"Welchen Rolle kann Westeuropa in der seit 1989 radikal veränderten Weltordnung spielen? Was überhaupt ist gemeint, wenn von 'Europa' die Rede ist? In den folgenden Überlegungen beschäftige ich mich mit der soziologischen Seite der europäischen Integration. Untersucht wird, (1) wie Europa als Sozialraum eigener Art abgegrenzt werden kann, (2) ob Europa einen erkennbar eigenständigen und darüber hinaus in den Grundzügen ähnlichen Kern sozialer Institutionen aufweist, (3) weiche Zukunftsaussichten das durch diese Institutionen gekennzeichnete 'europäische Modell' vornehmlich in ökonomischer Hinsicht besitzt. Sind die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Muster, wie sie sich im kontinentalen Kerneuropa herausgebildet haben, im internationalen Wettbewerb weiterhin anpassungs- und leistungsfähig genug, um bestehen zu können?" (Autorenreferat)
Ausgangspunkt der Überlegungen des Autors ist die Dialektik aus Krise und Reform, welche den europäischen Integrationsprozess immer begleitet hat. Die Weisenräte haben hierbei teilweise als Impulsgeber für Wege aus der Krise fungiert, indem sie ein Orientierungswissen für die langfristige Planung generierten, dessen sich die Politik bedienen konnte. Der Autor identifiziert vier Erfolgskriterien, welche den Einfluss einer solchen Beratergruppe bestimmen: (1) das Vorhandsein eines Problembewusstseins bei allen beteiligten Akteuren, (2) die Fähigkeit zu strategischem Denken über das Situative hinaus, (3) die Existenz von politischer Macht sowie (4) die Schaffung einer entsprechenden politischen Infrastruktur. Die Bedeutung dieser Kriterien und deren Zusammenwirken verdeutlicht der Autor in einem historischen Rückblick - angefangen mit der Spaak-Gruppe von 1956. Seit den 1980er Jahren ist der Bedarf an strategischer Expertise noch gestiegen, wie z.B. der Werner-Plan, der Tindemans-Bericht oder der Delors-Bericht verdeutlichen. Als Konsequenz für die Reflexionsgruppe zieht der Autor folgende Bilanz: Die politische Infrastruktur ist schwach, der politische Wille zu weiteren Reformen ist nach dem Reformmarathon der letzten Jahre verbraucht und die Erfolgschancen der Gruppe um Gonzalez sind verglichen mit früheren Erfolgsmodellen wie den Delors-Initiativen relativ gering. (ICI2)
In: Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede: Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München. Teilbd. 1 und 2, S. 2093-2104
"In der Diskussion über die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts wurde hitzig um den "Doppelpass" gestritten - allgemein wird er als Anomalie, wenn nicht gar als Pathologieverstanden: als Ausdruck eines "Identitätsdefekts" und Hemmnis für die "Integration", schließlich gar als Ursache von "Loyalitätskonflikten". Dabei wird ausgeblendet, dass eine mindestens sechsstellige Zahl von Deutschen längst zwei Pässe besitzt - auch ohne Nachweis von "Integration" oder auch nur deutsche Sprachkenntnisse. Dabei handelt es sich insbesondere um polnische Oberschlesier, die die deutsche Staatsangehörigkeit beantragen können, sofern sie diese von einem Vorfahren ableiten können. Die entsprechende Gruppe wird allgemein als "deutsche Minderheit" bezeichnet; allerdings galt sie historisch aus Sicht des deutschen wie polnischen Nationalstaats als "ethnisch unrein", da ihre Identitätsbildung nicht oder zumindest nicht primär entlang nationaler Kategorien erfolgte. Heute werden sie erneut zu einer Herausforderung für den Nationalstaat und zwingen zur Hinterfragung der Semantik von "Identität - Nationalität - Leitkultur - Integration". In der Herausbildung eines transnationalen Migrationssystems spielen sie eine wichtige Rolle; aufgrund ihrer juristischen Position (die ihnen bereits seit Jahren den legalen EU-Arbeitsmarkt öffnet), sowie ihrer traditionell "hybriden" Identität scheinen sie als Pioniere einer transnationalen Identitätsbildung geradezu prädestiniert zu sein. An historischen Beispielen und Interviews mit Arbeitsmigranten lässt sich zeigen, dass das Konstrukt "Nationalität" für die Betroffenen - trotz teilweise starker emotionaler Identifizierung mit einem (teilweise deutsch konnotierten) "Schlesiertum" - häufig etwas sehr Abstraktes ist, mit dem sie rational-instrumentell umgehen. Es ist zu fragen, ob dieses "schwebende Volkstum" tatsächlich nur eine durch ganz spezifische Umstände zustande gekommene Anomalie ist, oder ob es sich um ein Phänomen handelt, das viel ernster genommen werden muss, da es über eine künftige "Transnationalisierung" ethnischer Verhältnisse im europäischen Kontext Aufschluss geben könnte." (Autorenreferat)
Die Verfasserin stellt das Bundesmodellprogramm "Erfahrungswissen für Initiativen" vor, dessen Ziel es war, das Erfahrungswissen älterer Menschen durch die Ausbildung sogenannter seniorTrainerInnen für Initiativen, Vereine und Einrichtungen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen zu aktivieren und nutzbar zu machen. Das Rollenmodell "seniorTrainerIn" stellt ein Angebot zur Rollenfindung für Ältere dar, das den besonderen biographischen Erfahrungen der neuen Altengeneration Rechnung trägt. Die Konzeption zur Nutzung des Erfahrungswissens Älterer umfasst vier Kernelemente: eine Anlaufstelle für bürgerschaftliches Engagement, eine Bildungseinrichtung, eine seniorKompetenzteam und die seniorTrainerInnen. Die seniorTrainerInnen verstehen sich als Unterstützer und Berater, Initiatoren neuer Projekte, Vernetzer im Gemeinwesen sowie Moderatoren und Koordinatoren. Bundesweit sind ca. 1000 seniorTrainerInnen aktiv. Die Gründung des Vereins "EFI Deutschland e.V." verstetigte die Arbeit des Modellprogramms in Deutschland; auf europäischer Ebene gibt es ähnliche Projekte wie beispielsweise das EU-Projekt "Lifelong Learning and Active Citizenship in Europe's Ageing Society (LACE)". (ICE2)
In: Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. Teilbd. 1 u. 2, S. 2614-2623
"Die europäische und auch bundesdeutsche Ungleichheitsforschung steht aus guten Gründen in der Tradition, in erster Linie kategoriale Konzepte zur Messung sozialer Ungleichheit zu verwenden (z.B. Klassen, Schichten, Milieus, Berufsgruppierungen). Während sich im nationalen Kontext einige Deutschland-spezifische Konzepte etablieren konnten (z.B. Stellung im Beruf/ Betrieb), ist es in internationalen Untersuchungen vor allem das Erikson-Goldthorpe-Klassenschema (EGP), das eine vergleichbare Messung von sozialer Ungleichheit herstellen kann. Das Problem des EGP-Klassenschemas besteht jedoch in der zum Teil mittlerweile veralteten Klasseneinteilung und der je nach Land unterschiedlichen Generierung des Klassenschemas. In Deutschland beispielsweise werden Informationen (u.a. Stellung im Beruf/ Betrieb) zur Generierung dieses Klassenschemas herangezogen, die es in dieser Detailliertheit in vielen anderen Ländern nicht gibt. Ziel der neuen Europäischen Sozio-ökonomischen Klassifikation (ESeC) ist es, die Vergleichbarkeit sozialer Disparitäten in Europa deutlich zu verbessern. Die Klassifikation stellt konzeptionell eine Weiterentwicklung des bisherigen EGP-Klassenschemas dar und garantiert eine einheitliche Messung der sozio-ökonomischen Positionen von Individuen und Haushalten in Europa. Die neue Klassifikation wird aller Voraussicht nach in die amtlichen Statistiken aller 25 EU-Staaten eingehen (für Deutschland z.B. in den Mikrozensus, die Arbeitskräfteerhebung, EU-SILC) und soll eine möglichst große Verbreitung in europaweiten und nationalen wissenschaftlichen Umfragen finden. Sie ermöglicht somit einen genaueren deskriptiven Vergleich zwischen den EU-Ländern und eröffnet insbesondere für Wissenschaftler/innen eine Vielzahl von Möglichkeiten für Zusammenhangsanalysen in den verschiedensten Bereichen der Ungleichheitsforschung. Entwickelt wird diese neue Klassifikation als EU-Projekt von einem Konsortium, in dem international erfahrene Ungleichheitsforscher unter der Leitung von David Rose vereinigt sind ( http://www.iser.essex.ac.uk/esec ). Im Rahmen der Sektionssitzung zu aktuellen Forschungsprojekten möchten die Verfasser als deutsche Vertreter/innen des Konsortiums den Prototypen dieser neuen Klassifikation vorstellen und die Klassifikation einer kritischen Diskussion der Sektionsmitglieder aussetzen. Der Vortrag soll sich in fünf Teile aufgliedern: Im ersten Schritt möchten sie die konzeptionellen Grundlagen der Klassifikation erläutern und dabei vor allem die Weiterentwicklungen im Vergleich zu dem EGP-Klassenschema hervorheben. Es folgt zweitens eine kurze Darstellung der Operationalisierung von ESeC. Als Schwerpunkt werden drittens mehrere Analysen zur Kriteriums- und Konstruktvalidität des neuen Klassenschemas für Deutschland vorgestellt, basierend auf Daten des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB-IAB-Erhebung 1998/1999) und des sozio-ökonomischen Panels. Viertens erfolgt ein Vergleich der Performanz der neuen Klassifikation zu bestehenden nationalen und internationalen Konzepten zur Messung sozialer Ungleichheit. Eine ausführliche Diskussion über die Vor- und Nachteile der neuen Klassifikation für Analysen im nationalen und internationalen Kontext beschließen die Vorstellung der neuen Klassifikation." (Autorenreferat)
"This paper is concerned with the projection of migration flows from Eastern European countries. In the first step, two versions of a stock-adjustment model are estimated explaining the migration history for five Mediterranean countries. The first version uses a simple pooling approach, the second a fixed-effects estimator. Main determinants for the stock of migrants are income differentials, the output gap and dummy variables for EU membership and free labour mobility. In a second step, the estimated parameters are used for a prediction of the level of migration from Eastern European countries to Germany assuming two different convergence hypotheses." (Author's abstract, IAB-Doku) ((en))
"Many observers expect that Eastern Enlargement of the European Union (EU) will trigger a migration surge. In this paper a quantitative analysis of migration into Germany is provided for a panel of 18 source countries, in order to draw conclusions regarding potential migration from the East. The empirical model is based on the hypothesis that migration is a disequilibrium phenomenon, and will cease after an equilibrium between migration stocks and macro-economic variables such as income differentials is attained. This hypothesis is proved. Based on an error correction model, the speed of adjustment and equilibrium levels of migration stocks are analysed, and different scenarios for the implications of Eastern Enlargement are simulated. However, a considerable amount of uncertainty remains since we observe high heterogeneity in the migration behavior across countries." (Author's abstract, IAB-Doku) ((en))
Politische Kommunikation in sozialen Netzwerken wird wesentlich in Wahlkämpfen untersucht, vergleichende Analysen zwischen Wahlkampf und Alltag sind rar. Daher erfasst der Beitrag das dialogische Engagement von Regierungen vergleichend in Alltag und Wahlkampf im beliebtesten sozialen Netzwerk Facebook. Die Kommunikationsorientierung ist entweder distributiv, dialogisch oder reaktiv. Theoretisch basiert die Studie auf einem Modell der SNS-Kommunikation, das es ermöglicht, distributive, dialogische oder reaktive Kommunikationsorientierung voneinander abzugrenzen. Empirisch werden die Facebook-Auftritte dreier Regierungen (Deutschland, Österreich, Großbritannien) untersucht. Und zwar triangulativ: deskriptive Statistik und qualitative Exploration der Postings erfassen drei Zeiträume (Europawahlkampf 2014 und Vergleichszeiträume 2013 und 2015). Das Ergebnis zeigt Unterschiede zwischen Wahlkampf und Alltag, nämlich eine in Wahlkämpfen erhöhte Aktivität sowie eine distributive Orientierung und wenig Dialogbereitschaft.