Friedensforschung - normativ, interdisziplinär, praxisorientiert
In: Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland: eine Bestandsaufnahme, S. 23-32
Die Friedens- und Konfliktforschung der BRD entwickelt sich in den 1950er Jahren in Abkehr von der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges sowie in Reaktion auf die Gefahren des Kalten Krieges. Besonders die neue Bedrohung durch die atomaren Massenvernichtungswaffen macht die Notwendigkeit wissenschaftlicher Analysen deutlich, deren Methoden und Inhalte über den Rahmen der herkömmlichen Völkerrechtswissenschaft und der bisherigen Disziplin der Internationalen Beziehungen hinausgehen. Gefordert ist daher eine Friedenswissenschaft, die (1) international kooperiert; (2) interdisziplinäre Forschungsarbeit leistet; (3) der "Verbreitung des Friedensgedankens" auch durch Vermittlungs- und Öffentlichkeitsarbeit dient und (4) nicht zuletzt auf die grundsätzliche Abschaffung von Gewalt und Krieg als möglichen gesellschaftlichen und zwischenstaatlichen Verkehrsformen drängt, statt sie - wie bislang - lediglich einzuhegen und zu beschränken. Der vorliegende Beitrag zeigt, dass die bundesdeutsche Friedensforschung Frieden immer noch mehrheitlich im Sinne des negativen Friedensbegriffs als Abwesenheit von Krieg, das heißt als Nichtkrieg begreift. Der Autor hält es für ein Missverständnis von Friedensforschung und eine Selbsttäuschung der Friedensforscher, Vorstellungen zu entwickeln, die auf eine universale Konfliktwissenschaft - und da es überall auf der Welt und in allen gesellschaftlichen Beziehungen Konflikte gibt, heißt das de facto: "Universalwissenschaft" - hinauslaufen würden: "Die Folgen wären eine Verwischung der Begriffe und eine Entleerung der Werte: Frieden würde zu Demokratie, Demokratie zu Sicherheit, Sicherheit zu Freiheit etc. mit der Konsequenz, dass Friedensforschung identisch wäre mit Demokratiewissenschaft." (ICA2)