Das Gedächtnis der Politik
In: Zeitschrift für Politik: ZfP, Band 42, Heft 2, S. 109-121
ISSN: 0044-3360
Trotz zunehmender Forschungen über Gedächtnis in verschiedenen Disziplinen sind wichtige Probleme ungelöst geblieben. Eines von ihnen betrifft das Verhältnis von Erinnern und Vergessen, ein anderes den Unterschied von individuellem und kollektivem bzw. sozialem Gedächtnis. Der ... Text geht davon aus, daß die Funktion des Gedächtnisses im Diskriminieren von Vergessen und Erinnern besteht, und zwar so, daß der Schwerpunkt in der Auslöschung des Vergangenen und im Wiederherstellen der Kapazität des Systems für neue Operationen liegt. Erinnern ist danach die Ausnahme, die Verhinderung von Repression. Weiter wird davon ausgegangen, daß das Gedächtnis sozialer Systeme, wie zum Beispiel des politischen Systems, weder auf individuelles noch auf kollektives (im Sinne von gemeinsamem) Erinnern zurückgeführt werden kann, sondern eine notwendige Komponente jeder sozialen Operation, also jeder Kommunikation bildet. Von diesen Ausgangspunkten her soll gezeigt werden, daß die politische Legitimation von Werten und Interessen dazu dient, das Vergessen vergangener Wünsche und Forderungen zu verhindern. Sie können in neuen Situationen erneut vorgetragen werden, und nicht nur obwohl, sondern gerade weil sie in der Vergangenheit vernachlässigt worden sind. (Zeitschrift für Politik / FUB)