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Wird der Staat ausgehöhlt und totgespart? Die jüngste Avenir-Suisse-Publikation zeigt: Das Gegenteil ist der Fall. Von links bis rechts wird der Staat zunehmend als Gehilfe zur Erfüllung jeweiliger Partikularinteressen gesehen. Die Studie (hier) vermisst in vier Kapiteln die Entwicklung der staatlichen Einflusssphäre. Anschliessend werden Vorschläge präsentiert, um ihre Ausbreitung unter Kontrolle zu halten. Hinweis: Das … "VideoVermessenes Staatswachstum Vier Perspektiven auf die Entwicklung des staatlichen Fussabdrucks in der Schweiz" weiterlesen Der Beitrag <b>Video</b>Vermessenes Staatswachstum<b> Vier Perspektiven auf die Entwicklung des staatlichen Fussabdrucks in der Schweiz</b> erschien zuerst auf Wirtschaftliche Freiheit.
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Wie üblich spielt auch die Handlung von "Pokora" (Krakau 2020, Deutsch "Demut" 2022), des neusten Buches von Szczepan Twardoch, in Oberschlesien und hat einen Oberschlesier zur Protagonisten. Nomen est omen – Pokora bedeutet im Polnischen Demut. Und Twardoch zeigt seinen Alois Pokora zwischen dem Gefühl, ein Niemand zu sein und dem Bestreben nach Aufstieg im wilhelminischen Deutschland. Die ganze Provinz Oberschlesien erfasste nach der Reichsgründung 1871 eine beispiellose wirtschaftliche Entwicklung, die mit einem planmäßigen Ausbau industrieller Anlangen, städtebaulicher Siedlungsprojekte und sozialer Einrichtungen die gesamte Industrieagglomeration von Gleiwitz im Westen bis nach Myslowitz im Osten erfasste. Die Menschen, die diese Entwicklung in der entlegenen Provinz steuerten, kamen meistens aus dem Reichsinneren – Ingenieure, Bankiers, Beamte, Lehrer. Aber auch die angestammte wasserpolnischsprachige Bevölkerung bekam ihre Chance zum sozialen Aufstieg, vorausgesetzt sie spielte das Spiel der Modernisierung mit: Beherrschung der deutschen Sprache, Loyalität gegenüber den Herrschenden, Beibehaltung sozialer und sittlicher Normen, aber auch Ehrgeiz, Zielstrebigkeit, Zuverlässigkeit. Viele "Hiesigen" waren bereit, ihre Dörfer gegen moderne Städte und 8-Stunden-Jobs in Kohlegruben, Stahlwerken, Zinkhütten und Elektrizitätswerken, schließlich auch Büros einzutauschen. In zweiter und dritter Generation kamen Oberschlesier im Mittelstand nicht selten vor. Aber der Weg dahin war oft steinig.Alois Pokora war ein Glückskind. Ein Pfarrer aus dem Nachbardorf, der selbst aus dem niederen oberschlesischen Volk kam, erklärte sich bereit, ihn aus seiner 10-köpfigen Familie herauszunehmen und aufs Gymnasium zu schicken. Dazu war ein nahezu perfektes Deutsch nötig und ein ungebrochener Wille. Deutsch perfekt zu beherrschen, gelang Pokora schließlich gut (wenn auch nicht ohne Mühe), mit dem Willen war das so eine Sache. In einer Bergmannsfamilie groß geworden, fehlte Alois der "Karriereinstinkt" der modernen Zeiten. Seit dem ersten Tag im katholischen Konvikt in Gleiwitz, in dem er der Gewalt älterer und stärkerer Mitschüler ausgeliefert war, zweifelt Alois an sich und seinem "Weg". Noch spürbarer ist der Hohn der anderen, wenn sie erfahren, dass Alois Unterrichtsgebühren erlassen wurden und er weder mit dem Vermögen noch mit der sozialen Position des Vaters auftrumpfen kann. Auch die schützende Hand eines privilegierten Mitschülers Smilo von Kattwitz hat etwas Gönnerhaftes, was Alois schnell an sich zweifeln lässt. Alois: "Ich bin wie eine Brennnessel, die weggeworfen wurde, damit sie Platz für nützlichere Pflanzen macht"."Ich bin ein Niemand", sagt er über sich, auch wenn er sein Abitur ordentlich macht und danach in Breslau Philosophie studiert. Seinen sozialen und wissenschaftlichen Erfolg hält er für einen Aberwitz, der von ihm jederzeit zurückgefordert werden kann, sein Werdegang gibt ihm kein Selbstwertgefühl, ganz im Gegenteil, seine Herkunft zieht ihn immer wieder herunter, sich selbst als Uniabsolventen und angehenden Offizier zu sehen, erscheint ihm anmaßend. Nur in einer Situation sieht er sich als Subjekt, als Herr seiner selbst. Nach dem es ihm gelang, verletzt, aber am Ende doch heil aus den Gräben des Ersten Weltkriegs zurückzukommen, gerät er eher zufällig im revolutionären Berlin 1918 in Gesellschaft der Spartakus-Aufständischen. "Nieder mit dem Kaiser!" heißt die Parole, später "nieder mit dem Knechtschaft-System des Kapitalismus". Alois, mit einem Mauser-Gewehr in der Hand, dient der Revolution und erkennt, dass sie nach der Gleichheit aller Geknechteten strebt. Aber nicht lange. Liegt da sein Problem? In der ökonomischen Befreiung der Arbeiterschaft? Sicherlich nicht. Sein Problem ist vielschichtiger und psychologischer Natur. Twardoch beleuchtet die (damalige?) Männerwelt mit akribischem psychologischem Kenntnisreichtum. Nicht die äußeren Umstände spielen hier eine entscheidende Rolle, nicht die Frage, ob Pokora ein Deutscher oder ein Pole ist, ein Kommunist oder ein Nationalist, der Sohn seines Vaters Anton oder des Pfarrers Scholtis. Denn all diese Kategorien prallen auf ihn durch die aktuellen Geschehnisse, aber prallen auch letztlich an ihm ab. Pokora kann Pole und gleichzeitig Deutscher sein, vergibt seine Loyalität an die Spartakus-Kämpfer und an die Systemtreuen, er hasst seinen Vater, von dem er keine Liebe erfahren hat, aber "können Zugtiere Liebe zeigen", fragt er den Vater entschuldigend. Nur für die Feigheit des Pfarrers – seines leiblichen Vaters - findet er keine Entschuldigung.Alois ist ein Mensch, der keine Liebe kennt. Als Kind hat er keine Elternliebe erfahren, als Jugendlicher lernte er Agnes kennen, die er sein Leben lang anbeten sollte, die er idealisierte und für die – wie es ihm schien – er lebte. Der Roman – in Form eines mit Ich-Erzähler ausgestatteten Protagonisten – ist eine Art Brief, Bericht, Lebensbeichte, die Alois der unerreichten Agnes erweist. Auch in der "Liebe" ist er unterwürfig, selbstzweifelnd und von Anfang an auf verlorenem Posten, geduldig erlebt er immer wieder Erniedrigungen seitens der Auserwählten, die keine Mühe scheut, Alois in die Schranken zu weisen. Seine Würde spürt er dann, als er die Liebe des Homosexuellen Smilo ablehnt, wenn er Nein sagen kann und für kurze Zeit seinen Weg gehen kann. Aber Alois ist feige und bleibt inkonsequent, schöpft nicht aus seinen Erfolgen, lernt nicht aus seinen Fehlern. Ist das, worum es Twardoch bei der Beurteilung des heutigen "Mannes in der Krise" geht?Der Roman zeigt die Suche des heutigen Mannes nach Würde und Erfüllung. Eine Zeitlang denkt Alois, sie in der bürgerlichen Familienexistenz gefunden zu haben, nachdem er geheiratet hatte und Vater geworden ist. Aber auch sein privates Glück erweist sich als Trugschluss, denn "es hatte den Anschein, dass alles schon für immer festgelegt war". Und so lässt er willentlich zu, seine Frau und Kind trotz Warnung aufs Spiel zu setzen. Wie kann es anders sein – auch das verliert er. Alois stirbt allein, verstoßen von der Familie, von der Frau verlassen, zwischen deutschen Freikorps-Soldaten und polnischen Aufständischen zerrieben. Wo bleibt die Hoffnung auf ein erfülltes Leben, auf Würde und Glück? Twardoch gibt sie uns Männern jedenfalls nicht.Szczepan Twardoch: Demut. Aus dem Polnischen von Olaf Kühl, Rowohlt Berlin, Erschienen im Februar 2022
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Jugendliche, egal wann und wo auf der Welt, gestalten ihre Persönlichkeit durch Schule, Hobbys, Freunde. Sie haben neben Leidenschaften, die auf persönliche Interessen zurückgehen, auch ganz normale materielle Träume. Heute betreffen diese meistens Markenklamotten, Smartphone, Kopfhörer. Egal ob Ost und West streben viele nach Gegenständen, die ihren "Status" unter Gleichaltrigen erhöhen. Meistens handelt es sich dabei um Gegenstände, die Geld kosten. Manchmal auch um Dinge, die anders beschafft werden müssen.Oberschlesien, Anfang und Mitte der 1970er Jahre. Nach Willy Brandts Warschau-Besuch im Dezember 1970 wurde bei vielen oberschlesischen Familien die Hoffnung geweckt, legal in die Bundesrepublik ausreisen zu können. In einem Zusatzprotokoll zum Warschauer Vertrag hielten beide Regierungen fest, etwa 125 000 Deutsche, zu denen sich viele Oberschlesier zählten, ausreisen zu lassen. Das magische Wort, das damals der kommunistischen Führung erlaubte, Zugeständnisse in der heiklen Angelegenheit zu machen, hieß "Familienzusammenführung". Woher hatten die betroffenen Oberschlesier nun Familienangehörige in Westdeutschland? Zum Teil sind Familienväter als Wehrmachtssoldaten nach 1945 im Westen geblieben, zum Teil wurden nach dem Krieg auch Oberschlesier aus Polen vertrieben, die zweisprachig waren und Verwandte zurückgelassen hatten, zum Teil auch welche, die nach 1956 im Rahmen einer ersten "Aussiedler-Welle" das Land verlassen durften.Die im Westen lebenden Oberschlesier suchten bis 1970 meistes Kontakt zu Verwandten über das Deutsche Rote Kreuz und bemühten sich über humanitäre Kanäle ihre Familienmitglieder ausreisen zu lassen, was zu einem gewissen Grad – nur bei engen Verwandten – möglich war. Bestimmte Kontakte zwischen Ost und West waren damals aber auch trotz des "Eisernen Vorhangs" möglich – zumindest die Post funktionierte und mit ihr auch der Paketversand. Jedes Jahr schickten die Westverwandten Pakete nach Polen, wo sich, neben Nutella, Dominosteinen und Cremeseife auch Dinge verbargen, die zu begehrten "Status"-Symbolen unter Jugendlichen wurden: Jeans unterschiedlicher Marken, Alltagsutensilien wie Schwimmflügel, Pelikan-Füller oder ganze Mäppchen mit bunten Filzstiften. Aber so richtig begehrt waren Zeitschriften, die mit Fußball und Popmusik zu tun hatten, darunter das Fußballmagazin Kicker und die Jugendschrift Bravo mit begehrten Plakaten damals bekannter Bands wie ABBA oder Smokie. Nicht selten verirrten sich in den Paketen auch echte Schallplatten, meistens mit deutschen Schlagern von Heino & Co., aber dann auch hin und wieder wurden manch "richtige" Jugendträume wahr: LPs von Susi Quattro, Boney M., den Bee Gees gehörten zu den heißbegehrten Gütern, die man eifrig auf Kassettenrecorder kopierte. Der Besitzer wurde allgemein bewundert und beneidet. Noch mehr, wenn er mit einem Recorder oder gar einer ganzen Stereoanlage deutscher oder japanischer Produktion aufwarten konnte.Einen großen "Sehnsuchtsbereich" stellte damals der Fußball dar, kräftig unterstützt durch die Erfolge der deutschen Nationalmannschaft bei Europa- und Weltmeisterschaften der die Bundesligamannschaften wie Bayern München und Borussia Mönchengladbach bei den Pokalwettbewerben. Man träumte von deutschen Fußballbildern: auf Spielkarten, Plakaten und besonderen Sammelbildern. Die oberschlesische Jugend männlichen Geschlechts sammelte alles, was kam. In Paketen kamen oft Süßigkeiten, es musste aber die Spengler-Schokolade mit Olympia-Bildern (1964, 1968, 1972) sein, später mit Bildern von den Fußballweltmeisterschaften der Jahre 1966, 1970, 1974. In jeder Schokolade steckte ein rechteckiges Bild 7 x 14 cm groß mit einem Spielermotiv der deutschen Mannschaft mit Uwe Seeler, Franz Beckenbauer oder Gerd Müller. Dazu gab es spannende Beschreibungen von Ernst Huberty, so hat manch ein Jugendlicher in Oberschlesien angefangen, Deutsch zu lernen. Wenn nähere Verwandte in Deutschland lebten, trauten sich Jugendliche auch noch die dazugehörigen Sammelalben zu erbitten, in die dann die einzelnen Bilder eingeklebt wurden. Viele fragten ihre Verwandten nach den Spengler-Schokoladen, man hörte sich unter Verwandten und Bekannten um, in der Folge waren manche Bilder doppelt und dreifach vorhanden - also hatte man die untereinander getauscht, wie es heute auch oft bei ähnlichen REWE-Sammelaktionen zugeht. Noch zu Fußball: Im Kicker gab es Einzelteile eines Fußballspielers zum Ausschneiden, man musste mehrere Ausgaben haben um dann den "ganzen" Günter Netzer oder Paul Breitner zu haben. Manch einer erinnert sich heute noch an "Wallfahrten" zu den Wohnungen derjenigen "Auserwählten", die so einen Spieler in Lebensgröße an der Wand kleben hatten.Bildquelle: Privat Mit der fortschreitenden Pubertät interessierte man sich mehr für Popmusik und Mode. Beide Themen lieferte Bravo, mit der Einschränkung, dass es die unter westdeutschen Jugendlichen beworbenen Teenagerprodukte in polnischen Geschäften nicht gab. Markenjeans gab es für Dollar in Pewex-Shops, echte Adidas-Schuhe waren unerreichbar (in Polen hießen übrigens alle Sportschuhe adidasy), von angesagten Kleider- und Kosmetikmarken ganz zu schweigen (die Zeitschrift Burda lieferte dafür Erwachsenen Tipps, sich selbst modisch zu kleiden). Was man noch im Bravo lesen konnte - einige hatten auch so ihr Deutsch vertieft - waren Artikel über angesagte Bands und Interpreten, neue Hollywood-Filme und natürlich die Ratschläge in Liebesangelegenheiten von Dr. Sommer.Etwas echt großes, was nur ganz wenige in Oberschlesien hatten, war ein Bonanza-Fahrrad. Ursprünglich in den USA entwickelt, wurde es in den 1970er zum Hit in Westdeutschland. Sein Preis (um 160 DM) war so hoch, dass eigentlich nur jemand, dessen Oma oder Opa in Deutschland lebte, sich so was zur Erstkommunion vielleicht wünschen durfte. (Wünschen? Ja, einen Wunschkatalog gab es oft gratis: OTTO und Quelle sei Dank! Da konnte man die komplette Garnitur westlicher Konsumware nicht nur sichten, sondern die Preise auch im Verhältnis zum Verdienst vergleichen!) Das Bonanza-Rad war knallorange, hatte einen unbequemen länglichen Sitz und eine undefinierbare Rückenlehne, an die man nicht herankam. Vor allem aber gab man mit dem Lenker an, der an amerikanische Motorräder wie Harley Davidson erinnerte: So konnte man förmlich die Freiheit spüren und dabei auch alle anderen beeindrucken!Erwachsene hatten sicherlich andere Träume, die aber nicht in gängige Pakete passten. Daniel Riss, einer der Darsteller in Andrzej Klamts Aussiedler-Doku "Die geteilte Klasse/Podzielona klasa" meint, dass sich seine Eltern in Westen etwas geleistet haben, was sie in Polen der damaligen Zeit nie hätten träumen können: ein Reihenhaus, ein Auto, einen Spanien-Urlaub. Die Zeiten haben sich längst geändert: Auch in Polen sind große und kleine materielle Träume in den letzten Jahrzehnten in Erfüllung gegangen. Und was Reisen und Badeurlaub betrifft: Ausgerechnet im oberschlesischen Oppeln (Opole) sind nach dem Umbruch zwei polnische Reise-Großgewichte zu Hause: das Bus-Unternehmen Sindbad und das Reisebüro Itaka.Und die Jugendwünsche und -träume von damals? Auch diese sind heute von Bedeutung, viele, die heute 55+ geworden sind, machen sich auf den Weg zum elterlichen Keller bzw. Speicher, um nach Spuren von damals zu suchen. Andere wiederum suchen noch zeitgemäßer: Sie loggen sich einfach auf eBay oder Allegro ein…
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"Of course, a little bit of force is needed when doing push-backs."Kolinda Grabar-Kitarović, ehemalige kroatische PräsidentinKroatien, ein Staat, der gemeinsam mit Slowenien am 25. Juni 1991 seine Unabhängigkeit vom jugoslawischen Bundesstaat erklärte und damit einer der Akteure der schwersten Kriege in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg wurde, ist seit 2013 Mitglied der Europäischen Union, die vor allem als Friedens- und Wirtschaftsgemeinschaft gegründet wurde. Doch viele Stimmen äußern sich kritisch gegenüber dem Beitritt des Staates und sind der Meinung, dass Kroatien besonders im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kontext noch nicht bereit dazu wäre, Mitglied der Gemeinschaft zu sein.Die Europäische Kommission sieht das allerdings anders und ist der Meinung, dass die kroatische Politik große Fortschritte macht. Sie äußert sich bereits zuversichtlich über den kommenden Beitritt in den Schengen-Raum, der Bürger*innen der EU die Freiheit gibt, ohne ein Visum in viele Länder der Welt reisen zu dürfen. Doch an den kroatischen Grenzen gibt es Berichten zufolge immer wieder Fälle von Gewalt und Rechtswidrigkeiten von Seiten der Polizei gegenüber Asylsuchenden. Die ehemalige kroatische Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarović äußert sich in einem Interview mit dem oben aufgeführten Zitat zu den Menschenrechtsverletzungen.Wenn die kroatische Wirtschaft betrachtet wird, können einige Problematiken beobachtet werden, vor denen kroatische Politiker*innen stehen, wie beispielsweise die Arbeitsmigration von kroatischen Jugendlichen aufgrund von Umständen wie niedrigen Löhnen.Der folgende Beitrag soll auf diese und weitere Aspekte der kroatischen Politik näher eingehen und damit eine Bilanz nach 8 Jahren EU-Mitgliedschaft Kroatiens ziehen. Wie kam es zum Beitritt Kroatiens in die EU und welche Kriterien mussten erfüllt werden? Vor welchen Hindernissen steht der Staat und wie geht die Europäische Union mit diesen um? Diese Fragen sollen im Anschluss geklärt werden, bevor die Frage gestellt werden kann: Ist Kroatien überhaupt bereit für die Europäische Union?EU-Beitritt2003 ging das Beitrittsgesuch Kroatiens nach Brüssel und 10 Jahre später wurde das Land schließlich Mitglied der Europäischen Union. 2011 unterschrieb die Regierungschefin Jadranka Kosor den Beitrittsvertrag und legte damit den Grundstein für den 2013 in Kraft getretenen Beitritt des Landes in die Europäische Union. In diesem langen Prozess kam es zu einigen Hindernissen, die die Beitrittsverhandlungen herauszögerten und nach wie vor die Problematiken innerhalb des Landes widerspiegeln. (vgl. BPB 2013)Die Bevölkerung Kroatiens wurde erst nach dem unterschriebenen Beitrittsvertrag zu der Thematik befragt. Dabei stimmten 67% für einen Beitritt in die Europäische Union. Die Wahlbeteiligung fiel allerdings sehr gering aus, was unter anderem daran liegen könnte, dass die Abstimmung nur sechs Wochen zuvor angekündigt wurde. (vgl. ebd)Der 2011 unterschriebene Beitrittsvertrag war mit einigen Bedingungen verbunden, die bis zum letztendlichen Beitritt im Jahr 2013 erfüllt werden sollten. Hierbei ging es darum, grundlegende Defizite innerhalb des Landes zu beseitigen. Beispielsweise musste der Justizapparat gestärkt werden. Außerdem sollte stärker gegen Korruption vorgegangen sowie eine effizientere Verwaltung gewährleistet werden. Der letzte Punkt umfasst die Privatisierung der Staatsbetriebe. (vgl. ebd)Im Großen und Ganzen möchte die Europäische Union durch die Eingliederung Kroatiens den Übergang zu Marktwirtschaft und Demokratie vorantreiben. Denn Kroatien war Teil des blockfreien, sozialistischen Jugoslawiens mit all den Folgewirkungen (vgl. Kušić 2013).Kopenhagener KriterienAuf dem EU-Gipfel in Kopenhagen wurden im Jahr 1993 Kriterien aufgestellt, anhand derer geprüft wird, ob ein Land dazu bereit ist, in die Europäische Union aufgenommen zu werden. Zusammengefasst sind das folgende Faktoren:Die Gesamtlage innerhalb des Landes muss stabil sein. Das heißt, politische Institutionen, der Rechtsstaat und die Demokratie muss gesichert sein. Außerdem müssen Menschen- und Minderheitsrechte gewahrt werden. (vgl. Grosse-Hüttmann 2004, S. 7)Zudem muss eine funktionierende Marktwirtschaft vorhanden sein, die auf Wettbewerb und Privateigentum beruht. Dadurch sollen die Staaten in der Lage sein, dem Konkurrenzdruck im Binnenmarkt standhalten zu können. (vgl. ebd., S. 7)Der Aquis Communautaire, also alle Verträge der Europäischen Gemeinschaft sowie alle europäischen Gesetze, müssen in nationales Recht übernommen werden. Alle Pflichten und Regeln müssen von dem jeweiligen Staat akzeptiert und eingehalten werden. (vgl. ebd., S. 7 f.)Der Staat muss mit den weitreichenden Zielen der EU sowie der Währungs- und Wirtschaftsunion einverstanden sein, wie sie im Vertrag von Maastricht estgelegt wurden. Dadurch soll verhindert werden, dass neue Mitglieder einen anderen Weg einschlagen als die Europäische Union. (vgl. ebd., S. 8)Da Kroatien nun seit 8 Jahren Mitglied der Europäischen Union ist, scheinen diese Kriterien aus Sicht der Institutionen der Europäischen Union erfüllt zu sein. Dennoch musste der Staat zunächst an einigen Stellen arbeiten, um dieses Ziel erreichen zu können.Flüchtlingsrückkehr und KriegsverbrecherprozesseEine wichtige Bedingung, die im Jahr 2005 gestellt wurde und ein großes Hindernis für den Beitritt darstellte, war der Umgang mit kroatischen Kriegsverbrechern, die in den Unabhängigkeitskriegen Verbrechen begangen haben und zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausreichend sanktioniert wurden. Die Europäische Union forderte volle Kooperation mit dem Internationalen Strafgerichtshof. Vor allem ging es dabei um die Auslieferung von Ante Gotovina, der in der kroatischen Offensive Operation "Oluja" Kriegsverbrechen begangen hat. (vgl. Kušić 2021)Gerade wenn es um die Ahndung von Kriegsverbrechern sowie um die Flüchtlingspolitik geht, kann bisher nur ein eher mäßiger Erfolg verzeichnet werden. Die Problematik kann darauf zurückgeführt werden, dass die Staatswerdung Kroatiens mit kriegerischen Auseinandersetzungen erfolgt ist, so dass sich nationalistische Strukturen innerhalb der Gesellschaft und der Politik verfestigt haben. (vgl. Richter 2009, S. 7) Trotz alledem gilt Kroatien als eines der stabilsten Länder auf dem Balkan, der sich derzeit innerhalb eines Prozesses der Wechselwirkung zwischen innenpolitischer Demokratisierung und Stabilisierung befindet. (vgl. Richter 2009, S. 19)Die Premierminister Ivica Račan (2000-2003) und Ivo Sanader (2003-2009) haben versucht, die Wünsche der Europäischen Union im Bereich Flüchtlingsrückkehrer und Kriegsverbrechen umzusetzen. Dabei ging es hauptsächlich um Aspekte wie den Koalitionsfrieden, einen parteiübergreifenden Konsens zugunsten der Union, Stabilisierung und Konsolidierung. Der Preis waren allerdings Reformdefizite im Justizsektor, die die EU ebenfalls zuvor bemängelte.Durch blockierte Anträge, nicht veröffentlichte Fristen oder nicht ausgeführte richterliche Anweisungen kam es schließlich zu Defiziten im Bereich der Rückkehrpolitik und Kriegsverbrechen. Diese Politik führte zwar zu mehr Stabilität und Kontinuität des innenpolitischen Reformprozesses, jedoch wurden die Kopenhagener Kriterien vernachlässigt, so dass sich Defizite im Justiz- und Verwaltungsprozess verfestigen konnten. (vgl. Richter 2009, S. 19)Die von der Europäischen Union anerkannte Genfer Flüchtlingskonvention soll Flüchtlingen auf der ganzen Welt Schutz bieten. Doch oftmals sieht die Realität, auch innerhalb der EU anders aus. Vor allem an der kroatischen Grenze zu Bosnien und Herzegowina berichten Menschen davon, über die grüne Grenze zurückgeschickt zu werden. Ihnen zufolge haben sie keinen Zugang zu Asyl und erfahren oftmals exzessive Gewalt von Seiten der kroatischen Polizei. (vgl. Strippel 2021)Dieses Phänomen wird auch Push-Back genannt und bedeutet, dass Menschen, die auf Asyl in Kroatien hoffen, wieder nach Bosnien und Herzegowina abgeschoben werden, wo sie ebenfalls nicht empfangen werden. Diese Verfahren sollten im Normalfall zur Kenntnis genommen und geprüft werden, doch die kroatische Regierung dementiert das Vorgehen der Polizei. Es wird lediglich betont, dass die kroatischen Außengrenzen geschützt werden.Dadurch, dass es keine Einigkeit über diese Vorfälle gibt, werden diese von der Europäischen Union nicht sanktioniert beziehungsweise zur Kenntnis genommen, obwohl es sich hierbei um die Verletzung von Menschenrechten und Missachtung der Genfer Flüchtlingskonvention handeln würde. (vgl. Strippel 2021) Einen interessanten Podcast zu dieser Thematik wurde vom Bayerischen Rundfunk veröffentlicht, dieser ist unter diesem Link zu finden.Kroatien und der SchengenraumLänder, die Teil des Schengen-Raums der EU sein wollen, müssen sich einer Vielzahl von Evaluierungen unterziehen, die prüfen, ob alle für den Schengen-Raum erforderlichen Vorschriften erfüllt worden sind. Die Evaluierungen bewerten, ob das jeweilige Land in der Lage ist, Verantwortung für die Außengrenzen im Namen der anderen Mitglieder des Raumes zu übernehmen. (vgl. Europäische Kommission 2019)2016 wurde der Schengen-Evaluierungsprozess eingeleitet, der bewerten soll, ob Kroatien die Schengen-Vorschriften und Normen erfüllt. Die Europäische Kommission ist dabei der Auffassung, dass Kroatien Fortschritte bei der Erfüllung der Voraussetzungen gemacht hat, weiterhin aber an deren Erfüllung, insbesondere am Management der Außengrenzen, arbeiten muss. (vgl. ebd.) Der Kommissar Dimitris Avramopoulos, welcher für Migration, Bürgerschaft und Inneres zuständig ist, äußert sich im folgenden Zitat über den voraussichtlichen Beitritt Kroatiens zum Schengen-Raum:"Schengen ist eine der größten und greifbarsten Errungenschaften der europäischen Integration. Seine Stärke hängt jedoch von seiner Aufnahmebereitschaft ab. Kroatien hat nun die Maßnahmen zur Erfüllung der notwendigen Bedingungen ergriffen, und wir müssen dies anerkennen. Als vollwertiges Schengen-Mitglied wird das Land zu einer weiteren Stärkung des Schengen-Raums beitragen und dafür sorgen, dass die EU-Außengrenzen besser geschützt werden." (Dimitris Avramopoulos, Europäische Kommission 2019)Das gesamte Statement der Europäischen Kommission zu dieser Thematik wurde auf deren Internetseite veröffentlicht.Wirtschaftliche Maßnahmen im EU-KontextNach Weidenfeld und Wessels (2002) hat die Europäische Union zusammengefasst drei grundlegende Ziele, wenn es um die Struktur ihrer Mitgliedstaaten und vor allem um Regionen mit Entwicklungsrückstand geht. Zum einen sollen diese Regionen und Länder besonders gefördert werden. Nach Auffassung der Europäischen Union besteht dann ein Rückstand, wenn sich das BIP je Bürger*in auf weniger als 75% des EU-Durchschnitts beläuft. Dieses Ziel gilt als Priorität, weshalb mehr als zwei Drittel der Strukturfonds zur Beseitigung dieser Rückstände verwendet werden. (vgl. Weidenfeld/Wessels 2002)Als zweites Ziel gilt die soziale und wirtschaftliche Umstellung von Gebieten, deren Entwicklungsniveau über dem Durchschnitt liegt. Dennoch weisen diese Gebiete Strukturprobleme, wie beispielsweise Deindustrialisierung, eine hohe Arbeitslosenquote, Bevölkerungsrückgang oder Krisensituationen auf, die mit Hilfe der Mittel der Europäischen Union aufgefangen werden sollen. Das dritte Ziel ist die Anpassung und Modernisierung von Ländern und Regionen. (vgl. ebd.)Das EU-Förderprogramm für den Staat Kroatien beinhaltet 10,74 Milliarden Euro und soll die kroatische Wirtschaft unterstützen. Dabei gehen 40% in Fonds für regionale Entwicklung, 24% in Kohäsionsfonds, 19% in Landwirtschaftsfonds, 14% in Sozialfonds und der Rest in Meeres- und Fischereifonds sowie in eine Jugendbeschäftigungsinitiative. (vgl. Holzner/Vidovic 2018, S. 10)Ziel der Unterstützung ist es vor allem, die wirtschaftliche Entwicklung Kroatiens voranzutreiben, die Armut innerhalb der Gesellschaft zu bekämpfen und den Arbeitsmarkt zu verbessern. Die Inanspruchnahme ist im Vergleich zu anderen EU-Ländern allerdings gering, nimmt aber immer weiter zu. Das langsame Vorgehen könnte damit zusammenhängen, dass die Entwicklungsfähigkeit des Landes derzeit noch nicht so weit ausgeprägt ist, dass die Fonds angemessen verwaltet werden können. (vgl. ebd., S. 25)Ein wichtiges Infrastrukturprojekt, das sich derzeit in Baumaßnahmen befindet und von der kroatischen Regierung mithilfe der EU-Fonds gestartet wurde, ist der Bau der Pelješac-Brücke, welche das Festland mit der vorgelagerten Halbinsel verbinden soll. 357 Millionen von 550 Millionen Kosten werden von der EU getragen. Allerdings erhielt der chinesische Staatskonzern Communications Construction Company den Zuschlag für den Bau, was vielerorts für Erstaunen sorgte. (vgl. Mihm 2021)Weitere Ziele, die die EU-Mitgliedschaft mit sich bringen soll, sind die Ansiedlung einer EU-Einrichtung, die Einführung der goldenen Investitionsregel sowie vor allem der Eintritt in den Schengenraum. (vgl. Holzner, Vidovic 2018)Einfluss des BrexitDas Vereinigte Königreich selbst führte den Euro als Währung nicht ein und trotzdem hat der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union einen großen Einfluss auf die Währungsintegration und somit auch auf die Währungspolitik Kroatiens und das Verhältnis zur Europäischen Union.Bei den acht Mitgliedsstaaten, die den Euro noch nicht eingeführt haben, den so genannten "Euro-Outs", kann zunehmend die Befürchtung beobachtet werden, dass ihr Einfluss auf den Willensbildungsprozess innerhalb der Union verringert wird. Als Folge dieser Sorge hat sich eine Art Koalition von Staaten entwickelt, die die Interessen einiger Mitglieder vereint. Der Brexit kann also als Auslöser für eine neue Dynamik und Treiber für die Ausdehnung der Eurozone gesehen werden. (vgl. Tokarski; Funk 2018, S. 1)Kroatien gehört zu der Gruppe der "Euro-Outs". Sie sind eine heterogene Gruppe von Staaten, die verschiedenen Wirtschaftsmodellen folgen und sich in unterschiedlichen Stadien ihrer Entwicklung befinden. Rumänien und Kroatien sind darunter die Staaten, die ein Wechselkursregime mit kontrolliertem, variablem Wechselkurs unterhalten. Die Problematik hinsichtlich der ungleichen ökonomischen Bedingungen ist, dass diese die Kooperation zwischen den Mitgliedsstaaten erschweren. Allerdings gilt Kroatien als Spezialfall, denn auch wenn der Euro als Währung noch nicht eingeführt wurde, ist die Wirtschaft weitgehend "euroisiert", da 67% der Verbindlichkeiten und 75% der Anlagen auf dem Euro basieren. (vgl. ebd., S. 1 f.) Die Einführung der europäischen Währung ist also nur eine Frage der Zeit und eine Frage des politischen Fortschritts.ArbeitsmarktAufgrund der Überbewertung des realen Wechselkurses befand sich die Wirtschaft Kroatiens zwischen 2009 und 2014 in einer tiefen Rezession, was dazu führte, dass die Beschäftigungszahlen sanken und das BIP um fast 13% einbrach. Seit dieser Zeit sinken die Zahlen der Arbeitslosen, somit erreichte die Arbeitslosenquote innerhalb des Landes im Mai 2017 den niedrigsten Wert mit 11,7%. (vgl. Holzner, Vidovic 2018, S. 2 f.)Bis heute ist der kroatische Arbeitsmarkt gekennzeichnet durch geringe Erwerbstätigkeit und niedrige Beschäftigung, was ein massives Problem darstellt. Die Beschäftigtenrate ist niedriger als der EU-Durchschnitt. Neben Italien und Rumänien hat Kroatien den höchsten Anteil an inaktiven Bürger*innen innerhalb der Europäischen Union. (vgl. ebd., S. 4 f.)Besonders Jugendliche und Kroat*innen mit primären Ausbildungen sind von Arbeitslosigkeit betroffen. Personen mit Sekundärbildung können die geringste Arbeitslosigkeit aufweisen. Trotzdem wird oft der Mangel an Arbeitskräften vor allem in touristischen Gebieten bemängelt. (vgl. ebd., S. 5 f.)Zur Lösung dieser Problematik fordern Gewerkschaften höhere Löhne für Arbeiter*innen. Einige Vertreter*innen von Unternehmen fordern allerdings die Erhöhung der Quoten für Arbeitsplätze aus dem Ausland. (vgl. ebd., S. 6)ArbeitsmigrationBereits seit den 60er Jahren, in denen viele Gastarbeiter*innen vom Balkan in Länder wie Deutschland und Österreich immigrierten, um ihre Familien zu ernähren, spielt die Thematik Arbeitsmigration in Kroatien eine wichtige Rolle. Bis heute nutzen viele Kroat*innen die besseren Arbeitsumstände und Löhne in Ländern wie Deutschland, um ihren Familien ein besseres Leben ermöglichen zu können.Seit dem Beitritt Kroatiens zur Europäischen Union sind die Zahlen der Migrant*innen aus Kroatien um 38% gestiegen. Insbesondere war hierfür die Öffnung des kroatischen Arbeitsmarktes verantwortlich, der es kroatischen Staatsbürger*innen ermöglichte, in anderen Mitgliedsländern der Europäischen Union ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Die Mehrheit der Kroat*innen ist im Alter zwischen 25 und 54 Jahren und findet Beschäftigung in der Industrie sowie in der Bauwirtschaft. (vgl. Holzer, Vidovic 2018)Aufgrund von Faktoren wie der unterdurchschnittlichen Entlohnung hat Kroatien der Auswanderung dieser Bürger*innen wenig entgegenzusetzen. Dem Regierungsprogram 2016-2020 ist lediglich ein vages Statement zu der Auswanderung kroatischer Jugendliche und junger Erwachsenen zu entnehmen. Das Ziel ist es, mehr Arbeitsplätze zu schaffen und dadurch junge Leute dazu zu bewegen, in Kroatien zu bleiben. (vgl. ebd., S. 9)EuroskeptizismusSeit einiger Zeit befindet sich die gesamte Europäische Union in einer Krise, die mehrere Teilkrisen umfasst und deshalb auch Polykrise genannt wird. Dazu zählt unter anderem auch der Euroskeptizismus, der in allen Mitgliedsländern zunehmend wahrzunehmen ist. Dieser kann mit einzelnen Politiken oder dem Erhalt von Souveränitätsrechten begründet werden. (vgl. Weiss, S. 14)Auch wenn der Euroskeptizismus mittlerweile weit verbreitet ist, gibt es zwischen den Mitgliedsstaaten Unterschiede in der Ausprägung. Besonders neue Mitgliedstaaten, wie auch Kroatien, empfinden die Thematik des Kompetenz- und Souveränitätstransfers an die Europäische Union problematisch. Dieser Machtverlust wird als sensibel, historisch abrufbar aber auch politisch instrumentalisierbar wahrgenommen. (vgl. ebd., S. 14)LegitimitäskriseDie Europäische Union leidet also derzeit unter einem Stimmungstief, das mehrere Ursachen hat. Vor allem aber hagelt es immer mehr Kritik zum Thema Demokratiedefizit, Handlungsunfähigkeit und mangelnder Bürgernähe. Viele Bürger*innen begegnen der EU misstrauisch, da sie für sie sehr intransparent und wenig demokratisch erscheint. (vgl. Höreth 2004, S. 41)Aufgrund dessen machte es sich die EU bereits im Jahr 2002 zum Ziel, verfassungsmäßige und institutionelle Voraussetzungen zu schaffen, die demokratische Grundsätze innerhalb der erweiterten EU sowie die Steuerungsfähigkeit nach innen und die Handlungsfähigkeit nach außen ermöglichen sollen. Dieses ambitionierte Ziel konnte allerdings bislang nicht erreicht werden, da einzelne Mitgliedsstaaten auf die Gewichtung ihrer Stimmen im Ministerrat nicht verzichten wollten. (vgl. ebd., S. 41) Nach Höreth (2004) basiert das Demokratiedefizit nicht nur auf technische Probleme des Politikmanagements, sondern auf grundlegende Legitimitätsprobleme, die die Anerkennungswürdigkeit der EU in Frage stellen.FazitWie auch die anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union hat Kroatien mit den Hindernissen der Polykrise zu kämpfen. Doch die Gesamtsituation des Staates zeigt, dass das Land sich vor allem mit Themen wie dem Umgang mit Flüchtlingen im Rückstand befindet, was damit zusammenhängen könnte, dass sich politische, soziale und ideologische Strukturen, die sich im Laufe der Geschichte, aber vor allem während der Unabhängigkeitskriege gebildet haben, verfestigt haben.Die geringe Wahlbeteiligung und die 67%ige Zustimmung zum Beitritt in die Europäische Union lässt relativ offen, wie die kroatische Gesellschaft zu der Europäischen Union steht. Zunächst konnte allerdings das Gefühl geweckt werden, dass eine gewisse EU-Euphorie in der Gesellschaft Kroatien zu beobachten war. Nun aber äußern sich, wie in der gesamten Europäischen Union erkennbar, immer mehr Menschen skeptisch gegenüber der EU. Es erscheint immer noch so, als ob die Gesellschaft den Entscheidungsprozessen der Europäischen Union nur schwer folgen kann und sie sich damit unsicher fühlen.Die kroatische Regierung hat einige Maßnahmen getroffen, um den EU-Beitritt des Staates zu ermöglichen. Trotzdem gibt es Kritiker*innen, die der Meinung sind, die EU habe es Kroatien zu einfach gemacht. Nach ihr wurden die Kopenhagener Kriterien erfüllt, sonst hätte das Land nicht zu einem offiziellen Mitglied der Europäischen Union werden können.Doch ein genauerer Blick in die Strukturen des Staates und vor allem auf die Grenze zu Bosnien und Herzegowina zeigen: das Land muss weiterhin an sich arbeiten, um den Kriterien gerecht werden zu können. Die Europäische Union darf die Augen nicht verschließen, wie es derzeit getan wird, indem zuversichtlich über den Beitritt in den Schengen-Raum diskutiert wird. Als Friedensgemeinschaft ist die Aufgabe der Europäischen Union, Menschenrechte zu wahren und dort genauer hinzuschauen, wo diese verletzt werden. Allerdings setzt der Beitritt Kroatiens in die Europäische Union gleichzeitig auch ein wichtiges Zeichen und bringt den Staat, als einer der stabilsten Länder auf dem Balkan, dazu, aktiv zu werden und als Vorbild für den restlichen Balkan zu fungieren.Auch wenn der Beitritt kritisch hinterfragt werden kann, sollte also gesagt werden, dass der Staat durchaus Schritte macht, die ohne die Europäische Union wahrscheinlich nicht stattgefunden hätten. Kroatien profitiert sowohl wirtschaftlich, als auch gesellschaftlich von den Vorteilen der EU. Allerdings verlangsamen Defizite innerhalb der Politik, wie beispielsweise lange Verwaltungsverfahren die Fortschritte, so dass die Europäische Union zum einen Geduld zeigen, aber zum anderen die Problematiken innerhalb des Landes nicht ignorieren sollte.LiteraturverzeichnisBundeszentrale für politische Bildung (2013): 1. Juli: Kroatien tritt der EU bei. Online verfügbar unter https://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/164274/1-juli-kroatien-tritt-der-eu-bei-28-06-2013, zuletzt geprüft am 14.09.2021.Europäische Kommission (2019): Schengen-Beitritt: Kroatien vor dem Beitritt zum Schengen-Raum. Online verfügbar unter https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/IP_19_6140, zuletzt geprüft am 30.09.2021.Holzner, Mario (2018): Wirtschaftliche Perspektiven für Kroatien. wiiw Forschungsbericht. Wien: The Vienna Institute for International Economic Studies.Horeth, Marcus (2004): Die erweiterte EU in der Legitimitätskrise. In: Der Bürger im Staat 54 (1), S. 41–48.Kušić, Siniša (2021): Kroatiens Weg in die EU . Hg. v. Bundeszentrale für politische Bildung. Online verfügbar unter https://www.bpb.de/apuz/158164/kroatiens-weg-in-die-eu, zuletzt geprüft am 14.09.2021.Mihm, Andreas (2021): Chinesen bauen Brücke in Kroatien, die EU zahlt. Hg. v. Frankfurter Allgemeine Zeitung. Online verfügbar unter https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/kroatien-china-baut-peljesac-bruecke-und-die-eu-zahlt-17461739.html, zuletzt geprüft am 30.09.2021.Richter, Solveig (2009): Zielkonflikte der EU-Erweiterungspolitik? Kroatien und Makedonien zwischen Stabilität und Demokratie. Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik.Schrooten, Mechthild (2004): Ökonomische Perspektiven der EU-Osterweiterung. In: Der Bürger im Staat 54 (1), S. 17–20.Steindorf, Ludwig (2013): Ein kurzer Gang durch die Geschichte Kroatiens. Hg. v. Bundeszentrale für politische Bildung. Online verfügbar unter https://www.bpb.de/apuz/158166/ein-kurzer-gang-durch-die-geschichte, zuletzt geprüft am 30.09.2021.Tokarski, P.; Funk, S. (2018): Die Nicht-Euro-Staaten in der EU nach dem Brexit. In: SWP-Aktuell (68), S. 1–8.Weidenfeld, W.; Wessels, W. (2002): Jahrbuch der Europäischen Integration 2002/2003. Bonn: Europa Union Verlag.Weiss, S. (2004): Die Erweiterung aus der Sicht der Beitrittskandidaten. In: Der Bürger im Staat 54 (1), S. 11–17.
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Das dynamische Aufstreben rechtspopulistischer Parteien macht auch vor Deutschland nicht Halt. Aufgrund steigender Umfragewerte und der Tatsache, dass AfD-Politiker bereits wichtige Ämter mit Entscheidungsbefugnissen besetzen, müssen sich Lehrkräfte zunehmend mit der Frage auseinandersetzen, wie mit Positionen der AfD im Unterricht umgegangen werden soll. Ob sie toleriert, kritisch aufgearbeitet oder gänzlich unterbunden werden sollen, ist eine der vielen schmalen Gratwanderungen, die Lehrerinnen und Lehrer tagtäglich beschreiten müssen.Die Beantwortung dieser Fragen ist komplex in der Theorie und in der Praxis nicht immer zufriedenstellend umsetzbar. Grundsätzlich sieht sich vor allem die politische Bildung täglich mit der ohnehin schon schwierigen Aufgabe konfrontiert, alles, was in der Wissenschaft kontrovers erscheint, auch im Unterricht kontrovers zu behandeln.Was die Äußerungen von Rechtspopulisten sehr gefährlich macht, ist zum einen die Tatsache, dass jene Behauptungen teilweise nicht an der Wahrheit orientiert sind, und zum anderen, dass sie häufig ihre radikalen Positionen mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung zu rechtfertigen versuchen. Nun bleibt die Frage erlaubt, ob und wann das Recht auf freie Meinungsäußerung Grenzen hat und inwieweit Lehrende in einem solchen Fall intervenieren dürfen.Dass die AfD bereits im Unterricht präsent ist, zeigt unter anderem die Einführung einer digitalen Meldeplattform, auf der Schülerinnen und Schüler, aber auch Eltern diejenigen Lehrerinnen und Lehrer melden können, die sich kritisch über die AfD äußern. In einem solchen Fall spricht die AfD von der Verletzung der Neutralitätspflicht, der Lehrende unterliegen. Aber ist die Neutralitätspflicht der Lehrpersonen tatsächlich so streng geregelt?Einschüchterungsversuche dieser Art erinnern stark an totalitäre Systeme, die eine freie Meinungsäußerung bereits im Schulalter zu verhindern versuchen. Eine kritische Auseinandersetzung mit den Positionen der AfD stellt jedenfalls keine einseitige Indoktrination dar (vgl. meinUnterricht 2024). Die Frage, die sich nun stellt: Müssen Lehrerinnen und Lehrer alle Positionen der AfD im Unterricht kontrovers beleuchten?Grundsätzlich sind für Lehrerinnen und Lehrer die Rechtsprechungen aus den Schul- und Beamtengesetzen maßgebend, die sie dazu verpflichten, antidemokratische und menschenverachtende Positionen als solche kenntlich zu machen und sie zu unterbinden (vgl. Hentges/Lösch 2021). Lehrende dürfen sich darüber hinaus im Hinblick auf die Gefährdung der Demokratie und Menschenrechte politisch nicht indifferent verhalten, sondern sich mit erheblicher Präsenz der Demokratieerziehung widmen (vgl. Wrase 2020).Zusätzlich muss zur Beantwortung dieser Frage der Beutelsbacher Konsens herangezogen werden. In ihm fest verankert – zwar nicht rechtlich bindend, jedoch Maßstab guten und inhaltlich ausgewogenen (Politik-)Unterrichts – sind folgende drei Prinzipien: Das Kontroversitätsgebot, das Indoktrinationsverbot sowie die Schülerorientierung. Ersteres legt dabei fest, dass alles, was in der Wissenschaft und in der Politik kontrovers diskutiert wird, auch im Unterricht kontrovers erscheinen muss. Das Indoktrinationsverbot soll verhindern, dass Schülerinnen und Schülern eine politische Meinung aufgezwungen wird, während die Schülerorientierung Lernende in die Lage versetzen soll, in der sie ihre eigene Interessenlage reflektieren und analysieren können.Cheema (2021) plädiert dafür, dass Schülerinnen und Schülern die Grundlage für kontroverse Diskussionen vermittelt werden, jedoch entbehre die Vermittlung antiaufklärerischer Positionen dabei jeglicher Grundlage, weswegen das Kontroversitätsgebot in diesem Fall nicht gelte. Auch die Forderung nach Neutralität sei in dieser Hinsicht definitiv ein Missbrauch des Beutelsbacher Konsens (vgl. ebd.).Das Neutralitätsgebot darf keinesfalls mit der Behauptung verwechselt werden, Lehrende dürften bei der Äußerung demokratiefeindlicher Positionen – sollten sie im Unterricht geäußert werden – keine Stellung beziehen (vgl. Niendorf/Reitz 2019). Genau in einem solchen Moment kann nicht mehr von der freien Meinungsäußerung gesprochen werden, die eine Neutralität des Lehrenden einfordert, sondern bewegt sich in den Bereich, in dem Lehrerinnen und Lehrer für die Einhaltung demokratischer Prinzipien einstehen müssen.Zudem gibt es kein Gebot vollständiger politischer Neutralität von Lehrkräften in der Schule. Im Beamtenrecht heißt es hierzu vielmehr, "dass Beamte bei politischer Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren haben, die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergibt" (Wrase 2020). Dies wird allerdings erst dann verletzt, wenn Lehrpersonen gegenüber den Schülerinnen und Schülern einseitig oder provokativ für eine bestimmte politische Auffassung oder eine Partei werben (vgl. ebd.). Auch ist das Neutralitätsgebot nicht gleichzusetzen oder zu verwechseln mit der Forderung, eine Lehrperson dürfe im Rahmen der freiheitlich demokratischen Grundordnung keine Stellung beziehen (vgl. Niendorf/Reitz 2019).Zwar müssen Lehrerinnen und Lehrer politische Sachverhalte ausgewogen und sachlich behandeln, ihre eigenen Überzeugungen brauchen sie deswegen aber nicht verbergen, vorausgesetzt, sie zwängen diese den Schülerinnen und Schülern nicht auf und sie tragen Sorge dafür, dass andere Auffassungen ausreichend zur Geltung kommen. Außerdem bedeutet das Gebot der parteipolitischen Zurückhaltung für Lehrkräfte auch nicht, dass alle im demokratischen Parteienspektrum vertretenen Auffassungen bis zur Grenze der Verfassungsfeindlichkeit gleichermaßen als legitim darzustellen sind.Was im Unterricht nicht toleriert werden darf, sind fremdenfeindliche, rechtspopulistische oder sonst diskriminierende Auffassungen. Diese erfordern von Lehrpersonen ein unmissverständliches Einschreiten und Unterbinden unter Verweis auf die demokratischen Grundsätze sowie die Menschenrechte (vgl. ebd.). Es entspricht zudem einer Erziehung im Sinne der Werteordnung des Grundgesetzes sowie der Landesverfassungen und Schulgesetze, dass sich Lehrpersonen klar gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus positionieren (vgl. Wrase 2020).Äußerungen von Politikerinnen und Politikern rechtspopulistischer Parteien wie der AfD sollten grundsätzlich im Unterricht thematisiert und kritisch betrachtet werden, schließlich könnte eine Nichtberücksichtigung der Partei wieder in die Karten spielen und außerdem lebt die Debattenkultur von legitimen kontroversen Argumenten. Zudem ist die Thematisierung wichtig für die Erfüllung des Beutelsbacher Konsens, denn damit Schülerinnen und Schüler ihre eigene Interessenlage analysieren können, müssen Fakten neben Behauptungen und Pauschalisierungen treten (vgl. Drücker).Zusammenfassend ist es daher stets ratsam, Positionen rechtspopulistischer Parteien wie die der AfD im Unterricht zu thematisieren und kritisch zu hinterfragen, sofern diese keine rassistischen oder demokratiefeindlichen Aussagen beinhalten. Damit der Beutelsbacher Konsens erfüllt wird, ist es ratsam, allen Ansichten gleichermaßen Beachtung zu schenken und den Schülerinnen und Schülern keine politische Meinung aufzuzwängen – dies widerstrebt einer funktionierenden Debattenkultur in demokratischen Staaten ohnehin. Lehrpersonen dürfen in diesem Fall jedoch ihre Meinungen frei äußern, müssen den Lernenden aber auch zu verstehen geben, dass sie bei anderen Ansichten keine schulischen Nachteile zu befürchten haben.Aufgrund der Tatsache, dass einige Äußerungen von Politikerinnen und Politikern der AfD nicht an der Wahrheit orientiert sind, könnte es hier ebenfalls ratsam sein, gemeinsam mit den Lernenden an der Wahrheit orientierte Fakten bloßen emotionalen Behauptungen gegenüberzustellen. Was keinesfalls toleriert werden darf, sind Positionen, die die Demokratie verunglimpfen oder Personen diffamieren und rassistisch beleidigen – hier ist ein Einschreiten der Lehrkräfte unumgänglich.LiteraturCheema, Saba-Nur (2021): Verschwörungserzählungen und politische Bildung. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. 71. Jahrgang 35-36/2021. Drücker, Ansgar (2016): Der Beutelsbacher Konsens und die politische Bildung in der schwierigen Abgrenzung zum Rechtspopulismus. In: Benedikt Widmaier/Peter Zorn (Hrsg.): Brauchen wir den Beutelsbacher Konsens? Eine Debatte der politischen Bildung, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2016, S. 123-130. Hentges, Gudrun/Lösch, Bettina (2021): Politische Neutralität vs. politische Normativität in der politischen Bildung. In: Hubacher, Manuel S./Waldis, Monika (Hrsg): Politische Bildung für die digitale Öffentlichkeit: Umgang mit politischer Information und Kommunikation im digitalen Raum. Wiesbaden: Springer VS. MeinUnterricht Redaktion (2024): Meldeportale der AfD: Was dürfen LehrerInnen im Unterricht äußern? In: https://www.meinunterricht.de/blog/meldeportale-der-afd-was-duerfen-lehrerinnen-im-unterricht-aeussern/. Niendorf, Mareike/Reitz, Sandra (2019): Schweigen ist nicht neutral. In: Deutsches Institut für Menschenrechte. Wrase, Michael (2020): Wie politisch dürfen Lehrkräfte sein? In: Aus Politik und Zeitgeschichte. In: https://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/APuZ_2020-14-15_online.pdf.
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Das Konzept der planetaren Grenzen wurde von dem Resilienzforscher Johan Rockström gemeinsam mit seinem Team entwickelt und im Jahr 2009 erstmals veröffentlicht (vgl. Eckert 2023). Es beschreibt den Zustand der Erde anhand von 9 Grenzbereichen, welche jeweils entweder im sicheren Bereich, im unsicheren Bereich oder im gefährlichen Bereich liegen (vgl. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz o.A. o.D. 2023). Die Einstufung darüber, in welchem der drei Bereiche wir uns innerhalb der 9 Grenzbereiche befinden, wird jährlich aktualisiert (vgl. Krautwig / Krieger 2022). Die 9 Grenzbereiche sind die Folgenden (vgl. Schulz 2023):1. Klimawandel: Der Grenzbereich bezieht sich auf die Veränderung des Klimas auf unserem Planeten. Stand 2023 befinden wir uns in diesem Bereich bereits im gefährlichen Bereich (vgl. Potsdam- Institut für Klimaforschung o.A. 2023). Grund hierfür sind unter anderem enorm hohe Treibhausgas-Emissionen. Folgen hiervon sind u.a., dass der Meeresspielgel ansteigt, was verehrende Folgen haben wird (vgl. Deutsche Umwelthilfe o.A. o.D.).2. Giftmüll und neue Substanzen: Der Grenzbereich bezieht sich auf giftige Substanzen, welche der Mensch durch sein Handeln in die Umwelt einbringt und die schwerwiegende Folgen für Mensch, Tier und Umwelt haben (vgl. Schulz 2023). Aufgrund einer unzureichenden Forschungslage war bis 2022 auch nicht bekannt, in welchem der drei Bereiche wir uns innerhalb dieser globalen Grenze befinden. Seit letztem Jahr (2022) steht jedoch fest, dass wir auch diesen Grenzbereich bereits überschritten haben (vgl. Krautwig / Krieger 2022).3. Ozonschicht: Der planetare Grenzbereich der Ozonschicht beschreibt den Anteil an Ozon in unserer Atmosphäre, welches dafür verantwortlich ist, die schädliche ultraviolette Sonneneinstrahlung zu filtern (vgl. Krautwig / Krieger 2022). Ein anzustrebendes Ziel ist es also stets, den Anteil an Ozon in der Atmosphäre möglichst hoch zu halten. Befanden wir uns im Jahr 1985 mit der Entdeckung des Ozonloches noch im unsicheren-gefährlichen Bereich, befinden wir uns durch Interventionen heute wieder im sicheren Bereich (vgl. ebd. 2022).4. Luftverschmutzung: Da Messungen der Luftverschmutzung lokal stark schwankend ausfallen, lässt sich diese planetare Grenze global gesehen nur schwer in einen der drei Bereiche einordnen (vgl. Krautwig / Krieger 2022). Die Aerosole werden u.a. durch die Industrie, den Verkehr, die Landwirtschaft oder auch im Privaten durch z.B. Heizen freigesetzt (vgl. EWE o.A. o.D.). Ist die Luftverschmutzung besonders hoch, kann dies u.a. zu Atemwegserkrankungen führen und sich auf die Niederschläge auswirken. Dies hat u.a. zur Folge, dass es an manchen Orten zu stark regnet und die Gefahr von Überschwemmungen besteht und es andernorts zu wenig regnet und in der Folge durch Dürre und Hitze Ernteausfälle drohen (vgl. ebd.).5. Ozeanversauerung: Auch wenn wir uns aktuellen Messungen zufolge in der planetaren Grenze der Ozeanversauerung im sicheren Bereich befinden, ist es erstrebenswert, diesen Bereich auch zu halten, insbesondere, da auch hier sich allmählich ein Negativtrend abzeichnet (vgl. Potsdam- Institut für Klimaforschung o.A. 2023). Ozeane dienen als Speicher von Kohlenstoffdioxid, was als Mittel gegen den voranschreitenden Klimawandel fungieren kann (vgl. EWE o.A. o.D.). Gleichzeitig senkt sich durch eine zunehmende Aufnahme von C02 jedoch der pH-Wert der Ozeane, weshalb diese zunehmend saurer werden. Dies wirkt sich wiederum negativ auf die Meereslebewesen und somit das Artensterben aus (vgl. Serlo. Die freie Lernplattform o.A. o.D.). Es zeigt sich, dass die einzelnen globalen Grenzen eng miteinander zusammenhängen (vgl. Potsdam- Institut für Klimaforschung o.A. 2023).6. Stoffkreisläufe: Eine planetare Grenzüberschreitung, welche aufgrund ihres angenommenen enormen Ausmaßes im gefährlichen Bereich Sorgen bereitet, ist die der Stoffkreisläufe (vgl. Potsdam- Institut für Klimaforschung o.A. 2023). Hierbei handelt es sich um die beiden Stoffe Phosphor und Stickstoff, wovon sich aufgrund menschlichen Handelns ein deutlich zu hoher Anteil in der Umwelt befindet (vgl. Schulz 2022). Insbesondere wenn diese Stoffe ins Grundwasser gelangen, führen sie dort zu einem Massensterben. Zugleich wirken sie sich negativ auf den Klimawandel aus (Deutsche Umwelthilfe o.A. o.D.). Auch hier zeigt sich erneut, wie sehr die planetaren Grenzen miteinander zusammenhängen.7. Süßwasser: Auch die planetare Grenze des Süßwassergebrauches hat mittlerweile den sicheren Bereich verlassen und befindet sich nun im unsicheren Bereich (vgl. Potsdam- Institut für Klimaforschung o.A. 2023). Durch einen hohen Verbrauch von Süßwasser trocknen nach und nach Flüsse und Seen aus, was neben dem Artensterben auch die elementar bedeutende Versorgung mit Wasser von Pflanzen, Tieren und Menschen gefährdet (vgl. EWE o.A. o.D.).8. Landnutzung: Die Rodung von Wäldern schreitet stetig weiter voran – ein Ende ist nicht in Sicht. Die verheerende und bereits spürbare Folge hiervon ist, dass dem Planeten durch das Abholzen der Bäume große Kohlenstoffdioxid- und Wasserspeicher genommen werden (vgl. Krautwig / Krieger 2022). Schon länger befinden wir uns daher innerhalb dieser planetaren Grenze im unsicheren Bereich (vgl. Potsdam- Institut für Klimaforschung o.A. 2023).9. Biosphäre: Die Biosphäre ist eine der planetaren Grenzen, welche aktuell am stärksten überschritten ist (vgl. Potsdam- Institut für Klimaforschung o.A. 2023). Bereits in den vorigen Überschreitungen der planetaren Grenzen zeigten sich Auswirkungen auf die Biosphäre, insbesondere beim Artensterben (vgl. Krautwig / Krieger 2022; Schulz 2023).Bereits bei der Veröffentlichung des Modells im Jahr 2009 hatten wir schon vier der insgesamt neun planetaren Grenzbereiche überschritten (vgl. Deutsche Umwelthilfe o.A. o.D.). Nach dem letzten veröffentlichten Bericht im Jahr 2023 liegen bereits sechs der Grenzbereiche außerhalb des sicheren Bereiches (vgl. Potsdam- Institut für Klimaforschung o.A. 2023). Dies sind die Grenzbereiche Klimawandel, Giftmüll und neue Substanzen, Stoffkreisläufe, Süßwassergebrauch, Landnutzung sowie Biosphäre. Besonders stark betroffen sind sowohl das Artensterben als auch die Stoffkreisläufe.Nicht jede der neun Grenzen lässt sich ohne weiteres in einen der drei Bereiche (sicher, unsicher, gefährlich) einteilen, da - wie im Falle der Luftverschmutzung - große regionale Unterschiede bestehen. Sobald wir den gefährlichen Bereich einer globalen Grenze erreichen, folgen spürbare negative Auswirkungen auf unser ökologisches System (vgl. Deutsche Umwelthilfe o.A. o.D.). Es zeigte sich, dass die einzelnen planetaren Grenzen untereinander zusammenhängen und mit sozialen und politischen Folgen verbunden sind (vgl. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz o.A. o.D.).Das Modell soll nicht nur dazu dienen, planetare Grenzen zu definieren und jährlich einen Überblick über den Stand zu liefern, in welchem der drei Bereiche sie sich befinden, sondern auch einen Appell an die Menschen richten, ihr Handeln darauf auszurichten, möglichst viele der planetaren Grenzen wieder in den sicheren Bereich zu bringen (vgl. Krautwig / Krieger 2022). Dass dies funktionieren kann, zeigte sich am Beispiel der Ozonschicht. Auch zeigte sich, dass sich globale Grenzen aufgrund mangelnder Intervention innerhalb weniger Jahre vom sicheren in den unsicheren oder sogar gefährlichen Bereich bewegen können (vgl. ebd. 2022).Hier finden Sie visuell veranschaulicht den aktuellen Stand (Stand: 2023): Potsdam- Institut für Klimaforschung o.A. 2023: Schwindende Widerstandskraft unseres Planeten: Planetare Belastungsgrenzen erstmals vollständig beschrieben, sechs von neun bereits überschritten, in: Potsdam- Institut für Klimaforschung, https://www.pik-potsdam.de/de/aktuelles/nachrichten/schwindende-widerstandskraft-unseres-planeten-planetare-belastungsgrenzen-erstmals-vollstaendig-beschrieben-sechs-von-neun-bereits-ueberschritten-1/@@images/image.jpeg.Das Konzept der planetaren Grenzen lieferte die Grundlage für das Konzept der Donut-Ökonomie von Raworth (vgl. Serlo. Die freie Lernplattform o.A. o.D.). Im Konzept der Donut-Ökonomie werden die Spannungen zwischen den sozialen Bedürfnissen der Menschen und der ökologischen Grenzen des Planeten aufgezeigt. Diese werden im Modell durch zwei Kreise verdeutlicht. Dabei beschreibt der innere Kreis die sozialen Bedürfnisse der Menschen und der äußere Kreis die ökologischen Grenzen des Planeten. Somit finden sich die planetaren Grenzen aus dem Konzept von Rockstrom im Außenkreis des Donutmodells von Raworth wieder. Wenn der Mensch bei der Erfüllung seiner sozialen Bedürfnisse nicht die Einhaltung der planetaren Grenzen beachtet, folgen negative Auswirkungen auf die Umwelt, wie sie im Konzept der planetaren Grenzen genannt wurden. QuellenBundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz o.A. o.D.: Planetare Belastbarkeitsgrenzen, in: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, abgerufen unter: https://www.bmuv.de/themen/nachhaltigkeit/integriertes-umweltprogramm-2030/planetare-belastbarkeitsgrenzen (zuletzt abgerufen am 13.11.2023)Deutsche Umwelthilfe o.A. o.D.: Ressource Erde, in: Deutsche Umwelthilfe, abgerufen unter: https://www.duh.de/projekte/planetare-grenzen/ (zuletzt abgerufen am 13.11.2023)Eckert, Werner: Studie zu planetaren Grenzen. Der Erde geht die Pust aus, in: Tagesschau, abgerufen unter: https://www.tagesschau.de/wissen/klima/klimawandel-planetare-grenzen-erderwaermung-100.html (zuletzt abgerufen am 13.11.2023)EWE o.A. o.D.: Planetare Grenzen, in: EWE, abgerufen unter: https://www.ewe.com/de/zukunft-gestalten/klimaschutz/klimapedia/klimawandel/planetare-grenzen (zuletzt abgerufen am 13.11.2023)Krautwig, Thomas / Krieger, Anja 2022: Planetare Grenzen: Neun Leitplanken für die Zukunft, in: Helmholtz Klima Initiative, abgerufen unter: https://www.helmholtz-klima.de/planetare-belastungs-grenzen (zuletzt abgerufen am 13.11.2023)Potsdam- Institut für Klimaforschung o.A. 2023: Schwindende Widerstandskraft unseres Planeten: Planetare Belastungsgrenzen erstmals vollständig beschrieben, sechs von neun bereits überschritten, in: Potsdam- Institut für Klimaforschung, abgerufen unter: https://www.pik-potsdam.de/de/aktuelles/nachrichten/schwindende-widerstandskraft-unseres-planeten-planetare-belastungsgrenzen-erstmals-vollstaendig-beschrieben-sechs-von-neun-bereits-ueberschritten-1 (zuletzt abgerufen am 13.11.2023)Schulz, Christoph: Planetare Grenzen. Über die Belastbarkeitsgrenzen der Erde, in: CareElite, abgerufen unter: https://www.careelite.de/planetare-grenzen/ (zuletzt abgerufen am 13.11.2023)Serlo. Die freie Lernplattform o.A. o.D.: Planetarische Leitplanken und das Donut-Modell, in: https://de.serlo.org/nachhaltigkeit/116795/planetarische-leitplanken-und-das-donut-modell (zuletzt abgerufen am 13.11.2023)
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In der Politik haben wir es häufig mit komplexen Sachverhalten zu tun, die ebenso häufig auf komplexen Ideen und Konzepten basieren. Frames und Metaphern helfen uns, die politische Wirklichkeit und die ihr zugrunde liegenden Ideen und Konzepte in eine Sprache zu übersetzen, die auf die strukturellen Deutungsrahmen unserer Alltagserfahrungen zurückgreift und somit erst verständlich werden lässt. Dabei sind Frames immer selektiv, indem sie bestimmte Aspekte eines Themas hervorheben und andere in den Hintergrund treten lassen (vgl. Wehling 2017, S. 42; Łada/Sendhardt 2021).Aber nicht nur Sachverhalte, Staaten und soziale Gruppen werden medial geframt, auch Personen unterliegen Framing-Prozessen (Brosius und Dan 2020, S. 267). Dies gilt insbesondere für Politikerinnen und Politiker, die wie kaum eine andere Berufsgruppe in den Medien dauerpräsent sind. Relevant ist dieses "Character-Framing" (Brosius und Dan 2020, S. 267) vor allem angesichts der zunehmenden Orientierung an Personen (und weniger an Programmen, Parteien, Institutionen, etc.), die die Politikberichterstattung weltweit kennzeichnet. Die Berichterstattung in der deutschen bzw. polnischen Presse bildet hier keine Ausnahme, sondern ordnet sich vielmehr in einen globalen Trend ein. Im Rahmen dieser "Personalisierung der deutsch-polnischen Kommunikation" werden Personen in ihrer jeweiligen Amtsfunktion als repräsentativ für das entsprechende Land als Ganzes geframt. Eine aus Sicht der Framing-Analyse zentrale Erkenntnis dieser Form der Metonymie ist die Beobachtung, dass Person (selbst in ihrer Amtsfunktion) und Politik des Landes niemals deckungsgleich sein können und die Berichterstattung mittels Personalisierung daher notwendigerweise (wie alle Frames) immer nur einen spezifischen Beobachtungssauschnitt und eine spezifische Perspektive repräsentiert.Im vorliegenden Beitrag habe ich daher Zeitungsartikel aus der Süddeutschen Zeitung (SZ), der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) sowie der Gazeta Wyborcza (GW) und der Rzeczpospolita (Rz) auf die Frage hin untersucht, wie sie die Person des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, und mittelbar die gesamte Ukraine, framen. Dabei lag mein Fokus auf dem Wandel, den dieses Framing im Kontext der russischen Invasion am 24. Februar 2022 erfahren hat, weswegen ich zunächst einen Blick auf die Berichterstattung deutscher und polnischer Medien rund um die ukrainischen Präsidentschaftswahlen 2019 werfen werde, aus denen Selenskyj als Sieger hervorgegangen ist.Selenskyj 2019: Vom Schauspieler zum uneindeutigen PolitikerSowohl in der deutschen wie auch der polnischen Presseberichterstattung rund um die Wahl von Wolodymyr Selenskyj zum ukrainischen Präsidenten am 21. April 2019 fallen zwei Frames besonders auf. Zum einen der Deutungsrahmen von Selenskyj als politischem Quereinsteiger, dessen Wahl ob der beruflichen Vergangenheit als Hauptdarsteller der beliebten TV-Serie "Diener des Volkes" (in der Selenskyj bezeichnenderweise einen politischen Quereinsteiger spielt, der Präsident wird) die Ernsthaftigkeit und Qualität der ukrainischen Demokratie per se infragestellt. Der zweite Frame bezieht sich auf die Frage, wie der fulminante Erfolg des politischen Newcomers eingeordnet werden solle. Hierbei oszilliert vor allem die deutsche Berichterstattung zwischen den beiden Extremen Abhängigkeit und Unabhängigkeit, während sich die polnische Berichterstattung stärker auf die Ambiguität der Person Selenskyjs konzentriert.Der SchauspielerEin zentraler Frame in der deutschen wie auch in der polnischen Berichterstattung über Selenskyj rund um dessen Wahl zum ukrainischen Präsidenten am 21. April 2019 hebt auf dessen berufliche Vergangenheit als Schauspieler und Komiker ab. Dabei wird in der deutschen Presse etwa seine (mangelnde) politische Erfahrung ("der politisch völlig unerfahrene Schauspieler, Komiker, Medienmanager und Unternehmer", FAZ 17.4.2019)[1] mit der Verantwortung kontrastiert, die die Wahl "zum Staatspräsidenten und Oberbefehlshaber der Armee" (FAZ 17.4.2019) mit sich bringt. Die ukrainische Wählerschaft scheint dies unterschiedlich zu bewerten. Während die einen in Selenskyj "einen 'Magier'" erblicken, "einen, der die Welt sofort wieder in Ordnung bringt" (FAZ 20.4.2019), sähen zahlreiche "patriotisch gesonnene ukrainische Intellektuelle […] die Abstimmung ihrer Landsleute für den 'Clown' Selenskyj dumm, haarsträubend oder sogar gefährlich" (FAZ 21.4.2019).Damit wird suggeriert, dass weder er als Person noch die ukrainische Demokratie als politisches System ernst genommen werden können, da alles vor allem auf Show und Spektakel angelegt sei. So schreibt die SZ:"Im Wahlkampf um das Präsidentenamt in der Ukraine jagt eine Kuriosität die nächste. Vor laufenden Kameras hatten sich Poroschenko und Selenskyj etwa Bluttests auf Drogen und Alkohol unterzogen. Der 53 Jahre alte Präsident versucht, den 41 Jahren alten Schauspieler als koksende russische Marionette hinzustellen" (SZ 19.4.2019).Und so verweist etwa die FAZ auf "die beträchtlichen Risiken, die sich mit Selenskyjs Mangel an Verwaltungserfahrung sowie kompetenten Beratern verbinden. In Kriegszeiten kann sich die Ukraine an und für sich nicht den Luxus politischer Experimente und dilettantischer Staatsführung erlauben" (FAZ 21.4.2019).So berichtet die Rzeczpospolita über den "Kabarettisten Selenskyj, der über keinerlei Erfahrung in der Politik verfügt" (Rz 24.4.2019) und titelt über Selenskyjs Wahlerfolg gegen den bisherigen Amtsinhaber Petro Poroschenko "Komiker gewinnt gegen Geschäftsmann" (Rz 23.4.2019). Ganz ähnlich beschreibt die Gazeta Wyborcza Selenskyj als "Schauspieler und Komiker" (GW 21.4.2019), der "in puncto Politik vollkommen grün hinter den Ohren ist" (GW 19.4.2019) sei. Ein Experten-Kommentar in der Rzeczpospolita geht sogar noch einen Schritt weiter. Demnach sei Selenskyj "ein Narzisst" und es sei eine "schwache Präsidentschaft" zu erwarten (Rz 23.4.2019).Während sich die deutsche und polnische Berichterstattung einig sind hinsichtlich des Framings Selenskyjs als Schauspieler und Komiker, der über keinerlei politische Erfahrung verfügt, unterscheiden sich die Medien beider Länder in der Akzentuierung dieser Beobachtung. So räumt die deutsche Presseberichterstattung diesem Umstand weitaus mehr Raum ein, als dies die untersuchten polnischen Zeitungen tun. Und auch was die Schlussfolgerungen für die ukrainische Demokratie und Staatlichkeit betrifft, die aus dem Wahlsieg Selenskyjs zu ziehen seien, zeichnen die deutschen Medien ein weitaus drastischeres Bild als dies ihre polnischen Pendants tun.Der Uneindeutige: Zwischen Marionette der Oligarchen und unabhängigem QuereinsteigerIm Rahmen der Präsidentschaftswahl 2019 stellten sich der deutschen wie auch der polnischen Presse die Frage, was man von dem Schauspieler und Komiker eigentlich politisch zu halten habe. Dabei wurde der (zukünftige) ukrainische Präsident einerseits als Marionette in den Händen der Oligarchen gezeichnet, andererseits als unabhängiger politischer Quereinsteiger. In der Summe war dieses Framing Selenskyjs von Ambiguität geprägt und präsentierte den Präsidenten als Person, die mehr Fragen aufwirft als Antworten gibt.Dabei erscheint Selenskyj in der deutschen Presse einerseits als Instrument oder gar Marionette des mächtigen ukrainischen Oligarchen Ihor Kolomojskyj, der danach trachtet, "seinen Erzfeind Poroschenko zu stürzen" (SZ 23.4.2019). Die passive Rolle, die Selenskyj hier zugeschrieben wird, meint natürlich die Ukraine als politische Gemeinschaft gleich mit. Ebenso wie es gleichgültig erscheint, welche Kandidaten von den Oligarchen für ihre internen Fehden ins Rennen geschickt werden, erscheint es gleichgültig, in welchem Land und zum Wohle (oder vielmehr Weh) welcher Gesellschaft dies geschieht. Sowohl Selenskyj als auch die Ukraine scheinen innerhalb dieses Frames eher zufällig betroffen zu sein. Folgerichtig sind beide, Selenskyj wie die Ukraine, keine autonomen, unabhängigen Akteure, sondern Spielbälle in den Händen der ukrainischen Oligarchie. So legt ein FAZ-Artikel nahe, Selenskyj sei lediglich das Produkt des "Polittechnologen" (FAZ 26.4.2019) Andrij Bohdan, eines Anwalts von Kolomojskyj. Die SZ geht sogar noch einen Schritt weite und deutet die Wahl Selenskyjs als "Ausdruck des kranken ukrainischen Systems: Er war nur möglich, weil ukrainische Medien von Oligarchen dominiert werden, die bestimmen, wer in ihre Fernsehsender kommt – und wer nicht" (SZ 22.4.2019).Und weiter:"Dass Selenskys Ruhm, sein Schlüpfen in die Rolle eines guten, unbestechlichen Präsidenten ausreichten, um ihn trotz eines inhaltsfreien Wahlkampfes ins Präsidentenamt zu bringen, lag vor allem an der Abneigung der Ukrainer gegen Poroschenko: Auch andere Kandidaten hätten gegen den bisherigen Präsidenten gewonnen" (SZ 22.4.2019).Demgegenüber erklärt die FAZ unter der Überschrift "Selenskyjs Präsidentschaft bedeutet nicht das Ende" (FAZ 21.4.2019), der neue ukrainische Präsident sei als "Newcomer" eine "politische" wie auch "historische Anomalie" (FAZ 21.4.2019).Dieses Framing steht in seinem scharfen Kontrast zu einem Framing von Selenskyj als politischem Quereinsteiger, das ihn als unabhängigen Kandidaten zeichnet, der von außerhalb der korrumpierten politischen Klasse in den Politikbetrieb gekommen sei, ein Umstand, der sowohl Chancen als auch Gefahren für die ukrainische Politik berge.So stellt die FAZ fest: "Selenskyjs Mangel an Verbindungen mit der alten Politikerklasse dürfte es der ukrainischen Zivilgesellschaft einfacher machen, auf seine Regierungsmannschaft und -entscheidungen Einfluss zu nehmen" (FAZ 21.4.2019). Er erscheint hier "als ehrlicher Saubermann, der in der korrupten ukrainischen Politik in den kommenden fünf Jahren aufräumen will" (FAZ 21.4.2019). Dabei wird Selenskyj als volksnaher Politiker an der Grenze zum Populismus geframt. So unterstreicht die SZ: "Er wolle nur eine Amtszeit regieren und dafür sorgen, dass die korrupte Machtelite verschwinde" (SZ 19.4.2019). Selenskyjs Stil der direkten Kommunikation mit seinen Wählern über die sozialen Medien soll den "Eindruck eines volksnahen Politikers erwecken, ist indes im besten Fall inhaltsleer, im schlechteren gefährlich populistisch, weil unpopuläre Entscheidungen quasi schon im Vorgriff ausgeschlossen werden" (SZ 22.04.2019).Auch auf polnischer Seite lässt sich dieses Framing beobachten, wenngleich es im Vergleich mit der deutschen Presse weit weniger dominant in Erscheinung tritt. So fragt auch die Gazeta Wyborcza in Bezug auf Selenskyj: "Unabhängig oder eine Marionette in den Händen eines Oligarchen?" (GW 19.4.2019). Anders als die deutsche Presse fokussiert sich die polnische Presse stärker auf die Uneindeutigkeit Selenskyjs. So bezeichnet etwa die Gazeta Wyborcza im gleichen Artikel Selenskyj als "Herr Unbekannt" (GW 19.4.2019) und führt aus: "Es ist nicht klar, welche Art von Präsident Selenskyj sein wird und welche Maßnahmen von ihm zu erwarten sind" (GW 19.4.2019). Sowohl die Gazeta Wyborcza (GW 19.4.2019) als auch die Rzeczpospolita (Rz 23.4.2019) erklären, dass Selenskyj schwer durchschaubar sei, schließlich sei weder bekannt, wer seiner Regierungsmannschaft angehören noch wie sein inhaltliches Programm aussehen werde. Und so lassen sich etwa in der Rzeczpospolita auch negative Entwicklungsszenarien bezüglich der politischen Zukunft der Ukraine beobachten:"Vielleicht kommt ein hartes, repressives Regime wie in Russland, vielleicht übernehmen die Oligarchen das Land aber auch ganz. Die Heterogenität der Wählerschaft Selenskyjs hat sowohl die Befürworter einer Vereinigung mit Russland als auch die Befürworter einer Vereinigung mit Europa zusammengeführt. Die ersten Entscheidungen des neuen Staatschefs könnten daher zu einer Polarisierung der ukrainischen Gesellschaft führen" (Rz 23.4.2019).Die Gazeta Wyborcza wiederum lässt sowohl Unterstützer wie auch Kritiker Selenskyjs zu Wort kommen. So erklärt Selenskyjs Wahlkampfleiter, sein Chef zeichne sich aus durch "Offenheit", Transparenz und die Tatsache, dass "er Fehler zugeben kann" (GW 19.4.2019). Auf Seiten der Kritiker werfen ihm ukrainische Journalisten vor, "dass er selbst den Kontakt mit den Medien vermeidet. [...] Und wenn er Interviews gibt, dann nur den Medien, die sich positiv auf ihn beziehen" (GW 19.4.2019). In der Summe bleibt auch hier die Feststellung: "Selenskyj bleibt ein Rätsel - niemand weiß, was von ihm zu erwarten ist" (GW 19.4.2019).Selenskyj 2022: Vom Schauspieler zum Staatsmann und HeldenIm Kontext des russischen Angriffs auf die Ukraine am 24. Februar 2022 vollzieht sich in der deutschen und polnischen Presseberichterstattung ein beeindruckender Wandel des Framings von Wolodymyr Selenskyj, vom belächelten Schauspieler zum respektierten Staatsmann und bewunderten Helden, "vom Entertainer zum 'ernsten' Staatsmann" (FAZ 24.2.2022). Ähnlich titelt die SZ "Komiker, Präsident, Staatsmann" (SZ 24.2.2022).Bereits in der Berichterstattung rund um Selenskyjs Auftritt auf der Münchner Sicherheitskonferenz am 19. Februar zeichnet die deutsche Presse ein überaus positives Bild des ukrainischen Präsidenten. Hier habe er "vor internationalem Publikum […] Eindruck gemacht" (FAZ 24.2.2022). In seiner Eigenschaft als "großer Kommunikator" laufe der ukrainische Präsident "gerade zu großer Form auf" (FAZ 24.2.2022). "Als Redner und Krisenmanager gewinnt Selenskyj in der Ukraine auch bei Kritikern Respekt" (FAZ 24.2.2022). So zeigte sich ein Kyjiwer Wissenschaftler auf Facebook "dankbar für eine Rede, in der die Ukraine als handelndes Subjekt und würdevoll aufgetreten sei" (FAZ 24.2.2022). Nach dem Angriff Russlands framt die deutsche Presse den ukrainischen Präsidenten vor allem als mutigen Politiker, der dem russischen Aggressor entschlossen die Stirn bietet, und betont seine Standfestigkeit und Verlässlichkeit (FAZ 28.2.2022). "Er erweise sich als würdiger Anführer einer Nation im Krieg" (FAZ 28. 2.2022). Ein ähnlicher Wandel im Framing der Person Selenskyjs lässt sich auch in der polnischen Presse beobachten, wobei mitunter der Eindruck vermittelt wird, es seien ausschließlich westliche (und eben nicht polnische) Presseorgane gewesen, die dem ehemaligen Schauspieler abgesprochen hätten, das Zeug zum Staatsmann zu haben. So schreibt die Gazeta Wyborcza: "Westliche Medien, die früher manchmal spöttisch schrieben, dass die Ukraine von einem Komiker regiert wird, nehmen dies nun zurück" (GW 27.2.2022). Dass er das Zeug zum Staatsmann habe, lasse sich an seinem Verhalten vor und nach der Invasion ablesen. Als sich die Anzeichen für eine russische Invasion zusehends verdichteten, "spielte er die Rolle eines ruhigen Anführers. Er hat die Gemüter besänftigt, er hat die Nation beruhigt. Jetzt tritt er als Verteidiger auf. Er macht den Ukrainern Mut und führt sie wirklich an. So wie er einst die Ukrainer in seinen Bann ziehen konnte, so zieht er nun den Westen in seinen Bann" (GW 27.2.2022).Der HeldEine zentrale Rolle in der deutschen wie polnischen Berichterstattung spielt das Framing Wolodymyr Selenskyjs als Held. Als solcher nimmt der Präsident, in Erfüllung der ihm zugedachten Rolle als "Diener des Volkes", zum Wohle des ukrainischen Volkes persönliche Risiken und Härten in Kauf. So framt die SZ bereits vor der Invasion Selenskyj als "tragische Figur" (SZ 24.2.2022), als tragischen Helden:"[I]n der Stunde der größten Not zeigt Selenskij staatsmännisches Format: als Führer eines Landes, dem, von seinem übermächtigen Nachbarn überfallen, militärisch niemand zu Hilfe kommen wird. Ein Politiker also, der für alle erkennbar auf verlorenem Posten steht und die Angreifer dennoch warnt: 'Ihr werdet unsere Augen sehen, nicht unsere Rücken'" (SZ 24.2.2022).Wie sehr in diesem Framing die Person Wolodymyr Selenkyjs und der Ukraine in eins fallen, macht ein weiterer SZ-Artikel kurz nach Kriegsbeginn deutlich:"Russland will den Machtwechsel, erstes Kriegsziel ist die Vertreibung der ukrainischen Regierung und vor allem des Präsidenten […]. So wird einmal mehr klar, wie sehr der Ukrainer an der Spitze des Landes zum symbolischen Mittelpunkt dieses Krieges wird – und wie sein persönliches Schicksal mit dem Schicksal des Landes verknüpft ist" (SZ 25.2.2022).Die SZ bringt diesen Sachverhalt auf folgende griffige Formel: "Nimmt Russland die Ukraine ein und kontrolliert das Land, kann er [Selenskyj] sich nicht halten. Hält er sich aber, hat auch Russland die Ukraine noch nicht im Griff" (SZ 25.2.2022). Durch die Entscheidung, trotz unmittelbarer Gefahr für Leib und Leben, in Kyjiw zu bleiben, sei Selenskyj "zum Symbol des Durchhaltewillens der Ukrainer" (SZ 25.2.2022) geworden, und habe das Zeug dazu, eine "Symbolfigur für Freiheit und Demokratie" zu werden (SZ 28.2.2022).Der Held Selenskyj erscheint in diesem Framing als Zeitenwender, der möglich macht, was vor kurzem noch als unmöglich galt. So habe er "eine ungeheure Dynamik" in Gang gesetzt: "Sie führte über das Wochenende zu Sanktionen, die sich bis dahin niemand vorstellen konnte, und zu der Entscheidung, der Ukraine für eine halbe Milliarde Euro Waffen zu liefern" (FAZ 1.3.2022).Gleichzeitig verbirgt sich hinter der Heroisierung des ukrainischen Präsidenten auch eine unbequeme Wahrheit. So reflektiert die SZ durchaus selbstkritisch:"Zur Wahrheit des Helden Selenskij gehört deshalb auch: Helden gibt es nicht – es sei denn, wir erklären sie zu solchen. Und wenn wir einen Politiker zu einem solchen erklären, so haben wir das zugleich wieder zu hinterfragen. Und dass wir Selenskij nun zum modernen Helden erklären, sagt nicht nur viel über seinen sagenhaften Mut, sondern auch über unsere ewig lange Indifferenz" (SZ 28.2.2022).Das Framing Selenskyjs als Held kommt in der polnischen Presse ebenfalls zum Ausdruck. So berichtet die Gazeta Wyborcza über den "heroiczny opór" (GW 27.2.2022), welchen Selenskyj leiste. So titelt ein Kommentar in der Rzeczpospolita schlicht und ergreifend "Held" (Rz 28.2.2022). Durch sein Verhalten habe Selenskyj "Nachweis persönlichen Heldentums" erbracht (Rz 28.2.2022):"Angebote, die belagerte Hauptstadt zu verlassen, lehnte er ab. Er blieb bei seinen Wählern, seinem Volk. Er schickte seine Familie nicht in Sicherheit, was auf seinen unerschütterlichen Glauben an den Sieg der ukrainischen nationalen Sache hindeutet. Es ist wichtig, darüber in einfachen Worten zu schreiben, ohne unnötige Metaphern und Pathos. Denn Wolodymyr Selenskyj selbst ist heute Pathos" (Rz 28.2.2022).Und weiter:"Indem sie Kiew verteidigen, kämpfen sie [Selenskyj, Klitschko und andere] für die Freiheit ihres Volkes, aber auch für Polen und ganz Europa. Dies ist eine Lektion wahren Heldentums. Ein Vorbild für die ganze Welt. Ruhm den Helden der Ukraine, unseren Helden" (Rz 28.2.2022).Und ähnlich wie in Deutschland, framt auch die polnische Presse vor allem Selenskyjs Entscheidung in Kyjiw zu bleiben, als heldenhafte Tat. So schreibt die Rzeczpospolita:"In einigen westlichen Hauptstädten war ihm bereits mehrfach die Evakuierung angeboten worden. - Wir brauchen Munition, keine Mitfahrgelegenheit - antwortete er. In den Augen vieler Europäer ist Selenskyj heute die Nummer eins unter den Politikern, nicht Emmanuel Macron, Olaf Scholz oder Boris Johnson. Denn er ist es, der die Tore des freien Europas verteidigt" (Rz 28.2.2022).Der Anti-PutinSelenskyj wird auch als Gegenstück zum russischen Präsidenten, als "Anti-Putin", geframt. Dort der nahbare, in allen Facetten menschliche Mann des Volkes, dort der entrückte und unbarmherzige Machtpolitiker aus dem Kreml. Dieses Framing taucht auch in der polnischen Presse auf, ist auf der deutschen Seite jedoch wesentlich präsenter. Obwohl der ukrainische Präsident "ernst und entschlossen" wirke, so die FAZ, lasse er "selbst in dieser Lage noch die Freundlichkeit und den schnodderigen Ton durchscheinen, die ihn vor seiner Wahl zum Präsidenten als Schauspieler populär gemacht haben. Offensichtlich geht es ihm darum, einen möglichst großen Kontrast zwischen sich und Wladimir Putin zu erzeugen" (FAZ –28.2.2022): "Während Putin allein im Kreml sitzt, ist Selenskyj bei seinem Volk" (FAZ 28.2.2022).In einem weiteren Artikel schreibt die FAZ:"Selenskyj erscheint immer mehr als ein "Anti-Putin", jung, dynamisch und besorgt um seine Soldaten, die er in Krankenhäusern besucht. Er tritt im tarnfarbenen Hemd auf und wirkt gut in Form, während sich Russlands Dauerherrscher, der mal im Sakko, mal in Luxus-Daunenjacke zu sehen ist, abschottet und seinen Austausch darauf zu beschränken scheint, in Videoschalten ängstliche Untergebene zurechtzuweisen" (FAZ 29.3.2022).Und im gleichen Framing schreibt die SZ:"Wir sehen Selenskij draußen, in den Straßen von Kiew, unter dem freiem Himmel einer großen Stadt, wohin sich der von grotesken Großmöbeln umstellte russische Präsident nicht mehr zu trauen scheint: raus, auf die Straße, zu richtigen Menschen. Die Werte sind in den Bildern symbolisiert: hier ein mobiler, kämpfender primus inter pares, im Kreml ein Mann mit starrem Blick, bösen Gedanken, der sich hinter einem Pult verschanzt, das aussieht wie die Kulisse einer Hotelrezeption aus den frühen 80er Jahren. Putin droht und monologisiert, Selenskij spricht wie einer, den man beim Elternabend treffen könnte" (SZ 28.2.2022).Was in der deutschen Presse unter der Überschrift "Wolodymyr sticht Vladimir" (FAZ 29.3.2022) verhandelt wird, lautet in der polnischen Presse "David und Goliath, Held und Verkörperung des Bösen" (GW 27.2.2022). Ganz im Sinne der Gegenüberstellung von David und Goliath zeichnet die Gazeta Wyborcza den ukrainischen Präsidenten als "ehemaliger Komiker, der den Diktator im Kreml lächerlich macht" (GW 27.2.2022). Auch die Rzeczpospolita ruft diesen Frame auf, wenn sie Selenskyj als "David Europas" (Rz 28.2.2022) bezeichnet und schreibt: "Er hat den russischen Goliath noch nicht besiegt, aber er ist bereits der mutigste Politiker der demokratischen Welt" (Rz 28.2.2022).Auch wenn das Framing als "Anti-Putin" Selenskyj in einem überaus positiven Licht erscheinen lässt, so wird ebenfalls deutlich, dass zur Erklärung und zum Verständnis von Selenskyj (bzw. der Ukraine) offenbar Putin (bzw. Russland) als Referenzpunkt unverzichtbar bleibt. Während in der analysierten deutschen Presse Selenskyj sich in puncto Sympathie positiv von Wladimir Putin unterscheidet, ist es auf der polnischen Seite die Rolle des Underdogs, in der Selenskyj sich der russischen Übermacht zu erwehren sucht.Der ewige SchauspielerUngeachtet des Respekts, den die deutsche und polnische Presse dem ukrainischen Präsidenten ob seiner politischen Leistung im Angesicht des russischen Angriffskriegs zollt, bleibt Selenskyjs berufliche Vergangenheit als Schauspieler ein Fixpunkt im Framing des Präsidenten. So bemerkt etwa die SZ zur Rede Selenskyjs vor den europäischen Staats- und Regierungschefs: "Es sind eindringliche Worte, und als ehemaliger Schauspieler weiß Selenskij, wie man einer Botschaft noch mehr Wirkung verschafft" (SZ 1.3.2022). Und die FAZ stellt bereits vor Kriegsausbruch fest: "Der ukrainische Präsident beherrscht den Einsatz von Pathos" (FAZ 24.2.2022). Durch den Verweis auf die Schauspielkunst des ukrainischen Präsidenten wird allerdings weniger der Inszenierungscharakter seiner Person betont, sondern vielmehr gewürdigt, dass hier ein Politiker sein rhetorisches Handwerk versteht. Hierin unterscheidet sich der Schauspieler-Frame des Jahres 2022 sowohl in der untersuchten deutschen wie auch in der polnischen Presse fundamental vom Schauspieler-Frame des Jahres 2019, als Selenskyjs berufliche Vergangenheit vor allem mit einem Mangel sowohl an politischer Erfahrung als auch an Ernsthaftigkeit assoziiert worden ist.Auch in der polnischen Presse ist dieses Framing anzutreffen. So schreibt etwa die Gazeta Wyborcza: "Selenskyj scheint auf die Rolle seines Lebens gewartet zu haben. Schließlich ist er Schauspieler von Beruf" (GW 27.2.2022). Ein weiterer Artikel der gleichen Zeitung fragt schließlich explizit: "Ist es gut, dass Wolodymyr Selenskyj Schauspieler von Beruf ist, oder ist es schlecht?" (GW 1.4.2022). Mit offener Bewunderung für den ukrainischen Präsidenten heißt es: "Die Größe des Schauspielers [...] liegt darin, dass er eine Rolle annimmt, die nicht von einem Autor, sondern vom Schicksal geschrieben wurde, eine Rolle, die ihn zwingt, ständig zu improvisieren, und dass er bereit ist, für diese Rolle sein Leben zu opfern" (GW 1.4.2022).Ähnlich wie in der deutschen Presse wird auch hier die Schauspielkunst des ukrainischen Präsidenten nicht als Manko, sondern vielmehr als "Gabe" (GW 1.4.2022) geframt. "Denn wahre Schauspielkunst ist reine Wahrheit. Schließlich gibt es für einen Schauspieler kein schlimmeres Urteil, als wenn ihm gesagt wird, er sei unwirklich gewesen. Ein Schauspieler, der eine Rolle annimmt, nimmt das Schicksal der Figur, die er darstellt, auf seine Schultern - oder besser gesagt: in sich, seinen Körper und seinen Geist auf" (GW 1.4.2022).FazitDas diesem Beitrag zugrunde liegende Sample umfasst lediglich je zwei deutsche und zwei polnische Tageszeitungen, und sind somit weder für den deutschen noch den polnischen Zeitungsmarkt repräsentativ. Dennoch lassen sich sowohl Zeitungs- als auch Ländergrenzen überspannende Frames identifizieren, die das Bild, das von der Person Wolodymyr Selenskyjs gezeichnet wird, bestimmen. Offensichtlich greifen unterschiedliche Autoren unterschiedlicher Zeitungen aus unterschiedlichen Ländern auf die gleichen Frames in ihrer Berichterstattung zurück. Insgesamt lassen sich in Bezug auf das Character-Framing der Person Wolodymyr Selenskyjs in der untersuchten deutschen und polnischen Presseberichterstattung ähnliche Muster erkennen, die sich jedoch im Hinblick auf die Akzentuierung unterscheiden. Sowohl in der deutschen als auch in der polnischen Presse wird der Wandel betont, den Selenskyj im Laufe seiner seit 2019 andauernden politischen Laufbahn vollzogen hat: vom Schauspieler und kritisch beäugten Newcomer in der Politik zum geachteten und bisweilen bewunderten Staatsmann. Während die Dimension des Wandels in der untersuchten Berichterstattung beider Länder vergleichbar ist, lassen sich dennoch Unterschiede ausmachen. So arbeitet die analysierte deutsche Presse vor allem den Novizen-Charakter Selenskyjs als politischer Quereinsteiger heraus und leitet hiervon eine durchaus negativ konnotierte Bewertung der politischen Kultur der Ukraine insgesamt ab. Die untersuchte polnische Presse hingegen konzentriert sich weniger stark auf die Gefahren, die von einem politisch Unerfahrenen ausgehen. Stattdessen liegt der Fokus auf der Heldenrolle, die Selenskyj seit Beginn der russischen Invasion eingenommen habe. Eine weitere Gemeinsamkeit der deutschen wie polnischen Presseberichterstattung liegt darin, dass Selenskyj 2022 in beiden Fällen weitgehend unkritisch dargestellt wird und der Respekt sowie die Bewunderung gegenüber seiner Person, und damit mittelbar auch der Ukraine, überwiegen. Dies ist insofern bemerkenswert, als die Ukraine lange Zeit vor allem als defizitäres Staatsgebilde gezeichnet worden ist, in dem jegliche Reformanstrengung letztendlich an den eigenen politischen Eliten, und damit gewissermaßen an sich selbst scheitert. Das Framing Selenskyjs der sich im Krieg vom Komiker zum ernstzunehmenden Staatsmann entwickelt, spiegelt somit auch das Framing der Ukraine selbst wieder, die sich zumindest in den hier untersuchten Medien, von einem scheiternden Staat zu einem respektierten Verteidiger demokratischer Werte gewandelt hat. Und schließlich ist es die berufliche Vergangenheit als Schauspieler, die sowohl in Deutschland als auch in Polen 2022 gänzlich anders geframt wird, als dies noch 2019 der Fall war. Wurde dem ukrainischen Präsidenten die Schauspielerei 2019 noch als Unerfahrenheit und mangelnde Ernsthaftigkeit angesichts der gewaltigen politischen Verantwortung des Amtes ausgelegt, so erschien Selenskyjs Erfahrung auf der Bühne und vor der Kamera 2022 in einem weit positiveren Licht. Nun diente seine schauspielerische Vergangenheit als Erklärung für sein rethorisches Geschick, mit dem er seine politischen Botschaften übermittelte. BibliografieBrosius, Hans-Bernd; Dan, Viorela (2020): Framing im Nachrichtenjournalismus. In: Tanja Köhler (Hrsg.): Fake-News, Framing, Fact-Checking: Nachrichten im digitalen Zeitalter. Ein Handbuch. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 265–282.Łada, Agnieszka; Sendhardt, Bastian (2021): Das Bild der Krise. Wie schrieben die deutsche und die polnische Presse über das jeweilige Nachbarland im ersten Halbjahr 2020? Darmstadt, Warschau: Deutsches Polen-Institut; Institut für Öffentliche Angelegenheiten.Wehling, Elisabeth (2017): Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet - und daraus Politik macht, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. [1] Weitere Beispiele: "Der Komiker Selenskyj, der keine Regierungserfahrung hat" (FAZ 22.4.2019); "Entscheidung der Ukraine für einen erfolgreichen Showman" (FAZ 21.4.2019); "prowestliche Schauspieler Selenskyj" (FAZ 22.4.2019).
Der Text entstand im Rahmen des Projekts "Akteure, Felder, Wege – deutsch-polnische Kommunikation: Miteinander und übereinander", welches das Institut für Öffentliche Angelegenheiten und das Deutsche Polen-Institut dank der finanziellen Förderung durch die Deutsch-Polnische Wissenschaftsstiftung durchführen.