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In diesem Beitrag stellt Svenja Epple folgenden Text vor:Paschke, Karl Theodor (2005): UN-Reform – die unendliche Geschichte; in: Vereinte Nationen 5/2005, S. 170–173, online unter: https://zeitschrift-vereinte-nationen.de/suche/zvn/artikel/un-reform-die-unendliche-geschichte/.Mit Reform meint man Aufbruch, eine Erneuerung sowie Verbesserung. Eine Reform steht somit für eine Weiterentwicklung, etwas, das alle Beteiligten ihrem Ziel ein Stück näher bringt. Vielleicht auch eine Optimierung der Arbeitsprozesse. Warum genau dies in den Vereinten Nationen nur unter größter Kraftanstrengung möglich ist und seit den Jahren ihrer Gründung kontinuierlich scheitert, analysiert Karl Theodor Paschke in seinem Artikel "UN-Reform – die unendliche Geschichte". Die Vereinten Nationen spiegeln in ihrem Aufbau und der Regelung ihrer Abläufe den Ausgang des Zweiten Weltkriegs wider. Dass dies den Machtverhältnissen der heutigen internationalen politischen Landschaft nicht mehr gerecht werden kann, ist selbsterklärend.Grund dafür sind nicht fehlende Reformvorschläge. Bereits im Herbst 1995, anlässlich des 50. Jahrestags der Vereinten Nationen, legten in New York verschiedene Expertenkommissionen plausible und bis ins Detail ausgearbeitete Reformvorschläge vor. Sie definierten umsetzbare Maßnahmen und realistische Ziele, um die Lösung "offensichtlicher Probleme des UN-Systems" (S. 170) voranzutreiben. Auch die angereisten Spitzenpolitiker verwiesen auf die Bedeutung der Vereinten Nationen und versicherten, Reformen zu fordern und diese auch zu unterstützen. Doch was ist dann mit diesen Reformvorschlägen passiert, wenn sich seit der Gründung im formellen Aufbau beinahe nichts verändert hat? Tatsächlich nichts. Dies war nicht der erste Zeitpunkt mit Forderungen nach Veränderungen und Weiterentwicklung, sondern der Ruf nach Reformen ist bereits "so alt wie die Organisation selbst, eine wahrhaft unendliche Geschichte" (S. 170). Warum sich die Vereinten Nationen als so reformresistent erweisen, ist auf verschiedene Gründe zurückzuführen.Das "aufgeklärt[e] multilaterale[…] Handeln" (S. 170) ist in der Staatengemeinschaft der Vereinten Nationen bis heute noch zu schwach ausgebildet. Multilateralismus ist kennzeichnend für die zunehmend interdependente Welt und meint die vereinte Suche nach Lösungen für Probleme die Staatengemeinschaft betreffend. Es zeichnet sich durch das Zusammenwirken gleichberechtigter Staaten aus und spiegelt sich in einer Konsenssuche wider. Diese kann jedoch nur erfolgreich abgeschlossen werden, wenn alle Staaten dazu bereit sind, Kompromisse einzugehen. Damit geht einher, nationale Interessen hintenanzustellen. Diese Bereitschaft, auf seinen nationalen Egoismus zu verzichten, bezeichnet der Autor als aufgeklärtes multilaterales Handeln. Da sich keiner der Mitgliedstaaten an diesem Punkt befindet, sind Entscheidungsprozesse langwierig und für die Beteiligten häufig nicht zufriedenstellend. So wird letztendlich immer am Status quo festgehalten.Als Motor für mögliche Reformen fungiert seit jeher der Generalsekretär der Vereinten Nationen. So wurde zunächst auf dessen Rat eine Arbeitsgruppe für eine Sicherheitsratsreform gegründet, welche jedoch nichts erreichen konnte, und einige Jahre später im September 2000 der Millenniums-Gipfel veranstaltet. Dieses Treffen basierte alleine auf dem Engagement des Generalsekretärs und macht die Realität deutlich, in der die Welt noch immer stärker von Antagonismen als von Gemeinsamkeiten geleitet wird. Auch hier verhallten die Forderungen nach Reformen im Nichts. Selbst dann, als eine Analyse der Herausforderungen und Bedrohungen für die Staatengemeinschaft im neuen Jahrtausend klar eine Stärkung der Weltorganisation als Lösung dieser globalen Probleme fordert. Letztendlich wies auch der Generalsekretär im Frühjahr 2005 nochmals auf die Dringlichkeit einer Reform hin.Unumstritten sind besonders die Reformen des Sicherheitsrates. Er spiegelt mit seinen fünf ständigen Mitgliedern noch immer die Welt von 1945 wider und repräsentiert nicht die Zusammensetzung der heutigen. Die Mehrheit der UN-Mitglieder unterstützt deshalb eine Veränderung oder Vergrößerung. Wie diese letztendlich jedoch aussehen soll, darüber herrscht auch zwischen den Nationen kein Konsens und es kommt zu Rivalitäten zwischen einzelnen Nationen. Auch wenn sich die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates an Reformdiskussionen beteiligen, hat selbstverständlich keine der fünf Nationen ein Interesse daran, tatsächlich etwas zu verändern. Denn jede Veränderung bedeutet für sie ein Verlust von Privilegien, den sie nicht einfach hinnehmen werden.Die USA kommuniziert diese Einstellung offen nach außen und macht auch deutlich, dass sie die UN nur dann nutzen werden, wenn es in ihrem eigenen Interesse liegt. Problematisch ist hierbei, dass zwischen der UN und der USA eine wechselseitige Abhängigkeit herrscht. So können die USA als unabdingbares Mitglied großen Druck auf die Organisation ausüben und ihren Handlungsspielraum ausbauen und folglich eigene Interessen stärker durchsetzen als andere Nationen. Solange die USA als Supermacht den höchsten Beitrag für die Vereinten Nationen bezahlt, werden Reformvorschläge immer mit der Androhung der Betragskürzung abgeschmettert werden können. Ob eine Reform gelingt oder nicht, hängt demzufolge in großem Maße von dem Willen der amerikanischen Politiker ab.Die Vereinten Nationen haben somit vielmals ihre Chance verpasst, den Vorwürfen, sie "sei wenig effizient, bewirke wenig und koste zu viel" (S. 173) entgegenzutreten und ihre eigene Entwicklung in die Hand zu nehmen. Es sind dabei vor allem die Mitgliedstaaten, allen voran der Sicherheitsrat, dem die Verantwortung dafür gegeben werden muss. An ihrem Egoismus und dem Bedürfnis, nationale Interessen vor internationale Interessen zu stellen, wird sich bei den Staaten so schnell nichts ändern. Für die Zukunft lässt sich nur hoffen, dass eine "globale Bewußtseinsänderung" (S. 173) eintritt, was die tatsächlichen Leistungen der Vereinten Nationen betrifft. Die einzelnen Nationen müssen würdigen, was die UN täglich zur Lösung von globalen Problemen und internationalen Regelungen beiträgt, und erkennen, dass diese Organisation aus dem heutigen Weltgeschehen nicht mehr wegzudenken ist. Zudem muss es zu einem besseren Vertrauensverhältnis zwischen den Nationen kommen, da dies letztendlich der einzige Weg ist, diese wichtige Weltorganisation zu modernisieren.
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Die Friedrich-Naumann-Stiftung lädt ein zur Kuratorenführung durch die neue Dauerausstellung im Theodor-Heuss-Haus "Demokratie als Lebensform" mit Dr. Ernst Wolfgang Becker, stv. Geschäftsführer und wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus.Wann: Donnerstag 5. Oktober 2023 um 16:00 UhrWo: Theodor-Heuss-Haus, Feuerbacher Weg 46, 70192 Stuttgart Dr. Ernst Wolfgang Becker wird in seiner Führung einen Schwerpunkt auf den Liberalismus und die autoritären Gefährdungen der liberalen Demokratie am Beispiel der Biographie von Theodor Heuss legen. Wegen begrenzter Teilnehmerzahl ist eine Anmeldung erforderlich. Weitere Informationen zur Veranstaltung sowie das detaillierte Programm gibt es hier: https://shop.freiheit.org/#!/Veranstaltung/81tm1 Hintergrund: Das Theodor-Heuss-Haus ist einer der spannendsten Orte in Baden-Württemberg, um deutsche Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hautnah zu erleben. Anhand der Biographien von Theodor Heuss (1884-1963) und Elly Heuss-Knapp (1881-1952) werden Bedeutung und Gefährdungen der liberalen Demokratie vom Kaiserreich bis zur frühen Bundesrepublik erfahrbar. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es dann Theodor Heuss, der das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland maßgeblich mitgestaltete und als Bundespräsident im In- und Ausland für die junge Demokratie warb. Das Stuttgarter Wohnhaus, in dem Theodor Heuss seine letzten Lebensjahre verbrachte, ist seit 2002 ein Museum und eine Bildungsstätte. Neben den originalen Wohnräumen und dem umgestalteten Garten, der einige Überraschungen birgt, bietet das Haus unter dem Leitthema "Demokratie als Lebensform" eine Dauerausstellung zu Theodor Heuss und Elly Heuss-Knapp. Einzigartig in Deutschland ist darüber hinaus eine Ausstellung zum Amt des Bundespräsidenten und zur First Lady von 1949 bis heute.
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(Dieser Text erscheint in Zusammenarbeit mit Dialog Forum, wo er zeitgleich auf Deutsch und Polnisch veröffentlicht wird.)Viele Staaten Europas begehen den 8. oder 9. Mai als Feiertag für Kriegsende und Sieg über NS-Deutschland. Das ist auch in Polen so, doch kommt diesem Datum hier eine wesentlich geringere Bedeutung zu, auch weil der "Siegestag" bis heute ein Datum ist, an dem sich in Polen die Geister scheiden und der irgendwie im Schatten der sowjetischen Geschichte steht. Daran wird sich auch 2020, zu seiner 75. Wiederkehr, nichts ändern.Ein Blick in die Geschichte des FeiertagsDer 9. Mai wurde durch ein von Bolesław Bierut unterzeichnetes Dekret des Landesnationalrats vom 8. Mai 1945 eingeführt, womit Polen einer Weisung aus Moskau folgte, das den 9. Mai im gesamten Ostblock zum Siegestag erklärte. In dem Dekret hieß es: "Um für alle Zeiten des Siegs der Polnischen Nation und Ihrer Großen Verbündeten über den germanischen Aggressor, der Demokratie über Hitlerismus und Faschismus, der Freiheit und Gerechtigkeit über Unfreiheit und Gewalt zu gedenken, wird der 9. Mai als Tag der Beendigung der Kriegshandlungen der Nationalfeiertag für Sieg und Freiheit sein."[1] Eine große Kundgebung in Warschau, ein Umzug und verschiedene Festveranstaltungen füllten den Tag.[2] Im Jahr darauf fand zusätzlich eine große Militärparade statt (hier die polnische Wochenschau von damals: https://www.youtube.com/watch?v=oFO_ccx2tQk), und auch in vielen anderen Städten gab es Aufmärsche und Paraden, aber schon 1947 verzichtete man auf größere Kundgebungen.[3] Dennoch blieb der 9. Mai ein wichtiger Tag im Gedenkkalender, zusätzlich auch als "Tag des Kriegsveteranen" (Dzień Kombatanta). Bis zum Ende der kommunistischen Zeit wurde der 9. Mai nun vor allem als ein Tag begangen, an dem bei diversen Veranstaltungen, etwa in Schulen oder Militäreinheiten, an die Verbundenheit mit der Sowjetunion und der Roten Armee erinnert wurde, vor allem zu runden Jahrestagen (hier sieht man zum Beispiel, wie es bei der Feier 1975 in der Kleinstadt Przasnysz zuging: https://www.youtube.com/watch?v=sgQsv6AjKYw). Briefmarken oder Plakate gehörten zu den beliebtesten Formen des Gedenkens. Doch auch in der Volksrepublik Polen war das bei weitem wichtigere "Siegesdatum" der 22. Juli, jener Tag, an dem im Jahre 1944 das Manifest des Komitees der Nationalen Befreiung und damit der Beginn einer neuen – Moskau-hörigen – polnischen Staatlichkeit verkündet wurde; dieser Tag war bis 1990 Nationalfeiertag. In den 1980er Jahren lebten die Gedenkrituale kurzzeitig noch einmal stärker auf, etwa mit einer mehrmals vollzogenen feierlichen Wachablösung vor dem Grabmal des Unbekannten Soldaten in Warschau (hier ein Bericht des polnischen Fernsehens von 1986: https://www.youtube.com/watch?v=jcSMyAOCW3Y).Zu dieser Zeit war jedoch schon längst eine Debatte im Gange, welche Rolle dem "Sieg" von 1945 in der polnischen Geschichte überhaupt zukam: War es die Befreiung vom NS-Terror (die polnischen Gebiete waren am 9. Mai 1945 allerdings längst schon fast vollständig befreit) oder nur der Beginn einer neuen Unterjochung? Auch hatte die Opposition längst den 3. Mai als inoffiziellen "Feiertag des Sieges" entdeckt, den Tag, an dem 1791 die polnische Verfassung verkündet worden war und die polnische Demokratie vermeintlich gesiegt hatte, während der 9. Mai eigentlich nur noch als sowjetischer Feiertag angesehen wurde.Die Debatte um die Rolle des 8./9. Mai setzte sich in den 1990er Jahren fort. So wurde 1995 darum gestritten, wie Polen dieses Datum erinnern sollte – Staatspräsident Lech Wałęsa kritisierte damals Ministerpräsident Józef Oleksy von der postkommunistischen Linken vehement dafür, zu den Feierlichkeiten nach Moskau zu fahren. Auch als Präsident Aleksander Kwaśniewski 2005 zur feierlichen Parade nach Moskau reiste, hagelte es Protest. Angesichts der immer bombastischeren Inszenierung des 9. Mai durch die russische Regierung blieb der Tag ein zunehmend problematischer Teil des offiziellen polnischen Gedenkkalenders. In Warschau fand er meist unter Ausschluss einer größeren Öffentlichkeit auf dem Sowjetischen Soldatenfriedhof statt, immerhin unter Beteiligung von Repräsentationseinheiten des polnischen Militärs sowie Vertretern der sowjetischen Nachfolgestaaten (hier ein Videobericht von 2009: https://www.youtube.com/watch?v=q5564jjpSbs).Sejm-Debatten und ein neues Datum2014 schließlich begann, angestoßen vom Institut für Nationales Gedenken, eine neue Debatte über den 9. Mai, die sich rasch in den Sejm verlagerte. Im Herbst 2014 beantragte die damals oppositionelle Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) im Sejm die Aufhebung des formal immer noch bestehenden "Nationalfeiertags für Sieg und Freiheit". Das Demokratische Linksbündnis (SLD) wiederum sprach sich dafür aus, den Feiertag als "Nationalen Siegestag" auf den 8. Mai zu verlegen, weil an diesem Tag ganz Westeuropa den Sieg begehe. Der PiS-Abgeordnete Bartosz Kownacki gab jedoch zu bedenken: "Schon damals saßen zehntausende Soldaten der Heimatarmee, unschuldige Menschen, in den Gefängnissen des kommunistischen Sicherheitsdienstes UB. Auch daran müssen wir erinnern." Das Projekt wurde an den Gesetzgebungsausschuss überwiesen.[4]In diesem Ausschuss setzte sich die Diskussion fort. So erklärte etwa der PiS-Abgeordnete Stanisław Pięta: "Dieses Gesetz hat einfach keinen Sinn, da es nie irgendeinen Sieg gegeben hat. Wir müssen die Geschichte vom Standpunkt unserer Interessen interpretieren. Dass ein Barbar einen anderen Barbaren bezwungen hat, ist für die Polen kein Grund zum Feiern, da das für uns [nur] ein Wechsel der Besatzung war. Dieser Feiertag sollte weder am 9. noch am 8. Mai begangen werden."[5] Diese Auffassung konnte sich jedoch nicht durchsetzen, schließlich galt auch, was Stefan Niesiołowski von der damals noch regierenden Bürgerplattform (PO) in der Sejm-Sitzung vom 24. April 2015 sagte: "Die Behauptung, dass das kein Sieg war, ist eine Fälschung der Geschichte. Das war doch ein großer Sieg. Die polnischen Soldaten, die Flieger in England, die Heimatarmee, Monte Cassino, Lenino? Waren das keine heldenhaften Taten polnischer Soldaten?" Dagegen konnte die PiS nichts einwenden, sie sträubte sich nur noch gegen das Wort "National" im Namen des Feiertags, da die Nation ja unter Stalin gelitten habe, und setzte im Wortlaut des Gesetzes durch, dass explizit an den Sieg "über NS-Deutschland" erinnert wurde. Der Sejm nahm das Gesetz schließlich bei fünf Gegenstimmen und 14 Enthaltungen mit großer Mehrheit an.[6]Der "Nationale Siegestag" wurde daraufhin am 8. Mai 2015 in Warschau unter Beteiligung der polnischen Armee und zahlreicher Honoratioren, aber offensichtlich ohne größeres Publikum begangen (hier ein Videobericht: https://www.youtube.com/watch?v=zuR-67vkyQQ). Er gehört heute – wie auch schon in der Vergangenheit – eher zum Gedenkritual kleinerer Städte, wo die Feierlichkeiten meistens von den Stadtverwaltungen organisiert werden, teils auch zusammen mit vor Ort stationierten polnischen Militäreinheiten, allerdings bei meist geringem Interesse der Öffentlichkeit (hier der Verlauf der Feierlichkeiten 2017 in Allenstein/Olsztyn: https://www.youtube.com/watch?v=3GdZrKSZFMs). Die Regierung in Warschau unternimmt derzeit nichts, um den Feiertag auf zentraler Ebene öffentlich sichtbar zu würdigen.Gegen die Popularität des Feiertags spricht auch der Kalender: Am 1. Mai begeht Polen den Tag der Arbeit sowie Polens Beitritt zur Europäischen Union, am 3. Mai ist Nationalfeiertag und am 9. Mai der Europatag, der in Warschau mehrmals mit einer großen Schumann-Parade begangen wurde. Während 1. und 3. Mai (sowie der 11. November) arbeitsfrei sind, ist es der 8. Mai nicht. Und so wird der "Siegestag" auch im Jahr 2020 ohne größeres Aufheben vergehen, nicht nur wegen der Corona-Krise. Die zwölf polnischen staatlichen Feiertage und GedenktageÜber den tatsächlichen Status dieser Feiertage und Gedenktage herrscht allerdings juristisch Unklarheit , etwa was die Notwendigkeit betrifft, aus diesem Anlass zu beflaggen (in Klammern Datum der Ausrufung): 19.2. – Tag der Polnischen Wissenschaft (2020)1.3. – Nationaler Gedenktag an die "Verfemten Soldaten" (2011)24.3. – Nationaler Gedenktag an die polnischen Judenretter unter deutscher Besatzung (2018)14.4. – Feiertag der Taufe Polens (2019)1.5. – Tag der Arbeit (1950) – arbeitsfrei 3.5. – Nationalfeiertag des Dritten Mai (1919, 1990) – arbeitsfrei8.5. – Nationaler Siegestag (2015)12.7. – Tag des Kampes und des Martyriums des Polnischen Dorfes (2017)1.8. – Nationaler Gedenktag an den Warschauer Aufstand (2009)31.8. – Tag der Solidarität und der Freiheit (2005)19.10. – Nationaler Gedenktag für die Unbeugsamen Geistlichen (2018)11.11. – Nationaler Unabhängigkeitstag (1937, 1989) – arbeitsfrei Daneben gibt es mehr als 30 vom Sejm ausgerufene Gedenk- und Feiertage von geringerem Rang, die jedoch teils aufwändig gefeiert werden, wie zum Beispiel der Tag der Polnischen Armee am 15.8., der auf einen arbeitsfreien religiösen Feiertag fällt (Mariä Himmelfahrt). LiteraturMarek Henzler: Jak Moskwa narzuciła nam 9 maja jako Dzień Zwycięstwa i jak świętowaliśmy ten dzień tuż po wojnie. In: Polityka vom 9.5.2015.Izabella Main: Political Rituals and Symbols in Poland, 1944-2002. A Research Report. Leipzig 2003.Krzysztof Pilawski: Kalendarz Polski. Przewodnik po świętach. Warszawa 2010.https://pl.wikipedia.org/wiki/Święta_państwowe_w_Polsce [1] Wortlaut des Dekrets in: http://prawo.sejm.gov.pl/isap.nsf/download.xsp/WDU19450210116/O/D19450116.pdf
[2] Vgl. die Berichterstattung in Życie Warszawy, 10.5.1945 (Nr. 128).
[3] Życie Warszawy, 10.5.1946 (Nr. 128), 10.5.1947 (Nr. 127).
[4] Vgl. das Protokoll der Sitzung vom 24.9.2014, http://orka2.sejm.gov.pl/StenoInter7.nsf/0/09BD4F5A43C886D7C1257D71002F16B0/%24File/75_ksiazka_a_bis.pdf
[5] Vgl. das Protokoll der Ausschusssitzung vom 3.12.2014, http://www.sejm.gov.pl/Sejm7.nsf/biuletyn.xsp?documentId=9297DC0C93E7FD61C1257DAB00514DA0
[6] Vgl. das Protokoll der Sitzung vom 24.4.2015, http://orka2.sejm.gov.pl/StenoInter7.nsf/0/365F18A54554C470C1257E3100657C3F/%24File/91_c_ksiazka_bis.pdf; Wortlaut des Gesetzes: http://prawo.sejm.gov.pl/isap.nsf/download.xsp/WDU20150000622/O/D20150622.pdf
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In diesem Beitrag stellt Daniel Fesser folgenden Text vor:Degener, Theresia (2015): Die UN-Behindertenrechtskonvention – ein neues Verständnis von Behinderung; in: dies./Elke Diehl (Hrsg.): Handbuch der Behindertenrechtskonvention. Teilhabe als Menschenrecht – Inklusion als gesellschaftliche Aufgabe, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn, S. 55-65, online unter: http://bidok.uibk.ac.at/library/degener-behindertenrechtskonvention.html. Theresia Degener beschreibt in ihrem Artikel das neue Verständnis von Behinderung, den Hintergrund und die Entstehungsgeschichte der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), deren Inhalt, die Behinderung als Thema in der Geschichte der Vereinten Nationen, die Entwicklung vom medizinischen über das soziale zum menschenrechtlichen Modell von Behinderung und den internationalen Ausschuss zur Überwachung der Umsetzung der UN-BRK. Nachfolgend liegt der Fokus auf dem neuen Verständnis, dem Inhalt und der Entstehungsgeschichte.Degener beschreibt den Perspektivwechsel bedingt durch die UN-BRK als bahnbrechend und stellt die Rekorde, welche die Konvention gebrochen hat, dar. Hierunter fällt, dass sie die erste Menschenrechtskonvention im neuen Jahrtausend war, zusätzlich die einzige Menschenrechtskonvention in der Geschichte der UN, die in kürzester Zeit von der größten Anzahl von Staaten unterzeichnet wurde. Des Weiteren wurde ein neues System nationaler Überwachung etabliert und die Entwicklungspolitik wurde zur Menschenrechtsfrage erklärt. Außerdem wurde erstmalig ein neues Modell von Behinderung kodifiziert: "das menschenrechtliche Modell".Die Entstehung der UN-BRK begann bereits am 19. Dezember 2001 auf Anraten Mexikos. Mit der Resolution 56/168 wurde ein beratender Ausschuss (auch Ad-hoc-Ausschuss genannt) initiiert, um Vorschläge für eine Behindertenrechtskonvention auszuarbeiten. Diesem Ad-hoc-Ausschuss waren bereits diverse Forderungen von unterschiedlichen Organisationen der Behindertenbewegung vorangegangen.Die Finalisierung der UN-BRK fand von 2002 bis 2006 statt und wurde in acht mehrwöchigen Sitzungen mit allen 193 Mitgliedsstaaten debattiert. Ebenfalls haben diverse Organisationen wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO), das Kinderhilfswerk (UNICEF), nationale Menschenrechtsinstitute sowie NRO (Nichtregierungsorganisationen) partizipiert und Vorschläge eingebracht.Die Verhandlungen gestalteten sich besonders schwer, da unterschiedlichste politische, kulturelle und religiöse Ansichten der teilnehmenden Staaten aufeinandertrafen. Zudem war das Mitwirken der Vertreter*innen der Zivilgesellschaften immens und obwohl nur die Staatsvertreter*innen ein Stimmrecht hatten, stellte dies ein Novum in der Geschichte der Menschenrechte dar. Die Maxime der Behindertenbewegung war: "Nichts ohne uns über uns."Schon der Erarbeitungsprozess des ersten Entwurfs der UN-BRK machte klar, dass es zu unterschiedlichen Konflikten kommen kann, welche auch bei allen weiteren Sitzungen des Ad-hoc-Ausschusses relevant werden würden. Die erste der vier Konfliktlinien beschrieb die rechtliche Handlungsfähigkeit von Menschen mit Behinderung. So forderte die Arbeitsgruppe des Ad-hoc-Ausschusses den Paradigmenwechsel von der Stellvertretung zur assistierten Entscheidungsfindung, allerdings konnte hier zunächst kein Konsens gefunden wurden.Der zweite Konfliktpunkt behandelte das Thema der Zwangsbehandlung und der Institutionalisierung. So herrschte vor allem Uneinigkeit in der Frage, wie explizit Zwangsbehandlung und Institutionalisierung verboten werden sollten. Der dritte Konfliktbereich wurde bereits angesprochen und behandelt den Umgang mit den unterschiedlichen sozialen, religiösen und kulturellen Werten. Hierbei standen sich vor allem unterschiedliche Verbote und die unterschiedlichen Wertevorstellungen der Mitgliedsstaaten gegenüber.Die letzte Konfliktlinie behandelt die Bereiche der Inklusion und der Segregation. Generell war die Bereitschaft zur Inklusion gegeben, allerdings gab es Uneinigkeit in den Bereichen Bildung und Arbeit. So wurde beispielsweise im Bereich der Arbeit darüber debattiert, ob Werkstätten für Menschen mit Behinderung als eine Alternative zum ersten Arbeitsmarkt gesehen werden sollten.Trotz vieler Uneinigkeiten kann die UN-BRK als durchweg positiv bewertet werden. Vor allem der menschenrechtliche Paradigmenwechsel in der Behindertenpolitik war ein Novum, welches besonders wichtig war und ist.Die Grundlage der UN-BRK bilden zwei völkerrechtliche Verträge: das "Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen" (BRK) und ein Fakultativprotokoll (FP), das besondere Verfahrensarten im Zusammenhang mit der Umsetzung der Konvention enthält. Degener beschreibt die Inhalte der UN-BRK und geht auf den "ganzheitlichen Ansatz des Menschenrechtsschutzes mit staatlichen Achtungs-, Schutz- und Gewährleistungspflichten" ein.Zudem beschreibt sie den Verfügungsbereich der UN-BRK, welcher vorrangig für Menschen mit Behinderung gilt. Allerdings wird der Personenkreis nicht genauer definiert, was die Gruppe der Betroffenen der UN-BRK sehr groß werden lässt. So zählen "Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können" dazu.Das grundlegende Ziel der UN-BRK ist keine Schaffung von "neuen" Menschenrechten oder Sonderrechten für Menschen mit Behinderung, sondern eine Anpassung des Menschenrechtskatalog im Kontext der Behinderung.
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Exakt 20 Jahre nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 kündigte der derzeit amtierende US-Präsident Joe Biden den Abzug aller amerikanischen Truppen aus Afghanistan an. "Es ist Zeit, Amerikas längsten Krieg zu beenden" (Böhm 2021, 92). Bereits vor dem Einmarsch amerikanischer und britischer Truppen am 7. Oktober 2001, bekannt als die Operation "Enduring Freedom", hatte Amerika Stützpunkte der in Afghanistan ansässigen Terrorgruppe Al-Qaida attackiert. Der Grund hierfür waren die durch Mitglieder der Gruppe geplanten und durchgeführten Anschläge auf amerikanische Botschaften in Tansania und Kenia im Jahr 1998. "Aber die Schwelle der Kriegserklärung gegen Terroristen wurde nicht überschritten, auch um Letztere politisch nicht aufzuwerten" (Böhm 2021, 94).Als Wendepunkt gilt der 11. September 2001. Neunzehn Terroristen der Terrorgruppe Al Qaida entführten vier Passagierflugzeuge. Zwei dieser Flugzeuge wurden in die Twin Towers des World Trade Centers gesteuert. Ein weiteres zerstörte den westlichen Teil des Pentagons in Washington. Das vierte stürzte in einem Feld in New Jersey ab. Insgesamt starben durch diese vier Flugzeuge fast 3000 Menschen aus 80 verschiedenen Ländern (vgl. Hoffmann 2006, 47).Die Anschläge veränderten die Wahrnehmung der durch den Terrorismus bestehenden Bedrohung. Bereits wenige Tage nach den Anschlägen verkündete der damalige US-Präsident George W. Bush den "Global War on Terror" (Böhm 2021, 92), eine Kriegserklärung an den Terrorismus. Damit definierte er die Auseinandersetzung mit dem Terrorismus als Krieg.Neben dieser Auslegung gilt auch die Interpretation des Verhältnisses zwischen terroristischen Gruppierungen und Amerika feindlich gesinnten Staaten als entscheidend. Unmittelbar nach den Anschlägen wurde zunächst nur die Bekämpfung der Terrorgruppe Al-Qaida und des Taliban-Regimes in Afghanistan priorisiert. In den darauffolgenden Monaten wurden neben diesen auch den Terrorismus unterstützende, autoritäre Staaten und Staaten mit Zugang oder Beschaffungsmöglichkeiten von Massenvernichtungswaffen zu möglichen Zielen von Militäraktionen zur Bekämpfung des Terrorismus (vgl. Böhm 2021, 92; Kahl 2011, 19).Durch die Anschläge am 11. September 2001 wurde neben der "seit längerem bekannte Dimension der internationalen Kooperation von terroristischen Gruppen […] die neue Dimension der transnationalen Kooperation, Durchführung, Logistik und Finanzierung terroristischer Gewalt deutlich" (Behr 2017, 147).Im Rahmen dieses Beitrags wird der Terrorismus als eine Herausforderung für die Vereinten Nationen vor und nach den Anschlägen vom 11. September 2001 thematisiert. In diesem Zusammenhang wird der Frage nachgegangen, inwiefern diese die Sicherheitspolitik der Vereinten Nationen beeinflusst haben. In einem ersten Schritt wird eine Klärung des Begriffs Terrorismus vorgenommen. Im Anschluss daran wird auf die Strategien der Vereinten Nationen zur Bekämpfung des Terrorismus vor dem 11. September 2001 eingegangen. Darauf folgt eine Darstellung der direkten Reaktionen der internationalen Staatengemeinschaft auf die Anschläge. In einem letzten Schritt werden die daraus resultierenden Folgen für die internationale Sicherheitspolitik näher beleuchtet.BegriffsklärungIn einem ersten Schritt gilt es nun, den Begriff des Terrorismus näher zu definieren. Der Begriff leitet sich von dem lateinischen Wort terror ab, das als Schrecken oder Furcht übersetzt werden kann (vgl. Pfahl-Traughber 2016, 10). Nach dem Terrorismusexperten Bruce Hoffmann wird unter dem Begriff des Terrorismus die "bewusste Erzeugung und Ausbeutung von Angst durch Gewalt oder die Drohung mit Gewalt zum Zweck der Erreichung politischer Veränderung" (Hoffmann 2006, 80) verstanden.Dementsprechend ist eine terroristische Tat zunächst einmal gekennzeichnet durch die Androhung oder die Ausübung von Gewalt. Im Hinblick auf die Intensität der ausgeübten Gewalt wird deutlich, dass keine humanitären Konventionen respektiert werden und terroristische Anschläge sich oft durch "besondere Willkür, Unmenschlichkeit und Brutalität" (Waldmann 2005, 14) auszeichnen."Die Gewalttat hat primär einen symbolischen Stellenwert, ist Träger einer Botschaft, die in etwa lautet, ein ähnliches Schicksal kann jeden treffen, insbesondere diejenigen, die den Terroristen bei ihren Plänen im Wege stehen" (Waldmann 2005, 15). Basierend auf dieser Tatsache bezeichnet der Soziologe Peter Waldmann den Terrorismus "primär [als] eine Kommunikationsstrategie" (Waldmann 2005, 15).Auf der psychologischen Ebene verfolgt der Terrorismus das Ziel, über die unmittelbaren Ziele und Opfer hinaus bei einer bestimmten Gruppe Furcht hervorzurufen, um für deren Einschüchterung zu sorgen. Als Zielgruppe kommt neben Staaten, Regierungen und einzelnen religiösen oder ethnischen Gruppen auch die allgemeine öffentliche Meinung in Frage (vgl. Hoffmann 2006, 80).Davon ausgehend verfolgt der Terrorismus mit der Erzeugung von Furcht und Schrecken auf der politischen Ebene das Ziel, das Vertrauen in eine bestehende politische Ordnung zu erschüttern (vgl. Waldmann 2005, 16). Im Hinblick auf die politische Dimension des Terrorismus grenzt Waldmann diesen bewusst vom Staatsterrorismus ab. Nach Waldmann kennzeichnen terroristische Anschläge ihre planmäßige Vorbereitung und ihre Aktivität aus dem Untergrund heraus.Im Gegensatz dazu handelt es sich bei Staatsterrorismus um ein Terrorregime, errichtet durch staatliche Machteliten. Von Seiten des Staates kann zwar Terror gegenüber seinen Bürgern ausgeübt werden, er ist jedoch nicht in der Lage, die genannten Strategien gegen die eigene Bevölkerung einzusetzen (vgl. Pfahl-Traughber 2016, 17; Waldmann 2005, 12).Bei den Akteuren handelt es sich um einen Zusammenschluss von Handlungswilligen, die sich in annähernd bürokratischen Strukturen organisieren, wobei Hierarchien und informelle Abhängigkeiten entstehen. In den meisten Fällen verfügen diese Gruppierungen über eine "geringe quantitative Dimension […] handelt es sich doch überwiegend um kleinere Personenzusammenschlüsse von wenigen Aktivisten" (Pfahl Traughber 2016, 12).Diese agieren im Untergrund, da sie weder über den erforderlichen Rückhalt innerhalb einer Bevölkerung noch über die erforderliche Kampfstärke verfügen. Am Beispiel von Al-Qaida in Afghanistan wird deutlich, dass ein Hervortreten aus dem Untergrund, beispielsweise durch die Errichtung von Lagern, das Risiko impliziert "angegriffen und vernichtet zu werden" (Waldmann 2006, 13).Hinsichtlich der Bezeichnung werden im Sprachgebrauch zwei Arten von Terrorismus, der internationale und der transnationale Terrorismus, unterschieden. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob das Phänomen des Terrorismus eher als international oder transnational zu bezeichnen ist. Nach Steinberg zeigt sich aus historischer Sicht ein fließender Übergang von dem internationalen Terrorismus hin zum transnationalen Terrorismus.Der internationale Terrorismus zeichnet sich in erster Linie durch "zahlreiche grenzüberschreitende Aktionen [aus], bei denen häufig vollkommen unbeteiligte Bürgerinnen und Bürger fremder Staaten zu Schaden kamen." (Steinberg 2015). Ferner ist für den internationalen Terrorismus charakteristisch, dass die terroristischen Aktivitäten durch Staaten unterstützt werden. Zu den Unterstützerstaaten in der Vergangenheit zählten insbesondere Verbündete der ehemaligen Sowjetunion wie beispielsweise Syrien oder Libyen.Als historisches Beispiel für den internationalen Terrorismus gelten die Attentate auf israelische Sportler*innen während der Olympischen Spielen in München 1972 durch palästinensische Terroristen. Mit dem Fall der UdSSR verloren diese Staaten ihren Schutz vor Sanktionen westlicher Nationen. Damit endete nach und nach auch die Unterstützung terroristischer Gruppierungen. Es folgte ein fließender Übergang vom internationalen Terrorismus hin zum transnationalen Terrorismus.Der Unterschied besteht darin, dass die terroristischen Aktivitäten nicht mehr durch einen Staat unterstützt werden. Die Gruppierungen werden privat mit Geld und Waffen unterstützt oder bauen eigene, substaatliche Logistik- und Finanzierungsnetzwerke auf. Der Terrorismus gilt zudem als transnational, "weil sich die terroristischen Gruppen auf substaatlicher Ebene länderübergreifend miteinander vernetzen und sich dementsprechend aus den Angehörigen verschiedener Nationalitäten zusammensetzen" (Steinberg 2015).Basierend auf diesen Erkenntnissen ist ab den 1990er Jahren nicht mehr von internationalem Terrorismus, sondern vielmehr von transnationalem Terrorismus zu sprechen (vgl. Steinberg 2015). Dies hat auch Auswirkungen auf die Organisationsstrukturen terroristischer Gruppierungen. Sie zeichnen sich durch "Dezentralisierung, Entterritorialisierung und durch Überlagerung und Fragmentierung zwischen wechselnden, funktional orientierten Akteuren aus" (Behr 2017, 150).Ein Beispiel für den Übergang von einer internationalen Organisation hin zu einem transnationalen Netzwerk stellt die im Zusammenhang mit dem 11. September 2001 stehende Terrorgruppe Al-Qaida dar. Vor den Anschlägen galt sie als eine internationale Organisation, die über ein "recht einheitliches Gebilde" (Hoffmann 2006, 425) verfügt. In Folge der Reaktionen auf die Anschläge entwickelte sie sich als eine transnationale Bewegung "mit gleich gesinnten Vertretern an vielen Orten, die über ein ideologisches und motivierendes Zentrum locker miteinander verbunden sind, aber die Ziele dieses noch verbleibenden Zentrums gleichzeitig und unabhängig voneinander verfolgen" (Hoffmann 2006, 425).Nach Vasilache ist "der gebräuchliche Terminus des internationalen Terrorismus irreführend, da er keine gängige Strategie eines Staates gegen einen anderen, sondern ein transnationales Phänomen ist, das vor Staatsgrenzen nicht halt macht" (Vasilache 2006, 151). Als Begründung führt er an, dass terroristische Anschläge oftmals von einzelnen Gruppierungen ausgehen, wobei auf die unterschiedlichen Motive in einem nächsten Schritt eingegangen wird. Weiterhin begründet er seine Aussage mit der Tatsache, dass das Ziel von staatlich initiiertem Terrorismus nicht direkt ein anderer Staat ist, sondern vielmehr zivile Ziele verdeckt attackiert werden (vgl. Vasilache 2006, 151).Anders als Steinberg spricht Vasilache also nicht von einer historischen Veränderung vom internationalen Terrorismus hin zum transnationalen Terrorismus, sondern bezeichnet das Phänomen Terrorismus generell als transnational. Da beide in der Ansicht übereinstimmen, zum Zeitpunkt der Anschläge am 11. September 2001 handele es sich um die transnationale Form des Terrorismus, wird im weiteren Verlauf von transnationalem Terrorismus gesprochen.Im Hinblick auf die Motive terroristischer Gruppierungen können im Wesentlichen vier Motive benannt werden, die sich überschneiden oder einander angleichen können. In diesem Zusammenhang wird von der Tatsache ausgegangen, dass terroristische Gruppierungen mit ihren Zielen und ideologischen Rechtfertigungen nicht zufällig entstehen, "sondern einen bestimmten gesellschaftlich-historischen Hintergrund widerspiegelt, der seinerseits wieder durch ihr Vorgehen eine spezifische Aktivierung erfährt" (Waldmann 2005, 100).Der sozialrevolutionäre Terrorismus möchte die politischen und gesellschaftlichen Strukturen nach der Ideologie von Karl Marx verändern (vgl. Waldmann 2005, 99). Ein Beispiel hierfür stellt die Rote Armee Fraktion (kurz: RAF) dar, die in den 1970er Jahren in Deutschland terroristische Anschläge verübte.Wenn unterdrückte Völker oder Minderheiten das Ziel von mehr politischer Autonomie oder staatlicher Eigenständigkeit mit terroristischen Strategien verfolgen, handelt es sich um ethnisch-nationalistischen Terrorismus. Als Exempel hierfür kommt die baskische ETA infrage, die aus einer Studierendenorganisation heraus entstanden ist und sich in den 1960er Jahren zunehmend radikalisierte (vgl. Waldmann 2005, 103f.).Unter die dritte Form des Terrorismus, "der militante Rechtsradikalismus" (Waldmann 2005, 115), fallen unterschiedliche Gruppen wie beispielsweise die Ku-Klux-Klan-Bewegung in Amerika. Trotz der unterschiedlichen Ausprägungen können bei all diesen Gruppen im Wesentlichen zwei Merkmale ausgemacht werden: zunächst einmal kämpfen sie für den Erhalt bestehender Strukturen und wollen keine strukturellen Veränderungen hervorrufen. Zudem richtet sich diese Form des Terrorismus in erster Linie nicht gegen das politische System, sondern vielmehr gegen einzelne Gruppen der Gesellschaft (vgl. ebd., 115). Ferner kennzeichnet den rechtsradikalen Terrorismus auch eine andere Strategie und eine andere Erscheinungsform. Bei den Aktivisten handelt es sich um "Teilzeitterroristen" (ebd., 117), die typischerweise in ihrer Freizeit agieren. Ihre Aktivitäten sind nicht im Untergrund, sondern werden vielmehr offen durchgeführt. Hinzu kommt, dass die Anschläge teils geplant und teils spontan erfolgen, mit dem Ziel, die Opfer zum Verlassen des Ortes oder Landes zu bewegen (vgl. ebd., 117f.).Bei der vierten Form des Terrorismus handelt es sich um religiös motivierten Terrorismus. Beispiel hierfür ist die bereits mehrfach angesprochene Terrorgruppe Al-Qaida. Sie entstand als Reaktion auf den Angriff der Sowjetunion auf Afghanistan Ende der 1970er Jahre. Die Brutalität der Invasion sorgte für eine große Solidarität innerhalb der islamischen Welt und führte zu einem Zuzug von zahlreichen islamischen Glaubenskämpfer*innen aus anderen Ländern, darunter auch Osama Bin Laden. Dieser gewann im Laufe der 1980er Jahre immer mehr an Einfluss und gründete mit dem Abzug der Sowjets Ende des Jahrzehnts Al Qaida mit dem Ziel, an einer anderen Front weiterzukämpfen. Es erfolgte ein Strategiewechsel "des Djihads nach innen, gegen verräterische Herrscher in den islamischen Staaten, auf die Strategie eines Djihads nach außen, gegen den Westen" (ebd., 152).Ein definitorisches Problem von Terrorismus ergibt sich aus der Tatsache, dass auf der internationalen Ebene bislang keine einheitliche Definition gefunden wurde. Im Rahmen der Resolution 1566 aus dem Jahr 2004 definierte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen den Begriff Terrorismus wie folgt als "Straftaten […], die mit dem Ziel begangen werden, die ganze Bevölkerung, eine Gruppe von Personen oder einzelne Personen in Angst und Schrecken zu versetzten, eine Bevölkerung einzuschüchtern oder eine Regierung oder eine internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen […]" (UN-Resolution1566 2004).Neben dieser existieren weitere nationale und internationale Definitionen, wie unter anderem die der Europäischen Union oder die Definitionen einzelner amerikanischer Behörden. Auf der politischen Ebene können die Schwierigkeiten hinsichtlich einer einheitlichen Definition anhand folgender Punkte näher beleuchtet werden: zunächst einmal werden Handlungen von unterschiedlichen Staaten unterschiedlich eingestuft. Für die einen handelt es sich um gewalttätige terroristische Angriffe; andere stufen die Aktivitäten als politisch legitimierte Handlungen in Ausübung des Selbstverteidigungsrechts während eines nationalen Befreiungskampfes ein.Ferner herrscht Uneinigkeit darüber, ob eine Definition auch den Staatsterrorismus umfassen sollte oder ob sie lediglich die motivationalen Hintergründe der Täter umfasst. Anhand der genannten Schwierigkeiten wird deutlich, dass die Einschätzung, ob es sich bei der Bedrohung um eine terroristische Bedrohung handelt und ob es sich bei der Organisation um eine terroristische Organisation handelt, dem nationalen Verständnis oder dem Verständnis der jeweiligen Institution unterliegt. Folglich könnte die Klassifizierung missbraucht werden, um ungewünschte innerstaatliche Gruppierungen oder andere mit dem Begriff zu stigmatisieren und deren Verfolgung zu rechtfertigen (vgl. Finke/Wandscher 2001, 168; Kaim 2011, 6).Abschließend gilt es noch zu klären, ob terroristische Aktivitäten als Kriegshandlungen bezeichnet werden können oder ob vielmehr eine Trennung der beiden Begriffe erforderlich ist. Als unmittelbare Reaktion auf die Anschläge des 11. Septembers bekundete Amerika immer wieder seinen Krieg gegen den Terror. Neben Präsident Bushs "global war on terror" sprach auch der amerikanische Verteidigungsminister Donald H. Rumsfeld im Zuge der Anschläge von einer neuen Kriegsart, "die sich vor allem neuer Technologien bedienen, asymetrisch verfahren und deswegen auch nicht leicht zu erkennen sein würde" (Czempiel 2003, 113).Diese Verwendung des Kriegsbegriffes in Verbindung mit terroristischen Anschlägen offenbart einen strategischen Zug der US-Regierung. "Dehnt man den Kriegsbegriff auf terroristische Akte aus, legitimiert dies den Angegriffenen auch zu Kriegshandlungen" (Geis 2006, 12). Der Regierung ist es infolgedessen möglich, über rechtsstaatliche Mittel hinaus Maßnahmen zu ergreifen und sie kann zudem von einer breiten Unterstützung innerhalb der eigenen Bevölkerung ausgehen (vgl. Geis 2006, 12). Bei der Frage, ob der transnationale Terrorismus als eine Form des Krieges bezeichnet werden kann, offenbart sich aus politikwissenschaftlicher Sicht eine erhebliche Kontroverse.Neben der Kategorisierung zwischen den alten und neuen Kriegen existiert auch die Unterscheidung zwischen großen und kleinen Kriegen. Diese "basiert auf der Art der Vergesellschaftungsform der Kriegführenden" (Geis 2006, 21). Im Fall des großen Krieges sind die Akteure in gleichem Maß vergesellschaftet, ein Staat kämpft gegen einen anderen Staat. Im Falle eines kleinen Krieges besteht eine "asymetrische Konfliktstruktur zwischen ungleich vergesellschaftlichen Akteuren: Staatliche Kombattanten treffen auf nichtstaatliche Kämpfer" (Geis 2006, 21).Ob unter die kleinen Kriege auch der Terrorismus zu subsumieren ist, ist jedoch umstritten. Zunächst einmal wird dagegen angeführt, dass der Preis auf normativer Ebene zu hoch sei. Eine Unterscheidung beider bedeutet einen Fortschritt des Völkerrechts, da die Trennung immer eine Unterscheidung zwischen politisch legitimierter Gewalt im Zuge einer Kriegshandlung und illegitimer Gewalt, ausgeübt im Zuge eines Verbrechens, ermöglicht.Hinzu kommen Bedenken "bezüglich der Folgen eines ungehegten Counterterrorismus der angegriffenen Staaten" (Geis 2006, 22). In einem permanenten Kriegszustand hätten demokratische Staaten die Möglichkeit, die Erweiterung des Sicherheitsapparates und Bürgerrechtseinschränkungen zu legitimieren (vgl. ebd., 21f.). Als weiteres Argument wird angeführt, dass eine Trennung beider Begriffe aus analytischer Sicht sinnvoll sei, da es sich beim Terrorismus primär um eine Kommunikationsstrategie handele. Dieser fehlen neben der territorialen Dimension auch die wechselseitig beständige Gewaltanwendung und das Charakteristikum eines Massenkonflikts (vgl. ebd., 23).Für eine Subsumierung des Terrorismus unter den Kriegsbegriff spricht insbesonders die Sichtweise der Vereinten Nationen, die im Zuge der Anschläge vom 11. September 2001 den Vereinigten Staaten von Amerika das Recht auf Selbstverteidigung gemäß Art. 51 UN-Charta zugesprochen hat (vgl. Resolution 1373 2001). Auf diese Tatsache wird zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal eingegangen. Anschließend wird der Sichtweise der Vereinten Nationen gefolgt und folglich der Terrorismus unter den Begriff des Krieges subsumiert.Reaktionen der Vereinten Nationen auf Terrorismus vor dem 11. September 2001In einem nächsten Schritt gilt es, auf die Reaktionen der Vereinten Nationen auf das Phänomen des Terrorismus vor dem 11. September 2001 einzugehen. Hierbei wird zunächst auf das unterschiedliche Verständnis in Bezug auf den Sicherheitsbegriff näher eingegangen. Seit den 1970er Jahren gilt nicht mehr nur die politische Souveränität und die territoriale Integrität der einzelnen Staaten als das zu schützende Objekt der Sicherheitspolitik.Neben der zu schützenden staatlichen Sicherheit geriet auch die Gesellschaft, definiert als ein "Zusammenschluss von Individuen" (Kaim 2011, 3), in den Mittelpunkt sicherheitspolitischen Handelns. In den 1990er Jahren erfolgte die Aufnahme einer weiteren Dimension in Gestalt der menschlichen Sicherheit in den Diskurs rund um den Sicherheitsbegriff und die damit verbundenen Aufgaben. Nach diesem Verständnis ist die Sicherheit, die Freiheit und der Wohlstand des Individuums zu schützen. Es zeigt sich jedoch, dass die Dimensionen in der politischen Praxis nicht getrennt voneinander betrachtet werden können. Der Schutz des Individuums umfasst ebenso die Gesellschaft, in der es lebt, und letzlich auch den Staat (vgl. Kaim 2011, 3f.).Aus sicherheitspolitischer Perspektive gilt der "Terrorismus als entterritorialisiertes Sicherheitsrisiko" (Behr 2017, 151), das zu drei Konsequenzen führt. Zunächst einmal sind terroristische Aktivitäten nicht voraussagbar. Es besteht das Risiko, dass sie sich zu jeder Zeit an jedem Ort ereignen können. Hinzu kommt, dass die Akteure anders als Staaten keine politische Einheit darstellen. Vielmehr ereignen sich einzelne, verstreut zusammenhängende Handlungen ohne einen genau ausmachbaren Anfang oder Ende. Folglich kann auf das sicherheitspolitische Risiko Terrorismus nur reagiert werden, wenn die Maßnahmen "Handlungs- und Organisationslogiken transnationaler Politik erfassen und übernehmen" (Behr 2017, 151).Die Problematik des transnationalen Terrorismus als Herausforderung für die Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen führte zu einer Reihe von Abkommen mit der Intention der Beseitigung und Bekämpfung der Problematik. In diesem Zusammenhang kristallisierte sich ein pragmatischer Ansatz heraus. "[B]esonders häufig auftretende terroristische Aktivitäten [wurden] zum Gegenstand spezifischer Konventionen gemacht" (Finke/Wandscher 2001, 169).Nahezu alle von der Generalversammlung und den Sonderorganisationen verabschiedeten Abkommen können aufgrund bestimmter Kernelemente als Antiterrorkonventionen bezeichnet werden. Zu den besagten Kernelementen gehört zunächst einmal die Verpflichtung der Vertragsstaaten, die in dem jeweiligen Abkommen genannte strafbare Handlung in das jeweilige innerstaatliche Recht aufzunehmen und angemessen zu bestrafen.Hinzu kommt, dass verdächtige Personen entweder durch den Staat selbst zu verfolgen sind oder an einen anderen, verfolgungswilligen Staat ausgeliefert werden müssen. Eine Auslieferung kann nur dann verweigert werden, wenn das Auslieferungsgesuch aufgrund religiöser, ethischer, nationaler, rassistischer oder politischer Gründe erfolgt ist. Ferner sind die Vertragsstaaten dazu verpflichtet, untereinander zu kooperieren und sich gegenseitig Rechtshilfe zu gewähren (vgl. Finke/Wandscher 2001, 169).Das erste derartige Übereinkommen stellt das Haager Abkommen von 1970 zur Bekämpfung der widerrechtlichen Inbesitznahme von Luftfahrzeugen dar. Darauf folgte das Montrealer Abkommen von 1971 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Zivilluftfahrt (vgl. ebd., 169). Die besagten Abkommen ordnen bestimmten Aktivitäten zwar das Adjektiv terroristisch zu, stufen diese jedoch nicht als Bedrohung des Weltfriedens ein oder führen zu der Anordnung von Zwangsmaßnahmen gemäß Kapitel VII der UN-Charta durch den Sicherheitsrat.Dies änderte sich mit der Explosion einer Bombe an Bord des Pan-American-Flugs 103 über der schottischen Ortschaft Lockerbie im Jahr 1988. Hier wurden zwei Staatsangehörige Libyens für die Anschläge verantwortlich gemacht, und das Land von den Vereinigten Staaten und Großbritannien zu deren Auslieferung aufgefordert. Der libysche Staat verweigerte das. Als Reaktion darauf wurde der Terrorakt im Rahmen der Resolution 731 durch den Sicherheitsrat als Bedrohung des Weltfriedens gemäß Kapitel V Artikel 24 eingestuft.Durch Resolution 748, ebenfalls 1992 verabschiedet, wurde die Nichtauslieferung durch Libyen als "eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit" (Finke/Wandscher 2001, 171) bezeichnet und Zwangsmaßnahmen gemäß Kapitel VII UN-Charta gegen das Land erlassen (vgl. Behr 2017, 147; Finke/Wandscher 2001, 170f.).Der Einsatz von Zwangsmaßnahmen gemäß Kapitel VII der UN-Charta erwies sich als wirksames Mittel der Terrorismusbekämpfung im Hinblick auf die Durchsetzung bestimmter Maßnahmen. Hierunter fallen insbesonders Maßnahmen, die zwar Gegenstand geltender Antiterrorkonventionen sind, diese durch die betreffenden Staaten jedoch nicht ratifiziert wurden oder die Konvention selbst noch nicht in Kraft getreten ist (vgl. Finke/Wandscher 2001, 171).Diese Strategie des Sicherheitsrates etablierte sich insbesonders hinsichtlich der Situation in Afghanistan. In Folge der Anschläge auf amerikanische Botschaften in Nairobi und Daressalam erließ der Sicherheitsrat mit der Resolution 1267 Individualsanktionen gegen die afghanischen Taliban. Der Grund hierfür war die Tatsache, dass diese den Verantwortlichen für die Anschläge, der Terrorgruppe Al-Qaida und ihrem Anführer Osama bin Laden, Unterstützung gewährte.Insbesonders durch das Einfrieren der finanziellen Mittel, aber auch durch ein Waffenembargo und ein Reiseverbot, sollten diese zur Auslieferung Bin Ladens gezwungen werden. Um die Umsetzung dieser Maßnahmen zu gewährleisten, setzte die Resolution zudem einen Unterausschuss des Sicherheitsrates ein (vgl. Kreuder-Sonnen 2017, 159).Direkte Reaktionen der Staatengemeinschaft auf den 11. September 2001Als erste Reaktion auf die Anschläge des 11. September 2001 wurde vom Sicherheitsrat bereits am Tag nach den Anschlägen die Resolution 1368 erlassen. In dieser wurde der Terrorismus einstimmig als "Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit" (UN-Resolution 1368 2001) im Sinne von Art. 39 UN-Charta bezeichnet. Zugleich wurde auf das Recht zur individuellen und zur kollektiven Selbstverteidigung verwiesen (vgl. UN-Resolution 1368 2001).Noch im gleichen Monat, am 28 September 2001, wurde das Recht zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung mit Resolution 1373 bekräftigt und die internationale Staatengemeinschaft aufgefordert, "durch terroristische Handlungen verursachte Bedrohungen […] mit allen Mitteln im Einklang mit der Charta zu bekämpfen" (Resolution 1373 2001).Neben dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen reagierte auch der Nordatlantikrat umgehend. Am 12. September erklärte der damalige Generalsekretär George Robertson die Anschläge zum kollektiven Verteidigungsfall, wodurch Artikel 5 des NATO-Vertrages in Kraft trat. Nach diesem ist jeder Mitgliedstaat verpflichtet, mit von ihm ausgewählten Mitteln zu helfen (vgl. Robertson 2001).Aus amerikanischer Sicht dienten die Anschläge nicht nur dem Zweck der Tötung von amerikanischen Zivilisten, "Bush sah darin die gesamte westliche Zivilisation herausgefordert" (Czempiel 2003, 114). In seiner Rede am 20. September 2001 warnte der amerikanische Präsident alle Staaten hinsichtlich der Unterstützung und der Beherbergung von Terroristen. Innerhalb der Regierung wurde hinsichtlich der Bekämpfungsstrategie "offen von Präemption gesprochen" (Czempiel 2003, 115).Als Adressaten der amerikanischen Drohung kamen insgesamt 60 Länder mit aktiven terroristischen Organisationen in Frage (vgl. ebd., 114). Auch wenn die meisten Attentäter der Anschläge ursprünglich aus Saudi-Arabien stammten, erhärtete sich zunehmend der Verdacht, dass ihre Aktivitäten von Afghanistan aus gelenkt wurden. Im Zuge dessen wurde das Land als "Prototyp" (ebd., 115) für die Terrorismusbekämpfung ausgewählt. Mit der Operation "Enduring Freedom" starteten amerikanische und britische Truppen am 7. Oktober 2001 Angriffe auf Talibanstützpunkte wie etwa auf Regierungsgebäude in Kandahar und Kabul (vgl. Bruha/ Bortfeld 2001, 162; Czempiel 2003, 115).Der Umstand, dass sich am Tag nach den Anschlägen der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit diesen befasste "ist ein erstaunlicher Beweis für die politische Klugheit der USA" (Tomuschat 2002, 20) hinsichtlich der Legitimation der Reaktion auf diese. In diesem Zusammenhang gilt es sich jedoch zu fragen, ob die genannten Resolutionen das Land tatsächlich zu einem Recht auf Selbstverteidigung gemäß Artikel 51 UN-Charta legitimieren.In Resolution 1368 findet sich in Bezug darauf ein entscheidender Widerspruch, welcher die rechtlich bedeutsamen Aussagen schwer greifbar macht. Dieser bekräftigt das Recht auf individuelle und kollektive Sicherheit im Sinne der Charta, bezeichnet die Angriffe jedoch lediglich als eine Bedrohung des globalen Friedens und der Sicherheit. Die bekundete Entschlossenheit, die Bedrohung "mit allen Mitteln zu bekämpfen" (UN 2001, 315), kann nicht als eine Ermächtigung für einzelne Staaten aufgefasst werden, sondern steht für die grundsätzliche Bereitschaft der internationalen Gemeinschaft.Anders als Resolution 1368 enthält Resolution 1373 mehr rechtlich eindeutige Aussagen. Bereits in der Präambel wird auf die Anwendung der Maßnahmen gemäß Kapitel VII UN-Charta verwiesen. Zudem bestätigt sie die Zulässigkeit des Einsatzes "aller Mittel" durch die Opfer von terroristischen Anschlägen (vgl. UN 2001, 316f.). Es zeigt sich also, dass eine Berechtigung zu der Ausübung des Selbstverteidigungsrechts gemäß Art. 51 UN-Charta durch die Vereinigten Staaten im Rahmen der genannten Resolution durchaus vorliegt (vgl. Tomuschat 2002, 20f.).Nun stellt sich die Frage, ob die Verbindungen zwischen den Anschlägen und dem Taliban-Regime derart offensichtlich waren, dass die militärischen Aktionen gegen die Taliban in Afghanistan unter die Ausübung des Selbstverteidigungsrechts fallen. In diesem Zusammenhang kann man sich nicht auf die genannten Resolutionen berufen, da diese nicht aufzeigen, "gegen wen Gegenwehr zulässig sein soll" (Tomuschat 2002, 21). Folglich gilt es, die Reaktionen des Sicherheitsrates und der Generalversammlung näher zu betrachten.Es zeigt sich, dass beide Institutionen die amerikanisch-britische Militärintervention nicht verurteilten. Vielmehr verabschiedete der Sicherheitsrat am 12. November 2001 einstimmig Resolution 1377. In dieser wurde der Terrorismus als "eine der schwerwiegendsten Bedrohungen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit im 21. Jahrhundert" (UN-Resolution 1377 2001) bezeichnet. Mit dieser Qualifikation wurde implizit der Einsatz von äußersten Mitteln gestattet, da die Resolution keine "Grenzen und Schranken von Gegenmaßnahmen enthält" (Tomuschat 2002, 21). Letztendlich kann man also davon ausgehen, dass die Vereinten Nationen die Ausübung des Selbstverteidigungsrechts gemäß Art. 51 UN-Charta durch die USA als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 zumindest implizit gebilligt haben (vgl. Tomuschat 2002, 21f.).Als Reaktion auf die Anschläge wurden die bislang geltenden Individualsanktionen gegen die afghanischen Taliban und das Terrornetzwerk Al-Qaida mithilfe der Resolution 1390 zu allgemeinen, dauerhaft geltenden Maßnahmen gegen den transnationalen Terrorismus umgewandelt. Damit wurde nicht nur der Adressatenkreis erweitert, es wurde zusätzlich auch die räumliche und die zeitliche Begrenzung aufgehoben.Jede Person, die von einem Staat als Terrorverdächtiger genannt wurde, bekam ab diesem Zeitpunkt die Sanktionen im Hinblick auf das Privatleben, das private Eigentum, auf den Sozialstatus und das Unterhalten von geschäftlichen Beziehungen zu spüren. Fundierte Beweise für eine Aufnahme in die sogenannte "Schwarze Liste" (Kreuder-Sonnen 2017, 160) durch die Staaten waren ebenso wenig notwendig wie eine Begründung gegenüber dem Individuum (vgl. Kreuder- Sonnen 2017, 160).Folgen für die SicherheitspolitikAngesichts der aufgezeigten Gegenmaßnahmen als direkte Reaktion auf die Anschlage des 11. Septembers 2001 wird deutlich, dass man "bezüglich der Reaktion auf den Terrorismus von einer neuen Ära" (Waldmann 2005, 229) ausgehen muss. Es zeigt sich, dass sowohl bei diesen Anschlägen als auch bei terroristischen Anschlägen in den Folgejahren "die durchschnittliche Zahl der Opfer pro Anschlag […] kontinuierlich ansteigt" (Waldmann 2005. 16).Infolgedessen spricht auch Waldmann im Kontext von terroristischen Anschlägen von Kriegshandlungen. Seiner Ansicht nach hat das zunehmende Ausmaß der Anschläge dazu geführt, dass diese nicht mehr als `low intensity´ war, sondern vielmehr als `high intensitiy´ war eingestuft werden müssen. Der Grund hierfür ist seiner Ansicht nach die Tatsache, dass der Begriff des low intensity war neben dem fehlenden Einsatz von konventionellem Kriegsgerät und größeren Truppenverbänden auch einen begrenzten Personen- und Sachschaden impliziert (vgl. Waldmann 2005, 16f.).Auf der internationalen Ebene spiegelten sich die Reaktionen auf das zunehmende Ausmaß der Anschläge vor allem in den zahlreich erlassenen Konventionen und Resolutionen wieder. Hinzu kommt die Tatsache, dass terroristische Anschläge erstmals zu militärischen Interventionen in Länder geführt haben, die sich in erheblicher Entfernung von dem betroffenen Land befinden. Zumindest im Fall von der militärischen Intervention in Afghanistan herrschte eine seltene Einigkeit zwischen den Großmächten im Sicherheitsrat.Ferner führten die Ereignisse zu einem erheblichen Medieninteresse (vgl. Waldmann 2005, 229). Anhand dessen lässt sich "[d]ie neue Einschätzung des gewaltigen, vor allem dem internationalen Terrorismus zugeschriebenen Drohpotentials" (ebd., 230) feststellen. Diese führte zu drei als signifikant zu bezeichnenden Veränderungen im Hinblick auf die Politik und die Einstellung in Bezug auf den Terrorismus (vgl. ebd., 230).Zunächst einmal bewirkte der transnationale Terrorismus in den westlichen Nationen nicht nur einen "politischen Rechtsruck" (ebd., 230) aller regierenden Parteien. Er wirkte sich auch auf alle Ebenen der Gesellschaft aus. Dieser Wandel auf der nationalen Ebene wirkte sich auch auf die Entscheidungen internationaler Gremien aus. Die bislang vorhandene Balance zwischen der individuellen und kollektiven Sicherheit auf der einen Seite und den Grund- und Freiheitsrechten auf der anderen Seite hat sich zunehmend zugunsten des Sicherheitsaspektes verschoben (vgl. ebd., 230).Insbesonders um den Informationsaustausch zwischen den Staaten gewährleisten zu können und damit ein gemeinsames Vorgehen gegen die Bedrohung zu ermöglichen, wurden internationale Instanzen zur Koordinierung geschaffen (vgl. Behr 2017, 151; Waldmann 2005, 231). Ferner erfolgte eine erhöhte Aufmerksamkeit und Ressourcenbereitstellung für national und international agierende Behörden hinsichtlich terroristischer Aktivitäten und damit verbunden eine Reihe neuer, zu diesem Zweck erlassener Gesetze.Neben dem Informationsaustausch wurden auch die Möglichkeiten der Polizei und anderer Instanzen erweitert, um Anschläge bereits im Planungs- und Vorbereitungsstadium erkennen und verhindern zu können. Hierzu gehören beispielsweise Einreiseverbote für Mitglieder islamistischer Gruppierungen. Neben den erweiterten präventiven Maßnahmen wurden auch Notfallszenarien entwickelt, die im Fall eines Anschlags in Kraft treten (vgl. Waldmann 2005, 232).Im Hinblick auf die dargestellten Veränderungen stellt sich in einem nächsten Schritt die Frage, inwiefern weitere Maßnahmen aus der Sicht der Vereinten Nationen erforderlich sein könnten. Nach dem Terrorismusexperten Peter Waldmann "wird keine Unterscheidung zwischen Maßnahmen auf der nationalen und der internationalen Ebene getroffen, weil beide längst immer enger ineinander greifen und in die gleiche Richtung zielen" (Waldmann 2005, 239).Als zentrale Handlungsmaxime benennt Waldmann in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass die Strategien gegenüber terroristischen Netzwerken beziehungsweise dem Terrorismus im Allgemeinen "klar, konsistent und glaubhaft" (Waldmann 2005, 239) sein sollen. Hinsichtlich des Umgangs mit dem islamistischen Terrorismus besteht die größte Problematik darin, dass westliche Nationen ihre Glaubhaftigkeit bezüglich ihrer Leitlinien teilweise verlieren. Insbesonders den Vereinigten Staaten von Amerika wird vorgeworfen, dass sie ihren Prinzipien der Demokratie, des Grundrechtsschutz und der Rechtsstaatlichkeit zugunsten von politischen und wirtschaftlichen Interessen teilweise nicht treu sind (vgl. ebd., 240)."Dass sie aus machtpolitischen Erwägungen jederzeit dazu bereit sind, mit Diktaturen Bündnisse zu schließen, und hinter ihrem quasi messianischen Diskurs, es gelte in der ganzen Welt demokratische Verhältnisse herzustellen, nun allzu deutlich das dringende Bestreben durchscheint, der eigenen Wirtschaft lukrative neue Erdölfelder zu erschließen." (Waldmann 2005, 240).Hinsichtlich der Maßnahmen auf der internationalen Ebene gilt es zunächst auf die Transnationalität näher einzugehen. Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei terroristischen Gruppen in den meisten Fällen nicht um eine Gruppe aus einem Land, sondern um Angehörige unterschiedlicher Länder, die sich länderübergreifend miteinander vernetzt haben. Um dem begegnen zu können, erscheint es unabdingbar, dass auch Staaten grenzübergreifend miteinander kooperieren. Dies würde eine erhebliche Bereitschaft der Teilnehmenden zu einem Teilverzicht auf ihre staatlichen Souveränitätsräume und ihrer Souveränitätsrechte bedeuten.Hinsichtlich der nationalen und internationalen Rechtsordnungen im Allgemeinen verlangen transnationale Rechtsverstöße auch eine entsprechende Weiterentwicklung des Rechts auf internationaler Ebene. Transnationale Verbrechen können nicht durch an nationale Grenzen gebundenes Recht bekämpft werden, da aufgrund der unterschiedlichen Verfassungen rechtsfreie Sphären auf globaler Ebene entstehen. Folglich ist eine Ausweitung des transnationalen Rechts erforderlich. Hierfür müsste das Völkerrecht, bislang mit dem Staat als Rechtsperson und einer rechtlichen Bindung auf dem staatlichen Territorium, entterritorialisiert werden (vgl. Behr 2017, 151; Schmalenbach 2004, 266).Neben der Kooperation von Staaten und der Erweiterung des internationalen Rechts spricht Ernst-Otto Czempiel von einer "dreigeteilte[n] Strategie" (Czempiel 2003, 57) hinsichtlich der Verhinderung weiterer terroristischer Anschläge. Kurzfristig ist es die Aufgabe der Staaten, weitere Anschläge zu verhindern. In diesem Zusammenhang offenbart sich jedoch eine in demokratischen Staaten schwierige Güterabwägung hinsichtlich des Schutzes der kollektiven Sicherheit und der individuellen Freiheitsrechte (vgl. Czempiel 2003, 57).Die bürgerliche Freiheit stellt in demokratischen Staaten ein hohes Gut dar. Auf der anderen Seite würde der fortschreitende Ausbau des staatlichen Sicherheitsapparates eine "allmähliche Aushöhlung der individuellen Grund- und Freiheitsrechte um des Schutzes angeblich höherwertiger Güter willen" (Waldmann 2005, 242) bedeuten. Die Folge wäre eine Entwicklung des Rechtsstaates hin zu einem "präventiven Sicherheitsstaat" (Waldmann 2005, 242) mit einer teilweisen Abkehr von demokratischen Grundsätzen (vgl. Hofmann 2006, 446; Waldmann 2005, 242).Infolgedessen gilt es mittelfristig, sich mit dem Hintergrund der Akteure auseinanderzusetzen. "Als besonders fruchtbare Brutstätte gelten die zahlreichen `failing states´, also die gescheiterten oder zerfallenen Staaten" (Czempiel 2003, 58). Am Beispiel Afghanistans wird deutlich, dass der Westen einen erheblichen Anteil an dem Scheitern des Landes und an der Entstehung der dort ansässigen Terrorgruppe hatte.Im Zuge des Konflikts mit der Sowjetunion hatte Amerika die Kämpfer unterstützt. Mit dem sowjetischen Abzug endete auch die amerikanische Unterstützung, und das zerstörte Land wurde ebenso wie die von Amerika ausgebildeten Kämpfer sich selbst überlassen. Es gründete sich die Terrorgruppe Al Qaida mit dem neuen Feind in Gestalt der USA. Die Entwicklungen in Afghanistan haben gezeigt, dass bei jeder Einmischung von außen neben den kurzfristigen auch die langfristigen Konsequenzen zu bedenken sind und dass "das Objekt der Einmischung auch politisch und wirtschaftlich davon profitiert" (Czempiel 2003, 58).Aus langfristiger Sicht gilt es, die "Quellen des Terrorismus auszutrocknen" (ebd., 58) und eine Veränderung des Kontextes zu erwirken. In diesem Zusammenhang ist die Stabilisierung der "failing states" von entscheidender Bedeutung. Czempiel spricht von einer Neuordnung der Welt, "die immer mehr als ein Quasi-Binnenraum begriffen und mit entsprechender Strategie bearbeitet werden muss" (ebd., 59). Neben der Verringerung der Dominanz des Westens ist eine Änderung der Werteverteilung und ein Lösen der großen Konflikte erforderlich (vgl. ebd., 59).FazitDie Anschläge in den Vereinigten Staaten von Amerika am 11. September 2001 wirkten sich nicht nur traumatisch auf das "Selbst- und Machtbewusstsein der USA" (Czempiel 2003, 40) aus, sie versetzten auch den Rest der Welt in "Angst und Schrecken" (Czempiel 2003, 40). Zu Beginn des 21. Jahrhunderts erschien eine militärische Auseinandersetzung zwischen zwei Staaten unwahrscheinlich. Vielmehr stellte der Terrorismus als eine "neue Bedrohung von innen durch gesellschaftliche Akteure" (ebd., 57) das größte sicherheitspolitische Risiko insbesonders für westliche Industriestaaten dar. (vgl. ebd., 57). "Der Terror soll Angst und Schrecken verbreiten, ein Gefühl allgemeiner Unsicherheit erzeugen und offene Panik auslösen" (Hofmann 2006, 445). Hinzu kommt, dass mit dieser Form der psychologischen Kriegsführung das Vertrauen innerhalb der Gesellschaft in die politische Führung und in den Staat im Allgemeinen zerstört werden soll.Aus historischer Sicht existiert das Phänomen des Terrorismus seit mehr als 2000 Jahren. "Er hat überlebt, weil es ihm gelungen ist, sich immer wieder an die veränderten Bedingungen und Gegenmaßnahmen anzupassen und die verwundbaren Stellen seines Gegners ausfindig zu machen, um sie für seine Zwecke zu nutzen" (Hofmann 2006, 446). Entsprechend muss bei Gegenmaßnahmen "das gesamte Spektrum der verfügbaren Mitteln […], psychologische und physische, diplomatische und militärische, ökonomische und moralische" (ebd., 445) eingesetzt werden.Es gilt nun abschließend eine Antwort auf die Frage zu finden, inwiefern die Anschläge im Herbst 2001 die Sicherheitspolitik der Vereinten Nationen verändert haben. Kurzfristig führten diese zu einer seltenen Einigkeit der ständigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrat, was sich in den zahlreichen erlassenen Resolutionen wiederspiegelt. Darunter fällt auch die Tatsache, dass die internationale Gemeinschaft die Militärintervention in Afghanistan nicht verurteilte, sondern vielmehr den Vereinigten Staaten ihr Recht auf Selbstverteidigung gemäß Art. 51 UN-Charta einstimmig zugestand.Es erwies sich jedoch hinsichtlich der internationalen Zusammenarbeit als problematisch, dass keine einheitliche Definition des Begriffs Terrorismus besteht. Das könnte dazu führen, dass wirtschaftliche Sanktionen oder militärische Aktionen zur Durchsetzung eigener Interessen fälschlicherweise als Terrorismusbekämpfung etikettiert werden.Generell zeigt sich, dass die Anschläge einen erheblichen innenpolitischen Rechtsruck bewirkten, der sich auch auf die Entscheidungen internationaler Gremien auswirkte. Das wurde durch erweiterte Befugnisse für die Polizei und andere Exekutivorgane in Fragen der nationalen und internationalen Sicherheit sichtbar.Mit der Resolution 70/291 stellte der amtierende UN-Generalsekretär Antonio Guterres am 22. Februar 2017 strategische Handlungsoptionen für die Terrorismusbekämpfung vor. Zunächst einmal soll die Effizienz der Vereinten Nationen im Bereich der Terrorbekämpfung allgemein gestärkt werden. Zudem soll die Qualität der Vereinten Nationen hinsichtlich der Unterstützung der Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung der UN-Terrorismusbekämpfungsstrategien hinterfragt werden. Hinzu kommt der Anstoß zu einer Debatte hinsichtlich der regionalen und internationalen Zusammenarbeit von Staaten und UN-Sonderorganisationen.Außerdem wurde Wladimir Iwanowitsch Woronkow auf Vorschlag von Guterres zur Umsetzung und Koordinierung der Vorschläge am 21. Juni 2017 als Untergeneralsekretär eingesetzt. Diese strategische Neuausrichtung wird als eine strategische Aufwertung der Terrorismusbekämpfung im Rahmen der Vereinten Nationen verstanden (vgl. Behr 2017, 152).Zusammenfassend zeigt sich also, dass sich die internationale Gemeinschaft der Tatsache bewusst ist, dass eine gemeinsame Strategie zur Bekämpfung des transnationalen Phänomens erforderlich ist. "Wenn wir den Terrorismus erfolgreich bekämpfen wollen, müssen wir ebenso unermüdlich, innovativ und dynamisch vorgehen wie unsere Gegner" (Hoffmann 2006, 446).LiteraturBehr, H. (2017): Die Antiterrorismuspolitik der UN seit dem Jahr 2001. In: Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. [Hrsg.]: Terrorismusbekämpfung und die Vereinten Nationen. S. 147-151.Böhm, A. (2021): Die Gesetzte des Dschungels. In: ZEIT Geschichte 4/21. S 92-97.Czempiel, E.-O. (2003): Weltpolitik im Umbruch. Die Pax Americana, der Terrorismus und die Zukunft der internationalen Beziehungen. München: Verlag C.H.Beck oHG.Finke, J./ Wadscher, C. (2001): Terrorismusbekämpfung jenseits militärischer Gewalt. In: Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. [Hrsg.]: Terrorismusbekämpfung und die Vereinten Nationen. S. 168-173.Geis, A. (2006): Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheorien in der Kontroverse. Zugriff am 09.03.2022 unter https://www.pw.ovgu.de/ipw_media/Downloads/Geis/Geis__Einleitung_Den_Krieg_berdenken_9_43-p-90.pdf.Hofmann, B. (2006): Terrorismus – der unerklärte Krieg. New York: Columbia University Press.Kahl, M. (2011):Die Militärstrategie der USA nach dem 11. September. In: Bundeszentrale für Politische Bildung [Hrsg.]: Aus Politik und Zeitgeschichte 27/2011. S. 19-24.Kaim, M. (2011): Internationale Sicherheitspolitik nach dem 11. September. In: Bundeszentrale für Politische Bildung [Hrsg.]: Aus Politik und Zeitgeschichte 27/2011. S. 3-9.Kreuder-Sonnen, C. (2017): Terrorismusbekämpfung und die Vereinten Nationen. In: Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. [Hrsg.]: Terrorismusbekämpfung und die Vereinten Nationen. S. 159-163.Pfahl-Traughber, A. (2016): Terrorismus – Merkmale, Formen und Abgrenzungsprobleme. In: Bundeszentrale für Politische Bildung [Hrsg]:Aus Politik und Zeitgeschichte 24-25/ 2016. S. 10-19.Nato Press Releases (2001): Statement by the North Atlantic Council. Zugriff am 09.03.2022 unter https://www.nato.int/docu/pr/2001/p01-124e.htmSchmalenbach, K. (2017): Völker- und unionsrechtliche Anstöße zur Entterritorialisierung des Rechts. In: Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer [Hrsg]: Grenzüberschreitungen. Berlin: DeGruyter. S. 245-272.Steinberg, G. (2015): Transnationaler Terrorismus. Zugriff am 06.03.2022 unter https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/izpb/209663/transnationaler-terrorismus/.Tomuschat, C. (2002): Der 11. September 2001 und seine rechtlichen Konsequenzen. 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In diesem Beitrag stellt Onur Can Güzel folgenden Aufsatz vor: Ince, Hilal Onur (2014): Populismus und Islam in der Türkei; in: Henrique Ricardo Otten / Manfred Sicking (Hg.): Kritik und Leidenschaft, transcript Verlag, S. 67-82, https://www.transcript-open.de/doi/10.14361/transcript.9783839415900.67. Hilal Onur Ince beschriebt den Aufstieg der populistischen Partei AKP und Erdogans (Adalet ve Kalkinma Partisi / Partei der Gerechtigkeit und Entwicklung) und die damit verbundene schleichende Islamisierung der türkischen Gesellschaft mit der Unterstützung von sogenannten Tarikats (Bruderschaften) und nicht-staatlichen Organisationen wie der Fethullah Gülen Bewegung sowie die damit einhergehenden Folgen. Zusätzlich geht sie auf den Populismus in der Außenpolitik der AKP ein.Zu Beginn des Textes geht Hilal Onur Ince darauf ein, wie das Zusammenspiel von Religion und Politik zum Aufstieg der populistischen Partei AKP geführt hat. Demnach haben sich AKP-Funktionäre bemüht, sich konservativ demokratisch darzustellen, wodurch sie zu einem Sammelbecken für die politische Rechte der Türkei wurden (vgl. S. 69). Die Wahl der AKP im Jahr 2002 kann laut Hilal Onur Ince auf die Schwäche der Mitte-Rechts Parteien zurückgeführt werden, wodurch ein politisches Vakuum entstand. Zusätzlich sorgte die Zehn-Prozent-Hürde bei den Wahlen dafür, dass die AKP mit einem Drittel der Stimmen fast zwei Drittel der Sitze im Parlament bekam und zum ersten Mal in der Geschichte der türkischen Republik eine Mehrheitsregierung durch eine islamisch geprägte Partei gebildet wurde (vgl. S. 69).Der AKP-Erfolg wurde von Wissenschaftlern und politischen Entscheidungsträgern als ein historischer Sieg der "Peripherie" über das "Zentrum" gefeiert. Die Peripherie stellt demnach die kulturell unterdrückte und ausgegrenzte Mehrheit der Bevölkerung dar, während das Zentrum die säkulare militärisch-zivile Bürokratie darstellt (vgl. S. 69).Der Einfluss islamistischer Bewegungen auf die gesellschaftspolitische Struktur der Türkei ist laut Hilal Onur Ince ein Phänomen, das seit dem Übergang in das Mehrparteiensystem im Jahr 1950 zu beobachten ist, aber weitgehend ignoriert wurde. Die Türkei erlebte im Lauf ihrer Geschichte demnach drei gesellschaftspolitische und sozioökonomische Prozesse, die der AKP zur Macht verhalfen. Der Aufstieg der islamistischen Bewegungen, die Ausweitung des religiösen Lebensstils und der Aufstieg des Neoliberalismus (vgl. S. 70-72).Seit dem Militärputsch im Jahr 1980 hat der politische Islam in der Türkei einen großen Zugang zu staatlichen Institutionen. Dies führte dazu, dass Bewegungen wie die Fethullah Gülen-Bewegung unter dem Regime von Erdogan einen großen Einfluss auf Institutionen der inneren Sicherheit hatten.Im weiteren Verlauf des Textes geht Hilal Onur Ince auf die Frage ein, ob die Fethullah Gülen-Bewegung, die für die Islamisierung des türkischen Nationalismus und für eine Religion-Staat-Beziehung nach osmanischer Art steht, eine Art fünfte Kolonne ist oder eine humanitäre Mission hat. Sie kommt zur Erkenntnis, dass die Fethullah Gülen-Bewegung auch die politische Mission hat, staatliche Institutionen zu übernehmen und den Islam und ihre Ideologie auf internationaler Ebene zu verbreiten (vgl. S. 72).Gülen könne seine Ideologie über mehrere Medienanstalten, über ein Netz von loyalen Bürokraten, seine Anhängerschaft in Universitäten und Hochschulen, über Staatsanwälte und Richter, über Beschäftigte der Sicherheits- und Nachrichtendienste usw. verbreiten. Der Einfluss der Gülen-Ideologie reicht bis in die Tiefen der türkischen Gesellschaft. Ärzte, die keine Frauen untersuchen wollen, Bürgermeister, die Statuen im öffentlichen Raum entfernen, Ärzte, die die Ansicht verbreiten, dass Krebs durch den Glauben geheilt werden kann (vgl. S. 73).Die AKP-Regierung, die laut Hilal Onur Ince nach einer Islamisierung der Gesellschaft strebe, sieht sich nicht genötigt, die Islamisierung selbst zu betreiben, da sowohl die Gülen-Bewegung als auch andere Bruderschaften diese Aufgabe ausüben (vgl. S. 74).Nicht nur innenpolitisch ist seit Beginn der AKP-Regierung eine Trendwende zu beobachten, sondern auch in der Außenpolitik. Zum ersten Mal in der Geschichte der türkischen Republik unterstützte die Regierung einen Angriffskrieg auf ein Nachbarland (vgl. S. 75). Im Lauf der Zeit war Erdogan davon überzeugt, dass seine Art des Populismus dem Volk gefalle. In der Außenpolitik wurde die Rolle des harten Mannes zu einer Art Grundsatz des nationalen Interesses.Zusammenfassend schreibt Hilal Ince Onur, dass die die populistischen Tendenzen in der Außenpolitik dem Ansehen der Türkei geschadet haben. Ursprünglich wohlgesonnene arabische Länder wie Ägypten und Jordanien sind der Türkei heute entfremdet.Mit zunehmender Islamisierung der Gesellschaft nimmt die Kluft zwischen dem säkularen und dem islamistischen Lager zu. Die Gesellschaft fühlt sich laut Hilal Onur Ince dazu gezwungen, in der Öffentlichkeit nach islamischem Recht zu leben. Frauen beispielsweise fühlen sich dazu gedrängt, ein Kopftuch zu tragen. Der zunehmende Konservatismus im Alltag und die sich verschlechternden Aussichten für die türkische Demokratie werden das Land laut Onur Ince noch jahrzehntelang beschäftigen (vgl. S. 77-78).
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In diesem Beitrag stellt Jonathan Hörtkorn folgenden Text vor:Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. (2005): Gründungsgeschichte der Vereinten Nationen; UN Basis Informationen, online unter http://edoc.vifapol.de/opus/volltexte/2009/1043/pdf/BI_UN_Gruendung.pdf. Der Text stammt aus dem Jahr 2005 und wurde von Dr. Hermann Weber verfasst und listet verschiedene Prozesse und Ereignisse auf, die maßgeblich zur Gründung der Vereinten Nationen beigetragen haben. Hintergrund des Erscheinens war das sechzigjährige Bestehen der Vereinten Nationen.Wenn über die Entstehungsgeschichte der Vereinten Nationen geredet wird, ist es nahezu unmöglich, zwei Begrifflichkeiten nicht zu nennen. Das ist zum einen der Völkerbund und zum anderen sind das die Weltkriege. Auch wenn dieser Artikel nicht im Detail auf den Völkerbund eingeht, wird dieser zu Beginn erklärt und zusätzlich erläutert, welchen Einfluss er auf die Entstehung der Vereinten Nationen hatte. Außerdem wird dargestellt, was diese zwei Organisationen, welche beide mit dem gleichen Ziel gegründet wurden, unterscheidet. Auch der Einfluss, den die beiden Weltkriege auf die Gründung der Vereinten Nationen hatte, wird in dem Artikel deutlich.Besonders interessant dargestellt ist der Prozess des Zueinanderfindens zwischen anfangs einzelnen Staatschefs, welcher letztendlich in einer internationalen Staatenorganisation mündete. Es wird beschrieben, welche Intentionen und Interessen, besonders bezogen auf die zwei Hauptakteure des Entwicklungsprozesses, USA und Großbritannien, anfangs verfolgt wurden und auf was die einzelnen Nationen im Endeffekt doch verzichten mussten.So wird von Franklin Roosevelts ersten Vorstellungen einer internationalen Organisation berichtet, die von den Vereinigten Staaten und Großbritannien hätte angeführt werden sollen. Diese zwei Mächte sollten in der Organisation die Rolle der "Weltpolizisten" einnehmen. Zwar setzte sich Roosevelts Vorstellung nicht genau so durch, jedoch kann deutlich die Bevorzugung dieser zwei Mächte gesehen werden. Hier ist beispielsweise zu nennen, dass beide Nationen immer noch zu den "Permanent 5" gehören und somit im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen über ein Veto-Recht verfügen.Besonders interessant wird in diesem Artikel die alles entscheidende Rolle Amerikas vor und während der Gründungsphase der Vereinten Nationen dargestellt. Dabei geht der Artikel nicht nur auf den Vorteil in Bezug auf Ressourcen ein, welchen Amerika unter anderem zur Beendigung des Weltkriegs nutzte. Es wird auch eindeutig auf die Rolle als Vermittler und Initiator hingewiesen. So ist oft zu lesen, dass Amerika unter der Führung Roosevelts andere Nationen aufforderte und animierte, Teil eines neuen Staatenbundes zu werden.Als einen entscheidenden Faktor für den Erfolg dieses Vorhabens ist Roosevelts Offenheit gegenüber allen Nationen zu nennen. Aus heutiger Sicht und nach den weiteren politischen Entwicklungen ist es umso beeindruckender, dass der amerikanische Präsident den britischen, russischen und chinesischen Staatschef zur Bildung einer internationalen Organisation einlud. Auch unter Berücksichtigung der damals herrschenden Umstände ist dies sehr beeindruckend und einer, wenn nicht der entscheidende Faktor für die gelungene Gründung der Vereinten Nation.Des Weiteren verdeutlicht der Text, dass zur Gruppe der Gründungsstaaten fünfzig Staaten zählen. Allerdings sind dies nur die Staaten, welche den Entwurf zur Gründung der Vereinten Nationen am 26.06.1945 unterzeichneten. Zwar gehen dieser Unterzeichnung ungefähr drei Monate voraus, in denen die Staaten gemeinsam die Punkte der UN-Charta beschlossen. Zu beachten ist jedoch, dass diesen Monaten schon ein langer Prozess der Weltmächte (China, USA, UdSSR und Großbritannien) zugrunde liegt, in dem diese bereits wichtige Punkte untereinander geklärt haben. Hierbei musste jeder Staat Kompromisse eingehen. Inwieweit die anderen Gründungsstaaten die Möglichkeit hatten, ihre Vorstellungen und Ideen einzubringen, und diese von den Supermächten realisiert wurden, kann nach Lesen des Artikels durchaus in Frage gestellt werden. Fakt ist jedoch, dass nicht nur die fünfzig Gründungsstaaten mittlerweile Teil der Vereinten Nationen sind, sondern über einhundert weitere im Laufe der Zeit folgten.Der Artikel ist äußerst empfehlenswert, da er einen kurzen und doch fundierten Überblick über die Entstehungsgeschichte der Vereinten Nationen gibt. Er listet dabei Kernmomente, Konferenzen und andere Ereignisse auf, die essenziell zur Entstehung der Vereinten Nationen beigetragen haben. Dabei überzeugt dieser Artikel mit einer für den Leser angenehmen Sprache und wirkt trotz zeitweisem Detailreichtum sehr gut strukturiert und übersichtlich.Des Weiteren ist positiv anzumerken, dass er neutral geschrieben ist. Die Vereinten Nationen werden nicht als eine durch und durch makellose Staatenorganisation dargestellt. Es werden auch Kritikpunkte genannt, wie zum Beispiel die immer lauter werdende Forderung nach Reformen. Als besonders geeignet erscheint dieser Artikel, um das Wissen zur Geschichte der Vereinten Nationen aufzubessern oder Vergessenes erneut in das Bewusstsein des Lesers zu rufen.
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Ariel Sharon, more than any other Israeli or Palestinian leader, has defined the terms and the context of the war in the Gaza Strip.There are two decision points in this narrative that exercise a decisive influence on the current situation.The first is the IDF's reoccupation of the entire West Bank beginning in April 2002 –Operation Defensive Shield. This military operation effectively ended the bargain sealed at Oslo, eliminating Israel's interest in empowering the PLO in the West Bank and indeed in the Gaza Strip as well. Like the current conflict, Defensive Shield was a military operation with wide-ranging political and security ramifications.The second is Sharon's decision to evacuate all settlers and soldiers from the Gaza Strip in September 2005. This surprising policy, was taken by an aging leader anxious to establish principles that would survive his passing. Redeployment marked Sharon's recognition that settlements and occupation by the IDF—at least in Gaza -- were not sufficient guarantors of Israel's security. By removing settlers and the IDF from Gaza proper, Sharon hoped to force Egypt to police Gaza and to make Gaza into a foreign country for which Israel's responsibilities as an occupying power – responsibilities that constrained its freedom of military action against potential security threats– no longer applied.On this important point however, Sharon's intentions were partially thwarted. Egypt continues to resist becoming Gaza's jailer. And Israel's foreign ministry ruled that because Israel, after its redeployment, remained in "effective control" of Gaza, Israel could not disavow its responsibilities as an occupying power.Nothing that has happened since Israel's redeployment in 2005 — including the electoral victory of Hamas in elections or the movement's subsequent assumption of power in Gaza, or indeed the current war itself, contradicts this view. The current war offers considerable evidence that Israel has indeed been able to conduct policy in Gaza according to the rules of war — a policy supported as self-evident by Washington and others.The new reality Israel is creating in Gaza is the product of blood and fire rather than negotiation or diplomacy, certainly during the critical period when the territorial outlines of the future are being established. Israel will not easily permit the intrusion of considerations other than those it deems vital in the conduct of its operations. The war's first month offers ample evidence attesting to its success in this regard.Just as the Second Intifada signaled the end of Oslo, the model for Gaza imposed by Sharon after 2005 has failed. It will not be resuscitated. In tomorrow's Gaza, the IDF sees no value in empowering the PLO, or indeed any Palestinian actor, to exercise anything but the most nominal governing and security powers — under an ever-present Israeli eye. From now on, Israel will go back to the future — attempting to reinvigorate a model used in the first decade of occupation in which Israel exercises exclusive security control while empowering strictly local authorities to conduct day to day life.The international community finds itself woefully unprepared and indeed uninterested in confronting the faits accompli that have always been the hallmark of Israel's policies in the West Bank and Gaza Strip. A particular responsibility falls upon the US in this regard. Yet the policy bromides offered by the Biden administration reflect this ambivalence.Today US policy has given Israel the space to wage war against Gaza. Washington offers clichés about Gaza's future and options for the day after that have little relationship to the facts that Israel is creating on the ground. For Benjamin Netanyahu, there is no win-win solution, but rather only one dictated by Israel, the peace of the victor.This article has been republished with permission from Geoffrey Aronson.
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"Wenn über das Grundsätzliche keine Einigkeit besteht, ist es sinnlos, miteinander Pläne zu schmieden." – Konfuzius (551-479 v.Chr.).Der grundsätzliche universelle Geltungsanspruch der Menschenrechte besagt, dass die Menschenrechte jedem Menschen auf der Welt zustehen. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahr 1948 drückt das folgendermaßen aus: "Jeder hat Anspruch auf alle in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten, ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand […]" (UN-Vollversammlung 1948, Artikel 2). Jedoch ist dieser universelle Geltungsanspruch der Menschenrechte in der Realität häufig noch ein Ideal. Mit der Deklaration von Bangkok, die einige südostasiatische Staaten Anfang der 1990er Jahre unterzeichneten, wurde er sogar explizit in Frage gestellt. Was ist die Sichtweise dieser südostasiatischen Staaten auf die Universalität der Menschenrechte und wie begründen sie diese? Wie könnten Perspektiven für einen interkulturellen Menschenrechtsdialog aussehen? In diesem Beitrag werden die Menschenrechte durch eine Definition und einen Abschnitt zur Geschichte kurz vorgestellt. Anschließend wird die Debatte um Universalität und (Kultur-)Relativismus erläutert, welche überleitet zur "asiatischen Perspektive" auf die Menschenrechte und zu den "asiatischen Werten". Abschließend werden die Kritik und Perspektiven für einen interkulturellen Dialog aufgegriffen.Menschenrechte – eine Definition
Zerstörung, Elend, menschliches Leid und der Völkermord an den europäischen Juden führten in "dramatischer Weise die Notwendigkeit eines wirksamen Schutzes grundlegender Menschenrechte durch verbindliche internationale Normen und kollektive Mechanismen" vor Augen (Gareis/Varwick 2014, S. 179).
Die Idee, dass jedem Menschen, "unabhängig seines Geschlechts, Alters, seiner Religion oder seiner ethnischen, nationalen, regionalen oder sozialen Herkunft, angeborene und unveräußerliche Rechte zu eigen sind, die sich aus seinem Menschsein ableiten", verfestigte sich und führte am 10. Dezember 1948 zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (Gareis/Varwick 2014, S. 179).
Erstmals wurde in einem internationalen Dokument festgehalten, dass jedem Menschen wegen "grundlegender Aspekte der menschlichen Person" grundlegende Rechte zugesprochen werden. Diese Rechte sind unveräußerlich und vorstaatlich, was bedeutet, dass der Staat sie nicht vergeben kann, denn jeder Mensch hat sie aufgrund der "biologischen Zugehörigkeit zur menschlichen Gattung" inne (Human Rights 2018). Dem Staat obliegt es, diese Rechte zu schützen.
Menschenrechte besitzen demnach vier Merkmale: Sie sind universell (alle Menschen sind Träger dieser Rechte), egalitär (eine ungleiche Verteilung dieser Rechte ist ausgeschlossen), individuell (der Träger der Menschenrechte ist ein individueller Mensch, keine Gruppe) und kategorial (wer der menschlichen Gattung angehört, besitzt sie automatisch) (vgl. Lohmann 2010, S. 36).
Die Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahr 1948 ist keine rechtlich bindende Resolution. Doch auch wenn sie rechtlich nicht bindend ist, hat sie "moralische Wichtigkeit bekommen" (Human Rights 2012). Sie wird dem Gewohnheitsrecht zugeordnet, was bedeutet, dass sie sowohl allgemein anerkannt als auch angewendet und deswegen als verbindlich angesehen wird (vgl.: Human Rights 2012). Sie ist das "weltweit am meisten verbreitete und am meisten übersetzte internationale Dokument" (Gareis/Varwick 2014, S. 179) und dient als Grundlage für zahlreiche Abkommen (vgl. Maier 1997, S. 39).
Juristisch können die Menschenrechte wie folgt definiert werden: "Internationale Menschenrechte sind die durch das internationale Recht garantierten Rechtsansprüche von Personen gegen den Staat oder staatsähnliche Gebilde, die dem Schutz grundlegender Aspekte der menschlichen Person und ihrer Würde in Friedenszeiten und im Krieg dienen" (Human Rights 2012).
Seit 1948 haben sich die Menschenrechte weiterentwickelt, und es hat sich etabliert, von den Menschenrechten in drei Generationen zu sprechen. Zur ersten Generation gehören "die klassischen bürgerlichen und politischen Freiheits- und Beteiligungsrechte" wie das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit oder das Verbot von Folter (Krennerich 2009). Die zweite Generation der Menschenrechte umfasst wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte, so beispielsweise das Recht auf Bildung, Teilhabe, aber auch auf Freizeit und Erholung. Die dritte Generation der Menschenrechte "bezeichnen allgemeine, noch kaum in Vertragswerken konkretisierte Rechte wie etwa das Recht auf Entwicklung, Frieden oder saubere Umwelt" (Krennerich 2009). Alle drei Generationen "sollten gleichberechtigt nebeneinander bestehen" (Barthel, zitiert nach Hamm 1999, S. 23).
Der Gedanke der angeborenen Rechte, die ein Mensch qua Menschsein besitzt, ist jedoch älter als die Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahr 1948 und die Vereinten Nationen selbst.
Eine kurze Geschichte der Menschenrechte
Der Ursprung der Menschenrechte geht auf das antike Griechenland zurück. Der "revolutionäre Gedanke der Stoiker, der beschreibt, dass alle Menschen gleich sind", wurde durch die im 18. Jahrhundert entstandene Naturrechtslehre weiter gefestigt (vgl.: Müller 2017, 03:06-03:20). Die "überlieferten konkreten Freiheiten der Ständegesellschaft wurden dort in eine allgemeine Freiheit des Menschen umgedacht" (Maier 1997, S. 11). Wegweisend war, dass diese Rechte nun allen Menschen zugesprochen wurden und diese Rechte Ansprüche an den Staat stellten (vgl. Maier, 1997 S. 11f). Denn "[er sollte] nicht tun dürfen, was ihm beliebt, [und] in substantielle Bezirke individueller Freiheit nicht […] eingreifen dürfen" (Maier 1997, S. 12). Als vorstaatliche Rechte kann der Staat diese nur akzeptieren, nicht aber verleihen.
Die Idee der unveräußerlichen Menschenrechte kulminierte schließlich in der Unabhängigkeitserklärung der 13 britischen Kolonien 1776 in Nordamerika (zentrales Dokument: Virginia Bill of Rights) und fand schließlich 1789 in der Französischen Revolution (zentrales Dokument: Déclaration des Droits de l'Homme et du Citoyen) in Europa ihren Durchbruch. Diese Dokumente legten den Grundstein für die modernen Menschenrechte, die nun als Grundrechte in zahlreichen Verfassungen verankert sind. Schließlich, im Jahr 1966, wurden die ersten völkerrechtlich bindenden Menschenrechtsabkommen durch die Vereinten Nationen verabschiedet (vgl.: Wagner 2016).
Besonders eindrücklich zeigt die Geschichte der Menschenrechte, dass ihre Idee auf "konkrete Unrechtserfahrungen der Menschen des Okzidents zurückgehen" (Tetzlaff 1998, S. 60). Darauf, nämlich dass die Menschenrechte 'im Westen' ihren Ursprung haben und individualistisch geprägt seien, bezieht sich im Wesentlichen die Kritik an ihnen. Diese Kritik zieht auch in Zweifel, ob die Menschenrechte universell sind. (Kultur-)Relativismus vs. Universalismus
Verfechter des Universalismus verstehen die Menschenrechte als unveräußerliche, angeborene Rechte eines jeden Menschen. "Niemand kann, mit Bezug auf welche Eigenschaft auch immer, von der Trägerschaft ausgeschlossen werden" (Lohmann 2010, S. 37). Ausgeschlossen ist hierbei auch die "ungleiche Verteilung" der Rechte (vgl. Lohmann 2010, S. 37). So muss der Staat seinen Pflichten nachkommen und für die Einhaltung, Wahrung und Durchsetzung der Menschenrechte sorgen.
Jedoch werden die Menschenrechte, wie sie 1948 verabschiedet wurden, in ihrem universellen Gültigkeitsanspruch von vielen Ländern und Kulturen auf der Welt nicht akzeptiert. Der (Kultur-) Relativismus in seiner extremen Form sieht die Menschenrechte als nicht vollständig übertragbar und "nur relativ zu einem bestimmten Kultursystem 'begründbar'" (Lohmann 2009). Manche Staaten gehen sogar so weit und verstehen die Menschenrechte als ein westliches Produkt, das "dem Osten" aufoktroyiert wurde. Auch seien die Menschenrechte nicht, wie der universalistische Anspruch behauptet, unabhängig von Zeit, Raum und kulturellem Hintergrund gültig. Sie seien aus der europäisch-nordamerikanischen Aufklärung entstanden, abendländisch geprägt und somit nicht in dieser Form in anderen Kulturkreisen anwendbar. Zudem sei ihre "weltweite Propagierung Ausdruck einer Mentalität der Einmischung, welche die Tradition des Kolonialismus mit anderen Mitteln fortsetze" (Hilpert 2019, S. 230). Tatsächlich sei "das Menschenrechtsverständnis in erster Linie abhängig von dem Menschenbild in einer spezifischen Kultur […], wonach es keinen Standard gibt, der unabhängig von bestimmten sozialen Lebensformen wäre" (Pohl 2002, S. 7).
Von (Kultur-)Relativisten konkret kritisiert werden häufig die "individuelle Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit, das Vorrangverhältnis zwischen Individuum zur Gemeinschaft, die Gleichheit von Männern und Frauen, die religiöse Toleranz und die Einschätzung demokratischer Mitbestimmung" (Lohmann 2010, S. 41).
Zum anderen wird bemängelt, dass bei der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte im Jahr 1948 die westlichen Länder dominierten, während die meisten Länder des Globalen Südens noch unter kolonialer Herrschaft standen. Viele Staaten werfen dem Westen sogar "moralischen Chauvinismus" (Pollis/Schwab 2006, S. 68), "Ideologismus" und eine "quasi-religiöse" Auslegung der Menschenrechte vor (Pohl 2002, S. 7).
Genau an diese Dichotomie, Universalismus und (Kultur-)Relativismus, knüpfte die 1993 vorgelegte Deklaration von Bangkok an, welche von vielen (süd-)ostasiatischen Ländern unterzeichnet wurde. Bevor die Wiener Menschenrechtskonferenz im Jahr 1993 begann, zweifelten diese Länder die Universalität der Menschenrechte an und legten eine "asiatische Perspektive" auf die Menschenrechte und sogenannte "asiatische Werte" vor.
Die asiatische Perspektive auf die (Universalität der) Menschenrechte und 'asiatische Werte'
Die ,asiatische Sicht' auf die Menschenrechte und die 'asiatischen Werte' werden im Grunde kulturrelativistisch begründet. Im folgenden Abschnitt werden die 'asiatischen Werte' zeitgeschichtlich eingeordnet und näher erläutert.
Die zeitgeschichtliche Einordnung der 'asiatischen Werte'
Die Kontroverse, dass sich die Menschenrechte in (Südost-)Asien anders entwickelt hätten, spitzte sich Anfang der 1990er Jahre zu und erlangte mit der Verabschiedung der Deklaration von Bangkok weltumspannende Beachtung. Die Gründe für den Ausbruch dieser Debatte sind vielfältig. Zum einen genoss 'der Westen', vor allem die Europäische Union und die Vereinigten Staaten, zu dieser Zeit beispielloses politisches und ökonomisches Selbstbewusstsein. Der Ost-West-Konflikt war beendet, die Demokratie und der Kapitalismus schienen 'die' Erfolgsmodelle zu sein, die "das Ende der Geschichte" einläuteten (Fukuyama 1992). Die Globalisierung schritt unaufhaltsam voran, während der Kommunismus in vielen osteuropäischen Ländern in sich zusammenbrach. Zudem gewann die Idee des politischen und wirtschaftlichen Liberalismus mehr und mehr an Bedeutung.
In dieser Zeit gingen die Vereinigten Staaten und viele Mitgliedsstaaten der EU auf die Forderung vieler Menschenrechtsorganisationen ein, die Menschenrechte und die Demokratie in anderen Ländern zu verbreiten. Die Regierung unter Präsident Bill Clinton ging sogar so weit und erklärte sowohl die Verbreitung der Menschenrechte als auch der Demokratie zu einer der drei Säulen der US-amerikanischen Außenpolitik (vgl.: Barr 2000, S. 313). Allerdings missbilligte insbesondere China den menschenrechtlichen Druck vieler westlicher Staaten, der durch das Massaker von Tiananmen im Jahr 1989 und Chinas Tibet-Politik stetig zunahm.
Hinzu kam, dass viele ostasiatische Staaten, allen voran China, Malaysia, Japan, Hongkong, Taiwan, Singapur und Südkorea, als 'ostasiatische Wirtschaftswunder' bezeichnet wurden (vgl.: Ernst 2009). Diese wirtschaftliche Prosperität ließ ein "neues Selbstbewusstsein und eine neue politische Elite entstehen, die vom 'Westen' das Recht auf einen eigenen entwicklungspolitischen Weg einforderte und die Vormachtstellung der alten Industriestaaten Europas und Nordamerikas herausforderte" (Ernst 2009). Darüber hinaus sahen sie in der Rolle des starken Staates eine wichtige "Erklärungsvariable" für den wirtschaftlichen Erfolg (Heinz 1995, S. 11).
Die Bestimmtheit, mit der die Europäische Union und die Vereinigten Staaten um die Durchsetzung der Menschenrechte in Asien rangen, wurde von (ost-)asiatischen Ländern als Versuch verstanden, ,Asien' ,dem Westen' unterwürfig zu halten. Zudem wurde die Kritik als "Einmischung, irrelevant und kulturfremd abgewehrt" (Heinz 1995, S. 12).Schließlich, im Vorfeld der Wiener Menschenrechtskonferenz im Jahr 1993, "bestritten [unter anderem] die Regierungen Indonesiens, Singapurs und Chinas die Universalität der Menschenrechte" (Heinz 1995, S. 16). Stattdessen müssten die jeweiligen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Bedingungen betrachtet werden, weil sie nur anhand derer verwirklicht werden könnten (vgl.: Heinz 1995, S. 15f). Deshalb wurden sogenannte 'asiatische Werte' vorgestellt. Was sind 'asiatische Werte'?
'Asiatische Werte' beschreiben eine (kultur-)relative Sicht auf die Menschenrechte, die in den frühen 1990er Jahren von asiatischen Politiker*innen und Wissenschaftler*innen vorgestellt und von 34 Staaten verabschiedet wurden. Sie umfassen im Groben die Bereiche Politik, Wirtschaft und Kultur (vgl.: Tai 2005, S. 34). Federführend bei der Debatte waren Lee Kuan Yew, der damalige Premierminister von Singapur, und Mahathir bin Mohamad, der damalige Premierminister von Malaysia. Sie, die 'asiatischen Werte', sollen eine Anpassung zum aus asiatischer Sicht "westlichen Modell der Menschenrechte" darstellen (Henders 2017). Die regionale Bezeichnung 'Asien/asiatisch' bezieht sich in diesem Zusammenhang eher auf (Süd-) Ostasien beziehungsweise pazifisch-Asien als auf den Nahen oder Mittleren Osten. Das bedeutet auch, dass sich die 'asiatischen Werte' hauptsächlich auf die "konfuzianische Kultur" stützen und weniger vom Islam oder dem Hinduismus geprägt sind (Ernst 2009).
Allerdings lehnen die ostasiatischen Länder die Menschenrechte nicht grundsätzlich ab. Schließlich haben einige dieser Länder, darunter China, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 1948 verabschiedet und bekräftigten 1993 in Wien nochmals ihren Einsatz für Prinzipien, die in der Erklärung enthalten sind (vgl.: Tay 1996, S. 751). Sie plädierten mit der Deklaration von Bangkok stattdessen für nationale und regionale Unterschiede in der Schwerpunktsetzung und auch in der praktischen Umsetzung der Menschenrechte (vgl.: Tay 1996 S. 751f).
Befürworter der 'asiatischen Werte' bestanden zudem darauf, dass sie nicht nur durch den wirtschaftlichen Erfolg, den die ostasiatischen Staaten in den Jahrzehnten vor der Wiener Menschenrechtskonvention 1993 erlebt hatten, legitimiert würden, sondern auch maßgeblich für diesen Erfolg verantwortlich seien. Darüber hinaus müsse die wirtschaftliche Entwicklung bei ökonomisch aufstrebenden Ländern über allem stehen; bürgerliche und politische Rechte sollten den ökonomischen und sozialen Rechten deswegen untergeordnet sein (vgl.: Henders 2017).
Bisher wurde keine offizielle "umfassende, verbindliche Liste" vorgestellt (Heinz 1995, S. 25), aber häufig genannte 'asiatische Werte', die bei der Wiener Menschenrechtskonvention 1993 vorgelegt wurden, waren: "Disziplin, harte Arbeit, eine starke Führungskraft" (Tai 2005, S. 34ff), "Sparsamkeit, akademischer Erfolg, die Balance zwischen individuellen und gemeinschaftlichen Bedürfnissen, Respekt vor Autorität" (Henders 2017) und ein starker, stabiler Staat (Barr 2000, S. 310). Darüber hinaus wird "nationales Teamwork", die Erhaltung einer "moralisch sauberen Umwelt" (das Magazin 'Playboy' wird in Singapur beispielsweise nicht verkauft) und keine absolute Pressefreiheit für zentral erachtet (Heinz 1995, S. 26).
Die asiatische Perspektive auf die Universalität der Menschenrechte
Im Diskurs um die ,asiatische Perspektive' haben sich mehrere häufig genannte Argumente herausgebildet. Einige davon sollen näher beschrieben werden, nämlich die Behauptungen, dass Rechte kulturspezifisch seien, die Gemeinschaft in Asien über dem Individuum stehe, dass Rechte ausschließlich den jeweiligen Staaten oblägen und dass soziale und ökonomische Rechte über zivilen und politischen Rechten ständen.
Rechte sind kulturspezifisch
Die Idee der Menschenrechte entstand bereits in der Antike auf dem europäischen Kontinent und entwickelte sich schließlich unter bestimmten sozialen, ökonomischen, kulturellen und politischen Bedingungen ebendort und in Nordamerika (vgl.: Li 1996, S. 19). Die Umstände, die die Umsetzung der Menschenrechte voranbrachten, könnten aber nicht auf diese Art auf Südostasien übertragen werden. So beschreibt China in seinem 1991 veröffentlichten Weißbuch, dass sich aufgrund des eigenen historischen Hintergrunds, des Sozialsystems und der jeweiligen ökonomischen Entwicklung die Länder in ihrem Verständnis und ihrer Auslegung der Menschenrechte unterscheiden würden (vgl.: Weißbuch 1991, Vorwort). Das ist eine Haltung, welche auch 1993 auf der Menschenrechtskonferenz in Wien nochmals bekräftigt wurde (vgl.: Li 1996, S.19).
Die Gemeinschaft steht über dem Individuum
Die südostasiatischen Länder insistierten, dass die Bedeutung der Gemeinschaft in asiatischen Ländern nicht mit dem Primat des Individuums vereinbar sei, worauf die Vorstellung der Menschenrechte beruht (Li 1996, S. 19). Zudem stünden Pflichten über Rechten (vgl.: Nghia 2009, S. 21). Dies seien auch die entscheidenden Faktoren, die 'Asien' fundamental vom 'Westen' unterschieden. Die Menschenrechte seien von Natur aus individualistisch geprägt, was nach (süd-)ostasiatischer Auffassung eine Bedrohung für den (süd-)ostasiatischen sozial-gemeinschaftlichen Gesellschaftsmechanismus darstellen könnte. Als Begründung für diese Behauptung führten die (süd-)ostasiatischen Staaten den Zusammenbruch vieler Familien, die Drogenabhängigkeit und die hohe Zahl an Obdachlosen im 'Westen' an (vgl.: Li 1996, S. 20).
Soziale und ökonomische Rechte stehen über zivilen und politischen Rechten
Zentral bei der ,asiatischen Auslegung' der Menschenrechte waren die Priorisierung der Gemeinschaft gegenüber der Individuen und die Suche nach dem Konsens im Gegensatz zum Konflikt. Dominanz und Autorität würden nicht limitiert oder gar als suspekt betrachtet, sondern gälten im Gegenteil als vertrauens- und förderungswürdig (vgl.: Tay 1996, S. 753ff). Die asiatische Auslegung, so wurde argumentiert, lege den Fokus auf ökonomische und soziale Rechte, die durch ein starkes wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand legitimiert würden, worauf Asiat*innen Wert legten und was ihnen wichtig sei. So proklamiert das Weißbuch der chinesischen Regierung aus dem Jahr 1991, dass "sich sattessen und warm kleiden die fundamentalen Bedürfnisse der chinesischen Bevölkerung seien, die lange unter Hunger und Kälte leiden mussten" (Weißbuch 1991, Kapitel I). Wohlstand könne nur effizient erreicht werden, wenn die Regierenden autorisiert seien, die politischen Rechte ihrer Bürger*innen zu limitieren, um wirtschaftlichen Wohlstand zu garantieren (Li 1996, S. 20). Die wirtschaftliche Entwicklung müsse deswegen bei ökonomisch aufstrebenden Ländern über allem stehen; zivile und politische Rechte sollten den ökonomischen und sozialen Rechten untergeordnet sein (vgl.: Henders, 2017). Implizit schwingt bei dieser Behauptung mit, dass erst alle basalen Bedürfnisse und eine stabile politische Ordnung sichergestellt werden müssten, um politische und bürgerliche Rechte zu implementieren (vgl.: Li 1996, S. 20f). Befürworter der Idee der asiatischen Perspektive erachten es somit für wichtig, den Staat als Oberhoheit zu sehen (vgl.: Henders 2017).
Rechte sind die Angelegenheit der jeweiligen Staaten
Das Recht eines Staates zur Selbstbestimmung schließe den Zuständigkeitsbereich der Menschenrechte mit ein. So seien Menschenrechte innenpolitische Angelegenheiten, in die sich andere Staaten oder Organisationen nicht einzumischen hätten (vgl.: Li 1996, S. 20). "Die Bestrebung des Westens, auch bei Entwicklungsländern einen universellen Geltungsanspruch der Menschenrechte durchzusetzen, sei versteckter kultureller Imperialismus und ein Versuch, die Entwicklung [wirtschaftlich aufstrebender Länder] zu behindern" (Li 1996, S. 20).
Kritik an der asiatischen Perspektive Generell wurde bemängelt, dass nicht einfach über 'asiatische' Werte geredet werden könne, weil es die einzelnen asiatischen Länder simplifiziere, stereotypisiere und sie um ihre Vielfalt bringe (vgl.: Henders 2017). Des Weiteren seien die genannten Werte nicht alleinig in Asien zu finden, sondern hätten auch in anderen Teilen der Welt Gültigkeit (vgl.: Tai 2005, S. 35). Tatsächlich, so wurde argumentiert, gebe es keine ,asiatischen Werte', denn der Begriff sei mit "seiner Allgemeinheit und Undifferenziertheit ein Konstrukt, das ganz bestimmten Zielen dienen soll" (Schreiner 1996, S. 57). Außerdem seien nur mächtige Politiker*innen leitender Teil der Debatte gewesen; die Argumente seien weder in die Gesellschaft getragen noch philosophisch (fort-)geführt worden. Die einzelnen 'asiatischen' Argumente gegen die Universalität der Menschenrechte wurden jedoch auch einzeln kritisiert. Einige Kritiker*innen stellten die Ansicht der Kulturspezifizität in Frage. Das Argument impliziere, dass soziale Normen, die in anderen Ländern und Kulturkreisen ihren Ursprung hatten, in der asiatischen Kultur keine Anwendung finden sollten oder könnten. Kapitalistische Märkte und die Konsumkultur, welche ebenfalls außerhalb der asiatischen Länder entstanden sind, konnten jedoch sehr wohl von asiatischen Kulturen aufgenommen werden (vgl.: Li 1996, S. 20). Die schwerfällige Akzeptanz und Umsetzung der Universalität der Menschenrechte könne somit nicht ausschließlich auf ihre kulturelle Herkunft zurückgeführt werden.
Die zweite Behauptung, dass Asiat*innen die Gemeinschaft über das Individuum stellten, würde als kulturelles Argument missbraucht werden, um aufzuzeigen, dass unveräußerliche Rechte eines Einzelnen sich nicht mit der Idee von asiatischen Gesellschaften verstünden. Kritiker*innen der ,asiatischen Perspektive' sahen hier die Gefahr der generellen Verdammung der Rechte des Einzelnen. Dabei würden individuelle Freiheiten den asiatischen Gemeinschaftswerten nicht generell oppositionell gegenüberstehen. Vielmehr seien grundlegende Rechte, wie eine Versammlungs- und Meinungsfreiheit sowie Toleranz, wichtig für eine Gemeinschaft (vgl.: Li 1996, S. 21).
Beim dritten Argument, welches die südostasiatischen Länder vorlegten, kritisierten viele Verfechter*innen der Universalität der Menschenrechte, dass die nationale ökonomische Entwicklung nicht gleichzusetzen sei mit der ökonomischen Absicherung (sozio-)ökonomisch benachteiligter Gruppen einer Gesellschaft. Nationales ökonomisches Wachstum garantiere schließlich nicht automatisch Rechte für ökonomisch benachteiligte Mitglieder einer Gesellschaft. Stattdessen würden sich politisch-zivile und sozial-ökonomische Rechte bedingen und nur effektiv wirken, wenn alle vier Ebenen garantiert werden könnten (vgl.: Li 1996, S. 22).
Abschließend wurde kritisiert, dass die vorgebrachten Argumente, insbesondere die Forderung der Nichteinmischung in innerstaatliche Angelegenheiten, als Vorwand für einen illiberalen und autoritären Regierungsstil verwendet werden würden. Zudem sollten diese Argumente die Schwäche des wirtschaftlichen Entwicklungsmodells der asiatischen Länder verschleiern (vgl.: Henders 2017). Das sind beides Kritikpunkte, die während der asiatischen Wirtschaftskrise 1997/1998 weitgehend bestätigt wurden und zur Verabschiedung der asiatischen Erklärung der Menschenrechte im Jahr 1998 führten.
Was ist mit 'asiatischen Werten' passiert?
Der Dialog über die in der Deklaration von Bangkok vorgestellten 'asiatischen Werte' begleitete staatliche und nicht-staatliche Akteure sowie Wissenschaftler*innen bis in die 1990er Jahre hinein. Als im Jahr 1997 eine Wirtschafts- und Finanzkrise Asien ereilte, wurde es jedoch nicht nur still um die 'asiatischen Werte', sie wurden nun sogar "als Ursache der Krise gedeutet" (Ernst 2009). Insbesondere die staatliche Intervention und die starken Familienwerte wurden als Verursacher genannt (vgl.: Ernst 2009). Um den wirtschaftlichen Anschluss an den industriellen 'Westen' nicht zu verlieren, waren Menschenrechtsorganisationen in Südostasien bemüht, den Menschenrechtsschutz bottom-up durchzusetzen. Die Asiatische Menschenrechtscharta, die die 'asiatischen Werte' ablehnt, wurde 1998 von Menschenrechtsorganisationen in Kwangju, Südkorea, verabschiedet. Sie ist auch ein Versuch, asiatische Regierungen bei Menschenrechtsverstößen zukünftig in die Verantwortung nehmen zu können.
Seit dem Ausbruch der asiatischen Wirtschaftskrise ist die Debatte um 'asiatische Werte' nahezu versiegt. Gleichwohl werden interkulturelle Dialoge über die Menschenrechte weiter geführt. Zwischen Kulturrelativismus und Universalismus – Perspektiven für einen Dialog
Eine globale Durchsetzung der Menschenrechte bleibt nach wie vor ein Ideal, ebenso wie deren uneingeschränkte Einhaltung. Die ostasiatischen Länder sind nur ein Beispiel von vielen, denn Kritik an der Universalität der Menschenrechte kommt auch aus anderen Ländern und von anderen Religionen. Dabei hat die Forderung nach weltweiter Umsetzung der Menschenrechte nicht an Dringlichkeit verloren. Wie kann aber ein Dialog über die Menschenrechte oder gar ein Konsens vorangebracht werden?
Bei dieser Problematik ist es wichtig zu bedenken, dass die Menschenrechte kein starres System sind, sondern auch nach ihrer Verabschiedung im Jahr 1948 weiterentwickelt wurden. Zudem hat die Idee der Menschenrechte zwar primär in der Zeit der europäisch-amerikanischen Aufklärung ihre Wurzeln, konnte ihre volle Durchsetzungskraft jedoch erst in der Moderne entfalten (vgl.: Bielefeldt 1999, S. 59f). Insbesondere im Hinblick auf das Argument der Nichtumsetzbarkeit der Menschenrechte in kulturell anders geprägten Regionen "wäre es verfehlt, den Begriff der 'Aufklärung' auf eine bestimmte Epoche der europäischen Geschichte zu verkürzen" (Bielefeldt 1999, S. 60). Schließlich muss es auch für andere Kulturen möglich sein, "humane Anliegen der eigenen Tradition in moderner Gestalt in den Menschenrechten wiederzuerkennen" (Bielefeldt 1999, S. 61).
Aufgrund dessen sprechen sich viele Wissenschaftler*innen für eine Adaption der Menschenrechte aus. Die US-amerikanische Politikwissenschaftlerin Alison Dundes Renteln, beispielsweise, "möchte am Begriff universaler Menschenrechte durchaus festhalten, ihn zugleich aber auf interkultureller Basis inhaltlich neu bestimmen […], indem sie nach einem weltweit gemeinsamen Nenner in den Wertorientierungen unterschiedlicher Kulturen sucht" (Bielefeldt 1999, S. 45f). Der kanadische Philosoph Charles Taylor spricht sich für einen "ungezwungenen Konsens" aus, der anderen kulturellen Normen Verständnis entgegenbringt (Taylor 1999, S. 124). Der Dialog über die Menschenrechte zwischen Asien und 'dem Westen' solle sich global ausweiten und eine Auseinandersetzung über eine Übereinstimmung an Normen, die menschliches Verhalten und politisches Handeln leiten sollten, starten. Dieser Grundkonsens auf der Basis der Menschenrechte soll bindend sein, darf sich aber in seiner Begründung unterscheiden (vgl.: Carnegie Council 1996). Der deutsche Philosoph Georg Lohmann vertritt wiederum die Position, dass der "Universalismus" nicht zwingend eine "Einheitskultur darstellt oder in einer solchen resultiert" (Lohmann 2009). Für ihn sind Universalismus und Relativismus auch keine Gegensätze; er sieht im Partikularismus das Gegenteil zum Universalismus. Deshalb ist er der Ansicht, dass ein "verwirklichter und rechtlich wie politisch konkretisierter universeller Menschenrechtsschutz die Möglichkeiten einer kulturellen Vielfalt der Menschen erweitern wird" (Lohmann 2009). Kulturelle Vielfalt ist hier aber nicht mit Willkür gleichzusetzen. Unterscheiden muss man zwischen "Besonderheiten, die mit dem Universalismus der Menschenrechte kompatibel sind und solchen, die ihm widersprechen" (Lohmann 2009). "Strikter" soll der Universalismus bei negativen Pflichten agieren, so zum Beispiel beim Verbot von Folter (Lohmann 2009). Bei positiven Pflichten, wie beispielsweise bei Leistungsrechten, kann der Universalismus lockerer angewendet werden und mehrere, kulturell unterschiedliche Auslegungen zulassen (vgl.: Lohmann 2009). Ein interkultureller Dialog und die Suche nach einem Konsens bedeuten jedoch nicht, dass "die Menschenrechte [völlig neu überdacht und] bereits bestehende international vereinbarte Standards und Konventionen […] abgetan werden sollen. Das wäre gefährlich" (Utrecht 1995, S. 11). Für eine strikte Durchsetzung ideal, so konkludiert Lohmann, "wäre ein gut etabliertes Rechtssystem, in dem die Menschenrechte individuell eingeklagt und mit Hilfe staatlicher Gewalten auch durchgesetzt werden können" (Lohmann 2013, S. 19). Fazit
Viele (süd-)ostasiatische Länder brachten im Jahr 1993 mit der Deklaration von Bangkok kulturrelativistische Argumente hervor, mit denen sie ihre Sichtweise auf die Universalität der Menschenrechte aufzeigten und rechtfertigten. Eine zentrale Begründung war hier, dass das "individualistische Rechtsverständnis" der Menschenrechte nicht mit dem asiatischen Gemeinschaftsverständnis vereinbar sei (Tetzlaff 2002, S. 5). Ebenso waren die Kulturspezifität von Rechten und das Primat des wirtschaftlichen Wohlstands Teil der Begründung. Auseinandersetzungen darüber fanden bis weit in die 1990er Jahre hinein viel Gehör und Gegenrede. Erst mit der asiatischen Wirtschafts- und Finanzkrise 1997/1998 wurde es still um die 'asiatischen Werte'. Was von der Debatte allerdings bleibt, ist die Diskussion über den Universalismus und den (Kultur-) Relativismus, für die der Menschenrechtsrat (MRR) der Vereinten Nationen in Genf eine Plattform bietet.
Bei allen Vorschlägen und Denkanstößen, die eine kulturelle Sensibilität und Variabilität ermöglichen sollen, ist der interkulturelle Dialog zentral. Fraglich bleibt jedoch, wie gut sich eine Diskussion über Normen auf der Basis der Menschenrechte und deren anschließende Durchsetzung in autoritär geführten Staaten durchsetzen lässt (vgl.: Carnegie Council 1996). Denn schließlich sagte schon Konfuzius (551 v. Chr. bis 479 v. Chr.), dass es sinnlos sei, miteinander Pläne zu schmieden, wenn über das Grundsätzliche keine Einigkeit bestehe.
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"Of course, a little bit of force is needed when doing push-backs."Kolinda Grabar-Kitarović, ehemalige kroatische PräsidentinKroatien, ein Staat, der gemeinsam mit Slowenien am 25. Juni 1991 seine Unabhängigkeit vom jugoslawischen Bundesstaat erklärte und damit einer der Akteure der schwersten Kriege in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg wurde, ist seit 2013 Mitglied der Europäischen Union, die vor allem als Friedens- und Wirtschaftsgemeinschaft gegründet wurde. Doch viele Stimmen äußern sich kritisch gegenüber dem Beitritt des Staates und sind der Meinung, dass Kroatien besonders im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kontext noch nicht bereit dazu wäre, Mitglied der Gemeinschaft zu sein.Die Europäische Kommission sieht das allerdings anders und ist der Meinung, dass die kroatische Politik große Fortschritte macht. Sie äußert sich bereits zuversichtlich über den kommenden Beitritt in den Schengen-Raum, der Bürger*innen der EU die Freiheit gibt, ohne ein Visum in viele Länder der Welt reisen zu dürfen. Doch an den kroatischen Grenzen gibt es Berichten zufolge immer wieder Fälle von Gewalt und Rechtswidrigkeiten von Seiten der Polizei gegenüber Asylsuchenden. Die ehemalige kroatische Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarović äußert sich in einem Interview mit dem oben aufgeführten Zitat zu den Menschenrechtsverletzungen.Wenn die kroatische Wirtschaft betrachtet wird, können einige Problematiken beobachtet werden, vor denen kroatische Politiker*innen stehen, wie beispielsweise die Arbeitsmigration von kroatischen Jugendlichen aufgrund von Umständen wie niedrigen Löhnen.Der folgende Beitrag soll auf diese und weitere Aspekte der kroatischen Politik näher eingehen und damit eine Bilanz nach 8 Jahren EU-Mitgliedschaft Kroatiens ziehen. Wie kam es zum Beitritt Kroatiens in die EU und welche Kriterien mussten erfüllt werden? Vor welchen Hindernissen steht der Staat und wie geht die Europäische Union mit diesen um? Diese Fragen sollen im Anschluss geklärt werden, bevor die Frage gestellt werden kann: Ist Kroatien überhaupt bereit für die Europäische Union?EU-Beitritt2003 ging das Beitrittsgesuch Kroatiens nach Brüssel und 10 Jahre später wurde das Land schließlich Mitglied der Europäischen Union. 2011 unterschrieb die Regierungschefin Jadranka Kosor den Beitrittsvertrag und legte damit den Grundstein für den 2013 in Kraft getretenen Beitritt des Landes in die Europäische Union. In diesem langen Prozess kam es zu einigen Hindernissen, die die Beitrittsverhandlungen herauszögerten und nach wie vor die Problematiken innerhalb des Landes widerspiegeln. (vgl. BPB 2013)Die Bevölkerung Kroatiens wurde erst nach dem unterschriebenen Beitrittsvertrag zu der Thematik befragt. Dabei stimmten 67% für einen Beitritt in die Europäische Union. Die Wahlbeteiligung fiel allerdings sehr gering aus, was unter anderem daran liegen könnte, dass die Abstimmung nur sechs Wochen zuvor angekündigt wurde. (vgl. ebd)Der 2011 unterschriebene Beitrittsvertrag war mit einigen Bedingungen verbunden, die bis zum letztendlichen Beitritt im Jahr 2013 erfüllt werden sollten. Hierbei ging es darum, grundlegende Defizite innerhalb des Landes zu beseitigen. Beispielsweise musste der Justizapparat gestärkt werden. Außerdem sollte stärker gegen Korruption vorgegangen sowie eine effizientere Verwaltung gewährleistet werden. Der letzte Punkt umfasst die Privatisierung der Staatsbetriebe. (vgl. ebd)Im Großen und Ganzen möchte die Europäische Union durch die Eingliederung Kroatiens den Übergang zu Marktwirtschaft und Demokratie vorantreiben. Denn Kroatien war Teil des blockfreien, sozialistischen Jugoslawiens mit all den Folgewirkungen (vgl. Kušić 2013).Kopenhagener KriterienAuf dem EU-Gipfel in Kopenhagen wurden im Jahr 1993 Kriterien aufgestellt, anhand derer geprüft wird, ob ein Land dazu bereit ist, in die Europäische Union aufgenommen zu werden. Zusammengefasst sind das folgende Faktoren:Die Gesamtlage innerhalb des Landes muss stabil sein. Das heißt, politische Institutionen, der Rechtsstaat und die Demokratie muss gesichert sein. Außerdem müssen Menschen- und Minderheitsrechte gewahrt werden. (vgl. Grosse-Hüttmann 2004, S. 7)Zudem muss eine funktionierende Marktwirtschaft vorhanden sein, die auf Wettbewerb und Privateigentum beruht. Dadurch sollen die Staaten in der Lage sein, dem Konkurrenzdruck im Binnenmarkt standhalten zu können. (vgl. ebd., S. 7)Der Aquis Communautaire, also alle Verträge der Europäischen Gemeinschaft sowie alle europäischen Gesetze, müssen in nationales Recht übernommen werden. Alle Pflichten und Regeln müssen von dem jeweiligen Staat akzeptiert und eingehalten werden. (vgl. ebd., S. 7 f.)Der Staat muss mit den weitreichenden Zielen der EU sowie der Währungs- und Wirtschaftsunion einverstanden sein, wie sie im Vertrag von Maastricht estgelegt wurden. Dadurch soll verhindert werden, dass neue Mitglieder einen anderen Weg einschlagen als die Europäische Union. (vgl. ebd., S. 8)Da Kroatien nun seit 8 Jahren Mitglied der Europäischen Union ist, scheinen diese Kriterien aus Sicht der Institutionen der Europäischen Union erfüllt zu sein. Dennoch musste der Staat zunächst an einigen Stellen arbeiten, um dieses Ziel erreichen zu können.Flüchtlingsrückkehr und KriegsverbrecherprozesseEine wichtige Bedingung, die im Jahr 2005 gestellt wurde und ein großes Hindernis für den Beitritt darstellte, war der Umgang mit kroatischen Kriegsverbrechern, die in den Unabhängigkeitskriegen Verbrechen begangen haben und zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausreichend sanktioniert wurden. Die Europäische Union forderte volle Kooperation mit dem Internationalen Strafgerichtshof. Vor allem ging es dabei um die Auslieferung von Ante Gotovina, der in der kroatischen Offensive Operation "Oluja" Kriegsverbrechen begangen hat. (vgl. Kušić 2021)Gerade wenn es um die Ahndung von Kriegsverbrechern sowie um die Flüchtlingspolitik geht, kann bisher nur ein eher mäßiger Erfolg verzeichnet werden. Die Problematik kann darauf zurückgeführt werden, dass die Staatswerdung Kroatiens mit kriegerischen Auseinandersetzungen erfolgt ist, so dass sich nationalistische Strukturen innerhalb der Gesellschaft und der Politik verfestigt haben. (vgl. Richter 2009, S. 7) Trotz alledem gilt Kroatien als eines der stabilsten Länder auf dem Balkan, der sich derzeit innerhalb eines Prozesses der Wechselwirkung zwischen innenpolitischer Demokratisierung und Stabilisierung befindet. (vgl. Richter 2009, S. 19)Die Premierminister Ivica Račan (2000-2003) und Ivo Sanader (2003-2009) haben versucht, die Wünsche der Europäischen Union im Bereich Flüchtlingsrückkehrer und Kriegsverbrechen umzusetzen. Dabei ging es hauptsächlich um Aspekte wie den Koalitionsfrieden, einen parteiübergreifenden Konsens zugunsten der Union, Stabilisierung und Konsolidierung. Der Preis waren allerdings Reformdefizite im Justizsektor, die die EU ebenfalls zuvor bemängelte.Durch blockierte Anträge, nicht veröffentlichte Fristen oder nicht ausgeführte richterliche Anweisungen kam es schließlich zu Defiziten im Bereich der Rückkehrpolitik und Kriegsverbrechen. Diese Politik führte zwar zu mehr Stabilität und Kontinuität des innenpolitischen Reformprozesses, jedoch wurden die Kopenhagener Kriterien vernachlässigt, so dass sich Defizite im Justiz- und Verwaltungsprozess verfestigen konnten. (vgl. Richter 2009, S. 19)Die von der Europäischen Union anerkannte Genfer Flüchtlingskonvention soll Flüchtlingen auf der ganzen Welt Schutz bieten. Doch oftmals sieht die Realität, auch innerhalb der EU anders aus. Vor allem an der kroatischen Grenze zu Bosnien und Herzegowina berichten Menschen davon, über die grüne Grenze zurückgeschickt zu werden. Ihnen zufolge haben sie keinen Zugang zu Asyl und erfahren oftmals exzessive Gewalt von Seiten der kroatischen Polizei. (vgl. Strippel 2021)Dieses Phänomen wird auch Push-Back genannt und bedeutet, dass Menschen, die auf Asyl in Kroatien hoffen, wieder nach Bosnien und Herzegowina abgeschoben werden, wo sie ebenfalls nicht empfangen werden. Diese Verfahren sollten im Normalfall zur Kenntnis genommen und geprüft werden, doch die kroatische Regierung dementiert das Vorgehen der Polizei. Es wird lediglich betont, dass die kroatischen Außengrenzen geschützt werden.Dadurch, dass es keine Einigkeit über diese Vorfälle gibt, werden diese von der Europäischen Union nicht sanktioniert beziehungsweise zur Kenntnis genommen, obwohl es sich hierbei um die Verletzung von Menschenrechten und Missachtung der Genfer Flüchtlingskonvention handeln würde. (vgl. Strippel 2021) Einen interessanten Podcast zu dieser Thematik wurde vom Bayerischen Rundfunk veröffentlicht, dieser ist unter diesem Link zu finden.Kroatien und der SchengenraumLänder, die Teil des Schengen-Raums der EU sein wollen, müssen sich einer Vielzahl von Evaluierungen unterziehen, die prüfen, ob alle für den Schengen-Raum erforderlichen Vorschriften erfüllt worden sind. Die Evaluierungen bewerten, ob das jeweilige Land in der Lage ist, Verantwortung für die Außengrenzen im Namen der anderen Mitglieder des Raumes zu übernehmen. (vgl. Europäische Kommission 2019)2016 wurde der Schengen-Evaluierungsprozess eingeleitet, der bewerten soll, ob Kroatien die Schengen-Vorschriften und Normen erfüllt. Die Europäische Kommission ist dabei der Auffassung, dass Kroatien Fortschritte bei der Erfüllung der Voraussetzungen gemacht hat, weiterhin aber an deren Erfüllung, insbesondere am Management der Außengrenzen, arbeiten muss. (vgl. ebd.) Der Kommissar Dimitris Avramopoulos, welcher für Migration, Bürgerschaft und Inneres zuständig ist, äußert sich im folgenden Zitat über den voraussichtlichen Beitritt Kroatiens zum Schengen-Raum:"Schengen ist eine der größten und greifbarsten Errungenschaften der europäischen Integration. Seine Stärke hängt jedoch von seiner Aufnahmebereitschaft ab. Kroatien hat nun die Maßnahmen zur Erfüllung der notwendigen Bedingungen ergriffen, und wir müssen dies anerkennen. Als vollwertiges Schengen-Mitglied wird das Land zu einer weiteren Stärkung des Schengen-Raums beitragen und dafür sorgen, dass die EU-Außengrenzen besser geschützt werden." (Dimitris Avramopoulos, Europäische Kommission 2019)Das gesamte Statement der Europäischen Kommission zu dieser Thematik wurde auf deren Internetseite veröffentlicht.Wirtschaftliche Maßnahmen im EU-KontextNach Weidenfeld und Wessels (2002) hat die Europäische Union zusammengefasst drei grundlegende Ziele, wenn es um die Struktur ihrer Mitgliedstaaten und vor allem um Regionen mit Entwicklungsrückstand geht. Zum einen sollen diese Regionen und Länder besonders gefördert werden. Nach Auffassung der Europäischen Union besteht dann ein Rückstand, wenn sich das BIP je Bürger*in auf weniger als 75% des EU-Durchschnitts beläuft. Dieses Ziel gilt als Priorität, weshalb mehr als zwei Drittel der Strukturfonds zur Beseitigung dieser Rückstände verwendet werden. (vgl. Weidenfeld/Wessels 2002)Als zweites Ziel gilt die soziale und wirtschaftliche Umstellung von Gebieten, deren Entwicklungsniveau über dem Durchschnitt liegt. Dennoch weisen diese Gebiete Strukturprobleme, wie beispielsweise Deindustrialisierung, eine hohe Arbeitslosenquote, Bevölkerungsrückgang oder Krisensituationen auf, die mit Hilfe der Mittel der Europäischen Union aufgefangen werden sollen. Das dritte Ziel ist die Anpassung und Modernisierung von Ländern und Regionen. (vgl. ebd.)Das EU-Förderprogramm für den Staat Kroatien beinhaltet 10,74 Milliarden Euro und soll die kroatische Wirtschaft unterstützen. Dabei gehen 40% in Fonds für regionale Entwicklung, 24% in Kohäsionsfonds, 19% in Landwirtschaftsfonds, 14% in Sozialfonds und der Rest in Meeres- und Fischereifonds sowie in eine Jugendbeschäftigungsinitiative. (vgl. Holzner/Vidovic 2018, S. 10)Ziel der Unterstützung ist es vor allem, die wirtschaftliche Entwicklung Kroatiens voranzutreiben, die Armut innerhalb der Gesellschaft zu bekämpfen und den Arbeitsmarkt zu verbessern. Die Inanspruchnahme ist im Vergleich zu anderen EU-Ländern allerdings gering, nimmt aber immer weiter zu. Das langsame Vorgehen könnte damit zusammenhängen, dass die Entwicklungsfähigkeit des Landes derzeit noch nicht so weit ausgeprägt ist, dass die Fonds angemessen verwaltet werden können. (vgl. ebd., S. 25)Ein wichtiges Infrastrukturprojekt, das sich derzeit in Baumaßnahmen befindet und von der kroatischen Regierung mithilfe der EU-Fonds gestartet wurde, ist der Bau der Pelješac-Brücke, welche das Festland mit der vorgelagerten Halbinsel verbinden soll. 357 Millionen von 550 Millionen Kosten werden von der EU getragen. Allerdings erhielt der chinesische Staatskonzern Communications Construction Company den Zuschlag für den Bau, was vielerorts für Erstaunen sorgte. (vgl. Mihm 2021)Weitere Ziele, die die EU-Mitgliedschaft mit sich bringen soll, sind die Ansiedlung einer EU-Einrichtung, die Einführung der goldenen Investitionsregel sowie vor allem der Eintritt in den Schengenraum. (vgl. Holzner, Vidovic 2018)Einfluss des BrexitDas Vereinigte Königreich selbst führte den Euro als Währung nicht ein und trotzdem hat der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union einen großen Einfluss auf die Währungsintegration und somit auch auf die Währungspolitik Kroatiens und das Verhältnis zur Europäischen Union.Bei den acht Mitgliedsstaaten, die den Euro noch nicht eingeführt haben, den so genannten "Euro-Outs", kann zunehmend die Befürchtung beobachtet werden, dass ihr Einfluss auf den Willensbildungsprozess innerhalb der Union verringert wird. Als Folge dieser Sorge hat sich eine Art Koalition von Staaten entwickelt, die die Interessen einiger Mitglieder vereint. Der Brexit kann also als Auslöser für eine neue Dynamik und Treiber für die Ausdehnung der Eurozone gesehen werden. (vgl. Tokarski; Funk 2018, S. 1)Kroatien gehört zu der Gruppe der "Euro-Outs". Sie sind eine heterogene Gruppe von Staaten, die verschiedenen Wirtschaftsmodellen folgen und sich in unterschiedlichen Stadien ihrer Entwicklung befinden. Rumänien und Kroatien sind darunter die Staaten, die ein Wechselkursregime mit kontrolliertem, variablem Wechselkurs unterhalten. Die Problematik hinsichtlich der ungleichen ökonomischen Bedingungen ist, dass diese die Kooperation zwischen den Mitgliedsstaaten erschweren. Allerdings gilt Kroatien als Spezialfall, denn auch wenn der Euro als Währung noch nicht eingeführt wurde, ist die Wirtschaft weitgehend "euroisiert", da 67% der Verbindlichkeiten und 75% der Anlagen auf dem Euro basieren. (vgl. ebd., S. 1 f.) Die Einführung der europäischen Währung ist also nur eine Frage der Zeit und eine Frage des politischen Fortschritts.ArbeitsmarktAufgrund der Überbewertung des realen Wechselkurses befand sich die Wirtschaft Kroatiens zwischen 2009 und 2014 in einer tiefen Rezession, was dazu führte, dass die Beschäftigungszahlen sanken und das BIP um fast 13% einbrach. Seit dieser Zeit sinken die Zahlen der Arbeitslosen, somit erreichte die Arbeitslosenquote innerhalb des Landes im Mai 2017 den niedrigsten Wert mit 11,7%. (vgl. Holzner, Vidovic 2018, S. 2 f.)Bis heute ist der kroatische Arbeitsmarkt gekennzeichnet durch geringe Erwerbstätigkeit und niedrige Beschäftigung, was ein massives Problem darstellt. Die Beschäftigtenrate ist niedriger als der EU-Durchschnitt. Neben Italien und Rumänien hat Kroatien den höchsten Anteil an inaktiven Bürger*innen innerhalb der Europäischen Union. (vgl. ebd., S. 4 f.)Besonders Jugendliche und Kroat*innen mit primären Ausbildungen sind von Arbeitslosigkeit betroffen. Personen mit Sekundärbildung können die geringste Arbeitslosigkeit aufweisen. Trotzdem wird oft der Mangel an Arbeitskräften vor allem in touristischen Gebieten bemängelt. (vgl. ebd., S. 5 f.)Zur Lösung dieser Problematik fordern Gewerkschaften höhere Löhne für Arbeiter*innen. Einige Vertreter*innen von Unternehmen fordern allerdings die Erhöhung der Quoten für Arbeitsplätze aus dem Ausland. (vgl. ebd., S. 6)ArbeitsmigrationBereits seit den 60er Jahren, in denen viele Gastarbeiter*innen vom Balkan in Länder wie Deutschland und Österreich immigrierten, um ihre Familien zu ernähren, spielt die Thematik Arbeitsmigration in Kroatien eine wichtige Rolle. Bis heute nutzen viele Kroat*innen die besseren Arbeitsumstände und Löhne in Ländern wie Deutschland, um ihren Familien ein besseres Leben ermöglichen zu können.Seit dem Beitritt Kroatiens zur Europäischen Union sind die Zahlen der Migrant*innen aus Kroatien um 38% gestiegen. Insbesondere war hierfür die Öffnung des kroatischen Arbeitsmarktes verantwortlich, der es kroatischen Staatsbürger*innen ermöglichte, in anderen Mitgliedsländern der Europäischen Union ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Die Mehrheit der Kroat*innen ist im Alter zwischen 25 und 54 Jahren und findet Beschäftigung in der Industrie sowie in der Bauwirtschaft. (vgl. Holzer, Vidovic 2018)Aufgrund von Faktoren wie der unterdurchschnittlichen Entlohnung hat Kroatien der Auswanderung dieser Bürger*innen wenig entgegenzusetzen. Dem Regierungsprogram 2016-2020 ist lediglich ein vages Statement zu der Auswanderung kroatischer Jugendliche und junger Erwachsenen zu entnehmen. Das Ziel ist es, mehr Arbeitsplätze zu schaffen und dadurch junge Leute dazu zu bewegen, in Kroatien zu bleiben. (vgl. ebd., S. 9)EuroskeptizismusSeit einiger Zeit befindet sich die gesamte Europäische Union in einer Krise, die mehrere Teilkrisen umfasst und deshalb auch Polykrise genannt wird. Dazu zählt unter anderem auch der Euroskeptizismus, der in allen Mitgliedsländern zunehmend wahrzunehmen ist. Dieser kann mit einzelnen Politiken oder dem Erhalt von Souveränitätsrechten begründet werden. (vgl. Weiss, S. 14)Auch wenn der Euroskeptizismus mittlerweile weit verbreitet ist, gibt es zwischen den Mitgliedsstaaten Unterschiede in der Ausprägung. Besonders neue Mitgliedstaaten, wie auch Kroatien, empfinden die Thematik des Kompetenz- und Souveränitätstransfers an die Europäische Union problematisch. Dieser Machtverlust wird als sensibel, historisch abrufbar aber auch politisch instrumentalisierbar wahrgenommen. (vgl. ebd., S. 14)LegitimitäskriseDie Europäische Union leidet also derzeit unter einem Stimmungstief, das mehrere Ursachen hat. Vor allem aber hagelt es immer mehr Kritik zum Thema Demokratiedefizit, Handlungsunfähigkeit und mangelnder Bürgernähe. Viele Bürger*innen begegnen der EU misstrauisch, da sie für sie sehr intransparent und wenig demokratisch erscheint. (vgl. Höreth 2004, S. 41)Aufgrund dessen machte es sich die EU bereits im Jahr 2002 zum Ziel, verfassungsmäßige und institutionelle Voraussetzungen zu schaffen, die demokratische Grundsätze innerhalb der erweiterten EU sowie die Steuerungsfähigkeit nach innen und die Handlungsfähigkeit nach außen ermöglichen sollen. Dieses ambitionierte Ziel konnte allerdings bislang nicht erreicht werden, da einzelne Mitgliedsstaaten auf die Gewichtung ihrer Stimmen im Ministerrat nicht verzichten wollten. (vgl. ebd., S. 41) Nach Höreth (2004) basiert das Demokratiedefizit nicht nur auf technische Probleme des Politikmanagements, sondern auf grundlegende Legitimitätsprobleme, die die Anerkennungswürdigkeit der EU in Frage stellen.FazitWie auch die anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union hat Kroatien mit den Hindernissen der Polykrise zu kämpfen. Doch die Gesamtsituation des Staates zeigt, dass das Land sich vor allem mit Themen wie dem Umgang mit Flüchtlingen im Rückstand befindet, was damit zusammenhängen könnte, dass sich politische, soziale und ideologische Strukturen, die sich im Laufe der Geschichte, aber vor allem während der Unabhängigkeitskriege gebildet haben, verfestigt haben.Die geringe Wahlbeteiligung und die 67%ige Zustimmung zum Beitritt in die Europäische Union lässt relativ offen, wie die kroatische Gesellschaft zu der Europäischen Union steht. Zunächst konnte allerdings das Gefühl geweckt werden, dass eine gewisse EU-Euphorie in der Gesellschaft Kroatien zu beobachten war. Nun aber äußern sich, wie in der gesamten Europäischen Union erkennbar, immer mehr Menschen skeptisch gegenüber der EU. Es erscheint immer noch so, als ob die Gesellschaft den Entscheidungsprozessen der Europäischen Union nur schwer folgen kann und sie sich damit unsicher fühlen.Die kroatische Regierung hat einige Maßnahmen getroffen, um den EU-Beitritt des Staates zu ermöglichen. Trotzdem gibt es Kritiker*innen, die der Meinung sind, die EU habe es Kroatien zu einfach gemacht. Nach ihr wurden die Kopenhagener Kriterien erfüllt, sonst hätte das Land nicht zu einem offiziellen Mitglied der Europäischen Union werden können.Doch ein genauerer Blick in die Strukturen des Staates und vor allem auf die Grenze zu Bosnien und Herzegowina zeigen: das Land muss weiterhin an sich arbeiten, um den Kriterien gerecht werden zu können. Die Europäische Union darf die Augen nicht verschließen, wie es derzeit getan wird, indem zuversichtlich über den Beitritt in den Schengen-Raum diskutiert wird. Als Friedensgemeinschaft ist die Aufgabe der Europäischen Union, Menschenrechte zu wahren und dort genauer hinzuschauen, wo diese verletzt werden. Allerdings setzt der Beitritt Kroatiens in die Europäische Union gleichzeitig auch ein wichtiges Zeichen und bringt den Staat, als einer der stabilsten Länder auf dem Balkan, dazu, aktiv zu werden und als Vorbild für den restlichen Balkan zu fungieren.Auch wenn der Beitritt kritisch hinterfragt werden kann, sollte also gesagt werden, dass der Staat durchaus Schritte macht, die ohne die Europäische Union wahrscheinlich nicht stattgefunden hätten. Kroatien profitiert sowohl wirtschaftlich, als auch gesellschaftlich von den Vorteilen der EU. Allerdings verlangsamen Defizite innerhalb der Politik, wie beispielsweise lange Verwaltungsverfahren die Fortschritte, so dass die Europäische Union zum einen Geduld zeigen, aber zum anderen die Problematiken innerhalb des Landes nicht ignorieren sollte.LiteraturverzeichnisBundeszentrale für politische Bildung (2013): 1. Juli: Kroatien tritt der EU bei. Online verfügbar unter https://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/164274/1-juli-kroatien-tritt-der-eu-bei-28-06-2013, zuletzt geprüft am 14.09.2021.Europäische Kommission (2019): Schengen-Beitritt: Kroatien vor dem Beitritt zum Schengen-Raum. Online verfügbar unter https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/IP_19_6140, zuletzt geprüft am 30.09.2021.Holzner, Mario (2018): Wirtschaftliche Perspektiven für Kroatien. wiiw Forschungsbericht. Wien: The Vienna Institute for International Economic Studies.Horeth, Marcus (2004): Die erweiterte EU in der Legitimitätskrise. In: Der Bürger im Staat 54 (1), S. 41–48.Kušić, Siniša (2021): Kroatiens Weg in die EU . Hg. v. Bundeszentrale für politische Bildung. Online verfügbar unter https://www.bpb.de/apuz/158164/kroatiens-weg-in-die-eu, zuletzt geprüft am 14.09.2021.Mihm, Andreas (2021): Chinesen bauen Brücke in Kroatien, die EU zahlt. Hg. v. Frankfurter Allgemeine Zeitung. Online verfügbar unter https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/kroatien-china-baut-peljesac-bruecke-und-die-eu-zahlt-17461739.html, zuletzt geprüft am 30.09.2021.Richter, Solveig (2009): Zielkonflikte der EU-Erweiterungspolitik? Kroatien und Makedonien zwischen Stabilität und Demokratie. Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik.Schrooten, Mechthild (2004): Ökonomische Perspektiven der EU-Osterweiterung. In: Der Bürger im Staat 54 (1), S. 17–20.Steindorf, Ludwig (2013): Ein kurzer Gang durch die Geschichte Kroatiens. Hg. v. Bundeszentrale für politische Bildung. Online verfügbar unter https://www.bpb.de/apuz/158166/ein-kurzer-gang-durch-die-geschichte, zuletzt geprüft am 30.09.2021.Tokarski, P.; Funk, S. (2018): Die Nicht-Euro-Staaten in der EU nach dem Brexit. In: SWP-Aktuell (68), S. 1–8.Weidenfeld, W.; Wessels, W. (2002): Jahrbuch der Europäischen Integration 2002/2003. Bonn: Europa Union Verlag.Weiss, S. (2004): Die Erweiterung aus der Sicht der Beitrittskandidaten. In: Der Bürger im Staat 54 (1), S. 11–17.
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This book has been on my radar for a long time. It was published to some acclaim in 2005 and concerns a three game baseball series that occurred August 26th to 28th, 2003, involving the St. Louis Cardinals and the Chicago Cubs. In that era, these were two of the best teams in the National League. It's been on my shelf for a good while after I eventually acquired a used paperback copy complete with an Afterward published in December 2005 that includes the framing of the book as a counter-take to Michael Lewis's terrific Moneyball, which I read soon after it originally appeared. I finally decided to read this book when visiting St. Louis for the fourth of July weekend earlier this summer. The book tells some interesting stories and offers some revealing insights into the way Tony La Russa managed baseball games. Though the book focuses on a three game series, it also covers some of La Russa's personal baseball history dating back to his first job as a manager in the late 1970s, continuing through the 1980s with first the Chicago White Sox and then the Oakland A's. La Russa was hired by Sox owner Bill Veeck, who bought his first baseball team in 1941 and was the son of a man who was president of the Cubs in 1918! After this book was written, La Russa managed Cardinal teams that went on to win the 2006 and 2011 World Series. He was inducted into the Baseball Hall of Fame in 2014. The book also features stories about several star players that continue to be relevant two decades later. Future Hall of Famer Albert Pujols was arguably the greatest hitter in baseball when this book was written and he retired just this past off-season, ending his career with a bit of a bounce-back season in St. Louis in 2022. Another prominent member of that 2022 Cardinals team, Adam Wainwright, is briefly mentioned in the book's Postscript because he was part of the return for a trade involving JD Drew, a talented Cardinal player of 2003. And Scott Rolen, who hit a key home run in one of the book's three games and made timely defensive plays as well, was just inducted into the Hall of Fame this summer. La Russa himself returned to managing the White Sox in 2021-2022, winning a division title in 2021, but not completing the season in 2022 because of health reasons (after mediocre results as well). The reader gets a good feel for how La Russa and his long-time pitching coach Dave Duncan prepared for games and thought about various tactics, strategies, and statistics. The events in the book occurred prior to the Statcast era, but many of the ideas La Russa and Duncan have about pitch sequence and selection are now readily testable by anyone with an internet connection given the trove of data Statcast publishes online. These are the best elements of the book. But there are some important weakness too:First, the book barely scratches the surface on the steroids scandal that greatly influenced baseball in this era. The game had already agreed to employ anonymous PED (performance enhancing drug) testing in 2002 and the results announced after the 2003 season revealed that 5 to 7% of samples were positive, triggering a new random testing policy. Bissinger knew all this when he published the book and yet devotes only a few pages to the issue. I attended SABR (Society for American Baseball Research) meetings in Boston in the first months of 2005 and this was the center of a tremendous amount of discussion. Bissinger's neglect of this topic is important for multiple reasons. To begin, he describes La Russa as an avid opponent of steroids who lamented their effects on the game and on young lives. Yet, we now know that La Russa's A's and Cardinals featured stars that were among the most notorious users -- sluggers Jose Canseco and Mark McGwire. Bissinger quotes La Russa as saying he could tell which players were using and that Canseco wasn't! While the identities of the users had not been revealed by baseball in 2003 and 2004, by December 2005, when the Afterword was written, Canseco's book had acknowledged that he had been a user. Moreover, Canseco named Mark McGwire and Sammy Sosa (a Cubs star in 2003) as users too. In March of 2005 McGwire and Sosa, along with Rafael Palmeiro (later suspended for PEDs) and Curt Schilling testified before Congress about steroids. Second, rather than enter into the steroids controversy, which seems like it would have said something important about the "humanity" of baseball, ostensibly Bissinger's goal in writing the book, the author instead takes the opportunity to attack Moneyball. He attacks the statistical analytical perspective promoted in Moneyball early in the book but the theme becomes the centerpiece on p. 269. I believe Bissinger focuses on the trees rather than the forest, devoting great attention to criticizing (with very little context) the specific players selected by the Oakland A's in the 2002 amateur draft. It's always dangerous to discuss a draft in the first few years after it occurred, but Bissinger makes fun of the Nick Swisher and Joe Blanton initial two selections even though both turned out to be a pretty good players who spent a decade or more as major league regulars (or in Blanton's case as members of a major league rotation). Swisher made an All-Star team and both men played in a World Series. Many other selected players enjoyed decent careers and the draft was not a bust. This is now easily confirmed with a simple Google search. The real problem, however, is that Bissinger completely misses the point about Moneyball. He treats the book as if the Oakland A's use of various strategies and tactics to pinch pennies is inherent to the approach. That organization is notoriously cheap and Bissinger points out that money can buy winning players regardless of how smart the Harvard MBA GMs are. However, in this century, wealthy teams like the New York Yankees, Boston Red Sox, and Los Angeles Dodgers have won numerous division titles, pennants, and championships by using the kind of advanced statistical analysis that Moneyball entails and that Bissinger explicitly hates. Yes, low budget teams like Tampa and Cleveland have also consistently succeeded (KC did as well in 2014-2015) by employing some of the same tactics, but the tactics themselves are not solely about saving money. Rather, they are about analyzing the game statistically to reveal previously unexploited advantages and inefficiencies. Third, Bissinger's critique of advanced statistics also seems pretty hypocritical given that he devotes so much attention to the kind of small-N data that Earl Weaver allegedly used to employ in the 1970s. Apparently La Russa and Duncan kept track of whether a particular hitter was 5 for 19 against a certain pitcher (and whether pitchers mostly succeeded against certain opposition hitters), but we have known for a fairly long time (dating to the work of Bill James in the 1980s) that these kinds of small sample statistics are not very meaningful. In any case, Bissinger seems to love revealing these and other less important stats throughout the book. He repeatedly mentions batting average, RBI, pitcher wins, and other traditional stats that are now widely recognized as less meaningful. Much of this was known in 2003, discussed prominently by Bill James and Michael Lewis and less notably by many hundreds of stats-drunk baseball nerds on the internet in the 1990s. Why convey so many stats that do not say very much about winning baseball games? This book isn't really an anti-statistical diatribe, it is a attack made with a head-in-the-sand approach. Bissinger simply refused to keep up with the field's use of more meaningful stats but relies upon older, less revealing, stats. Was this true of La Russa too?These are not the only shortcomings and contradictions of this book. On p. 217 of the paperback, Bissinger writes about how pitcher Brett Tomko is laid back and sleepy. On the very next page he mentions how lost Tomko is in high pressure situations, implying a high strung response. Can an observer ever really know a player's psyche and situational reactions? On pp. 270-71 Bissinger criticizes then-Baseballprospectus.com writer James Click's article evaluating and critiquing the use of the (sacrifice) bunt. Bissinger favorably quotes Hall of Famer Frank Robinson who objected in part because of his personal experience on the field as player and manager, something Click never had. I guess Click got the last laugh since he was the GM of the World Series winning Houston Astros in 2022 and the sacrifice bunt has practically disappeared from the modern game. In 2021-2022 while managing the White Sox, La Russa himself used the bunt less than half as often as he did when this book was written. Visit this blog's homepage.
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In diesem Beitrag stellt Raphael Conrad folgenden Text vor:Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. (2008): Menschenrechte und Vereinte Nationen; UN Basis-Informationen, online unter: http://edoc.vifapol.de/opus/volltexte/2009/1041/pdf/DGVN_Basisinfo40_Menschenrechte_final_screen.pdf.Der vorliegende Artikel wurde von der Politikwissenschaftlerin Claudia Engelmann im Jahr 2005 verfasst (und 2008 aktualisiert). Engelmann ist beim Deutschen Institut für Menschenrechte tätig, welches als nationale Menschenrechtsinstitution Förderung und Schutz der Menschenrechte in Deutschland vorantreiben soll und von einem entsprechenden UN-Dachverband akkreditiert wurde.Zu Beginn des Artikels wird die universelle und international vertraglich determinierte Stellung der Menschenrechte gegenüber nationalen Rechten hervorgehoben, bevor auf drei Generationen von Menschenrechten eingegangen wird. Die Menschenrechte der ersten Generation stellen dabei die bürgerlichen und politischen Rechte dar. Die Menschenrechte der zweiten Generation umfassen die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte. Die Menschenrechte der dritten Generation sind abstrakter gefasst und bestehen beispielsweise aus dem Recht auf Entwicklung und dem Recht auf Selbstbestimmung. Während die ersten beiden Rechtsgenerationen rechtlich im 'Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte' und im 'Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte' im Jahr 1966 normiert wurden, sind die Rechte der dritten Generation bislang noch nicht einklagbar.Die Vereinten Nationen verfügen über Rechtsinstrumente, um Menschenrechtsverletzungen zu sanktionieren. So wurde die Menschenrechtskommission (MRK) bereits 1946 eingerichtet und im Jahr 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) von der Generalversammlung angenommen. Global betrachtet hat die AEMR Vorbildcharakter für (trans-)nationale Menschenrechtskonventionen. Ihre teilweise rechtliche Normierung mit dem Zivil- und Sozialpakt erfolgte erst 1966 (siehe oben) und trat 1976 in Kraft.Die Überprüfung der Einhaltung erfolgt dabei über Expert*innen-Ausschüsse, die über verschiedene Verfahren zur Sanktionierung verfügen. 2006 wurden mit der 'Konvention zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderung' sowie der 'Konvention gegen das Verschwindenlassen von Personen' zwei weitere Menschenrechtsabkommen angenommen, jedoch wurde nur erstere auch ratifiziert.Institutionell wurde das Gebiet der Menschenrechte von 1946 bis 2006 von der UN-Menschenrechtskommission bearbeitet. Engelmann stellt hier das 1503-Verfahren heraus, mit dem Individuen direkt Beschwerden an die Kommission richten konnten. Abgelöst wurde die Menschenrechtskommission schließlich durch den Menschenrechtsrat, da ihre Tätigkeit immer wieder durch einzelne Staaten blockiert wurde und sie deshalb nicht effizient arbeiten konnte.Der 2006 trotz Ablehnung einiger Mitgliedstaaten beschlossene und schließlich auch gegründete Menschenrechtsrat unterscheidet sich dahingehend, dass seine Zusammensetzung aus 47 gewählten Mitgliedsländern besser die regionalen Bevölkerungszahlen berücksichtigt und Mitglieder, die gegen Menschenrechte verstoßen, ausgeschlossen werden können. Allerdings ist der Menschenrechtsrat nicht in der Lage, Zwangsmaßnahmen gegen Staaten zu ergreifen. Mit dem Menschenrechtsrat, der ein Nebenorgan der Vereinten Nationen darstellt, erfolgte die Implementierung eines 'Universellen Periodischen Überprüfungsverfahrens (Universal Periodic Review, UPR), mit dessen Hilfe 48 Mitgliedstaaten jährlich auf die Menschenrechtslage in ihrem Land überprüft werden. Ferner wurde das 1503-Verfahren in 'Beschwerdeverfahren' umbenannt.Eine weitere Instanz stellt das 'Amt des Hohen Kommissars für Menschenrechte' (OHCHR) dar, welches 1994 eingerichtet wurde. Mit dem Amt ist die organisationsübergreifende Koordinierung von Menschenrechtsbelangen innerhalb der Vereinten Nationen, eigene Untersuchungen in Menschenrechtsbelangen sowie Aufgaben im Sinne der Menschenrechtsbildung verbunden. Zu nennen sind außerdem noch die sogenannten 'Sondermechanismen'. Unter ihnen werden Sonderberichterstatter und Arbeitsgruppen eingesetzt, um die Menschenrechtslage thematisch oder länderspezifisch unabhängig festzustellen, zu dokumentieren und mit einer Empfehlung für den Menschenrechtsrat zu versehen. Allerdings gibt es auch hier von staatlicher Seite die Möglichkeit, Sondermechanismen zu verhindern.Neben den direkten UN-Menschenrechtsakteuren nennt Engelmann auch noch Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die die Menschenrechtsarbeit der Vereinten Nationen unterstützen und vorrangig Informationen über die Lage in einzelnen Staaten liefern. Je nach Status ist es etablierten NGOs gestattet, sich im Menschenrechtsrat mündlich oder schriftlich zu äußern. Auf Staatenebene sollen nationale Menschenrechtsinstitutionen nach den Pariser Prinzipien von 1993 in den einzelnen Ländern implementiert und von diesen finanziert werden. Hierzulande ist das das 2001 gegründete und oben genannte 'Deutsche Institut für Menschenrechte'.Schließlich blickt Engelmann noch auf die Internationale Strafgerichtsbarkeit. Hier werden die seit 1993 existierenden UN-Tribunale angeführt, welche zur Aburteilung von Kriegsverbrechen implementiert wurden. Eine besondere Rolle kommt in diesem Zusammenhang dem 'Internationalen Strafgerichtshof' (IStGH) zu, dessen Gründung 1998 beschlossen wurde und der 2002 seine Arbeit aufnahm. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels wurde der IStGH von 106 Mitgliedstaaten anerkannt. Als weitere Organisationen hebt die Autorin noch die UNESCO sowie den 'Dritten Ausschuss der UN-Generalversammlung' hervor, der soziale, humanitäre und kulturelle Fragen behandelt und Resolutionen zur Abstimmung im Plenum der Generalversammlung entwirft.Im abschließenden Ausblick des Textes weist die Autorin auf die zunehmende Bedeutung der Menschenrechte hin und blickt auch auf die zunehmende Bedeutung von global agierenden Unternehmen zu deren Schutz. Zu diesem Zweck greifen nicht nur entsprechende Normen einer UN-Untergruppe aus dem Jahr 2003, sondern es wurde auch ein UN-Sonderbeauftragter für die Verantwortung transnationaler Unternehmen eingesetzt.Weiterhin problematisch ist die Überwachung der Einhaltung der Rechte. Hier sind die Vereinten Nationen sehr stark auf die willentliche Mitarbeit der einzelnen Staaten angewiesen. Positiv ist an dieser Stelle jedoch die internationale Strafverfolgung zu nennen, welche durch den Internationalen Strafgerichtshof verbessert wird.
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Ein Foto, das bei der Ausweisung von Jüdinnen und Juden polnischer Staatsangehörigkeit in Nürnberg am 28. Oktober 1938 aufgenommen wurde. Bild: Bundesarchiv, Bild 146-1982-174-27 / Großberger, H. / CC-BY-SA 3.0 "L. Papa. Ich habe garnichts. Bin ausgewiesen nach Polen ganz allein ohne alles. Fahr wenn m[ö]glich zu Tante Berta. Wilna Wielka 49 Friedel"Diese Postkarte schrieb die damals 16-jährige Friedel Bendkower aus der Frankfurter Battonnstraße an ihren Vater David, als sie anlässlich der sogenannten "Polenaktion" am 28. Oktober 1938 ausgewiesen wurde. Sie verfasste die Zeilen während ihrer Verschleppung noch im Zug.[1] Am 27. Oktober zwischen 14 und 18 Uhr hatten im ganzen Zuständigkeitsbereich des polnischen Generalkonsulats Frankfurt Juden polnischer Staatsangehörigkeit von den Polizeiorganen ihren Ausweisungsbefehl erhalten. So wie Friedel mussten Tausende Jüdinnen und Juden, welche schon lange in Deutschland lebten, von heute auf morgen ihr Zuhause verlassen. Sie hatten zwar nach der Gründung der Zweiten Polnischen Republik 1918 die polnische Staatsangehörigkeit erhalten, aber oft sprachen sie nicht einmal Polnisch und hatten wenige, manchmal gar keine Verbindungen nach Polen. Familien wurden getrennt, der Zugang zu ihren Netzwerken und Ressourcen plötzlich abgeschnitten. Der konkrete Anstoß für diesen radikalen Schritt der Nationalsozialisten zu diesem Zeitpunkt war ein Erlass der polnischen Regierung, der besagte, dass ab dem 30. Oktober 1938 die Pässe von polnischen Staatsbürgern jüdischen Glaubens, die länger als fünf Jahre im Ausland lebten, nicht mehr gültig sein sollten. Mit dieser Regelung wollte die polnische Regierung der schon länger von ihr befürchteten massenhaften Ausreise oder Ausweisung von polnischen Jüdinnen und Juden aus NS-Deutschland nach Polen zuvorkommen. Das Gegenteil trat ein. Die deutschen Behörden fingen hastig an, ihre bereits von langer Hand geplante erste größere Deportationsaktion umzusetzen.[2]Die erste große Deportationsaktion der Nationalsozialisten – regional unterschiedlich umgesetztDie Methoden der deutschen Polizeiorgane vor Ort unterschieden sich dabei in ihrer Brutalität erheblich. Teilweise wurden Ausreisebefehle zunächst übergeben, in den meisten Fällen aber die Menschen direkt verhaftet und wie Friedel Bendkower ohne Gepäck, fallweise sogar ohne vollständige Bekleidung, abtransportiert. Auch waren unterschiedlich zusammengesetzte Gruppen betroffen: In manchen deutschen Städten wurden etwa nur männliche Jugendliche und Männer über 18 Jahren (z. T. bis ins hochbetagte Alter, aus den Altenheimen heraus) deportiert, in anderen ganze Familien inklusive der Kleinkinder.[3]Die Anordnung zur Zwangsausweisung der polnischen Juden, die aus Berlin kam, erreichte nicht alle Reichsteile gleichzeitig, und so variierte das Abschiebedatum je nach Wohnort zwischen dem 27. und dem 29. Oktober. Am Ende wurden schätzungsweise 17.000 Menschen verschleppt und unter schlimmsten Bedingungen an die deutsch-polnische Grenze transportiert. Ziel waren drei Grenzorte mit Bahnanschluss: Bentschen (Zbąszyń) in Großpolen, Konitz (Chojnice) in Pommern und Beuthen (Bytom) in Oberschlesien. Vom Frankfurter Hauptbahnhof mussten die Zwangsausgewiesenen ab dem 28. Oktober um 8 Uhr morgens mit Sonderzügen Richtung polnische Grenze fahren.Die polnischen diplomatischen Vertretungen und die Grenzbehörden vor Ort verhielten sich ebenfalls unterschiedlich. In Frankfurt hatte das Generalkonsulat ab dem Nachmittag des 27. Oktobers von Betroffenen erste Nachrichten über die bis dahin unbekannte Aktion erhalten. Schließlich hatten es in Frankfurt 200 Menschen, die nicht sofort verhaftet worden waren, ins Generalkonsulat geschafft – mit der Bitte um Erklärungen und Intervention. Doch der Konsul schickte sie mit Hinweis auf die Zwecklosigkeit des Unterfangens davon, während an anderen Standorten wie Leipzig Unterstützung organisiert wurde. Beginnend am Abend des 28. Oktobers 1938 trieb die deutsche Polizei die Menschen über die Landstraßen oder entlang der Eisenbahngleise bis zur Grenze nach Zbąszyń. Im Grenzstreifen, auf dem Bahngelände, in der nahe gelegenen Stadt oder einfach der unbewohnten Umgebung irrten letztlich mehrere tausend Menschen umher und versuchten, irgendwo unterzukommen. Die polnischen Behörden hatten aus Warschau keinerlei Vorwarnung erhalten und reagierten völlig überfordert. Schließlich bemühten sich die Wachen an der polnischen Grenze in Zbąszyń darum, die Papiere der Ausgewiesenen zu kontrollieren und sie zu registrieren, an den anderen Übergängen konnten sie ohne Erfassung weiterreisen. Wer in Zbąszyń kein Ziel bei einem Bekannten oder einer Verwandten oder ähnliches angeben konnte, dem wurde die weitere Einreise verweigert; es folgte die Internierung in Zbąszyń in einer alten Kaserne und deren Ställen. Neben der Abreise zu einer bekannten Person in Polen gab es für viele auch die Möglichkeit, kurzzeitig auf eigene Kosten ins Deutsche Reich zurückzukehren und dort den Haushalt aufzulösen; sofort im Anschluss erfolgte dann meist die erneute Ausweisung.[4] Mehrere hundert Menschen wurden in den Tagen der Verschleppung schwer verletzt, etwa 50 Menschen starben.[5]Auch die Eltern und Geschwister des 17-jährigen, bereits nach Paris emigrierten Herschel Grynszpan aus Hannover, der die Rabbinische Lehranstalt Jeschiwa im Frankfurter Ostend besucht hatte, waren Opfer der Aktion. Dies war seine Motivation für das am 7. November 1938 verübte letztlich tödliche Attentat auf den deutschen Legationssekretär Ernst vom Rath. Diese Episode diente den Nationalsozialisten als Vorwand für die gegen die jüdische Bevölkerung in Deutschland gerichteten Novemberpogrome 1938.Das Schicksal der allermeisten Opfer dieser ersten massenhaften Zwangsausweisung von Juden aus Deutschland lässt sich nur schwer ermitteln. Wem es gelang, aus unterschiedlichen Gründen ins Deutsche Reich zurückzukehren, in Polen Anschluss zu finden oder in andere europäische Länder zu emigrieren, wurde oftmals von den weiteren Entwicklungen wieder eingeholt und später deportiert und ermordet. Erforschung von Lebenszeichen, die an die in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden polnischer Staatsangehörigkeit erinnernDenkmale oder Erinnerungszeichen an die Deportation der polnischen Juden 1938 gibt es nur wenige. Das Projekt "Lebenszeichen ⋮ Znaki Życia. Polen und der Zweite Weltkrieg – Erinnerungsorte in Deutschland" des Deutschen Polen-Instituts erforscht die Erinnerung an Polinnen und Polen, die sich während des Zweiten Weltkriegs sowie in den Jahren unmittelbar davor und danach in Deutschland befanden. So wird auch nach Spuren gesucht, die an die Deportationen von 1938 erinnern.[6] In Zbąszyń selbst wird das Gedenken im öffentlichen Raum gepflegt, etwa durch einen Informationsweg entlang der ehemaligen Grenze. Seit 1987 erinnert ein Gedenkstein in Altona an die Vertreibung von über 800 polnischen Jüdinnen und Juden aus Altona. In vielen Gemeinden wurden Stolpersteine verlegt, die an individuelle Opfer erinnern, etwa in Hamburg, Berlin, Frankfurt, Hannover, Dinslaken, Essen, Karlsruhe, Zaberfeld, Ludwigshafen, Kaiserslautern u. a.Eine gesonderte Erwähnung findet die "Polenaktion" auch im öffentlichen Gedenken der rheinland-pfälzischen Stadt Pirmasens. Am Bahnhofsvorplatz wurde vom Trierer Künstler Clas Steinmann eine Gedenkstätte für alle Pirmasenser Opfer des Nationalsozialismus entworfen. Das zentrale Denkmal, bestehend aus Bronze-Stelen, funktioniert inhaltlich als Ensemble mit dezentralen Tafeln, die stetig erweitert werden. Diese wurden an den letzten Wohnorten der Opfer angebracht; sie informieren in Kurzform über die biografischen Grunddaten der Menschen und verweisen mit einem QR-Code auf die städtische Homepage für mehr historischen Kontext.[7]Am Amtsgericht, in der Bahnhofstraße 22–26 informiert seit 2018 eine sogenannte Sachtafel zur "Polenaktion", der Zwangsausweisung polnischer Juden 1938. Sachtafel am Amtsgericht in Pirmasens, angebracht am Gebäude in der Bahnhofstraße 22–26, mit Verweis auf die Internetseite https://www.pirmasens.de/leben-in-ps/kultur/gedenkprojekt/dezentrale-gedenkorte/bahnhofstrasse-22-26/. Bild: StArchiv PS Der damals zehnjährige Emanuel Baumöhl wurde am Amtsgericht Pirmasens am 27. Oktober 1938 als einer von 40 Jüdinnen und Juden polnischer Herkunft und ihrer Familienangehörigen festgesetzt."Auf dem Gerichtsgebäude teilte man uns mit, dass alle Verhafteten polnische Staatsangehörige seien und infolgedessen als staatenlose Ostjuden abgeschoben würden. Wir verbrachten die Nacht im Gerichtsgebäude und wurden am nächsten Morgen [...] auf Lastwagen nach Kaiserslautern ins Gefängnis gebracht. Meine Eltern und die übrigen Juden mussten hier alle Wertgegenstände, die sie bei sich trugen, abgeben. Anschließend ging es vom Gericht zum Hauptbahnhof, wo wir unter Polizeischutz in Personenwaggons verladen wurden. [...] [Wir erreichten] an der damaligen deutsch-polnischen Grenze Neu-Bentschin. Bei strömendem Regen und furchtbarer Kälte mussten wir die Waggons verlassen. Entlang der Gleise wurden wir über das sogenannte Niemandsland auf die polnische Seite getrieben. Doch die Polen ließen die Menschen nicht in ihr Land, so dass wir einige Tage unter freiem Himmel auf Gleisen verbringen mussten. Nach drei Tagen wurden wir von den Polen in eine nahegelegene leerstehende Mühle verfrachtet, die wir nicht verlassen durften. In dieser Mühle, die eine Ruine ohne jegliches Mobiliar war, verbrachten wir fast ein Jahr. Wir schliefen auf Stroh. Einmal täglich erhielten wir vom polnischen Roten Kreuz unsere Verpflegung."[8]Der 1928 in Pirmasens geborene Emanuel Baumöhl hatte einen aus Polen stammenden jüdischen Vater, Berich Süsser. Die Mutter war die zweite Frau seines Vaters, eine aus Kleinhausen stammende Katholikin, die bei der Heirat zum Judentum konvertierte. Aus der ersten Ehe des Vaters hatte Emanuel vier Geschwister. Zur erzwungenen Namensänderung der Familie in Baumöhl kam es, weil die Nationalsozialisten die in Polen von einem Rabbiner vorgenommene Eheschließung von Berichs Eltern nicht anerkannten.[9]Im Oktober 1938 wurden auch die Baumöhls, da alle die polnische Staatsangehörigkeit besaßen, Opfer der ersten großen Vertreibung von Juden aus Deutschland. Im Juni 1941, nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion, richteten die Nationalsozialisten in Berichs Geburtsstadt Rawa-Ruska, wo sich die Familie zu der Zeit befand, ein jüdisches Ghetto ein. Helmut Sittinger, der die Geschichte von Emanuel Baumöhl untersucht hat, schreibt dazu: "Zu diesem Zeitpunkt überließ man Berichs 'arischer' Ehefrau die Entscheidung, sich von ihrer Familie zu trennen, was sie klar ablehnte. So mussten sie und ihr Sohn Emanuel bei der letzten 'Judenaktion' im Ghetto in Rawa Ruska mit ansehen, wie im Dezember 1942 ein 18-jähriger SS-Mann den Familienvater und seinen Sohn Obed erschoss."[10] Flucht zurück nach Deutschland und in die USAEmanuel und seiner Mutter gelang mithilfe eines Polizeihauptmanns aus Bayreuth die Flucht vor der vorrückenden Roten Armee, in vier Monaten, bis über die Karpaten und nach Deutschland. Dort fuhren sie zur Schwester von Anna Baumöhl nach Ixheim. Nach drei Tagen wurden sie von SA-Männern festgenommen und zur Zwangsarbeit herangezogen. Anna Baumöhl musste im nahegelegenen Althornbach arbeiten und durfte weiterhin bei ihrer Schwester leben, Emanuel kam zu einem Landwirt nach Zweibrücken. Er wurde dort gut behandelt, obwohl er keinen Lohn bekam, und fühlte sich einigermaßen sicher; so blieb er noch einige Monate nach Kriegsende dort, bevor er im nahen Dorndorf Arbeit fand. 1946 lernte Emanuel Isolde Jost kennen, Tochter eines bekennenden Nationalsozialisten. Sie verliebten sich, und er schaffte es mit ihrer Hilfe seine Schulbildung nachzuholen, die er 1938 abrupt hatte abbrechen müssen. Emanuel Baumöhl arbeitete weiter, besuchte zugleich eine Handelsschule, machte eine Lehre und fing bei Elektrofirma an. Erst 1952 konnten Emanuel und Isolde heiraten: Obwohl Emanuel ursprünglich die polnische Staatsbürgerschaft hatte, wurde er nach dem Krieg als staatenlose displaced person geführt. Eine Heirat hätte dazu geführt, dass Isolde ihre deutsche Staatsbürgerschaft verloren hätte. So warteten die beiden mit ihrer Hochzeit, bis Emanuel die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten hatte. Sie bekamen zwei Töchter.[11]Friedel Bendkower und auch ihr jüngerer Bruder hingegen konnten nach ihrer vorläufigen Rückkehr von der deutsch-polnischen Grenze in die USA flüchten, wohin der von der Mutter geschiedene Vater David schon früh ins Exil gegangen war. Die Mutter, Regina Bendkower, wurde am 12. November 1941 bei der zweiten großen Massendeportation aus Frankfurt in das Ghetto in der von den Deutschen besetzten belarusischen Stadt Minsk verschleppt und ermordet.[12] Stolperstein Battonnstraße 7 Regina Bendkower. Bild: Initiative Stolpersteine Frankfurt am Main [1] Aus dem Nachlass von Friedel Mayer, geb. Bendkower, Jüdisches Museums Frankfurt.
[2] Zur Einführung Monika Stefanek: "Polenaktion" 1938, in: Porta Polonica – https://www.porta-polonica.de/de/atlas-der-erinnerungsorte/polenaktion-1938 (27.10.2022); Grundlegend Alina Bothe, Gertrud Pickhan: Ausgewiesen! Berlin, 28.10.1938. Die Geschichte der "Polenaktion", Berlin 2018. Die Ausstellung "Ausgewiesen! Die Geschichte der Polenaktion 1938" ist vom 28.10. bis 27.11.2022 in der Marienkirche in Frankfurt (Oder) zu sehen.
[3] Für einen Abschiebungsbescheid aus Berlin s. https://www.jmberlin.de/thema-polenaktion-1938#media-7723 (27.10.2022).
[4] https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/zwangsausweisung.html.de?page=1 (23.01.2019); Jerzy Tomaszewski: Auftakt zur Vernichtung: Die Vertreibung polnischer Juden aus Deutschland im Jahre 1938. Osnabrück 2002, S. 113–195.
[5] Alina Bothe, Vortrag anlässlich des 84. Jahrestags der "Polenaktion" für das Projekt #LastSeen der Arolsen Archives, 27.10.2022.
[8] Dunja Maurer, Bernhard Kukatzki, Heike Wittmer (Hrsg.): Juden in Pirmasens. Spuren ihrer Geschichte, Pirmasens 2004, S. 444 f.
[9] Und zum folgenden: Helmut Sittinger: Emanuel Baumöhl: Ein gebürtiger Pirmasenser als polnischer Zwangsarbeiter in Zweibrücken, in: Gertrud Schanne-Raab (Hrsg.): Für jeden sichtbar und doch vergessen. Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen in Zweibrücken 1940–1945, St. Ingbert 2021, S. 280–282, hier S. 280. Vgl. Otmar Weber: Nur drei haben überlebt. Das Schicksal der Familie Süsser/Baumöhl während der NS-Zeit, in: Maurer, Kukatzki, Wittmer (Hrsg.): Juden in Pirmasens, S. 438–449.
[10] Sittinger, Emanuel Baumöhl, S. 280 f.
[11] Ebenda, S. 281–283.
[12] Die Abschnitte allgemein zur "Polenaktion" und zur Familie Bendkower wurden weitgehend übernommen aus: Julia Röttjer, Raus aus Deutschland! Die Ausweisung von Jüdinnen und Juden 1938 im Rhein-Main-Gebiet ("Polenaktion"), in: Peter Oliver Loew (Hrsg.), Lebenspfade / Śćieżki życia. Polnische Spuren in RheinMain. Ein historisches Mosaik, Darmstadt 2019, S. 79-81.
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Several key architects of the U.S. invasion and occupation of Iraq 21 years ago are presenting a plan for rebuilding and "de-radicalizing" the surviving population of Gaza, while ensuring that Israel retains "freedom of action" to continue operations against Hamas and Islamic Jihad.The plan, which was published as a report Thursday by the hard-line neo-conservative Jewish Institute for National Security Affairs, or JINSA, and the Vandenberg Coalition, is calling for the creation of a private entity, the "International Trust for Gaza Relief and Reconstruction" to be led by "a group of Arab countries such as Saudi Arabia, Egypt, and the United Arab Emirates" and "supported by the United States and other nations."With regard to Palestinian participation, the report by the "Gaza Futures Task Force," envisages an advisory board "composed primarily of non-Hamas Gazans from Gaza, the West Bank, and diaspora." In addition, the Palestinian Authority, which is based on the West Bank, "should be consulted in, and publicly bless," the creation of the Trust while itself undergoing a process of "revamping."In addition to granting Israel license to intervene against Hamas and Islamic Jihad within Gaza, the plan calls for security to be provided by the Trust's leaders and "capable forces from non-regional states with close ties to Israel," as well as "vetted Gazans." The Trust should also be empowered to "hire private security contractors with good reputations among Western militaries" in "close coordination with Israeli security forces," according to the report.The task force that produced the report consists of nine members, four of whom played key roles as Middle East policymakers under former President George W. Bush and in the run-up to and aftermath of the disastrous Iraq invasion in 2003. The group is chaired by John Hannah, who served as deputy national security advisor to Vice President Dick Cheney from 2001 to 2005 and then as Cheney's national security advisor (2005-2009), replacing Lewis "Scooter" Libby, who resigned his position after being indicted for perjury. Libby, who was later given a full pardon by former President Donald Trump, is also a member of the Gaza task force. Another prominent member of the task force is the founder and chairman of the hawkish Vandenberg Coalition, Elliott Abrams, who served as the senior director for Near East and North African Affairs in the National Security Council under Bush from 2002 to 2009 and more recently as the Special Envoy for Venezuela and Iran under Trump. Ironically, Abrams, who also served as the NSC's Senior Director for Democracy under Bush, played a key role in supporting an attempted armed coup by Hamas's chief rival, Fatah, in 2007 after Hamas swept the 2006 Palestinian elections. The coup attempt sparked a brief but bloody civil war in Gaza, which eventually resulted in Hamas' consolidation of power in the Strip.Amb. Eric Edelman (ret.), a fourth member of the task force, served as Cheney's principal deputy national security adviser from 2001 to 2003 and then as Under Secretary of Defense for Policy, the number three position at the Pentagon, under Rumsfeld and his successor, Robert Gates, from 2005 to 2009, as U.S. troops struggled to contain the mainly Sunni resistance to the U.S. occupation in Iraq.In addition to their collaboration during the Bush administration, the four men have long been associated with strongly pro-Israel neoconservative groups, having served on the boards or in advisory positions for such organizations and think tanks as the Hudson Institute, the Foundation for Defense of Democracies, the ultra-hawkish Center for Security Policy, as well as the Vandenberg Coalition and JINSA. Indeed, such groups have promoted policies that have been generally aligned with those of the Likud Party led by Israeli Prime Minister Binyamin Netanyahu.Thus, the report's "key findings" prioritize as considerations: [these are quotes]restoring the deterrence and security needs of Israel, both for its own people and its standing as a powerful regional ally and essential component of resisting Iran's ambitions; and dismantling Hamas as a military and governing force and protecting against its reconstitution through Israel's continued freedom of action against it and against Palestinian Islamic Jihad; and by de-militarizing, de-radicalizing, and improving conditions in Gaza such that major terrorist attacks like October 7 can't and won't happen again…Its proposed Trust, according to the report, should involve the United States and concerned states that accept Israel's role in the region" and "should provide the humanitarian assistance and help to restore essential services and rebuild civil society in Gaza as intense combat and over subsequent months. Its activities should be governed by an international board composed of 3 to 7 representatives from the key states supporting the Trust, including Saudi Arabia, the UAE, and others. At least one notable omission from the list is Qatar, which has provided tens billions of dollars in assistance to Gaza over the last decade.In an echo of Washington's disastrous de-Baathification campaign in occupied Iraq, the report puts special stress on "deradicalization" efforts. "The Trust, recognizing that years of radicalization by Hamas has complicated the task of reforming and restoring Gaza, should focus on a long-term program for deradicalizing the media, schools and mosques," according to the report which adds that "Gazans and the Gazan diaspora should play an active role in developing and implementing these plans, alongside the Trust's Arab members who have hands-on experience in successful deradicalization efforts in their own societies." Such efforts in Gaza, it goes on, could "serve as a model to encourage a similar program there that will be essential if a credible two-state solution is to be revived."The task force urges the Trust to coordinate with other states' efforts and with those of NGOs and international organizations, including the United Nations. But, in an echo of a key Likud talking point, "it should recognize that the activities of UNRWA serve to perpetuate and deepen the Palestinian crisis." The report said UNRWA's immediate assistance in providing relief may be necessary, but "plans to replace it with local Palestinian institutions or other international organizations committed to peace should be developed and implemented."All of these efforts should be pursued within the more general context of countering "Iran's aggressive campaign to derail regional peace efforts, including by constraining the threat posed by Hezbollah and resuming progress toward normalizing Israel and Saudi Arabia," according to the report.
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Seit dem demokratischen Umbruch ist in Polen eine Renaissance der Provinz zu spüren, von der hauptsächlich ehemalige deutsche Gebiete profitieren konnten, da überall dort Gruppen von Aktivisten entstanden sind, die sich der deutschen Heimatgeschichte dieser Region widmen; auch zahlreiche Ausstellungen, Bildbände, Konferenzen und das Interesse der lokalen Politik und Öffentlichkeit zeugen dafür. Während diese Bestrebungen von polnischen Angehörigen der 2. und 3. Ansiedler-Generation von Allenstein über Danzig, Stettin, Grünberg, Breslau bis zu kleinen Gemeinden in den Sudeten reichen, ist die Lage in Oberschlesien anders. Denn hier – in Teilen der Woiwodschaften Oppeln und Schlesien - leben noch einige "Authochtone" (alteingesessene Bevölkerung), allerdings dezimiert durch einen jahrzehntelangen Exodus Richtung Westen und majorisiert durch Ansiedler aus anderen Teilen Polens. Unter ihnen ist auch die deutsche Minderheit aktiv, hauptsächlich in der Gegend um Oppeln, im östlichen Teil der Region machte eine oberschlesische Autonomiebewegung in den letzten Jahren von sich hören, die auf Distanz zu Berlin und Warschau geht und auf die kulturelle Eigenart der Oberschlesier abhebt. Die Region insgesamt wird heute in Polen als multikulturell, multikonfessionell und sprachlich differenziert wahrgenommen. Die "Andersartigkeit" der Region wird vom Rest des Landes zumindest zur Kenntnis genommen, wenn auch nicht immer wohlwollend.In diesem Kontext möchte ich auf drei Filme aufmerksam machen, die in den letzten Jahren Oberschlesien auf die Leinwand brachten und dabei auch ein starkes Interesse der Medien und der Öffentlichkeit weckten: Skazany na bluesa von Jan Kidawa-Błoński (2005), Bogowie von Łukasz Palkowski (2014) und Gwiazdy (2017) unter der Regie des bereits erwähnten Jan Kidawa-Błoński. Von Interesse ist für mich die Bereitschaft der Filmemacher, auf die oberschlesische, deutsche und polnische Eigenart der Region einzugehen. In erster Linie geht es hier um sprachliche, kulturelle und geschichtliche Sensibilität, die die Film-Wirklichkeit für den an der Region interessierten Zuschauer glaubwürdig macht.Skazany na bluesa gehört zu den erfolgreichsten polnischen Biografiefilmen und porträtiert den Bluessänger Ryszard Riedel, Frontman der legendären Musikband Dżem, die in den 1980er und 1990er Jahren in Polen große Popularität genoss und heute auch noch genießt. Die charismatische Gestalt Riedels ist in Oberschlesien insoweit ein Phänomen, als dass es verhältnismäßig wenigen "Authochtonen" gelang, in der Popkultur des Nachkriegspolens zum Ruhm zu gelangen. Die Besetzung der Rolle durch Tomasz Kot scheint ideal, Kot verkörpert zu 100 Prozent Riedel im Leben wie auf der Bühne, im Gesang, Gang, Erscheinungsbild. Nur ein Einwand: Kot spricht keinen oberschlesischen Dialekt. Dem Regisseur ist hier die Sprachdimension der Filmgestalt zum Teil bewusst, aber wirklich nur zum Teil, denn nach einigen anfänglichen Dialogen – erste Dachszene mit dem Freund Indianer sowie einige Familiengespräche, die im bemühten Oberschlesisch ablaufen - spricht Kot was er am besten kann: Hochpolnisch. Auch Indianer, Riedels Ehefrau Gola, Familienmitglieder und einfache Nachbarn sprechen keinen Dialekt, ja nicht einmal Polnisch mit dem typisch oberschlesischen Tonfall. Das wird dem genius loci - der Industriestadt Tichau (Tychy) der 1970-1980er Jahre - sicher nicht gerecht. Auch wenn es zu Kot wahrscheinlich keine Alternative gab, so hätten andere Rollen hier durchaus durch Schauspieler ersetzt werden können, die imstande gewesen wären, mehr lokales Sprachkolorit zu vermitteln. Theater in Oberschlesien gibt es schließlich genug, mit Sicherheit gibt es auch dort Schauspieler, die des oberschlesischen Dialekts mächtig sind.Wenn Tomasz Kot zu 100 Prozent den Sänger Ryszard Riedel verkörpert, so geht der Schauspieler in der Rolle des Kardiologen Zbigniew Religa in Bogowie zu 110 Prozent auf. Dr. Religa hatte für seine Idee, eine moderne Klinik in Polen einzurichten, an der vor allem Herztransplantationen möglich wären, einen einflussreichen, herzkranken Grubendirektor in Zabrze (Hindenburg) eingenommen. So spielt der Film in der "deutschesten Stadt Polens", so der Historiker Dawid Smolorz[1], allerdings merkt man das im Film überhaupt nicht. Religa war kein Oberschlesier, seine Assistenzärzte vielleicht auch nicht, aber z.B. das Personal? Krankenschwester, Pfleger, Hausangestellte haben im Zabrze der 1970-1980er Jahre sicher nicht alle Hochpolnisch gesprochen. Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass zumindest unter Religas Patienten doch einige Oberschlesier waren. Das entgeht jedoch dem Filmemacher, kein einziger der Schauspieler spricht Dialekt und Zabrze ist hier eine ganz normale polnische Stadt.Nicht so in Kidawa-Błońskis Gwiazdy, einem Kassenschlager, in dem die Karriere des Fußballspielers Jan (Hans) Banaś vor dem Hintergrund der erfolgreichsten Phase des polnischen Fußballs 1967-1974 gezeigt wird. Banaś kommt aus Hindenburg, das nach 1945 wieder Zabrze heißt, sein Fußballklub Górnik Zabrze exemplifiziert den Anspruch der unter Parteichef Gierek aufstrebenden Industrieregion nach höchsten polnischen wie europäischen Fußballtrophäen. Zabrze darf hier zum Glück noch als eine nicht ganz polnische Stadt erscheinen, die Protagonisten wohnen in typischen oberschlesischen Familoki, man sieht die Industriesilhouetten der Grube Pstrowski, man erlebt einen typischen (in Polen sonst unbekannten) Polterabend. Viele in der Stadt wissen noch, dass das Górnik-Stadion vor dem Krieg den Namen Adolf Hitlers trug, was dem Klubpräsidenten mal zum Verhängnis wird. Aber damit enden die Zugeständnisse an die lokale Geschichte des Geschehensortes.Wenn dieser Film auch ein Verständnis in Polen für die komplizierte Geschichte der Region und ihre Menschen wecken sollte, so haben die Filmemacher die Chance vertan. Das Leben des Hauptprotagonisten wäre dafür wunderbar geeignet: Ein in Berlin geborener Oberschlesier, der in Polen der Nachkriegszeit Fußballer werden möchte, zum Klub seiner Träume einberufen wird und auch in der polnischen Nationalmannschaft spielt, dann (illegal) zum 1.FC Köln wechselt, wo er von der FIFA gesperrt wird, kehrt wieder nach Polen zurück, wo er mit Górnik polnischer Meister wird und im Finale des Europapokals der Pokalsieger gegen Manchester City verliert.Diese Biografie hat es in sich und diese Stadt hat auf jeden Fall das Potential, mit dem die Herzen der Oberschlesier und all derer, die diesen Streifen Erde schon immer besser kennenlernen wollten, hätten erobert werden können. Von dieser Möglichkeit sieht Kidawa-Błoński durch seine Castingpolitik ab. Erstens: Nur ganz wenige Protagonisten sprechen im Film den oberschlesischen Dialekt, wodurch nicht klar ist, wer Oberschlesier ist und wer nicht. Das ist für eine Filmgeschichte, die 20 Jahre nach dem Krieg in einer deutsch-polnischen Grenzregion spielt, allerdings ungeheuer wichtig! Alle Hauptfiguren sprechen Polnisch, manchmal bemüht den oberschlesisch-polnischen Dialekt, "bemüht" heißt dabei einfach nicht echt: Man merkt sofort, dass die Phrasen gelernt wurden und dass der typische regionale Tonfall fehlt. Wie in Skazany na bluesa vergessen Kidawa-Błoński und seine Filmemacher nach anfänglichen Szenen auf die bemühte, aber immerhin oberschlesische Art der Aussprache der Schauspieler zu achten. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn die Hauptdarsteller in Gwiazdy kommen nicht aus Oberschlesien und sprechen, was sie am besten können: Hochpolnisch! Das ist weitgehend problematisch, denn wie erklärt man, dass die deutsch-oberschlesische Mutter des Hauptprotagonisten (gespielt von Magdalena Cielecka), die mit einem Berliner Fußballer eine Affäre hat und nach 1945 nach Zabrze zurückkehrt, perfekt Polnisch spricht? Klar, es gab viele Menschen im oberschlesischen Revier, die Polnisch sprachen, aber der oberschlesischen Dialektvariante, niemals Hochpolnisch!Überhaupt fehlt in Zabrze von Kidawa-Błoński neben dem typischen oberschlesischen Tonfall auch die Präsenz der damals noch allgegenwärtigen deutschen Sprache und der deutschen Alltagsrituale (der Polterabend ist eine Ausnahme). Während andere oberschlesische Städte wie Oppeln, Gleiwitz und Beuthen einen fast vollständigen Bevölkerungstausch nach 1945 erfahren haben, hatte Zabrze in den 1950er Jahren, so der erwähnte Smolorz, noch zu 75 Prozent eine Bevölkerung, die im Deutschen Reich groß geworden war, und auch in der Volksrepublik Polen noch Deutsch sprach, wenn nicht offiziell, dann sicher privat. Bei Familienfeiern im Film hören wir aber alle nur Polnisch reden, die Bewohner singen "Sto lat" und zur Abwechslung "Poszła Karolinka do Gogolina", das einzige regionale Volkslied, das wohl einem Polen zum Thema Oberschlesien einfällt, von den Bambino-Plattenspielern hört man angelsächsische Popmusik eines Paul Anka. Selbst wenn es das gab, so war es nicht typisch: In Zabrze wie in ganz Oberschlesien waren zu jener Zeit deutsche Schlager-Platten präsent, die in Paketen oder beim Familienbesuch "aus dem Reich" in die Region gelangten: Heintje, Udo Jürgens, Hildegard Knef oder Peter Alexander waren mindestens so bekannt wie die im Film zu hörenden Krzysztof Krawczyk und Dżem (die Band gab es zu Zeiten der Filmhandlung noch nicht); schon eher könnte die populäre Oberschlesierin Karin Stanek (Chłopiec z gitarą) für musikalische Stimmung auf Partys in Zabrze sorgten. Zurück zu dem Anspruch glaubwürdig zu sein: Leider sind alle Schauspieler in Gwiazdy eine Fehlbesetzung, vielleicht bis auf Eryk Lubos, Marian Dziędziel und einen weiteren Oberschlesier im Team, der ausgerechnet einen Sicherheitsbeamten spielt. Keiner der Stars, und davon gib es nicht wenige: Mateusz Kościukiewicz, Sebastian Fabijański, Magdalena Cielecka, Karolina Szymczak sprechen glaubwürdig Oberschlesisch oder Deutsch. Kurios ist auch die Rolle von Adam Woronowicz als westdeutschen Polizisten, der als Kind aus Oberschlesien nach Frankfurt kam, und dem immer noch Polnisch als Deutsch leichter fällt, eine trügerische Annahme! Und bei aller Ehre für den polnischen Fußball (an dem die oberschlesischen Spieler bis 1989 ja ihren stolzen Anteil hatten) drückten die Oberschlesier selbst meistens Beckenbauer & Co. die Daumen, nicht der polnischen Nationalmannschaft. Demnach zeigt die letzte Szene im Film ("Wem hast Du Daumen gedrückt?" fragt der deutsche Polizist den verzweifelten Banaś nach der 0:1-Niederlage gegen die deutsche Mannschaft 1974 im Waldstadion) nur das Wunschdenken des mit der Realität in Oberschlesien nur oberflächlich vertrauten Drehbuchautors aus.Zum Schluss: Es ist erstaunlich, dass der "wahre" Jan Banaś am Film mit beteiligt war und auch die Stadt Zabrze einen finanziellen Beitrag zum Film leistete. Es wäre interessant zu erfahren, wie sie sich in dem Film wiederfinden, in dem so vieles dilettantisch, wenn nicht gar die Wirklichkeit verfälschend, daherkommt. [1] Dawid Smolorz: Die deutscheste Stadt in Polen, siehe: http://wochenblatt.pl/die-deutscheste-stadt-in-polen/ (Arbruf am 28.4.2020)