Im Mittelpunkt der Fachtagung 2009 an der Universität Siegen stand die Frage nach der Leistungsfähigkeit der ambulanten Hilfen zur Erziehung. Diese Frage hat unterschiedliche Anschlüsse. Gesellschaftspolitisch kann man sie vielleicht so formulieren: Was können die ambulanten Erziehungshilfen für die Menschen, die zu ihren Klientinnen und Klienten werden, leisten? Oder provokativer formuliert: Wieso kommt es trotz eines in den letzten 20 Jahren immer weiter ausgebauten Netzes ambulanter Hilfen zur Erziehung mit einer erheblichen Kostensteigerung immer wieder dazu, dass Kinder in ihren Familien elend ums Leben kommen, manchmal sogar obwohl z. B. eine SPFH in der Familie stattfand?
Die Wirksamkeit sozialer Dienstleistungen steht seit geraumer Zeit im Fokus fachlicher wie auch gesellschaftspolitischer Debatten. Dabei geht es einerseits um die Frage danach, welche Wirkungen solche Dienstleistungen für die damit adressierten Personengruppen entfalten können und inwieweit den individuellen Unterstützungs- oder Hilfebedarfen, in den je gegebenen Strukturen und Kontexten, angemessen begegnet wird. Zum anderen steht – mit Blick auf die Finanzierung und Steuerung der Angebote – auch deren effiziente und zielgerichtete Erbringung im Fokus. Vor diesem Hintergrund widmen sich Dirk Nüsken und Wolfgang Böttcher dem Feld der Kinder- und Jugendhilfe: mit ihrer als Basistext ausgewiesenen Publikation, geben sie einen detaillierten Einblick in die Wirkungsforschung und -debatte zum Spektrum der im deutschen Sozialgesetzbuch (SGB VIII) als "Hilfen zur Erziehung" kodifizierten Angebote für junge Menschen und deren Familien. Dazu beziehen sie Studien und Evaluationen seit den 1950er Jahren ein und stellen teils auch Bezüge zu historischen Debatten her.
Wenn man Akten von Jugendämtern auswertet, so lassen sich die häufigsten Gründe für Erziehungshilfen herausarbeiten: 1. Verhaltensauffälligkeiten und Erziehungsschwierigkeiten, also Schwierigkeiten von einzelnen Subjekten 2. Wohnverhältnisse und Armut/Schulden, also Probleme durch gesellschaftliche Strukturen Vor allem für Alleinerziehende, die unter der Klientel von Erziehungshilfen zahlreich sind, spielen materielle Probleme eine große Rolle; auch insgesamt sind arme Menschen in der Kinder- und Jugendhilfe überrepräsentiert.
Dissertation Esser Inhaltsangabe Im ersten Kapitel wird die stationäre Erziehungshilfe dargestellt. Es erfolgt zunächst eine terminologische Klärung, daran schließt sich die Erläuterung der stationären Erziehungshilfe als ein vielschichtiges System gesetzlicher, politischer, institutionell-konzeptioneller und interaktional-kommunikativer Strukturen an. Die theoriebezogenen und fachpolitischen Diskurse und Zusammenhänge werden in ihrer historischen Entwicklung und ihrer aktuellen und perspektivischen Bedeutung dargelegt. Im Fokus steht die stationäre Erziehungshilfe als der Teil der Erziehungshilfe mit den weitesten historischen Wurzeln, dem tiefsten Einschnitt in die Biografien der Betroffenen und den umfassendsten pädagogischen Aufträgen. Im zweiten Kapitel erfolgt eine Darstellung der historischen Entwicklung der Heimerziehung und der Paradigmen und Theorien, die die konzeptionellen Grundlagen für die Arbeit der stationären Hilfen sind. Im Anschluss erfolgt eine Fokussierung auf die neueren Entwicklungen nach dem Inkrafttreten des KJHG von 1991 bis heute. Exemplarisch für die theoretische und praxisbezogene Entwicklung einer Reihe von Konzepten, die in der stationären Jugendhilfe Anwendung finden, werden die Erlebnispädagogik und ihre Verbindung zur Psychomotorik dargestellt. Die Bedeutung dieses methodischen Feldes für die Adressaten in der Heimerziehung wird in der später dargestellten Ehemaligenbefragung sichtbar. Die neueren fachlichen Entwicklungen in der Jugendhilfe korrespondieren mit dem sozialpolitischen und dem Qualitäts-Diskurs. Zugleich gibt es eine Reihe von konzeptionellen Weiterentwicklungen einzelner Bereiche, die die stationäre Jugendhilfe transformierten. Einrichtungen der stationären Jugendhilfe sind heute in der Regel differenzierte Fachinstitutionen, die regionale, ambulante, präventive und spezielle Hilfeformen vorhalten. Die verschiedenen Entwicklungslinien von der historischen Herkunft der Heime bis in die fachlichen Entwicklungen der jüngeren Zeit versucht die vorliegende Arbeit darzustellen. Sie bilden den fachlichen Kontext, in den die Bewertungen und Rückmeldungen der Ehemaligen im empirischen Teil einzuordnen sind. Im dritten Kapitel erfolgt die theoretische Auseinandersetzung mit den Methoden, Ansätzen und Praxisbezügen der Qualitätsentwicklung in der stationären Erziehungshilfe. Daran schließt sich die Darstellung der Wirkungsforschung in der Erziehungshilfe mit ihren theoretischen Implikationen und den Praxisbezügen an. Die Wirkungsforschung hat im Rahmen der Diskussion um Evidenz-basierte Sozialarbeit erheblichen Anteil an der Diskussion um den Einsatz staatlicher Mittel und den geforderten Nachweis der Wirksamkeit dieses Einsatzes. Sie fördert damit die Vorstellung, den Mitteleinsatz wirkungsorientiert steuern zu können. Auf der anderen Seite hat die Wirkungsforschung eine Reihe qualitativer und quantitativer Untersuchungen hervorgebracht, die Hinweise zu Wirkfaktoren und Wirkungszusammenhängen geben. Die Ergebnisse der jüngeren Forschungsperiode werden in dieser Arbeit im Sinne einer Metaanalyse auf wirkmächtige Faktoren hin untersucht und diese werden in einer Synopse zusammengeführt. Am Ende des empirischen Teils wird diese Synopse mit den Ergebnissen der Befragung der ehemaligen Heimkinder zusammengeführt und in Relation gesetzt. Im Empirischen Teil der Arbeit wird die Befragung der ehemaligen Heimkinder vorgestellt, die mit sechs Jugendhilfeeinrichtungen in drei Bundesländern durchgeführt wurde. Mit einer exemplarischen Einzelfallstudie wird in das subjektive Erleben einzelner Menschen eingeführt, die unter ihrer Kindheit im Heim schwer gelitten haben. Zugleich wird die bundesweite Diskussion über die Zustände in deutschen Heimen in den 50er bis 70er Jahren dargestellt, die durch ähnliche Berichte ehemaliger Heimkinder ausgelöst wurde. Sie sehen ihre Vergangenheit als systematische Unterdrückung an und fordern Wiedergutmachung. Für die Befragung der Ehemaligen war dies der Hintergrund, auf dem die Fragen entstanden sind: welche Qualitäten und welche - positiven wie negativen - Erfahrungen haben die Ehemaligen wahrgenommen und wie bedeutsam waren diese aus ihrer subjektiven Sicht? Welche Merkmale der Einrichtung waren hilfreich, welche waren belastend? Welche Bestandteile der Heime würden die Ehemaligen beibehalten und welche würden sie ändern? Wie geht es den Ehemaligen in ihrem heutigen Leben? Wie nachhaltig wirken die belastenden und die hilfreichen Faktoren? Die biografischen Einordnungen der Ehemaligen werden quantitativ und qualitativ ausgewertet. Sie bilden einen eigenständigen Beitrag zur differenzierten retrospektiven Bewertung der Qualitäten und Entwicklungen der stationären Jugendhilfe. Es wird erstmalig auf breiter empirischer Basis der Impact der stationären Jugendhilfe systematisch erfasst. Damit bietet diese Arbeit einen eigenen wissenschaftlichen Beitrag zur Wirkungsforschung in der Jugendhilfe.
Die Situationsanalyse diente dazu herauszufinden, welche Förderung und Erziehungshilfen die Kinder, die die Spiel- und Lernstube besuchen, für eine gesunde Entwicklung brauchen und die sie zunächst außerhalb der Einrichtung nicht bekommen können. Die Situationsanalyse setzt sich aus folgenden Dimensionen zusammen: 1. Einzugsgebiet 2. Lebenslagen der Familien aus Sicht der Mitarbeiter*innen 3. Politische Entwicklung 4. Befragungen der Kinder, Eltern und Lehrer*innen. Die Analysedimensionen eins bis drei wurden von den Mitarbeiter*innen der Einrichtung erarbeitet. Die vierte Analysedimension wurde im Dezember 2015 von Studierenden der Hochschule Koblenz im Rahmen eines Lehrforschungsprojektes im Bachelorstudiengang Soziale Arbeit im Seminar "Einführung in die Grundlagen und Methoden der Sozialraumorientierung" durchgeführt. In diesem Arbeistbericht werden die Ergebnisse des Lehrforschungsprojekts dargestellt.
Der Artikel beschäftigt sich mit der Definition problematischen sexuellen Verhaltens bei Kindern und Jugendlichen und geht der Frage nach, in welchem Umfang das System der Erziehungshilfen in Deutschland mit Klienten konfrontiert ist, die sexuelle Auffälligkeiten zeigen. Erstmalig kann durch eine Sekundärauswertung der Daten aus EVAS ("Evaluationssystem erzieherischer Hilfen"), einem fragebogengestützten Verfahren, das Einrichtungen der Jugendhilfe bei der Qualitätssicherung unterstützt, eine Einschätzung des Problemumfangs vorgenommen werden. Daten von über 5.000 Kindern und Jugendlichen aus einem, zum Beginn von Erziehungshilfen nach den § 32 und 34 SGB VIII ausgefüllten Fragebogen werden ausgewertet. Die gewonnenen Informationen betreffen das Vorkommen von auffälligem Sexualverhalten und Störungen des Sexualverhaltens, Komorbiditäten, Ressourcen, psychosoziale Belastungen, Aufnahmeanlässe und die bisherigen Jugendhilfekarrieren. Klienten mit nicht-sexuellen Problemen fungieren als klinische Kontrollgruppe. Schlagwörter Problematisches Sexualverhalten - psychische Störung - Kinder- und Jugendhilfe- Sekundäranalyse - Evaluationsfragebogen ; The article considers how sexual behaviour problems in children and adolescents can be defined and investigates the degree to which the system of child welfare in Germany is confronted with clients demonstrating different kinds of problematic sexual behaviour. For the first time, the magnitude of this problem can be estimated by a secondary analysis of data from EVAS ("Evaluation System for Child and Adolescent Welfare Services"), a questionnaire-based evaluation system which supports youth care providers in their quality management. Data on more than 5,000 children and adolescents provided by a questionnaire completed at the point of admission to support services, as defined by paragraphs 32 or 34 SGB VIII (German Child Welfare legislation), is analysed. Information is provided on; prevalence of sexual behaviour problems and disorders of sexual behaviour; comorbidity; ...
Der aktuelle politische Diskurs um eine "Weiterentwicklung und Steuerung der Kinder- und Jugendhilfe" versucht, die Ambulante Hilfe zur Erziehung zu diskreditieren und zurückzudrängen. Das vorliegende "Plädoyer" mischt sich fachlich und politisch in diese Auseinandersetzung ein. Dabei leisten die AutorInnen eine kritische Einschätzung der gegenwärtigen Lage der Kinder- und Jugendhilfe und insbesondere der Hilfen zur Erziehung und zeichnen den Prozess der Auseinandersetzung um die "Weiterentwicklung und Steuerung der Hilfen zur Erziehung" nach. Anhand der ausführlichen Darstellung und Analyse der beiden grundsätzlichen Handlungsansätze in der Sozialen Arbeit (Soziale Arbeit im und mit dem Sozialraum einerseits und Einzelfallarbeit, u.a. Hilfen zur Erziehung andererseits) befasst sie sich mit der Frage, ob die von der Politik behauptete Kontroverse zwischen den beiden Handlungsansätzen fachlich gerechtfertigt ist. In diesem Kontext werden die beiden Handlungsansätze in ihrer Geschichte und Entwicklung und in ihren unterschiedlichen Konzeptionen dargestellt. Dabei ergibt sich außer einem klaren Plädoyer für die Erhaltung und konsequent fachliche Gestaltung der Hilfen zur Erziehung im Rahmen der Lebensweltorientierung die Erkenntnis, dass Soziale Arbeit generell – und insbesondere in Zeiten einer Neoliberalisierung des Sozialen – einer Individualisierungsgefahr unterliegt. Andererseits ist es aber innerhalb beider Ansätze auch heute möglich, diese Tendenz abzuwehren und als kritische Kraft dieser Gesellschaft zu wirken. (Verl.)
Entstanden aus dem Engagement von Psychiatern einerseits und Jugendfürsorgern andererseits hat Erziehungsberatung sich in ihrer Geschichte der Mittel der Psychotherapie bedient und ihre Praxis zugleich auf Pädagogik bezogen. Erst in den 1980er Jahren hat sich unter dem Eindruck eines möglichen Psychotherapeutengesetzes eine Debatte darüber entwickelt, ob Erziehungsberatung auch heilkundlichen Charakter habe. Die vorliegende Darstellung zeichnet ausgewählte Beiträge dieser Fachdiskussion und wesentliche fachpolitische Entwicklungen nach, die die Erziehungs- und Familienberatung im Ergebnis als eine Psychotherapie eigener Art konturiert haben. (DIPF/Orig.)
Umfassend beschreibt der Autor die behördliche Aufsicht über Einrichtungen der stationären Hilfen zur Erziehung. Dabei beleuchtet er ein bisher kaum erforschtes Arbeitsfeld der Kinder- und Jugendhilfe aus mehreren Blickwinkeln. Er arbeitet Recht, Strukturen und Geschichte der "Heimaufsicht" auf und stellt darauf aufbauend die Ergebnisse eigener empirischer Untersuchungen vor. Der Autor analysiert das professionelle Selbstverständnis von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zweier Landesjugendämter auf der Grundlage teilnehmender Beobachtungen. Ergänzt wird dies durch Ergebnisse einer bundesweiten Befragung von Einrichtungsträgern. Aufgezeigt werden Widersprüche und Klärungsbedarf hinsichtlich der Aufgaben und der Rolle der Einrichtungsaufsicht, aber auch Perspektiven für eine strukturelle Weiterentwicklung. Als zentrale Bedingung für eine funktionale Aufsichtspraxis identifiziert der Autor eine konstruktive und strukturelle Verknüpfung von Kontrolle und Vertrauen. Die Aufarbeitung bietet sowohl für die wissenschaftliche und fachpolitische Debatte zum Kinderschutz als auch für Akteure in der sozialpädagogischen Praxis einen weitreichenden Einblick und eine detaillierte Analyse des Arbeitsfeldes. (DIPF/Autor)
Im Mittelpunkt des Beitrags steht die Frage, ob das Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) von 1991 sich zurecht dem Vorwurf ausgesetzt sieht, es sei vielmehr ein Elternhilfegesetz als ein wirklich zeitgemäßes Gesetz, welches auch den Noten und Bedürfnissen von Kindern gerecht wird. Der Beitrag geht insbesondere der Frage nach, ob die von der Verfassung geforderte prekäre Balance bei einem Konflikt zwischen Elternrecht und Kindeswohl auch vom Gesetzgeber des KJHG genügend beachtet worden ist. Ob das Kindeswohl im Einzelfall gefährdet ist, und welche Strategien zur Gefährdungsbegrenzung Erfolg versprechen, kann häufig nur interdisziplinär beantwortet werden, Kompetenzen von Kinderpsychologen und -psychiatern sollten verstärkt auch für die Problemerfassung und Entscheidungsfindung in der Jugendhilfe ausgeschöpft werden. (DIPF/ Orig.) ; The central question of this article is whether the Law for Children and Youth Aid (Kinder- und Jugendhilfegesetz KJHG) from 1991 is justly accused of being more a Law for Parent Aid than a law in keeping with the times which also does justice to the problems and needs of children. The article especially pursues the question whether the legislator of the KJHG considers the precarious balance of a conflict between parental rights and children's welfare as lequired by the Constitution Whether the child's welfare is endangered in an individual case and which strategies to limit further dangers are promising can often only be answered in an interdisciplinary manner, competencies from child psychologists and child psychiatrists should be utilized more extensively to determine problems and find decisions in youth care. (DIPF/ Orig.)
Das "Jahrbuch für Historische Bildungsforschung" widmet sich in interdisziplinärer Orientierung der historischen Analyse von Bildung, Erziehung und Sozialisation, den alltäglichen und institutionellen Bedingungen des Aufwachsens, der Geschichte von Kindheit und Jugend und von Medien der Vergesellschaftung. Band 11 (2005) erinnert mit dem Themenschwerpunkt "Gesundheit, Körperlichkeit, Erziehung" an Ambitionen und Kontexte pädagogischer Reformbewegungen, die in ihrem Erscheinungsbild gelegentlich unvertraut sind, aber in den Konsequenzen nicht selten funktional äquivalent der dominierenden Pädagogik: Gesundheitsratgeber und Sittengeschichten belegen ebenso wie Naturheilkunde oder Abstinenzprogramme als Muster der Lebensordnung in Landerziehungsheimen, dass auch die befreienden pädagogischen Programme Pädagogik bleiben. Die Abhandlungen beginnen mit Analysen zur Sozialisation im Adel der Barockzeit und zu bürgerlichen Erziehungsprogrammen der Aufklärung, fragen nach der Rolle von Politikern (in der Schweiz) und Schulräten (in Bayern) bei der Reform des Bildungswesens, untersuchen die Konstruktion von Lebensläufen bei den Herrnhutern, von Sozialer Arbeit im Berlin der Weimarer Republik und von antisemitischen Feindbildern in Lesebüchern nach 1933. Eine Studie über die Rezeption deutscher Pädagogik in Japan zeigt die Wirkung einer Tradition, die heute historisch wird. Quelle und Kommentar gelten 2005 selbstverständlich Friedrich Schiller. Sie können zeigen, dass nicht erst sein aktuelles Bild sich retrospektiver Konstruktion verdankt, sondern seine Selbst- wie Fremdwahrnehmung kontinuierlich aus der Auseinandersetzung mit Zuschreibungen bestimmt ist. (DIPF/Orig.)