Schuld und eine Relativierung des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts. Dazu kommt aber als neue, besondere "Zutat" eine deutliche Konzentration auf Polen als Schuldigen nicht nur für das eigene Schicksal, sondern auch für den politischen Weg in den Krieg insgesamt. Der Artikel weist die zentrale Bedeutung des Nichtangriffspakts vom 23. August 1939 und seines geheimen Zusatzprotokolls zurück, in dem die Aufteilung Polens, Litauens, Finnlands, Estland, Lettlands und Bessarabiens unter dem Deutschen Reich und der Sowjetunion vereinbart worden war. Dabei ist es unstrittig, dass dies eine unmittelbare Bedeutung für den Kriegsausbruch und langfristige Folgen für Ostmitteleuropa hatte – ohne den Pakt hätte Hitler sich zumindest auf einen Zwei-Fronten-Krieg vorbereiten müssen.[3]Stattdessen rückt Putin in seinem Beitrag[4] das Münchener Abkommen vom 29./30. September 1938 in den Mittelpunkt. Dies ist zwar in Teilen der Geschichtswissenschaft schon länger als Grund für die Isolierung der Sowjetunion und damit als Motor zum Abschließen des Hitler-Stalin-Pakts gesehen worden. Polen aber hier eine derart zentrale Rolle zu unterstellen, wie Putin es insinuiert, ist neuartig und entbehrt belegbarer Grundlagen (zumal gar keine polnische Delegation zugegen war). Die tatsächliche Okkupation des Teschener Olsagebietes durch Polen direkt nach der deutschen Besetzung des Sudetenlandes im Oktober 1938 (und die Besetzung weiterer Gebiete durch Ungarn) und deren Bedeutung kann nicht über die hauptsächliche Verantwortung Deutschlands für die Zerstörung des tschechoslowakischen Staates hinwegtäuschen. Putins Versuch als solcher, die facettenreiche und keinesfalls schwarz-weiße Geschichte der Diplomatie der 1930er Jahre und ihrer gefährlichen appeasement-Politik gegenüber Nazideutschland von britischer, französischer, aber auch polnischer Seite argumentativ auszunutzen, ist nicht neu, sondern entspricht in großen Teilen durchaus sowjetischer Lesart. Dabei war die Sowjetunion eben keineswegs, wie dargestellt, der letzte Staat, der sich schließlich, mangels Alternativen, in defensiver Absicht auf einen "Deal" mit dem Deutschen Reich einließ, sondern sie war vielmehr recht schnell dabei und mit weitreichenden eigenen Vorstellungen. Doch die Konzentration auf Polen, das der Sowjetunion die Zusammenarbeit verweigert und damit viele Möglichkeiten genommen habe, sollte hellhörig machen. Die Behauptung, die baltischen Länder hätten sich freiwillig als Sowjetrepubliken der Sowjetunion angeschlossen, ist ebenso ein neues Element,[5] wie Wacław Radziwinowicz, ehemaliger Russland-Korrespondent der polnischen Gazeta Wyborcza, betont.Putins Aufsatz ist lang und enthält noch eine ganze Reihe an Argumenten, die weitere komplexe Zusammenhänge berühren, aber von der Schlussfolgerung her in eine ähnliche Richtung gehen. Sie sind bereits gründlich von einschlägigen Osteuropahistoriker*innen seziert worden.[6] Ein Grund, warum auf diese Einlassung bereits mit so viel Expertise reagiert worden ist, ist dabei besonders kurios: Die Forscher*innen und Hochschullehrer*innen bekamen den Aufsatz in ihr Email-Postfach geliefert, begleitet von einen Schreiben der Russischen Botschaft, sie würden dort viel Neues erfahren, auch im Hinblick auf neu erschlossene historische Quellen: "Mit Blick darauf schlagen wir Ihnen vor, den Artikel von Wladimir Putin künftig bei der Vorbereitung von historischen Beiträgen zu nutzen. In jedem Fall ist ein Link auf die ursprüngliche Quelle – Webseite des Präsidenten der Russischen Föderation – obligatorisch." Einer solchen Forderung würde keine ernstzunehmende Historiker*in nachkommen, eher bietet sich der Text als Quelle zum Thema Geschichtspolitik an. Dennoch stimmt diese Grenzüberschreitung von Politik Richtung Wissenschaft, nicht die erste in dem hier skizzierten Streit um die Erinnerung, bedenklich.[7] Indes lässt das Begleitschreiben nicht im Unklaren, worum es eigentlich geht: "Der Beitrag befasst sich mit der internationalen Nachkriegsordnung und den Vorschlägen für eine weitere Kooperation zwischen führenden Ländern der Welt." Diese Nachkriegsordnung wird – ungeachtet des Kalten Kriegs – von Putin als mehr oder minder harmonisches Miteinander der Alliierten beschrieben und dessen Wiederbelebung in veränderter Form vorgeschlagen: als Wirken der fünf Vetomächte des UN-Sicherheitsrates im Sinne von prägenden Großmächten zum Wohl der Weltgemeinschaft. Geteilte europäische Erinnerung und GeschichtspolitikInsgesamt reiht sich der Artikel in die Erzählung der russischen Regierung ein, die baltischen Länder, die Ukraine und vor allem Polen "als reaktionär, nationalistisch und zum großen Teil auch antisemitisch hinzustellen", so der Historiker Karl Schlögel.[8] Erinnert sei hier nur an Putins drastische Äußerungen aus dem Dezember 2019 zum Antisemitismus des polnischen Botschafters in Berlin 1933–1939, Józef Lipski – ebenfalls im Zusammenhang mit einer Relativierung des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts.[9] Der Konflikt eskalierte wenige Wochen später, nachdem Putin erneut den Polen eine tragende Schuld am Kriegsausbruch und an der Deportation der Juden zugewiesen hatte. Nachdem der polnische Präsident Duda auf dem offiziellen Welt-Holocaust-Forum in Yad Vashem im Januar 2020 keine Redezeit bekam und befürchtete, dass Putin selbst die Vorwürfe in seiner Rede prominent wiederholen würde, sagte Duda seine Teilnahme ab.[10]Putins geschichtspolitischer Beitrag steht aber auch in einem größeren Zusammenhang als Reaktion auf die Geschichtspolitik der Europäischen Union. Am 19. September 2019 hat das Europäische Parlament einen Entschließungsantrag zur Bedeutung der Erinnerung an die europäische Vergangenheit für die Zukunft Europas angenommen, der eine Neuorientierung der kollektiven Erinnerung in Europa an den Zweiten Weltkrieg fordert. Polen, Estland, Lettland und Litauen haben diese Entschließung entscheidend vorangebracht. Seit ihrem Beitritt 2004 haben die neuen Mitglieder daran gearbeitet, dass ihre Sicht auf die Geschichtspolitik gehört wird. Zentral dabei war und ist die Bedeutung des Hitler-Stalin-Pakts. Im Jahr 2011 schließlich wurde der europäische Gedenktag für die Opfer der beiden durch "Staatsterror und Massenmord geprägten totalitären Systeme" am 23. August eingerichtet. Der Jahrestag findet in Westeuropa kaum Beachtung (wie auch bisher die Entschließung von 2019). Die Historikerin Anke Hilbrenner ordnet dies in den Bedeutungszusammenhang ein, der sich aus der Kluft der Erinnerung in Westeuropa und Ostmitteleuropa ergibt hinsichtlich der Frage, inwieweit es überhaupt legitim sei, die Folgen von Nationalsozialismus und Stalinismus zu vergleichen. Das ostmitteleuropäische Gedächtnis aber, für das diese Frage zentral sei, werde durch dieses Tabu marginalisiert. Indem die ostmitteleuropäischen Diskussionen dergestalt ausgeblendet werden, ergebe sich eine unlautere "hermetische Abschottung des westlichen Geschichtsbildes gegen die ostmitteleuropäische Erfahrung mit den Massenverbrechen von Nationalsozialismus und Stalinismus zur selben Zeit"[11]. Die europäische Entschließung wurde zwei Tage nach dem 80. Jahrestag des sowjetischen Einmarschs in Polen angenommen. Aus gutem Grund steht in Deutschland weiterhin der 1. September und nicht der 17. September ganz vorn unter den für die gemeinsame Erinnerung wichtigen Daten. Vorwürfen von "Desinformation" sollte weiterhin mit fachlicher Expertise entgegengetreten, der Geschichtspolitik der aktuellen polnischen Regierung mit Umsicht begegnet werden. Aber eine kritische Auseinandersetzung mit den langfristigen Koordinaten des Gedächtnisses, die in Polen – und auch in den anderen Staaten Ostmitteleuropas – verhandelt werden, ist ein notwendiges und zukunftsweisendes Projekt. [1] https://tvn24.pl/polska/andrzej-duda-w-usa-wspolna-deklaracja-donalda-trumpa-i-prezydenta-polski-4619480; https://www.whitehouse.gov/briefings-statements/joint-statement-president-donald-j-trump-president-andrzej-duda/.
[2] Jacek Kucharczyk, Agnieszka Łada, Nachbarschaft mit Geschichte: Blicke über Grenzen, Deutsch-Polnisches Barometer 2020, Institut für Öffentliche Angelegenheiten/Konrad-Adenauer-Stiftung/Deutsches Polen-Institut, Warschau/Darmstadt 2020.
[3] S. Claudia Weber, Der Pakt. Stalin, Hitler und die Geschichte einer mörderischen Allianz 1939-1941, München 2019. Zur historischen Analyse des Putin-Artikels, auch zum folgenden s. dies. in der Berliner Zeitung vom 7. Juli 2020: https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/putins-sicht-auf-den-zweiten-weltkrieg-ist-es-geschichtspolitik-li.91708 sowie Martin Aust, Anke Hilbrenner und Julia Obertreis, Geschichtspolitik braucht Entspannungspolitik, in L.I.S.A. vom 2. Juli 2020: https://lisa.gerda-henkel-stiftung.de/geschichtspolitik_entspannungspolitik.
[6] Neben den erwähnten Artikeln s. etwa Interviews mit Joachim von Puttkamer und Stefan Rohdewald, 24.06.2020: https://www.mdr.de/zeitreise/putin-aufsatz-zweiter-weltkrieg-wissenschaft-experten-100.html; Interview mit Martin Aust, 25.6.2020: https://www.rferl.org/a/russia-baffles-german-historians-with-request-they-supplement-lectures-with-an-article-by-putin/30690752.html; Beitrag von Joachim von Puttkamer in der FAZ, 03.07.2020: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/was-die-rhetorik-putins-ueber-russlands-machthaber-verraet-16843131.html; außerdem Beitrag von Michael Brettin, 04.07.2020:https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/putin-stalin-und-die-kriegsschuldfrage-li.91141.
[7] S. dazu Aust, Hilbrenner und Obertreis, Geschichtspolitik braucht Entspannungspolitik.
[11] "Eine gemeinsame europäische Erinnerungsarbeit an den Zweiten Weltkrieg ist überfällig." Interview mit Anke Hilbrenner über die Resolution zur Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg, in L.I.S.A. vom 5. November 2019: https://lisa.gerda-henkel-stiftung.de/hitlerstalinpakt_ankehilbrenner.
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Ohne eine günstige und üppige Energieversorgung, die an Verlässlichkeit nichts vermissen lässt, ist der Wohlstand unserer Gesellschaft undenkbar. Seit der Zeit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert ist die Frage der Energieversorgung zunehmend in den Mittelpunkt unserer ökonomischen Interessen gerückt. Damit wurde das Thema Energieversorgung auch zum Gegenstand der Politik. Seit dieser Zeit haben alle deutschen Regierungen sich mit Priorität darum bemüht, dass Energie in Deutschland in ausreichendem Maße zur Verfügung steht und für breite Schichten der Gesellschaft und für möglichst alle Industrieanwendungen zu einem akzeptablen Preis angeboten werden kann.Hat es sich dabei zu Beginn dieses Prozesses vor allem darum gedreht, wie man möglichst günstig und in großen Mengen an primäre Energieträger kam, vornehmlich Kohle, später Öl und Gas, so hat sich in den letzten zwanzig Jahren vieles in Deutschland verändert. Seit die Naturwissenschaften uns immer eindrucksvoller vor Augen führen, dass fossile Energieträger durch den Ausstoß von Treibhausgasen den Klimawandel herbeigeführt haben und in zunehmendem Maße verschärfen, ist der Menschheit und damit auch Deutschland in großem Stil daran gelegen, Energiequellen zu erschließen, die der Umwelt keinen Schaden zufügen, uns gleichzeitig aber nicht in die Vormoderne zurückfallen lassen.Eine breite gesellschaftliche Debatte ist seitdem entstanden, mit welchen Methoden man am besten dieses Ziel erreichen kann und welche sich eher nicht eignen, um dem Klimawandel zu begegnen und gleichzeitig den Industriestandort Deutschland nicht zu gefährden. Insbesondere die Partei Bündnis90/Die Grünen und die ihr nachgeordneten Lobbyorganisationen hatten einen entscheidenden politischen Einfluss auf die deutsche Gesellschaft und Politik, sodass in den letzten zwei Dekaden ein Transformationsprozess in Gang gesetzt wurde, der es sich zum Ziel setzt, die deutsche Volkswirtschaft mit sauberen und erneuerbaren Energien zu versorgen. Dieser Prozess, der gemeinhin als Energiewende bezeichnet wird, ist extrem vielgestaltig und umfasst einen radikalen und durchgehenden Umbau unserer Art, Energie zu erzeugen und zu nutzen, und ist ein international einmaliges und vielbeachtetes Projekt.Energiewende in Deutschland – Begriffsklärung "Der Wohlstand unserer Gesellschaft hängt von einer funktionierenden Energieversorgung ab. Ohne Strom, Wärme und Mobilität ist unser Alltag nicht mehr denkbar. Das Ziel der Energiewende ist es deshalb, eine sichere, wirtschaftliche und umweltverträgliche Energieversorgung zu realisieren. Die Erforschung von Technologien und gesellschaftlichen Konzepten zur nachhaltigen Energieerzeugung, -umwandlung und -verteilung stehen daher im Fokus dieses Projekts." (BMBF 2023)Die Energiewende beschreibt nach dieser Definition also einen umfassenden, aber auch notwendigen Umbau unserer Energieversorgung. Dieser Umbau ist notwendig, da beim Verbrennen von fossilen Energieträgern wie Kohle, Öl oder Gas Treibhausgase entstehen (vgl. BMBF, 2023), welche den Klimawandel verursachen und zunehmend verschärfen. Die Energiewende fußt im Grunde auf zwei Säulen. Erstens geht es um die Versorgung der deutschen Volkswirtschaft und der deutschen Bevölkerung durch Erzeugung und Speicherung von Energie (hauptsächlich Strom), der aus erneuerbaren Quellen stammen soll. Vor allem Wind- und Wasserkraft, aber auch Solarenergie stehen dabei im Vordergrund. So sollen die erneuerbaren Energien bis 2050 rund 60% unseres Bruttoendenergieverbrauchs und sogar 80% unseres Bruttostromverbrauchs decken. (vgl. BMBF, 2023)Da Sonne und Wind ohne Speichertechnik aber nicht grundlastfähig sind, also nicht kontinuierlich zur Verfügung stehen, muss Deutschland neue Technologien entwickeln, um überschüssigen Strom langfristig speichern zu können, um ihn dann in das Netz einzuspeisen, wenn er benötigt wird, oder in anderer Form in nutzbare Energie umzuwandeln und an anderer Stelle zu einem späteren Zeitpunkt zur Verstromung zu nutzen oder für andere Anwendungen. Solche Arten der Umwandlung sind vor allem Power-to-Gas, also die Umwandlung von elektrischem Strom in Wasserstoffgas. Dieses durch Elektrolyseverfahren gewonnene Gas kann entweder durch Brennstoffzellen verstromt werden oder in das Erdgasnetz eingespeist werden. (vgl. BMBF, 2023)"Ebenso denkbar ist die Umwandlung von überschüssigem Wind- oder Solarstrom in Wärme (Power-to-Heat), in flüssige Kraftstoffe (Power-to-Fuel) oder in Basischemikalien (Power-to-Chemicals)." (BMBF, 2023)Die Speicherung von überschüssigem Strom aus erneuerbaren Energien soll also vielerlei Gestalt annehmen. Zweitens ist es notwendig, den Energieverbrauch im großen Stil zu reduzieren, dazu soll bis 2050 rund 50% weniger Primärenergie verbraucht werden als 2008. Erreicht werden soll dies durch verschiedene Innovationen in unterschiedlichen Bereichen. Von effizienteren Motoren und Kraftwerken über Gebäudesanierungen bis hin zu Einsparungen bei Industrieprozessen. Ein weiterer Schritt ist die Nutzung der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) bei der die entstandene Wärme aus der Stromgewinnung bei Industrieprozessen oder zum Heizen genutzt werden soll. (vgl. BMBF, 2023)Diese großflächige Speicherinfrastruktur befindet sich gerade erst im Aufbau und wird erst in der Zukunft eine große Rolle bei der Transformation weg von fossilen Energieträgern hin zu erneuerbaren Energien spielen. Ebenfalls Zukunftsmusik ist die notwendige Dezentralisierung unserer Energieversorgung. Große konventionelle Kraftwerke werden in Zukunft keine Rolle mehr bei der Energiegewinnung in Deutschland spielen, sondern ersetzt werden durch eine dezentrale Struktur mit zahlreichen kleinen Produktionsanlagen. Dafür müssen sich unsere Stromnetze massiv verändern hin zu intelligenten Stromnetzten, an denen alle relevanten Akteure wie Produzenten, Verteiler und Verbraucher beteiligt sein müssen (vgl. BMBF, 2023), wenn das Projekt gelingen soll.Die Energiewende beschreibt also einen massiven Transformationsprozess aller unserer Lebensbereiche, um unsere Gesellschaft und unsere Volkswirtschaft in eine nachhaltige Energieversorgung zu überführen, die auf erneuerbaren Energien fußen soll. Eine Form der erneuerbaren Energien hat hier bisher noch keine Erwähnung gefunden und ist in den Medien und der Forschung auch bei weitem nicht so stark präsent wie Wind- und Solarenergie, nämlich die Geothermie. Um diese Energieform soll es in diesem Beitrag gehen.Funktionsweise der Geothermie"99 % der Erde sind heißer als 1.000 °C – ein gewaltiges Energiepotenzial." (EnBW, 2023) Es ist nach diesem Zitat nicht verwunderlich, dass sich ausgerechnet ein Energiekonzern so sehr für eine erneuerbare Energiequelle einsetzt. Doch bevor man sich anschaut, welches Potenzial Geothermie für Deutschland hat, sollte man sich anschauen, wie diese Form der Energiegewinnung funktioniert, denn daraus leitet sich ab, ob und wo Geothermie genutzt werden kann."Geothermie bezeichnet die in der Erdkruste gespeicherte Wärmeenergie und die ingenieurtechnische Nutzung. Geothermie kann zum Heizen, Kühlen und zur Stromerzeugung eingesetzt werden. In Deutschland steigt die Temperatur in der Erdkruste durchschnittlich um 3 Kelvin pro 100 Meter an. Dementsprechend erschließen oberflächennahe und tiefe Geothermie Bereiche unterschiedliche Temperaturniveaus." (Umweltbundesamt, 2023)Geothermie nutzt also die natürliche Wärme des Erdinneren. Je tiefer man bohrt, desto wärmer wird es. Es werden daher auch grundsätzlich zwei Arten von Geothermie voneinander unterschieden: Die oberflächennahe Geothermie und die tiefe Geothermie. (vgl. UBA, 2023) Bei der oberflächennahen Geothermie handelt es sich um eine Variante dieser Energieerzeugung, die in geringer Tiefe und mit geringer Temperatur arbeitet. Bei tiefer Geothermie werden mehrere Kilometer tiefe Bohrlöcher benötigt, um Erdschichten mit hohen Temperaturen erreichen zu können."Die Oberflächennahe Geothermie nutzt den Untergrund bis zu einer Tiefe von ca. 400 m und Temperaturen von bis zu 25 °C für das Beheizen und Kühlen von Gebäuden, technischen Anlagen oder Infrastruktureinrichtungen. Hierzu wird die Wärme oder Kühlenergie aus den oberen Erd- und Gesteinsschichten oder aus dem Grundwasser gewonnen. Neben klassischen Anwendungsformen zur Bereitstellung von Raumwärme und Warmwasser wird die Oberflächennahe Geothermie auch zur Beheizung von Gewächshäusern sowie zur Enteisung von Weichen oder Parkplätzen eingesetzt." (Bundesverband Geothermie e.V., 2023)Sie ist damit die am häufigsten genutzte Form der Erdwärme, da sie für viele auch private Anwendungen in Frage kommt. In Deutschlands privaten Hauhalten und öffentlichen Gebäuden wie Krankenhäusern oder Schulen sind Stand 2020 über 440.000 Geothermieanlagen unterschiedlichster Machart verbaut. Jährlich kommen etwa 20.500 (vgl. Bundesverband Geothermie e.V., 2023) dieser Oberflächenanlagen dazu. In der folgenden Abbildung (siehe Link) sieht man eine der gängigsten Formen der oberflächennahen Geothermie, wie sie hauptsächlich in privaten Wohnhäusern verbaut wird: https://www.geothermie.de/fileadmin/_processed_/d/9/csm_Schema_Haus_WP_BV_20171024_final_deutsch_ed82c836bd.jpg Bei der oberflächennahen Geothermie werden einige Unterkategorien unterschieden (Abbildung siehe Link): https://www.geothermie.de/fileadmin/_processed_/5/3/csm_181122_Blockgrafik_Geothermie_003-02_bc7ad8b59a.jpg Von allen diesen Unterkategorien hat sich die Erdwärmesonde als die häufigste Variante durchgesetzt. Diese Sonden sind senkrechte Bohrungen, in die mit einer Art Zement befestigte Rohre eingelassen werden. Diese Rohre werden mit einer Trägerflüssigkeit befüllt. Dabei handelt es sich meist um Wasser, welches mit Frostschutzmittel versetzt wurde. Dieses Wasser nimmt die Wärme aus dem Inneren der Erde auf und transportiert sie zur Wärmepumpe an die Oberfläche.Für das Bahnnetz zum Beispiel zum Beheizen von Weichen kommen spezielle Anlagen zum Einsatz, die CO2 als Trägerflüssigkeit nutzen. Wenn mehrere oder größere Einheiten gleichzeitig durch dieselbe Anlage beheizt werden sollen, wird ein ganzes Sondenfeld in den Boden eingebracht. Dies ist aber aufwändiger und bedarf einer sehr genauen Planung, damit sich die einzelnen Sonden nicht gegenseitig die Wärme entziehen. (vgl. Bundesverband Geothermie e.V., 2023)Bei größeren Projekten wie z.B. Wohngebieten können auch Brunnenanlagen verbaut werden. Diese müssen aber mit Filteranlagen ausgestattet sein, um Verunreinigungen des Grundwassers zu verhindern. Daneben können auch Erdwärmekollektoren ins Erdreich eingelassen werden oder sogenannte Energiepfähle. Bei beiden ergibt sich ein finanzieller Vorteil durch die dafür nur in geringem Maße notwenigen Aushubarbeiten. (vgl. Bundesverband Geothermie e.V., 2023)Da die Temperaturen im Sommer an der Oberfläche höher sind als im Erdinneren kann Geothermie auch als Ersatz für herkömmliche Klimaanlagen verwendet werden. Grundsätzlich benötigen alle Arten von Geothermie eine Form von Wärmetauschung, die elektrischen Strom benötigt. In diesen Wärmepumpen befindet sich eine Chemikalie, die bereits bei geringer Temperatur verdampft. Das dabei entstehende Gas wird in einem Kompressor verdichtet. Der so erreichte Druck wird als Wärme an das Heizungssystem abgegeben. Wenn das Gas abkühlt, verflüssigt es sich wieder, der Druck wird durch ein Ventil abgebaut. (vgl. Bundesverband Geothermie e.V., 2023)"Die tiefe Geothermie stößt gegenüber der oberflächennahen Nutzung von Erdwärme in andere Dimensionen vor. Es werden nicht nur Wärmereservoire in größeren Tiefen erschlossen und dabei Bohrlöcher von bis zu fünf Kilometer Tiefe gebohrt. Auch die damit betriebenen Anlagen sind wesentlich größer und leistungsfähiger." (UBA, 2023)Grundsätzlich funktioniert tiefe Geothermie genauso wie oberflächennahe Geothermie. Es gibt aber einige technische Unterschiede, die das Potenzial dieser Variante verändern und Einfluss haben auf ihre Anwendungsmöglichkeiten. Tiefe Geothermie ist vollständig unabhängig von den Jahreszeiten und sehr leistungsstark. Ganze Stadtviertel können damit über Fernwärme versorgt werden. Bei entsprechender Tiefe und damit Temperatur kann mit tiefer Geothermie sogar Strom erzeugt werden. (vgl. UBA, 2023) Bei der tiefen Geothermie werden grundsätzlich drei Typen unterschieden.Bei tiefen Erdwärmesonden ist das Prinzip dasselbe wie bei oberflächennahen Sonden. Der Unterschied besteht neben der Tiefe des Bohrlochs aufgrund der hohen Temperaturen darin, dass keine Wärmepumpe benötigt wird. Die Wärme kann direkt durch das Heizungssystem verwendet werden. (vgl. Bundesverband Geothermie e.V., 2023) Der entscheidende Vorteil dieses Typs liegt darin, dass er nahezu überall genutzt werden kann, da es sich um einen geschlossenen Wasserkreislauf handelt, für den kein Austausch mit dem Grundwasser notwendig ist. Das System kann einfach mit Wasser befüllt werden, welches dann in die Tiefe geleitet wird und so die Wärme nach oben transportiert.Genau das ist bei der hydrothermalen Geothermie anders. Sie ist auf natürliche Grundwasserreservoirs angewiesen. Ohne Gesteinsschichten, die ausreichend Grundwasser führen, ist diese Variante also nicht nutzbar, da das Thermalwasser über eine Bohrung nach oben und über eine zweite Bohrung wieder nach unten geleitet werden muss. (Abbildung hier: https://www.geothermie.de/fileadmin/_processed_/e/7/csm_Geotherm_Energiebereitstellung_de_thumb_03_62a402241e.png)Sind keine natürlichen Thermalwasservorkommen vorhanden, gibt es noch die Möglichkeit, dieses künstlich in das Gestein zu pressen. Die sogenannte petrothermale Geothermie ist die Variante mit den größten Potenzial in Deutschland, da hier durch Stimulationsmaßnahen im Erdreich die Gegebenheiten, die es braucht, um tiefe Geothermie zu nutzen, künstlich hergestellt werden. Das Gestein wird durch Geoengineering so präpariert, dass man unter hohem Druck Wasser in die Gesteinsschicht presst, welches sich dann in der Tiefe aufwärmt. (vgl. Bundeverband Geothermie e.V., 2023) Dieses warme Wasser kann dann wie gewohnt zur Wärmegewinnung genutzt werden.Neben diesen gängigen Formen der Geothermie gibt es noch einige Sonderformen wie das Speichern saisonal anfallender Wärme z.B. beim Kühlen von Gebäuden oder die Nutzung von Erdwärme aus Tunneln und Bergbauanlagen. (vgl. Bundesverband Geothermie e.V., 2023)Potenzial der Geothermie in Deutschland"Die Erdwärme steht uns ganzjährig und verlässlich zur Verfügung, sie ist wetterunabhängig, krisensicher und nahezu unerschöpflich. Darum ist es richtig, die Nutzung der Erdwärme in Deutschland weiter voranzubringen. Wir haben daher einen Konzeptvorschlag mit acht konkreten Maßnahmen entwickelt, den wir in einem ersten Schritt zur Konsultation stellen wollen, um darauf aufbauend konkrete Geothermieprojekte an den Start zu bringen. Die Nutzung der Erdwärme muss nach unserer Einschätzung konsequent zusammen gedacht werden mit dem Ausbau und der Dekarbonisierung der Wärmenetze. Denn beides ist gerade für Kommunen und bei der Entwicklung einer klimaneutralen Wärmeversorgung wichtig." (Robert Habeck)Dieses Zitat des Bundesministers für Wirtschaft und Klimaschutz spricht Bände darüber, welche Bedeutung der Geothermie in Zukunft beigemessen werden wird. Das Potenzial der Geothermie hängt mit ihrer Funktionsweise zusammen, die ihre Anwendungsmöglichkeiten bedingt. Bis 2030 sollen fünfzig Prozent der Wärmeleistung in Deutschland klimaneutral erzeugt werden. Dazu soll unter anderem ein geothermisches Potenzial von 10 TWh erschlossen werden. (vgl. BMWK, 2023)Besonderes Potenzial wird der Geothermie, geographisch gesehen, in solchen Regionen beigemessen, in denen die Wärmeerzeugung auch ohne Wärmepumpen möglich ist. Diese Regionen sind vor allem die norddeutsche Tiefebene, der Oberrheingraben und das Alpenvorland (siehe Link unten für Kartenübersicht). Hier haben sich mehrere Projekte bereits etabliert, einige davon auch bereits mit großer Heizleistung (vgl. BMWK, 2022). Karte: https://www.stadtwerke-speyer.de/de/Ueber-uns/Engagement/Geothermie/Geothermie/Geothermie-temperaturkarte-3500-unter-nn-20220316__scaled__317_451.png Bayern ist bei der Nutzung der tiefen Geothermie Vorreiter in Deutschland und hat bereits konkrete Pläne für die zukünftige Nutzung in seinem Energiekonzept erarbeitet. So soll mittelfristig 1% des bayrischen Gesamtverbrauchs durch diese Technologie gedeckt werden und etwa 0,6% des Stromverbrauchs. Bei der oberflächennahen Geothermie gehen die Zahlen der zu verbauenden Anlagen in die zehntausende. (vgl. Bayrisches Energiekonzept, 2011)Hier zeigt sich aber bereits eine Begrenzung der Nutzung von Geothermie. Während oberflächennahe Geothermie nahezu überall genutzt und vor allem für das Heizen und Kühlen von kleinen bis mittleren Gebäudeeinheiten eingesetzt werden kann, ist die tiefe Geothermie auf einige Regionen in Deutschland beschränkt. Jedenfalls nach dem aktuellen Wissensstand.Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz will in den nächsten zwei Jahren eine großangelegte Datenkampagne fahren, um eine einheitliche Lagebeschreibung für die Nutzung der Geothermie in ganz Deutschland zu erstellen. In einer entsprechenden Explorationskampagne im Jahr 2023 an etwa hundert Standorten, an denen günstige Bedingungen zu erwarten sind, soll das Potenzial näher erforscht werden. (vgl. BMWK, 2022)Des Weiteren ist bisher die Nutzung von Geothermie für die Stromproduktion noch nahezu unerforscht. Forschungsprojekte wie z.B. der EnBW in Bruchsal oder im elsässischen Soultz-sous-Forêts sollen diese Wissenslücke schließen, befinden sich aber erst im Aufbau. Welches Potenzial sich hier für die deutsche Energiewende ergeben wird, lässt sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen. Die Stromproduktion mit Geothermie an einem Standort der Stadtwerke München ist zugunsten der Wärmegewinnung zum Heizen eingestellt worden. (vgl. Bundesverband Geothermie e.V., 2023)Die Frage bleibt also, welches Potenzial Geothermie denn nun tatsächlich hat. Klar ist, dass Geothermie nicht den gesamten Wärmebedarf in Deutschland decken kann. Während oberflächennahe Geothermie überall eingesetzt werden kann, um Gebäude zu beheizen, so gibt es in der Industrie Anwendungen mit über 200 Grad Celsius, die nicht durch Geothermie in Kombination mit einer großen Wärmepumpe bereitgestellt werden können. Trotzdem können in Deutschland 70 GW Leistung installiert werden und damit bis zu 300 TWh pro Jahr an Wärmeleistung. Dies entspricht in etwa der Hälfte des zukünftigen Wärmebedarfs aller Gebäude in Deutschland. (vgl. DW, 2023)Damit entfaltet die Geothermie eine Leistung, die zumindest für einen sehr großen Bereich der Energie- und Wärmewende ein großes Potenzial aufweist. Wenn man in Betracht zieht, wie stiefmütterlich dieses an und für sich gewaltige Energiepotenzial bisher genutzt wurde, kann hier von einer kleinen Wärmerevolution gesprochen werden, die unsere Art zu heizen und zu kühlen grundlegend verändern wird. Geothermie ist gerade auf dem besten Weg, in einigen Jahren ein fester Bestandteil unseres Alltags zu werden. Die große Unbekannte an dieser Stelle bleibt die Frage, ob Stromproduktion mit Geothermie in Deutschland in großem Umfang überhaupt möglich ist oder ob es nicht doch eher zugunsten der Wärmegewinnung ungenutzt bleiben sollte.Beispiel MünchenIn München erstreckt sich ein über 900 Kilometer langes Fernwärmenetz (vgl. SWM, 2023), das die meisten Münchner Haushalte mit Wärme zum Heizen versorgt. Um dieses riesige Netz klimaneutral zu bekommen, wird einiges an Anstrengung nötig sein. Doch die Stadt München sitzt auf ihrer eigenen nachhaltigen Wärmequelle.Wie bereits oben erwähnt, eignet sich das Alpenvorland, zu dem München gehört, besonders gut für alle Arten von Geothermie. Im Grunde ist ganz Bayern für diese Methode der Wärmegewinnung gut geeignet. Theoretisch könnten bis zu 40% des bayrischen Wärmebedarfs durch Geothermie gedeckt werden. 25% sind von der bayrischen Staatsregierung als Zielmarke ausgegeben worden. (vgl. SZ, 2022) In München sollen mehrere Standorte zusammenwirken, um zwischen 70% und 80% des Wärmebedarfs zu decken. (vgl. Münchner Merkur, 2022) Sechs Anlagen sind derzeit in Betrieb: Die Geothermieanlage Freiham ist seit 2016 in Betrieb und liefert Fernwärme an den Münchner Westen. In Dürrnhaar steht seit 2012 eine Anlage, die zur Stromproduktion verwendet wird. In Kirschstockach wurde ursprünglich Strom produziert. Dies wurde aber zugunsten von Fernwärme aufgegeben. Sie produziert seit 2013. In Sauerlach wird ebenfalls Strom und Fernwärme produziert. Sie ist eine der leistungsstärksten Anlagen in München. Die Anlage in Riem zur Wärmeerzeugung ist seit 2004 in Betrieb und hat damit die Vorreiterrolle inne. Sie ist für die Messestadt und die Neue Messe München zuständig. In München-Sendling steht Deutschlands leistungsstärkste Geothermieanlage. Sie wird in Zukunft Fernwärme für 80.000 Menschen liefern können. (vgl. SWM, 2023)Ziel der Stadt München ist es, bis 2040 durch Fernwärme ihren Wärmebedarf klimaneutral zu decken. (vgl. SWM, 2023) Damit ist München zu einer Art Modellstadt für die deutsche Energiewende und für Interessenten aus der ganzen Welt geworden, die in der Geothermie einen entscheidenden Beitrag zum Klimaschutz und zur Energiesicherheit sehen.In München und in ganz Südbayern hat sich jedenfalls ein Boom hinsichtlich der Geothermie entwickelt. Die Süddeutsche Zeitung spricht von einer Goldgräberstimmung. (vgl. SZ, 2022) Ein durchaus passender Ausdruck angesichts des bergbaulichen Charakters, den diese Technologie nun mal an sich hat. In jedem Falle sind Politik und Unternehmen auf die Region aufmerksam geworden und wollen dort zum Teil große Summen investieren. Allein die Stadt München will bis zu einer Milliarde Euro in den Ausbau der Geothermie investieren, um ihre Ziele bezüglich der Nutzung der Geothermie zu erreichen. (vgl. Münchner Merkur, 2022) Der Bund wird ebenfalls drei Milliarden Euro in den Ausbau dieser Technologie stecken und einige private Unternehmen haben große Investitionen angekündigt. (vgl. SZ, 2022)Es gibt aber auch einige Dinge, die man durchaus als Nachteile dieser Technologie ansehen könnte und die in München zu Herausforderungen führen. Wie bereits erwähnt, ist es notwendig, bergbauartige Maßnahmen zu ergreifen, um Geothermie nutzen zu können. Dies setzt einen hohen Aufwand voraus und hat hohe Einstandskosten zur Folge (vgl. SZ, 2022). Des Weiteren ist die Nutzung von Geothermie zur Wärme- und Stromproduktion gleichzeitig momentan nur bei Neubaugebieten profitabel. (vgl. Münchner Merkur, 2022)Es stehen also noch einige ungeklärte Fragen in München im Raum. Dennoch kann man sagen, dass dieses großangelegte Projekt den Charakter einer Blaupause für andere Ballungsgebiete haben wird, in denen Geothermie ebenfalls in diesem Umfang möglich wäre. Städte wie Hamburg, Bremen oder Mannheim liegen ebenfalls in Gebieten mit großem Potenzial für Geothermie, in einigen davon sind auch schon Projekte hierzu angelaufen. (vgl. Bundesverband Geothermie e.V., 2023)FazitEiner der wichtigsten Bestandteile der Energiewende ist die Dezentralisierung der Energieversorgung. Dies betrifft nicht nur Standorte, sondern auch die Formen der Energiegewinnung. Wenn man sich also von der Geothermie das Potenzial gewünscht hätte, dass diese Technologie die endgültige Lösung der Energiefrage ist, wird man enttäuscht werden. Der Bundesverband Geothermie e.V. selbst spricht von einem zwar großem, aber auch begrenzten Potenzial. Wir werden also in diese Technologie investieren, wahrscheinlich sogar sehr viel. Aber wir werden auch andere Formen der Energiegewinnung benötigen, um die Energiewende zu schaffen.Es hat durchaus etwas Befreiendes zu wissen, dass man hier auf etwas gestoßen ist, das Grenzen hat. In einer Zeit, in der die Dimensionen von Konsum und Produktion Ausmaße angenommen haben, die nach menschlichem Ermessen kaum noch erfassbar sind und eigentlich auch kaum noch zu kontrollieren, ist die Geothermie ein Stück weit eine Antithese zu dieser Grenzenlosigkeit. Das Umweltbundesamt sagt, dass die technologischen Herausforderungen der Geothermie beherrschbar und lokal begrenzt sind. Nicht jedes Land und nicht jede Region kann Geothermie in derselben Weise nutzen. Inwieweit Geothermie in der Zukunft eine Rolle spielen wird, bleibt auch in Deutschland damit noch offen und bedarf weiterer Forschung. QuellenBayerische Staatsregierung (2011). Bayerisches Energiekonzept "Energie innovativ" BMBF / Bundesministerium für Bildung und Forschung (2023). Geothermie. https://www.bmbf.de/bmbf/de/forschung/energiewende-und-nachhaltiges-wirtschaften/energiewende/energiewende_node.html Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (2023). Eckpunkte für eine Erdwärmekampagne Geothermie für die Wärmewende. https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Downloads/Energie/eckpunkte-geothermie.pdf?__blob=publicationFile&v=1 Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (2022). Geothermie für die Wärmewende – Bundeswirtschaftsministerium startet Konsultationsprozess. https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2022/11/20221111-geothermie-fuer-die-waermewende.html Bundesverband Geothermie e.V. (2023). https://www.geothermie.de/aktuelles/nachrichten.html Deutsche Welle (2023): Geothermie auf dem Vormarsch? https://p.dw.com/p/4KFIlEnBW (2023). Geothermie. https://www.enbw.com/erneuerbare-energien/geothermie/ Münchner Merkur (2022) Die Energie der Zukunft: Wird München bei Geothermie zur Blaupause für Deutschland? https://www.merkur.de/wirtschaft/geothermie-energie-zukunft-muenchen-deutschland-kraftwerk-anlage-projekt-sendling-zr-91526752.html Süddeutsche Zeitung (2022). Goldgräberstimmung im Münchner Süden. https://www.sueddeutsche.de/muenchen/landkreismuenchen/muenchen-stadtwerke-geothermie-erdwaerme-laufzorn-1.5722522 SWM / Stadtwerke München (2023). Geothermie: Den Schatz aus der Tiefe sinnvoll nutzen https://www.swm.de/magazin/energie/geothermie Stadtwerke Speyer (2023). Geothermie. https://www.stadtwerke-speyer.de/geothermie?ConsentReferrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F Umweltbundesamt (2023). Geothermie. https://www.umweltbundesamt.de/themen/klima-energie/erneuerbare-energien/geothermie#oberflachennahe-geothermie